ZVertriebsR
March 23, 2018 | Author: Anonymous | Category: N/A
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ZVertriebsR Zeitschrift für Vertriebsrecht Handelsvertreterrecht – Vertragshändlerrecht – Vertriebskartellrecht –Franchiserecht
ZVertriebsR · 4/2012 · 1. Jahrgang · Seite 205–272 Herausgegeben von: Rechtsanwalt Prof. Dr. Eckhard Flohr, PF & P Rechtsanwälte, Düsseldorf/Kitzbühel; Univ.-Prof. Dr. Dr. Dr.h.c.mult. Michael Martinek, Universität des Saarlandes; Rechtsanwalt Prof. Dr. Karsten Metzlaff, Noerr LLP, Berlin; Rechtsanwalt Prof. Dr. Franz-Jörg Semler, CMS Hasche Sigle, Stuttgart; Rechtsanwalt Dr. Ulf Wauschkuhn, Baker & McKenzie, München Schriftleitung: Univ.-Prof. Dr. Dr. Dr.h.c.mult. Michael Martinek, Universität des Saarlandes; Wiss. Ass. Max Rösch, LL.M., Universität des Saarlandes Herausgeberbeirat: RA Dr. Wolfgang Bosch, Gleiss Lutz/Frankfurt/Main; Prof. Dr. Annie Bottiau, Universität Lille; RAin Pamela Church, Baker & McKenzie/New York; RA Prof. Dr. Christian Genzow, Graf von Westphalen/Köln; Prof. Dr. Wolfgang Hau, Universität Passau; Prof. Dr. Peter Kindler, Universität München; RA Christoph Kocks, Anwaltssozietät Kocks & Partners/ Brüssel; RA Prof. Dr. Michael Kull (Nigon Kull Burkart Partner/Basel; RAin Dr. Fabienne Kutscher-Puis Lang & Rahmann/Düsseldorf; RA DDr. Alexander Petsche, Baker & McKenzie – Diwok Hermann Petsche/Wien; RA Prof. Dr. Hanns-Christian Salger, Salger – Rechtsanwälte/Frankfurt; RA Dr. Benedikt Spiegelfeld, Cerha Hempel Spiegelfeld Hlawati Partnerschaft von Rechtsanwälten/Wien; RA Dr. Christoph Wildhaber, Streichenberg – Rechtsanwälte/ Zürich
Editorial Univ.-Prof. Dr. Dieter Ahlert*
Die ZVertriebsR auf dem Weg zu einer „Epoche machenden Institution“?! Univ.-Prof. Dr. Dieter Ahlert Die neue Zeitschrift für Vertriebsrecht etabliert sich in einer Epoche, in der sie die Chance hat, selbst zu einer „Epoche machenden Einrichtung“ zu werden. Wie könnte dies geschehen, und warum ist das Einführungsjahr 2012 dafür besonders günstig? Die letzte Frage zuerst: Die Zeit ist reif, so schreibt Michael Martinek in der ersten Ausgabe der ZVertriebsR, für ein neues Forum der Information und Diskussion über „dieses noch junge, aber schon fest etablierte und immens bedeutend gewordene Rechtsgebiet". Es drängt sich auf zu ergänzen: …reif nicht nur für die systematische Bestandsaufnahme und Betrachtung des geltenden Vertriebsrechts (de lege lata), sondern unbedingt auch für eine grundlegende Diskussion des Änderungsbedarfs de lege ferenda!
Dafür ein Beispiel: Akuter Überprüfungsbedarf zeigt sich gegenwärtig im Bereich des Vertriebskartellrechts. Eigentlich müsste es die Intention des nationalen und europäischen Rechts der vertriebsbezogenen Wettbewerbsbeschränkungen sein, Funktionsstörungen des Wettbewerbs zu beseitigen oder diesen vorzubeugen, nicht aber sie zu verursachen. Die jüngsten Verordnungen und Leitlinien der Europäischen Kommission sowie die Interventionen der deutschen und europäischen Wettbewerbsbehörden, so auch die spektakuläre Durchsuchungsaktionen des Bundeskartellamtes im Januar 2010 in der Lebensmittelbranche, weisen offensichtlich in die letztgenannte Richtung. Sie offenbaren eine zunehmend rigide kartellrechtliche Limitierung der Gestaltungsfreiheiten in Konsumgütervertrieb und vertikalem Marketing. Und dies, obwohl in den ________________________ *
Der Autor ist emeritierter Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre am Marketing Center der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und Direktor des Instituts für Handelsmanagement und Netzwerkmarketing. Zusammen mit seinen Schülern, den Professoren Kenning, Olbrich und Schröder, hat er 2011 ein „ökonomisches Manifest zur Deregulierung der Konsumgüterdistribution“ im Verlag C.H. Beck publiziert und gibt das Forum für Vertriebs- und Handelsmanagement im Verlag SpringerGabler heraus. Hier lautet der aktuelle Titel 2012: „Vertikale Preis- und Markenpflege im Kreuzfeuer des Kartellrechts".
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Editorial
einschlägigen Fachkreisen schon längst immer häufiger angezweifelt wird, ob solche Rechtsrestriktionen – zum Beispiel das Preisbindungsverbot – überhaupt dazu geeignet sind, die Funktionsfähigkeit der Wettbewerbsprozesse und damit auch die Verbraucherwohlfahrt nachhaltig zu verbessern. In einer Aufklärungsschrift, der so genannten Handreichung 2010, sowie in zahlreichen Informationsveranstaltungen und Presseveröffentlichungen hat das Bundeskartellamt dargelegt, dass nicht nur die klassische Preisbindung, sondern alle erdenklichen Formen der vertikalen Preis- und Markenpflege in der Wertschöpfungskette kartellrechtlich höchst riskant sind, soweit sie auch nur im Entferntesten mit einer vertikal koordinierten Preisgestaltung einhergehen. Markenwissenschaftlich betrachtet, drohen diese Interventionen zur Strangulierung von Innovation und Vielfalt im Wettbewerb beizutragen. Grundsätzlich gehören alle restriktiven Normen, insbesondere auch die des Vertriebsrechts, in regelmäßigen Zeitabständen auf den Prüfstand der Deregulierung. Wo findet man diesen „Prüfstand“? Nie war die Zeit so reif wie heute, mit einem innovativen Forum eine Plattform für eben diese fundamentale Deregulierungsdiskussion zu bieten. Und nun zur ersten Frage: Was müsste geschehen, damit die ZVertriebsR zu einer „Epoche machenden Institution“ werden kann? Kann es ihr gelingen, dafür zu sorgen, dass im Rahmen eines von Zeit zu Zeit fälligen „Rechts-Audit“ alle Regelungen des Vertriebsrechts, welche die wirtschaftliche Freiheit (Handlungs- und Vertragsfreiheit) der Marktteilnehmer beschneiden, auf ihre aktuelle Legitimation und Verhältnismäßigkeit überprüft werden, und kann sie sich für diesen Überrpüfungsprozess als eine anerkannte Plattform etablieren? Michael Martinek nennt als besondere Kennzeichen der ZVertriebsR Praxisnähe und Internationalität, Aktualität und Interaktivität. Um jedoch als ein innovatives Forum für die kritische Analyse des geltenden Vertiebsrechts sowie für die Rechtsfortbildung zu gelten, bedarf es eines weiteren Kennzeichens, nämlich der Interdisziplinarität: „Will man z.B. wissen, wie eine bestimmte MarketingPraxis im Lichte des geltenden Rechts (de lege lata) zu beurteilen ist, so müssen die Strategien, die von den Betriebswirten entwickelt worden sind, von Juristen am geltenden Recht und von Volkswirten am Allgemeinwohl gemessen werden. Dabei muss berücksichtigt werden, dass die Imitation einer zunächst neuen Strategie durch mehr und mehr Unternehmen zu sozialen Missständen führen kann, die anfänglich (noch) nicht sichtbar waren. Oder denken wir an die Aufgaben und Fragen, die sich stellen, wenn Recht oder Gesetz fortgebildet werden sollen: Wandelt sich die Rechtsprechung oder zielt man darauf ab, einen solchen Wandel herbei zu führen, sollen bestehende Rechtsnormen novelliert werden oder sind neue Gesetze dort zu schaffen, wo bisher noch keine Regelung bestand, argumentiert man also de lege ferenda, so benötigt der Jurist wirtschaftswissenschaftliche Empfehlungen, die zwischen den beiden Teildisziplinen der Volkswirtschaftslehre und der Betriebswirtschaftslehre einerseits sowie zwischen Wirtschaftswissenschaften und Wirtschaftspraxis ausdiskutiert sein sollten“ (Ahlert/Grossekettler/Sandrock 1988). Mit Blick auf den dringenden Novellierungsbedarf im Bereich des Vertriebsrechts erscheint vor allem die disziplinübergreifende Zusammenarbeit der Juristen mit den Wirtschaftswissenschaftlern unverzichtbar. Dies jedoch nicht
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nur mit Wettbewerbstheoretikern, wie es schon bislang hinlänglich praktiziert wird. Von entscheidender Bedeutung ist die vermehrte Einbringung von Erkenntnisfortschritten aus den Marketingwissenschaften, in deren „Zuständigkeitsbereich“ der Vertrieb nun einmal gehört, und vor allem auch aus der Unternehmenspraxis. Dass es daran mangelt, musste der Autor dieses Editorials immer wieder erneut feststellen, seit er im Jahre 1965 seine Diplomarbeit über „Vertikale Vertriebsbindungssysteme in der Unterhaltungselektronikbranche“ (bei Erich Gutenberg) geschrieben hat. Um ein anschauliches Beispiel dafür zu finden, mit welchen Herausforderungen die disziplinübergreifende Diskussion im Bereich des Vertriebsrechts konfrontiert ist, braucht man nicht lange zu suchen: Die Reglementierungen der vertikalen Preiskoordination in den Wertschöpfungssystemen der Konsumgüterwirtschaft durch die restriktiven Normen des nationalen und europäischen Wettbewerbsrechts drängen sich insoweit geradezu auf. Dass hier erheblicher Überprüfungsbedarf besteht, kann an dieser Stelle nur andeutungsweise dargelegt werden: Vertikalen Preisbindungen wird auf der Basis modelltheoretischer Erwägungen einiger Wettbewerbsökonomen unterstellt, dass sie horizontalen Preiskartellen Vorschub leisten können, und dass daher jede Form der vertikalen Preiskoordination per se zu verbieten sei. Dabei wird die Tatsache ausgeblendet, dass solche antikompetitiven Wirkungen der Preisbindung nur in sehr selten anzutreffenden, extremen Szenarien denkbar sind: Bei einem schon vorliegenden Marktversagen aufgrund enger Oligopolstrukturen mit nahezu unüberwindlichen Marktzutrittbarrieren oder auch bei lebensnotwendigen Gütern des dringlichen Bedarfs, und dies auch nur dann, wenn für die überwiegende Mehrzahl der konkurrienden Produkte starre Festpreisbindungssysteme vereinbart sind. In der Wirtschaftspraxis herrschen dagegen Marktkonstellationen vor, in denen gerade die Zulässigkeit (und nicht das Verbot) einer vertikalen Preis- und Markenpflege prokompetitive und wohlfahrtsfördernde Effekte entfalten würde. Aus marketingwissenschaftlicher und unternehmenspraktischer Perspektive wird dem kategorischen Verbot der vertikalen Preiskoordination zwischen Handels- und Industrieunternehmen ein großes Gefährdungspotenzial zugeschrieben: Angebotsvielfalt, Markenstärke und Innovativität würden durch diese Restriktionen zunehmend stranguliert, die Wertschöpfungseffizienz beeinträchtigt, kooperativ organisierte Vetriebssysteme gegenüber hierarchisch gesteuerten Vertikalisten systematisch benachteiligt und damit die Funktionsfähigkeit des InterBrand-Wettbewerbs fundamental gestört. Den Kern dieser Kontroverse bildet mithin die Frage, ob die vertikale Preiskoordination innerhalb der Absatzkanäle schwerwiegende, wettbewerbs- und wohlfahrtsökonomisch negative Effekte verursacht, und zwar grundsätzlich und regelmäßig. Falls ja, erscheint – wie bei horizontalen Preiskartellen – ein striktes Verbot mit Androhung hoher Bußgelder unabdingbar. Ist dies jedoch nicht per se, sondern allenfalls ausnahmsweise (in bestimmten Bedingungskonstellationen) der Fall, ist das gegenwärtig geltende Kartellrecht unbedingt korrekturbedürftig. Für diese Fallklassen sollte die Abschaffung des Preisbindungsverbots dringend erwogen werden, um die Funktionseffizienz und Innovativität der Konsumgütermärkte nicht weiter zu gefährden.
Ahlert: The Value Chain and Cartel-Law Restraints
Aufsätze
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Aufsätze Univ.-Prof. Dr. Dieter Ahlert*
‘The Liberation of the Value Chain from Cartel-Law Restraints’ The Risks and Opportunities of Deregulation Ahlert: The Value Chain and Cartel-Law Restraints Content: I. II.
III.
IV.
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The controversy surrounding the limitation of freedom of action in vertical marketing The liberation of interdisciplinary dialogue from prejudices and economic misunderstandings 1. The distributor control of final consumer prices: a law of nature? 2. Intensive internal competition within value systems: a right of consumers or distributors? 3. Large quantities of goods at low prices: a reflection of consumer welfare and principle of competition policy? Opportunities for cartel-law deregulation of consumer-goods distribution 1. The liberation of system competition from structural distortions 2 Raising efficiency by means of free communication, cooperation and a division of labour within the value chain 3 Innovative services and strong brands as a consequence of liberating value processes 4 Promoting supply diversity by means of competing priceformation methods Risks of free price-formation processes within the value chain 1. Risks of vertical price coordination for the effectiveness of horizontal inter-brand competition 2 Risks to consumer welfare of allowing vertical price coordination Principles of partial deregulation on a case-by-case approach
I. The controversy surrounding the limitation of 1 freedom of action in vertical marketing
The task of competition policy is to eliminate or to prevent restraints of competition and not to cause them. For this reason, all legal restrictions of entrepreneurial freedom of action in competition must be examined regularly on the “test bench” of deregulation.2 The most recent cartel-law intervention in the vertical coordination of the value chains3 and the resulting rigid limitation of freedom ________________________ *
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Der Autor ist emeritierter Ordinarius für Betriebswirtschaftslehre am Marketing Center der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und Direktor des Instituts für Handelsmanagement und Netzwerkmarketing. Zusammen mit seinen Schülern, den Professoren Kenning, Olbrich und Schröder, hat er 2011 ein „ökonomisches Manifest zur Deregulierung der Konsumgüterdistribution“ im Verlag C.H. Beck publiziert und gibt das Forum für Vertriebs- und Handelsmanagement im Verlag SpringerGabler heraus. Hier lautet der aktuelle Titel 2012: „Vertikale Preis- und Markenpflege im Kreuzfeuer des Kartellrechts". Cf. for more details of the interdisciplinary controversy Ahlert/Kenning/Olbrich/Schröder 2011 and 2012. Cf. on the mode of operation of such a test bench in the field of conflict between regulation and deregulation Ahlert/Grossekettler/Sandrock 1988, Ahlert/Wellmann 1988 a and b, Müller 2003, Schmidtchen 2005, von Weizsäcker 2005. In January 2010, one of the largest investigations in the history of the German Cartel Office caused considerable uproar, not only in the food sector, but also generally in the German consumer-goods sector, especially when similar searches were recently undertaken at mattress companies. Manufacturers and distributors are suspected of having colluded on the structure of ultimate consumer prices. In an explanatory document intended as a recommendation “Handreichung” of 13 April 2010 with the title ‘Vorläufige Bewertung von Verhaltensweisen in Verhandlungen zwischen Herstellern von Markenartikeln, Großhändlern und Einzelhandelsunternehmen zum Zwecke der Konkretisierung der Kooperationspflichten’ (translated as Provisional evaluation of practices in negotiations between manufacturers of branded articles, wholesalers and retail enterprises for the purpose of defining the duties of cooperation’) (cf. Federal Cartel Office 2010), and at numerous information events and in press publications, the Federal Cartel Office made
of action in consumer-goods distribution, are currently the subject of controversy and viewed increasingly critically in all related disciplines. Largely undisputed among economists is that exposing and preventing horizontal ´hardcore´ price cartels are among the most important tasks of the competition authorities. This is because horizontal price agreements between suppliers (or between demanders) at one and same economic level of a sector, whether they are between manufacturers or between distributors, can considerably impair the effectiveness of inter-brand competition between competing brands. However, there are extreme differences of opinion on vertical price coordination in the so-called intra-brand sector of a value chain, i.e. between manufacturing and retail companies or between wholesale and retail companies, in each case by reference to one and the same brand. These relate to cases involving not only extensive, inflexible resale price-maintenance systems, but also to less incisive forms of multi-level harmonisation of price and brand management within the value chain. These include frank discussions about useful brandpolicy price architectures in sales channels, but also pricemaintenance measures which are not the subject of multilateral, but of bilateral or individual agreements. These also include agreements of limited duration on price ranges and special-offer prices.4 Some competition-law economists and cartel-law jurists are generally in favour of strict regulation, even in intrabrand competition, because they assume that concerted vertical price structuring is able to encourage horizontal cartel formation and, therefore, considerably impair the efficiency of inter-brand competition. Other researchers and, in particular, experts from marketing practice, draw attention to the much greater risk potential inherent in the categorical prohibition of vertical price coordination between retail and manufacturing enterprises. Specifically, supply diversity, brand strength and innovativeness would increasingly be stifled by these restrictions, value-adding efficiency impaired, marketing systems organised in cooperative form would systematically be at a disadvantage compared to hierarchically controlled systems, thereby fundamentally distorting the effectiveness of inter-brand competition. The overregulation of vertical marketing is urgently in need of review. An increasing number of supporters have more recently been calling for differentiating the cartel-law evaluation and treatment of modes of conduct within value chains on a case-by-case approach. The core of this controversy is the question of whether vertical price coordination within the sales channels exerts ________________________
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it clear that not merely classical price maintenance, but all conceivable forms of vertical price maintenance and brand maintenance may be suspicious for cartel-law purposes, even if only remotely concerned with concerted price structuring. In the English literature, the varying forms of vertical price coordination are generally referred to as ‘resale price maintenance’ (cf. e.g. Blechman 2012). On the other hand, see the differentiating analysis of vertical price and brand maintenance Ahlert/Schefer 2012, p. 55 ff.
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serious negative effects on competition and welfare and if it does so, whether this is fundamental and the normal case. If this is the case, strict prohibition, combined with the threat of high fines, appears inevitable – similar to the case of horizontal price cartels. However, if this is not the case per se, but at most exceptionally (under certain conditions in certain situations), then the cartel law that currently applies is urgently in need of amendment.5 Rigid acts of intervention into freedom of action could then be limited to these exceptional cases. The argument in favour of a radical deregulation of the value-adding processes, i.e. that the former regulations be retained only in specific individual cases, appears particularly convincing from an economic perspective, if it is possible to demonstrate that allowing vertical price coordination in the normal case not only not inhibits the effectiveness of horizontal competitive processes (i.e. inter-brand competition), it even helps to eliminate distortions of competition (market failure). Demonstrating the plausibility of the case-by-case approach is the subject matter of the present article. II. The liberation of interdisciplinary dialogue from prejudices and economic misunderstandings
According to the underlying competition policy model (‘Leitbild der Wettbewerbspolitik’, Section 2.3), the review of deregulation can be reduced to the simple issue of whether vertical price coordination seriously impairs the effectiveness of inter-brand competition processes – because that is the only thing which matters6. If this is only true in exceptional cases, any prohibition of coordination must be limited to just these exceptional cases. The current discussion is frequently overshadowed by handeddown prejudices, professed normative postulates and axioms, and economic misunderstandings that obstruct consensus-building. Before we consider the major problem underlying the current controversy, we shall endeavour below to ‘liberate’ the discussion from prejudices and misunderstandings of this nature. 1. The distributor control of final consumer prices: a law of nature?
There is a widely wide-spread axiom in cartel-law practice, which forms the basis of argumentation of the Federal Cartel Office: Price competition in the trade with consumer goods is characterised by the fact that wholesale and retail companies set their own prices themselves on the basis of the negotiated manufacturer ex works prices and ________________________ 5
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The need for amendment extended not only to the restrictive legal provisions themselves (by making new statutes) but also to the practical intervention of the cartel authorities and to case law (de lege lata) in Germany and in the EU. The 7th amendment of the German Act against Restraints of Competition (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (hereinafter ‘GWB’)) of 1 July 2005 radically changed German cartel law and adapted it to the European one. This led to the abolition of the express prohibition of vertical price restraints (as per sec. 14 GWB former version). Pertinent legal provisions entrenching the prohibition of price maintenance are secs. 1 and 2 GWB, Art. 101 TFEU and, additionally, the new Vertical Block Exemption Regulation of the European Commission which came into force on 1 June 2010 and the Guidelines for Vertical Restraints published on this subject of 10 May 2010 (cf. European Commission 2010). Moreover, secs. 19-21 GWB would have to be reviewed in the event that the vertical relationship between industry and commerce were ‘liberated’ from cartel-law restraints. It can be taken for granted that inter-brand competition is the (true) object of the protection by GWB and, consequently, the protection of intra-brand competition does not play any dominating competition-policy role (at most secondary). Cf. Ahlert/Kenning/Olbrich/Schröder 2011 for detailed grounds, p. 40 ff.
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their own price policies and themselves bear the economic risk of their price policies.’7 This sounds as if the price autonomy of a distributor were a law of nature. Every measure or agreement within the value chain, which could limit the sovereignty of the distributor to set retail prices, is classified as an inadmissible ´vertical restraint´, even if the distributor himself has an interest in, or even himself initiates, a limitation of his price autonomy by means of cooperative agreements – e.g. for reasons of efficiency.8 The belief that price sovereignty lies with the distributor ‘by nature' is not economically logical. One could talk of a ´thought-terminating cliché´ that has caused the subject of price maintenance to remain a taboo subject for decades. It is high time for this axiom to be rejected for the following reasons: the present-day reality of distribution is such that hierarchical, cooperating and free value systems with differing combinations of risk spreading and decisionmaking compete for the favour of consumers. Vertically integrated systems (like IKEA or ZARA) compete with distributional restraint systems, contractual dealers and franchise systems like cooperative retailing groups and free (vertical, non-organised) distribution systems. Hybrid systems covering several types of organisation (e.g. REWE, EDEKA) are also very common. Manufacturers’ brands, trademarks, distributors’ brands or even network brands can have a decisive effect on supply concepts. This ‘competition between systems’ has given rise to different system heads as dominant controlling authorities within value systems. Where it is not distributors, but manufacturers or network centres (e.g. franchisors) who act as system heads, it appears naive and absurd for the State to wish to deprive the latter of their freedom to set prices, one of the most important marketing tools. Prescribing solely distributor-controlled price-forming processes for multi-level distribution constitutes interference with effective competition as a process of discovery and thus does not conform to the principle (see Section 3.3 for more details). 2. Intensive internal competition within value systems: a right of consumers or distributors?
Markets can be regarded as effective if there is intensive competition on price and performance between the competing brands of a sector. This ideal situation is characterised by a diversity of supply concepts, low barriers to market entry for innovative price-performance combinations and a wide range of alternatives for consumers. The crucial point of the current controversy is, therefore, the following question: Should the postulate of a generous range of selection opportunities for consumers also extend to competition between one and the same brand? One may tend to affirm this in extreme cases like that of monopolistic supply structures for urgently needed essen________________________ 7 8
Federal Cartel Office (Bundeskartellamt) 2010, p. 3. The term 'vertical restraint” used in the new Vertical Block Exemption Regulation of the European Commission and in the Guidelines is at least misleading. Thus also Möschel 2010, p. 1229: ‘Restraints of competition can only exist within competitive relations. They do not exist in vertical co-operations, in agreements within supplier-buyer chains. It would be more precise to talk of vertical ties rather than vertical restraints on competition. In many legal systems, the terminology is confused. However, this is not due to a competition theory view, but to the randomness of history. ‘Purely vertical restraints’ cannot restrict competition. At best, they promote the same with regard to competing products (inter-brand competition)’.
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tial goods (e.g. staple foods, medicines, oil products). The monopolisation of supply in this case indicates serious distortions of inter-brand competition, so that competition-policy intervention to counter the causes of market failure (e.g. insurmountable barriers to market entry, horizontal cartels) appears to be called for. As a last resort, it would also be possible to consider regulation within the value chain (however, care must be taken to ensure that it does not turn into a battle purely against the symptoms). Apart from this exceptional case, the opinion that a general obligation of competition policy is to bring about intra-brand competition by force, is based on an understanding of politics for which there is no economic explanation. To make this clear, we take the example of a relatively highly-price branded article with higher than average brand strength, an energy drink like Red Bull or confectionery like the Lindt Gold Bunny, or Loewe or Bang & Olufsen consumer electronics or designer fashion by Bogner or Boss. The following conclusions can be deemed capable of consensus among economic theorists: (1) With a branded article of this kind, consumers have no right based on welfare (or moral grounds) to switch from one manufacturer of such a branded article to other suppliers of the same article. They also have no right to acquire a desirable article of this kind elsewhere at aggressive promotional prices or at permanently low prices. What then creates a right to intra-brand competition within the market economy? In the case of chocolate Easter bunnies, it must be noted that these are on sale at both high and low prices, under famous brand names and as private labels (trademarks) in the most varied range of sizes and flavours, in all food shops and even at petrol stations. Why should the consumer then have a right to switch to alternatives within the ‘gold bunny’ brand? Even if there were only one single manufacturer that mastered the technique of making hollow chocolate components, it would be absurd to want to regulate this market. The consumer could switch e.g. to a bar of chocolate or box of chocolates instead. Even for desirable cult products with particularly high market shares like Red Bull, which are hardly essential for life, a right to low prices or even to intra-brand price wars cannot be inferred. In the event of rising prices, the consumer could also simply choose not to consume and thereby ‘disempower’ the supplier. (2) The effectiveness of competition as a process of discovery means that suppliers must be fundamentally free to choose an appropriate brand strategy. If, for example, the strategic concern of a specific branded-article manufacturer is to protect the target price level for its products against fluctuation and erosion in the distribution channel, in order not to endanger the brand essence, and if it should actually succeed in doing so like Loewe or Bang & Olufsen, by means of sales organisation strategies and vertical price and brand maintenance, then, endangering this strategic position that customers reward by selection, by cartel-law intervention, must be seen as a breach of the guiding principle. This may be desirable from the perspective of competing manufacturers, but do they have a legitimate right to deprive competitors of their basis for success through cartel-law regulation? (3) Finally, distributors also have no legitimate right through competition policy to interfere with the marketing of products by a branded-article manufacturer contrary to the latter’s sales-channel policy intentions or to be able to
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use the same channels as they wish for their own lossleaders or tie-in offers. If we take high-quality fashion labels like Boss or Bogner as an example, even if fashion outlets stocking these labels focus their sales policy on the quality of their services and not on the prices, they nevertheless rely on the fact that consumers believe that the prices are fair. Consumers take great care to avoid being exploited in terms of price. Low-priced offers of distributors with aggressive pricing policies for clothing labels just purchased by the consumer in his own fashion outlet for the normal price cause an almost irremediable feeling of having been ‘ripped off’. Even if the specialist trade were able to match the special price of an aggressive price competitor without delay or immediately remove the product from the list, the ‘preconceived notion of an extortionate price’ deeply rooted in consumer minds has long since been revived.9 Conclusion: It is not generally the aim of competition policy to promote intensive intra-brand competition through legal intervention. Intra-brand price competition as seen, for example, in contractual-dealer systems in the automotive sector, may be highly desirable for manufacturing and retailing enterprises. This is because the notion that ‘competition is good for business’ can also apply within value systems. However, neither consumers nor competing manufacturers and distributors have any ‘God-given’ right to limit of freedom of action in consumer-goods distribution. 3. Large quantities of goods at low prices: a reflection of consumer welfare and principle of competition policy?
A misunderstanding with probably the most serious consequences in the current controversy is evident in two widely propagated and intermeshed assumptions. The negative perception of vertical price coordination encountered in cartel-law, that is evidently extremely difficult to change, is presumably due to these two (questionable) models: (1) Reduced prices and increasing quantities within a specific market are a valid indicator of an increase in consumer welfare and, at the same time, of the improved efficiency of competition. (2) Allowing vertical resale price maintenance would normally result in price increases for popular branded goods. Re 1: From an economic and consumer-policy perspective, market results in the form of price-quantity ratios for individual products are an obviously flawed indicator of consumer welfare. Consumer welfare does not depend on reduced prices and increased quantities for individual products, especially as these are possibly only temporary. If quantitative market results are to be of any significance, it is necessary to focus on the long-term development of the price level of all products in a relevant market10. The more heterogeneous the quality of various products over ________________________ The ban on selling goods below cost does not help the specialist distributor, because even prices just slightly above cost price can have serious effects. Only the admissibility of effective price and brand maintenance by participants in a value-added system themselves can remedy the situation. On the defective nature of bans on selling below cost, see Ahlert as early as 1983, op cit. 1986, Köhler 2006. 10 This statement depends particularly on the definition of the "relevant market" in accordance with the guiding principle. For a detailed discussion of the delimitation method preferred here, see Ahlert 1987; Meffert/Burmann/Kirchgeorg 2012, p. 192 f.
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time, the more difficult it is to draw conclusions from individual prices about welfare developments. The qualitative characteristics of a market are more important to the consumer than quantitative market results (price-quantity ratios). Consumers derive the greatest possible welfare when the effectiveness of competition between alternative price-performance combinations is assured and, for this reason, there is a diverse range of supply concepts over time. There should be not only different levels of quality, brands and forms of distribution, but also different price-formation methods that compete with each other for the favour of consumers. Changes in market results are unsuitable as indicators of welfare because, in order to determine welfare gains or losses, the optimum market results would have to be known. However, one cannot know the optimum market results, i.e. which qualities, prices and quantities yield optimal welfare. Such a claim would thus constitute a ‘pretence of knowledge’.11 Market results occur as a result of competition as a process of discovery. If competitive processes operate perfectly, the resulting price-quantity ratios are, by definition, optimum in terms of competition and welfare, regardless of the manner in which they develop. If, for example, the prices of certain branded articles appear to be rising, this may not give the state a reason to undertake massive intervention in value-adding processes, depriving parties to a transaction of their rights and limiting diversity. The maxim: ‘Unless all consumers can afford to buy cult lemonade or chocolate bunnies, then nobody should be allowed to have them’ is highly questionable from both an economic and (particularly) from a business perspective. Re 2: The myth of the price-driving effects of vertical price maintenance is remarkably enduring. Here too, the focus should not only be on the price level of pricemaintained products, but on the ongoing development of the price level of all products in a relevant market. As shown below, allowing price maintenance – in the event of (sufficiently) effective inter-brand competition – does not, under any circumstances, lead to a flood of price restraints and, in the normal case, there is no danger of price increases that will reduce welfare. See also the chairman of the monopoly commission, Justus Haucap: ‘To be considered is the fact that vertical price maintenance, in contrast to horizontal agreements, does not automatically reduce competition or raise prices. In fact, the opposite may even be the case. For this reason, it is necessary to show who actually suffers under a vertical agreement. When evaluating vertical restraints, it is necessary to consider the consequences in different ways. There is a need to show where harm may occur and, explicitly, who exactly is harmed.’ 12 Before identifying the possible instances of ‘harm’ caused by vertical agreements (Chapter 4), the advantages for the effectiveness of competition and consumer welfare will first be outlined briefly (Chapter 3). In doing so, we shall limit ourselves, for example, to the admissibility of vertical price agreements. The other forms of ties (e.g. protection of territory, distribution restraints) are not considered for reasons of space. The question at issue is hypothetical: What could or would happen if all forms of vertical price coordination in the intra-brand area between manufactur________________________ 11 V. Hayek 1973; this was the subject of his speech on being awarded the Nobel Prize in 1974. 12 Haucap/Klein 2012, p. 180.
Ahlert: The Value Chain and Cartel-Law Restraints
ing and retailing enterprises, and in the extreme, also the inflexible fixed-price maintenance system, were completely unregulated? III. Opportunities for cartel-law deregulation of consumer-goods distribution
Nevertheless, the new Vertical Block Exemption Regulation of the European Commission and the Guidelines on Vertical Restraints (paragraph 225) 13 do accept some (but few) efficiency advantages of price restraints that could justify individual exemption from the price-maintenance prohibition. Alongside short-term special-offer campaigns in cooperative distribution systems in which the maximum possible advertising impact is achieved by means of uniformly favourable prices, and combating the free-rider problem for products requiring in-depth advice, particular attention is drawn to the case of the market launch of a new product. In this context the manufacturer can, by means of the price tie, acquire distributors for market entry and, therefore, for investment in sales-promotional measures.14 It is worth noting that, consequently, even the European Commission generally assumes that inter-brand competition is more important than intra-brand competition. However, the question arises as to why the multitude of much more significant efficiency advantages repeatedly cited by management theorists and business agents, that could be brought about by the consistent deregulation of vertical marketing, are tenaciously ignored in cartel-law practice.15 The issues to be considered include: -
distribution optimisation through a free division of labour, specialisation and risk spreading within the value chain, the development and protection of strong brands at all levels, the fulfilment of specific consumer preferences (e.g. for constant prices) and the avoidance of ´consumer confusion´, increasing supply diversity through free priceforming methods that compete with each other for consumers, the creation of incentives to innovate, thereby overcoming barriers to market entry by means of new supply concepts, the reduction of cost risks through reducing legal uncertainty.
1. The liberation of system competition from structural distortions
The main pro-competition effect of the deregulation of vertical marketing is the elimination of arguably one of the greatest risks to ‘competition as a process of discovery’. This risk arises because distribution systems are forced by the State into forms of organisation that are economically suboptimal. The systematic structural distortion resulting from the unequal legal treatment of the differing business models or forms of distribution is, in itself reason enough to initiate deregulation without delay. What is meant is that many cartel-law restrictions affect free and ________________________ 13 Cf. European Commission 2010. 14 For more details, see Haucap/Klein 2012, Schwalbe 2012 and Wey 2012. 15 Cf. Ahlert 1981 as well as, for example, Ahlert/Köster/Vering 2006, Ahlert 2004, Ahlert/Schefer 2012, Greipl 2012, Kenning/Wobker 2012, Lademann 2012, Mocken 2012.
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cooperative forms of distribution and obstruct their free development, but not hierarchically controlled value systems. Vertically integrated groups of companies, multilevel chain-store systems and commission-agent and commercial-agent systems (e.g. in the mineral-oil sector) are permitted to do many things that cooperating and free distribution systems are currently strictly prohibited from doing. These include multi-level price management; there are no price restraints in hierarchical structures.
fice18 in which many modes of conduct usual in retailing practice are classified as suspicious for cartel-law purposes, also refers to these supplementary restrictions on commercial freedom of action in the area of vertical marketing. This tight network of rules appears overly bureaucratic and largely superfluous from a business perspective, because they cause more harm in public-policy terms than they create benefits, and the legal uncertainty associated with them is unacceptable to companies.19
The chairman of the monopoly commission in Germany also draws attention to this defect: ‘The problem is that a per-se prohibition of vertical price restraints creates a whole series of problems and inconsistencies in the treatment of different business models (vertical integration, commission transactions, short contractual terms) that initially appear difficult to justify objectively. For this reason, it would make sense to have ‘safe-harbour’ solutions as described in the Guidelines for Vertical Restraints of the European Commission of 10 May 2010 (SEK (2010) 411 final) generally for the types of vertical restraints defined in the group exemption regulation 330/2010 of 20 April 2010 as an alternative to the general prohibition of vertical price restraints. Nevertheless, these exemptions do not extend to resale price maintenance. From an economic point of view, the complete exclusion of price restraints seems extreme. Furthermore, instead of being (almost completely, if not completely) prohibited as core restraint per se in sec. 1 GWB or Article 101 (1) TFEU, vertical price restraints could be subsumed in the category of abuse control. For vertical price restraints, there should then be a presumption of abuse that is capable of being disproved where manufacturer and distributor exceed (also cumulatively) certain market-share thresholds.’16
For example, we refer to the tendency in cartel-law practice to impose a de facto extensive prohibition of communication and cooperation on freely and cooperatively organised value systems.20 Since 2010, numerous companies have abandoned their practice-proven interlevel cooperation projects such as vertical category management, because of (real or possibly only inferred) threats posed by cartel law. This is highly regrettable from the points of view of competition and welfare, because such combined concepts of industry and commerce encourage innovation and are widely accepted by consumers.21 Moreover, necessary brand strategy coordination in the value chain is increasingly being abandoned, e.g. with respect to the desired target positioning for the branded article and the shops stocking them, because this could trigger suspicions of concerted price structuring and lead to an investigation.22 Owing to the considerable personal risks involved, managers in particular are no longer prepared to venture into such experiments in the sector of vertical marketing. ‘Liberating’ business practice from this hopelessly dense network of regulations on pricemaintenance prohibition can be described as another great opportunity for deregulation, not only for participants in free and cooperative value systems, but also for consumers in particular.
The distortion of system competition caused by the prohibition of price maintenance leads to a preferential treatment of vertically integrated systems.17 There will be increased verticalisation, combined with uncertain welfare effects, to the degree that contractual freedom is reduced in free and cooperative value systems. From a consumer perspective, there is no objection in principle to multilevel verticalisation. Attractive value systems like IKEA, ZARA, H&M were created in this way and have made a considerable contribution to supply quality and diversity. However, if this development is accompanied by a systematic cartel-law impairment of free and cooperative value systems, there is always the danger that legally privileged supply concepts prevail over supply concepts that are more attractive to consumers. 2. Raising efficiency by means of free communication, cooperation and a division of labour within the value chain
Most of the efficiency gains are not directly (and therefore causally) attributable to the abolition of price-maintenance prohibition, but merely indirectly, and are no less economically relevant. This is because the abolition of this prohibition would render obsolete an entire canon of supplementary regulations generated over the last few years by the European Commission, the competition authorities and the courts for the purpose of interpreting vague legal concepts that supplement the actual price maintenance prohibition. The ‘Handreichung’ of the Federal Cartel Of________________________ 16 Haucap/Klein 2012, p. 181 f. 17 Cf. Olbrich/Grewe 2012.
3. Innovative services and strong brands as a consequence of liberating value processes
It cannot be stated often enough that consumers benefit from the greatest conceivable degree of welfare when the ________________________ 18 Cf. Bundeskartellamt (Federal Cartel Office) 2010. 19 For example, the opinion that a commercial enterprise, after concluding negotiations with a branded-article manufacturer on the basis of the negotiated purchase price, would have to bear the entire economic risk for these branded goods (cf. also the statement thereon by German Retail Federation (HDE) of 17 August 2010 in response to the Federal Cartel Office Recommendation (Handreichung) and Sanktjohanser 2012) can be regarded as misguided in economic terms. Instead, value-added processes could be structured efficiently in such a way that each participant performs the duties that they were relatively able to perform most cost-effectively. However, this would require an in-depth discussion on costs and prices, a course of action that is currently highly suspect from a cartel-office point of view. 20 As demonstrated by Glowik 2012, by means of impressive examples from everyday business transactions between Unilever sellers and foodretail buyers, the requirements stipulated by cartel-law practice of communications within the value chain, as outlined in the recommendation (Handreichung), are largely unrealistic. Even if they wanted to, participants within companies are unable to put them into practice. This paralyses everyday operations and causes high transaction costs. 21 See Ahlert/Borchert 2000, Schröder 2012, for further details. 22 Cf. the definition of coordination in Section II of the ‘Handreichung’ recommendation (Federal Cartel Office 2010): ‘Concerted practices as distinguished from a contractual agreement can be found in every form of communication that does not lead to the conclusion of a contract in the true sense, but which deliberately allows practical cooperation to take the place of competition with its associated risks. The competitive conditions created by this practical cooperation do not reflect normal market conditions.’ From an economic perspective, it cannot be stated what constitutes normal market conditions. Practical cooperation in value chains has tended to be the rule rather than the exception until now; prohibiting the same cannot necessarily be regarded as intervention in conformity with the principle.
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effectiveness of competition between competing supply concepts is assured over the long run. This presupposes supply diversity. Well-proven and innovative priceperformance combinations compete with each other for consumer acceptance. Value systems in the consumergoods sector are normally multi-level and the most attractive supply concepts often feature a harmonious ‘composition’ of excellent goods and services by manufacturers and distributors. Inconsistencies within such multi-level supply concepts, whether in brand communications or even strategic price positioning, may confuse consumers and reduce their faith in the quality.23 Deregulation would enable manufacturing and retailing enterprises to take the initiative themselves and, with appropriate price and brand maintenance, not only avoid upsetting consumers, but also trigger considerable positive competition and welfare effects. These can be categorised into three closely-related sets of combined effects.
In the case of Red Bull, the biased observer would perhaps say: ‘Just as well that we have got rid of this useless beverage. Young people should go back to drinking mineral water, milk or beer. The brand has been destroyed, the market cleared and space created for the development and marketing of new products.’ However, in doing so, he would overlook a vital aspect, namely that strong brands play an important role in determining the success of an economy, not only in the domestic market but also that of exports. Furthermore, without any prospects for creating and maintaining strong brands, there are no incentives to invest in new products. (2) Investment incentives to create and launch innovative supply concepts
Businesspeople invest in innovation only if they anticipate that: -
(1) Development and stabilisation of strong brands
Brands are created inside human minds, they cannot be ‘manufactured’ or ‘branded’ onto peoples’ minds cowboystyle. Strong brands are (almost always) based on myths.24. This applies to both product brands and store brands (e.g. IKEA) and to those of corporate networks (e.g. McDonalds). Red Bull is a particularly graphic example of a successful branded article and one of the very few products that developed into a strong brand within an extremely short period of time. A brand is created in peoples’ minds through their own experiences and beliefs, and is also influenced by ‘storytelling’.25 Storytelling takes place in the media and – frequently even more effectively – in sales pitches at distributors, events, etc. But what would happen in the minds of consumers if the price of Red Bull, in contrast to the stories communicated by the manufacturer, suddenly experienced a massive drop at retail outlets or catering enterprises? A ‘magic potion’ at a discount? ‘Supernatural powers’ for the same price as mineral water? Ultimately, people would no longer enjoy Red Bull the same way and it would no longer have the effects on well-being that consumers generally attribute to it. This is demonstrated by neuroscientific research using MRT and blind tests with consumers. 26 For a strong brand to develop, a harmonious coordination of branding communication and price management in the sales channels is required, and not only for ‘cult products’. Modern marketing research shows that uncoordinated price-policy operations can harm, or even destroy the majority of strong brands, especially for goods and services of high-quality, which have a sensitive image or which require detailed advice. The legal system offers no effective protection against such dangers. If the owner of the brand is then also prohibited from taking action in the form of price maintenance, to protect his brand against erosion, he forfeits consumer demand. The brand pales into insignificance and diversity is sacrificed if consumers are forced unnecessarily to forego a desired consumption option. Without strong brands, consumer welfare is diminished. ________________________ 23 24 25 26
Cf. Kenning/Wobker 2012 for more details. Cf. Zernisch 2004, pp. 98 and 210 ff. Cf. Gutjahr 2011, p. 151. For more information, see Ahlert/Kenning 2006, Ahlert/Kenning/Plassmann 2006, Kenning/Plassmann 2008, Plassmann/O'Doherty/Shiv/Rangel 2008, Ahlert/Hubert 2010 a and b.
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the supply concepts created can reach the consumer in unadulterated form, i.e. are not immediately caught up in price wars or become loss-leaders in retailing, the value partners can be motivated and urged to invest in supportive sales policy measures (e.g. storytelling), because they are guaranteed sustainable margins, the opportunity to develop a strong brand does actually exist, i.e. there is no danger that the competition authorities will massively intervene against every form of vertical price and brand maintenance that is indispensable for branding to occur.
The argument repeatedly raised, that price maintenance leads to sluggish competition and reduces in a sector, is untenable in its claim of general validity. It can claim validity only in the extreme scenario of insurmountable barriers to market entry (i.e. high protective fences for obsolete products). In the normal case, the willingness to innovate and the dynamics of innovation are driven by, and not inhibited by vertical price management. The explanation requires a brief excursion into the mode of operation of progressive processes for products and processes, which can be regarded as the most important subprocesses of effective competition, but which are also particularly sensitive to interference.27 The starting point for the theory of competition as a process of discovery is the fact that, in a given market, all market participants, including the potential suppliers of new products or processes, have only vague notion of what consumers accept and reward through making a decision to purchase. Consumers do not generally know exactly what their preferences will be before new goods emerge. Needs for ‘unborn’ goods exist only latently. In this situation, it is important for consumers to be offered the widest possible range of alternative products and solutions in the course of a market experiment. Through their purchasing decisions, consumers determine the chances of survival of the individual supply concepts and, therefore, the potential returns to the supplier companies. This is how consumer sovereignty finds expression. The evolutionary process of innovation and dissemination is divided into four subprocesses of mutation, selection, self-imitation and third-party imitation. In the consumergoods sector innovative supply concepts arise not infre________________________ 27 Cf. Grossekettler 1981, 1991 and 2009.
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quently through a division of labour between manufacturers and distributors (mutation). Value systems, whose price-performance combinations prove to have greater than average success, owing to a high degree of consumer acceptance (selection) expand by increasing their capacities and consolidating their position using proven means (self-imitation). We can also refer to intra-brand multiplication in this case. Success motivates competing value systems to disseminate ‘me-too products’ or even wholly innovative variations of the successful offer concept under alternative labels (manufacturer brands or trademarks). The process of third-party imitation may, therefore, be called inter-brand multiplication. The ´liberation of value processes from cartel-law restraints’ eliminates potential disturbances that can be found in all four subprocesses of the product and procedural progress and which are closely related to each other. For example, foreseeable difficulties in the future with respect to the dissemination of an innovative product, possibly based on a lack of cooperation on the part of the target distribution group, may have a very negative effect on industry willingness to mutate. A distributor’s lack of willingness to cooperate may, in turn, be traced back to his bad experiences with the conduct of fellow distributors within the same value system. Loss-leader offers, confusing signals from sales personnel, inadequate goods presentation etc. can cause consumers to doubt the quality, with the result of sensitively disrupting the selection process. Consequently, the possibility of any strong brand formation in the minds of customers (both consumers and distributors) is excluded from the outset. Finally, the possible chain reaction of mutually propagating effects already foreseeable ex ante, discourages manufacturers and distributors from making any investment whatsoever in complex processes of innovation.28 The task of competition policy is to create parameters that enable innovators to take action themselves to ensure that the supply concepts that they consider likely to reach consumers unadulterated. Coordination processes within value systems, also explicitly measures of vertical brand protection and multi-level price maintenance, should be admissible in principle, to the extent to which they promote the efficient operation of innovation processes. If, on the contrary, an efficient influence by innovators on intrabrand multiplication is legally inadmissible, there is a risk that no change processes occur, because entrepreneurs place more value on the risk of losing the necessary ‘return on investment’ than on the opportunities associated with innovation. This creates a serious defect in interbrand competition, a deficit which would normally have to be eliminated by competition-policy intervention, but which is in fact caused by the cartel-law regulation of vertical marketing. ________________________ 28 This is made clear again, using the selection process as an example. For the consumer to have any opportunity whatsoever of ‘sovereign selection’, the supplier (e.g. a branded-article manufacturer) must succeed in presenting his supply concept to all levels in an unadulterated manner as far as possible. If the producer's intended brand positioning within the value system were systematically thwarted, this would be evaluated as a market distortion. This would deny the innovative good the opportunity to gain the favour of consumers in the course of the ‘market experiment’. Reference is made once again in this context to the potential risks to luxury goods, prestige goods or cult goods, but also to high-quality gift articles where, for example, an aggressive lowprice policy or loss-leader policy by the distributor or disharmonious brand communication would run counter to the manufacturer’s intended brand launch concept. Cf. also Olbrich/Grewe 2009.
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(3) Preservation and extension of established supply concepts
Not only the ongoing development and dissemination of new products, but – provided consumers display their preferences through their selection behaviour – an extension of the established range of products (and, therefore, also the stabilisation of strong brands) could likewise be the result of competition as a process of discovery. There are close interdependencies between these two processes; the undistorted marketing of proven supply concepts and the introduction of new products. This is because businesspeople would then be faced with a high risk of brand erosion – inevitable because their hands are tied by cartel law – right from the outset, this could stifle willingness to invest and therefore, efforts at innovation. Moreover, the impairment of ongoing business success owing to a lack of ‘sustainable’ margins – at both manufacturing and retail levels – can in turn prevent the release of investment funds urgently needed for innovation. Destroying incentives for innovation in this way is surely one of the most dangerous market distortions. 4. Promoting supply diversity by means of competing price-formation methods
The demand for a diversity of supply concepts that are unrestricted as far as possible, also expressly applies to freedom of choice in vertical price-structuring processes. If the consumer were allowed to choose, for example, between products with autonomously structured prices or recommended prices, with concerted prices or tied prices, this could provide greater ‘welfare’ than if he was denied this opportunity to choose. The requirement for this welfare gain, however, is effective competition between the alternative price-formation variations. If pricemaintenance prohibition were to be abolished, this could give rise to a price-policy heterogeneity that is highly attractive to the consumer. Here are just a few examples: Some of the competing supply concepts find favour with consumers because their prices change constantly. This may suit those consumers set on seeking variety or finding bargains. Ongoing price variations can be controlled centrally, in which case the branded article manufacturer or headquarters of a branched distribution system can assume the control function, as in the case of trademarks. Price formation can also be left to the free play of market forces within the value system. Many consumers place a high value on price consistency, either for example to ensure that the value of a gift does not decline, because of conspicuous consumption or the snob effect, or quite simply because they do not wish to be upset at having earlier paid too high a price. The extensive literature on price management has enumerated many other reasons why consumers would prefer pricemaintained goods if they were allowed.29 Numerous value systems are characterised by the fact that distributors at no time want to be deprived of sovereignty over price structuring, even if price restraints were allowed. In this context, price-formation processes therefore focus on distributors. Other business models are successful, particularly because it is not the local retailer but the wholesaler of a cooperative retail group, the franchisor or even the manufacturer who undertakes professional price ________________________ 29 Cf. for an overview Ahlert 2004 and Ahlert/Köster/Vering 2006.
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management centrally, thereby relieving those at the front line of the difficult business of calculating prices.30 However, it may make economic sense for the fundamental price positioning of a branded article to be the subject of a strategic agreement between industry and commerce, while the operative fine-tuning is decentralised. Many distributors place great value on guidance from recommended prices, while others need or desire no such assistance. Recommended prices can also be a valuable aid for consumers. These examples clearly show the diversity of ‘customeroriented solutions’ that could emerge from competition as a process of discovery, if it were not restricted by cartel law. The prohibition of price maintenance considerably limits this range of alternatives, reducing the consumption options preferred by consumers (e.g. prices for ‘his’ brands that are uniform and/or stable over time). IV. Risks of free price-formation processes within the value chain
The abovementioned positive effects of the deregulation of vertical marketing have long been familiar in business economics, and in marketing especially. It is remarkable that, except for the efficiency potential mentioned in the Vertical Block Exemption Regulations and in the Guidelines on Vertical Restraints, these advantages have been stubbornly ignored in the cartel-law debate. By contrast, advocates of strict price-maintenance prohibition refer to serious anti-competitive effects of vertical price coordination and do so on the basis of theoretical assumptions. The need to use models is explained by the fact that there is almost no experience with operation of price restraints, as they have been prohibited in most countries (with some exceptions) for so long. Therefore, it is possible only to speculate or theorise. There are essentially two categories of assumed effects which, depending on the circumstances, could provide legitimate arguments against the deregulation of pricemaintenance prohibition:31 (1) The risk that vertical price agreements could encourage the formation and entrenchment of horizontal price cartels. (2) The risk that consumer welfare could be impaired by excessive and inflexible prices as a consequence of legally permissible price-maintenance systems. 1. Risks of vertical price coordination for the effectiveness of horizontal inter-brand competition
The first question that arises is whether vertical price coordination could facilitate collusion at the manufacturer level. A functioning price cartel between manufacturers 32 ________________________ 30 In a qualitative survey by the Muenster Institute for Distribution and Retailing in 2011, many distributors stated that it would be wholly uneconomic for them to calculate every price for the approx. 50,000 articles that they have on offer. They would have to employ five business managers or else immediately petition for insolvency. Moreover, they were completely reliant on central price labelling by manufacturers on cost grounds. Central price control in hierarchical systems is permitted; for free and cooperative value systems, it is strictly prohibited. This means that these systems have no alternative but to transform themselves into vertical chain-store systems and, therefore, choose a form of organisation that is economically worse for them. 31 We have considered these and other hypotheses on the anti-competitive effects of price maintenance in detail elsewhere: Ahlert/Kenning/Olbrich/Schröder 2011, p. 76 ff. and Ahlert/Schefer 2012, p. 31 ff. 32 Cf. for its identification, in particular Lorenz 2006 and the literature quoted therein.
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presupposes agreement on cartel parameters (normally prices and quantities) and the monitoring process. For this reason, subject to the monitoring measures (cartel control) are, in particular, the ex-works prices of the individual oligopolists and, if appropriate, naturally the tied retail prices. If ultimate-consumer prices are the main subject of the conspirative agreement, they are more easily monitored because of the market transparency resulting from price maintenance and, as a result, breaches of cartel agreements can more easily be discovered.33 Angland (2008), Jullien and Rey (2007), Matthewson and Winter (1998) and Tesler (1960), offer a theoretical explanation for the emergence and stability of manufacturers’ cartels, by reference to ex-works prices based on resale price maintenance.34 In a world where price maintenance is prohibited, adherence to agreed ex-works prices cannot be observed, because of the bilateral, non-public contractual relationships between manufacturing and retailing. Retail prices are unsuitable as a tool for monitoring the effectiveness of concerted practices. They depend not (only) on the agreed ex-works prices of the manufacturers, but are also determined by the differing, constantly changing cost structures of distributors and numerous uncontrollable environmental influences. As a result, the individual cartel members could increase their sales by offering individual price discounts, without being threatened by sanctions for breaching the cartel agreements. By applying a tied selling price, on the other hand, there would no longer be any incentive for the producing companies to generate market shares by means of price discounts in negotiation with distributors. They operated solely in terms of the distributor margin, which would increase the stability of the manufacturer cartel. In the run-up to the price-maintenance prohibition in Germany in 1973, the Federal Government argued slightly differently, but with the same result. Because pricemaintenance systems prevented distributors from adapting prices in accordance with changed market conditions, the only way of safeguarding their own business operations would be to obtain more favourable terms and conditions or higher discounts from manufacturers. Industry could in turn respond to such pressure at the retail level in the form of a horizontal agreement on terms and conditions and discounts.35 McLaughlin confirmed the hypothesis that price maintenance encourages collusive behaviour, at least for a specific manufacturer cartel: ‘Bakers of Washington Association’. According to his analysis, this association of manufacturers of bakery products used vertical price maintenance to enforce concerted prices on the market.36 Nevertheless, the arguments above clearly show that only inflexible fixed-price maintenance systems, binding on all buyers, can facilitate monitoring. Moreover, the effects are only relevant in tightly controlled oligopolies with high market-entry barriers or even bilateral monopolies, i.e. only in distorted markets. The second fundamental question is whether collusive behaviour can also be achieved at the retail level using price-maintenance mechanisms.37 In this case, a manufacturer who supplies all distributors involved in the conspiracy (‘a common agent’) acts as an aid to enforce the cartel ________________________ 33 Cf. European Commission 2010, parapraph 224. 34 Cf. Angland 2008; Jullien/Rey 2007; Matthewson/Winter 1998 and Telser 1960, cf. also European Commission 2010, paragraph 224, Schaffer 1991. 35 Cf. German Bundestag 1962, p. 25. 36 Cf. McLaughlin 1979. 37 See Bennett et al. 2010, p. 21 and Matthewson/Winter 1998, p. 65ff.
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agreements. He sets a selling price above that of the free market, monitors any deviations from the agreed equilibrium and, if necessary, sanctions any saboteurs.38 This allows the set-up and monitoring of cartel structures generally regarded as the main problem areas of cartel formation39, to take place centrally. In this connection, there is frequent mention of ‘star-shaped’, ‘hub-andspoke’ or ‘A to B to C’ coordination. Such a situation is conceivable in the case of well-organised distributors with market power especially. After all, the common agent (manufacturer) would have to be ‘persuaded’ during the run-up period to undertake such a course of action. It is assumed in the Guidelines on Vertical Restraints of the European Commission, because of the concentration of the horizontal interests of participants already strong in the market, that the restrictions (restraints) create problems particularly for the consumer.40 This clearly shows again that only inflexible fixed-price maintenance systems that are binding on all buyers, can have this monitoring effect. Moreover, these complex mechanisms are viable only in markets with extremely tight oligopolistic structures, i.e. only in cases where inter-brand competition does not function. 2. Risks to consumer welfare of allowing vertical price coordination
In order to demonstrate that an excessive price level can be achieved by ultimate-consumer prices, Dobson and Waterson model a bilateral duopoly at the retailing and manufacturing levels. This is also referred to in the literature as ‘double common agency’ (cf. above hub-and-spoke cartels) or ‘interlocking relationships’.41 In the model, two manufacturers from two different value chains each deliver to two distributors each. The distributors in turn order their goods from the two manufacturers. Owing to the predefined retail prices, improved purchasing terms and conditions cannot be passed on to consumers. For this reason, a distributor cannot strengthen his own competitive position through price-setting measures, so that there is less incentive for distributors to enter into negotiations with manufacturers on their ex-works prices. This reduces competitive intensity at the manufacturer level and, therefore leads to higher retail prices. When setting prices for retailers, if the industry additionally uses fixed components (e.g. franchise fees), then, according to Rey and Vergé, industry-wide monopoly prices may even result.42 Biscourp et al. base this theory on their empirical results after the introduction of the Loi Galland in France in 1996, a statute which effectively legitimised industrywide minimum-price maintenance.43 Prices increased par________________________ 38 It is also possible vice-versa for a retailer to act as ‘common agent’ and enforce a manufacturer cartel. See also Bernheim/Whinston, 1985. 39 Cf. Lambert 2009, p. 1944. 40 Cf. European Commission 2010, parapraph 224. 41 Cf. Dobson/Waterson 2007 and Rey/Vergé 2008. 42 Cf. Rey/Vergé 2008. 43 Cf. Biscourp et al. 2008, additionally a report by a committee of experts led by Guy Carnivet ‘Restaurer la concurrence par les prix – Les produits de grande consommation et les relations entre industrie et commerce’, 2004, p. 60. http://www.ladocumentationfrancaise.fr/ra pports-publics/044000494/index.shtml and http://www.finances.gouv. fr/directions_services/cedef/synthese/loi_galland/synthese.htm. Simon recently warned urgently against the admissibility of price restraints by reference to the ‘Loi Galland’ passed in France. This is a statute from 1996 whose real purpose was to prohibit major supermarket chains from selling below cost. Instead, the statute operated like price maintenance in the form of minimum prices, where suppliers set high selling prices and granted year-end discounts that were not allowed to affect the retail price. The result of this was a decline in both inter-brand and
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ticularly in those areas where they had previously been relatively low; the correlation between the intensity of local competition and the locally observed selling prices declined. In contrast, after price maintenance for books was abolished in the United Kingdom, it was found that book prices fell and the choice of books even increased.44 On closer examination, the arguments against vertical price coordination in both cases (Loi Galland in France, book-price maintenance in the UK) prove to be flawed. By reference to the Loi Galland, there is no plausible explanation for the chain of events ‘admissible price restraints >> higher prices >> diminution of consumer welfare’, because the statute had a serious structural defect. It intervened in value chains with a further restraint (prohibition of prices below cost prices imposed on all participants, in addition to the pre-existing prohibition of price maintenance). As a result, this stifled effective competition instead of restoring individual freedom of action. If the statute had instead allowed different forms of vertical price coordination, then, with sufficient effective competition, this would have yielded long-term market results that were optimal for consumer welfare. If prices were then to rise (as a result of effective competition between alternative price-formation methods), there could be no doubt as to their economic justification from a welfare perspective. Likewise, there is no plausible explanation for the chain of events ‘prohibition of price restraints >> lower prices >> improvement in consumer welfare’, by reference to the case of book-price maintenance in the UK. This is because the price maintenance (of books) was not one priceformation method among many others, but was the only admissible method. Given the lack of competition between alternative price-formation methods, it comes as no surprise that the arguably negative effects arose. Moreover, some researchers assume that resale price maintenance could help to safeguard the monopoly profits of just a few manufacturers operating as de facto monopolists in a market. First of all, this could be achieved by easier price discrimination in favour of different buyer groups, because, with the aid of a high, maintained resale price, it would be possible to influence the sale of goods acquired at relatively favourable prices to customer groups willing to pay a higher price.45 Moreover, resale price maintenance could act as self-binding instrument, by means of which the manufacturer could bind himself to the price that maximises profits. This would enable him to credibly persuade the purchasing distributor that he would not conclude other contracts at more favourable terms with other distributors. The effect would be that any higher purchase quantity could be sold in entirety to consumers only at a lower price.46 The Federal Government provided further indications of excessive pricing through vertical price maintenance in the run-up to the prohibition of price maintenance in 1973. After eliminating (price) competition between distributors for final consumers, manufacturers would fre________________________ intra-brand competition. The prices that customers had to pay after the Loi Galland were almost 10% higher in 2002 (1 January 1997 = 100) than in Germany and at least 3% higher than the average in the other Eurozone countries. After it became evident that this statute had negative effects on consumer welfare, it was amended in 2005. Prices fell by four per cent within 14 months.” (Simon 2012, p. 251). 44 Cf. Office of Fair Trading 2008. 45 Cf. Bowman 1955, p. 839f. and Overstreet 1983, p. 33ff. 46 Cf. O’Brien/Shaffer 1992; Rey/Vergé 2004a; Hart/Tirole 1990 and Vertical GL, paragraph 224.
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quently compete for distributors by means of discounts. This competition would either drive trade margins even higher or inhibit intended margin reductions, by cementing the ultimate consumer price that actually should have been adjusted.47 According to the statements by the Federal Government, fixed prices of manufacturers would have to be calculated in such a way that fluctuations in sales markets and in the cost structure, could be compensated for even by the weakest distribution enterprises, which the manufacturer still considers necessary to retain a sufficiently high sales volume. Prices would normally be calculated in such a way that cost increases in particular could be compensated for over a longer period of time. For the reasons given above, maintained prices in many cases remained unchanged at too high a level for many years. With regard to the abovementioned assumed effects of excessive and inflexible prices through price maintenance, it can also be stated that these are conceivable only in extreme situations involving inflexible fixed-price maintenance systems, a very high market share for pricemaintained articles and monopolistic supply structures. If, on the other hand, inter-brand competition is sufficiently effective, i.e. there are no insurmountable barriers to market entry or monopolising effects, all of these lines of argument disappear. V. Principles of partial deregulation on a case-bycase approach
The common factor of the hypotheses outlined above is that anti-competitive or welfare-reducing effects are attributed largely to the inflexible systems of a fixed-price restraint which is identical for all buyers in tight oligopolies. For this reason, issuing risk warnings is largely a waste of time because, according to our most recent empirical research, the overwhelming majority of brandedarticle manufacturers do not regard inflexible fixed-price maintenance systems as a desirable price strategy and the majority of retail enterprises categorically reject them.48 In manufacturing and retailing practice, it is almost never a question of re-introducing resale price maintenance but, at most, of taking precautions within the value systems to make it possible to prevent, or at least mitigate, the crudest forms of conduct of some participants. Marketing experts are of the opinion that vertical price and brand care and efficiency-oriented vertical cooperation should be possible without immediately being forced into the tight corset of a wholly inflexible fixation of uniform point prices. Given the largely pro-competitive effects of vertical price coordination in the normal case, there appears to be an urgent need at the present time to abolish the per-se prohibition of price restraints. Schwalbe also says: ‘With regard to the effects of price maintenance within a value chain, there are a series of arguments that indicate that price restraints tend to effect greater efficiency. For this reason, a per-se prohibition of price maintenance does not appear ________________________ 47 Cf. German Bundestag 1962, p. 26. 48 There are plenty of reasons why manufacturers and distributors have no interest in vertical price maintenance on a contractual basis, even if it is legally admissible (cf. also Horst 1992, p. 121 ff.): Of particular importance are the high costs of the introduction and ongoing price-guarantee system of vertical price maintenance, the lack of flexibility of price management, the risk of high market-share losses in functioning markets, i.e. with adequate and reasonable alternatives for consumers, damage to image if fair price conduct is called into question and, not least, the lack of enforceability among retail enterprises.
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appropriate. Nevertheless, a rule-of-reason approach would also not be a suitable solution, because it would be necessary to check in each individual case whether or not a price restraint did give rise to competition-law reservations. For this reason, such an approach would cause considerable legal uncertainty and, moreover, would incur transaction costs to a significant extent. … One way of estimating the effects of price restraints consists of classifying cases that can be used to distinguish unproblematic price restraints from those that are capable constraining competition.’49 A differentiating rule which limits a prohibition statute to certain critical situations is referred to as a case-by-case approach.50 It may also be considered a deregulation compromise. What ‘critical situations’ could be meant in this case? The decisive factor is the existence of a substantial risk to the effectiveness of inter-brand competition. To make this clear, we consider a (fictitious) extreme scenario: Imagine a market where urgently needed essential goods are traded, i.e. staple foods, medicines, drugs and fuels. For this reason, consumers cannot avoid this market by abstention. The market is dominated by a tight oligopoly of suppliers with complete market power, is completely inflexible, barely innovative and there are insurmountable barriers to market entry. And one now also imagines that almost all manufacturers in this product category have introduced an inflexible fixed-price maintenance system, so that uniform prices for each branded product are charged in all shops of the trade. Under the principle of effective market processes, such circumstances could justifiably be referred to as a ‘nightmare scenario of complete market failure’. This represents the first case where the need to retain the prohibition of price maintenance appears clear and compelling.51 When defining the case, however, consideration must be given not only to a situation of complete market failure. Additionally, a prohibition, or at least a special examination for the purpose of abuse control (rule-of-reason approach), could also be considered, if individual risk factors existed (in the sense of assumptions capable of being disproved), for example, in the case of: market-dominating companies as initiators of inflexible fixed resale price maintenance systems (these companies were prohibited from introducing a price-maintenance system even before 1973), - markets with a very high market share of price-tied products, e.g. more than 50%,52 - a market structure with a high probability of collusive behaviour ‘which is characterised by comparably few companies, between which there is a certain degree of symmetry, above all with regard to market ________________________ -
49 Schwalbe 2012, p. 165. Similarly, Haucap/Klein 2012 (p. 180): ‘As has become clear, vertical price restraints have advantages and disadvantages from the perspective of efficiency. How strongly the advantages and disadvantages are to be weighted, depends to a great extent on the specific circumstances. A per-se prohibition in such a situation is certainly inefficient and that is so even taking account of the other protective aims of the GWB such as freedom of competition, equality of distribution and protection of the SME sector.’ 50 The approach of a partial legitimation of vertical price maintenance was proposed by the Muenster Institute for Distribution and Retailing as early as 1992 (cf. Horst 1992, p. 252 ff.). 51 However, even in such an extreme situation, it is questionable whether the price restraint can be revealed to be the cause of market failure or whether the imposition of price-maintenance prohibition can be regarded as merely treating the symptoms.
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shares, the market is transparent and a credible sanction mechanism is available’53, Situations in which the desire for price maintenance emanates from distributors,54 Essential goods that are urgently needed and which consumers cannot avoid purchasing.
It is obvious that these cases require more in-depth economic discussion. In general, the following conclusions appear at least worthy of discussion: If the competition processes of a particular market are proven effective, there is absolutely no justification for cartel-law intervention in the value processes. In this case, the prohibition of vertical price maintenance is fundamentally misguided. If, instead, market effectiveness is distorted, the causes of market failure must be analysed and remedied using competition policy. As a rule excessively high barriers to market entry ultimately cause market failure. Vertical coordination in the form of price and brand maintenance will not normally create insurmountable barriers to market entry. Rather, the admissibility of vertical price coordination can help to break down market entry barriers by means of innovative supply concepts. It may become dangerous for the effectiveness of competition in tight oligopoly markets if inflexible fixed-price maintenance systems gain a very large market share. Only then can removing the price-maintenance prohibition have negative effects on horizontal inter-brand competition under certain circumstances – in particular by promoting price cartels. Although, in the event of increasing market coverage with price-maintained goods, consumers would increasingly wish to switch to non-price-maintained products, they could not do so if there were almost insurmountable barriers to market entry. If consumers were also unable to abstain from buying (e.g. essential goods), then, and only then, should the strict regulation of vertical price coordination in the value chain be considered as a last competition-policy resort. A minimum requirement for the deregulation of consumergoods distribution is that the special status of vertical
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price maintenance as a ‘hardcore restriction’ (in accordance with Article 4 of the Vertical Block Exemption Regulation) should be abolished. The fundamental exemptions in accordance with Art. 101 (3) TFEU should also apply to vertical price maintenance, because the commonly assumed risks of negative effects on inter-brand competition (e.g. the support of price cartels) do not normally exist. Only in cases of inflexible fixed-price restraints are harmful effects on the effectiveness of competitive processes even conceivable and, here too, only if companies that dominate the market are involved and if market coverage substantially exceeds 50%. Provision for the non-application of group exemption for coverage of at least 50% and for the involvement of market-dominating companies is already the case in the Regulation (paragraphs 8, 9 and 16) and in the European Guidelines on Vertical Restraints55. ________________________ 52 An equivalent is found in Art. 6 of Vertical Block Exemption Regulation. According thereto: ‘the Commission may by regulation declare that, where parallel networks of similar vertical restraints cover more than 50 % of a relevant market, this Regulation shall not apply [...]’, (cf. also paragraph 79 of the European Guidelines on Vertical Restraints 2010). 53 Schwalbe 2012, p. 166. 54 According to Schwalbe 2012 (p. 166 f.) ‘the party that wishes the price restraint could be of importance for the assessment of the effects of a price restraint...If, for example, a manufacturer of a product competing with many other manufacturers of close substitutes, wishes to prescribe the retail price by price maintenance, then it is to be expected that the price restraint will tend to raise efficiency. Moreover, if the relevant product is also not a ‘strong’ brand and consumers are generally prepared to acquire comparable products from other manufacturers, then it can be assumed that price maintenance can be regarded as more positive for competition. Under German competition law and its adaption to European competition law, price restraints could be exempted in such cases. However, if there are only a few distributors who stock a certain product and if they ask the manufacturers to set the ultimate-consumer price, and if the product is a strong brand, i.e. intra-brand competition is crucial, then a price restraint would be expected to have the effect of limiting competition between the distributors. The result of this is that a small quantity is offered at high prices and, consequently, the position of consumers is worsened. In such a case, a price restraint should be prohibited as harmful to competition.’ 55 Cf. European Commission 2010, paragraph 79.
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Reusch: Produktsicherheitsrecht und UWG
Aufsätze
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Philipp Reusch*
Produktsicherheitsrecht und UWG I. Einleitung 1
2011 sind lediglich sechs Entscheidungen bekannt, die sich mit dem Zusammenhang von Produktsicherheits- und Wettbewerbsrecht beschäftigen – 2012 bis dato keine. Lohnt sich daher tatsächlich ein Blick in dieses Rechtsgebiet, für das sich scheinbar nicht einmal die Gerichte ausreichend interessieren? Die folgenden Ausführungen möchten hierzu Argumente liefern. Die Bedeutung des Produktsicherheitsrechts im Rahmen des § 4 Nr. 11 UWG kann nur dann zu Tage treten, wenn vorab die Systematik des stark europarechtlich geprägten Produktsicherheitsrechts nachvollzogen werden kann (II.). Hiernach wird in einem weiteren Schritt die Funktionsweise des Rechtsbruchtatbestandes des § 4 Nr. 11 UWG2 dargestellt, der erst seit der Reform in der derzeitigen Fassung besteht (III.). Überlegungen zu den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das Verbot von unlauterem Wettbewerb in der Ausgestaltung des § 4 Nr. 11 UWG bilden den Abschluss der Ausführungen (IV.), die deutlich machen werden, welche gestalterische Wirkung Unternehmen und ihre Berater mit den Instrumenten des UWG im Markt erzeugen respektive welchen sie ausgesetzt sein können3.
Entwicklungen in der Europäischen Union sind unter dem Begriff des New Legislative Framework bekannt geworden. Beide Vorgehensweisen dienen und dienten dazu, die Produktsicherheit in der Europäischen Union zu harmonisieren und den freien Warenverkehr im Binnenmarkt zu vereinfachen. Grundlage für dieses Vorgehen ist Artikel 95 des EG-Vertrages (EGV), der für alle Mitgliedstaaten Maßnahmen regelt, die sich auf die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes, insbesondere in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit, Umweltschutz und Verbraucherschutz beziehen. Artikel 95 EGV ist damit die Rechtsgrundlage für die europäische Gesetzgebung zur Regulierung des Binnenmarktes. Auf dieser Grundlage wurden die Binnenmarktrichtlinien zur Regelung des Inverkehrbringens und der Inbetriebnahme von Produkten erlassen.4 Reusch: Produktsicherheitsrecht und UWG 2. ProdSG
Das ProdSG dient nunmehr seit dem 1.12.2011 der Umsetzung der geschilderten europäischen Konzepte in Deutschland. Die hier relevante Funktionsweise, die sich nur in Ansätzen von denen des alten GPSG unterscheidet5, beruht auf den Regelungen der §§ 3 I und 4 I, II ProdSG: § 3 Allgemeine Anforderungen an die Bereitstellung von Produkten auf dem Markt (1) Soweit ein Produkt einer oder mehreren Rechtsverordnungen nach § 8 Absatz 1 unterliegt, darf es nur auf dem Markt bereitgestellt werden, wenn es 1. die darin vorgesehenen Anforderungen erfüllt und 2. die Sicherheit und Gesundheit von Personen oder sonstige in den Rechtsverordnungen nach § 8 Absatz 1 aufgeführte Rechtsgüter bei bestimmungsgemäßer oder vorhersehbarer Verwendung nicht gefährdet.
II. Grundsätzlicher Ansatz des Produktsicherheitsrechts 1. New Legislative Framework
Am 1. Januar 2010 ist die Verordnung (EG) Nr. 765/2008 zur Akkreditierung und Marktüberwachung in Kraft getreten. Sie gilt in der gesamten Europäischen Union (EU) unmittelbar und war gegenüber dem damals geltenden Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (GPSG) vorrangig. Daneben hat der europäische Gesetzgeber durch den Beschluss 768/2008 weitere Rahmenbedingungen für die Vermarktung von Produkten in der EU erlassen, die zwar nicht unmittelbar gelten, die jeweilige Rechtslage in den einzelnen Mitgliedsstaaten aber natürlich beeinflussen. Unter dem Eindruck dieser teilweise erheblichen Änderungen war der deutsche Gesetzgeber gezwungen, das bestehende Produktsicherheitsrecht zu reformieren. Da das GPSG mit seiner Verweisungstechnik auf Verordnungen wie etwa der Maschinenverordnung (9. Verordnung zum GPSG – 9. GPSGV) in nahezu allen Bereichen geändert hätte werden müssen und zudem insgesamt elf europäische Produktrichtlinien tangiert waren, entschied sich der Gesetzgeber zu einem Ablösungsgesetz. Das GPSG wurde daher vom Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) komplett abgelöst. Die hier zugrunde liegenden ________________________ * 1
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Der Autor ist Rechtsanwalt und Partner bei Reusch Rechtsanwälte GbR in Saarbrücken. Der Autor dankt Herrn Rechtsreferendar Stefan Buscholl für die wertvolle Mitarbeit. Drainagematten, OLG Frankfurt, 20.01.2011, 6 U 203/09; Organisches Selen, OLG Nürnberg, 23.05.2011, 3 U 650/11; DelanPflanzenschutzmittel, BGH, 6.10.2011, I ZR 117/10; Simmondsia Samenpulver, KG Berlin, 10.06.2011, 5 U 34/09; Therapeutisches Gas, Hanseatisches Oberlandesgericht, 25.05.2011, 3 U 165/10; Abfüllen von Fertigspritzen, Hanseatisches Oberlandesgericht, 24.02.2011, 3 U 12/09 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb, im Folgenden mit UWG gekennzeichnet. Bereits Klindt, Geräte- und Produktsicherheitsgesetz, Auflage 2007, Vorw. prophezeite eine verstärkte Relevanz des Wettbewerbsrechts für das Produktsicherheitsrecht.
§ 4 Harmonisierte Normen (1) Bei der Beurteilung, ob ein Produkt den Anforderungen nach § 3 Absatz 1 oder Absatz 2 entspricht, können harmonisierte Normen zugrunde gelegt werden. (2) Bei einem Produkt, das harmonisierten Normen oder Teilen dieser Normen entspricht, deren Fundstellen im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden sind, wird vermutet, dass es den Anforderungen nach § 3 Absatz 1 oder Absatz 2 genügt, soweit diese von den betreffenden Normen oder von Teilen dieser Normen abgedeckt sind. 3. Harmonisierte Normen
§ 4 ProdSG regelt den europäisch harmonisierten Produktbereich des ProdSG. Wie bereits in § 4 Abs. 1 Nr. 1 GPSG wird vermutet, dass ein Produkt den Anforderungen des § 3 ProdSG genügt, soweit es den Vorgaben einer harmonisierten Norm entspricht. Die EU-Richtlinien definieren nur grundlegend die zu erreichenden Ergebnisse und die abzuwendenden Gefahren. ________________________ 4 5
Die gesamte Darstellung ist Heuer / Reusch, Das neue Produktsicherheitsgesetz, 2011 entnommen. Günes, Produktsicherheitsrecht und UWG, WRP 2008, S. 731f hält hierzu instruktive Ausführungen bereit.
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Die technische Umsetzung dieser Vorgaben findet sich in den harmonisierten Normen. Von § 4 ProdSG erfasst werden Normen, die die allgemeine Sicherheitsforderung der Produktsicherheitsrichtlinie 2001/95/EG konkretisieren und andererseits Normen, die die Anforderungen aus den Rechtsverordnungen zum ProdSG konkretisieren. Eine Liste dieser – häufig aktualisierten – Normen kann auf der Website der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin eingesehen werden, soweit es den Bereich des ProdSG betrifft; Regelungen zum Medizinproduktegesetz (MPG) etwa finden sich auf der Website des BfArM. Die Normen geben lediglich ein Mindestmaß zum Zeitpunkt ihrer Bekanntmachung wieder und konkretisieren damit die Sicherheitsziele der Richtlinien. Erfüllt ein Hersteller die Vorgaben einer harmonisierten Norm, wird vermutet, dass das Produkt den Richtlinien entspricht. Die Einhaltung der Normen ist indes nicht zwingend6. Es steht den Herstellern frei, auch auf anderem Wege für sichere Produkte Sorge zu tragen, etwa und insbesondere durch technischen Fortschritt gegenüber den Normen. III. Ansatz des § 4 Nr. 11 UWG
Nach § 4 Nr. 11 UWG handelt derjenige unlauter im Sinne von § 3 UWG, der „einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.“7. An die Stelle der bis zur Reform des UWG herrschenden Unterscheidung zwischen wertneutralen und wertbezogenen Normen hat damit eine dem Gedanken des § 823 II BGB ähnliche Betrachtungsweise mit Blick auf den Schutzzweck einer Norm Einzug gehalten. Durch diese Umschreibung wird der früheren Kritik, wonach sich der Rechtsbruchtatbestand zu einer umfassenden Sanktionsnorm für außerwettbewerbsrechtliche Vorschriften entwickelt hat, Rechnung getragen8. Der Rechtsbruchtatbestand muss auch vor dem Hintergrund der Schutzzweckbestimmungen in § 1 UWG zu sehen sein9. Tatbestandlich wird demnach in § 4 Nr. 11 UWG vorausgesetzt: -
Geschäftliche Handlung10
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Zuwiderhandlung gegen eine gesetzlichen Vorschrift
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Marktrelevanz
Im Folgenden werden die Regelungen des ProdSG unter die Tatbestandsvoraussetzungen des § 4 Nr. 11 UWG subsumiert und 1. Geschäftliche Handlung
11
Die geschäftliche Handlung wird auch im Rahmen des § 4 Nr. 11 UWG durch die Definition in § 2 I Nr. 1 UWG bestimmt. Danach bedeutet ________________________ Wilrich, Thomas; Kommentar zum ProdSG, S. 9., Rn. 25 Eine ausführliche Darstellung der Entwicklung des Rechtsbruchtatbestandes findet sich bei Horst-Peter Götting, Der Rechtsbruchtatbestand, in FS für Gerhard Schricker zum 70. Geburtstag, München 2005, S. 689 (700) 8 Günes, Produktsicherheitsrecht und UWG, WRP 2008, S. 731 (735) 9 Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 4, 0.5 10 Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 4, 11.23 11 Erst die aufgrund der UGP Richtlinie- notwendig gewordene weitere UWG-Novelle Richtlinie im Jahre 2008 ersetzte das bis dahin gültige Tatbestandsmerkmal der „Wettbewerbshandlung“ durch die „geschäftliche Handlung“. 6 7
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„geschäftliche Handlung“ jedes Verhalten einer Person zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens vor, bei oder nach einem Geschäftsabschluss, das mit der Förderung des Absatzes oder des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen oder mit dem Abschluss oder der Durchführung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen objektiv zusammenhängt; als Waren gelten auch Grundstücke, als Dienstleistungen auch Rechte und Verpflichtungen. Der Begriff der geschäftlichen Handlung ist sehr weit zu verstehen, er erfasst alle Formen des kommerziellen Verhaltens12, die in mittelbarer oder auch unmittelbarer Form den Absatz eines Unternehmens objektiv fördern kann13. a) Konformitätserklärung
Viele produktsicherheitsrechtliche Vorschriften verpflichten den Hersteller zur Abgabe einer Konformitätserklärung14, die teilweise dem Produkt beigefügt werden muss. Die bisherigen Entscheidungen im Produktsicherheitsrecht haben sich nicht mit der Konformitätserklärung beschäftigt, sondern lediglich auf das noch nachfolgend zu betrachtende CE-Kennzeichen abgestellt. Die Konformitätserklärung ist Voraussetzung für die Inverkehrgabe eines Produktes unter Geltung des europäischen Produktsicherheitsrechts – ob sie es gleichermaßen für den Vertrieb des Produktes im B2B oder gar im B2CBereich ist, lässt sich an dieser Stelle nicht abschließend bewerten. Ein Zweifel an der objektiven Eignung einer Konformitätserklärung zur Förderung des Vertriebs15 darf angebracht sein. Dennoch ist davon auszugehen, dass die Rechtsprechung die Verwendung eines fehlerhaften oder falschen Konformitätsnachweises als geschäftliche Handlung einordnen wird, die unter § 2 I Nr. 1 UWG zu subsumieren sein wird. b) CE-Kennzeichnung
Wesentlich deutlicher stellt sich die Situation für die CEKennzeichnung dar, die regelmäßig das äußerliche Zeichen der Konformität des Produktes mit den regulatorischen Anforderungen des europäischen Produktsicherheitsrechts ist. Produkte, für die das Zeichen gesetzlich vorgesehen sind, dürfen nicht ohne ein solches in Verkehr gebracht werden16; für Produkte, bei denen es ausdrücklich nicht vorgesehen ist, darf es nicht angebracht werden17. Die CE – Kennzeichnung wird regelmäßig durch den Hersteller selbst angebracht, in manchen Bereichen – etwa der Medizinprodukteindustrie – aber auch durch eine externe Stelle vergeben. Die Rechtsprechung hat schon vor Geltung des Rechtsbruchstatbestandes Stellung zur Irreführung mittels ________________________ 12 Begr RegE UWG 2008 zu § 2, BT-Drucks 16/10145, S. 39 13 Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 2, 37; Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass in keinem der vom Autor ausgewerteten Urteile seit Geltung des UWG 2008 die Frage der geschäftlichen Handlung auch nur tangiert wurde, soweit es Fälle des Produktsicherheitsrechts betraf. 14 Etwa die Maschinenrichtlinie, Druckgeräterichtlinie, ATEXProduktrichtlinie, Medizinprodukterichtlnie 15 Denn nur dann kann sie Auswirkungen auf die Mitbewerber oder die geschäftlichen Entscheidungen der Verbraucher oder sonstigen Marktteilnehmer haben, siehe hierzu wiederum Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht § 2, 37 16 Etwa Niederspannungsrichtlinie, in Deutschland in der 1. Verordnung zum ProdSG umgesetzt, oder auch Medizinproduktegesetz 17 § 39 i.V.m. § 7 ProdSG
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CE-Kennzeichnung genommen18, wie sie heute in § 5 I S. 1 UWG geregelt ist. Demnach ist konsequenterweise zu folgern, dass ein CE-Kennzeichen grundsätzlich geeignet ist, mittel- oder unmittelbar den Absatz einer Ware zu fördern, also auch die unberechtigte Verwendung das Tatbestandsmerkmal des § 4 Nr. 11 UWG der geschäftlichen Handlung erfüllt. Die Verwendung materiell und / oder formell rechtswidriger CE-Kennzeichen ist demnach generell geeignet, eine geschäftliche Handlung nach § 4 Nr. 11 UWG darzustellen.
Rechtsfolgen für den sich wettbewerbswidrig verhaltenden Marktteilenehmer können erheblich sein.
2. Verletzung einer gesetzlichen Vorschrift
Instruktives mag hier die „One Touch Ultra“Entscheidung des BGH aus dem Jahre 2011 liefern26: Die in der medizinrechtlichen Literatur sehr beachtete Entscheidung enthielt neben einigen Kernaussagen zum MPG insbesondere die Feststellung, nach der die Inverkehrgabe eines Medizinproduktes ohne vollständiges Konformitätsbewertungsverfahren27 wettbewerbswidrig nach § 4 Nr. 11 UWG sei. Der Leitsatz hierzu lautet:
Gesetzliche Vorschrift im Sinne des Rechtsbruchtatbestandes ist jede Rechtsnorm, die in Deutschland Geltung besitzt19. Unzweifelhaft fallen die Vorschriften des Produktsicherheitsrechts, also etwa des Medizinproduktegesetzes20, des Produktsicherheitsgesetzes21, des Arzneimittelgesetzes22, des Chemikaliengesetzes23 und weiterer Vorschriften24 als in Deutschland gültige Rechtsnormen unter diesen Begriff. Die oben bereits beschriebenen Normen – unabhängig von ihrer rechtlichen Qualität als harmonisierte Normen – sind dagegen keine gesetzliche Vorschriften im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG. 3. Regelung des Marktverhaltens (auch) im Interesse der Marktteilnehmer
Die verletzte Vorschrift muss zumindest auch dem Interesse der Marktteilnehmer an einer freien wettbewerblichen Entfaltung dienen. Die genannten Regelungen dienen – trotz der besonderen Hervorhebung des Verbraucherschutzes – auch der Schaffung gemeinschaftsweit geltender einheitlicher Bestimmungen an die Produktanforderungen und damit neben dem Abbau bestimmter Handelshemmnisse auch dem Ziel der Verwirklichung eines einheitlichen Binnenmarktes. So war in einer der Vorgängerregelungen zum alten GPSG, dem damaligen Produktsicherheitsgesetz, explizit von der Herstellung gleicher Wettbewerbsbedingungen die Rede25 Diesem Interesse dienen offenkundig auch das aktuelle Produktsicherheitsgesetz sowie die genannten weiteren produktsicherheitsrechtlichen Vorschriften wie das MPG, das AMG und weitere Regelungen. 4. Zwischenergebnis
Die Verletzung einer Inverkehrgabevorschrift des Produktsicherheitsrechts erfüllt regelmäßig zugleich den Tatbestand eines lauterkeitsrechtlich unzulässigen Rechtsbruchs nach § 4 Nr. 11 UWG. Die sich hieraus ergebenden ________________________ 18 BGH, 14.04.1994, I ZR 123/92, WRP 1994, 524 – 526, LG Darmstadt, Urteil vom 19.02.2010, 15 O 327/09, beck-online; LG Münster, Urteil vom 2.9.2010, 25 O 85/10; VG Ansbach, MPR 2009, S. 23; Niebling, WIB 1995, S. 202ff 19 BGH GRUR 2005, 960, 961 20 BGH, Urteil vom 10.12.2009, I ZR 189/07, WRP 2010, 869 – 872; BGH (Golly Telly), Urteil vom 12.05.2010, I ZR 185/07, MedR 2011, 98 – 101 (One Touch Ultra) 21 Zum alten GPSG etwa BGH, Urteil vom 09.09.2010, I ZR 26/08, WRP 2010, 1491–1495 22 BGH, Urteil vom 24.11.2010, I ZR 204/09, PharmR 2011, 299 – 301 (Macrogol) 23 OLG Hamburg, GRUR 2008, 94, 95 24 etwa die KosmetikVO, FertigpackungsVO, LebensmittelKennzeichnungsVO, Nährwert-KnenzeichnungsVO, PflanzenschutzG, ElektroG 25 Günes, Produktsicherheitsrecht und UWG, WRP 2008, S. 731 (734)
IV. Rechtsfolgen des Verstoßes gegen § 4 Nr. 11 UWG
Die Rechtsfolgen des § 4 Nr. 11 UWG bestehen in erster Linie aus den Beseitigung- und Unterlassungsansprüchen der wettbewerblich verletzten Marktteilnehmer oder der sonstigen Anspruchsinhaber nach § 8 III Nr. 2–4 UWG. 1. Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche
In-vitro-Diagnostika zur Eigenanwendung dürfen im Inland nur in Verkehr gebracht werden, wenn sie eine Gebrauchsanweisung und eine Etikettierung in deutscher Sprache enthalten, die vorab in einem (erneuten oder ergänzenden) Konformitätsbewertungsverfahren überprüft worden sind28. Das beklagte Unternehmen, eine Vertriebsgesellschaft des US-amerikanischen Herstellers, wurde durch das Urteil verurteilt, es zu unterlassen, das (lediglich umgepackte) Medizinprodukt One Touch Ultra ohne erneute Konformitätsbewertung nach § 6 II MPG in Deutschland in Verkehr zu bringen. Diese Rechtsfolge eines Verstoßes gegen die § 1–7 UWG wird – regelmäßig nach einer Abmahnung – durch Wettbewerber oder aber die in § 8 II Nr. 2–4 UWG genannten Gruppen geltend gemacht und ist verschuldensunabhängig29; ebenso werden Beseitigungs- und eventuelle Widerrufsansprüche denkbar sein. Insoweit sind Wettbewerber in der Lage, die eigentlich dem Produktsicherheitsrecht vorbehaltenen Rechtsfolgen zivilrechtlich auszulösen. So ist es zwar grundsätzlich Aufgabe der jeweils zuständigen Behörden, Vertriebs- oder Produktionsverbote auszusprechen bis hin zu Rückrufanordnungen30, wenn der Verdacht einer fehlenden Produktkonformität besteht. Den hiermit beschäftigten Personenkreisen wird allerdings nicht entgangen sein, dass die behördlichen Aktivitäten in bestimmten Branchen nur bedingt mit dem notwendigen Aktivitätsniveau übereinstimmen. Für die insoweit im Wettbewerb stehenden Unternehmen und ihre Berater stellt sich damit die Frage, inwieweit ein selbständiges, insoweit zivilrechtliches Vorgehen möglich und sinnvoll ist. Nach den obigen Ausführung ist zumindest ein Unterlassungsanspruch im Sinne des § 8 I UWG zur Abwehr künftiger Beeinträchtigungen des Wettbewerbs ein gangbarer Weg, um dem wettbewerbswidrigen Verhalten eines anderen Unternehmen Einhalt zu gebieten; die faktischen Folgen eines solchen, erfolgreichen ________________________ 26 BGH, 12052010, I ZR 185/07, MedR 2011, 98 – 101 27 Im Gegensatz zu der oben unter C. II geführten Diskussion ist die Konformitätserklärung im Medizinproduktebereich und der hier entschiedenen Konstellation Voraussetzung für die Zertifizierung durch einen externen Dritten und erhält somit eine andere Relevanz als bei reiner Selbstzertifizierung durch den Hersteller. 28 juris.bundesgerichtshof.de 29 Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 8, 1.2; 30 Beispiele hierzu finden sich regelmäßig in dem aktuellen Rechtsprechungsüberblick der Kollegen Molitoris/Klindt, etwa in NJW 2010, 1569 (1572) oder auch NJW 2012, 1489 (1493)
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Vorgehens kommen der Untersagungsverfügung einer Behörde in ihrer Wirkung gleich. 2. Schadenersatzanspruch nach § 9 UWG
Daneben – und bislang in der Rechtsprechung nicht wahrnehmbar zur Geltung gekommen – besteht naturgemäß die Frage nach der Geltendmachung von Schadenersatz. Bei einem ersten Blick in die relevanten Regelung des § 9 Satz 1 UWG fällt die Verschuldensregelung auf. Schuldner des Schadenersatzanspruchs ist, wer vorsätzlich oder fahrlässig eine der nach § 3 oder § 7 UWG unzulässigen geschäftlichen Handlungen begeht. Die Unzulässigkeit des Rechtsbruchtatbestandes wird durch den Beispieltatbestand des § 4 Nr. 11 UWG konkretisiert, in der Konsequenz ist eine Verletzung des § 4 Nr. 11 UWG generell auch einem Schadenersatzanspruch zugänglich. Dieser Schadenersatzanspruch ist nach der Reform des UWG lediglich den Mitbewerbern vorbehalten, gibt also einen Individualschutz nur im Horizontalverhältnis31. Entscheidend sind in der Geltendmachung damit zwei Fragen: Zum einen ist das Verschulden im Rechtsbruchtatbestand dahingehend zu verstehen, dass das wettbewerbswidrig handelnde Unternehmen weiß oder hätte wissen können, dass es gegen das Gesetz verstößt oder darüber fahrlässig in Unkenntnis ist, weil es unterlassen hat, sich insoweit selbst oder mittels Dritter zu unterrichten32. Im Bereich des Produktsicherheitsrechts relevant wird diese Frage bei der Beteiligung externer Dritter, die bei der Bewertung der Konformität eines Produktes oder auch bei der Erteilung eines CE-Kennzeichens tätig geworden sind. Soweit ersichtlich ist bislang noch keine Rechtsprechung ergangen, die die Tätigkeit dieser so genannten benannten Stellen oder auch reinen Dienstleistern als Verrichtungsgehilfen eingestuft hätten. Insoweit wäre dann die Frage nach der – an die Regelungen des Deliktsrechts angelehnten – Exkulpierung nach § 831 I BGB zu stellen; inwiefern ein Gericht hier eine Entlastung ermöglichen wird kann derzeit nur schwerlich prognostiziert werden. Neben der Frage des Verschuldens ist naturgemäß die Konkretisierung des Schadens selbst eine wesentliche Hürde bei der Geltendmachung eines Anspruchs aus § 9 Satz 1 UWG33. Bei der Verletzung einer Marktverhaltensregelung im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG ist ein Schadenersatz dagegen nicht deswegen ausgeschlossen, weil die verletzte Norm ausschließlich dem Schutz der Verbraucher dient34.
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tums betrifft, durch das Gesetz zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums vom 7.7.2008 in Umsetzung der Durchsetzungsrichtlinie 2004/48/EG einheitlich geregelt worden35. Die Richtlinie lässt explizit eine Erweiterung des Anwendungsbereiches auf Handlung zu, „die den unlauteren Wettbewerb einschließlich der Produktpiraterie oder vergleichbare Tätigkeiten betreffen36. Die Verwendung formell oder materiell rechtswidriger Warenverkehrszeichen oder die Nichteinhaltung der Mindestvorschriften kommt in seiner Wirkung der Produktpiraterie gleich. Gleichartige Produkte mit unterschiedlichen Kosten- und auch Risikostrukturen stehen damit in einem Wettbewerb, der von einer Wettbewerber mit unlauteren Mitteln geführt wird. Die Konsequenzen sind für die benachteiligte Seite identisch mit denen der Produktpiraterie. Eine Abschöpfung des Verletzergewinns über die Methode der dreifachen Schadensberechnung sollte auch rechtsökonomisch eine sinnvolle Funktion darstellen. V. Fazit
Unternehmen können gegen Wettbewerber, deren Produkte gegen produktsicherheitsrechtliche Regelungen verstoßen, mit den Möglichkeiten des Rechtsbruchtatbestandes nach § 4 Nr. 11 UWG vorgehen; neben der verschuldensunabhängig geltend zu machenden Unterlassung besteht die Möglichkeit, entstandene Schäden geltend zu machen. Der verschuldensabhängige Schadenersatzanspruch des § 9 UWG ist naturgemäß erheblich höheren Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast ausgesetzt. Nichtsdestotrotz bietet dieses Vorgehen eine probate Alternative zur Marktaufsicht der jeweils zuständigen Behörden. Gleichwohl sind noch weitere Fragen offen, deren zeitnahe Klärung nicht zu erwarten ist. Hierzu gehören sicherlich Konstellationen im Spannungsfeld zwischen öffentlich-rechtlicher und zivilrechtlicher Beurteilung von Produktsicherheit, also Fragen der Normauslegungskompetenz der verschiedenen Gerichtzweige37. Ebenso wenig erschlossen ist das Gebiet der Qualitätszeichen38, hier insbesondere die Frage, wie die Tätigkeit der relevanten Prüfstellen, so genannter akkreditierter Stellen, im Falle einer unrichtigen Angabe dem wettbewerbswidrig handelnden Unternehmen zugerechnet werden kann.
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Konkreter Schaden einschließlich des entgangen Gewinns
Letztlich steht naturgemäß in Zeiten internationalen Wettbewerbs auch die Geltendmachung unlauterer geschäftlicher Handlungen im Ausland im Raum. Eine umfassende internationale Regelung des unlauteren Wettbewerbs steht bis dahin noch aus39, die ab dem 11.1.2009 geltende ROM-II-VO hält hierzu lediglich eine einheitliche Verweisung in das Lauterkeitsrecht des jeweiligen Landes bereit.
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Lizenzanalogie,
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Herausgabe des Verletzergewinns
32 BGH GRUR 1988, 669, 700 33 So auch Köhler/Bornkamm, § 9, 1.23 34 BGH, Urteil vom 10.12.2009, I ZR 189/07, WRP 2010, 869 – 872; BGH (Golly Telly), 35 Köhler/Bornkamm, § 9, 1.36 36 Erwägungsgrund 13 S 2 der Durchsetzungsrichtlinie 2004/48/EG. 37 Köhler/Bornkamm, § 4, 11.18 38 Abgesehen von solchen Entscheidungen, in denen die Qualitätszeichen wie etwa GS in einer irreführenden Art und Weise benutzt wurden 39 Es existieren Vorschläge hierzu, etwa der World Intellectual Property Organization
Die Gesetzgebung und Rechtsprechung haben sich bis dato noch nicht dazu durchgerungen, die so genannte dreifache Schadensberechnung, bestehend aus den verschiedenen Bemessungsarten
für Rechtsbruchtatbestände im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG anzuwenden. Diese von der Rechtsprechung entwickelte Schadensberechnung ist, soweit es die Rechte des geistigen Eigen________________________ 31 Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, § 8, 1.2;
Jäger: Das neue VermAnlG
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Prof. Dr. Axel Jäger*
Das Gesetz über Vermögensanlagen und seine Folgen für den Finanzvertrieb Jäger: Das neue VermAnlG Mit Wirkung zum 01.06.20121 wurde das Verkaufsprospektgesetz aufgehoben und durch das Gesetz über Vermögensanlagen (VermAnlG) ersetzt.2 Daneben wurden die dadurch notwendig gewordenen Anpassungen der Vermögensanlagen-Verkaufsprospektverordnung vorgenommen und die börsengesetzliche Prospekthaftung aus dem Börsengesetz in das Wertpapierprospektgesetz verlagert und teilweise verschärft.3 Mit diesen zentralen Maßnahmen wollte der Gesetzgeber nicht nur den Anlegerschutz als solchen verbessern, sondern auch das im Zuge der Finanzkrise verlorengegangene Vertrauen der Anleger in die Finanzmärkte zurückgewinnen und damit nicht zuletzt den Finanzplatz Deutschland stärken.4
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Nr.2: Emissionen von Versicherungsunternehmen und Pensionsfonds i.S.v. §§ 1, 112 VAG;
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Nr.3: Angebote, bei denen von derselben Vermögensanlage nicht mehr als 20 Anteile angeboten werden (a), der Verkaufspreis der im Zeitraum von zwölf Monaten angebotenen Anteile insgesamt 100.000 € nicht übersteigt (b) oder der Preis jedes angebotenen Anteils mindestens 200.000 € je Anleger beträgt (c);
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Nr.4: Angebote, die sich nur an Personen richten, die beruflich oder gewerblich für eigene oder fremde Rechnung Wertpapiere oder Vermögensanlagen erwerben oder veräußern;
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Nr.5: Vermögensanlagen, die Teil eines Angebots sind, für das bereits im Inland ein Verkaufsprospekt veröffentlicht worden ist;
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Nr.6: Vermögensanlagen, die einem begrenzten Personenkreis oder nur den Arbeitnehmern von ihrem Arbeitgeber oder von einem mit dessen Unternehmen verbundenen Unternehmen angeboten werden;
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Nr.7: Emissionen von Mitgliedstaaten der EU, Vertragsstaaten des EWR, bestimmten Gebietskörperschaften und internationalen Organisationen des öffentlichen Rechts, Kreditund Finanzdienstleistungsinstituten sowie Monopolgesellschaften;
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Nr.8: Vermögensanlagen, die bei einer Umwandlung von Unternehmen nach den Vorschriften des UmwG oder die als Gegenleistung im Rahmen eines Angebots nach dem WpÜG angeboten werden;
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Nr.9: Vermögensanlagen, die vor dem 01.07.2005 erstmals veräußert worden sind und nach dem 01.07.2005 öffentlich auf einem Markt angeboten werden, der regelmäßig stattfindet, geregelte Funktions- und Zugangsbedingungen hat, für das Publikum unmittelbar oder mittelbar zugänglich ist und unter der Verantwortung seines Betreibers steht.
I. Vermögensanlagen
Bei der Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagenrechts setzte der Gesetzgeber bewusst auf der Produktseite an, um den im regulierten Bereich bereits geltenden Pflichtenstandard weitgehend auf den sog. Grauen Kapitalmarkt und die dort angebotenen Vermögensanlagen zu übertragen.5 Als Vermögensanlagen gelten nach § 1 Abs.2 VermAnlG nicht in Wertpapieren i.S. des WpPG verbriefte -
Nr.1: Anteile, die eine Beteiligung am Ergebnis eines Unternehmens gewähren;
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Nr.2: Anteile an einem Vermögen, das der Emittent6 oder ein Dritter im eigenen Namen für fremde Rechnung hält oder verwaltet (Treuhandvermögen);
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Nr.3: Anteile an sonstigen geschlossenen Fonds;
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Nr.4: Genussrechte;
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Nr.5: Namensschuldverschreibungen.
Das Vermögensanlagengesetz gilt für alle Vermögensanlagen in diesem Sinne, die im Inland öffentlich angeboten werden (§ 1 Abs.1 VermAnlG). Allerdings nimmt § 2 VermAnlG eine ganze Reihe von Vermögensanlagen vom Anwendungsbereich der §§ 6-26 VermAnlG aus: -
Nr.1: Anteile an einer Genossenschaft i.S.v. § 1 GenG;
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Prof. Dr. Axel Jäger ist Professor für Deutsches, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Fachhochschule Frankfurt am Main und Lehrbeauftragter für Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht an der Universität Saarbrücken. Auf vor dem 01.06.2012 bei der Bundesanstalt zur Gestattung ihrer Veröffentlichung nach § 8i Abs.2 Satz 1 VerkProspG eingereichte Verkaufsprospekte ist das Verkaufsprospektgesetz in seiner bis zum 31.05.2012 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden (§ 32 Abs.1 VermAnlG). Auf vor dem 01.07.2005 im Inland veröffentlichte Verkaufsprospekte für Wertpapiere, die von Kreditinstituten ausgegeben und vor dem 30.06.3012 erstmals angeboten wurden, ist das Verkaufsprospektgesetz in der vor dem 01.07.2005 geltenden Fassung anzuwenden, während § 3 Abs.1 WpPG insoweit nicht gilt (§ 37 Abs.1 WpPG). Hanten/Reinholz, ZBB 2012, 36 ff.; Hartrott/Voigt, RdF 2012, 87, 88 ff.; zum Gesetzentwurf bereits Mattil, DB 2011, 2533, 2534 ff. Siehe dazu die Übergangsregelungen in § 32 Abs.2 VermAnlG und § 37 Abs.2 WpPG. BT-Drucks. 17/6051, S. 30. BT-Drucks. 17/6051, S. 1 und 31. Als Emittent gilt nach § 1 Abs.3 VermAnlG die Person oder die Gesellschaft, deren Vermögensanlage im Inland öffentlich angeboten wird.
Diese Ausnahmen waren weitgehend bereits in § 8f Abs.2 VerkProspG enthalten und sollen gewährleisten, dass der üblicherweise als Grauer Kapitalmarkt bezeichnete Bereich nicht überreguliert wird.7 Durch die Aufnahme in den Katalog des § 2 Abs.2b WpHG werden Vermögensanlagen seit dem 01.06.2012 als Finanzinstrumente qualifiziert.8 Der Gesetzgeber wollte damit sicherstellen, dass Wertpapierdienstleistungsunternehmen künftig auch bei ________________________ 7 8
BT-Drucks. 17/6051, S. 32. Ausgenommen wurden neben Genossenschaftsanteilen auf ein – vor allem mit Blick auf Sparbriefe erfolgtes – Petitum der Sparkassen und Volksbanken auch einfache Namensschuldverschreibungen, die mit einer vereinbarten festen Laufzeit, einem unveränderlich vereinbarten festen positiven Zinssatz ausgestattet sind, bei denen das investierte Kapital ohne Anrechnung von Zinsen ungemindert zum Zeitpunkt der Fälligkeit zum vollen Nennwert zurückgezahlt wird, und die von einem Einlagenkreditinstitut i.S.v. § 1 Abs.3d Satz 1 KWG, dem eine Erlaubnis nach § 32 Abs.1 KWG erteilt worden ist, ausgegeben werden, wenn das darauf eingezahlte Kapital im Fall des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Instituts oder der Liquidation des Instituts nicht erst nach Befriedigung aller nicht nachrangigen Gläubiger zurückgezahlt wird; siehe dazu insbesondere BT-Drucks. 17/7453, S. 70 und 72 f.
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Anlageberatung und Anlagevermittlung mit Blick auf Vermögensanlagen die speziellen Verhaltens- und Organisationspflichten beachten müssen, die in den §§ 31 ff. WpHG normiert sind. Besonders hervor hob er in diesem Zusammenhang das Gebot der anlegergerechten Beratung, die Offenlegung von Provisionen und das Führen eines Beratungsprotokolls.9 Während vergleichsweise risikoarme Produkte wie Bundesanleihen und Aktien von soliden Großunternehmen bereits jetzt von den anlegerschützenden Vorschriften des WpHG erfasst würden, sei dies bei Anteilen an geschlossenen Fonds nicht der Fall, bei denen jedoch das Risiko für den Anleger im Vergleich als sehr hoch anzusehen sei. Geschlossene Fonds hätten in der Regel eine hohe Mindestanlagesumme und eine lange Laufzeit, während der es – im Gegensatz zu Anleihen und Aktien – kaum möglich sei, die Anteile zu veräußern. Im ungünstigsten Fall drohten Anlegern sogar Nachschusspflichten.10 Allerdings werden die sog. freien Vermittler von Vermögensanlagen von der Qualifikation als Wertpapierdienstleistungsunternehmen i.S. des WpHG ausgenommen und damit im Ergebnis der Aufsicht durch die Bundesanstalt entzogen, sofern sie die in § 2a Abs.1 Nr.7 WpHG genannten Voraussetzungen erfüllen.11 Durch die entsprechende Änderung von § 2a Abs.1 Nr.7 WpHG haben freie Vermittler von Vermögensanlagen einen vergleichbaren Status wie etwa freie Vermittler von offenen Fonds erhalten.12 Eine Schutzlücke entsteht dadurch nicht, da sie nach der parallel vorgenommenen Anpassung der Gewerbeordnung Finanzanlagenvermittler sind, die den gesetzlichen Anforderungen unterliegen, die § 34f GewO an die Erteilung der notwendigen Gewerbeerlaubnis stellt. Zudem verlangt § 34g Abs.1 Satz 3 GewO mit Blick auf die dazugehörige Rechtsverordnung, dass hinsichtlich der Informations-, Beratungs- und Dokumentationspflichten ein mit den §§ 31 ff. WpHG vergleichbares Anlegerschutzniveau hergestellt wird.13 Diese Forderung wurde inzwischen durch die Finanzanlagenvermittlungsverordnung (FinVermV)14 erfüllt, die am 01.01.2013 in Kraft treten und zu gegebener Zeit in einem gesonderten Beitrag vorgestellt werden wird. Durch die Aufnahme in den Katalog des § 1 Abs.11 Satz 1 KWG gelten Vermögensanlagen15 seit dem 01.06.2012 zudem auch als Finanzinstrumente i.S. des KWG.16 Die inhaltliche Erweiterung der erlaubnispflichtigen Finanzdienstleistungen auf Produkte des bisherigen Grauen Kapitalmarkts hat auch die Zuständigkeit der Bundesanstalt entsprechend ausgebaut. Die Herstellung eines einheitlichen Regulierungsniveaus unter Ausdehnung des Begriffs der Finanzinstrumente und Einbeziehung der Vermögens________________________ 9 BT-Drucks. 17/6051, S. 30 und 41. 10 BT-Drucks. 17/6051, S. 41. 11 Entsprechendes gilt für die freien Vermittler nach § 2 Abs.6 Nr.8e KWG. 12 Zur Einbeziehung von Privatplatzierungen in die gewerberechtliche Erlaubnispflicht im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens siehe BT-Drucks. 17/7453, S. 70, 73 und 74. 13 BT-Drucks. 17/6051, S. 41 f.; für freie Vermittler nach § 2 Abs.6 Nr.8e KWG entsprechend BT-Drucks. 17/6051, S. 42. 14 Verkündet als Art. 1 der Verordnung zur Einführung einer Finanzanlagenvermittlungsverordnung vom 02.05.2012, BGBl. I, 1006. 15 Genossenschaftsanteile bleiben auch insoweit ausgenommen. 16 Für ein Unternehmen, das aufgrund der Erweiterung der Definition der Finanzinstrumente in § 1 Abs.11 Satz 1 KWG am 01.06.2012 zum Finanzdienstleistungsinstitut wird, gilt die Erlaubnis ab diesem Zeitpunkt bis zur Entscheidung der Bundesanstalt als vorläufig erteilt, wenn es bis zum 31.12.2012 einen vollständigen Erlaubnisantrag nach § 32 Abs.1 Satz 1 und 2 KWG, auch in Verbindung mit einer Rechtsverordnung nach § 24 Abs.4 KWG, stellt (§ 64n KWG).
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anlagen in die Solvenz- und Marktaufsicht durch die Bundesanstalt erschien dem Gesetzgeber „angesichts dessen, dass Vermögensanlagen für viele Anleger trotz ihrer oftmals langen Laufzeit bei fehlender vorzeitiger Verkaufsmöglichkeit und der hieraus resultierenden hohen Risiken eine Alternative zu Anlageformen wie Aktien und Zertifikaten darstellen“, sachgerecht und stärke den Anlegerschutz in diesem Marktsegment.17 Das Finanzkommissionsgeschäft ausschließlich als Dienstleistung für Anbieter oder Emittenten von Vermögensanlagen betreibende Unternehmen gelten ebenso wenig als Kreditinstitut wie solche, die das Emissionsgeschäft ausschließlich als Übernahme gleichwertiger Garantien i.S.v. § 1 Abs.1 Satz 2 Nr.10 KWG für Anbieter oder Emittenten von Vermögensanlagen betreiben (§ 2 Abs.1 Nr.10 und 11 KWG). Nicht als Finanzdienstleistungsinstitut gelten Unternehmen, die das Platzierungsgeschäft oder als Finanzdienstleistung ausschließlich die Finanzportfolio-Verwaltung und die Anlageverwaltung für Anbieter oder Emittenten von Vermögensanlagen erbringen (§ 2 Abs.6 Nr.19 und 20 KWG). Der Gesetzgeber sah insoweit eine Institutsaufsicht durch den Anlegerschutz nicht gefordert und wollte deshalb eine unverhältnismäßige Belastung der Fondsanbieter verhindern. Sowohl die Einschaltung einer Treuhandgesellschaft bei Unternehmensbeteiligungen als auch die vom Anbieter häufig angebotenen Platzierungsgarantien dienten einer sinnvollen Vereinfachung des Verfahrens und seien zudem auf Vermögensanlagen i.S.v. § 1 Abs.2 VermAnlG beschränkt, um keine Umgehungsmöglichkeiten mit Blick auf andere Finanzinstrumente zu erfassen.18 II. Verkaufsprospekt
Ein Anbieter, der im Inland Vermögensanlagen öffentlich anbietet, muss einen Verkaufsprospekt nach dem Vermögensanlagengesetz veröffentlichen, sofern nicht bereits nach anderen Vorschriften eine Prospektpflicht besteht19 oder ein Verkaufsprospekt nach dem Vermögensanlagengesetz bereits veröffentlicht worden ist (§ 6 VermAnlG).20 Er ist ferner verpflichtet, in Veröffentlichungen, in denen das öffentliche Angebot von Vermögensanlagen angekündigt und auf die wesentlichen Merkmale der Vermögensanlagen hingewiesen wird, einen Hinweis auf den Verkaufsprospekt und dessen Veröffentlichung aufzunehmen (§ 12 VermAnlG). Der Verkaufsprospekt muss alle tatsächlichen und rechtlichen Angaben enthalten, die notwendig sind, um dem Publikum eine zutreffende Beurteilung des Emittenten der Vermögensanlagen und der Vermögensanlagen selbst zu ermöglichen (§ 7 Abs.1 Satz 1 VermAnlG). Bestehen die Vermögensanlagen aus Anteilen an einem Treuhandvermögen und besteht dieses wiederum ganz oder teilweise aus einem Anteil an einer Gesellschaft, muss der Verkaufsprospekt auch die entsprechenden Angaben zu dieser Gesellschaft enthalten (§ 7 Abs.1 Satz 2 VermAnlG).21 Der Verkaufsprospekt hat mit einem Deckblatt zu beginnen, das einen deutlichen ________________________ 17 BT-Drucks. 17/6051, S. 42. 18 BT-Drucks. 17/6051, S. 42 und BT-Drucks. 17/7453, S. 73 und 74 f.; demgegenüber monierte die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in BT-Drucks. 17/7453, S. 70 insoweit „eine gefährliche Lücke, da auf diese Weise teilweise Vermittlungen mit Volumina von mehreren 100 Mio. Euro abgewickelt würden“. 19 Der Gesetzgeber hat in BT-Drucks. 17/6051, S. 32 darauf hingewiesen, dass es sich bei den „anderen Vorschriften“ sowohl um nationale als auch um ausländische Vorschriften handeln kann. 20 Die Prospektpflicht war bislang in § 8f Abs.1 VerkProspG verortet. 21 § 7 Abs.1 Satz 1 und 2 VermAnlG ersetzte § 8g Abs.1 Satz 1 und 2 VerkProspG.
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Hinweis darauf enthalten muss, dass die inhaltliche Richtigkeit der Angaben im Verkaufsprospekt nicht Gegenstand der Prospektprüfung durch die Bundesanstalt ist (§ 7 Abs.2 Satz 1 VermAnlG).22 Der Bundesrat hatte diese unmittelbar sichtbare Warnung unter Hinweis darauf gefordert, die Anleger würden die ihnen ausgehändigten Prospekte in der Regel nicht vollständig lesen.23 Ferner verlangt § 7 Abs.2 Satz 2 VermAnlG an einer hervorgehobenen Stelle im Verkaufsprospekt einen ausdrücklichen Hinweis darauf, dass bei fehlerhaftem Verkaufsprospekt Haftungsansprüche nur dann bestehen können, wenn die Vermögensanlage während der Dauer des öffentlichen Angebots, spätestens jedoch innerhalb von zwei Jahren nach ihrem ersten öffentlichen Angebot im Inland, erworben wird.24 Zum 01.06.2012 wurde auch die VermögensanlagenVerkaufsprospektverordnung angepasst, die nunmehr verlangt, dass der Verkaufsprospekt ein Inhaltsverzeichnis hat (§ 2 Abs.2 Satz 2 VermVerkProspV). Ferner sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Risiken im Zusammenhang mit der Vermögensanlage in einem gesonderten Abschnitt darzustellen, der ausschließlich diese Angaben enthält (§ 2 Abs.2 Satz 4 VermVerkProspV).25 Schließlich wurden die in den §§ 3 ff. VermVerkProspV vorgeschriebenen Mindestangaben ausgeweitet. So sind bei Beteiligungen am Ergebnis eines Unternehmens i.S.v. § 1 Abs.2 Nr.1 VermAnlG unbeschadet der Angaben zu den rechtlichen Verhältnissen nicht nur der Gesellschaftsvertrag, die Satzung, der Beteiligungsvertrag oder der sonstige für das Anlageverhältnis maßgebliche Vertrag und bei Treuhandvermögen i.S.v. § 1 Abs.2 Nr.2 VermAnlG der Treuhandvertrag beizufügen (§ 4 Satz 2 VermVerkProspV), sondern auch der Vertrag über die Mittelverwendungskontrolle (§ 4 Satz 3 VermVerkProspV). Der Gesetzgeber erachtete diese Neuerung als notwendig, weil die vertragliche Verpflichtung in Form des Mittelverwendungskontrollvertrags Grundlage für einen möglichen Haftungsanspruch der Anleger gegen einen Mittelverwendungskontrolleur ist.26 Um die Transparenz für den Anleger zu erhöhen, sind in § 7 VermVerkProspV neben den Gründungsgesellschaftern nunmehr auch die Gesellschafter des Emittenten zum Zeitpunkt der Prospektaufstellung einbezogen. Der Katalog der Pflichtangaben in § 7 Abs.1 VermVerkProspV wurde erweitert durch: -
Nr.4: Eintragungen, die in Bezug auf Verurteilungen wegen einer Straftat nach §§ 263 bis 283d StGB (a), § 54 KWG (b), § 38 WpHG (c) oder § 369 AO (d) in einem Führungszeugnis enthalten sind, das zum Zeitpunkt der Prospektaufstellung nicht älter als sechs Monate sein darf;
-
Nr.5: jede ausländische Verurteilung wegen einer Straftat, die mit den in Nr.4 genannten Straftaten vergleichbar ist, unter Angabe der Art und Höhe der Strafe, wenn zum Zeitpunkt der Prospektaufstellung ________________________ 22 Neben diesem deutlichen Hinweis darf das Deckblatt keine weiteren Informationen enthalten, die den Hinweis abschwächen (§ 2 Abs.2 Satz 1 VermVerkProspV). 23 BT-Drucks. 17/6051, S. 56 und BT-Drucks. 17/7453, S. 69. 24 So auch § 2 Abs.2 Satz 3 VermVerkProspV. 25 Dabei ist insbesondere auf Liquiditätsrisiken, mit einem Einsatz von Fremdkapital einhergehende Risiken sowie Risiken einer möglichen Fremdfinanzierung des Anteils durch den Anleger einzugehen (§ 2 Abs.2 Satz 5 VermVerkProspV). Zudem muss das den Anleger treffende maximale Risiko an hervorgehobener Stelle im Verkaufsprospekt in seiner Größenordnung beschrieben werden (§ 2 Abs.2 Satz 6 VermVerkProspV). 26 BT-Drucks. 17/6051, S. 49.
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der Gründungsgesellschafter oder der aktuelle Gesellschafter nicht Deutscher war, sofern der Zeitraum zwischen dem Eintritt der Rechtskraft der Verurteilung und der Prospektaufstellung weniger als fünf Jahre beträgt; -
Nr.6: Angaben darüber, ob über das Vermögen eines Gründungsgesellschafters oder eines Gesellschafters zum Zeitpunkt der Prospektaufstellung innerhalb der letzten fünf Jahre ein Insolvenzverfahren eröffnet oder mangels Masse abgewiesen wurde (a) sowie ob ein Gründungsgesellschafter oder ein Gesellschafter zum Zeitpunkt der Prospektaufstellung innerhalb der letzten fünf Jahre in der Geschäftsführung einer Gesellschaft tätig war, über deren Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet oder mangels Masse abgewiesen wurde (b);
-
Nr.7: Angaben über frühere Aufhebungen einer Erlaubnis zum Betreiben von Bankgeschäften oder zur Erbringung von Finanzdienstleistungen durch die Bundesanstalt.
Durch diese eng an der Verordnung (EG) Nr. 809/2004 orientierten Angaben sollen sich die Anleger ein besseres Bild über die Zuverlässigkeit der bei dem Emittenten handelnden Personen machen können.27 Der damit verbundene Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sei geeignet, erforderlich sowie angemessen und insbesondere durch das erhöhte Informationsbedürfnis der potentiellen Anleger gerechtfertigt, die meist nicht unerhebliche Teile ihrer Ersparnisse in Produkte des Grauen Kapitalmarkts anlegten, um hierdurch ihre Altersvorsorge zu betreiben und ihre spätere Existenz abzusichern. Die Gewährleistung einer sicheren Altersvorsorge entspreche in Anbetracht der demographischen Entwicklung dem Allgemeininteresse.28 Neu ist auch § 7 Abs.3 VermVerkProspV, der die zusätzliche Angabe verlangt, in welcher Art und Weise die Gründungsgesellschafter und die Gesellschafter zum Zeitpunkt der Prospektaufstellung für die in § 7 Abs.2 Nr.1-3 VermVerkProspV genannten Unternehmen tätig sind. Ebenfalls neu sind die §§ 7 Abs.4, 12 Abs.4 VermVerkProspV, wonach der Verkaufsprospekt auch Angaben darüber enthalten muss, in welcher Art und Weise die Gründungsgesellschafter und die Gesellschafter zum Zeitpunkt der Prospektaufstellung bzw. die Mitglieder der Geschäftsführung oder des Vorstands, der Aufsichtsgremien und Beiräte des Emittenten zum Zeitpunkt der Prospektaufstellung mit dem Vertrieb der emittierten Vermögensanlagen beauftragt sind (Nr.1), dem Emittenten Fremdkapital zur Verfügung stellen oder vermitteln (Nr.2), sowie Lieferungen oder Leistungen im Zusammenhang mit der Anschaffung oder Herstellung des Anlageobjekts erbringen (Nr.3). Mit Blick auf die Mitglieder der Geschäftsführung oder des Vorstands, der Aufsichtsgremien und der Beiräte des Emittenten ist ferner anzugeben, inwieweit sie auch an den in § 12 Abs.2 Nr.1-3 VermVerkProspV genannten Unternehmen in wesentlichem Umfang unmittelbar oder mittelbar beteiligt sind (§ 12 Abs.3 VermVerkProspV). Die in § 12 Abs.1-4 VermVerkProspV vorgeschriebenen Angaben muss der Verkaufsprospekt auch für die Anbieter, die Prospektverantwortlichen, die Treuhänder und solche Per________________________ 27 BT-Drucks. 17/6051, S. 50 verwies daneben auf die von der Deutschen Börse im Juli 2002 erlassenen Going Public-Grundsätze. Entsprechende Erwägungen gelten nach BT-Drucks. 17/6051, S. 51 für die nunmehr in § 12 Abs.1 Nr.3-6 VermVerkProspV verlangten Angaben. 28 BT-Drucks. 17/6051, S. 50.
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sonen enthalten, die nicht in den Kreis der nach der VermVerkProspV Angabe-pflichtigen Personen fallen, die jedoch die Herausgabe oder den Inhalt des Verkaufsprospekts oder die Abgabe oder den Inhalt des Angebots der Vermögensanlage wesentlich beeinflusst haben (§ 12 Abs.6 VermVerkProspV). Hervorzuheben bleibt schließlich die Änderung in § 9 Abs.2 Nr.1 VermVerkProspV, nach der für den Fall, dass das Anlageobjekt ganz oder teilweise aus einem Anteil an einer Gesellschaft besteht, auch diejenigen Gegenstände als Anlageobjekt gelten, die diese Gesellschaft erwirbt. Damit wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass bei einem mehrstufigen Erwerbsprozess wie z.B. über eine Objektgesellschaft auch das Investitionsobjekt selbst und damit die für den Anleger interessante Beteiligungsstufe erfasst wird.29 Ein Verkaufsprospekt darf nicht vor seiner Billigung durch die Bundesanstalt veröffentlicht werden, die hierüber nach Abschluss einer Vollständigkeitsprüfung einschließlich einer Prüfung der Kohärenz und Verständlichkeit seines Inhalts entscheidet (§ 8 Abs.1 VermAnlG). Der Gesetzgeber wollte damit die bislang auf Vollständigkeit beschränkte Prüfung der Bundesanstalt auf das bei § 13 WpPG bestehende Niveau anheben. Durch die Erstreckung der Prüfung auf die innere Widerspruchsfreiheit der zwingenden Prospektangaben werde der Anleger besser vor unseriösen Angeboten von Vermögensanlagen geschützt.30 Der Bundesanstalt stehen für die Prüfung und Entscheidungsfindung grundsätzlich maximal 20 Werktage zur Verfügung (§ 8 Abs.2 VermAnlG). Hat sie jedoch Anhaltspunkte dafür, dass der Verkaufsprospekt unvollständig ist oder ergänzender Informationen bedarf, läuft die Frist erst ab dem Zeitpunkt, zu dem diese Informationen eingehen (§ 8 Abs.3 Satz 1 VermAnlG). Um Verzögerungen zu Lasten des Anbieters zu vermeiden, soll ihm die Bundesanstalt über die nach ihrer Auffassung vorliegende Unvollständigkeit des Verkaufsprospekts bzw. über die Notwendigkeit ergänzender Informationen innerhalb von zehn Werktagen ab Eingang des Verkaufsprospekts informieren (§ 8 Abs.3 Satz 2 VermAnlG). Der Verkaufsprospekt muss mindestens einen Werktag vor dem öffentlichen Angebot nach Maßgabe von § 9 Abs.2 Satz 1 und 2 VermAnlG veröffentlicht werden (§ 9 Abs.1 VermAnlG).31 Die Veröffentlichung kann danach entweder im Bundesanzeiger erfolgen oder der Verkaufsprospekt wird bei den in ihm benannten Zahlstellen zur kostenlosen Ausgabe bereitgehalten, was dann wiederum im Bundesanzeiger bekannt zu machen ist. Werden Vermögensanlagen über ein elektronisches Informationsverbreitungssystem angeboten, muss der Verkaufsprospekt auch in diesem veröffentlicht werden und das Angebot muss einen Hinweis auf die entsprechende Fundstelle enthalten. Der Anbieter hat der Bundesanstalt Datum und Ort der Veröffentlichung unverzüglich schriftlich mitzuteilen (§ 9 Abs.2 Satz 3 VermAnlG). Die Veröffentlichung eines unvollständigen Verkaufsprospekts erlaubt § 10 Satz 1 VermAnlG nur, wenn einzelne Angebotsbedingungen erst kurz vor dem öffentlichen Angebot festgesetzt werden und der Verkaufsprospekt Auskunft darüber gibt, wie die fehlenden Angaben nachgetragen werden. Die nachzutragenden Angaben sind spätestens am Tag des öffentlichen An________________________ 29 BT-Drucks. 17/6051, S. 51. 30 BT-Drucks. 17/6051, S. 33. 31 Veröffentlichungen und Bekanntmachungen nach § 9 Abs.2 Satz 1 Nr.1 und 2 VermAnlG sind bis zum 31.12.2014 zusätzlich zu der Veröffentlichung oder Bekanntmachung im Bundesanzeiger auch in einem überregionalen Börsenpflichtblatt vorzunehmen (§ 32 Abs.4 VermAnlG).
gebots entsprechend § 9 Abs.2 Satz 1 und 2 VermAnlG zu veröffentlichen (§ 10 Satz 2 VermAnlG) und der Bundesanstalt spätestens am Tag ihrer Veröffentlichung zu übermitteln (§ 10 Satz 3 VermAnlG).32 Jeder wichtige neue Umstand und jede wesentliche Unrichtigkeit in Bezug auf die im Verkaufsprospekt enthaltenen Angaben, welche die Beurteilung der Vermögensanlagen oder des Emittenten beeinflussen könnten und die nach der Billigung des Prospekts und während der Dauer des öffentlichen Angebots auftreten oder festgestellt werden, sind in einem Nachtrag zum Verkaufsprospekt zu veröffentlichen (§ 11 Abs.1 Satz 1 VermAnlG). Der Anbieter hat den Nachtrag vor seiner Veröffentlichung bei der Bundesanstalt zur Billigung einzureichen (§ 11 Abs.1 Satz 2 VermAnlG), die hierüber binnen einer Frist von zehn Werktagen entsprechend § 8 Abs.1 Satz 2 und Abs.3 VermAnlG entscheidet (§ 11 Abs.1 Satz 3 VermAnlG). Nach der Billigung muss die Veröffentlichung unverzüglich entsprechend § 9 Abs.2 Satz 1 und 2 VermAnlG vorgenommen werden (§ 11 Abs.1 Satz 4 VermAnlG). Anleger, die vor der Veröffentlichung des Nachtrags eine auf den Erwerb oder die Zeichnung der Vermögensanlagen gerichtete Willenserklärung abgegeben haben, können diese innerhalb einer Frist von zwei Werktagen nach Veröffentlichung des Nachtrags widerrufen, sofern noch keine Erfüllung eingetreten ist (§ 11 Abs.2 Satz 1 VermAnlG). Der Widerruf muss keine Begründung enthalten und ist in Textform gegenüber der im Nachtrag als Empfänger bezeichneten Person zu erklären, wobei zur Fristwahrung die rechtzeitige Absendung genügt (§ 11 Abs.2 Satz 2 VermAnlG). Auf die Rechtsfolgen des Widerrufs ist § 357 BGB entsprechend anzuwenden (§ 11 Abs.2 Satz 3 VermAnlG). Schließlich muss der Nachtrag an einer hervorgehobenen Stelle eine Belehrung über das Recht zum Widerruf enthalten (§ 11 Abs.2 Satz 4 VermAnlG). III. Informationsblatt
Ein Anbieter, der im Inland Vermögensanlagen öffentlich anbietet, muss vor dem Beginn des öffentlichen Angebots neben dem Verkaufsprospekt auch ein VermögensanlagenInformationsblatt erstellen (§ 13 Abs.1 VermAnlG), das keiner Prüfung durch die Bundesanstalt und auch keinem Billigungsverfahren unterliegt. Es ersetzt im Anwendungsbereich des Vermögensanlagengesetzes das in § 31 Abs.3a Satz 1 WpHG geforderte Informationsblatt (§ 31 Abs.3a Satz 3 WpHG)33 und darf nicht mehr als drei DINA4-Seiten umfassen (§ 13 Abs.2 Satz 1 VermAnlG). Nach dem an § 5a WpDVerOV orientierten § 13 Abs.2 Satz 2 VermAnlG muss es die wesentlichen Informationen über die Vermögensanlagen in übersichtlicher und leicht verständlicher Weise so enthalten, dass das Publikum insbesondere -
Nr.1: die Art der Vermögensanlage,
-
Nr.2: Anlagestrategie, Anlagepolitik und Anlageobjekte,
-
Nr.3: die mit der Vermögensanlage verbundenen Risiken,
-
Nr.4: die Aussichten für die Kapitalrückzahlung und Erträge unter verschiedenen Marktbedingungen und ________________________ 32 Die §§ 9-12 VermAnlG ersetzten im Wesentlichen die §§ 9-12 VerkProspG. 33 Dieses bleibt insbesondere erforderlich, wenn das Angebot oder die Vermögensanlage unter eine Ausnahme nach § 2 VermAnlG fallen.
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Nr.5: die mit der Vermögensanlage verbundenen Kosten und Provisionen
einschätzen und mit den Merkmalen anderer Finanzinstrumente bestmöglich vergleichen kann. Nach der Gesetzesbegründung wird „das Publikum“ durch „den durchschnittlichen Anleger“ verkörpert,34 dessen Erkenntnishorizont somit den Maßstab für die Beurteilung der Verständlichkeit einer Information etc. bildet. § 13 Abs.3 VermAnlG schreibt darüber hinaus folgende Pflichtangaben vor: -
Nr.1: Angaben über die Identität des Anbieters;
-
Nr.2: einen Hinweis darauf, dass das Vermögensanlagen-Informationsblatt nicht der Prüfung durch die Bundesanstalt unterliegt;
-
Nr.3: einen Hinweis auf den Verkaufsprospekt und darauf, wo und wie dieser erhältlich ist und dass er kostenlos angefordert werden kann;35
-
Nr.4: einen Hinweis darauf, dass der Anleger eine etwaige Anlageentscheidung bezüglich der betroffenen Vermögensanlagen auf die Prüfung des gesamten Verkaufsprospekts stützen sollte;36
-
Nr.5: einen Hinweis darauf, dass Ansprüche auf der Grundlage einer im Informationsblatt enthaltenen Angabe nur dann bestehen können, wenn die Angabe irreführend, unrichtig oder nicht mit den einschlägigen Teilen des Verkaufsprospekts vereinbar ist und wenn die Vermögensanlage während der Dauer des öffentlichen Angebots, spätestens jedoch innerhalb von zwei Jahren nach dem ersten öffentlichen Angebot der Vermögensanlagen im Inland, erworben wird.37
Der letzte Hinweis war dem Gesetzgeber besonders wichtig, da die darin beschriebenen Einschränkungen für alle zivilrechtlichen Ansprüche auf der Grundlage der im Vermögensanlagen-Informationsblatt enthaltenen Angaben gelten.38 Der Anleger muss die in § 13 Abs.2 VermAnlG bezeichneten Informationen verstehen können, ohne hierfür zusätzliche Dokumente heranziehen zu müssen (§ 13 Abs.4 Satz 1 VermAnlG). Die Angaben im Informationsblatt sind kurz zu halten und in allgemein verständlicher Sprache abzufassen (§ 13 Abs.4 Satz 2 VermAnlG). Sie dürfen nicht irreführend, sondern müssen redlich und eindeutig sein und mit den einschlägigen Teilen des Verkaufsprospekts übereinstimmen (§ 13 Abs.4 Satz 3 VermAnlG). Zudem darf sich das Informationsblatt jeweils nur auf eine bestimmte Vermögensanlage beziehen und keine werbenden oder sonstigen Informationen enthalten, die nicht dem genannten Zweck dienen (§ 13 Abs.4 Satz 4 VermAnlG). § 13 Abs.5 Satz 1 VermAnlG normiert eine Aktualisierungspflicht für die Dauer des öffentlichen Angebots, sofern die im Informationsblatt enthaltenen Angaben unrichtig oder unvereinbar mit den Angaben im Verkaufsprospekt sind oder wenn ergänzende Angaben in einem Nachtrag zum Verkaufsprospekt nach § 11 VermAnlG veröffentlicht werden. In diesem Zeit________________________ 34 BT-Drucks. 17/6051, S. 34. 35 Die Hinweispflicht wurde an Art. 20 Abs.1 lit.b der Verordnung (EU) Nr. 583/2010 angelehnt. 36 Die Hinweispflicht folgte den Vorgaben in Art. 5 Abs.2 lit.b der Richtlinie 2003/71/EG. 37 Die Hinweispflicht wurde sowohl an Art. 20 Abs.1 lit.e der Verordnung (EU) Nr. 583/2010 als auch an Art. 5 Abs.2 lit.d der Richtlinie 2003/71/EG angelehnt. 38 BT-Drucks. 17/6051, S. 34.
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raum muss stets eine aktualisierte Fassung des Informationsblatts auf der Internetseite des Anbieters zugänglich sein und bei den im Verkaufsprospekt angegebenen Stellen bereitgehalten werden (§ 13 Abs.5 Satz 2 VermAnlG). Die aufsichtsrechtliche Überwachung der Erstellung der beiden zentralen Informationsmedien Verkaufsprospekt und Vermögensanlagen-Informationsblatt wird durch Informationsansprüche der am Erwerb einer Vermögensanlage Interessierten ergänzt. § 15 VermAnlG unterscheidet hierzu folgende Konstellationen: -
der Anbieter hat einem Anleger oder einem am Erwerb einer Vermögensanlage Interessierten auf dessen Verlangen während der Dauer des öffentlichen Angebots jederzeit den Verkaufsprospekt und eine aktuelle Fassung des Informationsblatts in Textform – und auf Verlangen auch in Papierform – zu übermitteln (§ 15 Abs.1 Satz 1 VermAnlG);
-
Personen, die in Bezug auf Vermögensanlagen Anlageberatung, Anlage- oder Abschlussvermittlung erbringen oder Vermögensanlagen verkaufen, muss er auf deren Antrag lediglich das Informationsblatt in Textform übermitteln (§ 15 Abs.1 Satz 3 VermAnlG);
-
im Fall des Eigenvertriebs hat der Anbieter rechtzeitig vor Vertragsschluss das Informationsblatt und auf Verlangen auch den Verkaufsprospekt einem am Erwerb einer Vermögensanlage Interessierten zur Verfügung zu stellen, der zudem darauf hinzuweisen ist, wo im Geltungsbereich des Vermögensanlagengesetzes und auf welche Weise er diese Unterlagen erhalten kann (§ 15 Abs.2 VermAnlG);
-
die Informationspflicht des Emittenten bezieht sich dagegen auf den letzten veröffentlichten Jahresabschluss und Lagebericht, die er einem Anleger oder einem am Erwerb einer Vermögensanlage Interessierten auf dessen Verlangen jederzeit in Textform – und auf Verlangen auch in Papierform – übermitteln muss (§ 15 Abs.1 Satz 2 VermAnlG).
Nach dem Willen des Gesetzgebers soll die Übermittlung bzw. Zurverfügungstellung der gewünschten Dokumente nicht von der Zahlung eines Entgelts abhängig gemacht werden.39 IV. Rechnungslegung
Ein Emittent von Vermögensanlagen, der nicht nach den Vorschriften des HGB zur Offenlegung eines Jahresabschlusses verpflichtet ist, hat für den Schluss eines jeden Geschäftsjahrs einen Jahresbericht zu erstellen und spätestens sechs Monate nach Ablauf des Geschäftsjahrs beim Betreiber des Bundesanzeigers elektronisch einzureichen sowie den Anlegern auf Anforderung zur Verfügung zu stellen (§ 23 Abs.1 Satz 1 VermAnlG).40 Für den Gesetzgeber stellen Jahresabschluss und Lagebericht wichtige Informationsquellen dar, um sich über die Entwicklung der Investition zu informieren, da sie einen Einblick in die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Vermögensanlage gewähren.41 Ist die Feststellung oder Prüfung des Jahresabschlusses oder die Prüfung des Lageberichts nicht fristgemäß möglich, ist § 328 Abs.1 Nr.1 Satz 2 und Nr.2 HGB entsprechend anzuwenden und die fehlenden Angaben zur Feststellung oder der Bestätigungsvermerk oder ________________________ 39 BT-Drucks. 17/6051, S. 35. 40 Die Vorgaben sind mit § 37v WpHG vergleichbar. 41 BT-Drucks. 17/6051, S. 38.
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der Vermerk über dessen Versagung sind spätestens neun Monate nach Ablauf des Geschäftsjahrs nachzureichen und nach § 23 Abs.3 VermAnlG42 bekannt machen zu lassen (§ 23 Abs.1 Satz 2 VermAnlG). Die Bekanntmachung ist über die Internetseite des Unternehmensregisters zugänglich zu machen und die Unterlagen sind in entsprechender Anwendung von § 8b Abs.3 Satz 1 Nr.1 HGB vom Betreiber des Bundesanzeigers zu übermitteln (§ 23 Abs.4 VermAnlG). Als Mindestangaben des Jahresberichts schreibt § 23 Abs.2 VermAnlG vor: -
Nr.1: den nach Maßgabe von § 24 VermAnlG aufgestellten und von einem Abschlussprüfer geprüften Jahresabschluss;
-
Nr.2: den nach Maßgabe von § 24 VermAnlG aufgestellten und von einem Abschlussprüfer geprüften Lagebericht;
-
Nr.3: eine den Vorgaben des § 264 Abs.2 Satz 3 HGB bzw. § 289 Abs.1 Satz 5 HGB entsprechende Erklärung der gesetzlichen Vertreter des Emittenten der Vermögensanlagen;43
-
Nr.4: die Bestätigungen des Abschlussprüfers nach § 25 VermAnlG.
Alle Emittenten von Vermögensanlagen mit Sitz im Inland haben für den Jahresabschluss die Bestimmungen des Ersten Unterabschnitts des Zweiten Abschnitts des Dritten Buchs des HGB und für den Lagebericht die Vorgaben von § 289 HGB einzuhalten (§ 24 Abs.1 Satz 1 VermAnlG). Dadurch wird sichergestellt, dass auch ein nach § 267 Abs.1 HGB als kleine Kapitalgesellschaft einzuordnender Emittent einen Lagebericht erstellen und auch seine Gewinn- und Verlustrechnung offenlegen muss.44 Wer entgegen § 24 Abs.1 Satz 1 VermAnlG i.V.m. § 264 Abs.2 Satz 3 HGB oder i.V.m. § 289 Abs.1 Satz 5 HGB eine Versicherung nicht richtig abgibt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft (§ 28 VermAnlG). § 24 Abs.1 Satz 2 VermAnlG erklärt § 264 Abs.1 Satz 4 Halbsatz 1, Absatz 3 und 4 HGB sowie § 264b HGB für nicht anwendbar. Damit gelten auch die Erleichterungen für Kapitalgesellschaften nicht, die Tochterunternehmen eines nach § 290 HGB oder nach § 11 PublG zur Aufstellung eines Konzernabschlusses verpflichteten Mutterunternehmens sind. Die Nichtanwendbarkeit von § 264b HGB schließt die Inanspruchnahme entsprechender Erleichterungen durch Personengesellschaften i.S.v. § 264a Abs.1 HGB aus. § 24 Abs.1 Satz 3 VermAnlG verlangt für den Lagebericht folgende Zusatzangaben: -
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Nr.1: die Gesamtsumme der im abgelaufenen Geschäftsjahr gezahlten Vergütungen, aufgeteilt in feste und variable vom Emittenten von Vermögensanlagen gezahlte Vergütungen, die Zahl der Begünstigten und gegebenenfalls die vom Emittenten der Vermögensanlagen gezahlten besonderen Gewinnbeteiligungen;
-
Nr.2: die Gesamtsumme der im abgelaufenen Geschäftsjahr gezahlten Vergütungen, aufgeteilt nach ________________________ 42 Laut BT-Drucks. 17/6051, S. 38 wollte der Gesetzgeber mit dieser Regelung an das aus seiner Sicht bewährte Verfahren nach § 325 Abs.1 HGB anknüpfen und sicherstellen, dass eine Prüfungsinstanz auf der Grundlage von § 329 HGB die fristgerechte Übermittlung und Vollzähligkeit der Unterlagen überprüft, um bei Verstößen ein Bußgeldverfahren nach § 31 VermAnlG einleiten zu können. 43 Bei Nichtbeachtung droht Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe (§ 28 VermAnlG). 44 BT-Drucks. 17/6051, S. 38.
Führungskräften und Mitarbeitern, deren berufliche Tätigkeit sich wesentlich auf das Risikoprofil des Emittenten auswirkt. Der Gesetzgeber wollte damit eine bessere Offenlegung der Chancen- und Risikoverteilung gegenüber dem Anleger erreichen. Dieser solle insbesondere über außerordentliche Gewinnbeteiligungen von Geschäftsführern, Gesellschaftern, Anbietern und Treuhändern informiert werden.45 Um auszuschließen, dass Emittenten erst ab dem Zeitpunkt des öffentlichen Angebots ihrer Vermögensanlagen den speziellen Rechnungslegungsnormen unterliegen, erklärt § 24 Abs.1 Satz 4 VermAnlG die §§ 23 und 24 Abs.1 Satz 1-3 VermAnlG auf den letzten Jahresabschluss und Lagebericht des Emittenten vor dem öffentlichen Angebot für entsprechend anwendbar. Eine Privilegierung besteht für junge Emittenten, die vor weniger als 18 Monaten vor der Einreichung des Verkaufsprospekts zur Billigung bei der Bundesanstalt nach § 8 VermAnlG gegründet wurden. Haben diese noch keinen Jahresabschluss und keinen Lagebericht erstellt, sind in den Verkaufsprospekt aktuelle und zukünftige Finanzinformationen nach Maßgabe von § 15 Abs.1 VermVerkProspV aufzunehmen (§ 24 Abs.1 Satz 5 VermAnlG). Handelt es sich bei dem Emittenten der Vermögensanlagen um eine Personenhandelsgesellschaft oder das Unternehmen eines Einzelkaufmanns, dürfen das sonstige Vermögen der Gesellschafter oder des Einzelkaufmanns (Privatvermögen) nicht in die Bilanz und die auf das Privatvermögen entfallenden Aufwendungen und Erträge nicht in die Gewinnund Verlustrechnung aufgenommen werden (§ 24 Abs.2 VermAnlG).46 Emittenten von Vermögensanlagen mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat oder EWR-Vertragsstaat haben für den Jahresabschluss und den Lagebericht die gleichwertigen dort jeweils für Kapitalgesellschaften geltenden Rechnungslegungsvorschriften anzuwenden (§ 24 Abs.3 Satz 1 und 2 VermAnlG). Der Lagebericht muss zusätzlich die in § 24 Abs.1 Satz 3 VermAnlG genannten Angaben enthalten (§ 24 Abs.3 Satz 3 VermAnlG). Sieht das ausländische Recht keinen Lagebericht vor, können diese Zusatzangaben auch in den Jahresabschluss aufgenommen oder in einer gesonderten Erklärung beigefügt werden (§ 24 Abs.3 Satz 4 VermAnlG).47 Ist der Jahresabschluss oder der Lagebericht, den ein Emittent gemäß den nach § 24 Abs.3 Satz 1-4 VermAnlG anwendbaren Vorschriften zu erstellen hat, nicht in deutscher Sprache verfasst, ist eine Übersetzung in die deutsche Sprache beizufügen (§ 24 Abs.3 Satz 6 VermAnlG). Emittenten von Vermögensanlagen mit Sitz außerhalb der EU-Mitgliedstaaten und der anderen EWR-Vertragsstaaten haben einen Jahresabschluss und einen Lagebericht nach den in Deutschland für Kapitalgesellschaften geltenden Rechnungslegungsvorschriften in deutscher Sprache zu erstellen (§ 24 Abs.4 Satz 1 VermAnlG).48 Die Prüfung des Jahresabschlusses und des Lageberichts von inländischen Emittenten sowie von Emittenten i.S.v. § 24 Abs.4 VermAnlG sind nach Maßgabe der Bestimmungen des Dritten Unterabschnitts des Zweiten Abschnitts des Dritten Buchs des HGB zu prüfen (§ 25 Abs.1 ________________________ 45 BT-Drucks. 17/6051, S. 39. 46 Die Vorschrift entspricht § 5 Abs.4 PublG. 47 § 24 Abs.1 Satz 4 und 5 VermAnlG ist entsprechend anzuwenden (§ 24 Abs.3 Satz 5 VermAnlG). 48 § 24 Abs.1 und 2 VermAnlG ist entsprechend anzuwenden (§ 24 Abs.4 Satz 2 VermAnlG).
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Satz 1 VermAnlG). Jahresabschluss und Lagebericht müssen mit dem Bestätigungsvermerk oder einem Vermerk über die Versagung der Bestätigung versehen sein (§ 25 Abs.1 Satz 2 VermAnlG). Bei Emittenten i.S.v. § 24 Abs.3 VermAnlG sind der Jahresabschluss und der Lagebericht durch einen Abschlussprüfer nach den gleichwertigen dort jeweils für Kapitalgesellschaften geltenden Prüfungsvorschriften zu prüfen (§ 25 Abs.1 Satz 3 VermAnlG). § 25 Abs.4 VermAnlG schreibt für sie eine zusätzliche Bestätigung vor. Der Abschlussprüfer hat bei seiner Prüfung auch festzustellen, ob der Emittent die Bestimmungen eines den Vermögensanlagen zugrundeliegenden Gesellschaftsvertrags oder eines Treuhandverhältnisses beachtet hat (§ 25 Abs.2 VermAnlG). Bei Vermögensanlagen i.S.v. § 1 Abs.2 Nr.1–3 VermAnlG ist die Zuweisung von Gewinnen, Verlusten, Einnahmen und Entnahmen zu den einzelnen Kapitalkonten vom Abschlussprüfer zu prüfen sowie deren Ordnungsmäßigkeit zu bestätigen (§ 25 Abs.3 Satz 1 VermAnlG). Dies gilt auch dann, wenn die Vermögensanlage für den Anleger durch einen Treuhänder gehalten wird (§ 25 Abs.3 Satz 2 VermAnlG). Der Gesetzgeber erkannte insoweit eine „besondere Verantwortung“ des Wirtschaftsprüfers, da die Anleger ein besonderes Interesse an einem ordnungsgemäßen Ausweis der Kapitalkonten hätten.49 Ist der Emittent der Vermögensanlagen bereits nach HGB zur Offenlegung des Jahresabschlusses verpflichtet, tritt an die Stelle des Ablaufs des zwölften Monats des dem Abschlussstichtag nachfolgenden Geschäftsjahrs i.S.v. § 325 Abs.1 Satz 2 HGB der Ablauf des neunten Monats (§ 26 Abs.1 VermAnlG). § 326 HGB betreffend die größenabhängigen Erleichterungen für kleine Kapitalgesellschaften ist nach § 26 Abs.2 VermAnlG ausdrücklich nicht anzuwenden. Im Übrigen sind die §§ 23– 26 VermAnlG, die für sämtliche Emittenten gelten, deren Vermögensanlagen nach dem 01.06.2012 im Inland öffentlich angeboten werden, erstmals auf Jahresabschlüsse und Lageberichte für das nach dem 31.12.2013 beginnende Geschäftsjahr anzuwenden (§ 32 Abs.3 VermAnlG).
49 BT-Drucks. 17/6051, S. 39. 50 § 4 VermAnlG normiert in Anlehnung an § 8k VerkProspG die Verschwiegenheitspflicht von bei der Bundesanstalt Beschäftigten, nach § 4 Abs.3 FinDAG beauftragten Personen sowie anderen Personen, die durch dienstliche Berichterstattung Kenntnis von geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen erlangen. 51 Siehe dazu bereits § 16a VerkProspG.
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eine solche Benennung unterblieben, erfolgen die Bekanntgabe bzw. die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung im Bundesanzeiger (§ 5 Abs.1 Satz 2 und Abs.2 Satz 2 VermAnlG). § 14 Abs.1 VermAnlG weist der Bundesanstalt die Funktion der Hinterlegungsstelle für Verkaufsprospekte und Vermögensanlagen-Informationsblätter zu.52 Sie bestätigt den Anbietern den Tag des Eingangs und bewahrt beide Dokumente zehn Jahre auf (§ 14 Abs.2 Satz 1 und 2 VermAnlG). Die Aufbewahrungsfrist beginnt mit dem Schluss des Kalenderjahrs, in dem das jeweilige Dokument hinterlegt worden ist (§ 14 Abs.2 Satz 3 VermAnlG). Einer gesonderten Hinterlegung bedürfen nach § 14 Abs.3 VermAnlG jeder Nachtrag zum Verkaufsprospekt im Fall einer Publikation ergänzender Angaben nach § 11 VermAnlG sowie jede aktualisierte Fassung des Vermögensanlagen-Informationsblatts im Fall einer Aktualisierung nach § 13 Abs.5 VermAnlG. Die Bundesanstalt kann die Werbung mit Angaben untersagen, die geeignet sind, über den Umfang der Prüfung nach § 8 Abs.1 VermAnlG irrezuführen (§ 16 Abs.1 VermAnlG). Vor allgemeinen Maßnahmen in diesem Sinne hat sie die Spitzenverbände der betroffenen Wirtschaftskreise und des Verbraucherschutzes zu hören (§ 16 Abs.2 VermAnlG).53 Für die Praxis noch bedeutsamer sind die Voraussetzungen, unter denen das Gesetz die Untersagung der Veröffentlichung des Verkaufsprospekts bzw. des öffentlichen Angebots vorsieht. Die Untersagungsgründe im ersten Fall sind: -
der Verkaufsprospekt enthält nicht die Angaben, die nach § 7 Abs.1 und 2 VermAnlG, auch i.V.m. der nach § 7 Abs.3 VermAnlG zu erlassenden Rechtsverordnung, erforderlich sind (§ 17 Abs.1 Satz 1 VermAnlG);54
-
die Angaben sind nicht kohärent oder nicht verständlich (§ 17 Abs.1 Satz 1 VermAnlG);55
-
der Anbieter hat entgegen § 14 Abs.1 Satz 2 VermAnlG kein Informationsblatt bei der Bundesanstalt hinterlegt (§ 17 Abs.2 VermAnlG).
V. Kapitalmarktaufsicht
Die Bundesanstalt50 übt die Aufsicht über das Angebot von Vermögensanlagen aus und ist befugt, in diesem Rahmen alle Anordnungen zu treffen, die erforderlich und geeignet sind, um das Angebot von Vermögensanlagen mit dem Vermögensanlagengesetz und den auf seiner Grundlage erlassenen Bestimmungen in Einklang zu halten (§ 3 VermAnlG). Durch die Aufnahme der Vermögensanlagen in die in den §§ 2 Abs.2b WpHG, 1 Abs.11 Satz 1 KWG enthaltenen Kataloge der Finanzinstrumente wurde die Aufsicht durch die Bundesanstalt vereinheitlicht und sichergestellt, dass die jeweiligen spezialgesetzlichen Pflichten im Interesse des Anlegerschutzes auch mit Blick auf Vermögensanlagen erfüllt werden müssen. Die Bekanntgabe und Zustellung von Verfügungen gegenüber einer Person mit Wohnsitz oder einem Unternehmen mit Sitz im Ausland hat grundsätzlich an diejenige Person mit Sitz im Inland zu erfolgen, die der Emittent von Vermögensanlagen mit Auslandssitz der Bundesanstalt aufgrund seiner Verpflichtung nach § 5 Abs.3 VermAnlG benannt hat (§ 5 Abs.1 Satz 1 und Abs.2 Satz 1 VermAnlG).51 Ist ________________________
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Die Untersagungsgründe für den zweiten Fall nennt § 18 Abs.1 VermAnlG, der voraussetzt, dass die Bundesanstalt für eine der nachfolgenden Aussagen Anhaltspunkte hat:56 -
der Anbieter hat entgegen § 6 VermAnlG keinen Verkaufsprospekt veröffentlicht;
-
der Verkaufsprospekt enthält nicht die Angaben, die nach § 7 Abs.1 und 2 VermAnlG, auch i.V.m. der nach § 7 Abs.3 VermAnlG zu erlassenden Rechtsverordnung, erforderlich sind;
-
der Anbieter hat entgegen § 8 VermAnlG einen Verkaufsprospekt vor dessen Billigung veröffentlicht.
Widerspruch und Anfechtungsklage gegen Untersagungsmaßnahmen haben jeweils keine aufschiebende Wirkung (§§ 17 Abs.3, 18 Abs.2 VermAnlG). Dasselbe gilt mit Blick auf solche Maßnahmen, mit denen die Bundesanstalt ihr in § 19 VermAnlG57 normiertes Auskunfts________________________ 52 Die Vorschrift ersetzte § 8i VerkProspG und erstreckt die Hinterlegungspflicht auf die Vermögensanlagen-Informationsblätter. 53 § 16 VermAnlG trat an die Stelle von § 8j VerkProspG. 54 § 10 VermAnlG bleibt unberührt (§ 17 Abs.1 Satz 2 VermAnlG). 55 Insoweit geht § 17 Abs.1 VermAnlG über § 8i Abs.2 Satz 5 VerkProspG hinaus. 56 Die Vorschrift ersetzte § 8i Abs.5 VerkProspG. 57 § 19 Abs.1-3 VermAnlG trat an die Stelle von § 8i Abs.4a-4c VerkProspG.
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recht gegenüber dem Anbieter bzw. solchen Personen geltend macht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, sie seien Anbieter i.S. des Vermögensanlagengesetzes (§ 19 Abs.4 VermAnlG). § 27 Abs.1 VermAnlG berechtigt die Bundesanstalt, für Amtshandlungen nach dem Vermögensanlagengesetz und auf seiner Grundlage erlassenen Rechtsverordnungen Gebühren und Auslagen zu erheben. Das BMF kann durch zustimmungsfreie Rechtsverordnung sowohl die gebührenpflichtigen Tatbestände als auch die Gebührensätze näher bestimmen und dabei feste Sätze und Rahmensätze vorsehen (§ 27 Abs.2 Satz 1 VermAnlG). Diese Ermächtigung kann das BMF durch Rechtsverordnung auf die Bundesanstalt übertragen (§ 27 Abs.2 Satz 2 VermAnlG), die schließlich sowohl für den allgemeinen Bußgeldkatalog (§ 29 VermAnlG) als auch für die speziellen Bußgeldandrohungen zur Rechnungslegung (§ 30 VermAnlG) Verwaltungsbehörde i.S.v. § 36 Abs.1 Nr.1 OWiG ist (§§ 29 Abs.4, 30 Abs.3 VermAnlG). Sie kann die der Verhängung eines unanfechtbaren Ordnungsgelds gegen einen Emittenten von Vermögensanlagen zugrundeliegenden Tatsachen im Bundesanzeiger öffentlich bekannt machen, soweit dies zur Beseitigung oder Verhinderung von Missständen geboten ist (§ 31 Abs.4 VermAnlG). Das Bundesamt für Justiz teilt der Bundesanstalt diejenigen Emittenten von Vermögensanlagen mit Sitz außerhalb des Geltungsbereichs des Vermögensanlagengesetzes mit, die entgegen § 23 VermAnlG ihrer Pflicht zur Einreichung eines Jahresberichts nicht nachgekommen sind und gegen die aus diesem Grund unanfechtbare Ordnungsgelder verhängt worden sind (§ 31 Abs.3 VermAnlG). Dagegen schreibt § 31 Abs.2 VermAnlG vor, dass die Bundesanstalt dem Betreiber des Bundesanzeigers mindestens einmal jährlich Name und Anschrift der ihr bekannt werdenden Emittenten von Vermögensanlagen sowie den Bevollmächtigten i.S.v. § 5 Abs.3 VermAnlG übermittelt. Schließlich werden die Ordnungsgeldvorschriften des § 335 HGB für entsprechend anwendbar erklärt (§ 31 Abs.1 VermAnlG), der somit Grundlage für ein Vorgehen gegen die Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs des Emittenten, aber auch für ein Vorgehen gegen den Emittenten selbst werden kann. VI. Prospekthaftung
Die Haftung bei fehlerhaftem Verkaufsprospekt normiert § 20 VermAnlG. Sind für die Beurteilung der Vermögensanlagen wesentliche Angaben in einem Verkaufsprospekt unrichtig oder unvollständig, kann der Erwerber der Vermögensanlagen deren Übernahme gegen Erstattung des Erwerbspreises und der mit dem Erwerb verbundenen üblichen Kosten verlangen, sofern das Erwerbsgeschäft nach der Prospektveröffentlichung und während der Dauer des öffentlichen Angebots, spätestens jedoch innerhalb von zwei Jahren nach dem ersten öffentlichen Angebot der Vermögensanlagen im Inland, abgeschlossen wurde (§ 20 Abs.1 Satz 1 VermAnlG). Der Gesetzgeber empfand die bislang geltende Ausgestaltung der Haftung nach § 44 BörsG i.V.m. § 13 VerkProspG als für Vermögensanlagen nicht sachgerecht, weil bei diesen dem Verkaufsprospekt eine weitaus größere und auch zeitlich längere Bedeutung für die Anlageentscheidung zukomme. Zum einen sei der Verkaufsprospekt für die Anleger oftmals die zentrale und einzige Informationsquelle, weil es im Bereich der Vermögensanlagen häufig keine weiteren Informationen oder effiziente Preisbildungsmechanismen wie an den Wertpapiermärkten gebe. Daher könne bei Vermögensanlagen auch nicht davon ausgegangen werden, der Verkaufspros-
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pekt rufe nur vorübergehend und nur zu Beginn der Platzierungsphase eine aktuelle Anlagestimmung hervor. Zum anderen könne die Platzierungsphase mehrere Jahre dauern, ohne dass die Initiatoren die Grundkonzeption der Vermögensanlage änderten. Nach bisherigem Recht könne es bei längeren Platzierungsphasen vorkommen, dass einem Anleger bereits im Erwerbszeitpunkt von vornherein kein Prospekthaftungsanspruch auf der Grundlage fehlerhafter Prospektangaben (mehr) zustehe.58 Für Anleger, die eine Vermögensanlage später als sechs Monate nach dem ersten Angebot im Inland erwerben, verkörpere eine Ausschlussfrist von sechs Monaten eine sachlich nicht gerechtfertigte Benachteiligung. Andererseits begrenze die Dauer des öffentlichen Angebots den in Frage kommenden Haftungszeitraum nach oben, da der Anbieter nach § 11 VermAnlG nur während dieser Zeit die Pflicht habe, den Verkaufsprospekt durch Nachträge auf aktuellem Stand zu halten, der Verkaufsprospekt mithin danach von Gesetzes wegen veraltet sein dürfe. Gründe der Rechtssicherheit veranlassten den Gesetzgeber dennoch, eine maximale Ausschlussfrist festzuschreiben. Wegen der teilweise langen Platzierungsdauern im Bereich der Vermögensanlagen erschien ihm eine Verlängerung auf zwei Jahre angemessen. Die Anleger würden durch den nach § 7 Abs.2 Satz 2 VermAnlG verpflichtenden Hinweis im Prospekt auf die beschränkte Dauer möglicher Prospekthaftungsansprüche aufmerksam gemacht.59 Als Anspruchsgegner haften diejenigen, die für den Verkaufsprospekt die Verantwortung übernommen haben, und diejenigen, von denen der Erlass des Verkaufsprospekts ausgeht, als Gesamtschuldner. Daneben ist zu beachten, dass die Erstattung des Erwerbspreises nur verlangt werden kann, wenn dieser den ersten Erwerbspreis der Vermögensanlagen nicht überschreitet. Dies gilt entsprechend für den Erwerb von Vermögensanlagen desselben Emittenten, die sich weder nach Ausstattungsmerkmalen noch in sonstiger Weise unterscheiden (§ 20 Abs.1 Satz 2 VermAnlG). Ist der Erwerber nicht mehr Inhaber der Vermögensanlagen, kann er die Zahlung des Unterschiedsbetrags zwischen dem Erwerbspreis – soweit dieser den ersten Erwerbspreis nicht überschreitet – und dem Veräußerungspreis der Vermögensanlagen sowie der mit dem Erwerb und der Veräußerung verbundenen üblichen Kosten verlangen (§ 20 Abs.2 Satz 1 VermAnlG).60 Das Gesetz sieht allerdings auch einige Haftungsausschlüsse vor. So kann nach § 20 Abs.1 oder Abs.2 VermAnlG nicht in Anspruch genommen werden, wer nachweist, dass er die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben des Verkaufsprospekts nicht gekannt hat und dass diese Unkenntnis nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht (§ 20 Abs.3 VermAnlG). Nach § 20 Abs.4 VermAnlG besteht der Anspruch nach § 20 Abs.1 oder Abs.2 VermAnlG zudem nicht, sofern die Vermögensanlagen nicht aufgrund des Verkaufsprospekts erworben wurden (Nr.1), der Sachverhalt, über den unrichtige oder unvollständige Angaben im Verkaufsprospekt enthalten sind, nicht zu einer Minderung des Erwerbspreises der Vermögensanlagen beigetragen hat (Nr.2) oder der Erwerber die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben des Verkaufsprospekts beim Erwerb kannte (Nr.3). Werden Vermögensanlagen eines Emittenten mit Sitz im Ausland auch im Ausland öffentlich angeboten, besteht der Anspruch nach § 20 Abs.1 ________________________ 58 BT-Drucks. 17/6051, S. 36. 59 BT-Drucks. 17/6051, S. 36 f. 60 § 20 Abs.1 Satz 2 VermAnlG ist anzuwenden (§ 20 Abs.2 Satz 2 VermAnlG).
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oder Abs.2 VermAnlG nur, sofern die Vermögensanlagen aufgrund eines im Inland abgeschlossenen Geschäfts oder einer ganz oder teilweise im Inland erbrachten Wertpapierdienstleistung erworben wurden (§ 20 Abs.5 VermAnlG). Die spezialgesetzlichen Prospekthaftungsansprüche sind als zwingendes Recht ausgestaltet. Nach § 20 Abs.6 Satz 1 VermAnlG ist eine Vereinbarung, durch die der Anspruch nach § 20 Abs.1 oder Abs.2 VermAnlG im Voraus ermäßigt oder erlassen wird, unwirksam. Dagegen bleiben weitergehende Ansprüche, die nach allgemeinem Vertrags- oder Deliktrecht erhoben werden können, nach § 20 Abs.6 Satz 2 VermAnlG unberührt. Die Haftung bei fehlendem Verkaufsprospekt – und somit bei einem Verstoß gegen § 6 VermAnlG – ist in § 21 VermAnlG weitgehend am Vorbild des § 20 VermAnlG orientiert. So entspricht § 21 Abs.1 und 2 VermAnlG der Regelung in § 20 Abs.1 und 2 VermAnlG, wobei die gesamtschuldnerische Haftung allerdings den Emittenten der Vermögensanlagen und den Anbieter trifft. Als Anbieter versteht der Gesetzgeber denjenigen, der für das öffentliche Angebot der Vermögensanlage verantwortlich ist und den Anlegern gegenüber nach außen erkennbar als Anbieter auftritt, so dass er auch mit dem Emittenten identisch sein kann.61 § 21 Abs.3 VermAnlG entspricht § 20 Abs.5 VermAnlG und § 21 Abs.5 VermAnlG entspricht § 20 Abs.6 VermAnlG, wobei die Ausgestaltung als zwingendes Recht hier auch die Ansprüche nach § 21 Abs.3 VermAnlG umfasst. Der augenscheinlichste Unterschied besteht bei der Regelung zum Haftungsausschluss, der nach § 21 Abs.4 VermAnlG nur eingreift, sofern der Erwerber die Pflicht, einen Verkaufsprospekt zu veröffentlichen, beim Erwerb kannte. Schließlich ist auch die Haftung bei unrichtigem Vermögensanlagen-Informationsblatt in § 22 VermAnlG ganz überwiegend an § 20 VermAnlG ausgerichtet.62 Die Absätze 2-6 in beiden Vorschriften sind nahezu identisch. Allerdings bleibt § 20 Abs.4 Nr.1 VermAnlG gänzlich ausgeklammert, da die Kausalität insoweit nicht vermutet wird, sondern – wie in § 127 InvG – vom Anleger dargelegt und bewiesen werden muss. Ferner wird in § 22 Abs.3 und 4 VermAnlG – insoweit abweichend von § 20 Abs.3 und Abs.4 Nr.2 und 3 VermAnlG – die Unvollständigkeit der Angaben nicht erfasst. Der Gesetzgeber befürchtete andernfalls eine Überfrachtung der Informationsblätter, die dem Ziel von kurzen und verständlichen Informationen gerade entgegenstehen würde.63 Ein Anspruch mit der Begründung, die Angaben im Vermögensanlagen-Informationsblatt seien unvollständig, scheidet somit – ebenso wie zu § 127 InvG – von vornherein aus.64 Im Grundtatbestand macht § 22 Abs.1 VermAnlG die Haftung des Anbieters gegenüber einer Person, die Vermögensanlagen aufgrund von Angaben in einem Vermögensanlagen-Informationsblatt erworben hat, davon abhängig, dass die im Informationsblatt enthaltenen Angaben irreführend, unrichtig oder nicht mit den einschlägigen Teilen des Verkaufsprospekts vereinbar sind (Nr.1) und das Erwerbsgeschäft nach der Veröffentlichung des Verkaufsprospekts und während der Dauer des öffentlichen Angebots abgeschlossen wurde, spätestens jedoch innerhalb von zwei Jahren nach dem ersten öffentlichen Angebot der ________________________ 61 BT-Drucks. 17/6051, S. 32 unter Hinweis auf BT-Drucks. 15/3174. 62 Die Vorschrift setzte ebenso wie die §§ 21, 23 Abs.2 Nr.5 WpPG, 127 Abs.2 InvG die Vorgaben aus Art. 6 Abs.2 der Richtlinie 2003/71/EG sowie aus Art. 79 Abs.2 der Richtlinie 2009/65/EG um. 63 BT-Drucks. 17/6051, S. 37 f. 64 BT-Drucks. 17/6051, S. 38.
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Vermögensanlagen im Inland (Nr.2). Der Betroffene kann auch hier lediglich die Übernahme der Vermögensanlagen gegen Erstattung des Erwerbspreises – soweit dieser den ersten Erwerbspreis der Vermögensanlagen nicht überschreitet – und der mit dem Erwerb verbundenen üblichen Kosten verlangen. Durch Art. 6 Nr.4 des Gesetzes zur Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagenrechts wurde – ebenfalls mit Wirkung zum 01.06.2012 – ein neuer Abschnitt 6 zur Prospekthaftung in das WpPG eingefügt, der die §§ 20 ff. VermAnlG zum Verkaufsprospekt ergänzt und die §§ 44–47 BörsG ersetzt, die zum selben Datum aufgehoben wurden.65 Die Haftung bei fehlerhaftem Börsenzulassungsprospekt normiert § 21 WpPG.66 Danach kann der Erwerber von Wertpapieren, die aufgrund eines Prospekts zum Börsenhandel zugelassen sind, in dem für die Beurteilung der Wertpapiere wesentliche Angaben unrichtig oder unvollständig sind, die Übernahme der Wertpapiere gegen Erstattung des Erwerbspreises und der mit dem Erwerb verbundenen üblichen Kosten verlangen, sofern das Erwerbsgeschäft nach Veröffentlichung des Prospekts und innerhalb von sechs Monaten nach erstmaliger Einführung der Wertpapiere abgeschlossen wurde (§ 21 Abs.1 Satz 1 WpPG). Diejenigen, die für den Prospekt die Verantwortung übernommen haben (Nr.1), haften als Gesamtschuldner mit denjenigen, von denen der Erlass des Prospekts ausgeht (Nr.2). Daneben ist zu beachten, dass die Erstattung des Erwerbspreises nur verlangt werden kann, soweit dieser den ersten Ausgabepreis der Wertpapiere nicht überschreitet. Ist kein Ausgabepreis festgelegt, gilt als Ausgabepreis der erste nach Einführung der Wertpapiere festgestellte oder gebildete Börsenpreis, im Fall gleichzeitiger Feststellung oder Bildung an mehreren inländischen Börsen der höchste erste Börsenpreis (§ 21 Abs.1 Satz 2 WpPG).67 Ist der Erwerber nicht mehr Inhaber der Wertpapiere, kann er die Zahlung des Unterschiedsbetrags zwischen dem Erwerbspreis – soweit dieser den ersten Ausgabepreis nicht überschreitet – und dem Veräußerungspreis der Wertpapiere sowie der mit dem Erwerb und der Veräußerung verbundenen üblichen Kosten verlangen (§ 21 Abs.2 Satz 1 WpPG).68 Sind Wertpapiere eines Emittenten mit Sitz im Ausland auch im Ausland zum Börsenhandel zugelassen, besteht ein Anspruch nach § 21 Abs.1 oder 2 WpPG nur, sofern die Wertpapiere aufgrund eines im Inland abgeschlossenen Geschäfts oder einer ganz oder teilweise im Inland erbrachten Wertpapierdienstleistung erworben wurden (§ 21 Abs.3 WpPG). Einem Prospekt steht jeweils eine schriftliche Darstellung gleich, aufgrund deren Veröffentlichung der Emittent von der Veröffentlichung eines Prospekts befreit wurde (§ 21 Abs.4 WpPG). § 22 WpPG normiert die Haftung bei sonstigem fehlerhaften Prospekt und meint damit den Fall, dass in einem nach § 3 Abs.1 Satz 1 WpPG veröffentlichten Prospekt, der nicht Grundlage für die Zulassung von Wertpapieren zum ________________________ 65 Für Ansprüche wegen fehlerhafter Prospekte, die Grundlage für die Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einer inländischen Börse sind und die vor dem 01.06.2012 im Inland veröffentlicht worden sind, sind die §§ 44-47 BörsG in der bis zum 31.05.2012 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden (§ 52 Abs.8 BörsG). 66 Die Vorschrift ersetzte § 44 BörsG. 67 Auf den Erwerb von Wertpapieren desselben Emittenten, die von den in § 21 Abs.1 Satz 1 WpPG genannten Wertpapieren nicht nach Ausstattungsmerkmalen oder in sonstiger Weise unterschieden werden können, ist § 21 Abs.1 Satz 1 und 2 WpPG entsprechend anzuwenden (§ 21 Abs.1 Satz 3 WpPG). 68 § 21 Abs.1 Satz 2 und 3 WpPG ist anzuwenden (§ 21 Abs.2 Satz 2 WpPG).
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Handel an einer inländischen Börse ist, für die Beurteilung der Wertpapiere wesentliche Angaben unrichtig oder unvollständig sind.69 § 21 WpPG ist dann entsprechend anzuwenden mit der Maßgabe, dass bei der Anwendung von § 21 Abs.1 Satz 1 WpPG für die Bemessung des Zeitraums von sechs Monaten anstelle der Einführung der Wertpapiere der Zeitpunkt des ersten öffentlichen Angebots im Inland maßgeblich ist (Nr.1) und § 21 Abs.3 WpPG auf diejenigen Emittenten mit Sitz im Ausland anzuwenden ist, deren Wertpapiere auch im Ausland öffentlich angeboten werden (Nr.2). Nach den §§ 21 oder 22 WpPG kann nicht in Anspruch genommen werden, wer nachweist, dass er die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Prospektangaben nicht gekannt hat und dass diese Unkenntnis nicht auf grober Fahrlässigkeit beruht (§ 23 Abs.1 WpPG). Einen weiteren Haftungsausschluss sieht § 23 Abs.2 WpPG vor. Danach besteht ein Anspruch nach den §§ 21 oder 22 WpPG nicht, sofern alternativ eine der folgenden Voraussetzungen gegeben ist: -
Nr.1: die Wertpapiere wurden nicht aufgrund des Prospekts erworben;
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Nr.2: der Sachverhalt, über den unrichtige oder unvollständige Angaben im Prospekt enthalten sind, hat nicht zu einer Minderung des Börsenpreises der Wertpapiere beigetragen;
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Nr.3: der Erwerber kannte beim Erwerb die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Prospektangaben;
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Nr.4: vor Abschluss des Erwerbsgeschäfts wurde im Rahmen des Jahresabschlusses oder Zwischenberichts des Emittenten, einer Veröffentlichung nach § 15 WpHG oder einer vergleichbaren Bekanntmachung eine deutlich gestaltete Berichtigung der unrichtigen oder unvollständigen Angaben im Inland veröffentlicht;
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Nr.5: der Anspruch ergibt sich ausschließlich aufgrund von Angaben in der Zusammenfassung oder einer Übersetzung, es sei denn, die Zusammenfassung ist irreführend, unrichtig oder widersprüchlich, wenn sie zusammen mit den anderen Teilen des Prospekts gelesen wird.
Die Haftung bei fehlendem Prospekt in § 24 WpPG orientiert sich weitgehend an § 21 WpPG, wobei hier Emittent
Kocks/Diris: Kündigung (Niederlande u. Belgien)
und Anbieter gesamtschuldnerisch haften (§ 24 Abs.1 Satz 1 WpPG).71 § 24 Abs.1 Satz 2 WpPG entspricht § 21 Abs.1 Satz 3 WpPG, § 24 Abs.2 und 3 WpPG entspricht § 21 Abs.2 und 3 WpPG. Dagegen lässt § 24 Abs.4 WpPG einen Haftungsausschluss nur zu, sofern der Erwerber die Pflicht, einen Prospekt zu veröffentlichen, beim Erwerb kannte. Da die Zulassung zum Handel an einer inländischen Börse einen Prospekt voraussetzt (§ 32 Abs.3 Nr.2 BörsG), beschränkt sich der Anwendungsbereich von § 24 WpPG von vornherein auf solche Prospekte, die nicht Grundlage für die Zulassung von Wertpapieren zum Handel an einer inländischen Börse sind.72 Ebenso wie beim Verkaufsprospekt ist die Prospekthaftung auch hier als zwingendes Recht ausgestaltet. Eine Vereinbarung, durch die Ansprüche nach den §§ 21, 22 oder 24 WpPG im Voraus ermäßigt oder erlassen werden, ist nach § 25 Abs.1 WpPG unwirksam.73 Dagegen bleiben weitergehende Ansprüche unberührt, die nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts aufgrund von Verträgen oder unerlaubten Handlungen erhoben werden können (§ 25 Abs.2 WpPG). Da die bislang in § 46 BörsG verortete Sonderverjährungsvorschrift ersatzlos entfallen ist, gelten für Haftungsansprüche wegen fehlerhafter oder fehlender Prospekte in Zukunft die allgemeinen Verjährungsregeln des BGB.74 Schließlich ist für sämtliche Prospekthaftungsansprüche nach den §§ 20, 21 und 22 VermAnlG, 21, 22 und 24 WpPG der ausschließliche Gerichtsstand des § 32b ZPO einschlägig. Wegen des eindeutigen Wortlauts der Norm wurde auf eine ausdrückliche Anordnung ihrer Anwendbarkeit in den kapitalmarktrechtlichen Spezialgesetzen verzichtet.75 ________________________ 69 Nach BT-Drucks. 17/6051, S. 46 übernahm § 22 WpPG das Haftungsregime des § 13 VerkProspG und gilt für sämtliche Prospekte i.S. des WpPG, „die keine Börsenzulassungsprospekte sind, unabhängig davon, ob die Wertpapiere, auf die sich der Prospekt bezieht, zu einem früheren Zeitpunkt (auf der Grundlage eines anderen Prospektes) zum Handel an einer inländischen Börse zugelassen wurden“. 70 § 23 WpPG ersetzte § 45 BörsG. 71 § 24 WpPG übernahm mit Ausnahme der Sonderverjährung das Haftungsregime des § 13a VerkProspG, soweit dieser fehlende Prospekte für Wertpapiere betroffen hatte. 72 Der Gesetzgeber erachtete in BT-Drucks. 17/6051, S. 47 eine entsprechende Klarstellung als entbehrlich. 73 § 25 WpPG trat an die Stelle von § 47 BörsG. 74 BT-Drucks. 17/6051, S. 46. 75 BT-Drucks. 17/7453, S. 72 und 76.
RA Christoph Kocks / RA David Diris
Neuausrichtung der Vertriebsstrategie als schwerwiegender Kündigungsgrund eines Vertriebsvertrages in den Niederlanden und Belgien Kocks/Diris: Kündigung (Niederlande u. Belgien) I. Urteil vom 29. Mai 2012, Gerichtshof Leeuwarden, Niederlande
Am 29. Mai 2012 fällte der Gerichtshof Leeuwarden, Niederlande, ein bemerkenswertes Urteil in dem Verfahren HET LANGEDIJKER BED und KUBIZ gegen AUPING1. ________________________ 1
http://zoeken.rechtspraak.nl, LJN: BW7193
Der Sachverhalt kann wie folgt kurz zusammengefasst werden: AUPING ist ein niederländischer Betten- und Matratzenhersteller mit einem weitläufigen Vertriebsnetzwerk und mit einem Anteil von ca. 20 % am niederländischen Markt. HET LANGEDIKKER BED (nachfolgend HLB) war schon seit 1996 Vertragshändler von AUPING, KUBIZ hingegen ist seit ihrer Gründung im Jahre 2009 Teil des Vertriebsnetzwerkes (eine in KUBIZ eingebrachte Offene Handelsgesellschaft (OHG) war
Kocks/Diris: Kündigung (Niederlande u. Belgien)
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schon seit 1997 Vertragshändler). Sowohl HLB als auch KUBIZ kauften jährlich AUPING-Produkte im Wert von mehr als € 800.000,-. Dadurch betrug der AUPING-Anteil 55 % bzw. 39 % ihres Gesamtumsatzes. Ab 2010 veränderte sich AUPING’s Vertriebsstrategie grundlegend: Das Vertriebsnetz wurde mit Blick auf eine qualitative Aufwertung der verbleibenden Vertragshändler stark verkleinert. Einer der Grundpfeiler der neuen Vertriebsstrategie war die Gründung von AUPING PLAZA’S, d.h. Geschäfte die ausschließlich das komplette AUPING-Sortiment verkaufen. Die Vertriebsverträge von HLB und KUBIZ wurden im Zuge der Neugestaltung durch AUPING mit Schreiben vom 21. Januar 2011 zum 31. Dezember 2011 beziehungsweise mit Schreiben vom 31. Dezember 2011 zum 31. Januar 2012 aufgekündigt. In erster Instanz forderten HLB und KUBIZ im Eilverfahren die Rücknahme des Kündigungsschreibens und den Abschluss eines neuen Vertriebsvertrages mit AUPING gemäß der neuen Vertriebspolitik. AUPING hielt dem entgegen, dass ihr Marktanteil in dem von HLB und KUBIZ bearbeiteten Gebiet zwar im Verhältnis doppelt so hoch sei wie der Gesamtmarktanteil, dies allerdings vor allem durch qualitativ minderwertige Geschäfte bewerkstelligt werde und AUPING PLAZA’s kaum vorhanden seien. AUPING befürchtete, dass solch ein gebrechlicher Verkaufsapparat ihr in Zukunft Schwierigkeiten bereiten und dies zu Umsatzverlusten führen könnte. Das erstinstanzliche Gericht wies HLB und KUBIZ’s Forderungen ab, da das Gericht einerseits die Auffassung vertrat, dass AUPING keine berechtigen Gründe angeben muss, da HLB und KUBIZ noch ausreichend andere Bettenmarken verkaufen, und andererseits, weil das Einführen einer geänderten Vertriebsstrategie einen ausreichenden Grund für eine Kündigung darstellt. Die Frage, ob eine veränderte Vertriebsstrategie aus strategischer Sicht angebracht ist, wird hier nicht beurteilt, da dies Teil der unternehmerischen Freiheit ist. Zum Schluss stellte das Gericht fest, dass die zugesprochenen Kündigungsfristen von angemessener Dauer waren. Das Berufungsgericht wiederholt die Prinzipien bezüglich der Kündigung von unbefristeten Verträgen im niederländischen Recht, die im bekannten Urteil LATOUR gegen DE BRUIJN des Niederländischen Hohen Rates (Nederlandse Hoge Raad)2 erläutert wurden. Darin beschloss der Hohe Rat, dass unbefristete Verträge, die keine Kündigung vorsehen, im Prinzip kündbar sind. Die Forderung von Angemessenheit und Billigkeit in Verbindung mit der Art und dem Inhalt des Vertrages sowie die Umstände der Kündigung können dazu führen, dass die Kündigung lediglich dann möglich ist, wenn ein schwerwiegender Grund vorliegt.
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verlangen. Im Zusammenhang mit den Umständen verweist das Gericht auf : -
hohe absolute Umsätze durch AUPING- Produkte für HLB und KUBIZ; Dauer der Zusammenarbeit; hoher Anteil von AUPING- Produkten am Gesamtumsatz von HLB und KUBIZ; prekäre finanzielle Situation von KUBIZ.
Hinsichtlich der Frage, ob eine veränderte Vertriebsstrategie einen schwerwiegenden Grund darstellt, nuanciert das Gericht zuerst – wie auch das erstinstanzliche Gericht – , dass das Gericht nicht beurteilen kann, ob die neue Strategie an sich richtig oder zweckmäßig ist, da dies zur unternehmerischen Freiheit gehört. Das Gericht kann aber sehr wohl überprüfen, ob die neue Strategie wirklich dazu diente, die Kündigung von HLB und KUBIZ herbeizuführen. In beiden Fällen schlussfolgert das Gericht, dass die Kündigung mit Blick auf die neue Vertriebsstrategie notwendig war. Im Grunde läuft es darauf hinaus, dass einerseits die Kündigung nötig war, um in beiden Gebieten einen PLAZA zu errichten beziehungsweise den bestehenden PLAZA rentabel zu machen, und andererseits hätte nicht in Betracht gezogen werden können, HLB und KUBIZ selbst in ein PLAZA umzuwandeln, sofern beide auch andere Marken verkaufen. Das Gericht stellt schließlich fest, dass die zugesprochenen Kündigungsfristen angemessen waren und kein zusätzlicher Schadensersatz beantragt wurde. II. Urteil vom 23. Mai 2011, Berufungsgericht Lüttich, Belgien
Als Referenzpunkt im belgischen Recht verweisen wir kurz auf ein Urteil4 des Berufungsgerichts Lüttich vom 23. Mai 2011, das mit der belgischen Rechtsprechung5 bezüglich des Einflusses einer Neugestaltung des Verteilernetzwerkes auf die bestehenden Vertriebsverträge im Einklang steht (wobei vorliegend die Neugestaltung jeweils darauf hinauslief, dass der Prinzipal die Exklusivität des Vertragshändlers einschränkte). In diesem Fall waren ein französischer Hersteller, ORAPI, und sein belgischer Vertragshändler, ALITTEX, betroffen, wobei ORAPI – genau wie AUPING – ab einem gewissen Zeitpunkt seine Verkaufsstrategie verändern und den belgischen Markt selbst bearbeiten wollte. Die belgische Kundschaft wurde zu diesem Zweck schriftlich gebeten, ihre Bestellung direkt bei ORAPI aufzugeben. Gleichzeitig öffnete ORAPI sein eigenes Büro in dem Vertragsgebiet von ALITTEX.
In einem früheren Urteil desselben Gerichtshofs Leeuwaarden in einer Angelegenheit gegen AUPING3 hatte das Gericht beschlossen, dass solche schwerwiegenden Gründe angesichts der Umstände zwar erforderlich, jedoch nicht vorhanden waren. Auch in dieser Angelegenheit von HLB und KUBIZ ist das Berufungsgericht – im Gegensatz zum erstinstanzlichen Gericht – der Ansicht, dass die Umstände sowie die Art und der Inhalt des Vertrages einen schwerwiegenden Grund für die Kündigung
Das Berufungsgericht Lüttich urteilte, dass diese Neugestaltung als sogenannter „acte équipollent à rupture“ gelte beziehungsweise als eine Handlung, die nicht anders gedeutet werden kann, als der implizite Wille, den Vertriebsvertrag zu beenden6. Demzufolge verurteilte das Berufungsgericht ORAPI zur Zahlung einer angemessenen Kündigungsentschädigung und einer redlichen Zusatzentschädigung wegen der Beendigung des Vertriebsvertrages ohne angemessene Kündigungsfrist und ohne wichtigen ________________________
________________________
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2 3
Hoge Raad 3. Dezember 1999, http://zoeken.rechtspraak.nl, LJN : AA3821 Berufungsgericht Leeuwaarden 17. Januar 2012, http://zoeken.rech tspraak.nl, LJN : BV1085
6
Lüttich, 23. Mai 2011, DAOR 2011, 540. Vgl. bspw. HG Kortrijk, 28. Juni 1988, zitiert in G. BOGAERT en P. MAEYAERT (eds.), Distributierecht 1987-1992, Antwerpen, Kluwer, 1994, 24; Brüssel 23. September 1999, DAOR 2000, 55 und Brüssel 15.März 2006, JLMB 2007, 479. Vgl. HG Lüttich, 16. April 2004, DAOR 2004, 29.
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Grund, der solch eine kurzfristige Beendigung hätte rechtfertigen können. III. Analyse der unterschiedlichen Betrachtungsweisen der Gerichte in Belgien und in den Niederlanden
Die grundsätzlich verschiedenen Ergebnisse nach niederländischem und belgischem Recht hinsichtlich der quasi identischen Sachlage (der Prinzipal beabsichtigt, sein Verkaufsnetzwerk umzugestalten) findet unserer Ansicht nach seinen Ursprung in zwei wesentlichen Unterschieden zwischen dem niederländischen und dem belgischen Vertriebsrecht. Beide Rechtssysteme gehen von denselben Prinzipien aus: Verträge von unbefristeter Dauer sind im Prinzip kündbar, jedoch kann eine Kündigungsfrist verlangt werden. In den Niederlanden wird dies bezüglich der unbefristeten Vertriebsverträge aus der Rechtsprechung des Hohen Rates7 abgeleitet, in Belgien hingegen (für bestimmte Kategorien von unbefristeten Vertriebsverträgen) ist dies im Gesetz vom 27. Juli 19618 über die einseitige Kündigung von unbefristeten Alleinvertriebsverträgen festgelegt. Ein erster großer Unterschied ist jedoch die Tatsache, dass nach niederländischer Rechtsprechung verlangt werden kann, dass ein schwerwiegender Grund vorhanden ist, bevor der unbefristete Vertriebsvertrag gekündigt werden kann. In Belgien dagegen hat eine Kündigung immer Auswirkungen, selbst dann, wenn diese rechtswidrig ist (zum Beispiel Nichtbeachtung der Kündigungsfrist). Eine Wiedergutmachung in natura wird einstimmig abgelehnt9. Kommt es zu einer eindeutigen Willensäußerung einer der Parteien hinsichtlich der Beendigung des Vertriebsvertrages, welche die andere zu Kenntnis nehmen kann, sei es explizit (z.B. in Form ein Kündigungsschreiben) oder implizit (z.B. „acte équipollant à rupture“), ist dieser Vertrag als beendet anzusehen10. Demnach ist in Belgien zur Kündigung eines unbefristeten Vertrages auch niemals ein Beweggrund erforderlich. Die Frage bezüglich des Beweggrundes spielt erst bei der Beurteilung eine Rolle, ob die Kündigung nun rechtswidrig war oder nicht ( s. nachstehend). Beide Aspekte sind vor dem Hintergrund des grundlegenden Unterschieds zwischen belgischem und niederländischem Recht zu betrachten, wonach in den Niederlanden die gekündigte Vertragspartei die Möglichkeit hat, die Wiederaufnahme ins Vertriebsnetzwerk zu fordern, während dies im belgischen Recht (außer in Ausnahmefällen von kurzer Dauer11) nicht möglich ist. Im belgischen Recht kann lediglich Schadensersatz beansprucht werden12. Der zweite große Unterschied zwischen der Anwendung des belgischen und niederländischen Rechts ergibt sich dann aus dem Vorstehenden. Im niederländischen Recht liegt der Fokus der Diskussion bezüglich des Bestehens von schwerwiegenden Gründen auf der Frage, OB der Vertriebsvertrag gekündigt werden kann, während im belgischen Recht der schwerwiegende Grund nur bei einer Schadenersatzforderung wegen fehlerhafter Kündigung relevant ist. ________________________ 7 8 9
Spezifisch für Vertriebsverträge: Hoge Raad van 3 december 1999, NJ 2000, 120 (Latour/De Bruijn). Offizielle deutsche Übersetzung: http://www.ejustice.just.fg ov.be/mopdf/1999/12/09_1.pdf (p. 208). Bspw. Kass. 21. Juni 1962, Pas. 1962, I, 1197; Kass 9. März 1973, Pas. 1973, I, 640 ; Kass. 6. November 1987, Urteile Kass. 1987-88, 310; Kass. 24. April 1998, Arr.Cass. 1998, 466 und Gent 14. November 2005, TGR-TWVR 2007, 275.
Kocks/Diris: Kündigung (Niederlande u. Belgien)
Aus dem vorstehend erwähnten Urteil des Berufungsgerichts Leeuwarden lässt sich ableiten, dass unbefristete Vertriebsverträge nach niederländischem Recht im Prinzip kündbar sind, jedoch unter Zugrundelegung von Angemessenheit und Billigkeit infolge der Art und des Inhalts des Vertriebsvertrag und der Umstände des Falles kann darauf erkannt werden, dass ein ausreichend schwerwiegender Grund für die Kündigung notwendigerweise vorliegen muss. Unter welchen Umständen Angemessenheit und Billigkeit solch einen schwerwiegenden Grund verlangen und welche Fakten als schwerwiegende Gründe herangezogen werden können, ist rein kasuistisch. In dem von uns zitierten Urteil des Berufungsgerichts Leeuwarden beschloss das Berufungsgericht, dass infolge des hohen Anteils des Vertriebsverhältnisses mit AUPING am Gesamtumsatz von HLB und KUBIZ sowie unter Berücksichtigung der Dauer des Geschäftsverhältnisses, ein schwerwiegender Grund notwendig war. Das Berufungsgericht akzeptiert von nun an, dass eine Neugestaltung des Vertriebsnetzwerks einen solchen schwerwiegenden Grund ausmachen kann, der eine Kündigung rechtfertigt. Nach belgischem Recht ist ein unbefristeter Vertriebsvertrag jederzeit kündbar, wobei jedoch stets eine angemessene Kündigungsfrist gemäß Artikel 2 des Alleinvertriebsgesetzes beachtet werden muss. Derselbe Artikel 2 des Alleinvertriebsgesetzes besagt darüber hinaus, dass die Pflicht zur Gewährung einer angemessenen Kündigungsfrist dann verfällt, wenn die Kündigung aus schwerwiegendem Grund infolge derart gravierenden Mängeln von Seiten des Vertragshändlers erfolgt, die jegliche weitere Zusammenarbeit unmöglich machen. Im Umkehrschluss bedeutet dies auch, dass sich daraus im Falle eines schwerwiegenden Fehlverhaltens des Prinzipals („acte équipollante à rupture“) die Beendigung des Vertriebsvertrages ohne Kündigungsfrist ableiten lässt, und infolgedessen eine Kündigungsentschädigung fällig wird. Im zitierten Urteil des Lütticher Berufungsgerichts wendet das Berufungsgericht die Theorie des sogenannten „acte équipollent à rupture“ auf das Alleinvertriebsgesetz an. Nach der ständigen belgischen Rechtsprechung13 ist die Verletzung einer zuerkannten (oder faktisch erworbenen) Exklusivität des Vertragshändlers durch den Prinzipal fast immer als ein schwerer Verstoß zu betrachten, der nur als Absicht des Prinzipals zur Beendigung des Vertriebsvertrages ausgelegt werden kann. Hätte das Berufungsgericht Leeuwarden die Neugestaltung nicht als schwerwiegenden Kündigungsgrund anerkannt, dann wäre die beinahe paradoxe Situation entstanden, dass ein niederländischer Prinzipal wegen einer Neugestaltung den Vertriebsvertrag mit seinem Vertragshändler beenden wollte, dies jedoch nicht hätte tun können, während der belgische Prinzipal hingegen eigentlich nicht die Beendigung des Vertrages beabsichtigte, diesen jedoch faktisch aufgelöst hat. ________________________ 10 Vgl. Kass. 7. Juni 1993, Urteile Kass. 1993, 565; Kass. 12. September 1988, Urteile Kass. 1988-89, 47 und Gent 29. Juni 20077, T. Aann. 2007, 376. 11 Vgl. Kass. 12. Januar 2007, DAOR 2007, 455. 12 Vgl. P. NAEYAERT en E. TERRYN (eds.), Beëindiging van overeenkomsten met handelstussenpersonen, Brügge, Die Keure, 2009, p. 390. 13 Ausdrücklich anerkannt in Kass. 12. Juni 1986, Pas., I, 1254 und Brüssel 8. Februar 2001, T.B.H. 2003, 500 Hier wird das Prinzip zwar anerkannt, aber wegen der Fakten wird in casu anders geurteilt.
Wagner/Aleksandrova: Selektivvertrieb (Schuhe)
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Daniela Wagner / Radina Aleksandrova*
Der Selektivvertrieb in der Schuhbranche im Licht der neuen BGHRechtsprechung Wagner/Aleksandrova: Selektivvertrieb (Schuhe) I. Einleitung
Aufgrund der sich im Zeitalter des Internets ständig ändernden Ansprüche der Kunden müssen sich gerade Unternehmen der Schuhbranche neuen Herausforderungen stellen und im Sinne der Kundenzufriedenheit neue Vertriebsstrategien entwickeln. Hierbei liegt die wesentliche Aufgabe in der Auswahl geeigneter Vertriebswege. Es müssen sowohl neue Vertriebswege erschlossen werden, als auch die herkömmlichen Vertriebswege angesichts der zunehmenden Gefährdung des Absatzes durch Parallelimporte und Einfuhr von Plagiaten weiterhin ausgebaut und überwacht werden. II. Arten von Vertriebssystemen in der Schuhbranche
Während früher große Markenhersteller in der Schuhbranche vorwiegend die sog. Single-Channel-Distribution, d. h. die Konzentration auf einen einzigen Absatzweg, zumeist über Handelsvertreter, verfolgt haben, entwickeln die Unternehmen heutzutage aufgrund neuer Absatzmöglichkeiten auch im Internet sog. Multi-Channel-Strategien, d. h., dass mehrere Absatzwege gleichzeitig bedient werden. Üblich sind hierbei sowohl der Direktvertrieb, mithin der eigene Vertrieb über Outlets, Flagship-Stores und eigene Webshops, als auch der indirekte Vertrieb über Absatzmittler wie Vertragshändler, autorisierte Fachhändler und Franchisenehmer. Im Zusammenhang mit den verschiedenen Vertriebsmöglichkeiten sind auch unterschiedliche rechtliche Risiken zu beachten.
Online-Kunden in der Regel mehrere Schuhpaare bestellen, von denen letztlich aber meistens nur ein bis zwei Paare behalten werden. Die mittlerweile zumeist kostenfrei angebotenen Retouren erzeugen hohe Kosten und einen erhöhten Bedarf an Lagermöglichkeiten. 2. Indirekter Vertrieb
Ein indirekter Vertrieb liegt vor, wenn bewusst unternehmensfremde, rechtlich und wirtschaftlich selbstständige Absatzmittler wie Vertragshändler, autorisierte Fachhändler und Franchisenehmer über vertraglich geregelte Vertriebssysteme in den Vertrieb eingebunden werden2. Der Vorteil liegt darin, dass der Hersteller den Vertrieb breit streuen und international expandieren kann, ohne viel Kapital aufwenden zu müssen. Der Nachteil liegt allerdings in der geringen Kontrolle und Einflussnahme auf die Tätigkeiten des Händlers und die nachgelagerten Vertriebswege. Im Rahmen des indirekten Vertriebs spielt daher insbesondere die Auswahl der Händler eine bedeutende Rolle. Um die Exklusivität gerade von Markenschuhen zu schützen, bestimmen die Schuhhersteller selbst, welche Händler zum Vertrieb der Schuhe berechtigt sind und legen die einzelnen Vertriebsstufen im Rahmen eines bestimmten Vertriebssystems durch entsprechende vertragliche Verpflichtungen fest. Unterschieden wird hier in der Regel in der Schuhbranche zwischen exklusiven Vertriebssystemen und einfachen selektiven Vertriebssystemen.
1. Direkter Vertrieb
a) Einfaches selektives Vertriebssystem
Im Rahmen des unternehmenseigenen Direktvertriebs ergeben sich geringere rechtliche Risiken, da es weniger Vertriebsstufen gibt. Hier vermarkten und verkaufen die Schuhhersteller über eine eigene Vertriebsorganisation entweder in eigenen Verkaufsstätten wie Factory Outlets, Flagshipstores oder über E-Commerce in Form von eigenen Webshops durch eigene Mitarbeiter die Waren selbst unmittelbar an die Endkunden1.
Selektive Vertriebssysteme werden auch in der Schuhbranche als Vertriebsstrategie gewählt, um die eigenen Markenprodukte von denen der Konkurrenz abzusondern und damit die eigenen Marken zu erhalten und zu pflegen.
Der Vorteil für die Hersteller besteht darin, dass sie selbst auf die Beratungsqualität und die Steuerung der Vertriebsaktivitäten wie zum Beispiel auch des Marketings direkten Einfluss nehmen können und auch die Handelsspanne beim Hersteller verbleibt. Der Nachteil besteht allerdings jedenfalls im Bereich der Unterhaltung eigener physikalischer Verkaufsstätten wie Outlets und Flagshipstores in dem hohen Kapitalerfordernis und der geringen geographischen Ausdehnung des Absatzmarktes. Im Hinblick auf eigene Webshops sind diese Nachteile zwar nicht existent. Dafür müssen die Schuhhersteller hier mit einem erhöhten logistischen Aufwand kämpfen, da die ________________________ *
1
Daniela Wagner LL.M. ist Rechtsanwältin, Fachanwältin für Gewerblichen Rechtsschutz und Partnerin in der Kanzlei WAGNER Rechtsanwälte Webvocat Partnerschaft, Radina Aleksandrova ist Rechtsanwältin in der Kanzlei WAGNER Rechtsanwälte Webvocat Partnerschaft. Martinek, in: Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, Vertriebsrecht, 3. Auflage, § 2 Rn. 43.
Grundsätzlich werden in diesem Rahmen bestimmte Händler ausgewählt und unter bestimmten Bezugs- und Absatzbindungen vertraglich in die Vertriebsstruktur des Unternehmens eingebunden. Das einfache selektive Vertriebssystem ist hierbei im Wesentlichen auf die qualitätsbezogene Auswahl bestimmter Händler ausgerichtet3. In der Schuhbranche ist hierbei zu unterscheiden, ob es sich um höherpreisige und bekanntere Markenschuhe handelt, oder ob Schuhe im Niedrigpreisniveau von entsprechenden „Discount“-Schuhherstellern vertrieben werden. Je höher die Preise und Bekanntheit der Marken, umso weniger Händler werden in den Vertrieb einbezogen, um den Markenwert nicht durch zu großes Angebot zu dezimieren. Ein auf rechtswirksamen Verträgen beruhendes selektives Vertriebssystem darf auch durch ein Herstellungsnummernsystem geschützt werden, bei welchem die Hersteller Kontrollnummern an ihren Waren anbringen, um deren ________________________ 2 3
Michael Martinek, Vertriebsrecht als Rechtsgebiet und Aufgabe – Zur Programmatik der neuen ZVertriebsR, ZVertriebsR 1/2012, S.3. Martinek, in: Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, Vertriebsrecht, 3. Auflage, § 2 Rn. 105.
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Vertriebsweg überprüfen zu können, auch wenn das Vertriebssystem nicht lückenlos ist4. Das Entfernen dieser Kontrollnummern stellt einen Wettbewerbsverstoß dar und löst Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche aus5. Die Anbringung von solchen Kontrollnummern findet vorwiegend im Bereich der bekannten Schuhhersteller statt. b) Exklusives Vertriebssystem
Im Rahmen des exklusiven Vertriebssystems wählen die Hersteller unter den Gesichtspunkten der qualitativen und quantitativen Selektion exklusive Vertriebspartner aus, die als einzige in bestimmten, ihnen zugewiesenen Vertriebsgebieten berechtigt sind, die Waren zu verkaufen6. Dies ist besonders üblich bei Schuhherstellern im Bereich der Premium- und Luxusmarken. III. Markenrechtliche Probleme im selektiven Vertriebssystem
Die Problematik in der Schuhbranche liegt darin, dass die meisten Schuhhersteller bekannter Marken die Exklusivität und den Wert ihrer Marken davor schützen möchten, dass der Stellenwert, den die Markenwaren aufgrund des Einsatzes teurer Designer und einer kostenintensiven Marketingstrategie bei einem bestimmten Kundenkreis, der über ein größeres finanzielles Budget verfügt, erreicht haben und der damit verbundene Umsatz sowie der Marktanteil im Vergleich zur Konkurrenz durch einen Vertrieb der Markenprodukte in der breiten Masse der Konsumenten verloren geht. Aufgrund der Beliebtheit von Markenschuhen möchte aber auch die breite Masse der Kunden, insbesondere die Kunden, die nur über eingeschränkte finanzielle Mittel verfügen, Markenprodukte zu einem geringeren Preis erwerben. Aus diesem Grund und bedingt durch die stetige Konkurrenz auf dem Schuhmarkt sind viele Schuheinzelhändler darauf angewiesen, auch Markenschuhe zu annehmbaren Preisen in ihrem Sortiment anbieten zu können. Daher sind sie daran interessiert, auch von den Markenherstellern oder deren Vertriebspartnern beliefert zu werden. Da dieser Umstand von den meisten bekannten Schuhherstellern aber gerade nicht gewünscht ist, arbeiten diese Schuhhersteller mit selektiven Vertriebssystemen. In vielen Fällen werden diese Vertriebssysteme von den Händlern der einzelnen Vertriebsstufen jedoch nicht eingehalten und es werden Waren auch an außerhalb des Vertriebssystems stehende Einzelhändler, insbesondere für ausländische Märkte, verkauft. Diese Waren gelangen dann als Parallelimporte auf den Markt. Hierbei handelt es sich um Waren, die mit Zustimmung des Markenherstellers hergestellt und gelabelt wurden und unter Verletzung von lizenzrechtlichen und vertriebsrechtlichen Regelungen in die EU eingeführt werden7. Daneben werden, um die große Nachfrage zu bedienen, auch gefälschte Markenprodukte hergestellt und auf den Markt gebracht. Gelangen Parallelimporte oder gefälschte Waren auf den Markt, suchen die Schuhhersteller nach ________________________ 4 5 6 7
BGH, Urteil vom 15.7.l999, I ZR 14/97, GRUR 1999, 1109 ff. BGH, Urteil vom 15.7.l999, I ZR 14/97, GRUR 1999, 1109 ff. Martinek, in: Martinek/Semler/Habermeier/Flohr, Vertriebsrecht, 3. Auflage, § 2 Rn. 108. Fezer, Markengesetz, 4. Auflage, § 146 Rn. 6.
Wagner/Aleksandrova: Selektivvertrieb (Schuhe)
rechtlichen Möglichkeiten, diese nicht autorisierten Verkäufe zu unterbinden. Hierzu stehen ihnen u. a. markenrechtliche Ansprüche gegen die vermeintlichen Verletzer zur Verfügung, die nachfolgend bezogen auf den deutschen beziehungsweise europäischen Markt unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung und der Besonderheiten des europäischen Markenrechts dargestellt werden. Problematisch ist in diesen Verfahren nach wie vor die Frage, wer für welche Tatbestandsmerkmale beweispflichtig ist und wie weit die Darlegungs- und Beweislast geht. 1. Markenrechtsverletzung gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 2, 8 5 Markengesetz , Art. 9 Abs. 1 Gemeinschafts9 markenverordnung
Sowohl im Fall der Einfuhr von Parallelimporten, als auch im Falle der Einfuhr gefälschter Waren werden Markenrechtsverletzungen geltend gemacht. In Deutschland ist Voraussetzung für das Vorliegen einer Markenrechtsverletzung gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG, dass ein Dritter ohne Zustimmung des Markeninhabers im geschäftlichen Verkehr ein Zeichen benutzt, das identisch oder ähnlich mit der Marke ist und für Waren oder Dienstleistungen verwendet wird, die mit den von der Marke erfassten Waren oder Dienstleistungen identisch oder ähnlich sind und hierdurch für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen hervorgerufen wird, einschließlich der Gefahr, dass das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird. Ebenso verhält es sich bezogen auf die Gemeinschaftsmarke gemäß Art. 9 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b, Art. 102 Abs. 1, Art. 151 Abs. 2 GMV. Liegen diese Tatbestandsmerkmale vor, besteht sowohl nach nationalem Recht gemäß § 14 Abs. 5 MarkenG, als auch auf EU-Ebene gemäß Art. 9 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GMV i. V. m. § 14 Abs. 5 MarkenG ein Unterlassungsanspruch des Markeninhabers, sofern Wiederholungsgefahr gegeben ist10. Streitpunkt in vielen Fällen ist die Voraussetzung der Zustimmung des Markeninhabers. Der Markeninhaber muss im Prozess zunächst darlegen, dass seine Zustimmung zur Benutzung des Zeichens nicht vorgelegen hat. Der als Verletzer in Anspruch genommene Händler muss daraufhin darlegen und beweisen, dass die Zustimmung des Markeninhabers gemäß § 14 Abs. 2 MarkenG und Art. 9 Abs. 1 S. 2 GMV vorgelegen hat11. Dies hat der Bundesgerichtshof in seiner aktuellen Converse-I-Entscheidung12 wiederholt. In einem Verletzungsprozess geht es meist nicht nur um die Frage der Zustimmung zur Benutzung des Zeichens, sondern insbesondere um die Zustimmung zum Verkauf der vermeintlich nachgeahmten Waren. Das Ausschließlichkeitsrecht des Markeninhabers umfasst nämlich nicht nur das Recht zur Kennzeichnung der Waren mit der Marke, sondern beinhaltet gemäß § 14 Abs. 3 Nr. 2 MarkenG, Art. 9 Abs. 2 Buchst. b GMV auch das Recht, die mit der
________________________ Im Folgenden: MarkenG. Im Folgenden: GMV. Hacker, in: Ströbele/Hacker, MarkenG, 10. Auflage, § 14 Rn. 334. Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3. Auflage, § 14 Rn. 61 m. H. a. BGH, Beschluss vom 11.05.2000, I ZR 193/97, GRUR 2000, 879, 880 – stüssy I. 12 BGH, Urteil vom 15.3.2012, I ZR 52/10 – Converse I, Rn. 20. 8 9 10 11
Wagner/Aleksandrova: Selektivvertrieb (Schuhe)
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Marke gekennzeichneten Waren anzubieten und in den Verkehr zu bringen13. Die Zustimmung des Markeninhabers kann sowohl bei dem Vertrieb von gefälschten bzw. nachgeahmten Waren, als auch bei dem Vertrieb von Originalmarkenwaren, den Parallelimporten, vorliegen. Unter nachgeahmten Waren versteht man gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. a Ziff. i der Grenzbeschlagnahme-verordnung14 "Waren, auf denen ohne Genehmigung Marken oder Zeichen angebracht sind, die mit der Marke oder dem Zeichen des Markeninhabers identisch sind oder die in ihren wesentlichen Merkmalen nicht von einer solchen Marke oder dem Zeichen zu unterscheiden sind“. Originalmarkenwaren sind dagegen Waren, auf denen die Marken entweder vom Markeninhaber selbst oder mit dessen Zustimmung angebracht sind15. a) Nachgeahmte Markenwaren
Da die Zustimmung des Markeninhabers zum Vertrieb nachgeahmter Waren in der Regel fehlt, muss der Beklagte die Behauptung des Klägers, der Beklagte habe nachgeahmte Waren vertrieben, entkräften. Er ist daher grundsätzlich darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass er keine nachgeahmten Waren, sondern Originalmarkenwaren im geschäftlichen Verkehr angeboten hat16. Zusätzlich muss er dann auch darlegen und beweisen, dass diese Originalmarkenwaren vom Markeninhaber selbst oder mit dessen Zustimmung in den Europäischen Wirtschaftsraum eingeführt worden sind17. Eine Umkehr der Beweislast findet nur dann statt, wenn die von dem Beklagten vorgelegten Beweise dazu führen, dass der Kläger beziehungsweise Markeninhaber daraufhin Maßnahmen zur Marktabschottung treffen kann18. Soweit der Kläger behauptet, dass es sich um Produktfälschungen handelt, trifft ihn jedoch eine sekundäre Darlegungslast dahingehend, dass er darlegen muss, welche Anhaltspunkte zu der Annahme führen, dass es sich um nachgeahmte Waren handelt19. Hierbei kann zum Beispiel angeführt werden, dass die nachgeahmten Waren im Vergleich zu den Originalwaren keine übereinstimmenden Codes hinsichtlich der Produktions- und Fabriknummern aufweisen, dass sie im Vergleich zu den Originalwaren falsch markiert sind, falsche Größen, falsche Abstände, minderwertige oder falsche Aufkleber aufweisen oder auch bestimmte technische Elemente fehlen. Die Darlegungslast des Markeninhabers geht allerdings nicht so weit, dass Betriebsgeheimnisse, wie zum Beispiel die firmeneigene Codierung der Schuhe, offenbart werden müssen, sondern liegt nur im Rahmen des Zumutbaren20. Soweit der Kläger daher seiner sekundären Darlegungslast nachgekommen ist, muss der Beklagte entweder nachweisen, dass eine Zustimmung des Klägers zum Vertrieb dieser nachgeahmten Waren vorgelegen hat oder dass es sich um Originalmarkenware gehandelt hat, die mit Zustimmung des Klägers in den Europäischen Wirtschaftsraum eingeführt worden ist. ________________________ BGH, Urteil vom 15.3.2012, I ZR 52/10 – Converse I, Rn. 22. Verordnung (EG) Nr. 1383/2003 des Rates vom 22. Juli 2003. BGH, Urteil vom 15.3.2012, I ZR 52/10 – Converse I, Rn. 21. BGH, Urteil vom 15.3.2012, I ZR 52/10 – Converse I, Rn. 26. BGH, Urteil vom 15.3.2012, I ZR 52/10 – Converse I, Rn. 26. BGH, Urteil vom 15.3.2012, I ZR 52/10 – Converse I, Rn. 26. Fezer, Markenrecht, 4. Auflage, § 24 Rn. 121; BGH, Urteil vom 15.3.2012, I ZR 52/10 – Converse I, Rn. 27. 20 BGH, Urteil vom 15.3.2012, I ZR 52/10 – Converse I, Rn. 28.
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b) Originalmarkenware
Gelingt dem Beklagten der Nachweis, dass es sich um Originalmarkenware handelt, muss er als nächstes darlegen und nachweisen, dass die Markenrechte des Klägers erschöpft sind. 2. Einwand der Erschöpfung gemäß § 24 Markengesetz
Im Europäischen Wirtschaftsraum herrscht gemäß Art. 34 (ex-Art. 28 EGV21) und Art. 36 (ex-Art. 30 EGV) des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union22 der Grundsatz der Warenverkehrsfreiheit. Diese könnte durch die Ausschließlichkeitsrechte, die den Markeninhabern gemäß § 14 MarkenG und Art. 9 GMV zustehen, dadurch eingeschränkt werden, dass die Markeninhaber jeden Vertrieb von gekennzeichneten Waren ohne deren Zustimmung verbieten könnten23. Daher werden diese Ausschließlichkeitsrechte gemäß Art. 7 der europäischen Markenrechtsrichtlinie24 durch den Erschöpfungsgrundsatz, der im deutschen Markenrecht in § 24 MarkenG und im europäischen Markenrecht in Art. 13 GMV umgesetzt worden ist, dahingehend eingeschränkt, dass die Marke dem Inhaber nicht das Recht gewährt, die Benutzung der Marke für Waren zu verbieten, die unter der Marke des Markeninhabers selbst oder mit dessen Zustimmung in der Europäischen Gemeinschaft in den Verkehr gebracht worden sind25. Allerdings kann der Markeninhaber gemäß Art. 7 Abs. 2 MRRL, § 24 Abs. 2 MarkenG und Art. 13 Abs. 2 GMV von seinem Verbietungsrecht wieder Gebrauch machen, wenn berechtigte Gründe dafür sprechen, den weiteren Vertrieb der Waren zu verbieten, insbesondere wenn der Zustand der Waren nach dem Inverkehrbringen verändert oder verschlechtert wird26. 3. Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen der Erschöpfung
Naturgemäß wird von den Parteien in markenrechtlichen Angelegenheiten oft darüber gestritten, ob die mit der Marke gekennzeichneten Waren auf Veranlassung des Markeninhabers oder durch ihn selbst erstmals innerhalb der Europäischen Union bzw. dem Europäischen Wirtschaftsraum in den Verkehr gelangt sind, sodass das Obsiegen oder Unterligen in einem Rechtsstreit entscheidend von der Beweislastverteilung für die Voraussetzungen der markenrechtlichen Erschöpfung abhängt. Die Voraussetzungen der Erschöpfung sind grundsätzlich von dem wegen einer Markenverletzung in Anspruch Genommenen darzulegen und zu beweisen27. So stellte der ________________________ 21 Konsolidierte Fassung des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union vom 24.12.2002, Nr. C 325/33 (im Folgenden: EGV). 22 Konsolidierte Fassung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union, veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union vom 30. März 2010, Nr. 2010/C 83/01, im Folgenden: AEUV. 23 Hildebrandt, Marken und andere Kennzeichen, 2. Auflage, § 16 Rn. 1. 24 Richtlinie Nr. 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008, im Folgenden: MRRL. 25 Hildebrandt, a. a. O., Rn. 2; Ingerl/Rohnke, MarkenG, 3. Auflage, § 24 Rn. 7. 26 Hildebrandt, a. a. O., Rn. 2. 27 BGH, Urteil vom 15.03.2012, I ZR 52/10 – Converse I; Urteil vom 23.10.2003, I ZR 193/97, GRUR 2004, 156 – stüssy II; Beschluss vom 11.05.2000, I ZR 193/97, GRUR 2000, 879 – stüssy; EuGH, Urteil vom 8.4.2003, C-244/00, GRUR 2003, 512 – Van Doren + Q. GmbH.
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BGH bereits in seiner Entscheidung „stüssy“ vom 11.05.200028 fest, dass die Vorschrift des § 24 Abs. 1 MarkenG aufgrund ihrer Stellung im Gesetz im Abschnitt über die Schranken des Markenschutzes als Ausnahmevorschrift zu verstehen sei, deren Voraussetzungen nach den allgemeinen Regeln von dem angeblichen Verletzer dargelegt und bewiesen werden sollen. Allerdings erkannte das Gericht die Gefahr, dass die uneingeschränkte Anwendung dieser Darlegungs- und Beweislastregel dazu führen könnte, dass Händlern, welche mit dem Markeninhaber nicht verbunden sind, der Vertrieb von Markenwaren generell und damit auch in den Fällen untersagt werden könnte, in denen die Ware mit Zustimmung des Markeninhabers oder von diesem selbst erstmalig in die Europäische Union oder in den Europäischen Wirtschaftsraum in den Verkehr gebracht wurde. Einem Händler sei es nämlich oft nicht möglich, alle Glieder in der Lieferkette zu ermitteln, um den Nachweis der Erschöpfung zu bringen. Aber selbst wenn ihm dies gelingen sollte, könne ein Offenlegen der Lieferkette für den Händler unzumutbar sein, da der Markeninhaber so die Möglichkeit bekommen würde, die Lücken in seinem Vertriebssystem zu schließen oder im Falle des Nichtbestehens eines Vertriebssystems die Absatzwege, auf denen die Markenware den Händler erreichte, zu unterbinden29. In solchen Fällen hielt der BGH eine Ausnahme von der allgemeinen Darlegungs- und Beweislastregel wegen der im europäischen Recht geltenden Warenverkehrsfreiheit für geboten und legte dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vor, ob es nicht die Warenverkehrsfreiheit gebiete, eine Ausnahme von der allgemeinen Regel zu machen, wonach den in Anspruch Genommenen uneingeschränkt die Darlegungsund Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen der Erschöpfung trifft30. Der EuGH bejahte diese Frage31. Von der Rechtsprechung des EuGH und des BGH ist es seitdem anerkannt, dass eine Ausnahme von der allgemeinen Darlegungs- und Beweislastpflicht des angeblichen Verletzers für die Voraussetzungen der markenrechtlichen Erschöpfung besteht, wenn diese allgemeine Beweisregel es dem Markeninhaber ermöglichen würde, die nationalen Märkte abzuschotten und damit die Beibehaltung von Preisunterschieden zwischen den Mitgliedstaaten zu begünstigen, da dies mit den Grundsätzen des freien Warenverkehrs nach Art. 34 und 36 AEUV nicht vereinbar sei32. Bisher wurde von dem BGH und dem EuGH eine solche Ausnahme von der allgemeinen Beweislastregel angenommen, wenn der Markeninhaber seine Waren in den Europäischen Wirtschaftsraum über ein ausschließliches Vertriebssystem in den Verkehr bringt33. Nach Auffassung des BGH ist es in solchen Fällen naheliegend, dass der Markeninhaber nach Offenlegung der gesamten Lieferkette durch den in Anspruch Genommenen auf seinen Vertragshändler einwirken würde, um das Vertriebssystem aufrechtzuerhalten, ________________________ 28 BGH, Beschluss vom 11.05.2000, I ZR 193/97, GRUR 2000, 879, 880 – stüssy. 29 BGH, Beschluss vom 11.05.2000, I ZR 193/97, GRUR 2000, 879, 881 – stüssy. 30 BGH, Beschluss vom 11.05.2000, I ZR 193/97, GRUR 2000, 879, 881 – stüssy. 31 EuGH, Urteil vom 8.4.2003, C-244/00, GRUR 2003, 512 – Van Doren + Q. GmbH. 32 EuGH, Urteil vom 8.4.2003, C-244/00, GRUR 2003, 512 – Van Doren + Q. GmbH; BGH, Urteil vom 23.10.2003, I ZR 193/97, GRUR 2004, 156 – stüssy II. 33 BGH, Urteil vom 23.10.2003, I ZR 193/97, GRUR 2004, 156 – stüssy II; EuGH, Urteil vom 8.4.2003, C-244/00, GRUR 2003, 512 – Van Doren + Q. GmbH.
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und so Lieferungen an nicht dem Vertriebssystem angehörige Zwischenhändler und mithin den grenzüberschreitenden Warenverkehr unterbinden werde, sodass auch eine tatsächliche Gefahr der Marktabschottung bestehe34. Daher obliege in solchen Konstellationen ausnahmsweise dem Markeninhaber der Nachweis, dass die Ware ursprünglich von ihm oder mit seiner Zustimmung außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums in den Verkehr gebracht wurde35. Noch nicht geklärt war hingegen die Frage, ob eine solche Beweislastumkehr auch im Falle von selektiven Vertriebssystemen gelten soll. Für eine Beweislast des Markeninhabers für das Inverkehrbringen gekennzeichneter Ware außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums hat sich der BGH etwa in einer Entscheidung aus dem Jahr 200636 ausgesprochen, obwohl der Markeninhaber lediglich ein selektives und kein ausschließliches Vertriebssystem unterhielt. Andererseits ging das Gericht wiederum in einer Entscheidung aus dem Jahr 200637 von der Anwendung der allgemeinen Beweislastregel für die Voraussetzungen der Erschöpfung aus, obwohl der Markeninhaber auch hier ein selektives Vertriebssystem betrieb. Nunmehr hat der BGH in seiner aktuellen Entscheidung im Rechtsstreit des US-amerikanischen Unternehmens Converse Inc. gegen den Sportschuhhändler Mawa Sportswear GmbH38 festgestellt, dass die Gefahr der Abschottung der nationalen Märkte nicht nur im Falle des Vertriebs von Markenwaren über ein ausschließliches Vertriebssystem, sondern bei allen Vertriebssystemen gelte, die dem Markeninhaber die Möglichkeit eröffnen, den grenzüberschreitenden Verkehr von Markenwaren im Binnenmarkt zu verhindern. Im Falle eines selektiven Vertriebssystems sei dies etwa der Fall, wenn es den ausgewählten Vertriebspartnern verboten sei, die Ware an nicht dem Vertriebssystem angehörende Zwischenhändler zu verkaufen. Sei es den Vertriebspartnern hingegen gestattet, an außerhalb des Vertriebssystems stehende Händler zu liefern, genüge allein das Bestehen eines Vertriebssystems nicht zur Annahme einer tatsächlichen Gefahr der Marktabschottung39. In dem aktuell vom BGH entschiedenen Fall stand es fest, dass Converse Inc. im Europäischen Wirtschaftsraum auf Importeurebene ihre Schuhe über ein ausschließliches Vertriebssystem vertreibt, da es in jedem Land jeweils nur einen Generalimporteur gibt. Da jedoch das erstinstanzliche Gericht festgestellt hatte, dass die Generalimporteure in Deutschland, Österreich, den Beneluxstaaten und der Schweiz vertraglich nicht gehindert waren, Waren an Zwischenhändler zum Weitervertrieb außerhalb ihres jeweiligen Vertragsgebiets zu liefern, bestand nach Auffassung des BGH keine Gefahr der Marktabschottung durch die Converse Inc. aufgrund vertraglicher Absprachen. Des Weiteren hat der BGH die Ansicht des Berufungsgerichts40 bestätigt, dass die Gefahr einer Marktabschottung nicht allein durch vertragliche Absprachen im Rahmen des Vertriebssystems, sondern auch ________________________ 34 BGH, Urteil vom 23.10.2003, I ZR 193/97, GRUR 2004, 156 – stüssy II. 35 BGH, Urteil vom 23.10.2003, I ZR 193/97, GRUR 2004, 156 – stüssy II; EuGH, Urteil vom 8.4.2003, C-244/00, GRUR 2003, 512 – Van Doren + Q. GmbH. 36 BGH, Urteil vom 19. 1. 2006, I ZR 217/03, GRUR 2006, 433, 435 – Unbegründete Abnehmerverwarnung. 37 BGH, Urteil vom 23. 2. 2006, I ZR 272/02, GRUR 2006, 421, 423 – Makrenparfümverkäufe. 38 BGH, Urteil vom 15.03.2012, I ZR 52/10 – Converse I. 39 BGH, Urteil vom 15.03.2012, I ZR 52/10 –Converse I, Rn. 31. 40 OLG Stuttgart, Urteil vom 4. 3. 2010, 2 U 86/09, GRUR-RR 2010, 198 – Converse.
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durch ein tatsächliches Verhalten des Markeninhabers begründet werden kann, etwa durch das In-Aussicht-Stellen, nach Ablauf der Vertragszeit den Vertrag des Vertriebspartners nicht zu verlängern, durch Erschweren des Warenbezugs oder anderweitige Druckausübung anlässlich vorgenommener Lieferungen eines Vertriebspartners an Händler außerhalb des Vertriebssystems. Allein die Aussage eines Generalimporteurs der Converse Inc. in einer Veröffentlichung, es werde gegen „Preisverhau“ im Vertriebssystem vorgegangen, reichte dem BGH jedoch nicht aus, um eine Marktabschottungsgefahr aufgrund eines tatsächlichen Verhaltens der Markeninhaberin Converse Inc. zu bejahen. Diese Veröffentlichung des Generalimporteurs rechtfertige nach Auffassung des BGH nicht die Annahme, dass die Markeninhaberin selbst Maßnahmen gegen die Angleichung der bestehenden Preisunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten ergreife41. Eine tatsächliche Gefahr der Marktabschottung soll trotz Bestehens eines zur Marktabschottung geeigneten Vertriebssystems des Markeninhabers ferner dann ausscheiden, wenn die Lieferanten des angeblichen Verletzers nicht mehr dem Vertriebssystem des Markeninhabers angehören42. In solchen Fällen bestehe weder ein Anlass noch die Möglichkeit für den Markeninhaber, auf ein künftiges Lieferverhalten des Händlers einzuwirken und so die nationalen Märkte zur Beibehaltung von Preisunterschieden gegeneinander abzuschotten43. So lag der Fall in dem Rechtsstreit der All Star D.A.CH., der ausschließlichen Vertriebsgesellschaft für Schuhe der Converse Inc. in Deutschland, Österreich und der Schweiz, gegen die Metro Cash & Carry Deutschland GmbH. Letztere behauptete, einen Teil der streitgegenständlichen Schuhe von einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft bekommen zu haben, die wiederum die Schuhe von einer slowenischen Lizenznehmerin der Markeninhaberin Converse Inc. erworben habe. Da jedoch der Lizenzvertrag der slowenischen Lieferantin nach den gerichtlichen Feststellungen bereits vor der Lieferung der streitgegenständlichen Schuhe an die Metro Cash & Carry Deutschland GmbH beendet war, verneinte der BGH das Bestehen einer tatsächlichen Gefahr der Marktabschottung durch die Markeninhaberin. Nach den Ausführungen des Gerichts ist es nicht erforderlich, die allgemeine und auf den Wertungen des allgemeinen Deliktsrechts beruhende Beweislastregel im Rahmen der markenrechtlichen Erschöpfung zu modifizieren, wenn das Offenlegen der Lieferkette nicht zur Begründung einer Marktabschottungsgefahr beitragen kann, etwa weil der Vertriebspartner bereits unabhängig von der konkreten Lieferung an den angeblichen Verletzer aus dem Vertriebssystem des Markeninhabers ausgeschieden ist44. Die Frage, ob die Gefahr der Marktabschottung bereits dann zu verneinen ist, wenn der in Anspruch Genommene seine Lieferkette selbst offenbart hat, hat der BGH hingegen explizit offen gelassen. Allerdings äußerte das Gericht Bedenken gegen eine solche Annahme, da der Markeninhaber Maßnahmen zur Abschottung der nationalen Märkte eher ergreifen werde, wenn nicht nur eine Darstellung des angeblichen Verletzers zu der Lieferkette gegeben sei, sondern der gerichtliche Nachweis der Lieferkette geführt werde45. Auf diese Frage kam es schließlich nicht an, da die Vorlieferanten der Metro Cash & Carry Deutschland ________________________ 41 42 43 44 45
BGH, Urteil vom 15.03.2012, I ZR 52/10 – Converse I, Rn. 38. BGH, Urteil vom 15.03.2012, I ZR 137/10 – Converse II. BGH, Urteil vom 15.03.2012, I ZR 137/10 – Converse II, Rn. 34. BGH, Urteil vom 15.03.2012, I ZR 137/10 – Converse II, Rn. 34. BGH, Urteil vom 15.03.2012, I ZR 137/10 – Converse II, Rn. 34.
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GmbH aus dem Vertriebssystem der Markeninhaberin Converse Inc. bereits ausgeschieden waren, sodass Letztere keine Möglichkeiten der Einflussnahme ihnen gegenüber mehr hatte. Aufgrund der Offenlegung der Lieferkette durch die Beklagte im Rechtsstreit Converse II lehnte es der BGH auch ab, eine Beweislastumkehr nach den Grundsätzen von Treu und Glauben anzunehmen, da der Metro Cash & Carry Deutschland GmbH die Herkunft der streitgegenständlichen Schuhe sehr wohl bekannt sei und sie hierzu auch detailliert vorgetragen habe, sodass ihr nicht, wie für eine Beweislastumkehr nach Treu und Glauben erforderlich, die für einen substantiierten Vortrag notwendigen Kenntnisse fehlten46. Die Beklagte hatte für ihre Behauptung, dass die streitgegenständlichen Schuhe von der Converse Inc. an deren ehemalige slowenische Lizenznehmerin geliefert worden seien, die Vernehmung eines noch zu benennenden Zeugen angeboten, den sie jedoch in allen Instanzen nicht namentlich nannte, sodass sie hierfür letztlich beweisfällig blieb. Daher ging der BGH davon aus, dass der Nachweis für das Vorliegen der Voraussetzungen der Erschöpfung von der hierfür nach den allgemeinen Regeln beweisbelasteten Metro Cash & Carry Deutschland GmbH nicht erbracht wurde. Damit unterlag Letztere in dem Rechtsstreit Converse II. IV. Fazit
Die aktuellen Entscheidungen Converse I und II des BGH bestätigen die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung zur Beweislastverteilung bei der markenrechtlichen Erschöpfung und führen sie fort. So setzt sich das Gericht in den Converse I und II-Entscheidungen detailliert mit der Frage auseinander, wann eine tatsächliche Gefahr der Marktabschottung bei den verschiedenen Arten von Vertriebssystemen besteht. Zu begrüßen ist, dass das Gericht eine schematische Lösung der Beweislastproblematik ablehnt und immer auf die Umstände des Einzelfalls abstellt. So soll allein das Bestehen eines Vertriebssystems des Markeninhabers nicht schon die Annahme einer Gefahr der Marktabschottung durch diesen rechtfertigen. Es ist weiter erforderlich, dass auch die tatsächliche Gefahr der Marktabschottung besteht, wenn der in Anspruch Genommene den Nachweis führen muss, dass die Voraussetzungen der Erschöpfung vorliegen.47 Dies ist nur konsequent, wenn man den Sinn und Zweck der von der Rechtsprechung anerkannten Beweislastumkehr bei der markenrechtlichen Erschöpfung beachtet, nämlich die Belange des Ausschließlichkeitsrechts an der Marke einerseits und der Warenverkehrsfreiheit nach Art. 34 und 36 AEUV andererseits in Einklang zu bringen. Denn das Bestehen eines Vertriebssystems des Markeninhabers führt nicht zwingend zu einer tatsächlichen Gefahr der Abschottung der nationalen Märkte durch den Markeninhaber in dem jeweiligen Fall. Auf der anderen Seite dürften die vom BGH aufgestellten Regeln für die Annahme einer Beweislastumkehr für die Voraussetzungen der Erschöpfung zulasten des Markeninhabers in der Praxis den in Anspruch Genommenen kaum weiterhelfen. Für die angeblichen Verletzer stellt sich unter Zugrundelegung der aktuellen ConverseRechtsprechung die Frage, wie sie entsprechend der nunmehr höchstrichterlich festgelegten Beweislastverteilung substantiiert darlegen und nachweisen sollen, dass es sich ________________________ 46 BGH, Urteil vom 15.03.2012, I ZR 137/10 – Converse II, Rn. 38.
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bei den von ihnen vertriebenen Waren um Originalmarkenwaren und nicht um Produktfälschungen handelt, ohne gleichzeitig ihre Lieferkette offenzulegen und so dem Markeninhaber die Möglichkeit zu eröffnen, auf die jeweiligen Lieferanten einzuwirken und ihnen die Lieferungen an dem Vertriebssystem nicht angehörende Zwischenhändler zu untersagen. Nach Auffassung des BGH ist nämlich die Erschöpfung nur von Originalmarkenware möglich, bei Produktfälschungen scheidet sie hingegen aus48. Diese Feststellung des Gerichts überrascht und erscheint zudem nicht stimmig, zumal es in der gleichen Entscheidung einige Absätze später unter Verweis auf den Aufsatz von Bölling49 selbst einräumt, dass in Ausnahmefällen der Markeninhaber auch dem Vertrieb nachgeahmter Ware zugestimmt haben könnte. Dies ändere aber nichts an der Beweislast des in Anspruch Genommenen für das Vorliegen der Zustimmung des Markeninhabers, welche bei Produktfälschungen jedoch regelmäßig fehlen würde50. Offenbar hat der BGH in seiner aktuellen Entscheidung Converse I eine saubere Trennung zwischen der Zustimmung des Markeninhabers zur Benutzung der Marke i. S. v. § 14 Abs. 2 MarkenG beziehungsweise Art. 9 Abs. 1 S. 2 GMV und dem Inverkehrbringen mit der Marke gekennzeichneter Ware ohne die Zustimmung dazu gemäß § 24 MarkenG und Art. 13 Abs. 1 GMV, wie es sie in seiner früheren Rechtsprechung vorgenommen hatte51, leider versäumt. Es sind nämlich auch Fälle denkbar, in denen der Markeninhaber mit dem Vertrieb gefälschter Produkte unter seiner Marke einverstanden ist. Auch an solchen Fälschungen kann bei Vorliegen der Zustimmung des Markeninhabers zu deren Inverkehrbringen in die Europäische Union oder den Europäischen Wirtschaftsraum Erschöpfung nach § 24 MarkenG bzw. Art. 13 GMV eintreten52. De facto zwingt die aktuelle Rechtsprechung des BGH den wegen Markenrechtsverletzung in Anspruch Genommenen dazu, seine Lieferanten zu offenbaren. Denn im-
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mer dann, wenn der Markeninhaber genügend Anhaltspunkte für das Vorliegen von Produktfälschungen liefert, obliegt es dem angeblichen Verletzer darzulegen und zu beweisen, dass er Originalware und keine Fälschungen verkauft hat. Damit in einem etwaigen Rechtsstreit jedoch überhaupt Beweis – etwa durch Einholung eines Sachverständigengutachtens oder Vernehmung von Zeugen – darüber erhoben wird, muss zunächst der in Anspruch Genommene substantiiert vortragen, warum die Annahme des Vorliegens von Originalware nicht ausgeschlossen werden kann. Pauschales Bestreiten dürfte jedenfalls nicht ausreichend sein. Gelingt der Nachweis des Vertriebs von Originalware dem angeblichen Verletzer nicht, stellt sich die Frage der Erschöpfung nach Auffassung des BGH nicht53. Daraus wird deutlich, dass Markeninhaber, die Vertriebssysteme unterhalten, tatsächlich so gut wie immer erfahren werden, wer an Händler außerhalb des Vertriebssystems Ware verkauft hat und damit die Gelegenheit bekommen werden, die Lücken im Vertriebssystem zu schließen. Damit ist aber die Abschottung der nationalen Märkte vorprogrammiert. Die an sich zu begrüßenden, vom BGH in den zwei Converse-Entscheidungen konkretisierten Grundsätze der Beweislastumkehr bei der markenrechtlichen Erschöpfung dürften lediglich in Ausnahmefällen überhaupt zum Tragen kommen, sodass diese Entscheidungen im Ergebnis eindeutig die Markeninhaber zulasten der europäischen Warenverkehrsfreiheit bevorzugen. ________________________ 47 BGH, Urteil vom 15.03.2012, I ZR 137/10 – Converse II, Rn. 29. 48 BGH, Urteil vom 15.03.2012, I ZR 52/10 – Converse I, Rn. 26. 49 Bölling, Kerngleichheit des Vertriebs gefälschter Markenware und nicht erschöpfter Originalware, GRUR-RR 2011, 345, 347. 50 BGH, Urteil vom 15.03.2012, I ZR 52/10 – Converse I, Rn. 26. 51 BGH, Beschluss vom 11.5.2000, I ZR 193/97, GRUR 2000, 879, 881 – stüssy. 52 So auch Bölling, GRUR-RR 2011, 345, 347. 53 BGH, Urteil vom 15.03.2012, I ZR 52/10 – Converse I, Rn. 26.
Peter E. P. Gregersen / Shiva Safavi Larsen*
Der Eigentumsvorbehalt nach dänischem Recht beim Handelskauf Gregersen/Larsen: Eigentumsvorbehalt (Dänemark) Die deutschsprachigen Länder, allen voran Deutschland, betreiben einen beträchtlichen Warenhandel mit Dänemark. Insbesondere in Zeiten wirtschaftlicher Krisen stellt die wirksame Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts einen essentiellen Schutz des Lieferanten gegen die Insolvenz des Käufers dar. Bei Lieferungen nach Dänemark ist es daher von großer Bedeutung für den Verkäufer, die Voraussetzungen und Besonderheiten zu kennen, die nach dänischem Recht zu beachten sind. Die Kenntnis der dänischen Regelungen zum Eigentumsvorbehalt ist umso wichtiger, als dass bei erfolgter Lieferung nach Dänemark und Eintritt der Insolvenz des Käufers die dänischen Gerichte den Eigentumsvorbehalt nur dann akzeptieren, wenn dieser den dänischen Regelungen entspricht. Dies kann auch nicht dadurch umgangen werden, dass der Liefervertrag insgesamt deutschem Recht unterworfen wird. Der vorliegende Beitrag soll daher einen Überblick über die Voraussetzungen und Grenzen zur Vereinbarung eines ________________________ *
Die Autoren sind Anwälte in der Kanzlei HORTEN in Kopenhagen/Dänemark.
Eigentumsvorbehalts nach dänischem Recht geben. Andere Sicherungsmöglichkeiten des Lieferanten, welche das dänische Recht zur Verfügung stellt, sind dagegen nicht Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen. I. Allgemeines zum dänischen Recht
Das dänische Recht kennt im Unterschied zum deutschen Recht kein Trennungs- und Abstraktionsprinzip. Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft sind nicht voneinander getrennt, womit das Eigentumsrecht bereits mit Abschluss des Kaufvertrages auf den Käufer übergeht und nicht einem separaten Rechtsgeschäft vorbehalten ist. Die einzige Möglichkeit, dieses dänische Grundprinzip aufzuheben, ist die Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts, wonach das Eigentum unter der aufschiebenden Bedingung der Kaufpreiszahlung übergeht. Während in Deutschland der sogenannte "einfache Eigentumsvorbehalt" hauptsächlich vor der Insolvenz des Käufers schützen soll, bekommt er in Dänemark eine weiterreichende Bedeutung. Denn in Dänemark hat der Verkäufer bei unbegründeter Zahlungsverweigerung des Käufers, wenn kein Eigentumsvorbehalt vereinbart wor-
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den ist, nach den gesetzlichen Regelungen nicht das Recht, vom Kaufvertrag zurückzutreten und die Ware zurückzuverlangen. Vielmehr ist der Verkäufer nach Übergabe der Ware auf die Geltendmachung des Kaufpreisanspruchs bzw. auf Schadensersatzansprüche beschränkt. Die Rückforderung der Ware kann in Dänemark daher – anders als nach deutschem Recht – grundsätzlich nur bei wirksamer Vereinbarung eines Eigentumsvorbehalts geltend gemacht werden. Der Eigentumsvorbehalt ist auch nach dänischem Recht insolvenzfest und die Vorbehaltsware kann im Falle der Insolvenz des Käufers aus der Masse ausgesondert werden (falls der Insolvenzverwalter nicht die Erfüllung des Vertrages wählt). II. Wirksamkeitsvoraussetzungen des Eigentumsvorbehalts beim Handelskauf
Für die Vereinbarung eines wirksamen Eigentumsvorbehalts, welcher ebenso wie in Deutschland beim Handelskauf weniger strengen Bedingungen unterliegt, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein: -
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Der Eigentumsvorbehalt muss beidseitig spätestens bei Übergabe der Ware vereinbart werden. Der Gesamtkaufpreis muss mehr als DKK 2.000,00 (ca. 260 EUR) betragen. Die Ware muss eindeutig beschrieben und identifizierbar sein. Der Eigentumsvorbehalt darf sich nur auf den Kaufpreis aus der konkreten Vereinbarung beziehen und kann nicht zur Sicherung anderer Forderungen vereinbart werden. Der Kaufpreis darf nicht variabel sein.
Eine Besonderheit im Vergleich zum deutschen Recht ergibt sich des Weiteren dann, wenn die Eigentumsvorbehaltsware dazu bestimmt ist, durch den Käufer im Rahmen seines Geschäftsbetriebes laufend weiterveräußert oder anderweitig verarbeitet oder verbraucht zu werden (Konsignationslager des Käufers). Sobald die Ware durch den Käufer veräußert oder verarbeitet bzw. verbraucht wird, entfällt der Eigentumsvorbehalt. Allerdings müssen durch den Vorbehaltsverkäufer bereits für die Zeit, in der sich die Ware noch im Lager des Käufers befindet, besondere Vorkehrungen getroffen werden, um seinen Eigentumsvorbehalt an der Ware zu bewahren. Wirksamkeitsvoraussetzungen für den Eigentumsvorbehalt sind daher im hier genannten Fall zusätzlich: -
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Die Waren müssen laufend im Zusammenhang mit der Weiterveräußerung bzw. Verarbeitung oder Verbrauch gegenüber dem Vorbehaltsverkäufer abgerechnet werden (es darf also keine feste Zahlungsfrist für die Gesamtware vereinbart werden). Der Käufer muss eine gesonderte Buchführung über die Vorbehalts- bzw. Konsignationsware führen. Der Vorbehaltsverkäufer muss laufend kontrollieren, dass der Käufer die Waren tatsächlich im Zusammenhang mit der jeweiligen Weiterveräußerung oder Verarbeitung bzw. Verbrauch ihm gegenüber abrechnet.
III. Erweiterung des Eigentumsvorbehalts
In Deutschland sind neben dem einfachen Eigentumsvorbehalt auch der "verlängerte" und der "erweiterte" Eigen-
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tumsvorbehalt anerkannt. Nach ersterem tritt der Zwischenhändler seine Forderung aus der Weiterveräußerung der Ware an den Vorbehaltsverkäufer ab, der dann durch diesen abgetretenen Anspruch gesichert bleibt. Der erweiterte Eigentumsvorbehalt wird vereinbart, wenn nicht nur die Kaufpreisforderung des Vorbehaltsverkäufers sondern auch weitere Forderungen aus der Geschäftsbeziehung gegen den Käufer gesichert werden sollen, so dass das Eigentum erst bei Befriedigung dieser weiteren und außerhalb des Kaufverhältnisses stehenden Forderungen übergeht. Darüber hinaus hat sich in Deutschland auch der sogenannte Verarbeitungsvorbehalt etabliert. Danach setzt sich das Eigentum des Vorbehaltsverkäufers anteilsmäßig an dem Produkt fort, zu dem seine Ware durch den Käufer verarbeitet wurde. In Dänemark sind all diese Sonderformen des Eigentumsvorbehalts nicht möglich. Das Eigentumsrecht des Verkäufers an der Ware kann daher nicht zur Sicherung anderer Forderungen als der Kaufpreisforderung aus dem konkreten Kaufvertrag dienen (siehe auch die oben genannten Gültigkeitsvoraussetzungen). Auch ein erweiterter Eigentumsvorbehalt und damit die automatische Abtretung künftiger Weiterveräußerungsforderungen des Käufers an den Verkäufer, können im Rahmen eines Eigentumsvorbehalts nicht wirksam vereinbart werden. IV. Untergang des Eigentumsvorbehalts
Ähnlich wie nach deutschem Recht, entfällt der Eigentumsvorbehalt nach dänischem Recht, wenn die Vorbehaltsware derart mit anderen Sachen vermischt wird, dass sie nicht mehr ausgesondert werden kann oder durch Verarbeitung untrennbar mit anderen Sachen verbunden wird. Gleiches gilt bei Einbau der Ware in ein Gebäude (z.B. Maschinen, Heizanlagen etc.). Auch bei der Weiterveräußerung der Ware an einen gutgläubigen Dritten entfällt der Eigentumsvorbehalt, wenn die Veräußerung durch den Käufer im Rahmen seines allgemeinen Geschäftsbetriebes geschieht und die Ware erkenntlich für die Weiterveräußerung erworben wurde. Im Gegensatz zum deutschen Recht entfällt der Eigentumsvorbehalt dagegen nicht bei anderweitigen Veräußerungen durch den Vorbehaltskäufer, auch wenn der Erwerber gutgläubig ist. Wurde z.B. von einem Unternehmer eine Maschine unter Eigentumsvorbehalt zur eigenen Verwendung erworben und verkauft er diese an einen Dritten weiter, so kann der Vorbehaltsverkäufer von dem Dritten die Ware herausverlangen. V. Fazit
Wie oben dargestellt, ist es bei Lieferung von Waren nach Dänemark von großer Bedeutung zu wissen, dass es nach dänischem Recht wesentliche Unterschiede im Hinblick auf Gültigkeitsvoraussetzungen und Grenzen des Eigentumsvorbehalts im Vergleich zum beispielsweise deutschen Recht gibt. Bei Mangel dieser Kenntnis und der Annahme, bei Vereinbarung deutschen Rechts, könne auch der Eigentumsvorbehalt nach deutschem Recht vereinbart werden, stehen im Falle der Insolvenz des Käufers böse Überraschungen bevor. Hiergegen gilt es sich zu schützen, indem z.B. auch die oben genannten besonderen Voraussetzungen bei Lieferungen in ein Warenlager des Käufers beachtet werden.
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Flohr: Vertriebsvertrag und Vertragssprache
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Prof. Dr. Eckhard Flohr
Vertriebsvertrag und Vertragssprache Flohr: Vertriebsvertrag und Vertragssprache Jeder internationale Vertriebsvertrag enthält eine Regelung zur Vertragssprache1. Soweit der Franchise-Nehmer auch bei internationalen Franchise-Systemen in Deutschland tätig ist, sollte grundsätzlich im Franchise-Vertrag festgelegt werden, dass Vertragssprache deutsch ist. Sollte der Franchise-Vertrag auch in einer weiteren Sprache (z.B. englische Sprache) abgeschlossen und ausgefertigt werden, so muss im Franchise-Vertrag aber ausdrücklich festgehalten werden, welche der Fassungen im Falle von Streitigkeiten maßgebend ist. Enthält der FranchiseVertrag dann eine Gerichtsstandsvereinbarung für ein deutsches Gericht, so ist auch die deutsche Fassung des Franchise-Vertrages im Falle von Streitigkeiten maßgebend. Dies gebietet schon § 184, 1 GVG. Danach ist die Gerichtssprache deutsch. Bei Abschluss von Vertriebsverträgen ergeben sich aber immer dann rechtliche Bedenken, wenn der Absatzmittler nicht der deutschen Sprache mächtig ist, der Vertriebsvertrag aber gleichwohl in deutscher Sprache abgeschlossen wird. Die Rechtsprechung hat sich bislang mit dieser Frage bei Vertriebsverträgen nur am Rande befasst, insbesondere im Zusammenhang mit der gegenüber einem Franchise-Nehmer ggf. vorzunehmenden Widerrufsbelehrung. I. Widerrufsbelehrung und Vertragssprache
Grundsätzlich hat die Widerrufsbelehrung in deutscher Sprache zu erfolgen. Etwas anderes gilt nach der Rechtsprechung2 aber dann, wenn die Verhandlungen mit dem Absatzmittler in einer anderen Sprache, nämlich seiner Muttersprache, geführt werden oder der Absatzmittlungsvertrag in einer Sprache abgefasst ist, deren der Absatzmittler allein nicht mächtig ist3. Dann soll die Widerrufsbelehrung in der Muttersprache des FranchiseNehmers erfolgen. II. Vertragssprache und Absatzmittlungsvertrag
Bislang gab es aber keine Entscheidung dazu, welche Konsequenzen es für den abgeschlossenen Absatzmittlungsvertrag hat, wenn die Vertragsverhandlungen in der Muttersprache des Absatzmittlers geschlossen werden, dieser dann aber einen deutschsprachigen Absatzmittlungsvertrag unterzeichnet, ohne auf dessen Übersetzung zu bestehen. Richtlinie hierfür könnte eine zu einem Formulararbeitsvertrag ergangene Entscheidung des LAG Rheinland-Pfalz vom 20. Februar 20124 werden. Das LAG Rheinland-Pfalz geht nämlich davon aus, dass ein der deutschen Sprache nicht mächtiger Arbeitnehmer, der nach den Vertragsverhandlungen in seiner Muttersprache einen deutschsprachigen Formulararbeitsvertrag unterzeichnet, ohne auf dessen Übersetzung zu bestehen, die Kenntnis des Vertrages gegen sich gelten lassen muss. Er stehe, so das LAG Rheinland-Pfalz, einem Vertragspartner gleich, der einen Vertrag ungelesen unterschreibt. ________________________ 1 2 3 4
Siehe z.B. FLOHR, Master-Franchise-Vertrag, München 2006, S. 239 m.w.N. Beispielhaft OLG Köln WM 2002, 1928 Siehe dazu auch: ZVertriebsR 2012, 70, 77 11 Sa 569/11 BeckRS 2012, 66863
Auch wenn diese Grundsätze des LAG Rheinland-Pfalz nur für einen Arbeitsvertrag aufgestellt worden sind, so gelten diese Grundsätze erst recht für einen Vertriebsvertrag. Hier schließen den Vertrag nicht ein Unternehmen und ein abhängig Tätiger, sondern zwei rechtlich und wirtschaftlich selbständige Unternehmer, der Systemgeber auf der einen und der Vertriebspartner auf der anderen Seite ab. Hier muss erst recht davon ausgegangen werden, dass es im Vertriebsrecht keine allgemeine Pflicht des Systemgebers gibt, einen Vertriebsvertrag unaufgefordert in die Muttersprache des Vertriebspartners zu übersetzen. Insofern ist dem LAG Rheinland-Pfalz zuzustimmen, wenn in der Entscheidung vom 02. Februar 2012 festgehalten wird, dass eine generelle Übersetzungspflicht für Schriftstücke, die von einem fremdsprachigen Arbeitnehmer zu unterzeichnen sind, dem geltenden Recht nicht zu entnehmen ist und dies erst recht dann gelte, wenn sich die Vertragsparteien auf die deutsche Sprache als Verhandlungs- und Vertragssprache einigen5. Diese Grundsätze müssen erst recht für den Abschluss eines Vertriebsvertrages gelten. Hier ist es dem als selbständigen Unternehmer tätigen Vertriebspartner zuzumuten, sich vor Abschluss des Vertriebsvertrages die erforderliche Übersetzung selbst zu beschaffen. Dafür trägt der Vertriebspartner die Verantwortung. Insofern fällt das Unterzeichnen des Vertriebsvertrages in Unkenntnis seines Inhaltes in den Risikobereich des Vertriebspartners. Dieser muss sich entsprechend der Entscheidung des LAG Rheinland-Pfalz so behandeln lassen, wie eine Person, die einen Vertrag ungelesen unterschreibt. Auch aus der aus § 242 BGB abzuleitenden allgemeinen Treue- und Fürsorgepflicht des Systemgebers, kann nicht dessen besondere Fürsorgepflicht abgeleitet werden, den schriftlichen Vertriebsvertrag in der Verhandlungssprache vorlegen zu müssen, wenn die Verhandlungen in der Muttersprache des Vertriebspartners geführt worden sind. Gerade beispielhaft sind insofern die Ausführungen des LAG Rheinland-Pfalz zu den im Rahmen der Vertragsverhandlungen obliegenden Aufklärungspflichten. Hier heißt es in der Entscheidung u.a., dass bei Anbahnung eines Vertrages dem Vertragspartner nur diejenigen entscheidungserheblichen Umstände mitzuteilen sind, über die dieser eine Aufklärung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben redlicherweise erwarten darf. Insofern sei davon auszugehen, dass sich ein künftiger Vertragspartner selbst über die Umstände, die für seine Vertragsentscheidung maßgeblich sind, sowie über Art und Umfang seiner Vertragspflichten im eigenen Interesse Klarheit verschafft. Dies bedeutet, dass die Übersetzung des Vertrages in die Muttersprache des Vertriebspartners dessen eigene Aufgabe ist und insofern weder Aufklärungs- noch Warnpflichten für das Unternehmen bestehen, bei einem Vertriebspartner nachzufragen, ob dieser den in deutscher Sprache abzuschließenden Vertriebsvertrag voll inhaltlich verstan den hat. ________________________ 5
So auch schon BGH BGHZ 87, 112
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Voraussetzungen einer ergänzenden Vertragsauslegung bei einer mietvertraglich vereinbarten Konkurrenzschutzklausel
BGB §§ 157, 535 1. Zu den Voraussetzungen einer ergänzenden Vertragsauslegung bei einer mietvertraglich vereinbarten Konkurrenzschutzklausel. (amtlicher Leitsatz) 2. Ist bei Mietvertragsabschluss bekannt, dass im Mietobjekt („Ärztehaus“) eine Praxis für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten betrieben wird, muss der Mieter, der ein „Optik- und Hörgerätegeschäft“ betreiben will, bereits zu diesem Zeitpunkt damit rechnen, dass der dort praktizierende Facharzt sämtliche Leistungen erbringen wird, zu denen er berechtigt ist, und es insoweit zu Überschneidungen kommen kann, selbst wenn dies bei Vertragsabschluss mangels gesetzlicher Befugnis des Facharztes zur „Direktversorgung“ seiner Patienten nicht weiter absehbar war. Denn in dieser Situation liegt es nahe, bei der Formulierung einer Konkurrenzschutzklausel nicht auf den Betrieb eines weiteren Optik- und Hörgerätefachgeschäfts abzustellen, sondern diejenigen Leistungen, für die dem Mieter Konkurrenzschutz gewährt wird, konkret zu benennen. (Leitsatz der Redaktion) BGH, Urteil vom 11. Januar 2012 – XII ZR 40/10 Tatbestand: [1] Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einer mietvertraglichen Konkurrenzschutzklausel geltend. [2] Die Klägerin schloss 1986 mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten einen Mietvertrag über Gewerberäume in einem "Ärztehaus" zum Betrieb eines Optik- und Hörgerätegeschäfts. Der Mietvertrag enthält in § 14 die Klausel: "Konkurrenzschutz für den Mieter wird in folgendem Umfang vereinbart: Kein weiteres Optik- und Hörgerätegeschäft in Objekten der "U… in H..." [3] Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses wurde in dem Gebäude bereits eine Praxis für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde betrieben, die von der Streithelferin der Beklagten im Oktober 2005 übernommen wurde. Die Klägerin, die in den angemieteten Räumen zunächst nur ein Optikergeschäft betrieben hatte, erweiterte zum 1. August 2006 ihren Betrieb um eine Hörgeräteakustikabteilung. [4] In der Folgezeit begann die Streithelferin im sogenannten "verkürzten Versorgungsweg" Hörgeräte unmittelbar an Patienten abzugeben. Dabei übernimmt der HNO-Arzt u. a. die audiometrische Messung und das Erstellen von Ohrabdrücken zur Anpassung und Lieferung von Hörgeräten, die Feinanpassung der vom Hersteller direkt an ihn gelieferten Hörgeräte sowie die Einweisung der Patienten. [5] Die Klägerin sieht darin einen Verstoß gegen die in § 14 des Mietvertrages enthaltene Konkurrenzschutzklausel. Sie begehrt daher im vorliegenden Verfahren von der
Beklagten, gegenüber der Streithelferin auf die Einhaltung der Konkurrenzschutzklausel hinzuwirken (Klagantrag zu 1). Außerdem möchte die Klägerin gerichtlich feststellen lassen, dass sie wegen der Verstöße gegen die Konkurrenzschutzklausel bis zu deren Beseitigung zur Minderung der Miete berechtigt ist (Klaganträge zu 2 u. 3). Schließlich macht die Klägerin Schadensersatzansprüche wegen entgangenen Gewinns (Klaganträge 4 und 5) geltend. [6] Das Landgericht hat einen Verstoß gegen die Konkurrenzschutzklausel verneint und die Klage als unbegründet abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht das landgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und im Wege eines Teil- und Grundurteils den Klaganträgen zu 1 bis 3 überwiegend und den Klaganträgen zu 4 und 5 dem Grunde nach stattgegeben. Die Revision hat das Oberlandesgericht hinsichtlich der Frage zugelassen, ob der Mieter bei einem Verstoß gegen einen vereinbarten Konkurrenzschutz zur Minderung der Miete berechtigt ist. [7] Mit der Revision möchte die Beklagte die Aufhebung des Berufungsurteils und die Wiederherstellung der landgerichtlichen Entscheidung erreichen. Aus den Gründen: I. [9] Das Berufungsgericht hat einen Verstoß gegen die Konkurrenzschutzklausel bejaht und zur Begründung ausgeführt, dies folge aus einer ergänzenden Vertragsauslegung des § 14 des Mietvertrages. Die dort vereinbarte Konkurrenzschutzklausel erfasse nach ihrem Wortlaut zwar lediglich das Verbot, Räume innerhalb der Objekte der U. GmbH & Co. KG an Optik- und Hörgerätegeschäfte zu überlassen. Da diese Regelung ihrem Wortlaut nach der Klägerin jedoch keinen Schutz vor konkurrierenden Tätigkeiten biete, die nicht in Geschäften, sondern in Praxisräumen ausgeübt würden, läge eine Lücke der vertraglichen Regelung vor, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen werden müsse. Da es der Rechtsvorgängerin der Beklagten erkennbar darum gegangen sei, der Klägerin zu ermöglichen, als Optikerin und als Hörgeräteakustikerin konkurrenzlos Leistungen im gleichen Objekt zu erbringen, habe die Klägerin unabhängig von der Organisationsform und der Art der Räumlichkeiten, in denen die konkurrierende Tätigkeit erbracht werde, vor der Erbringung von Leistungen aus ihrem Berufsbild durch andere Mieter geschützt werden sollen. Dabei hätten die Parteien bei der Vereinbarung der Konkurrenzschutzklausel nicht die Möglichkeit vor Augen gehabt, dass die im Mietobjekt praktizierenden Ärzte abweichend von den damaligen traditionellen Berufsbildern einmal selbst im Wege des "verkürzten Versorgungsweges" Leistungen erbringen würden, die sonst von Gesundheitshandwerkern erbracht würden. [10] Der Vertrag sei insoweit ausfüllungsbedürftig, weil durch die konkurrierende Tätigkeit der Streithelferin im selben Objekt der Klägerin gerade der Standortvorteil genommen werde, der bei Abschluss des Mietvertrages vereinbart worden sei. Daher sei anzunehmen, dass die Par-
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teien auch einen entsprechenden Schutz der Klägerin vereinbart hätten, wenn sie bei Abschluss des Mietvertrages die Möglichkeit bedacht hätten, dass die im selben Objekt praktizierenden Ärzte in Konkurrenz zur Klägerin treten könnten. Für die Klägerin sei der Umstand, dass die Ärzte nicht die gleichen Leistungen erbrächten, die auch sie anbiete, von zentraler Bedeutung. Denn für die Klägerin sei in diesen Fällen das Kerngeschäft des Verkaufs von Hilfsmitteln betroffen, während die dort praktizierenden Ärzte die Tätigkeiten der Vermittlung, des Verkaufs und der Abgabe der Hilfsmittel nur ergänzend zu ihren zentralen ärztlichen Leistungen erbringen würden. Dabei sei unbeachtlich, dass die Leistungen, die die HNO-Ärzte beim sogenannten "verkürzten Versorgungsweg" erbringen, als ärztliche Leistungen zu bezeichnen seien. [11] Die Klägerin sei auch nicht gehindert, den Verstoß gegen den vereinbarten Konkurrenzschutz geltend zu machen. Auch wenn die Klägerin zunächst nur ein Optikgeschäft betrieben und erst nach Abschluss des Mietvertrages zwischen der Beklagten und der Streithelferin ihr Hörgerätegeschäft eröffnet habe, sei es der Klägerin unbenommen gewesen, das Ausmaß ihrer Tätigkeit auch schon zuvor auf die Abgabe von Hörhilfen auszudehnen. Dass sie diese Tätigkeiten erst später aufgenommen habe, beeinträchtige ihren von Beginn des Mietverhältnisses an zugesicherten Konkurrenzschutz nicht. [12] Der Klägerin stehe damit ein Anspruch auf Mietminderung gemäß § 536 Abs. 1 und 2 BGB zu. Nach herrschender Meinung berechtige eine vertragswidrige Konkurrenzsituation zur Minderung der Miete. Dabei könne im Ergebnis dahinstehen, ob ein Mangel im Sinne von § 536 Abs. 1 BGB vorliege. Jedenfalls stelle die ausdrückliche Konkurrenzschutzabrede eine zugesicherte Eigenschaft im Sinne des § 536 Abs. 2 BGB dar. Durch die streitbefangene Klausel sei der Klägerin zugesichert worden, dass andere Mieter im selben Objekt nicht zu ihr in Konkurrenz treten. Von der Konkurrenzschutzklausel sei die Ertragsfähigkeit des Mietobjekts betroffen. Deshalb handele es sich um eine Eigenschaft der Sache. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten habe die Konkurrenzfreiheit auch zugesichert. [13] Da ein Mangel im Sinne des § 536 Abs. 2 BGB vorliege, stünden der Klägerin zudem Schadensersatzansprüche nach § 536 a Abs. 1 BGB wegen entgangenen Gewinns dem Grunde nach zu. II. [14] Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Sie beruhen auf einer rechtsfehlerhaften Auslegung der in § 14 des Mietvertrags enthaltenen Konkurrenzschutzklausel. [15] 1. Die Revision ist uneingeschränkt zulässig. [16] a) Grundsätzlich kann die Zulassung der Revision nicht auf einzelne von mehreren Anspruchsgrundlagen oder auf bestimmte Rechtsfragen beschränkt werden (BGHZ 101, 276 = NJW 1987, 2586, 2587; Senatsurteile vom 15. September 2010 – XII ZR 148/09 – FamRZ 2010, 1888 Rn. 18 und vom 13. April 2011 – XII ZR 110/09 – NJW 2011, 2796 Rn. 13 ff.). Darüber hinaus ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Beschränkung der Revisionszulassung nur möglich, wenn sie sich auf einen abtrennbaren Teil der Klageforderung bezieht, der einem Teilurteil zugänglich gewesen wä-
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re oder auf den die Revision hätte beschränkt werden können (Senatsurteile vom 25. Oktober 2006 – XII ZR 141/04 – FamRZ 2007, 117 und vom 25. Januar 1995 – XII ZR 195/93 – FamRZ 1995, 1405; BGH Urteile vom 17. Juni 2004 – VII ZR 226/03 – NJW 2004, 3264 und vom 3. März 2005 – IX ZR 45/04 – NJW-RR 2005, 715). Danach ist die vom Berufungsgericht vorgenommene Beschränkung der Revisionszulassung auf den Ausspruch zur Mietminderung (Klaganträge zu 2 und 3) unwirksam. [17] b) Sofern man die Entscheidung des Berufungsgerichts dahingehend versteht, dass die Revision allein zur Klärung der Frage zugelassen werden sollte, ob bei einem Verstoß gegen einen vereinbarten Konkurrenzschutz der Mieter zur Minderung der Miete berechtigt ist, wäre diese Beschränkung bereits deshalb unwirksam, weil es sich insoweit um eine reine Rechtsfrage handelt, die nicht allein Gegenstand einer Revisionszulassung sein kann. [18] c) Sollte das Berufungsgericht eine Beschränkung der Revisionszulassung auf seine Entscheidung zu den Klaganträgen zu 2 und 3 beabsichtigt haben, wäre diese ebenfalls unzulässig, weil über diese Klaganträge nicht im Wege eines Teilurteils hätte entschieden werden können. [19] (1) Nach § 301 ZPO, an dessen Grundsätzen die Beschränkung der Revisionszulassung zu messen ist, ist ein Teilurteil nur zulässig, wenn es über einen aussonderbaren, einer selbständigen Entscheidung zugänglichen Teil des Verfahrensgegenstandes ergeht und der Ausspruch über diesen Teil unabhängig von demjenigen über den restlichen Verfahrensgegenstand getroffen werden kann, so dass die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen ausgeschlossen ist (Senatsurteil vom 25. Oktober 2006 – XII ZR 141/04 – FamRZ 2007, 117). Der Erlass eines Teilurteils setzt neben der Teilbarkeit des Streitgegenstandes oder einer Mehrheit von Streitgegenständen voraus, dass die Widerspruchsfreiheit von Teil- und Schlussurteil garantiert ist (Zöller/ Vollkommer ZPO 29. Aufl. § 301 Rn. 7 mwN). Die Widerspruchsfreiheit ist in einem weiten Sinne zu verstehen und erfasst daher auch Fälle der Vorgreiflichkeit. Daher darf die Entscheidung über den weiter rechtshängigen Streit nicht eine Vorfrage umfassen, die bereits für die erledigte Teilentscheidung erheblich war (Zöller/Vollkommer aaO). Da einzelne Urteilselemente, tatsächliche Feststellungen und rechtliche Folgerungen, auf denen eine Entscheidung aufbaut, grundsätzlich nicht von der Rechtskraft erfasst werden, besteht sonst die Gefahr einer unterschiedlichen Beantwortung der Vorfrage, wenn das Verfahren durch den Erlass eines Teilurteils aufgespaltet wird. Dabei ist der Erlass eines Teilurteils bereits dann unzulässig, wenn sich die Gefahr durch die abweichende Beurteilung eines Rechtsmittelgerichts im Instanzenzug ergeben kann (Senatsurteil vom 24. Februar 1999 – XII ZR 155/97 – FamRZ 1999, 992, 993 mwN). [20] (2) Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht bei der Prüfung des Klagantrags zu 1 einen Verstoß gegen die Konkurrenzschutzvereinbarung bejaht und dem Leistungsantrag der Klägerin durch Teilurteil entsprochen. Nach § 322 Abs. 1 ZPO reicht die Rechtskraft eines Urteils jedoch nur so weit, als über den erhobenen (prozessualen) Anspruch entschieden ist. Sie beschränkt sich auf den unmittelbaren Gegenstand des Urteils, d.h. auf die Rechtsfolge, die auf eine Klage oder Widerklage aufgrund eines bestimmten Sachverhalts bei Schluss der mündlichen Verhandlung den Entscheidungssatz bildet (BGHZ 170, 180 = NJW 2007, 1466 Rn. 7). Aus der Entscheidung
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über den Klagantrag zu 1 erwächst daher nur der Ausspruch des Berufungsgerichts über die Verpflichtung der Klägerin, auf eine Einhaltung der Konkurrenzschutzklausel hinzuwirken, in Rechtskraft. Die Frage, ob die Streithelferin gegen die Klausel verstößt, ist dabei nur eine Vorfrage, die an der Rechtskraft der (Teil-) Entscheidung nicht teilnimmt. Dieselbe Vorfrage ist jedoch auch für das Minderungsrecht entscheidungserheblich, auf das sich die Klägerin zur Begründung ihrer Klaganträge zu 2 und 3 beruft. Die Klägerin wäre nur dann zur Minderung der Miete berechtigt, wenn die Streithelferin durch die Abgabe der Hörgeräte im "vereinfachten Versorgungsweg" gegen die Konkurrenzschutzklausel verstoßen würde. Bei einer isolierten Entscheidung über die Klaganträge zu 2 und 3 könnte diese Frage daher ohne Bindungswirkung an das Teilurteil zu Klagantrag zu 1 frei und damit auch gegenteilig entschieden werden. Dem Gebot der Widerspruchsfreiheit wäre nicht genügt. Der Erlass eines Teilurteils wäre daher unzulässig. [21] Das Berufungsgericht durfte daher insoweit die Revisionszulassung nicht beschränken. Die Beschränkung ist somit unbeachtlich (vgl. Senatsurteil vom 15. September 2010 – XII ZR 148/09 – FamRZ 2010, 1888 Rn. 17). [22] 2. Auch in der Sache begegnet das Berufungsurteil revisionsrechtlich durchgreifenden Bedenken. Denn die Auslegung der Konkurrenzschutzklausel durch das Berufungsgericht ist rechtsfehlerhaft. [23] a) Die Auslegung individueller privatrechtlicher Willenserklärungen unterliegt der Nachprüfung durch das Revisionsgericht nur insoweit, als es sich darum handelt, ob sie gesetzlichen Auslegungsregeln, Erfahrungssätzen oder den Denkgesetzen widerspricht und ob sie nach dem Wortlaut der Erklärung möglich ist (Senatsurteile vom 27. Januar 2010 – XII ZR 148/07 – NJW-RR 2010, 1508 Rn. 30 und vom 4. März 2009 – XII ZR 18/08 – FamRZ 2009, 768 Rn. 14). Die vom Berufungsgericht gewählte Auslegung erweist sich als rechtfehlerhaft. Denn es hat die Voraussetzungen für eine ergänzende Vertragsauslegung verkannt. Insoweit unterliegt das Urteil der revisionsgerichtlichen Kontrolle (vgl. Senatsurteil vom 27. Januar 2010 – XII ZR 148/07 – NJW-RR 2010, 1508 Rn. 30). [24] b) Voraussetzung einer ergänzenden Vertragsauslegung ist das Bestehen einer Regelungslücke, also einer planwidrigen Unvollständigkeit der Bestimmungen des Rechtsgeschäfts (BGHZ 90, 69 = NJW 1984, 1177, 1178), die nicht durch die Heranziehung von Vorschriften des dispositiven Rechts sachgerecht geschlossen werden kann (BGHZ 137, 153 = NJW 1988, 450, 451). Allein der Umstand, dass ein Vertrag für eine bestimmte Fallgestaltung keine Regelung enthält, besagt nicht, dass es sich um eine planwidrige Unvollständigkeit handelt. Von einer planwidrigen Unvollständigkeit kann nur gesprochen werden, wenn der Vertrag eine Bestimmung vermissen lässt, die erforderlich ist, um den ihm zugrunde liegenden Regelungsplan der Parteien zu verwirklichen, mithin ohne Vervollständigung des Vertrages eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen wäre (vgl. BGHZ 170, 311 = NJW-RR 2007, 687 Rn. 28; BGH Urteile vom 2. Juli 2004 – V ZR 209/03 – NJW-RR 2005, 205, 206; vom 13. Februar 2004 – V ZR 225/03 – WM 2004, 2125, 2126 und vom 1. Juli 1999 – I ZR 181/96 – WM 1999, 2553, 2555). Die ergänzende Vertragsauslegung muss sich als zwingende selbstverständliche Folge aus dem ganzen
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Zusammenhang des Vereinbarten ergeben, so dass ohne die vorgenommene Ergänzung das Ergebnis in offenbarem Widerspruch mit dem nach dem Inhalt des Vertrages tatsächlich Vereinbarten stehen würde (BGHZ 40, 91 = NJW 1963, 2071, 2075). Zudem darf die ergänzende Vertragsauslegung nicht zu einer wesentlichen Erweiterung des Vertragsinhaltes führen (BGHZ 40, 91 = NJW 1963, 2071, 2075). [25] c) Auf dieser rechtlichen Grundlage begegnet die Annahme des Berufungsgerichts, die Konkurrenzschutzklausel in § 14 des Mietvertrages weise eine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke auf, durchgreifenden rechtlichen Bedenken. [26] Es ist zwar richtig, dass die Klägerin und die Rechtsvorgängerin der Beklagten bei Abschluss des Mietvertrages im Jahr 1986 die Möglichkeit der Versorgung von Patienten mit Hörgeräten durch den in dem Objekt praktizierenden HNO-Arzt nicht berücksichtigen konnten, weil die Leistungserbringung im "verkürzten Versorgungsweg" nach § 126 SGB V erst zum 1. Januar 1989 durch das Gesundheitsreform-Gesetz vom 20. Dezember 1988 (BGBl. I S. 2477) eingeführt worden ist. Dennoch ist es zur Verwirklichung des Regelungsplans der Vertragsparteien nicht erforderlich, den durch § 14 des Mietvertrags vereinbarten Konkurrenzschutz auf die Abgabe von Hörgeräten im "verkürzten Versorgungsweg" durch die Streithelferin auszudehnen. [27] Maßgeblich für die Prüfung, ob der Mietvertrag eine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke enthält, ist, welchen Umfang an Konkurrenzschutz die Klägerin bei Abschluss des Mietvertrags erwarten konnte (vgl. OLG Köln NZM 2005, 866; OLG Hamm ZMR 1997, 581, 582). [28] Danach spricht bereits der Wortlaut der Vereinbarung, von dem jede Auslegung auszugehen hat und den auch das Berufungsgericht seiner Auslegung im Ansatz zugrunde legt, gegen die Annahme einer Regelungslücke. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten und die Klägerin haben in § 14 des Mietvertrags den gewährten Konkurrenzschutz konkret beschrieben und auf das Verbot der Vermietung von Räumlichkeiten an Dritte zum Betrieb eines Optikund Hörgerätegeschäfts begrenzt. Die Klägerin sollte demnach primär vor unmittelbarer Konkurrenz durch einen gleichartigen Geschäftsbetrieb geschützt werden. [29] Soweit das Berufungsgericht zur Begründung einer Regelungslücke ausführt, der Rechtsvorgängerin der Beklagten sei es erkennbar darum gegangen, der Klägerin zu ermöglichen, als Optikerin und als Hörgeräteakustikerin konkurrenzlos Leistungen im gleichen Objekt zu erbringen, unabhängig davon, in welcher Organisationsform oder in welcher Art von Räumlichkeiten die konkurrierende Tätigkeit erbracht werde, kann dem nicht gefolgt werden. Diese Annahme findet weder im Wortlaut der Konkurrenzschutzklausel noch in den weiteren Feststellungen eine tragfähige Grundlage. [30] Der Rechtsvorgängerin der Beklagten und der Klägerin war bei Abschluss des Mietvertrages bekannt, dass in dem Mietobjekt eine Praxis für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten betrieben wird. Die Klägerin musste daher bereits zu diesem Zeitpunkt damit rechnen, dass der dort praktizierende Facharzt sämtliche Leistungen erbringen wird, zu denen er berechtigt ist und es zu Überschneidungen zwischen ihrem Leistungsangebot und der ärztlichen Tätigkeit kommen kann. Hätten die Vertragsparteien, wie
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vom Berufungsgericht angenommen, tatsächlich die Absicht gehabt, die Klägerin auch vor ärztlichen Leistungen zu schützen, die sich mit ihrem eigenen Geschäftsbereich überschneiden, hätte es nahegelegen, bei der Formulierung der Konkurrenzschutzklausel nicht auf den Betrieb eines weiteren Optik- und Hörgerätefachgeschäfts abzustellen, sondern die Leistungen, für die der Klägerin Konkurrenzschutz gewährt werden sollte, konkret zu benennen (vgl. dazu OLG Brandenburg GesR 2007, 540 ff.). Dass von dieser Möglichkeit kein Gebrauch gemacht wurde, spricht dafür, dass nach dem Regelungsplan der Parteien die Klägerin tatsächlich nur vor der Konkurrenz durch ein weiteres Optiker- und Hörgerätegeschäft geschützt werden sollte. [31] Die Streithelferin betreibt jedoch weder ein Hörgerätegeschäft noch übt sie die Tätigkeit eines Hörgeräteakustikers aus, wenn sie im "verkürzten Versorgungswege" Hörgeräte an Patienten abgibt. Bei den Tätigkeiten, die die Streithelferin in diesem Zusammenhang erbringt, handelt es sich um ärztliche Leistungen, die zum beruflichen Bereich eines HNO-Arztes gehören oder zumindest mit diesem in sehr engem Zusammenhang stehen (BGH Urteil vom 29. Juni 2000 – I ZR 59/98 – NJW 2000, 2745). Durch die Möglichkeit, Hörhilfen im "verkürzten Versorgungsweg" an Patienten abzugeben, hat sich lediglich der Umfang der ärztlichen Leistungen erweitert, die ein HNOArzt in seiner Praxis anbieten darf. [32] Eine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke lässt sich auch nicht damit begründen, dass ohne eine Vervollständigung des Vertrages keine angemessene und interessengerechte Lösung zu erzielen wäre. Der Standortvorteil, der der Klägerin durch die Konkurrenzschutzklausel gewährt wurde, besteht auch nachdem die Streithelferin dazu übergegangen ist, Hörgeräte an ihre Patienten im "verkürzten Versorgungsweg" abzugeben, fort. Nach den in der Revisionsinstanz nicht beanstandeten Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Klägerin nach Abschluss des Mietvertrages zunächst viele Jahre nur ein Optikgeschäft betrieben. Erst nach der Übernahme der HNO-Praxis durch die Streithelferin hat die Klägerin ihr Geschäft um eine Akustikabteilung erweitert. Die wirtschaftliche Grundlage ihres Betriebs war bis dahin nicht von der Möglichkeit des Verkaufs von Hörgeräten geprägt. Durch die Erweiterung ihres Geschäfts im Jahr 2006 hat die Klägerin sich nur die Möglichkeit geschaffen, durch eine Vergrößerung ihres Leistungsangebots ihre Ertragslage zu verbessern, indem sie den Vorteil nutzt, dass in dem Ärztehaus ein HNO-Arzt praktiziert. Da jedoch jeder Patient frei darüber entscheiden kann, wo er sich ein verordnetes Hörgerät anfertigen lässt, hat die Klägerin durch die Eröffnung der Akustikabteilung nur die Chance erworben, dass sie Patienten der HNO-Praxis als Kunden gewinnt. Deshalb kann nicht davon ausgegangen werden, dass ohne eine Ausdehnung der Konkurrenzschutzklausel auf die Tätigkeiten der Streithelferin im Rahmen des "verkürzten Versorgungswegs" der von den Mietvertragsparteien intendierte Schutz der Klägerin wesentlich beeinträchtigt und der Regelungsplan der Parteien unvollständig wäre. [33] d) Schließlich ist in diesem Zusammenhang auch zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bereits im Rahmen des vertragsimmanenten Konkurrenzschutzes ein Vermieter nicht gehalten ist, dem Mieter jeden fühlbaren oder unliebsamen Wettbewerb fernzuhalten. Vielmehr ist nach den Umständen des
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einzelnen Falles abzuwägen, inwieweit nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Belange der Parteien die Fernhaltung von Konkurrenz geboten ist (vgl. BGHZ 70, 79 = NJW 1978, 585, 586). Diese Wertung ist auch bei der Auslegung einer vertraglich vereinbarten Konkurrenzschutzklausel zu berücksichtigen. [34] 3. Nach all dem ergibt sich durch die Abgabe von Hörgeräten im "verkürzten Versorgungsweg" durch die Streithelferin kein Verstoß gegen die Konkurrenzschutzklausel aus § 14 des Mietvertrages. Die Frage, ob ein Verstoß gegen eine Konkurrenzschutzklausel den Mieter zur Minderung der Miete berechtigt, kann dahinstehen.
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Mietvertragliche Gewährung von Konkurrenzschutz für Betreiber eines Fitnessstudios
BGB § 535; ZPO § 940 1. Die mietvertragliche Gewährung von Konkurrenzschutz für den Betreiber eines Fitnessstudios, in welchem auch medizinisch-therapeutische Behandlung angeboten wird, schließt auch die Ansiedelung eines Fitnessstudios, das keinen besonderen medizinischen oder therapeutischen Ansatz hat und sich vorrangig an jugendliches Publikum richtet, aus. Maßgebend ist nicht allein die konkrete Ausgestaltung des Betriebes des anderen Mieters, sondern der in dem anderen Mietvertrag vereinbarte Mietzweck. (amtlicher Leitsatz) 2. Aus der Verletzung der Konkurrenzschutzklauses durch Abschluss eines Mietvertrages resultiert die Pflicht des Vermieters, im Rahmen des ihm rechtlich und tatsächlich Möglichen auf den Mieter einzuwirken, in den Mieträumen den Betrieb eines Hauptgewerbes "Fitnessstudio" zu unterlassen, und dies zu unterbinden. (amtlicher Leitsatz) OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 27.01.2012 – 2 U 299/11 Gründe: I. Die Klägerin macht gegen den Beklagten Ansprüche aus einer mietvertraglichen Konkurrenzschutzklausel geltend. Hinsichtlich des Sachverhalts wird zunächst auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils und die Sachverhaltsdarstellung in dem Beschluss des Senats vom 12.1.2012 Bezug genommen. Das Landgericht hat dem Beklagten durch Urteil vom 16.12.2011 auf den Hilfsantrag der Klägerin hin aufgegeben, durch geeignete Maßnahmen auf den Gewerbemieter A einzuwirken, dass in den Gewerberäumen …Straße … und … in Stadt1 der Betrieb eines Hauptgewerbes Fitnessstudio unterbunden werde. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe aus dem zwischen den Parteien bestehenden Mietvertrag und der darin enthaltenen Konkurrenzschutzklausel einen Anspruch darauf, dass der Beklagte alles unternehme, um die Aufnahme des Geschäftsbetriebes der A zu unterbinden. Eine Konkurrenzsituation zwischen den Unternehmen bestehe,
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da beide Studios Möglichkeiten zu körperlicher Betätigung mit dem Ziel der Fitness, Gesundheit, Gesundheitsvorsorge usw. anböten. Trotz wirksamem Abschluss des Mietvertrages sei es denkbar, dass der Beklagte auf die Mieterin einwirken könne, um die weitere Umsetzung der Konkurrenzsituation zu verhindern. Da die Mieterin den Betrieb des Fitnessstudios noch nicht aufgenommen habe und noch Umbaumaßnahmen stattfänden, erscheine eine einvernehmliche Lösung mit ihr noch nicht als völlig ausgeschlossen. Eine Vorwegnahme der Hauptsache sei nicht zu vermeiden, da ansonsten nicht mehr so leicht revidierbare Tatsachen geschaffen würden. Die Geltendmachung des Anspruchs sei auch nicht verfristet, da die Klägerin nicht zwangsläufig davon habe ausgehen müssen, der Beklagte werde sich auf jeden Fall wie angekündigt vertragsbrüchig verhalten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Landgerichts verwiesen. Der Beklagte hat die Betreiberin des Fitnessstudios mit Anwaltsschreiben vom 17.1.2012 (Blatt 191 ff. der Akte) aufgefordert, Vertragsverhandlungen zur Anpassung des Mietvertrages aufzunehmen mit dem Ziel, dass in dem Mietobjekt kein Geschäftsbetrieb mit dem Betriebszweck Fitnessstudio ausgeübt wird, und ihr die Ausübung dieses Betriebs untersagt. Ferner hat er den Abschluss eines Aufhebungsvertrages angeboten und um Mitteilung möglicher Bedingungen hierzu, insbesondere der Höhe einer zu leistenden Abstandszahlung. Die Mieterin hat dies mit Schreiben vom 19.1.2012 (Blatt 193 ff. der Akte) abgelehnt. Daraufhin hat der Beklagte ihr gegenüber mit Anwaltsschreiben vom 20.1.2012 (Blatt 196 der Akte) erklärt, von dem Mietvertrag vom 2.6.2011 zurückzutreten. Die Mieterin hat dies gemäß Schreiben vom 24.1.2012 abgelehnt (Blatt 205 der Akte). Der Beklagte wendet sich mit seiner Berufung gegen seine Verurteilung. Er ist der Ansicht, die Entscheidung berücksichtige seine Interessen nicht ausreichend. Durch sie erfolge eine unzulässige Vorwegnahme der Hauptsache. Ein Verfügungsgrund sei nicht glaubhaft gemacht. Die – angebliche – Konkurrenzsituation sei nämlich mit der bereits erfolgten Geschäftsaufnahme schon geschaffen gewesen. Er habe keine Möglichkeit mehr gehabt, auf die Mieterin einzuwirken. Ein etwaiger Verfügungsanspruch sei verwirkt, da die Klägerin, obwohl sie über seine konkrete Vermietungsabsicht informiert gewesen sei, auch nach Ablauf der von ihr gesetzten Fristen ein einstweiliges Verfügungsverfahren nicht eingeleitet habe. Die Überlassung der Mieträume und das Invollzugsetzen des Mietverhältnisses seien erst im Oktober 2011 erfolgt. Es bestehe aber bereits kein Verfügungsanspruch. Die erlassene einstweilige Verfügung sei auf eine unmögliche Leistung gerichtet, da die Mieterin durch ihren Geschäftsführer, Herrn B, bereits mitgeteilt habe, eine Auflösung des Mietverhältnisses komme nicht in Betracht, zumal sie einem Franchisegeber vertraglich verpflichtet sei. Hierauf könne er – der Beklagte – sich auch berufen. Das Landgericht habe den entsprechenden Tatsachenvortrag nicht ausreichend berücksichtigt. Rechtliche Möglichkeiten, die eine vorzeitige Beendigung des mindestens bis zum 30.10.2021 andauernden Mietverhältnisses erlaubten, bestünden nicht. Er ist ferner der Ansicht, dem Verfügungsantrag fehle das Rechtsschutzbedürfnis, da die Regelungsverfügung keinen vollstreckungsfähigen Inhalt habe. Im Übrigen müsse der Klägerin jedenfalls ein Teil der Kosten auferlegt werde, da sie mit ihrem Hauptantrag un-
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terlegen sei. Ergänzend bezieht der Beklagte sich auf seinen erstinstanzlichen Vortrag. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 20.12.2011, 20.1. und 25.1.2012 (Blatt 120 ff., 181 ff., 200 f., 204 der Akte) verwiesen. Die Klägerin beruft sich auf die Begründung des Landgerichts sowie auf ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie wiederholt ihre Behauptung, der Beklagte habe vor Abschluss des weiteren Mietvertrages ausdrücklich ihre Zustimmung hierzu einholen wollen. Sie wiederholt ihre Ansicht, ihr sei nicht zuzumuten, auf die Geltendmachung von Sekundäransprüchen beschränkt zu sein. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 6. 1. und 9.1.2012 (Blatt 169 ff., 151 f. der Akte) Bezug genommen. Die Klägerin hat eidesstattliche Versicherungen ihres Geschäftsführers C vom 28.11.2011, 6.1. und 9.1.2012 (Blatt 14, 175 f., 153 der Akte) vorgelegt. Der Beklagte hat eigene eidesstattlicher Versicherungen vom 6., 8.12.2011 und 21.1.2012 (Blatt 62, 80, 205 der Akte) vorgelegt. II. Nach übereinstimmender Erledigungserklärung der Parteien hat das Gericht über die Kosten des Rechtsstreits unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden (§ 91 a Abs. 1 ZPO). Hiernach waren die Kosten dem Beklagten aufzuerlegen, da dieser in dem Rechtsstreit voraussichtlich unterlegen wäre. Maßgebend für die Entscheidung ist, wie der Rechtsstreit zum Zeitpunkt des Eintritts des Ereignisses, welches den Rechtsstreit erledigte, zu entscheiden gewesen wäre. Erledigendes Ereignis waren die Bemühungen des Beklagten, mit den Anwaltsschreiben vom 17. und 20.1.2012 eine vorzeitige Beendigung des Mietverhältnisses mit der A zu erreichen. Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und ebenso begründet worden (§§ 511, 517, 519 f. ZPO). Sie ist jedoch nicht begründet mit der Maßgabe, dass die Hauptsache erledigt ist. Die Verfügungsklage war zulässig und begründet. Der Beklagte war der Klägerin gegenüber verpflichtet, durch geeignete Maßnahmen auf die Gewerbemieterin A einzuwirken, dass in den an diese vermieteten Gewerberäumen ... Straße … und … in Stadt1 der Betrieb eines Hauptgewerbes Fitnessstudio unterbunden wird. Die Klägerin hat gegen den Beklagten aus § 11 des Mietvertrages einen Anspruch auf Beseitigung des aus dem Abschluss des Mietvertrages vom 2.6.2011 mit der A resultierenden Konkurrenzverhältnisses. Der Beklagte hat mit dem Abschluss des Mietvertrages mit dieser seine Pflicht, der Klägerin im Gewerbepark X Konkurrenzschutz zu gewährleisten, verletzt. Die Gewährleistung von Konkurrenzschutz schließt es aus, in dem geschätzten Bereich Gewerbepark X Gewerberäume zu dem Zweck des Betriebs eines Fitnessstudios zu vermieten. Dies ergibt sich aus einer Auslegung der zwischen den Parteien vereinbarten Vertragsklausel unter Berücksichtigung der dem Beklagten ohne weiteres erkennbaren Interessenlage auf Seiten der Klägerin und der Gebote von Treu und Glauben (§§ 133, 157 BGB). Für den Beklagten war erkennbar,
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dass die Klägerin mit dem Abschluss der Konkurrenzschutzklausel jedes mögliche Konkurrenzverhältnis zu einem anderen Anbieter der Leistungen eines Fitnessstudios vermeiden wollte, welches geeignet war, ihren eigenen Geschäftsbetrieb zu beeinträchtigen. Zwischen der Klägerin und der anderen Mieterin besteht ein Konkurrenzverhältnis in diesem Sinne, da beide ein Fitnessstudio betreiben. Die von der Klägerin zusätzlich angebotene medizinisch-therapeutische Behandlung ändert hieran nichts. Dieser Umstand hat insbesondere nicht zur Folge, dass die Zusage der Gewährleistung von Konkurrenzschutz dahingehend einschränkend auszulegen wäre, dass eine Vermietung nur an den Betreiber eines Fitnessstudios untersagt wäre, der in gleicher Weise medizinischtherapeutische Behandlungen anbietet. Auch die Ansiedelung eines Fitnessstudios, das keinen besonderen medizinischen oder therapeutischen Ansatz hat und sich möglicherweise vorrangig an jugendliches Publikum richtet, begründet eine Konkurrenzsituation. Der Betrieb der Klägerin wird ersichtlich nicht nur von behandlungsbedürftigen Personen aufgesucht. Vielmehr dient die körperliche Ertüchtigung in einem Fitnessstudio stets auch der Vorbeugung vor medizinischen Problemen. Die Übergänge von Vorbeugung zu Behandlung sind fließend. Und gerade in einem aufgrund höherer Qualität gehobenen Preissegment besteht stets die Gefahr, dass Kunden an einen nahegelegenen billigeren Anbieter abwandern. Hinzu kommt, dass ein Mitbewerber gerade in den Kunden der Klägerin, die bereits den Gewerbepark X aufsuchen, potentielle Kunden findet und damit zusätzlich von dem bereits bestehenden Betrieb der Klägerin profitiert. Dies alles war dem Beklagten auch erkennbar und ist demzufolge Inhalt der zwischen den Parteien vereinbarten Konkurrenzschutzklausel geworden. Maßgebend für das Bestehen einer aufgrund der Konkurrenzschutzklausel zu vermeidenden Konkurrenzsituation ist aber bereits, dass der Beklagte die Räume durch den Mietvertrag vom 2.6.2011 mit der anderen Mieterin gemäß § 1 Ziffer 3. dieses Mietvertrages allgemein zum Betrieb eines A Fitnessstudios vermietet hat. Damit ist der Mieterin die Möglichkeit eröffnet, ihr Trainingsangebot gleichfalls medizinisch-therapeutisch auszurichten. Allein diese Möglichkeit reicht für die Annahme eines Konkurrenzverhältnisses im Sinne von § 11 des Mietvertrages der Parteien aus. Auf die gegenwärtige konkrete Ausgestaltung des Trainingsbetriebes kommt es daneben nicht mehr an. Aus der Verletzung der Konkurrenzschutzklausel resultierte die Pflicht des Beklagten, auf die Mieterin einzuwirken, in den Mieträumen den Betrieb eines Hauptgewerbes Fitnessstudio zu unterlassen und dies zu unterbinden. Diese Pflicht hat der Beklagte erst mit den nunmehr vorgelegten Schreiben vom 17. und 20.1.2012 erfüllt. Erst hiermit hat er alles ihm tatsächlich Mögliche getan, um auf die Mieterin einzuwirken. Rechtliche Möglichkeiten, sich von dem Mietvertrag zu lösen, bestehen nicht; vielmehr wurde dieser Mietvertrag wirksam abgeschlossen und unterliegt auch keinen Anfechtungsmöglichkeiten oder dem Erfordernis einer Abänderung wegen Fehlens der Geschäftsgrundlage oder ähnlichem. Denn beide Parteien dieses Mietvertrages wussten von dem Betrieb der Klägerin. Ob die andere Mieterin auch von der Konkurrenzschutzklausel in dem Mietvertrag zwischen den Parteien wusste, ist unerheblich, da dieser Umstand jedenfalls weder Inhalt noch Geschäftsgrundlage für den Mietvertrag vom 2.6.2011 geworden ist. Zuvor war der
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Beklagte allerdings zu einer entsprechenden Einwirkung auf die Mieterin verpflichtet, da jedenfalls davon auszugehen war, ein entsprechend hohes – wenn auch noch realistisches – Abfindungsangebot könne die Mieterin möglicherweise zu einer Zustimmung zur Vertragsauflösung veranlassen. Der Umstand, dass eine Befolgung der einstweiligen Verfügung durch den Beklagten für den Zeitraum bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache eine Vorwegnahme der Hauptsache zur Folge hätte, steht der Zulässigkeit der Anordnung nicht entgegen, da dies für einen effektiven Rechtsschutz erforderlich war. Der Klägerin war es nicht zuzumuten, eine Verfestigung der Konkurrenzsituation und der Marktmacht der Konkurrentin durch Zeitablauf hinzunehmen. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass sich dem Beklagten geradezu aufdrängen musste, dass er mit dem Abschluss des weiteren Mietverhältnisses zum Betrieb eines Fitnessstudios die mit der Klägerin vereinbarte Konkurrenzschutzklausel verletzt. Dies gilt ungeachtet einer etwaigen anwaltlichen Beratung. Diese vermag einem Vertragspartner in der Situation des Beklagten zwar eine gewisse Rückversicherung zu ermöglichen, die gegebenenfalls seine Gutgläubigkeit bei einem Vertragsverstoß begründen kann. Die von dem Beklagten mit der Klägerin vereinbarte Konkurrenzschutzklausel ist aber derartig eindeutig, dass eine etwaige anwaltliche Beratung den Beklagten nicht entlastet. Dem geschäftserfahrenen Beklagten war die gegenteilige Ansicht der Klägerin, welche diese ebenfalls aufgrund anwaltlicher Beratung gewonnen hatte, bekannt. Ihm war daher bereits erkennbar, dass der Inhalt der Klausel seine Auffassung jedenfalls nicht ohne weiteres stützte. Eine Konkurrenzschutzklausel ist eine im geschäftlichen Verkehr völlig übliche Klausel. Der Gegenstand des Betriebs eines Fitnessstudios ist auch Laien völlig bekannt. Selbst ohne ausdrückliche Vereinbarung besteht eine vertragsimmanente Verpflichtung des Vermieters von Gewerbemietraum, kein Konkurrenzunternehmen in unmittelbarer Nähe des Mietobjekts zuzulassen (vgl. RGZ 119, 353 ff.; BGH, ZMR 1960, 139; 1961, 226; 1968, 248; NJW 1978, 585; 1979, 1404; OLG Frankfurt a. M., NJW-RR 1989, 1422; OLG Karlsruhe, ZMR 1990, 215; OLG Köln, NJWRR 1998, 1017; KG, MDR 1999, 1375; ZMR 2008, 616; Palandt/Weidenkaff, BGB, 71. Aufl. 2012, § 535, Rdnr. 27 m. w. N.). Für den Beklagten drängte sich unter Berücksichtigung dieser Umstände geradezu auf, dass eine Vermietung an die A unzulässig war. Die dennoch und trotz Widerspruch der Klägerin vorgenommene Vermietung stellte eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Klägerin dar (§ 826 BGB). Die Entscheidung war auch eilbedürftig. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin den Beklagten bereits durch Anwaltsschriftsätze vom 25.5. und 23.6.2011 (Blatt 86 ff. der Akte) unter Fristsetzung aufgefordert hatte, den Konkurrenzschutz zu wahren, und sie trotz Fristablauf bis zum Eingang der Antragsschrift am 29.11.2011 ein Eilverfahren nicht eingeleitet hatte. Denn aus ihrer Sicht war es trotz Unterlassens einer entsprechenden Äußerung des Beklagten nicht hinreichend sicher, dass er tatsächlich einen Mietvertrag mit einem Konkurrenzunternehmen abschließen und dadurch aus eigenem Gewinnstreben sehenden Auges vollendete Tatsachen schaffen würde. Dass er der Klägerin dies mitgeteilt hätte, wie er behauptet, steht auch auf der Grundlage der von ihm vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen nicht fest. Vielmehr hat er
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in seiner eidesstattlichen Versicherung vom 8.12.2011 erklärt, er habe dem Geschäftsführer der Klägerin in dem Gespräch vor Abschluss des Mietvertrages mitgeteilt, er werde dessen Einwendungen nochmals prüfen. Dem widerspricht der Inhalt seiner nunmehr vorgelegten eidesstattlichen Versicherung vom 21.1.2012, nach der er der Klägerin klipp und klar mitgeteilt habe, er werde vermieten.
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Prämie für das Erreichen bestimmter Vertriebszahlen
BGB §§ 133, 151, 275, 611 Einzelfallentscheidung zum Erhalt einer Uhr als Sachprämie (amtlicher Leitsatz) LAG Hamm, Urteil vom 16. Januar 2012 – 7 Sa 976/11 Die Beklagte vertrieb Getränke der Marke "Effect Energie". Sie beschäftigte den Kläger als Gebietsverkaufsleiter für den Bereich Tankstellen. Zu den Aufgaben des Klägers gehörte es u.a., Kunden zu betreuen, Akquisition zu betreiben, die Distribution aufzubauen, zu pflegen und auszuweiten und die Präsenz der Produkte aus dem Sortiment der Beklagten in Tankstellen zu erhöhen. Im Jahre 2007 wurde bei der Beklagten ein sog. Rolex-Contest durchgeführt. Für das Erreichen von bestimmten Vertriebszahlen wurde dem Gewinner eine Rolex (Modell Submariner) zugesagt. Dafür mussten 3.100 Distributionspunkte erreicht sein. Unstreitig war, dass zum Erwerb eines Distributionspunktes genügte, wenn, ein Tankstellenbetreiber das Produkt "Effect Energie" in sein Warensortiment aufnimmt, es mit einem Preis auszeichnet und einer verkaufsfähigen Platzierung im Verkaufsregal zuführte. Am Ende des Wettbewerbs waren von dem Kläger und seinem Team die notwendigen 3.100 Distributionspunkte notiert. Im Nachgang entstand zwischen den Teammitgliedern und der Beklagten Streit darüber, ob die Distributionspunkte zu Recht erlangt worden waren. Der Beklagte vertrat die Auffassung, die Umsatzerlöse hätten um ein Vielfaches höher sein müssen, wenn die eingetragenen Distributionspunkte zu Recht erzielt worden wären. Das LArbG Hamm hat einen Arbeitgeber zur Übereignung einer Rolex-Uhr an seinen Vertriebsmitarbeiter verurteilt. Nach dem LAG Hamm kann die Beklagte nicht einwenden, dass der Kläger und die sonstigen Mitarbeiter des Tankstellenteams die Distributionspunkte zu Unrecht notiert hätten. Die Beklagte hätte dies darlegen und beweisen müssen, was ihr jedoch nicht gelungen ist. Der Einwand, die Umsatzerlöse hätten um ein Vielfaches höher sein müssen, wenn die eingetragenen Distributionspunkte zu Recht erzielt worden wären, reiche dafür nicht. Der Schluss aus nicht eingetretenen Umsatzerwartungen darauf, dass sich die Mitarbeiter der Beklagten zu Unrecht Distributionspunkte notiert hatten, sei ohne konkretisierende Angaben nicht aussagekräftig. Das Vorbringen sei aber auch unerheblich, da allein fehlende Umsätze nichts im Hinblick auf die Ordnungsgemäßheit des Distributionsverhaltens der Mitglieder des Tankstellenteams besagen. Sie können ebenso auf einer Fehleinschätzung des Marktes oder auf sonstige Umstände zurückzuführen sein. (mitgeteilt von Prof. Dr. Karsten Metzlaff, Noerr LLP, Ber lin)
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Handelsvertreterrecht Handelsvertreterrecht Haftung einer Vertriebsorganisation für strafbares Verhalten ihres Handelsvertreters
BGB § 241 Abs. 2, § 278 Satz 1, § 311 Abs. 2 Nr. 3 Zur Haftung einer Vertriebsorganisation für das strafbare Verhalten ihres Handelsvertreters, der die Fondsanlage eines Kunden nach Beendigung der eigentlichen Vermittlungsleistung aufgelöst und den hierbei erzielten Erlös veruntreut hat. (amtlicher Leitsatz) BGH, Urteil vom 15. März 2012 – III ZR 148/11 Anmerkung von Dr. Nicolai Behr, Rechtsanwalt und Dr. Thomas Grützner, Rechtsanwalt (München): I. Sachverhalt Ein Handelsvertreter der Deutschen Vermögensberatung AG (DVAG) hatte dem Ehemann der Klägerin im Jahr 2000 empfohlen, an die Fondsverwaltungsgesellschaft Deutscher Investment-Trust (DIT) einen Kontoeröffnungsantrag und einen Kaufantrag zum Erwerb von Anteilen an Aktienfonds zu richten. In der Folgezeit leistete dieser monatliche Zahlungen an den DIT. In dem Kontoeröffnungsantrag hatte der Ehemann der Klägerin zugleich den DIT ermächtigt, sowohl der Gesellschaft, die diesen Auftrag vermittelte – der DVAG –, als auch dem Handelsvertreter, diverse Daten über ihn zu übermitteln. Diese Daten sollten Beratungszwecken dienen. Der Handelsvertreter löste im Jahr 2003 die Fondsanlage des Ehemanns der Klägerin durch gefälschte Verkaufsaufträge auf und ließ sich den Verkaufswert auf sein Privatkonto überweisen. Die Klägerin nahm die DVAG aus abgetretenem Recht auf Schadensersatz wegen der Auflösung der Fondsanlage ihres Ehemannes und Veruntreuung des erzielten Erlöses durch den früheren Handelsvertreter der DVAG in Anspruch. II. Die Kernaussagen der Entscheidung Das Landgericht Frankfurt a.M. hatte die Zahlungsklage abgewiesen. Das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. gab der Klage Zug-um-Zug gegen Abtretung der Ansprüche der Klägerin gegen den DIT statt. Die Revision blieb ohne Erfolg. Der Bundesgerichtshof bestätigte den Schadensersatzanspruch der Klägerin gemäß den §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB. a) Für den Bereich der Vermögensberater und –vermittler ist relevant, dass die Ermächtigung des DIT, Daten über den Ehemann der Klägerin an die DVAG und den Handelsvertreter Daten zu übermitteln und deren Nutzung durch die beiden ein Schuldverhältnis gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB mit Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB begründen. b) Der Kern dieser Entscheidung liegt jedoch bei der Zurechnung des strafbaren Handelns des ehemaligen Handelsvertreters gegenüber der DVAG. Der Bundesgerichtshof geht von einer weiten Zurechnung aus. Eine Einstandspflicht des Geschäftsherrn (hier der DVAG) sei nur dann zu verneinen, wenn die Verfehlung des Gehilfen (hier des Handelsvertreters) sich von dem ihm übertragenen Aufgabenbereich so weit entfernt, dass aus der Sicht eines Außenstehenden ein innerer Zusammenhang zwischen dem Handeln des Gehilfen und dem allgemeinen Rahmen der ihm übertragenen Aufgaben nicht mehr zu
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erkennen sei. Dies sei der Fall, wenn der Gehilfe rein zufällig mit den Rechtsgütern des Geschädigten in Berührung komme, so dass sich ihm lediglich die Gelegenheit biete, wie jeder andere deliktisch Handelnde eine von den ihm übertragenen Aufgaben völlig losgelöste unerlaubte Handlung zu begehen (siehe auch BGH NJW-RR 1989, 723, 725). Der Bundesgerichtshof bestätigt hier seine Rechtsprechung, wonach eine Zurechnung schuldhaften Verhaltens von Erfüllungsgehilfen gemäß § 278 BGB nicht allein deshalb ausscheidet, weil sich der Erfüllungsgehilfe strafbar verhalten hat (vgl. BGH NJW 1991, 3208, 3209 f.). Voraussetzung für eine Zurechnung an den Geschäftsherrn sei lediglich ein unmittelbarer sachlicher Zusammenhang zwischen dem schuldhaften Verhalten des Gehilfen und den Aufgaben, die ihm der Geschäftsherr zugewiesen hat. Besteht ein derartiger unmittelbarer sachlicher Zusammenhang, hafte der Geschäftsherr auch für strafbares Verhalten seines Gehilfen. Das gelte selbst dann, wenn dieser seinen Weisungen oder Interessen vorsätzlich zuwiderhandelt, um eigene Vorteile zu erzielen (vgl. BGH NJW 1994, 3344, 3345; 1997, 1360, 1361; 1997, 2236, 2237; 2001, 3190, 3191; NJW-RR 2005, 756, 757). Für den Bundesgerichtshof kommt es somit darauf an, dass der Gehilfe nicht nur „rein zufällig“, sondern „bestimmungsgemäß“ mit den Rechtsgütern des Geschädigten in Kontakt kommt. III. Folgen strafbaren Verhaltens von Gehilfen für Unternehmen und Geschäftsleitung Die Verantwortlichkeit von Unternehmen und deren Geschäftsleitung für Verfehlungen Dritter, derer sich Unternehmen zur Unterstützung ihres Geschäfts bedienen, steht in der jüngeren Vergangenheit immer häufiger im Mittelpunkt von Rechtsprechung und Medien. Aktuelle Studien (vgl. Global Fraud Survey 2012, Ernst & Young) zeigen aber, dass sich viele Unternehmen und deren Geschäftsleitung dessen weiterhin nicht bewusst sind. Es fehlt an der Sensibilisierung dafür, dass sie auch Verantwortung für das Handeln dieser externen Personen tragen. Die Notwendigkeit, sich dieser Verantwortung bewusst zu werden, zeigt erneut die Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Sie rundet die ohnehin bestehenden strafrechtlichen und ordnungswidrigkeitsrechtlichen Risiken von Unternehmen in Fällen der Einschaltung Dritter, um eine weitere Komponente ab, die zivilrechtliche Einstandspflicht. Wichtig an der dargestellten Entscheidung ist, dass der Bundesgerichtshof die Zurechnung strafbaren Verhaltens ausdrücklich nicht auf das schuldhafte Verhalten eines Handelsvertreters beschränkt. Er hält vielmehr das Verhalten jedes Gehilfen für zurechenbar, wenn der Gehilfe nur bestimmungsgemäß, d.h. mit zielgerichtetem Willen des Geschäftsherrn mit einem Dritten und dessen Rechtsgütern in geschäftlichen Kontakt kommt. Zurechenbar kann somit das Verhalten jeder beliebigen Person sein, derer sich ein Unternehmen als externem Dienstleister bedient. Welche Fallgruppen können hiervon umfasst sein? Eindeutig sind die Fälle, in denen ein Unternehmen gezielt Dritte etwa zur Industrie- oder Wirtschaftsspionage einsetzt. Kritischer sind diejenigen Fälle, bei denen das Fehlverhalten des Gehilfen – wie in dem entschiedenen Fall – dem Geschäftsherrn zunächst verborgen bleibt und auch nicht gewollt ist. Zurechenbar ist etwa das Verhalten von Handelsvertretern, Beratern und sonstigen Vertriebsmittlern, wenn diese eigennützig oder auch uneigennützig zu unlauteren Geschäftspraktiken greifen, um Geschäft für den Geschäftsherrn zu sichern, auszubauen oder zu erhal-
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ten. Hierunter fallen insbesondere alle Arten der Korruption, ob im privatwirtschaftlichen Bereich (§ 299 Abs. 2 StGB) oder gegenüber Amtsträgern (§§ 333, 334 StGB), ob national oder international (§ 299 Abs. 3 StGB; § 334 StGB i.V.m. IntBestG und EUBestG). Wie bereits angedeutet droht bei der Einschaltung von Dritten aber nicht nur eine zivilrechtliche Inanspruchnahme. Die Einschaltung von Dritten kann auch strafrechtliche Konsequenzen für die Geschäftsleitung und ordnungswidrigkeitsrechtliche Folgen für die Geschäftsleitung und das Unternehmen zur Folge haben. So stellte der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs kürzlich (BB 2012, 150 mit Anm. Grützner) erneut klar, dass sich ein Betriebsinhaber oder Vorgesetzter durch Unterlassen (§ 13 Abs. 1 StGB) strafbar macht, wenn er Straftaten nachgeordneter Mitarbeiter nicht verhindert, die diese nicht nur „bei Gelegenheit der Tätigkeit“, sondern „betriebsbezogen“ begehen. Die Betriebsbezogenheit der Straftat nimmt der Bundesgerichtshof dabei – ganz ähnlich der Begründung der zivilrechtlichen Zurechnung – an, wenn die Straftat einen inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit des Begehungstäters oder mit der Art des Betriebs aufweist (BGH BB 2012, 150, 151). Es ist wohl davon auszugehen, dass der Bundesgerichtshof eine Unterlassungsstrafbarkeit des Betriebsinhabers/Vorgesetzten auch annehmen würde, wenn der Begehungstäter kein nachgeordneter Mitarbeiter, sondern ein von dem Unternehmen eingeschalteter Dritter (wie z.B. ein Handelsvertreter) wäre, der „bestimmungsgemäß“ für das Unternehmen tätig wird und hierbei eine „betriebsbezogene“ Straftat begeht. Nicht minder bedrohlich sind die Bußgelder, die das Ordnungswidrigkeitenrecht der Geschäftsleitung und ihrem Unternehmen androhen (§§ 30, 130 OWiG). Nach überwiegend vertretener Auffassung (vgl. OLG Düsseldorf, wistra 1991, 275, 277; OLG Hamm, NStZ 1992, 498, 499; BayOblG, NStZ 1998, 575; König, Göhler OWiG, 15. Auflage, 2009, § 130 Rn. 19; Bohnert, OWiG, 3. Auflage, 2010, § 130 Rn. 30) ist das strafbare Verhalten von Gehilfen (also Dritten) deren Geschäftsherrn auch im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts zurechenbar. Eine Zurechnung soll hier erfolgen, wenn der Dritte „Betriebsaufgaben wahrnimmt“ (vgl. BayOblG NStZ 1998, 575), was im Kern gleichbedeutend ist, mit dem von dem Bundesgerichtshof in der hier besprochenen Entscheidung definierten „bestimmungsgemäßen In-Kontakt-Treten“. Die Geschäftsleitung begeht hierbei eine Ordnungswidrigkeit, wenn sie es pflichtwidrig unterlässt, die eingeschalteten Dritten ordnungsgemäß zu beaufsichtigen (§ 130 OWiG). Es droht ihr dann zudem eine zivilrechtliche persönliche Inanspruchnahme durch das Unternehmen (z.B. über § 93 Abs. 2 AktG, § 43 Abs. 2 GmbHG). Den Unternehmen selbst wird das Fehlverhalten Dritter im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts für gewöhnlich nur über den „Transmissionsriemen“ (Többens, NStZ 1999, 1, 8; Helmrich, wistra 2010, 331, 332) des § 130 OWiG zugerechnet. Das Risiko einer Verbandsgeldbuße (§ 30 OWiG) besteht für Unternehmen in diesen Fällen für gewöhnlich erst dann, wenn sich Dritte bei der Wahrnehmung der betrieblichen Aufgaben strafbar verhalten haben und es zudem die Geschäftsleitung pflichtwidrig unterließ, diese Dritten ordnungsgemäß zu überwachen. In diesem Fall droht dem Unternehmen aber eine der Höhe nach unbegrenzte Verbandsgeldbuße (§ 30 Abs. 3 i.V.m. § 17 Abs. 4 OWiG).
Verbraucherschutzrecht
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Die Vermeidung der zivil-, straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verantwortung für das Fehlverhalten Dritter, die das Unternehmen eingeschaltet hat, stellt Unternehmen und deren Geschäftsleitung vor erhebliche Herausforderungen. Internationalen Regelwerken (wie z.B. den Six Principles for Adequate Procedures des UK Bribery Act 2010) lässt sich sogar die ausdrückliche Verpflichtung von Unternehmen zur Überprüfung bestimmter von ihnen eingeschalteter Personen (wie z.B. Vertriebsmittler) entnehmen. Wollen Unternehmen das Risiko, das von entsprechenden Personen ausgeht, minimieren, werden sie sich insbesondere im internationalen Rechtsverkehr in Zukunft die Personen, die sie zur Erhaltung oder Förderung ihrer Geschäfte einsetzen, näher „ansehen“ und diese enger überwachen müssen als bisher. Integritätsprüfungen dieser Geschäftspartner sind daher nicht ohne Grund ein essentieller Baustein bei dem Aufbau, der Umsetzung und Weiterentwicklung einer an die Belange des jeweiligen Unternehmens angepassten Compliance Organisation (vgl. Grützner/Leisch, DB 2012, 787, 794). Sie minimieren das Haftungsrisiko, das von der Einschaltung Dritter ausgeht.
Verbraucherschutzrecht Verbraucherschutzrecht
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Einräumung eines vertraglichen Widerrufsrechtes durch nachträgliche Widerrufsbelehrung
BGB § 355 Abs. 1, 2, § 305 Abs. 1 Zur Frage, ob die Erteilung einer – objektiv nicht erforderlichen – nachträglichen Widerrufsbelehrung als Einräumung eines voraussetzungslosen vertraglichen Widerrufsrechts verstanden werden kann. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2011 – XI ZR 401/10 Tatbestand: [1] Die Parteien streiten um Rückforderungs- und Feststellungsansprüche im Hinblick auf ein Darlehen zur Finanzierung der mittelbaren Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds. [2] Die Klägerin und ihr Ehemann wurden Ende 1997/Anfang 1998 von einem Vermittler geworben, sich mit einer Anteilssumme von 120.000 DM zuzüglich 5% Agio über einen Treuhänder an der V. GbR zu beteiligen. Zur Finanzierung des Fondsbeitritts gewährte die Beklagte den Eheleuten mit Vertrag vom 30. Dezember 1997/26. Januar 1998 ein Darlehen über einen Nennbetrag von 140.000 DM mit einer Zinsfestschreibung bis zum 30. Januar 2003. Dem Darlehensvertrag war eine von den Eheleuten gesondert unterzeichnete "Belehrung über gesetzliches Widerrufsrecht" beigefügt. [3] Nachdem das Darlehen zwischenzeitlich bereits einmal prolongiert worden war, unterbreitete die Beklagte den Eheleuten mit Schreiben vom 16. Januar 2008 unter Hinweis auf die am 30. Januar 2008 auslaufende vertraglich vereinbarte Zinsbindungsfrist ein Angebot zur Prolongation des Darlehens ("Angebot 1 zur Prolongation"), wobei sie alternativ den Abschluss einer zusätzlichen Zahlungsausfallversicherung anbot ("Angebot 2 zur Prolongation"). Dem Schreiben waren zwei Widerrufsbelehrungen
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beigefügt, die als "Widerrufsbelehrung" bzw. als "Widerrufsbelehrung zu Ihrer Vertragserklärung" bezeichnet waren und dieselbe Darlehensvertragsnummer enthielten. Die "Widerrufsbelehrung" trug zusätzlich die Bezeichnung "Anlage zur Prolongation". Die "Widerrufsbelehrung zu Ihrer Vertragserklärung" lautet auszugsweise wie folgt: "Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb eines Monats ohne Angabe von Gründen in Textform (z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Der Lauf der Frist für den Widerruf beginnt einen Tag nachdem Ihnen - eine Ausfertigung dieser Widerrufsbelehrung und - die Vertragsurkunde, der schriftliche Vertragsantrag oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder des Vertragsantrags zur Verfügung gestellt wurde." [4] In dem Anschreiben der Beklagten vom 16. Januar 2008 heißt es unter anderem: "Unterzeichnen Sie bitte das von Ihnen gewählte Prolongationsangebot … sowie die angeheftete Widerrufsbelehrung an den jeweils hierfürvorgesehenen Stellen und senden Sie es uns bis spätestens zum 15.02.2008 zurück.… Losgelöst hiervon, erhalten Sie in der Anlage die Widerrufsbelehrung zu Ihrer ursprünglichen Vertragserklärung, verbunden mit der Bitte, diese zur Kenntnis zu nehmen und zu Ihren Akten zu nehmen. Beabsichtigen Sie keines unserer Angebote anzunehmen, so ist das von Ihnen in Anspruch genommene Darlehen zurückzubezahlen. Den unter der Position "Darlehensstand per 30.01.2008" ausgewiesenen Betrag überweisen Sie bitte bis spätestens zum 30.01.2008 auf das oben genannte Darlehenskonto.… In der Hoffnung auf eine weiterhin angenehme Geschäftsverbindung verbleiben wir…" [5] Die Eheleute nahmen keines der beiden Prolongationsangebote an, sondern erklärten mit Anwaltsschreiben vom 6. Februar 2008 gegenüber der Beklagten den Widerruf ihrer auf den Abschluss des Darlehensvertrages gerichteten Willenserklärung. [6] Mit ihrer aus eigenem sowie aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes erhobenen Klage hat die Klägerin zuletzt in der Hauptsache die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 37.707,28 € (48.846,86 € seit Vertragsabschluss geleistete Zinsraten abzüglich 11.139,28 € erhaltene Fondsausschüttungen) nebst Zinsen Zug um Zug gegen Abtretung der Rechte an dem Fondsanteil beantragt, des Weiteren die Feststellung, dass keine Rückzahlungsansprüche der Beklagten aus dem streitgegenständlichen Darlehensvertrag bestehen und die Beklagte auch zum Ersatz des weiteren Vermögensschadens im Zusammenhang mit Erwerb und Finanzierung des Gesellschaftsanteils verpflichtet ist, sowie schließlich die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten in Bezug auf die Abtretung der Rechte am Gesellschaftsanteil. Hilfsweise hat sie die Neuberechnung der geleisteten Teilzahlungen mit einem Zinssatz von 4% nebst Erstattung der überzahlten Zinsen sowie die Feststellung begehrt, dass sie und ihr Ehemann aus dem Darlehensvertrag anstelle der vertraglich vereinbarten Zinsen lediglich solche in Höhe von 4% schulden. Sie hat die Auffassung vertreten, die Klageforderungen fänden ihre Grundlage sowohl in dem Widerruf der Darlehensvertragserklärungen der Eheleute als auch in Schadensersatzansprüchen wegen einer arglistigen Täuschung
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durch den Anlageberater, die der Beklagten, die mit den Fondsinitiatoren institutionalisiert zusammengearbeitet habe, nach den Grundsätzen des verbundenen Geschäfts zuzurechnen sei. [7]Das Landgericht hat der Klage nach den zuletzt gestellten Hauptanträgen – mit Ausnahme des auf Feststellung der Ersatzpflicht hinsichtlich des weiteren Vermögensschadens gerichteten Antrags, den es für unzulässig erachtet hat – stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Klageabweisung. Aus den Gründen: I. [9] Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: [10] Die Eheleute hätten durch die Widerrufserklärung vom 6. Februar 2008 wirksam von einem vertraglichen Widerrufsrecht Gebrauch gemacht. Die Beklagte habe ihnen durch die Übersendung der Widerrufsbelehrung mit Schreiben vom 16. Januar 2008 die Vereinbarung eines Widerrufsrechts angeboten. In der Ausübung des Widerrufs liege die Annahmeerklärung. [11] Das Begleitschreiben der Beklagten vom 16. Januar 2008 enthalte, abgesehen von dem Hinweis, dass die Übersendung der Belehrung "losgelöst" vom Prolongationsangebot erfolge, keinerlei Erläuterung in Bezug auf die "Widerrufsbelehrung zu Ihrer Vertragserklärung". Die Widerrufsbelehrung sei als empfangsbedürftige Willenserklärung so auszulegen, wie sie die Eheleute als Erklärungsempfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte hätten verstehen müssen. Entscheidend sei dabei nicht der Wille des Erklärenden, sondern der durch normative Auslegung zu ermittelnde objektive Erklärungswert seines Verhaltens. Weder in der "Widerrufsbelehrung zu Ihrer Vertragserklärung" noch im Begleitschreiben werde die Widerrufsbelehrung als "Nachbelehrung" bezeichnet oder würden Umstände bzw. Bedingungen benannt, bei deren Vorliegen die Widerrufsbelehrung Gültigkeit haben solle. Die Beklagte habe auch nicht etwa ausgeführt, dass die Übersendung der neuerlichen Belehrung aufgrund bei ihr entstandener Zweifel an der Wirksamkeit der Erstbelehrung erfolge. Davon, dass die neue Belehrung "vorsorglich" oder "fürsorglich" erfolge, sei keine Rede. Die Widerrufsbelehrung sei vielmehr einschränkungslos dahin formuliert, dass die Eheleute ihre Vertragserklärung ohne Angabe von Gründen widerrufen könnten. Insgesamt verhalte die Belehrung sich allein zu den Modalitäten der Ausübung des Widerrufsrechts ohne die Widerruflichkeit als solche einzuschränken. [12] Weder sei erkennbar, dass die Eheleute tatsächlich gewusst hätten, dass allgemein oder bei der Beklagten rechtliche Bedenken gegen die Wirksamkeit der ursprünglich verwendeten Widerrufsbelehrung aufgekommen waren, noch sei ersichtlich, dass die Beklagte Anlass gehabt habe, bei der Klägerin und ihrem Ehemann eine solche Kenntnis anzunehmen oder die Beklagte überhaupt von einer derartigen Kenntnis ausgegangen sei. Die Eheleute hätten keinen Anlass zu der Annahme gehabt, die Widerrufsbelehrung solle nur vorsorglich erfolgen, während der Beklagten eine entsprechende Klarstellung ohne Weiteres möglich gewesen sei. Nur im Falle einer solchen – hier
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jedoch fehlenden –Klarstellung, dass die neue Widerrufsbelehrung lediglich gelten solle, sofern zum einen die alte Belehrung unwirksam sei und zum anderen bei Abschluss des Darlehensvertrages eine kausale Haustürsituation vorgelegen habe, könne eine Unmissverständlichkeit der Erklärung aus der Sicht eines unbefangenen Verbrauchers vorliegen, wie die höchstrichterliche Rechtsprechung sie fordere. Daher hätten die Eheleute davon ausgehen dürfen, dass die Beklagte ihnen ein von weiteren Voraussetzungen unabhängiges Widerrufsrecht habe einräumen wollen. [13] Die Beklagte könne auch nicht damit gehört werden, die Klägerin und ihr Ehemann hätten nicht annehmen dürfen, ihnen solle ein Verzicht der Bank auf deren darlehensvertragliche Rechte angeboten werden. Weder die Widerrufsbelehrung noch das Begleitschreiben enthielten Hinweise darauf, dass der Sache nach ein solches Angebot unterbreitet werden solle. Vielmehr hätten die Eheleute nach der Belehrung über die Widerrufsfolgen davon ausgehen können, dass sie innerhalb von 30 Tagen empfangene Leistungen zurück zu gewähren und Zinsen als gezogene Nutzungen herauszugeben hätten. Für den Fall eines verbundenen Geschäfts, zu dessen Vorliegen die Belehrung keine Angaben enthalte, werde allein darauf hingewiesen, dass die Klägerin auch an den anderen Vertrag nicht gebunden sei. II. [14] Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Klägerin und ihr Ehemann können den am 6. Februar 2008 erklärten Widerruf ihrer auf den Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen nicht mit Erfolg auf ein vertragliches Widerrufsrecht stützen. Ein solches Recht der Eheleute haben die Parteien nicht vereinbart. Der Abschluss einer derartigen Vereinbarung ist den Eheleuten entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts insbesondere nicht mit dem Schreiben der Beklagten vom 16. Januar 2008 nebst beigefügter "Widerrufsbelehrung zu Ihrer Vertragserklärung" angeboten worden. [15] 1. Allerdings kann nach herrschender Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum ein Widerrufsrecht nicht nur von Gesetzes wegen bestehen, sondern grundsätzlich auch im Vereinbarungswege festgelegt werden. Danach können Vertragspartner – als Ausprägung der Vertragsfreiheit – ein Widerrufsrecht vertraglich vereinbaren und für die nähere Ausgestaltung sowie die Rechtsfolgen auf die §§ 355, 357 BGB verweisen (vgl. Staudinger/Kaiser, BGB, Neubearb. 2004, § 355 Rn. 11; Palandt/Grüneberg, BGB, 70. Aufl., Vor § 355 Rn. 5; Bamberger/Roth/Grothe, BGB, 2. Aufl., § 355 Rn. 4; AnwKBGB/Ring, § 355 Rn. 26; Godefroid, Verbraucherkreditverträge, 3. Aufl. Rn. 487; zur vertraglichen Vereinbarung einer Verlängerung der Widerrufsfrist vgl. Senatsurteil vom 13. Januar 2009 – XI ZR 118/08, WM 2009, 350 Rn. 16 f.). [16] Der Bundesgerichtshof hat im Urteil vom 15. Oktober 1980 (VIII ZR 192/79, WM 1980, 1386, 1387, insoweit in BGHZ 78, 248 nicht abgedruckt) offen gelassen, ob die bei unklarer Rechtslage in einen (Bierlieferungs)Vertrag aufgenommene "Belehrung über das Widerrufsrecht" als Vereinbarung eines vertraglichen Widerrufsrechts auszulegen ist. In einem weiteren Urteil vom 30. Juni 1982 (VIII ZR 115/81, WM 1982, 1027) hat
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er angenommen, aus dem in einem auf Bargeschäfte zugeschnittenen Formularvertrag enthaltenen Hinweis auf die Widerrufsmöglichkeit nach dem Abzahlungsgesetz ergebe sich für den Kunden ein vertragliches Rücktrittsrecht. Aus dieser Entscheidung wird im Schrifttum gefolgert, durch die Erteilung einer Widerrufsbelehrung an den Vertragspartner, dem nach den gesetzlichen Regelungen mangels Erfüllung der persönlichen und/oder sachlichen Voraussetzungen kein Widerrufsrecht zustehe, werde im Zweifel ein vertragliches Widerrufsrecht begründet (MünchKommBGB/Masuch, 5. Aufl., § 355 Rn. 58; vgl. auch Ebnet, NJW 2011, 1029, 1030 f.; einschränkend OLG Hamburg, Urteil vom 19. Juni 2009 – 11 U 210/06, juris Rn. 121; aA Münscher, WuB I E 1.-5.03; Corzelius, EWiR 2009, 243, 244). [17] Ob immer dann, wenn ein gesetzliches Widerrufsrecht nicht besteht, aus der Erteilung einer Widerrufsbelehrung auf die Einräumung eines vertraglichen Widerrufsrechts geschlossen werden kann, erscheint allerdings nicht zweifelsfrei. Dies hätte nämlich zur Folge, dass es auf die Voraussetzungen des gesetzlichen Widerrufsrechts nicht mehr ankäme und die betreffenden Vorschriften letztlich leer liefen. Ein solches Ergebnis dürfte mit Blick auf die gesetzlichen Regelungen des Widerrufsrechts, die an bestimmte tatbestandliche Merkmale anknüpfen, zumindest Bedenken begegnen. [18] 2. Im Streitfall bedürfen diese Zweifel keiner abschließenden Klärung, weil es sich vorliegend ohnehin nicht um die erstmalige Erteilung einer Widerrufsbelehrung handelt. Vielmehr enthielt bereits der Darlehensvertrag zwischen den Eheleuten und der Beklagten vom 30. Dezember 1997/26. Januar 1998 eine Widerrufsbelehrung ("Belehrung über gesetzliches Widerrufsrecht"), zu deren Wirksamkeit die Parteien in den Vorinstanzen entgegengesetzte Standpunkte eingenommen haben. [19] a) Ob die Erteilung einer – objektiv nicht erforderlichen – nachträglichen Widerrufsbelehrung als Einräumung eines voraussetzungslosen vertraglichen Widerrufsrechts verstanden werden kann, ist in Rechtsprechung und Literatur ebenfalls umstritten. Im Schrifttum wird teilweise angenommen, für die nachträgliche Belehrung könne insoweit nichts anderes gelten als für die Erstbelehrung (Maier, VuR 2011, 225, 226; im Ergebnis ebenso Lindner, EWiR 2011, 43, 44; differenzierend hingegen Ebnet, NJW 2011, 1029, 1031). In der instanzgerichtlichen Rechtsprechung sind mit dem hier streitgegenständlichen Anschreiben nebst Widerrufsbelehrung übereinstimmende nachträgliche Belehrungen der Beklagten zum Teil als Angebote auf Vereinbarung eines vertraglichen Widerrufsrechts angesehen worden (OLG Dresden, Urteil vom 28. Mai 2009 – 8 U 1530/08, juris Rn. 27 f.), zum Teil ist eine solche Auslegung abgelehnt worden (OLG Nürnberg, WM 2011, 114 ff.). Das OLG München (WM 2003, 1324, 1326 f.) hat in der von einer Bank aus Unsicherheit über die Rechtslage nachträglich erteilten Erstbelehrung über ein – objektiv nicht bestehendes – Widerrufsrecht keine Einräumung eines vertraglichen Widerrufsrechts gesehen (zustimmend Godefroid, Verbraucherkreditverträge, 3. Aufl., Rn. 486 f.; Ebnet, NJW 2011, 1029, 1031; Münscher, WuB I E 1.-5.03). [20] b) Unter welchen Voraussetzungen ein vertragliches Widerrufsrecht gegebenenfalls auch nachträglich vereinbart werden kann, bedarf im Streitfall keiner abschließenden Entscheidung. Denn jedenfalls das Begleitschreiben
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der Beklagten vom 16. Januar 2008 nebst der beigefügten "Widerrufsbelehrung zu Ihrer Vertragserklärung" stellt sich bei der gebotenen objektiven Auslegung nicht als Angebot auf Vereinbarung eines voraussetzungslosen vertraglichen Widerrufsrechts dar. [21] aa) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts, das seiner rechtlichen Bewertung die Grundsätze über den durch normative Auslegung zu ermittelnden objektiven Erklärungswert von Individualerklärungen zugrunde gelegt hat, bestimmt sich der Auslegungsmaßstab allerdings vorliegend nicht nach den allgemeinen Regeln der §§ 133, 157 BGB. Maßgebend ist vielmehr der für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen geltende Grundsatz der objektiven Auslegung. Auch nach diesem Maßstab erweist sich das vom Berufungsgericht gefundene Auslegungsergebnis jedoch als unzutreffend. [22] (1) Vorformulierte Widerrufsbelehrungen der in Rede stehenden Art sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Senatsurteil vom 13. Januar 2009 – XI ZR 118/08, WM 2009, 350 Rn. 16; Senatsbeschluss vom 15. Dezember 2009 – XI ZR 141/09, juris Rn. 13; s. auch schon BGH, Urteil vom 30. Juni 1982 – VIII ZR 115/81, WM 1982, 1027) Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.v. § 305 BGB (früher § 1 AGBG). Bestandteil der Widerrufsbelehrung ist vorliegend zudem, wie der erkennende Senat für ein insoweit gleichlautendes Anschreiben der Beklagten nebst identischer Widerrufsbelehrung entschieden hat (Senatsbeschluss vom 15. Februar 2011 – XI ZR 148/10, WM 2011, 655 Rn. 16), der den Bezug zu der ursprünglichen Vertragserklärung herstellende Passus des Begleitschreibens ("Losgelöst hiervon, erhalten Sie in der Anlage die Widerrufsbelehrung zu Ihrer ursprünglichen Vertragserklärung, verbunden mit der Bitte, diese zur Kenntnis zu nehmen und zu Ihren Akten zu nehmen."). [23] (2) Nach ständiger Rechtsprechung gilt im Zusammenhang mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Grundsatz der objektiven Auslegung. Danach sind diese ausgehend von den Interessen, Vorstellungen und Verständnismöglichkeiten eines rechtlich nicht vorgebildeten Durchschnittskunden einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden. Außer Betracht zu bleiben haben dabei Verständnismöglichkeiten, die zwar theoretisch denkbar, praktisch aber fern liegend und nicht ernstlich in Erwägung zu ziehen sind. Nur wenn nach Ausschöpfung aller in Betracht kommenden Auslegungsmethoden Zweifel verbleiben und mindestens zwei Auslegungsmöglichkeiten rechtlich vertretbar sind, kommt die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB (früher § 5 AGBG) zur Anwendung (BGH, Urteil vom 5. Mai 2010 – III ZR 209/09, BGHZ 185, 310 Rn. 14 und Senatsurteil vom 7. Dezember 2010 – XI ZR 3/10, BGHZ 187, 360 Rn. 29, jeweils mwN). [24] bb) Im Streitfall ist das Begleitschreiben der Beklagten vom 16. Januar 2008 nebst der beigefügten "Widerrufsbelehrung zu Ihrer Vertragserklärung" aus der maßgeblichen Sicht eines durchschnittlichen Kunden nicht als Angebot auf Vereinbarung eines voraussetzungslosen vertraglichen Widerrufsrechts zu verstehen. Diese Auslegung kann der erkennende Senat, dem die über den Bezirk eines Berufungsgerichts hinausgehende Verwendung der jeweils gleichlautenden Texte von Anschreiben bzw. Widerrufsbelehrung durch die Beklagte aus mehreren Verfahren be-
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kannt ist, selbst vornehmen (Senatsurteil vom 7. Dezember 2010 – XI ZR 3/10, BGHZ 187, 360 Rn. 29 mwN). [25] (1) Allerdings genügte das Schreiben der Beklagten vom 16. Januar 2008 an die Eheleute nebst der beigefügten "Widerrufsbelehrung zu Ihrer Vertragserklärung" – wie der erkennende Senat mit Beschluss vom 15. Februar 2011 (XI ZR 148/10, WM 2011, 655 Rn. 13 ff.) für ein gleichlautendes Anschreiben der Beklagten mit identischer Widerrufsbelehrung entschieden hat – nicht den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Nachbelehrung i.S.v. § 35 Abs. 2 Satz 1 BGB. Zum einen ist das von der Beklagten für die Widerrufsbelehrung verwendete Belehrungsformular aufgrund seiner missverständlichen Fassung objektiv geeignet, den Verbraucher – hier die Klägerin und ihren Ehemann – über den Beginn der Widerrufsfrist nicht richtig zu informieren (Senatsbeschluss vom 15. Februar 2011 – XI ZR 148/10, WM 2011, 655 Rn. 13 unter Hinweis auf das Senatsurteil vom 10. März 2009 – XI ZR 33/08, BGHZ 180, 123 Rn. 14 ff.). Zum anderen wird die Textstelle des Begleitschreibens der Beklagten, die überhaupt erst den Bezug zur ursprünglichen Vertragserklärung der Darlehensnehmer herstellt ("Losgelöst hiervon …"), dem Deutlichkeitsgebot des § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht gerecht, weil sie weder drucktechnisch deutlich gestaltet noch ihr unmissverständlich zu entnehmen ist, dass der Kunde seine ursprüngliche Vertragserklärung – noch – widerrufen kann (Senatsbeschluss vom 15. Februar 2011 – XI ZR 148/10, WM 2011, 655 Rn. 14–16). [26] Daraus, dass die betreffende Formulierung des Begleitschreibens nebst dem Text der Widerrufsbelehrung den gesetzlichen Anforderungen an eine Nachbelehrung über ein etwa ursprünglich bestehendes Widerrufsrecht nicht genügt, folgt indes nicht, dass umgekehrt die als solche unzureichende Nachbelehrung aus der Sicht eines juristisch nicht vorgebildeten Durchschnittskunden sich sogar als Einräumung eines neuen, eigenständigen Widerrufsrechts hinsichtlich seiner ursprünglichen Vertragserklärung darstellt. Das verkennt das Berufungsgericht, das sein Auslegungsergebnis im Wesentlichen nur damit begründet hat, weder das Begleitschreiben der Beklagten vom 16. Januar 2008 noch die beigefügte "Widerrufsbelehrung zu Ihrer Vertragserklärung" seien als "Nachbelehrung" bezeichnet bzw. enthielten eine entsprechende Erläuterung oder Klarstellung. Hierdurch allein wird indes der maßgebliche Auslegungsstoff nicht ausgeschöpft. [27] (2) Zwar besteht nach dem Wortlaut der streitgegenständlichen Widerrufsbelehrung ein an keine weiteren Voraussetzungen geknüpftes Recht zum Widerruf innerhalb eines Monats und beginnt der Lauf dieser Frist einen Tag nach Zurverfügungstellung "dieser" Widerrufsbelehrung. Indes wurde nach der ausdrücklichen Formulierung im Begleitschreiben die Widerrufsbelehrung dem Kunden lediglich mit der Bitte übersandt, sie "zur Kenntnis zu nehmen", was die Einordnung dieses Vorgangs als Angebot auf Abschluss einer Vereinbarung jedenfalls nicht nahelegt. Die Frage nach dem zutreffenden Verständnis der Widerrufsbelehrung sowie des Anschreibens der Beklagten vom 16. Januar 2008 aus objektiver Kundensicht kann aber ohnehin nicht mit Blick allein auf den Wortlaut dieser Erklärungen, sondern nur unter Berücksichtigung des Vertragsverhältnisses der Parteien insgesamt beantwortet werden. Denn nur in diesem Rahmen hat die Beklagte die fragliche Belehrung erteilt und wollte sie diese – auch aus Sicht des Darlehensnehmers – erteilen.
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[28] (a) Hinsichtlich des Darlehensvertrags der Parteien aber hatte die Beklagte den Eheleuten schon bei Vertragsabschluss am 30. Dezember 1997/ 26. Januar 1998 eine Widerrufsbelehrung erteilt. Insoweit unterscheidet der Streitfall sich grundlegend von dem Sachverhalt, der dem Urteil des VIII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 30. Juni 1982 (VIII ZR 115/81, WM 1982, 1027) zugrunde lag. Die dort vorgenommene Auslegung hatte eine Erstbelehrung der Kundin zum Gegenstand. Vorliegend indes wurde das Vertragsverhältnis zu dem Zeitpunkt, als die Eheleute mit dem Begleitschreiben der Beklagten vom 16. Januar 2008 die diesem beigefügte Widerrufserklärung erhielten, von den Parteien bereits seit nahezu zehn Jahren vollzogen. Irgendein tatsächlicher Anhaltspunkt, der aus objektiver Sicht eines Darlehensnehmers die Annahme hätte begründen können, die darlehensgebende Bank wolle ihm derart lange Zeit nach dem Vertragsschluss aus freien Stücken und ohne jeden äußeren Anlass, also gewissermaßen "aus heiterem Himmel", ein neues – selbständiges – Recht einräumen, sich nunmehr voraussetzungslos aus dem laufenden Vertragsverhältnis zu lösen, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Ein solches Verhalten wäre unter den – selbst dem unbefangenen Durchschnittskunden geläufigen – Gepflogenheiten des Wirtschaftslebens auch derart außergewöhnlich, dass auf einen entsprechenden Vertragswillen des anderen Teils regelmäßig nicht ohne weiteres, sondern nur beim Vorliegen besonderer, eine solche Annahme rechtfertigender Umstände geschlossen werden kann, an denen es hier jedoch fehlt. [29] (b) Für den Streitfall gilt dies umso mehr, als die streitige nachträgliche Widerrufsbelehrung der Beklagten ausdrücklich mit zwei Prolongationsangeboten in Bezug auf den Darlehensvertrag verbunden war. Zwar erfolgte die Zurverfügungstellung der Widerrufsbelehrung zur ursprünglichen Vertragserklärung nach dem Anschreiben vom 16. Januar 2008 "losgelöst" von diesen Angeboten. Es war den Eheleuten als Darlehensnehmern zudem unbenommen, keines dieser Angebote anzunehmen, mit der Folge, dass das Vertragsverhältnis der Parteien dann gleichfalls – jedoch unter anderen rechtlichen Rahmenbedingungen – sein Ende gefunden hätte. Den Prolongationsangeboten war aber gleichwohl auch aus Laiensicht unzweifelhaft der ausdrückliche Wunsch der Beklagten zu entnehmen, den Darlehensvertrag mit den Eheleuten gerade nicht zu beenden, sondern vielmehr fortzusetzen. Weshalb die Beklagte ihren Darlehensnehmern gewissermaßen "im selben Atemzug" einerseits die Vertragsfortsetzung hätte anbieten und ihnen andererseits das Recht hätte einräumen sollen, sich durch Widerruf ihrer Vertragserklärungen voraussetzungslos vom Vertrag zu lösen, ist daher nicht erkennbar. Auch aus der Sicht eines rechtsunkundigen Kunden sowie unter Berücksichtigung seines allgemeinen Erfahrungswissens bei der Abwicklung geschlossener Verträge ergibt ein solches Verhalten des Darlehensgebers letztlich keinen Sinn. [30] (c) Darüber hinaus läuft die Rechtswirkung, die das Berufungsgericht dem Anschreiben vom 16. Januar 2008 nebst beigefügter "Widerrufsbelehrung zu Ihrer Vertragserklärung" in Gestalt der Auslegung als Angebot auf Einräumung eines voraussetzungslosen vertraglichen Widerrufsrechts beigemessen hat, auf eine Erweiterung der Rechtsstellung der Eheleute hinaus. Dass nämlich schon die Widerrufsbelehrung im Darlehensvertrag vom 30. Dezember 1997/ 26. Januar 1998 ein voraussetzungs-
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loses (vertragliches) Widerrufsrecht zum Gegenstand gehabt hätte, macht die Klägerin selbst nicht geltend. Hiergegen spricht auch der Umstand, dass die dortige Widerrufsbelehrung ausdrücklich auf ein "gesetzliches Widerrufsrecht" bezogen war. Weshalb aber die Beklagte den Eheleuten fast zehn Jahre nach Vertragsschluss sogar ein über deren ursprüngliche Rechtsstellung hinausgehendes freies Widerrufsrecht hätte einräumen sollen, ist erst recht nicht ersichtlich. Die Annahme eines solchen Vertragswillens des Darlehensgebers liegt – ohne diesbezügliche Anhaltspunkte, die hier nicht erkennbar sind – auch aus der Sicht eines unbefangenen durchschnittlichen Darlehensnehmers fern. [31] (d) Selbst vom Standpunkt des Berufungsgerichts aus ergibt sich im Streitfall aus – im angefochtenen Urteil unberücksichtigt gebliebenem – unstreitigem Parteivorbringen, dass die Eheleute das Anschreiben der Beklagten vom 16. Januar 2008 nebst beigefügter "Widerrufsbelehrung zu Ihrer Vertragserklärung" seinerzeit auch tatsächlich gar nicht als Angebot auf Einräumung eines vertraglichen Widerrufsrechts verstanden und sie mit dem Anwaltsschreiben vom 6. Februar 2008 ein solches – vertragliches – Widerrufsrecht nicht ausgeübt haben. Bereits die (neben Schadensersatzansprüchen wegen fehlerhafter Anlageberatung) ausdrücklich nur auf "Rückabwicklungsansprüche wegen eines etwaigen Haustürwiderrufes" bezogene Abtretungsvereinbarung der Eheleute vom 5. Februar 2008 zeigt, dass die Klägerin und ihr Ehemann nicht davon ausgingen, durch das ihnen knapp drei Wochen zuvor zugesandte Schreiben der Beklagten vom 16. Januar 2008 nebst Widerrufserklärung sei ihnen die Einräumung eines vertraglichen Widerrufsrechts angeboten worden. In der Klageschrift vom 25. Juni 2008 hat die Klägerin zudem selbst vorgetragen, die Beklagte habe mit Schreiben vom 16. Januar 2008 eine "Nachbelehrung zum ursprünglichen Darlehensvertrag" übersandt. Hierdurch habe der Versuch unternommen werden sollen, in den Fällen, in denen die ursprüngliche Widerrufsbelehrung unwirksam gewesen sei, eine "neue Belehrung hinterher zu senden". Mit dem durch das Schreiben vom 6. Februar 2008 ausgesprochenen "Widerruf des Darlehensvertrages gemäß HaustürWG" sei dieser Vertrag endgültig nichtig. Die Klägerin ist also noch bei der Klageerhebung davon ausgegangen, ihr sowie ihrem Ehemann stehe lediglich ein gesetzliches Widerrufsrecht aufgrund einer Haustürsituation zu. Erstmals in einem späteren erstinstanzlichen Schriftsatz hat die Klägerin sodann unter Hinweis auf eine Entscheidung des Landgerichts E. die Ansicht vertreten, den Eheleuten sei ein vertragliches Widerrufsrecht unabhängig von einer Haustürsituation eingeräumt worden. [32] (e) Bei dieser Sachlage kommt eine Auslegung des Anschreibens der Beklagten vom 16. Januar 2008 nebst beigefügter "Widerrufsbelehrung zu Ihrer Vertragserklärung" als Angebot auf Vereinbarung eines voraussetzungslosen vertraglichen Widerrufsrechts nicht in Betracht. Insbesondere ist auch für eine Anwendung der Unklarheitenregelung (§ 305c Abs. 2 BGB; früher § 5 AGBG) kein Raum. [33] d) Soweit im Schrifttum (Lindner, EWiR 2011, 43, 44) in Bezug auf die – den Gegenstand des parallel gelagerten Revisionsverfahrens XI ZR 442/10 bildende – Entscheidung des OLG Nürnberg, WM 2011, 114, die Ansicht vertreten worden ist, der Bundesgerichtshof werde eine vorsorglich erteilte Widerrufsbelehrung ohne bestehendes Widerrufsrecht "schwerlich sanktionslos" lassen,
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ist der Hinweis veranlasst, dass eine wie hier dem Deutlichkeitsgebot nach§ 355 Abs. 2, § 360 Abs. 1 BGB nicht genügende nachträgliche Widerrufsbelehrung schon deshalb nicht sanktionslos bleibt, weil sie die Widerrufsfrist eines – etwaigen – gesetzlichen Widerrufsrechts nicht im Nachhinein in Gang zu setzen vermag. Stand dem Darlehensnehmer ohnehin kein gesetzliches Widerrufsrecht zu bzw. kann er dessen tatbestandliche Voraussetzungen nicht hinreichend darlegen, ist erst recht nicht ersichtlich, weshalb eine in diesem Falle von vornherein ins Leere gehende, vom Vertragspartner möglicherweise nur vorsorglich erteilte, "Nachbelehrung" zu der noch weitergehenden Sanktion eines sogar voraussetzungslosen Widerrufsrechts führen sollte.
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Widerrufsrecht des Verbrauchers auch bei telefonischer Vertragsänderung
§§ 312b, 312d, 355 BGB, §§ 3, 4 Nr. 11 UWG Das Fernabsatzwiderufsrecht gilt grundsätzlich auch dann, wenn ein Verbraucher auf telefonischem Wege einen bestehenden Vertrag in seinem wesentlichen Inhalt ändert. Es entfällt nur, wenn sich der Verbraucher unmittelbar vor dem Telefonat im Rahmen eines persönlichen Kontakts bei dem Unternehmen über die neuen Vertragsbedingungen informiert hat. (Leitsatz der Redaktion) OLG Koblenz, Urteil vom 28. März 2012 – 9 U 1166/11 Das OLG Koblenz hat entschieden, dass das Widerrufsrecht auch gilt, wenn ein Verbraucher auf telefonischem Wege wesentliche Inhalte eines Vertrags ändert. Eine Kundin hatte ihren Vertrag einem Serviceprovider über Telefon- und Internetdienste mit einer Mindestvertragslaufzeit von 24 Monaten fristgerecht gekündigt. Daraufhin wurde sie vor Ablauf des Vertrags von einem Mitarbeiter des Unternehmens angerufen. Dieser bot ihr einen neuen Vertrag zum neuen Preis mit neuer 24-monatiger Laufzeit an. Sie willigte zunächst ein, bereute ihre Entscheidung jedoch später und erklärte per E-Mail, dass sie den neuen Vertrag nicht mehr wolle. Das Unternehmen teilte ihr daraufhin mit, dass ein Widerrufsrecht nur bei Neuabschlüssen bestehe. Dies sei hier nicht der Fall, weil es sich nur um eine Inhaltsänderung im Rahmen eines bestehenden Vertrags handele. Das OLG Koblenz stellt klar, dass bei Änderungen per Fernkommunikationsmittel (z.B. Telefon) eines bestehenden Vertrags, das Widerrufsrecht gilt, worüber das Unternehmen auch zu informieren hat. Der Verbraucher ist in gleichem Umfang in Bezug auf den Abänderungsvertrag wie bei einem Erstvertrag schutzwürdig, vorausgesetzt, es handelt sich um neue „wesentliche Vertragsinhalte gegenüber der ursprünglichen Vereinbarung“, wie dem Leistungsgegenstand. Das Widerrufsrecht entfällt nur dann, wenn sich der Verbraucher unmittelbar vor dem Telefonat im Rahmen eines persönlichen Kontakts bei dem Unternehmen über die neuen Vertragsbedingungen informiert hat. In diesem Fall muss der Kunde nicht mehr vor Übereilung geschützt werden. (mitgeteilt von Prof. Dr. Karsten Metzlaff, Noerr LLP, Ber lin)
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Wettbewerbs- und Kartellrecht
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II. Entscheidung und Entscheidungsgründe:
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Der EuGH hat die Frage aus folgenden Gründen verneint: „Selektiv“ ist ein Vertriebssystem nach der Legaldefinition in Art. 1 Abs.1 Buchst. f der GVO 1400/2002, wenn sich der Lieferant verpflichtet, Vertragswaren nur an Händler (oder Werkstätten) zu liefern, die er aufgrund festgelegter Merkmale auswählt, und sich die ausgewählten Händler verpflichten, die betreffenden Waren nur an ebenfalls zugelassene Händler zu verkaufen. Die Selektion kann quantitativ oder qualitativ erfolgen.
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„Festgelegte Merkmale“ für die Zulassung zu selektiven Vertriebssystemen
EG Art. 81 III (AEUV Art. 101 III); Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 Art. 1 I lit. f Unter dem Begriff "festgelegte Merkmale" in Art. 1 Abs. 1 Buchst. f der Verordnung (EG) Nr. 1400/2002 der Kommission vom 31. Juli 2002 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 des Vertrags auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Kraftfahrzeugsektor sind im Fall eines quantitativen selektiven Vertriebssystems im Sinne dieser Verordnung Merkmale zu verstehen, deren genauer Inhalt überprüft werden kann. Um in den Genuss der in dieser Verordnung vorgesehenen Freistellung zu gelangen, ist es nicht erforderlich, dass ein solches System auf Merkmalen beruht, die objektiv gerechtfertigt sind sowie einheitlich und unterschiedslos auf alle Bewerber um die Zulassung angewandt werden. (amtlicher Leitsatz) EuGH, Urteil vom 14. Juni 2012 – C-158/11 – Auto 24/ Jaguar Anmerkung von Rechtsanwalt Prof. Dr. Franz-Jörg Semler: I. Verfahren und Sachverhalt Das Urteil erging auf ein Vorabentscheidungsersuchen der französischen Cour de Cassation nach Art. 267 AEUV. Dem lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Die Auto 24 SARL (Klägerin) begehrte von Jaguar Land Rover France SAS (Beklagte) die Zulassung als Vertragshändlerin für Neuwagen der Marke LAND ROVER. Die Klägerin übt ihre Geschäftstätigkeit in Périgueux (Frankreich) aus. Die Beklagte ist Importeurin von Neuwagen und sonstiger Erzeugnisse der Marke LAND ROVER in Frankreich. Die Klägerin war von 1994 an ausschließliche Vertragshändlerin der Beklagten in Périgueux. Das Vertragsverhältnis endete auf Grund ordentlicher Kündigung durch die Beklagte im September 2004. Die Beklagte schloss mit der Klägerin einen neuen Vertrag, durch den sie die Klägerin als zugelassene Werkstatt einsetzte. Sie lehnte jedoch die Bewerbung der Klägerin als Vertragshändlerin ab. Die Beklagte begründete ihre Entscheidung damit, dass sie den Vertrieb in Frankreich mit 72 zugelassenen Händlern an 109 Standorten organisieren wolle; dazu gehöre Périgueux nicht. Die Klägerin hielt die Entscheidung der Beklagten für rechtswidrig und verlangte Ersatz des Schadens, der ihr dadurch entstanden sei, dass die Beklagte ihre Bewerbung um Zulassung als Vertragshändlerin abgelehnt habe. Die Klage wurde in erster und zweiter Instanz abgewiesen. Die Cour de Cassation sah sich zu einem Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 267 AEUV veranlasst um zu klären, ob in einem quantitativ selektiven Vertriebssystem des Kraftfahrzeugsektors, wie es die Beklagte praktizierte, der Rechtsvorteil der Freistellung von Art. 81 Abs. 1 EG (jetzt Art. 101 Abs. 1 AEUV) davon abhängt, dass die Merkmale für die Zulassung eines Händlers objektiv gerechtfertigt sind sowie einheitlich und unterschiedslos auf alle Bewerber um die Zulassung angewandt werden.
„Quantitativ selektiv“ ist das Vertriebssystem, wenn der Lieferant Merkmale für die Auswahl der Händler (oder Werkstätten) verwendet, die deren Zahl unmittelbar begrenzen (Art. 1 Abs. 1 Buchst. g der GVO 1400/2002). Demgegenüber ist das Vertriebssystem „qualitativ selektiv“, wenn der Lieferant rein qualitative Merkmale für die Auswahl der Händler anwendet, die wegen der Beschaffenheit der Vertragswaren erforderlich sind; für alle sich um die Aufnahme in das Vertriebssystem bewerbenden Händler einheitlich gelten; in nicht diskriminierender Weise angewandt werden und nicht unmittelbar die Zahl der Händler begrenzen (Art. 1 Abs. 1 Buchst. h GVO 1400/2002). Im vorliegenden Fall handelte es sich um ein quantitativ selektives Vertriebssystem, weil die Beklagte sowohl die Zahl der Händler als auch die der Standorte abschließend festgelegt hatte. Der Rechtsvorteil der Freistellung hängt bei allen selektiven Vertriebssystemen davon ab, dass die Zulassungsmerkmale „festgelegt“ sind. Das bedeutet aber nicht mehr als dass die Merkmale genau bestimmt und überprüfbar sein müssen (Rz 30 des Urteils).Veröffentlicht brauchen sie nicht zu sein (Rz 31 ). Inhaltliche Anforderungen bestehen gemäß Art. 1 Abs. 1 Buchst. h der GVO 1400/2002 nur für qualitativ selektive Vertriebssysteme; für quantitativ selektive Vertriebssysteme stellt die GVO dagegen keine inhaltlichen Anforderungen auf. Der EuGH begründet seine Entscheidung aus dem Wortsinn und der Systematik der GVO 1400/2002: Die Verordnung lege unterschiedliche Freistellungsvoraussetzungen für quantitativ selektive Vertriebssysteme einerseits und für qualitativ selektive Vertriebssysteme andererseits fest. Für quantitativ selektive Vertriebssysteme gelte eine Marktanteilsschwelle von 40 %, während der Marktanteil bei qualitativ selektiven Vertriebssystemen keine Rolle spiele (Art. 3 Abs. 1, zweiter und dritter Unterabsatz der GVO 1400/2002). Für qualitativ selektive Vertriebssysteme schreibe die GVO 1400/2002 in Art. 1 Abs. 1 Buchst. h vor, dass die Auswahl der zuzulassenden Händler nach Kriterien erfolge, die wegen der Beschaffenheit der Vertragswaren erforderlich seien und die einheitlich und diskriminierungsfrei angewandt werden müssten. Für quantitativ selektive Vertriebssysteme mache die GVO in der unmittelbar vorangehenden Vorschrift des Art. 1 Abs. 1 Buchst. g keine entsprechenden Vorgaben. Sie könnten auch nicht in diese Bestimmung hineininterpretiert werden, weil dadurch die von der GVO 1400/2002 gewollte unterschiedliche Behandlung der beiden Arten des selektiven Vertriebes vermischt würden (Rz 36). Das erscheint zwingend, steht wohl auch in Einklang mit den Erklärungen, die die französische Regierung, die Kommission und der Generalanwalt im Verfahren abgegeben haben. Anzumerken ist, dass die Auslegung, die der EuGH dem Begriff der „festgelegten Merkmale“ in Art. 1 Abs. 1
Wettbewerbs- und Kartellrecht
Entscheidungen
Buchst. f der GVO 1400/2002 gibt, keinen Freibrief für willkürliche oder sachlich ungerechtfertigte Zulassungskriterien gewährt: Nach Art. 6 der GVO 1400/2002 kann die Kommission den Rechtsvorteil der Freistellung im Einzelfall entziehen, wenn ein nach dieser GVO freigestelltes Vertriebssystem gleichwohl Wirkungen hat, die mit den Freistellungsvoraussetzungen des Art. 81 Abs 3 EG (jetzt Art. 101 Abs.3 AEUV) nicht vereinbar sind.1 III. Praxishinweise: 1. Die unmittelbaren Auswirkungen des Urteils sind begrenzt: Die GVO 1400/2002, zu der das Urteil ergangen ist, gilt – beschränkt auf den Bezug, den Verkauf und den Weiterverkauf neuer Kraftfahrzeuge – nur noch bis zum 31. 05. 2013 (Art. 2 der VO 461/2010). Von da an gilt auch für den Vertrieb neuer Kraftfahrzeuge die allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung für vertikale Wettbewerbsbeschränkungen2 („VertikalGVO“)3. 2. Die VertikalGVO verwendet aber im Zusammenhang mit selektiven Vertriebssystemen ebenfalls den Begriff der „festgelegten Merkmale“, an Hand derer die zu einem solchen Vertriebssystem zuzulassenden Händler ausgewählt werden (Art. 1 Abs. 1 Buchst. e der VertikalGVO).4 Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Begriff in der VertikalGVO anders zu verstehen wäre, als in der GVO 1400/2002 und der GVO 2790/1999 (VertikalGVO alt). Das Urteil des EuGH ist also nicht nur für die auslaufende GVO 1400/2002 relevant sondern hat auch im übrigen Vertriebskartellrecht Bedeutung. 3. Weitere Bestimmungen über selektive Vertriebssysteme finden sich in Art. 4 Buchst. b) iii; c); d) der VertikalGVO. Sie macht zwar nach ihrem Wortlaut keinen Unterschied mehr zwischen quantitativ selektiven und qualitativ selektiven Vertriebssystemen. Für beide gilt die Gruppenfreistellung gleichermaßen, wenn sie die einheitlichen Freistellungsvoraussetzungen erfüllen. Auch die Marktanteilsschwelle von 30 % gemäß Art. 3 Abs. 1 der VertikalGVO gilt für alle selektiven Vertriebssysteme. Dennoch bleiben Unterschiede in der Beurteilung quantitativer und qualitativer Selektivsysteme bestehen. Darauf weisen auch die Leitlinien der Kommission zur VertikalGVO hin5. Insbesondere fallen viele qualitative Selektivsysteme gar nicht unter das Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV, so dass insoweit eine Freistellung gemäß Art. 101 Abs. 3 AEUV – ex lege oder durch Gruppenfreistellung – überhaupt nicht erforderlich ist und demnach auch nicht vom Unterschreiten der Marktanteilsschwelle von 30 % abhängt. Das gilt namentlich, wenn die Auswahl der Wiederverkäufer anhand objektiver Gesichtspunkte qualitativer Art erfolgt, die einheitlich für alle in Betracht kommenden Wiederverkäufer festgelegt und ohne Diskriminierung angewendet werden, sofern die Eigenschaf________________________ 1
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Die Möglichkeit zur Entziehung der Freistellung im Einzelfall ist jetzt allgemein in Art. 29 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln („KartellverfahrensVO“) geregelt. Verordnung (EU) Nr. 330/2010 der Kommission vom 20. April 2010 über die Anwendung von Artikel 101 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Gruppen von vertikalen Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen Gewisse Sonderregelungen in Ergänzung zur VertikalGVO gelten weiterhin für den Kfz – Anschlussmarkt (Art. 4; 5 VO 461/2010). Ebenso schon die Vorgängerin VO 2790/1999 ("VertikalGVO alt"), Art. 1 Buchst. d). Leitlinien für vertikale Beschränkungen ABl. vom 19.05.2010 C 130/1 Rdnr. 174–188
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ten des fraglichen Erzeugnisses ein solches Vertriebsnetz erfordern (einfache Fachhandelsbindungen).6 4. Die Unterschiede zwischen quantitativen und qualitativen Selektivsystemen haben ferner Bedeutung im Zusammenhang mit der Möglichkeit der Kommission, den Rechtsvorteil der Gruppenfreistellung zu entziehen, wenn eine durch die VertikalGVO freigestellte Vereinbarung, ein Beschluss oder eine abgestimmte Verhaltensweise im Einzelfall Wirkungen hat, die mit Art. 101 Abs. 3 AEUV nicht vereinbar sind (Art. 29 KartellverfahrensVO). Das ist für quantitative und für qualitative Selektivsysteme nach jeweils eigenen Kriterien zu prüfen.
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Prüfung missbräuchlicher Klauseln im Mahnverfahren und geltungserhaltende Reduktion
Richtlinie 93/13/EWG; Verordnung (EG) Nr. 1896/2006; Richtlinie 2009/22/EG 1. Die Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass sie einer mitgliedstaatlichen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entgegensteht, wonach ein mit einem Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids befasstes Gericht, sofern der Verbraucher keinen Widerspruch erhebt, weder a limine noch in irgendeiner anderen Phase des Verfahrens von Amts wegen prüfen darf, ob eine Verzugszinsklausel in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher missbräuchlich ist, obwohl es über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt. (amtlicher Leitsatz) 2. Art. 6 I der Richtlinie 93/13 ist dahin auszulegen, dass er einer mitgliedstaatlichen Regelung wie Art. 83 des Real Decreto Legislativo 1/2007 por el que se aprueba el texto refundido de la Ley General para la Defensa de los Consumidores y Usuarios y otras leyes complementarias (Real Decreto Legislativo 1/2007 zur Billigung der Neufassung des Allgemeinen Gesetzes über den Schutz der Verbraucher und Benutzer mit Nebengesetzen) vom 16.11.2007 entgegensteht, wonach das nationale Gericht, wenn es die Nichtigkeit einer missbräuchlichen Klausel in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher feststellt, durch Abänderung des Inhalts dieser Klausel den Vertrag anpassen kann. (amtlicher Leitsatz) EuGH, Urteil vom 14. Juni 2012 – C-618/10 – Banco Español de Crédito Der EuGH hat entschieden, dass das nationale Gericht eine missbräuchliche Klausel eines Vertrags zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher nicht inhaltlich abändern darf. Der EuGH hat klargestellt, dass das nationale Gericht von Amts wegen die Missbräuchlichkeit einer Klausel eines Verbrauchervertrags zwar prüfen muss, sobald es über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt. Jedoch weist der EuGH darauf in, dass nach der ________________________ 6
EuGH 13.10.2011 – C-439/09 "Pierre Fabre Dermo – Cosmétique" Rz 41 m.w.N.; Schuhmacher in Liebscher/Flohr/Petsche (Hrsg.), Handbuch der EU – Gruppenfreistellungsverordnungen (2011), § 8, Rz 11 ff; Siehe auch Leitlinien für vertikale Beschränkungen ABl. vom 19.05.2010 C 130/1 Rdnr. 175 m. w. N. aus der Judikatur des EuGH
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Entscheidungen
Klausel-RL eine missbräuchliche Klausel in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher für den Verbraucher unverbindlich ist und dass ein Vertrag mit einer solchen Klausel für beide Parteien bindend bleibt, wenn er ohne diese missbräuchliche Klausel bestehen bleiben kann. Stellt das nationale Gericht eine missbräuchliche Klausel fest, hat es diese folglich nur für unanwendbar zu erklären, damit sie den Verbraucher nicht bindet, ohne dass es befugt wäre, deren Inhalt abzuändern. Denn der Vertrag, in den die Klausel eingefügt ist, muss – abgesehen von der Änderung, die sich aus der Aufhebung der missbräuchlichen Klauseln ergibt – grundsätzlich unverändert fortbestehen, soweit dies nach den Vorschriften des innerstaatlichen Rechts rechtlich möglich ist. (mitgeteilt von Prof. Dr. Karsten Metzlaff, Noerr LLP, Berlin)
Rechtsprechung zum Vertriebsrecht aus Frankreich Rechtsprechung zum Vertriebsrecht aus Frankreich Gerichtsstand bei nicht fristgemäßer Beendigung der Geschäftsbeziehung
Code de commerce, Art. 442-6 Abs. 1 Nr.5; Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, Art. 5, Art. 23, Art. 31 Durch die wiederholte Bezahlung der Rechnungen hat der französische Vertragshändler der auf der Rückseite der Bestellscheine und der Rechnungen abgedruckten Gerichtsstandsklausel zugestimmt. Die Gerichtsstandsklausel, wonach ausschließlich deutsches Recht für die sich aus den Vertragsverhältnissen ergebenden Rechtsstreite gilt und Verfahren von den zuständigen Gerichten am Sitz der Gesellschaft oder am Ort der Niederlassung entschieden werden müssen, umfasst auch Rechtsstreite wegen nicht fristgemäßer Beendigung der ständigen Beziehungen der Parteien ohne Rücksicht auf den delikts- oder vertragsrechtlichen Charakter des Anspruchs. Der französische Eilrichter kann nur dann vorläufige Maßnahmen anordnen, wenn die zugrundeliegende Pflicht in Frankreich zu erfüllen wäre, was hier nicht der Fall ist. Cour de cassation – Frankreich – (Chambre commerciale), Urteil vom 20. März 2012 (pourvoi 11-11570) Aus dem Urteil der Cour de cassation: Aus dem angegriffenen Urteil (Paris, 26. November 2010) geht hervor, dass die Gesellschaft SBMM, die seit dem Jahr 1994 Geräte der Marke Kränzle zur industriellen Reinigung in Frankreich importierte und vertrieb, ihre Lieferantin, die Gesellschaft deutschen Rechts Ingrid Kränzle, im einstweiligen Verfügungsverfahren auf Unterlassung von unlauteren Praktiken und Schadenersatz mit der Begründung verklagt hat, dass diese die ständigen Geschäftsbeziehungen abrupt beendet und missbräuchliche und unlautere Praktiken begangen hat. Das Urteil stellt zunächst fest, dass nach dem Artikel 14 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Gesellschaft Ingrid Kränzle, dessen Übersetzung nicht in Frage gestellt wird, das Recht der Bundesrepublik Deutschland allein auf alle sich aus den Vertragsverhältnissen ergebenden
Rechtsprechung zum Vertriebsrecht aus Frankreich
Rechtsstreite anwendbar ist und Verfahren von den zuständigen Gerichten am Sitz der Gesellschaft oder am Ort der für die Bestellung verantwortlichen Niederlassung entschieden werden müssen. Das Urteil hebt des weiteren hervor, dass diese Gesellschaft [Ingrid Kränzle] dargelegt hat, ohne dass ein zu beachtender Gegenbeweis erbracht wurde, dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht nur auf der Rückseite der an die Gesellschaft SBMM zugesandten Rechnungen gedruckt waren, sondern auch einerseits als Anlage zu der mit E-Mail vom 13. Dezember 2007 an diese übermittelten Kränzle Preisliste übersandt wurden und andererseits auf der Rückseite der Bestellbestätigungen gedruckt waren. Daraus schließt das Urteil, es sei ausreichend belegt, dass die Gesellschaft SBMM die Gerichtsstandsklausel akzeptiert hat durch die wiederholte Bezahlung der Rechnungen, die auf ihrer Rückseite die Gerichtsstandsklausel aufwiesen, auch wenn die Gesellschaft SBMM nie ein Dokument, das die Gerichtsstandsklausel enthielt, unterschrieben hat. Das Urteil hebt zudem hervor, dass diese Klausel, die die deutschen Gerichte für alle sich aus den Vertragsverhältnissen ergebenden Rechtsstreite für zuständig erklärt, ausreichend weit und umfassend ist, um die Rechtsstreite aus Vorgängen von abrupter Beendigung ständiger Geschäftsbeziehungen zwischen den Parteien zu erfassen, ohne Rücksicht auf den delikts- oder vertragrechtlichen Charakter des haftungsauslösenden Anspruchs. Schließlich merkt das Urteil an, dass, auch wenn nach Artikel 31 Brüssel I-VO französische Eilgerichte ungeachtet einer Gerichtsstandsklausel für die Hauptsache zugunsten eines ausländischen Gerichts vorläufige Maßnahmen anordnen dürfen, dies das Vorliegen eines tatsächlichen Anknüpfungspunktes zwischen den beantragten Maßnahmen und der Zuständigkeit des Staates des angerufenen Gerichtes voraussetzt. Das Urteil hält im vorliegenden Fall fest, dass die beantragten Maßnahmen im Wesentlichen das Ziel haben, der Gesellschaft Ingrid Kränzle die Einhaltung der Lieferbedingungen der Produkte unter Anordnung eines Zwangsgelds aufzuzwingen, wobei diese Pflicht im Wesentlichen in den Geschäftsräumen der Gesellschaft Kränzle, auch im Verhältnis zu einem französischen Kunden, zu erfüllen wäre, ungeachtet der Tatsache, dass der eventuelle Schaden in Frankreich auftreten könnte. Aus diesen Feststellungen und Würdigungen ergibt sich, dass das Berufungsgericht […] die Auswirkungen der Gerichtsstandsklausel im Rahmen seines Ermessens richtig ausgelegt hat, ohne das Prinzip des rechtlichen Gehörs zu verletzen und den Ersatzanspruch aus abrupter Beendigung als vertragsrechtlich einzuordnen. Daraus ergibt sich auch, dass das Berufungsgericht die Klausel sowohl auf den Antrag bezüglich der abrupten Beendigung der Geschäftsbeziehungen als auch auf die Anträge auf Unterlassung des unlauteren Wettbewerbs richtig angewandt hat, indem es zutreffenderweise den Anknüpfungspunkt zwischen den beantragten Maßnahmen und den streitgegenständlichen Ansprüchen erkannt hat. Folglich ist die Revisionsrüge in keinem Teil begründet. Anmerkung von Dr. Fabienne Kutscher-Puis, LL.M., Rechtsanwältin, Avocat à la Cour (Lang & Rahmann Düsseldorf): Hat der französische Kassationshof den deutschen Rechtsanwendern Entwarnung in Sachen Haftung für ab-
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rupte Beendigung laufender Geschäftsbeziehungen (Französisch: „Rupture des relations commerciales établies“ – RCE) gegeben? Bislang gilt überwiegend, dass eine einfache, nicht weiter detaillierte Gerichtsstandsklausel zugunsten eines ausländischen Gerichts die Haftung wegen RCE nicht auszuschließen vermag, weil der Anspruch aus RCE in Frankreich delikts- und nicht vertragsrechtlich eingeordnet wird, so dass der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung anwendbar ist. Dabei grenzt sich der Senat für Handelssachen (Chambre commerciale) von dem für IPRStreitigkeiten zuständigen ersten Zivilsenat (1ère chambre civile) gewissermaßen ab und stellt an die Durchsetzbarkeit und Wirksamkeit der Klausel höhere Anforderungen (vgl. Kutscher-Puis, Die Haftung wegen nicht fristgemäßer Beendigung einer Geschäftsbeziehung nach französischem Recht und ihre Auswirkungen auf den deutschfranzösischen Rechtsverkehr, ZVertriebsR 2012, 161, 163). Mit der vorstehenden Entscheidung scheint sich der Senat für Handelssachen der weitreichenden Auffassung des ersten Zivilsenats im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr angeschlossen zu haben: Die Gerichtsstandsklausel, die ausdrücklich Rechtsstreite umfasst, die sich aus den Vertragsverhältnissen ergeben, stellt eine aus französischer Sicht wirksame Prorogation auch im Hinblick auf die Haftung wegen RCE dar, unbeschadet der rechtlichen Einordnung des Anspruchs als delitktsrechtlichen Anspruch. Zudem billigt der oberste Gerichtshof Frankreichs die Auffassung des Berufungsgerichts in Bezug auf die Einbeziehung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen einschließlich der streitgegenständlichen Gerichtsstandsklausel in den Vertrag: Auch wenn der Vertragspartner des Verwenders den Allgemeinen Geschäftsbedingungen etwa
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durch Unterzeichnung nicht ausdrücklich zugestimmt hatte, war nachgewiesen, dass er von diesen Kenntnis erlangt und durch wiederholte Zahlung der Rechnungen seines Vertragspartners zumindest konkludent akzeptiert hatte. Indes hatte der Senat für Handelssachen etwa vor einem Jahr in einem ähnlich gelagerten Fall die Geltung der Gerichtsstandsklausel verneint (ZVertriebsR 2012, 59), was jedoch nicht weiter verwundern sollte, denn die Tatsachenwürdigung obliegt generell dem Instanzgericht. Schließlich erlaubt der Kassationshof nicht, dass der französische Eilrichter ungeachtet der Gerichtsstandsklausel vorläufige Maßnahmen anordnen kann, da im vorliegenden Fall kein Anknüpfungspunkt zwischen den Maßnahmen und dem Sitz des Vertragshändlers in Frankreich festzustellen ist. Also Entwarnung? Auch nach diesem für den deutschfranzösischen Rechtsverkehr wegweisenden Urteil ist dem deutschen Rechtsanwender zu raten, eine umfassende Gerichtsstandsklausel in den Vertrag mit seinem französischem Geschäftspartner aufzunehmen, die für alle Streitigkeiten gelten soll, die sich aus den Vertrags- und Geschäftsbeziehungen zwischen den Parteien gleich aus welchem Rechtsgrund ergeben könnten. Des Weiteren hat die deutsche Partei dafür zu sorgen, dass ihr französischer Vertragspartner der Gerichtsstandsklausel ausdrücklich oder zumindest konkludent zustimmt, wobei die konkludente Zustimmung im Verfahren erstmals bewiesen werden muss. Durch diese Vorsorgemaßnahmen müsste erreicht werden, dass französischen Gerichten die Zuständigkeit entzogen wird. Es bleibt dann nur noch die Frage, ob die in Frankreich als ordre public-Regelung geltende Haftung wegen RCE trotz Rechtswahlklausel zu gunsten deutschen Rechts durchgreifen könnte.
Buchbesprechungen Joachim Zentes / Bernhard Swoboda / Thomas Foscht:
Handelsmanagement 3. Auflage 2012, Verlag Franz Vahlen, München, ISBN 978 3 8006 4265 6, gebunden, XLV, 934 Seiten, 59 Euro (Deutschland) Zentes/Swoboda/Foscht: Handelsmanagement 1. Der praktische Vertriebsrechtler ist in seinen anwaltlichen Beratungs- und Gestaltungsaufgaben für seine Mandanten der Absatzwirtschaft oder der Absatzmittlungsunternehmen auch – jedenfalls im weiteren Sinne – „Handelsmanager“. Deshalb sollte „das“ Standardwerk zum Handelsmanagement zu seiner Handbibliothek gehören, das jetzt in dritter Auflage von den Universitätsprofessoren Joachim Zentes (Saarbrücken), Bernhard Swoboda (Trier) und Thomas Foscht (Graz) vorgelegt wird. Die erste Auflage wurde 2001 veröffentlicht, und die zweite Auflage von 2008 liegt noch nicht allzu lange zurück. Indes sind in den letzten Jahren mannigfaltige und einschneidende Änderungen im politisch-rechtlichen, sozioökonomischen, technologischen und auch wettbewerblichen Umfeld des Handels zu verzeichnen, deren deskriptive wie auch kritisch-analytische Einarbeitung man bei einem derartigen Standardwerk erwarten kann, das sich
nicht nur an die Lehrenden und Studierenden der Handelsbetriebslehre, sondern auch an Entscheidungsträger in Handelsunternehmen wendet. Es geht zwar um ein betriebswirtschaftliches Lehrbuch zum modernen Handelsmanagement, doch können auch Wirtschaftsjuristen und insbesondere Vertriebsrechtler damit und daraus nicht nur viel lernen, sondern auch vor allem für ihre Beratungsund Gestaltungspraxis viel umsetzen und fruchtbar machen. Es ist ja keine Frage, dass der interdisziplinär denkende (und handelnde) Vertriebsrechtler, der seine juristischen Problemlösungen auch unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten prüft und absichert, der bessere, kompetentere und auch erfolgreichere Vertriebsrechtler ist. 2. Hierzu bietet das Buch eine Fülle von Informationen und Anregungen, Empfehlungen und Vorschlägen. Es ist in erster Linie auf eine „ganzheitliche Unternehmensführung im Handel“ ausgerichtet, beschränkt sich also nicht auf die Darstellung und Analyse verschiedener Aspekte der Unternehmensführung, sondern strebt einen einheitlichen Bezugsrahmen an, der auch die Wechselwirkungen der verschiedenen Dimensionen, beispielsweise der neuen Systeme und Prozesse des Supply Chain Managements, der neuen Ansätze des Customer Relationship Manage-
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ments, der modernen Informations- und Kommunikationssysteme und nicht zuletzt der Konzepte der Sustainability bzw. der sozialen und ökologischen Verantwortung aufgreift. Das Werk transzendiert aber sogar die unternehmensbezogene „ganzheitliche Betrachtungsweise“ und stößt zu einem unternehmensübergreifenden Ansatz vor, denn es richtet seine Erklärungs- und Verständnismodelle an den jeweiligen Wertschöpfungsketten und am Wertschöpfungskreislauf insgesamt aus. Um den Verantwortungsträgern im Handel konkrete Orientierungshilfen zu geben, werden nicht nur Erklärungsmodelle und Gestaltungsmuster für das Handelsmanagement mit praxisbezogenen Perspektiven präsentiert, sondern auch – veranschaulicht durch zahlreiche Beispiele aus der Praxis – Handlungsempfehlungen und Problemlösungen entworfen. 3. Das erste Kapitel (Seiten 1 – 95) trägt die Überschrift „Grundlagen, Abgrenzungen und Sichtweisen“. Dieses Einführungskapitel wird manchen Juristen vielleicht allzu theorielastig erscheinen, weil sie beispielsweise mit den entscheidungsorientierten, verhaltenswissenschaftlichen, institutionenökonomischen und sonstigen „Ansätzen“ der modernen Managementforschung „nichts anfangen“ können. Jedenfalls aber wird die Fallstudie zur Metro Group (S. 81 ff.) mit ihrer Darstellung der Ebenen der Führung und der Managementsysteme auch die juristische Aufmerksamkeit fesseln. Im zweiten Kapitel geht es um das Spektrum wettbewerbsorientierter Strategien (Seiten 97 – 308). Hier lernt der Vertriebsrechtler die Positionierungsund Profilierungsstrategien und auch die Wachstums- und Internationalisierungsstrategien im Handel näher kennen, was beispielsweise für die Alternative „Branchising vs. Franchising“ (Filialisierung oder Absatzmittlung) bedeutsam ist. Die Überlegungen zur Marktselektion und zum Markteintritt, die strategischen Optionen der internationalen Marktbearbeitung oder auch die Formen und Strategien der Mergers and Acquisitions im Handel werden sein Interesse finden. Besonders der Abschnitt zu den Kooperationsstrategien (ab Seite 245) ist von unmittelbarer vertriebsrechtlicher Relevanz, geht es doch hier um die vielfältigen Formen der Kooperation im Handel, um Allianzen von Handelsunternehmen wie etwa Einkaufsgemeinschaften und freiwillige Ketten, aber auch um die Partnerschaften von Industrie- und Handelsunternehmen, wie sie der Vertriebsrechtler unter dem Stichwort „Absatzmittlungsverhältnisse“ thematisiert. Auch dieses Kapitel schließt mit einer faszinierenden Fallstudie ab, die vor allem die Positionierungs- und Profilierungsstrategie, aber auch die Internationalisierungsstrategie der DouglasGruppe betrifft (S. 301 ff.). Das dritte Kapitel thematisiert die Dynamik der Betriebs- und Vertriebstypen (Seiten 309–376). Aus vertriebsrechtlicher Perspektive dürfte insbesondere der Abschnitt über die verschiedenen Betriebstypen des Großhandels (z. B. Sortimentsgroßhandel, Fachbzw. Spezialgroßhandel, Zustellgroßhandel, Versandgroßhandel, Cash-and-carry-Großhandel, Strecken- und Lagergroßhandel usw.) bemerkenswert sein. Wichtiger noch sind die Betriebs- und Vertriebstypen des Einzelhandels für den Juristen, weil hier die traditionellen Betriebstypen (Fachgeschäft, Spezialgeschäft, Boutique, Warenhaus, Kaufhaus) dargestellt und dann neuere Betriebstypen (unterteilt nach Food-, Near-Food- und Non-FoodBetriebstypen) ausführlich vorgestellt werden. Die Übersichtlichkeit und Systematik erfreut den Juristen ebenso wie die klare Begrifflichkeit. Diesmal wird das Kapitel durch eine Fallstudie zum Unternehmen Coop (Schweiz)
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abgeschlossen (S. 370 ff.). Das vierte Kapitel ist für den Vertriebsrechtler wohl das wichtigste dieses eindrucksvollen Werkes zum Handelsmanagement; es trägt die Überschrift „Die Optionen des Absatzmarketing“ (Seiten 377 – 586). Hier findet der Vertriebsrechtler die betriebswirtschaftlichen Grundlagen für die optimale Gestaltung von Vertriebsverträgen. Dies betrifft etwa die Standortwahl und –wirkung im stationären Handel, Gestaltungsalternativen im Sortimentsmanagement, die Instrumente und Gestaltung des Markenmanagements insbesondere im Spannungsfeld von Hersteller- und Handelsmarken, aber auch das Preismanagement sowie die Preisund Konditionenpolitik. Die abschließende Fallstudie dieses Kapitels beleuchtet die Erfolgsgeschichte des österreichischen Heimwerkerbedarfs-Unternehmens bauMax, insbesondere im Lichte des Standortmanagements, des Sortiments- und Preismanagements sowie des Servicemanagements (S. 577 ff.). Aus diesen Berichten kann der Vertriebsrechtler wertvolle Anregungen für seine Beratungs- und Gestaltungsarbeit ableiten. Das fünfte Kapitel behandelt die Gestaltung der Supply Chain (Seiten 587 – 710). Hier wird nicht nur das Supply Chain Management dargestellt, sondern es werden die entsprechenden Logistikprozesse, Beschaffungsprozesse, warenwirtschaftliche Informationsprozesse bis hin zu den einzelnen Komponenten von Warenwirtschaftssystemen beschrieben, um dann wieder in einer Fallstudie (Zara, ein Mode- und Textilunternehmen) praktische Anschaulichkeit zu erhalten (S. 700 ff.). Auch das abschließende sechste Kapitel über Konzepte der Führung (S. 711 – 844) bietet eine Schatztruhe von Befunden und Erkenntnisse, die für den modernen Vertriebsrechtler wichtige interdisziplinäre Wissensund Aufklärungsvorsprünge gegenüber dem einseitigen Nur-Juristen bieten. Was man hier etwa über die Gestaltung von Belohnungssystemen und Mitarbeiterflusssystemen als Aufgabenfelder des Human Ressource Managements lernt, was man über die Managementtechniken der Personalführung oder über die verschiedenen Arten von Controllingsystemen in Handelsunternehmen erfährt, kann die vertriebsvertragliche Gestaltungspraxis spürbar bereichern, wie auch an der abschließenden Fallstudie „Erlebnis Ausbildung – dm-drogeriemarkt“ (Seiten 837 ff.) deutlich wird. 4. Im Editorial zum vorliegenden Heft 4 unserer ZVertriebsR mahnt Prof. Dieter Ahlert zu Recht an, dass sich das moderne Vertriebsrecht interdisziplinär orientieren muss. Dies ist für den einzelnen vertriebsrechtlichen Praktiker eine Aufgabe des professionellen life-long learning. Das Standardwerk „Handelsmanagement“ von Zentes, Swoboda und Foscht bietet hierfür nicht nur einen gelungenen Einstieg, sondern auch ein tragfähiges Fundament. Und dabei kann man sich sogar über einen „studentenfreundlich“ angesetzten Preis (59 Euro) freuen, wie er in der vertriebsrechtlichen Spezialliteratur kaum begegnet. Zusammenfassend lässt sich sagen: das Werk ist dermaßen gut und wichtig, so inhaltsreich und erkenntnisfördernd, so nützlich und gebrauchsfertig, dass man gleich mehrere Exemplare davon erwerben sollte, um nicht nur sich selbst, sondern auch diesen oder jenen Kollegen, diese oder jene Mitarbeiterin damit zu bereichern und etwa mit ihnen über Einzelaspekte des Werks zu diskutieren. Den Verfassern dieses Standardwerks darf man zurufen, dass sie auch den Vertriebsrechtlern einen wertvollen Dienst erwiesen haben. Univ.-Prof. Dr. Dr. Dr.h.c.mult. Michael Martinek, Universität des Saarlandes, Saarbrücken
Ferrier : Droit de la distribution
Buchbesprechungen
Didier Ferrier :
Droit de la distribution 6ème éd. 2012, coll. Manuel, éd. LexisNexis SA, ISBN 978-2-7110-1607-5, 40 €. Ferrier : Droit de la distribution Situé aux confins de l’analyse économique et de la pratique contractuelle en matière de commercialisation des produits et des services, le droit de la distribution gouverne l’organisation et la réalisation de l’échange par des contrats tenant compte des contraintes légales et règlementaires (4ème de couverture, présentation de l’ouvrage). L’auteur part de ce constat pour présenter et commenter les différents contrats assurant la circulation des biens et des services. Le style retenu est adapté au public étudiant visé par l’ouvrage, mais captivera, plus généralement, toute personne souhaitant avoir un premier regard sur la matière. L’introduction est riche en éléments économiques (p.1 à 20) traduisant le caractère professionnel (n°35) du droit de la distribution qualifié ici de droit contrainte (p. 21–32) quand il verse dans l’ordre public de direction ou de protection et de droit instrument (p. 32–36) quand il s’attache à la technique contractuelle. Avec intérêt, on notera également en annexe – valant synthèse – un simple tableau récapitulant l’ensemble des constructions étudiées et permettant au lecteur de retrouver facilement les sources législatives françaises (p. 418). L’ouvrage est classiquement rédigé en deux parties relativement égales. La première (p. 37–256) est consacrée aux opérations élémentaires de la distribution, tandis que la seconde porte sur les opérations complexes de la distribution (p. 257–415). Les adjectifs employés judicieusement par l’auteur pour qualifier l’opération en cause traduisent parfaitement les développements y afférant. Ainsi la première partie est consacrée à l’étude des deux phases classiques de la distribution que sont la diffusion (titre 1) et la vente ou la prestation de services (titre 2), tandis que la seconde aborde les accords de réseau (titre 1) ou de regroupement (titre 2). Dans le titre consacré à la diffusion (p. 39–131), l’auteur prend le parti de développer en premier lieu les règles et constructions soulignant la présence de salariés, alors que plus classiquement ces dispositions sont souvent développées à la fin des ouvrages consacrés au droit de la distribution (par ex. le manuel de Marie Malaurie-Vignal, v. Buchbesprechung, ZVertriebsR 2012/2, 131). N’oublions cependant pas qu’en France, la diffusion s’effectue souvent par le truchement de contrats de travail ou de mandat, voire alliant les deux idées comme dans le cas du VRP (section 2). La diffusion par le salarié s’opère tout d’abord par le salarié diffuseur (section 1, p. 43–52) soumis au droit commun du travail, tandis que le VRP bénéficie d’un statut spécial décliné à l’article L. 7373-4 du code du travail (p. 53–71). Ce statut si particulier au droit français est pourtant assez souvent considéré comme entravant l’entreprise de distribution qui préfèrera recourir aux mandataires civils (p. 73–91) économiquement intégrés
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(gérant non salarié, mandataire exclusif, gérant de fonds de commerce) ou associés aux mandants tels que le mandataire d’intérêt commun et surtout l’agent commercial (p. 92–117) ou aux mandataires commerçants tels que le courtier ou le commissionnaire à la vente (p. 118–131). La vente est ensuite abordée sous deux angles : la vente fournisseur-distributeur (p. 133–198) et la vente distributeur-consommateur (p. 199–256) avec ses contraintes commerciales et européennes, notamment en ce qui concerne l’information au consommateur et le prix, sans oublier ses nouvelles formes via Internet ou la technique du télé-achat. La même dichotomie est employée pour la prestation de services, l’auteur s’attachant, dans ce plus long titre de l’ouvrage (p. 133–256), à les mettre constamment en parallèle. La deuxième partie de l’ouvrage est consacrée aux modes structurels et contractuels plus complexes reposant sur l’idée de rapprochement des opérateurs de la distribution. Sont ainsi étudiés les accords allant au-delà des relations commerciales ponctuelles pour favoriser leur pérennité. Fournisseur et distributeur peuvent ainsi renforcer ces relations par la fixation d’un volume d’affaires à réaliser, par l’établissement d’une exclusivité d’approvisionnement ou de fourniture, voire par une coopération dans la commercialisation des produits et des services. La technique du réseau ou du regroupement permet la réalisation de cet objectif, peut-être parce qu’il s’agit là d’une construction de la pratique dont le droit se satisfait. Si la notion de réseau apparaît dans de nombreux textes, elle ne fait l’objet d’aucune définition. Tout au plus la doctrine y voit-elle un ensemble de contrats constituant une entité juridique traduisant une unité économique (déjà du même auteur, La notion de réseau, in Mél. Mouly, LITEC, 1998, p. 107). L’auteur relève deux types d’accords de réseau dont il reprend les critères de fonctionnement, les obligations et les effets : les accords de spécialisation (265–347) et les accords de réitération (349–415). Parmi les accords de spécialisation, on trouve le contrat d’achat exclusif, le contrat d’assistance et de fourniture, le contrat de distribution sélective et de concession exclusive ; les deux accords de réitération étudiés étant la franchise commerciale avant tout et la franchise principale. Enfin, dans un dernier chapitre, l’auteur s’arrête sur les regroupements fonctionnels opérés depuis quelques années en France par les distributeurs, soit pour dynamiser la vente (377–404) via un GIE, une coopérative, la construction d’un centre commercial, soit au contraire pour favoriser l’achat (405–415) des produits ou services grâce à une diminution des frais de fonctionnement via le recours à des commettants ou des centrales d’achat. De facture à la fois classique et prospective, l’ouvrage ne pourra ainsi qu’intéresser ceux qui montrent un intérêt pour le droit français de la distribution, à qui il offre une bonne base de réflexion. Prof. Annie Bottiau, Université Lille-Nord de France – Lille 2 Droit & Santé
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Symposium der DGFV am 29./30. März, Leipzig
Veranstaltungen I. 3. Symposium der Deutschen Gesellschaft für Vertriebsrecht in Leipzig am 29./30. März 2012 (Fortsetzung Tagungsbericht) Symposium der DGFV am 29./30. März, Leipzig Dieser Tagungsbericht zum 3. Symposium der Deutschen Gesellschaft für Vertriebsrecht in Leipzig am 29./30. März 2012 schließt an den ersten Teil des Tagungsberichtes (ZVertriebsR 2012, 193) an. In seinem Vortrag Die neuen Incoterms 2010 ging RA Jens Bredow nicht nur auf die Neugestaltung der Incoterms ein, sondern erläuterte auch Einzelprobleme, die sich aus der Anwendung der Incoterms ergeben. RA Bredow stellte dar, dass Incoterms nicht per Gesetz oder Handelsbrauch gelten, sondern einer Vereinbarung der Parteien bedürfen, als Auslegungsklauseln gedacht und insofern dispositiv sind. Dargestellt wurde das System der Incoterms und die Aufteilung der Klauseln in zwei Kategorien, d.h. die Klauseln, die für alle Transportarten gelten und die Klauseln, die sich ausschließlich mit dem Seeund Binnenschiffstransport befassten. Diese Darstellung umfasste auch die Erläuterung der vier Gruppen: E EX/F free/C cost/D deliverd. Im Anschluss daran wurden von RA Jens Bredow die wesentlichen Änderungen der Incoterms gegenüber der Version 2000 dargestellt, in dem er darauf hinwies, dass eine Reduzierung auf vier Klauseln vorgenommen und die Klauseln DAF, DES, DEQ, DDU entfallen seien. Dem gegenüber seien als neue Klauseln eingeführt worden: DAP – geliefert benannter Ort (… benannter Bestimmungsort) und DAT – geliefert Terminal (… benannter Terminal im Bestimmungshafen/-ort). Er erläuterte, dass zu jeder Klausel eine sog. „Guidance Box“ besteht. Zugleich sei die Änderung der Incoterms dazu genutzt worden, eine sprachliche Überarbeitung vorzunehmen, z.B. take delivery in B 4. Des weiteren sei bei FOB und CIF/CFR die Reling als „physical point“ für den Gefahrenübergang entfallen. Die C- und DKlauseln enthielten jeweils eine Pflicht des Käufers zur Besorgung der für eine Versicherung erforderlichen Unterlagen; A9 befasse sich mit der „notification“ besonderer Verpackungen, B10 mit der Mitteilung sicherungsrelevanter Informationen und gleichzeitig mit der Unterstützung des Verkäufers mit benötigten Informationen. Dargestellt wurde auch die Auswahl und Vereinbarung der „richtigen“ Klauseln, die sich u.a. an den Fragen: ist die vorgesehene Transportart mit der Klausel kompatibel?; ist die vorgesehen Klausel für die konkreten Transportmodalitäten (z.B. Container) geeignet und sachgerecht?, sind die der Partei auferlegten Pflichten zu erfüllen (z.B. und insbesondere Aus- und Einfuhr-Abfertigung)? zu orientieren hat. RA Prof. Dr. Thomas Klindt befasste sich in seinem Vortrag mit der Produkthaftung im grenzüberschreitenden Warenvertrieb. Zu Beginn seines Vortrags erläuterte er die drei Säulen des Produktrechts, nämlich das behördliche Produkte Sicherheitsrecht (z.B. Maschinenrichtlinie), die zivilrechtliche Produzenten- und Produkthaftung und die strafrechtliche Produkthaftung. Er stellte dar, dass EUImporteure und Quasi-Hersteller als „Hausaufgaben“ der Frage nachgehen müssten, wer die eigentlich lokalen Sicherheitsgesetze identifiziere, sich also mit den Fragen befasse: wer identifiziert parallel die lokalen technischen
Standards?, wer prüft dann die Design-Kompatibilität, wer überträgt diese dann in Vertragsspezifikationen und wer dokumentiert später den Auslieferungszustand. Abschließend befasste er sich mit Kostentragungsfragen der Produkthaftung im Verhältnis Verwender, Hersteller und Zulieferer und ging insbesondere der Frage nach, ob z.B. Ersatz für Nachrüstungskosten zu leisten ist. RA Karl-Heinz Lauser umschrieb seinen Vortrag Rechte und Risiken ausländischer Handelsvertreter im italienischen Insolvenzverfahren auch mit dem „Zweititel“ „Der ausländische Handelsvertreter im Dschungel italienischer Pleiten“, um so deutlich zu machen, wie problematisch die Vorschriften des italienischen Insolvenzrechts für einen ausländischen Handelsvertreter sind. Er erläuterte dazu die Auswirkungen der Insolvenzeröffnung auf den Handelsvertretervertrag, die Ansprüche des Handelsvertreters im Insolvenzverfahren des italienischen Herstellers sowie die Risiken des Handelsvertreters im Falle der Insolvenz eines italienischen Herstellers. Er erläuterte, dass im Gegensatz zum deutschen Recht beim italienischen Insolvenzrecht Zahlungsunfähigkeit keinen Insolvenzgrund darstellt. Soweit es um die Auswirkungen der Insolvenzeröffnung auf den Handelsvertretervertrag geht, wurde dargestellt, dass der Vertrag zunächst gegenüber dem Insolvenzverwalter wirksam ist, die Handelsvertreterverträge also grundsätzlich weiterlaufen, sich aber immer die gesonderte Frage eines Sonderkündigungsrechts des Handelsvertreters wegen der Insolvenz des italienischen Unternehmens stelle. RA Karl-Heinz Lauser erläuterte des weiteren die Betrachtung des Handelsvertretervertrages in der Insolvenz des italienischen Herstellers sowohl zum alten bis zum 15. Juli 2006 geltenden als auch das seit dem 16. Juli 2006 geltende neue Recht. Nach dem alten Recht wurde der Handelsvertretervertrag mit Verfahrenseröffnung aufgelöst, während nach neuem Recht ein Wahlrecht des Verwalters bestehe den Vertrag fortzuführen oder zu beenden, wobei streitig sei, ob weiterhin die Auflösung des Handelsvertretervertrages mit Verfahrenseröffnung erfolge. Soweit der Handelsvertreter selbst in Insolvenz gerate, werde der Vertrag nach italienischem Insolvenzrecht aufgelöst. Zum Schluss seines Vortrags ging RA Karl-Heinz Lauser auf die Sonderkonstellation der sog. Concordato preventivo ein. Danach laufe der Handelsvertretervertrag trotz der Insolvenz des italienischen Unternehmens weiter, jedoch bestehe kein Ausgleichsanspruch des ausländischen Handelsvertreters. Provisionsansprüche aus dem letzten Jahr vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens seien bevorrechtigt, während Provisionsansprüche nach Verfahrenseröffnung als Masseansprüche anzusehen seien. RA Doc. Savas Bozbel erläuterte in seinem Vortrag Vereinbarung türkischen Vertriebsrechts vor dem Hintergrund von § 92c HGB die Geschäftsverhältnisse zwischen dem deutschen Unternehmer und dem türkischen Handelspartner und ging hauptsächlich der Frage nach, ob deutsche Unternehmen gegenüber einem türkischen Han-
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delsvertreter durch die Vereinbarung deutschen Rechts dessen Ausgleichsanspruchs entsprechend § 92c HGB ausschließen können. Diese Frage nahm RA Doc. Savax Bozbel auch zum Anlass, sich mit dem neuen seit dem 01. Juli 2012 geltenden türkischen HGB (Gesetz Nr. 6102) zu befassen. Das türkische Handelsvertreterrecht enthalte nunmehr in Art. 103 THGB die Definition des Handelsvertreterbegriffes, der im Wesentlichen dem deutschen Recht entspreche. Danach setze die Tätigkeit eines Handelsvertreters dessen Selbständigkeit, dessen ständige Beauftragung durch einen oder mehrere Kaufleute und die Vermittlung oder den Abschluss von Verträgen voraus. Allerdings setze das türkische Handelsvertreterrecht im Gegensatz zum deutschen Handelsvertreterrecht voraus, dass der Auftraggeber Kaufmann sei. Dies ergebe sich aus der Formulierung „der Handelsvertreter sei für das Handelsgewerbe eines anderen“ tätig. RA Dr. Savas Bozbel hob in seinem Vortrag hervor, dass das Unternehmen an Verträge, die an türkische Handelsvertreter ohne Vertretungsmacht oder in Überschreitung seiner Vollmacht mit Dritten abschließe gebunden sei, falls dieses nicht unverzüglich, nachdem dieses vom Geschäftsabschluss Kenntnis erhalten habe, auf den Mangel der Vollmacht hinweise. Werde die Genehmigung durch das Unternehmen verweigert, sei der Handelsvertreter nach Art. 108n THGB persönlich dem Dritten gegenüber zur Erfüllung des abgeschlossenen Vertrages verpflichtet. In Art. 121n THGB sei vorgeschrieben, dass unbefristete Handelsvertreterverträge von
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beiden Parteien jederzeit mit einer Frist von drei Monaten gekündigt werden können, wobei die Kündigung durch Vermittlung eines Notars, durch eingeschriebenen Brief, durch Telegramm oder durch eine mit sicherer elektronischer Signatur versehenen Nachricht erklärt werden könne. Er wies darauf hin, dass das alte türkische Handelsgesetzbuch (Gesetz Nr. 6762) keine Regelung zum Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters enthielt, während nunmehr das seit dem 01. Juli 2012 geltende neue türkische HGB in Art. 122 THGB einen generellen Anspruch auf Ausgleich des Handelsvertreters vorsehe, wobei die Vorschrift, wie auch in der Begründung zum Gesetz erwähnt werde, fast wortwörtlich § 89b HGB entspricht, also insofern deutsches Handelsvertreterrecht in das türkische Handelsvertreterrecht übernommen worden sei. Zum Ende seines Vortrags befasste sich RA Dr. Savas Bozbel mit der Frage der Geltendmachung eines Ausgleichsanspruchs des türkischen Handelsvertreters vor türkischen bzw. deutschen Gerichten, wobei er zum Ergebnis kam, dass türkische Gerichte den Ausschluss eines Handelsvertreterausgleichsanspruchs nach § 92c HGB nicht akzeptieren würden, weil insofern ein Verstoß gegen zwingende Vorschriften des türkischen Handelsvertreterrechts (Art. 122 IV n THGB) vorliegen würde und das türkische Handelsgesetzbuch als Bestandteil der ordre public der türkischen Rechtsordnung anzusehen sei. RA Prof. Dr. Eckhard Flohr
II. Bericht über die Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister(innen) zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht am 24.5.2012 in Frankfurt am Main Konferenz d. Justizminister am 24.5.2012 zum GEKR Für den geneigten Leser zieht sich der Verordnungsentwurf über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht1 wie ein roter Faden durch die ZVertriebsR.2 Nach Vorstellung der Europäischen Kommission soll mit seiner Umsetzung ein optionales Rechtsregime für grenzüberschreitende Kaufverträge innerhalb der EU eingeführt werden. Der am 11.10.2011 veröffentlichte Entwurf führte – insbesondere innerhalb Deutschlands – zu kontroversen Diskussionen über Voraussetzungen, Sinn und Zweck und der inhaltlichen Ausgestaltung hinsichtlich eines Gemeinsamen Europäischen Kaufrechts.3 Daher lud der Vorsitzende der Justizministerkonferenz Jörg-Uwe Hahn, Hessischer Staatsminister der Justiz, zur öffentlichen Anhörung an der Universität Frankfurt am Main, der ca. 200 Teilnehmer aus Wissenschaft, Politik und Rechtspraxis beiwohnten. In der Begrüßung begründete er den Anlass der Tagung: Das Projekt solle aus Sicht der Urheber bereits nächstes Jahr abgeschlossen sein, womit für eine ausgiebige Diskussion Eile geboten sei. Daher stellten sich zwei Fragen: Besteht die Notwendigkeit für ein GEKR und wie soll es umgesetzt werden? Viviane Reding, EU-Kommissarin für Justiz, Grundrechte und Bürgerschaft, eröffnete die Tagung mit ihrer „Be________________________ 1 2 3
KOM(2011) 635 endg. Vgl. Maurer, ZVertriebsR 2012, 31 ff.; ders., ZVertriebsR 2012, 88 ff.; Konecny, ZVertriebsR 2012, 125 ff. (Tagungsbericht vom 20.01.2012 in Würzburg). Im Folgenden – in Anlehnung an die Beck’sche Textausgabe – GEKR.
gründung des Vorschlages“. Sie hob hervor, sie habe noch nie einen Text vorgelegt, der später nicht Gesetz wurde. Sachlich begann sie damit, dass 90% der europäischen Unternehmen nicht exportierten und wenn doch, dann nur in wenige Mitgliedsstaaten. Ein Grund hierfür sei das Nebeneinander der derzeit 27 nationalen Kaufrechte. Wolle man Produkte in einen Mitgliedsstaat exportieren, so kämen auf das Unternehmen – aufgrund Vertrags- und Websiteanpassung wegen unterschiedlicher AGB- und Verbraucherschutzregeln – Kosten i.H.v. ca. 10.000 € pro angezieltem Mitgliedsstaat zu. Dies seien kosten, die insbesondere kleine und mittlere Unternehmen4 nicht stemmen könnten. Das GEKR führe somit durch die Vereinfachung des grenzüberschreitenden Handels zu einer „WinWin-Situation“: Während Unternehmen nur noch einen Vertragsentwurf und eine IT-Lösung für den EU-weiten Handel benötigten, würden die Verbraucher von einer größeren Auswahl, niedrigeren Preisen und einem höheren Schutzniveau profitieren. Reding betonte, das optionale Instrument sei das neue, subsidiaritätsfreundlichste Mittel zur europäischen Rechtsetzung, wobei sie auch die Subsidiaritätsrüge des deutschen Bundestags5 kritisierte. Zur anvisierten Rechtsgrundlage Art. 114 AEUV führte sie an, dass es nach dem Rechtsgedanken a maiore ad minus nicht verständlich sei, diese als Rechtsgrundlage für eine Vollharmonisierung zu akzeptieren, aber nicht für ein op________________________ 4 5
Im Folgenden „KMU“; Legaldefinition in Art. 7 Abs.2 GEKR-VO. http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/080/1708000.pdf.
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tionales Instrument. Insbesondere könne das GEKR Handelshemmnisse, die sich aus dem Nebeneinander der 27 nationalen Kaufrechtsordnungen ergeben, beseitigen, was sie auf die Eurobarometer-Erhebungen6 stützte. Das Problem der Durchsetzung von Ansprüchen aus dem GEKR wolle sie durch den Richtlinienvorschlag zur außergerichtlichen Streitbeilegung lösen. Das GEKR ermögliche die Setzung europäischer Standards und sei somit mehr als nur ein rechtspolitischer Vorschlag. Prof. Dr. Felix Maultzsch, Universität Frankfurt, der die Tagung im Folgenden moderierte, stellte die provokante Frage „Steht das BGB vor seiner Ablösung?“. Um eine Antwort zu finden, müsse man zunächst auf einer allgemeinen Ebene klären, ob die EU reif für ein Projekt solcher Reichweite ist um dann auf einer konkreten Ebene eine detaillierte und qualitativ hochwertige Ausarbeitung vornehmen zu können. Die Einführung des GEKR würde trotz des optionalen Charakters einen Paradigmenwechsel bedeuten, da es im Erfolgsfall eine Ausstrahlungswirkung auf zukünftige Rechtssetzungsprojekte haben werde. Im ersten Panel referierten Prof. Dr. Hans Schulte-Nölke, Universität Osnabrück, und Prof. Dr. Dirk Staudenmayer, Generaldirektion Justiz der EU-Kommission, über „Bedarf, Mehrwert und Reichweite“ eines GEKR. SchulteNölke stellte zunächst dar, dass ein E-Shop, der EU-weit Handel betreiben möchte, derzeit zwei Möglichkeiten habe: Er gründet 27 Tochterunternehmen oder er muss in nur einem Shop mit 27 verschiedenen Vertragsrechten agieren. Dies sei unstreitig ein Binnenmarkthindernis. Das GEKR stelle zur Lösung einen „dritten Weg“ zur Verfügung, der billiger als die anderen zwei sein müsse; sein Preis aber sei der höhere Verbraucherschutz. Die Kritik von Verbraucherschutzverbänden am GEKR bezeichnete er als absurd. Maßgeblich für den Erfolg sei letztlich die Information der Marktteilnehmer damit Verbraucher und Unternehmer die Vorteile des GEKR auch wahrnehmen. Staudenmayer verwies hinsichtlich des Bedarfs eines GEKR zur Beseitigung von Binnenmarkthemmnissen auf Reding und betonte, dass 98% der Unternehmer in der EU als KMU einzustufen seien, man also gerade diesen den Export erleichtern müsse. Die Unterschiedlichkeit der Vertragsrechte sei hierbei eines der bedeutendsten Probleme. Das GEKR werde nun eine „neutrale“ Option zur Lösung. Der Vorteil für die Verbraucher werde in einer Vergrößerung des Warenangebots und einer Senkung der Warenpreise liegen. Zur Frage nach der Rechtsgrundlage vertrat er, dass Art. 114 AEUV einschlägig und Art. 352 AEUV daher subsidiär sei. Nichts anderes ergebe sich aus dem Urteil des EuGH zur Europäischen Genossenschaft.7 Dieses behandelte eine Rechtsform, die im nationalen Recht dem Typenzwang unterliegt, womit es nicht auf das GEKR übertragbar sei. In der anschließenden Diskussion vertrat Prof. Remien, dass nach dem genannten EuGH-Urteil Art. 114 AEUV deshalb nicht einschlägig sei, weil das GEKR keine Rechtsangleichung bewirke, womit nur Art. 352 AEUV als Rechtsgrundlage übrig bleibe. In weiteren Beiträgen wurde kritisiert, dass man in der anwaltlichen Praxis aufgrund der völligen Unsicherheit hinsichtlich der gerichtlichen Auslegung von der Wahl des GEKR abraten werde und diesem somit ein Schicksal ähnlich dem CISG drohe, das praktisch nur eine sehr geringe Rolle spiele. ________________________ 6 7
Flash Eurobarometer Nrn. 320, 321. EuGH, Urteil vom 02.05.2006, Rs. C-436/03.
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Der Kritik an der Rechtsgrundlage entgegnete Staudenmayer, dass die Vertragsparteien bis auf die zwingenden Vorschriften eigene kaufrechtliche Regelungen treffen, aber keine Gesellschaftsformen selbst schaffen können; daher sei das Urteil des EuGH nicht übertragbar. Auch gebe es bei jedem neuen Recht zunächst Unsicherheit bei der Auslegung; dies sei auch beim Schuldrechtsmodernisierungsgesetz nicht anders gewesen. Schulte-Nölke ergänzte, die Diskussion um die Rechtsgrundlage sei schlicht nicht zu beseitigen. Im zweiten Panel behandelten Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen, Vizepräsident des DAV, und Gerd Billen, Vorstand Verbraucherzentrale Bundesverband e.V., die „Auswirkungen auf den Verbraucherschutz“. Von Westphalen fasste hierbei zu den Rechtsbehelfen bei Lieferung mangelhafter Ware zusammen, dass nach Art. 106 GEKR kein Vorrang der Nacherfüllung bestehe, sich hierdurch aber kein nennenswerter Unterschied für den Verbraucher zum BGB ergebe, da dieser in der Regel primär an Nacherfüllung interessiert sei und im Falle eines solchen Verlangens die anderen Rechtsbehelfe nach Art. 111 Abs.2 S.1 GEKR gesperrt sind. Im Vergleich zum europäischen Recht bedeute das GEKR insbesondere im AGB-Bereich einen Integrationsaufschlag. In Deutschland werden Diskussionen zum AGB-Recht seit 50 Jahren geführt; daher dürfe man das GEKR nicht aufgrund von Rechtsunsicherheit verteufeln. Im Ergebnis bewirke das GEKR im AGB-Bereich ein mindestens genauso hohes Verbraucherschutzniveau wie das BGB und sei somit vorteilhaft für Verbraucher. Billen äußerte sich hingegen deutlich kritischer. Er sprach Reding die Fähigkeit ab, die Bedürfnisse der Verbraucher in Europa zu erforschen. Die Verbraucher störe das Fehlen eines GEKR nicht und sie seien nicht deshalb an grenzüberschreitenden Käufen gehindert, sondern durch Schwierigkeiten bei der Rechtsdurchsetzung. Die Erhebungen der EU hätten somit keine empirische Evidenz. Maßgeblich für die Wahl des GEKR durch die Verbraucher sei aber deren Vertrauen. Da das GEKR jedoch viele Tücken aufweise, sei der „Pathos“ des „blue buttons als Gütesiegel“ gefährlich, da die EU gerade die Rechtsdurchsetzung für die Verbraucher nicht gewährleisten könne. Sinnvoller als das GEKR sei daher z.B. ein „europäischer Mustervertrag“ mit verbindlich geregelter Streitschlichtung. In der folgenden Diskussion fokussierte auch Prof. Pfeiffer den Aspekt der Rechtsdurchsetzung. Wenn nach bestehender Rechtslage ausländisches Verbraucherrecht anwendbar ist, sei es typisch, dass ein externes Institut ein Gutachten erstellt, wofür allerdings die klagende Partei in Vorleistung treten müsse. Da die Streitwerte oftmals nur gering sind, entstehe hierdurch ein finanzielles Risiko, das durch das GEKR vermieden würde. Von Westphalen erwiderte, dass der Spielraum für überraschende Klauseln beim GEKR nahe null sei. Zudem sollen Auslegungsschwierigkeiten durch zeitnah erscheinende Kommentare der GEKR-Verfasser gemildert werden. Billen fügte aber kritisch hinzu, dass die Frage der Rechtsdurchsetzung vor Einführung des GEKR geregelt sein müsse. Maultzsch schloss die Diskussion mit der These, dass das baldige Erscheinen eines Kommentars fragwürdig sei, da zum materiellen Teil des GEKR bis dato nicht einmal Erwägungsgründe veröffentlicht sind.8 ________________________ 8
Aktuell sind – ausweislich beck-shop.de – zwei Kommentare zum GEKR angekündigt.
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Zum Panel „ Toolbox versus fakultatives europäisches Kaufrechtssystem“ sprachen Prof. Dr. Dr. h.c. Reiner Schulze, Universität Münster, und Prof. Dr. Carsten Herresthal, Universität Regensburg. Schulze legte dar, dass ein optionales Instrument im Vergleich zur Vollharmonisierung weniger stark in die Rechte der Mitgliedsstaaten eingreife und daher auch kohärenter sei. Deswegen rückte auch die Verbraucherrechte-Richtlinie9 in der Endfassung bei manchen Punkten von der Vollharmonisierung ab. Es stelle sich die Aufgabe, den grenzüberschreitenden Handel zu erleichtern ohne hierbei die mitgliedsstaatliche Souveränität zu schädigen; beiden Anliegen könne mit einem optionalen Instrument Rechnung getragen werden. Die Einführung des GEKR stelle gerade keinen „Abschied vom BGB“ dar: Zunächst belaste ein optionales Instrument das deutsche Recht weniger als eine Vollharmonisierung. Hinzu stimme das GEKR mehr mit dem BGB überein als jeder andere europäische Rechtsakt. Und zuletzt sei das BGB seit jeher ein lebendiges Gesetzbuch; daher könne eine Bewährung der Regeln des GEKR im Endeffekt auch zu einer Verbesserung des BGB führen. Somit könne das GEKR auch im Verhältnis zum BGB eine „Win-Win-Situation“ bewirken, vorausgesetzt, es überzeugt inhaltlich; hierfür sei aber noch einiges zu tun. Herresthal veranschaulichte, dass die EU mit dem Konzept der Vollharmonisierung gescheitert ist und daher einen Schwenk auf das optionale Instrument vollzogen habe. Vor diesem Hintergrund wurde das GEKR aus dem DCFR „extrahiert“. Das Konzept der Vollharmonisierung bringe zahlreiche Nachteile mit sich und sei daher abzulehnen: Vor allem gebe es für eine breitflächige Harmonisierung keine Kompetenz und die Kasuistik führe zu Kohärenzstörungen. Ein optionales Instrument habe hingegen gewisse Vorzüge: Es bewirke ein größeres Angebot für die Marktteilnehmer und führe somit zu einer Förderung des Binnenmarkts. Auch sei die angeprangerte Rechtsunsicherheit nichts weiter als die logische Folge jeder Rechtsetzung. Der Vorteil in diesem Fall sei, dass das nationale Recht verbleibe, wenn sich die Auslegung durch den EuGH unvorteilhaft entwickelt. Ein optionales Instrument sei somit der Vollharmonisierung vorzuziehen; damit aber das GEKR ein erfolgreiches optionales Instrument wird, müsse dessen Regelungsqualität noch stark verbessert werden. Zu Beginn der anschließenden Diskussion kritisierte Maultzsch die Lückenhaftigkeit des GEKR. Insbesondere hinsichtlich der Rechts- und Sittenwidrigkeit gebe es in verschiedenen Staaten unterschiedliche Konzepte. Schulze erwiderte jedoch, dass solche kulturellen Differenzen toleriert werden können und müssen. Prof. Looschelders bekräftigte ihn darin, die externen Lücken nicht zu überbewerten. Herresthal konstatierte hierzu, externe Lücken seien kein Spezifikum eines optionalen Instruments. Daher sollte im GEKR Platz finden, was im Kaufrecht praktische Relevanz hat. Dies sei z.B. bei der Sittenwidrigkeit nicht der Fall.10 Das nächste Panel beleuchtete „Das Gemeinsame Europäische Kaufrecht aus dem Blickwinkel der Praxis“. Dr. Gert Leutner, Rechtsanwalt bei CMS Hasche Sigle, führte hierzu eine Umfrage im CMS-eigenen Netzwerk durch. Im Ergebnis lasse sich für die Einzelprobleme derzeit noch kein einheitliches europäisches Meinungsbild fest________________________ 9 Rl. 2011/83/EU. 10 Als beispielhafte Ausnahme zur Relevanz der Sittenwidrigkeit nannte er den Verkauf von Radarwarngeräten, vgl. BGHZ 183, 235 ff.
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stellen. Aus Sicht von Dr. Martin Abend, Vizepräsident der BRAK, werden insbesondere die KMUs vom GEKR profitieren. Allerdings sei die Beschränkung auf b2bGeschäfte mit KMU-Beteiligung nach Art. 7 Abs.1 S.2 GEKR-VO nicht sinnvoll, da deren Abgrenzung erhebliche praktische Schwierigkeiten bereite. Zudem kritisierte er den Gleichlauf der Gewährleistungsrechte in Art. 106 GEKR. Bei größeren Summen sei es nicht opportun, dass der Verbraucher sofort den Vertrag beenden könne. Hierdurch würden die Produkte vermutlich teurer, was den bezweckten Verbraucherschutz umkehren würde. Dr. Oliver Vossius, Präsident des deutschen Notarvereins, hingegen veranschaulichte anhand eines Beispiels, dass aus seiner Sicht die Rechtsberatung zu einer Umgehung des GEKR führen müsse. Laut Dirk Palige, Geschäftsführer des deutschen Handwerkskammertages, hält der Großteil der zugehörigen Betriebe nichts vom GEKR. Die vertragsrechtliche Gestaltung sei für sie kein relevantes Problem, womit die Umfragen der Kommission nicht repräsentativ seien. Ein wahrer Kostentreiber wäre hingegen die Rechtsunsicherheit, die das GEKR mit sich brächte. Somit sei mangels echter Probleme die bestehende Rechtslage eher hinnehmbar. Prof. Dr. Stephan Wernicke, Präsident des DIHK, befürwortete im Namen des DIHK das GEKR; aber nicht dieses GEKR. Kritisch sah er die „ausufernden“ Informationspflichten und die langen Verjährungsfristen, die permanente Kosten verursachen und somit die Preise erhöhen würden. Nach Brigitte Kamphausen, vorsitzende Richterin am LG Duisburg, fürchten auch die Richter die zu erwartende Rechtsunsicherheit durch das GEKR. Diverse Abgrenzungsschwierigkeiten und Ungenauigkeiten böten „Sprengstoff“, der durch detaillierte Klärungen entschärft werden müsse. Nur dies könne zur Akzeptanz des GEKR führen. Die folgende Diskussion brachte eine Vielzahl von Detailproblemen auf den Tisch, die, so der Konsens, vom GEKR noch nicht befriedigend gelöst werden und somit den Handlungsbedarf des EU-Gesetzgebers aufzeigen. Im letzten Panel präsentierten Vertreter der aktiven Politik „Das Gemeinsame Europäische Kaufrecht in der politischen Diskussion“. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz, zeigte sich noch nicht vom Mehrwert des GEKR überzeugt. Hinzu teilte sie die Bedenken hinsichtlich der Rechtsgrundlage. Trotz aller Kritik würden sich aber Bundestag und -regierung in die Detailberatungen einbringen, die allerdings noch lange dauern werden. Nach Klaus-Heiner Lehne, Vorsitzender des Rechtsausschusses des EU-Parlaments, sei das Fehlen eines GEKR durchaus ein Binnenmarktproblem; und wenn der Gesetzgeber durch das Füllen dieser Lücke Wachstumsimpulse freisetzen könne, dann müsse er es auch tun. Man werde sich hierbei aber „alle Zeit der Welt“ lassen. Auch sei die Debatte ob der Subsidiarität des GEKR merkwürdig; „noch subsidiärer“ als ein optionales Instrument gehe es ja nicht. Nach Ansicht von Cornelia Prüfer-Storcks, Senatorin für Gesundheit und Verbraucherschutz in Hamburg, sei das GEKR jedoch nichts, worauf die Verbraucher gewartet hätten. Seine positiven Aspekte reichten nicht aus, um die seine Nachteile auszugleichen. Notwendig seien die Verpflichtung, die Verträge in der Verhandlungssprache abzufassen und flankierende Maßnahmen, die den Verbrauchern die Durchsetzung ihrer Rechte garantieren können. In der abschließenden Diskussion hob Lehne hervor, dass alle großen Fraktionen im EU-Parlament das Projekt befürworten. Hinsichtlich der Rechtsgrundlage wurde aus dem Audito-
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Vertriebsrechtliche Nachrichten
Allgemeine Nachrichten
rium gemutmaßt, die Wahl falle nur auf Art. 114 AEUV zur Umgehung des Einstimmigkeitserfordernisses im Rat bei Art. 352 AEUV. Ebenfalls aus dem Publikum wurde die Erwartung laut, die nationalen Richter werden unbestimmte Rechtsbegriffe im Zweifel ebenso auslegen, als in ihrer nationalen Rechtsordnung. Lehne erwiderte, das Denken in zwei Rechtsordnungen sei einfacher, als in 28 und die EU nehme hinsichtlich der Rechtsgrundlage keine taktischen Maßnahmen vor. In den Augen von PrüferStorcks wurde mit dem GEKR eine Lösung geschaffen und dann das passende Problem gesucht; zur Lösung echter Probleme müsse man aber andersherum vorgehen. Hahn schloss die Tagung mit der Feststellung, dass von der Frage, ob überhaupt ein Binnenmarktproblem bestehe, bis dahin, ob das GEKR auch künftig optional bleibe, alles streitig sei.
Nutzen des GEKR schwelen indes fort. Die Kritik stammt größtenteils von Seiten der Praktiker, wobei auch hier das Meinungsbild gespalten ist. Konsens herrscht darüber, dass das GEKR nicht in seiner jetzigen Form kodifiziert werden kann. Es weist noch schwerwiegende handwerkliche Mängel auf. Nur deren Beseitigung und die damit einhergehende qualitative Steigerung können aber zu einer Akzeptanz des GEKR am Markt und damit zu dessen Erfolg führen. Um dies zu erreichen, muss dem hierfür notwendigen wissenschaftlichen Diskurs aber ausreichend Zeit gelassen werden, sonst waren alle bisherigen Mühen umsonst. Wie es inhaltlich und verfahrenstechnisch mit dem GEKR weitergeht ist offen. Die Verfolgung der wissenschaftlichen und rechtspolitischen Fortentwicklung kann somit gerade auch dem Vertriebsrechtler ans Herz gelegt werden.
Es ist festzuhalten, dass die Grundstimmung hinsichtlich des „Projekts GEKR“, insbesondere unter den Vertretern der Wissenschaft, mittlerweile deutlich positiver ausfällt, als das noch vor wenigen Monaten der Fall war. Die Streitigkeiten über die Rechtsgrundlage und den tatsächlichen
Wiss. Ass. Norman Konecny, Universität des Saarlandes ________________________ 11 Vgl. Konecny, ZVertriebsR 2012, 125 ff. (Tagungsbericht vom 20.01.2012 in Würzburg).
III. Tagungshinweise Auch im II. Halbjahr 2012 finden zahlreiche Veranstaltungen statt, die für das Vertriebsrecht von Bedeutung sind. Das ForumInstitut veranstaltet am 13./14. September 2012 in Jena den 8. Jenaer Markenrechtstag, der sich u.a. in einem Praxisworkshop mit dem markenrechtlichen Widerspruchsverfahren im DPMA befasst. Zugleich ist ein Rechtsprechungsreport zum nationalen Markenrecht vorgesehen, der sich insbesondere auf die aktuelle Rechtsprechung des BGH zum Schutzumfang, Schutzschranken und deren Durchsetzung bei Markenverletzungen befasst. Die ICC Austria veranstaltet im II. Halbjahr 2012 einige Seminare, die für das Vertriebsrecht von Bedeutung sind,
so am 18. September 2012 in Wien das Seminar USA – Juristisch optimale Gestaltung Ihrer Vertriebs- und Marktbearbeitungsstrategie. Im Vordergrund des Seminars stehen Punkte der aktuellen rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den USA und der Vertragsgestaltung. Das ARS führt zwei Seminare in Wien durch, die für das internationale Vertriebsrecht von Bedeutung sind, und zwar am 28. August 2012 das Seminar UN-Kaufrecht & Schiedsverfahren und am 24. September 2012 die Jahrestagung internationales Vertragsrecht. RA Prof. Dr. Eckhard Flohr
Vertriebsrechtliche Nachrichten Allgemeine Nachrichten I. Kommission fordert von Deutschland besseren Verbraucherschutz bei Haustürgeschäften
Allgemeine Nachrichten Verbraucher werden bei Haustürgeschäften in Deutschland nicht so gut geschützt wie es das EU-Recht eigentlich vorsieht. Die Haustürgeschäfte-Richtlinie (Richtlinie 85/577/EWG) schützt Verbraucher, die in ihrer Privatwohnung oder während eines von einem Gewerbetreibenden für Verbraucher organisierten Ausflugs in einer Haustürsituation Waren kaufen oder Dienstleistungen bestellen. In den EU-Vorschriften ist eine Widerrufsfrist von mindestens sieben Tagen festgelegt; binnen dieser Frist kann
der Verbraucher vom Vertrag zurücktreten. Die deutschen Rechtsvorschriften enthalten jedoch zusätzlich die Anforderung, dass der Verbraucher zum Vertragsschluss „bestimmt worden“ sein muss. Dieses Zusatzkriterium, das nicht in der Richtlinie enthalten ist, beschränkt das in der Richtlinie verbriefte Rücktrittsrecht. Die deutsche Umsetzung der Richtlinie ist im BGB verankert. Deutschland wollte in mehreren Punkten über den Mindestschutz der Richtlinie hinausgehen. Allerdings werden die Rechte des Verbrauchers durch das zusätzliche Kriterium des „Bestimmtwerdens“ auf eine Weise einge-
Pressemitteilung des BDD vom 11. Juli 2012
Vertriebsrechtliche Nachrichten
schränkt, die mit der Richtlinie nicht zu vereinbaren ist. Dies geht aus deutschen Gerichtsverfahren hervor, in denen Verbraucher aufgrund vorangegangener Besuche durch den Gewerbetreibenden nicht beweisen konnten, dass die Haustürsituation ausschlaggebend für die Unterzeichnung des Vertrags gewesen war. Die Europäische Kommission forderte daher Deutschland auf, seine Rechtsvorschriften zu ändern und setzte dafür am 21. Juni 2012 eine Frist von zwei Monaten, um das Verbraucherrecht anzupassen. Danach könnte die Kommission Deutschland vor dem EuGH verklagen. (siehe Europäi sche Kommission, PM v. 21. Juni 2012) II. BKartA untersucht Lebensmittelsektor
Mit Auskunftsbeschlüssen an knapp 200 Hersteller von Lebensmitteln hat das BKartA die zweite Ermittlungsphase der laufenden Sektoruntersuchung Lebensmitteleinzelhandel eingeleitet. In der ersten Ermittlungsphase wurden bereits die zentralen Unternehmens- und Marktstrukturen im Bereich der Beschaffung von Lebensmitteln erhoben. Im Zentrum der neuen Ermittlungsphase steht die Analyse der zwischen Herstellern und Lebensmitteleinzelhändlern erzielten Verhandlungsergebnisse. Konkret stellt das BKartA für ca. 250 Einzelartikel Fragen zu Mengen, Umsätzen, Listenpreisen und Konditionen. Abgefragt werden auch nicht-monetäre Konditionen und Pauschalrabatte, die sich nicht unmittelbar auf einen Artikel beziehen. Zur Erfassung der Verhandlungsposition der jeweiligen Hersteller und Händler werden weiterhin Daten erhoben, die un-
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ter anderem eine Einschätzung des Wettbewerbsdrucks erlauben, der von anderen Markenartikeln und von den Handelsmarken des Lebensmitteleinzelhandels ausgeht. Anmerkung zur Sektoruntersuchung im Allgemeinen: Das BKartA kann die Untersuchung eines bestimmten Wirtschaftszweiges durchführen, wenn besondere Umstände vermuten lassen, dass der Wettbewerb im Inland möglicherweise eingeschränkt oder verfälscht ist (sog. Sektoruntersuchung, § 32 e GWB). Es handelt sich um eine Branchenuntersuchung, ausdrücklich aber nicht um ein Verfahren gegen bestimmte Unternehmen. (ausführlich BKartA, Pressemitteilung v. 12. Juni 2012) III. BKartA richtet anonymes Hinweisgebersystem zur Aufdeckung von Kartellverstößen ein
Das BKartA hat am 1. Juni 2012 ein elektronisches System zur Entgegennahme von anonymen Hinweisen auf Kartellverstöße frei geschaltet. Das System ist in langjähriger Praxis von Landeskriminalbehörden erprobt. Es garantiert die Anonymität von Informanten und ermöglicht dennoch eine fortlaufende wechselseitige Kommunikation mit Ermittlern des BKartA über einen geschützten elektronischen Briefkasten (ausführlich dazu BKartA, Presse mitteilung v. 1. Juni 2012). (mitgeteilt von Prof. Dr. Karsten Metzlaff, Noerr LLP, Berlin)
Pressemitteilung des Bundesverbandes Direktvertrieb Deutschland e.V. (BDD) vom 11. Juli 2012 Pressemitteilung des BDD vom 11. Juli 2012 23 Bestellungen im Direktvertrieb pro Minute – Trend geht hin zu Verkaufspartys Jeder sechste Deutsche hat im vergangenen Jahr im Direktvertrieb gekauft Berlin, 11. Juli 2012. Mehr als zwölf Millionen Bestellungen haben die im Bundesverband Direktvertrieb Deutschland e.V. (BDD) organisierten Unternehmen im vergangenen Jahr registriert. Etwa jeder sechste Deutsche hat damit Produkte oder Dienstleistungen direkt in der eigenen Wohnung oder am Arbeitsplatz gekauft. Der Trend geht im Direktvertrieb eindeutig hin zu Verkaufspartys. Etwa 8,5 Millionen solcher ShoppingEvents, von der Koch- oder Bastel- bis hin zur legendären Tupperparty, haben die BDDMitgliedsunternehmen 2011 gezählt. Damit finden in Deutschland pro Minute 16 Verkaufspartys statt. Besonders häufig wird diese Verkaufsform für den Direktvertrieb von Schönheitsprodukten sowie Haushaltswaren und Schmuck eingesetzt. „Immer mehr Unternehmen der Direktvertriebswirtschaft setzen für die Zukunft auf Multichannel-Marketing.
Verkaufspartys sind neben dem Internetverkauf in diesem Zusammenhang ein erfolgreiches Beispiel, die Absatzwege zu diversifizieren“, so BDDGeschäftsführer Jochen Clausnitzer. Der so genannte unbestellte Vertreterbesuch fand im vergangenen Jahr, bezogen auf die BDDMitglieder, gut 400.000 Mal statt. Deutlich häufiger, nämlich mehr als eine Million Mal kamen bestellte Vertreterbesuche, also Verkaufsgespräche aufgrund des ausdrücklichen Wunsches des Kunden, nzu Stande. Ähnlich hoch war das Bestellvolumen in den BDD-Mitgliedsunternehmen beim Onlinehandel. Die Zahl der Bestellungen lag hier bei gut 1,2 Millionen. „Die Direktvertriebswirtschaft in Deutschland spielt ihre Stärken, nämlich die Nähe zum Verbraucher und die besonders ausgeprägte Kundenbindung, aus. Für 2012 erwarten wir, dass sich der Trend hin zum MultichannelMarketing weiter fortsetzen wird und sich die Umsätze der im Verband organisierten Unternehmen positiv entwickeln werden“, schätzte Jochen Clausnitzer ein.
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Ansprüche nach HVertrG im Strukturvertrieb
Österreich
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Österreich Alexander Petsche, Marc Lager und Sebastian Kutsche*
Ansprüche nach HVertrG im Strukturvertrieb (Multi-Level-Marketing) Ansprüche nach HVertrG im Strukturvertrieb Der vorliegende Beitrag setzt sich mit der Frage auseinander, ob die kundenwerbende Tätigkeit von Vertriebsmittlern in Multi-Level-Marketing-Systemen ausgleichsfähig iSd § 24 HVertG ist. Dabei wird im Überblick auf die Merkmale von Multi-Level-Marketing-Systemen und die Abgrenzung zu Pyramidenspielen (§ 168a StGB) und Schneeballsystemen (§ 27 UWG) eingegangen. Der Begriff „Multi-Level-Marketing" umschreibt ein progressives Vertriebssystem, das sich von anderen Vertriebsmethoden dadurch unterscheidet, dass es verkaufswillige Endabnehmer und Verbraucher und auch andere Dritte aktiv in die Absatzstrategie des Unternehmens einbezieht.1 So erhöht sich die Zahl der in der Vertriebsstruktur befindlichen Mitarbeiter erheblich und es entsteht ein Multiplikatoreneffekt, der durch jeweils leistungsbezogene Anreize noch verstärkt wird. Dadurch wird der Umsatz nachhaltig gesteigert. Multi-Level-Marketing-Systeme zeichnen sich in der Regel durch die folgenden Merkmale aus:2 -
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In Multi-Level-Marketing-Systemen werden fast immer nur Waren eines einzigen Erzeugers oder Anbieters vertrieben. Der Absatz der Produkte erfolgt durch ein Vertriebsnetzes von Angestellten oder selbstständigen Vertriebsmittlern. Das können sowohl Handelsvertreter als auch Händler sein. Typischerweise werden die Produkte durch einzelvertraglich gebundene Absatzmittler in privatem Umfeld direkt an Endabnehmer verkauft. Multi-Level-Marketing-Systeme sind in der Regel streng hierarchisch gegliedert, wobei die Organisation multiplikativ entwickelt werden kann. Die Vertriebsmittler auf den untersten Stufen sind dabei hauptsächlich mit dem Vertrieb an Endabnehmer betraut. Die Mitglieder auf höheren Stufen nehmen demgegenüber überwiegend Koordinierungs- und Führungsaufgaben war. Angehörige übergeordneter Stufen unterstützen die unteren Stufen in der Erarbeitung und Verbesserung von Vertriebsstrategien.3 Ein weiteres Merkmal von Multi-Level-MarketingSystemen ist der Einsatz von (zumeist nebenberuflichen) Laien als Vertriebsmittlern auf den untersten Stufen. Diese suchen Kunden direkt auf, stellen die Produkte vor und nehmen Bestellungen entgegen. Zumeist liefern sie die bestellten Waren auch selbst aus und rechnen direkt mit dem Käufer ab. Mitarbeiter höherer Stufen überwachen diese Tätigkeiten und erhalten dafür anteilmäßig Provisionen, Rabatte oder Prämien für die Verkäufe auf nachgeordneten Stufen. Die Vergütung der Vertriebsmittler ist erfolgsbezogen auf Grundlage vertraglich festgelegter Rabatte und
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DDr. Alexander Petsche ist Rechtsanwalt und Partner von Baker & McKenzie in Wien; Dr. Marc Lager ist Associate bei Baker & McKenzie in Wien; Sebastian Kutsche, LL.B. ist Junior Associate bei Baker &McKenzie in Wien. Thume, „Multi-Level-Marketing, ein stets sittenwidriges Vertriebssystem?“ in WRP-Praxis 3/99, Seite 281. Vgl. Tietz, Der Direktvertrieb an Konsumenten, 16ff. Vgl. Otto/Bammsen, WiB 1996, 281ff.
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Provisionen. Sämtliche Einkünfte auf allen Stufen sind daher umsatzabhängig. Die Angehörigen übergeordneter Stufen nehmen am jeweiligen Umsatz der Mitarbeiter auf untergeordneten Stufen teil. Auf den unteren Ebenen besteht durch den Einsatz von Laien und der erfolgsabhängigen Vergütung eine hohe Fluktuation von Vertriebsmittlern und damit ein ständiger Bedarf an neuen Mitarbeitern. Multi-LevelMarketing-Systeme bieten ihren Mitarbeitern daher häufig die Möglichkeit, neue Mitglieder anzuwerben. Durch die Anwerbung neuer Mitarbeiter können zum Teil zusätzliche Provisionen lukriert werden.
Die Abgrenzung des – grundsätzlich zulässigen – MultiLevel-Marketing-Systems von Schneeballsystemen sowie Ketten- oder Pyramidenspielen ist von besonderer Bedeutung, da letztere in Österreich gemäß §27 UWG bzw § 168a StGB verboten sind. Im Folgenden werden die relevanten Verbotsbestimmungen im Überblick dargestellt. I. Das Verbot von Ketten- und Pyramidenspielen nach § 168a StGB
Aufgrund der Gefährlichkeit von Schneeballsystemen hat der Gesetzgeber einen Sondertatbestand (§ 168a StGB) geschaffen, mit dem das Ingangsetzen und Veranstalten von Ketten- und Pyramidenspielen verboten wurde. Die Strafbestimmung richtet sich gegen Gewinnerwartungssysteme, „dessen Teilnehmern gegen Einsatz ein Vermögensvorteil unter der Bedingung in Aussicht gestellt wird, dass diesem System oder einem damit im Zusammenhang stehenden System unter den gleichen Bedingungen weitere Teilnehmer zugeführt werden, und bei dem die Erlangung des Vermögensvorteils ganz oder teilweise vom bedingungsgemäßen Verhalten jeweils weiterer Teilnehmer abhängt.“ Das StGB vermeidet in diesem Zusammenhang das Wort „Schneeballsystem“, das im UWG bei der Untersagung von vergleichbaren Vertragskonstruktionen verwendet wird (vgl insbesondere § 27 UWG). Sowohl für den Zivilrechtsbereich als auch in Strafsachen geht der OGH davon aus, dass es sich bei Ketten- und Pyramidenspielen um Glücksspiele gemäß § 168 StGB handelt. Nach der Lehre besteht der Unterschied zwischen einem Schneeballsystem und einem Pyramidenspiel darin, dass bei einem Schneeballsystem nach § 27 UWG der Geworbene in eine Vertragsverhältnis zum Unternehmen oder einem Dritten treten muss, während bei einem Pyramidenspiel gemäß § 168a StGB das Vertragsverhältnis zum werbenden Kunden entstehen muss. Das Wesen von verbotenen Ketten- und Pyramidenspielen besteht darin, dass gegen Entgelt die Chance auf einen Vermögensteil eingeräumt wird, deren Realisierung die künftige Beteiligung und Einsatzleistung weiterer Teilnehmer voraussetzt.4 In der Regel übernimmt der Systemteilnehmer die Verpflichtung, weitere Teilnehmer zu den gleichen Bedingungen anzuwerben. Für ein tatbestandsmäßiges Gewinnerwartungsspiel ist allerdings nur die Be________________________ 4
Vgl. Kirchbacher/Presslauer in Wiener Kommentar § 168a, Rz 4.
Ansprüche nach HVertrG im Strukturvertrieb
Österreich
dingung wesentlich, dass diesem oder einem damit im Zusammenhang stehenden System unter den gleichen Bedingungen weitere Teilnehmer zugeführt werden, wobei dies nicht durch den Teilnehmer selbst geschehen muss. Nach der Rechtsprechung des OGH ist ein Pyramidenspiel wie folgt charakterisiert: Die zur Wahrung oder Erhöhung der eigenen Gewinnchance notwendige Anwerbung neuer Mitspieler hängt nicht nur von den Fähigkeiten des werbenden Teilnehmers ab, sondern ist durch die Anzahl der vorhandenen Interessenten begrenzt. Dass diese Zahl nicht beliebig vermehrbar ist, entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung, die auch dadurch nicht widerlegt wird, dass die Möglichkeit einer mehrmaligen Beteiligung an einem von der ständigen Vermehrung der Mitspieler abhängigen Gewinnspiel besteht. Auch dieses Reservoir an Mitspielern erschöpft sich zwangsläufig, weil nicht erwartet werden kann, dass sich alle Spieler oder auch nur einzelne, diese dafür in einer sich unendlich wiederholenden, immer schneller fortschreitenden Reihe, für eine Wiederbeteiligung gewinnen lassen. Die Gewinnchance der Mitspieler insgesamt hängt daher bei jedem nach dem Schneeballsystem funktionierenden Pyramidenspiel letztlich vom Zufall ab, wenn man die Inkaufnahme des unausweichlichen Verlusts der letzten Teilnehmer nicht überhaupt als Betrug wertet. Es kommt dabei auf eine Gesamtschau an, die nicht nur die ersten Teilnehmer mit (noch) intakten „Gewinnchancen“, sondern auch die Spieler einer späteren Phase berücksichtigt, deren Verlust praktisch vorprogrammiert ist.5 Pyramidenspiele können als begleitende Maßnahme des Warenvertriebs eingesetzt werden. In der Lehre wird in diesem Zusammenhang vertreten, dass auch mit dem Warenvertrieb verbundene Gewinnerwartungssysteme verboten sein können, wenn von den Teilnehmern vermögenswerte Einsätze – wie etwa nach dem Anweisungssystem des § 27 Abs 2 UWG – verlangt werden.6 II. Das Verbot von Schneeballsystemen im UWG
Das UWG sieht in § 27 ein Verbot von Schneeballsystemen vor. Dieser definiert „Schneeballsysteme“ als Vereinbarungen, durch die “einem Kunden gegen ein unbedingt zu leistendes Entgelt die Lieferung einer Ware oder die Verrichtung einer Leistung unter der Bedingung zugesichert wird, dass der Kunde mittels der ihm übergebenen Anweisungen oder Scheine dem Unternehmen des Zusichernden oder eines anderen weitere Abnehmer zuführt, die mit diesem Unternehmen in ein gleiches Vertragsverhältnis treten.“ Als Schneeballsysteme gemäß § 27 UWG sind daher Vereinbarungen zu verstehen, durch die einem Kunden eine unbedingte Zahlungspflicht auferlegt wird und eine bedingte Leistung des Unternehmers unter der Bedingung zugesichert wird, dass der Kunde weitere Abnehmer zuführt, die mit diesem in gleiche Vertragsverhältnisse treten. Im Gegensatz hierzu schließt der (anwerbende) Teilnehmer im Pyramidensystem selbst mit den in der Vertriebskette nachfolgenden (neu zugeführten) Teilnehmern Verträge, weshalb bildlich gesprochen eine Pyramide von Verträgen entsteht.7 ________________________ 5 6 7
OGH, 5 Ob 506/96. Gamerith/Mildner, „Zum Verbot des Abschlusses von Verträgen nach dem Schneeballsystem nach altem und neuem Lauterkeitsrecht“ in ÖBl 2010/2, 9ff. Vgl. Dreyer in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, § 16, Rz 40.
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Erfüllt der erste Kunde die Bedingung für die vereinbarte Zahlungspflicht des Unternehmers, so muss dieser zwar leisten, erhält aber nicht nur sein Entgelt, sondern auch einen unbedingten Anspruch auf ein weiteres Entgelt gegen den zweiten (vom ersten Kunden neu zugeführten) Kunden. Gelingt es einem neu zugeführten Kunden nicht, einen weiteren Kunden zu werben, so erhält er keine Leistung vom Veranstalter des Schneeballsystems, während dieser jedenfalls einen (unbedingten) Anspruch auf das Entgelt gegen jeden neu zugeführten Kunden erhält. Vereinbart der Veranstalter mit mehreren Erstkunden eine derartige Bedingung, schwillt das System typischerweise lawinenartig an. Je mehr durch eine solche Bedingung gebundene Erstabnehmer nun ihrerseits weitere Kunden suchen (um ihre eigene Bedingung erfüllen zu können), desto geringer werden die Chancen jedes einzelnen Kunden, neue Abnehmer zu finden.8 Mit der UWG-Novelle 2007 wurde ein weiteres Verbot von Schneeballsystemen in das UWG aufgenommen. Gemäß Z 14 des Anhangs zum UWG verboten ist demnach die „Einführung, Betrieb oder Förderung eines Schneeballsystems (§ 27 UWG) zur Verkaufsförderung, bei dem der Verbraucher die Möglichkeit vor Augen hat, eine Vergütung zu erzielen, die überwiegend durch das Einführen neuer Verbraucher in ein solches System und weniger durch den Verkauf oder Verbrauch von Produkten zu erzielen ist.“ Der Tatbestand ist weiter gefasst, als jener des § 27 UWG, da die unbedingte Leistung des Kunden kein Tatbestandsmerkmal der Z 14 des Anhangs zum UWG ist. Durch den Verweis auf die Definition des Schneeballsystems nach § 27 Abs 2 UWG wird Z 14 des Anhangs zum UWG gegenüber der RL-UGP jedoch eingeschränkt und setzt diese damit nicht vollständig um. Darüber kann auch nicht immer ein Rückgriff auf die Generalklausel des § 1 UWG hinweghelfen, da dieser – anders als die per seVerbote des Anhangs – nur bei spürbaren Auswirkungen auf dem Markt anwendbar ist.9 Der OGH hat die Frage der richtlinienkonformen Umsetzung vorläufig offen gelassen. Die Auswirkungen der neuen Rechtslage insbesondere im auf Multi-Level-Marketing-Systeme bleiben daher offen.10 In Bezug auf den (für Multi-Level-Marketing-Systeme charakteristischen) – grundsätzlich erlaubten – Einsatz von Laienwerbern ist jedoch § 1a UWG (aggressive Geschäftspraktiken) von Bedeutung. Darunter fallen Verhaltensweisen, die die Entscheidungs- oder Verhaltensfreiheit eines Verbrauchers oder anderen Marktteilnehmers in Bezug auf das Produkt insbesondere durch unzulässige Beeinflussung wesentlich zu beeinträchtigen und für seine geschäftliche Entscheidung kausal sind. Dass sich zum Vertrieb eingesetzte Laien überwiegend an Verwandte, Freunde und Bekannte wenden, die den Werber nicht so leicht abweisen können wie einen ihnen unbekannten Vertreter, kann demnach für eine unzulässige Beeinflussung gemäß § 1a UWG ausreichen.11 Dies gilt insbesondere bei systematischer Ausnutzung familiärer oder sozialer Beziehungen.12 ________________________ 8 Vgl. Kucsko in Wiebe/Kodek, UWG, § 27, Rz 11f. 9 Horak, „Unlauteres Schneeballsystem“, ecolex 2009/382. 10 Prohaska-Marchried/Grünzweig/Schultes, „Neue Hürden für Freundschaftwerbung“, der Standard (Wirtschaft & Recht), 2.9.2009. 11 OGH, 4 Ob 26/09. 12 Gamerith/Mildner, „Zum Verbot des Abschlusses von Verträgen nach dem Schneeballsystem nach altem und neuem Lauterkeitsrecht“ in ÖBl 2010/2, 9ff.
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III. Der Handelsvertreter im Multi-Level-Marketing System
Wie dargelegt, handelt es sich beim Multi-LevelMarketing um komplexe Vertriebsstrukturen. In diesem Zusammenhang stellt sich das Problem der Ausgleichsfähigkeit des zugeführten Geschäfts. Eine Besonderheit in mehrstufigen Vertriebssystem liegt darin, dass unechte Untervertreter tätig werden, die mit dem Hauptvertreter in keinem Vertragsverhältnis stehen und die Höhe der Provision des Hauptvertreters auch vom Vermittlungserfolg des ihm organisatorisch untergeordneten Untervertreters abhängt.13 Die Vertragsbeziehung besteht jeweils zwischen dem Untervertreter und (direkt) mit dem Unternehmer (d.h. dem Vertriebsunternehmen). Das Verhältnis zwischen dem Hauptvertreter und dem unechten Untervertreter kann ganz unterschiedlich ausgestaltet sein. Dem Hauptvertreter können (wie beim Multi-Level-Marketing) zB Aufsichts- und Koordinierungsbefugnisse eingeräumt oder Betreuungspflichten auferlegt werden.14 Demgegenüber liegt ein echtes Unterverhältnis dann vor, wenn der Untervertreter vom Hauptvertreter beauftragt wird, im Namen und auf Rechnung des Unternehmers Handelsvertretergeschäfte zu tätigen. In diesem Fall besteht das Handelsvertreterverhältnis zwischen dem Hauptvertreter und dem Untervertreter, nicht etwa zwischen dem Untervertreter und dem Unternehmer. Der Untervertreter handelt als Erfüllungsgehilfe des Hauptvertreters.15 Im Strukturvertrieb stehen unechter Untervertreter und Hauptvertreter daher typischerweise in keinem Vertragsverhältnis zueinander. Es ist vielmehr so, dass Vertragspartner der Vertreter auf den verschiedenen Ebenen jeweils das Vertriebsunternehmen ist. Vertragliche Ansprüche, wie der Provisionsanspruch oder die Berichtspflicht bestehen immer nur im Verhältnis zwischen dem jeweiligen Vertreter und dem Vertriebsunternehmen. Auch ein etwaiger Ausgleichsanspruch infolge der Vertragsbeendigung des unechten Untervertreters könnte daher nur gegenüber dem Vertriebsunternehmen geltend gemacht werden (siehe dazu im Folgenden). Der echte Untervertreter gem § 1 Abs 2 HVertrG hat hingegen ein Vertragsverhältnis mit dem Hauptvertreter. Der Hauptvertreter leitet seine Rechte und Pflichten aus dem Vertragsverhältnis mit dem Unternehmer ab. Im Rahmen des Untervertretungsverhältnisses wird der echte Untervertreter allein im Rahmen des Vertrages zwischen ihm und dem Hauptvertreter tätig. Seine Bemühungen beschränken sich darauf, dem Hauptvertreter bei der Erfüllung der von diesem gegenüber dem Unternehmen übernommenen Vertretungsaufgabe zuzuarbeiten. Die dem echten Untervertreter zustehende Provision entnimmt der Hauptvertreter sodann seiner eigenen Provision, auf die er im Rahmen seines Handelsvertretervertrages mit dem Unternehmer Anspruch hat. Einen allfälligen Ausgleichsanspruch kann der Untervertreter nur gegenüber seinem Vertragspartner, dem Hauptvertreter, geltend machen.
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neue Kunden zugeführt oder bereits bestehende Geschäftsverbindungen wesentlich erweitert hat. Der Ausgleichsanspruch bezweckt hiermit einen Wertausgleich im Zuge der Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses. Der Handelsvertreter soll dabei für jene Wertsteigerung vergütet werden, die dem Unternehmer durch seine Tätigkeit entstanden ist.16 Durch die Anbahnung neuer Kundenbeziehungen und den Ausbau von fortdauernden Geschäftsbeziehungen ist der so entstandene Kundenstock ein Aktivum des Unternehmens geworden, aus dem während des bestehenden Vertragsverhältnisses sowohl der Unternehmer, als auch der Vertreter Vorteile gezogen haben. Mit der Vertragsauflösung bleiben diese Vorteile nun beim Unternehmer, sodass die ursprünglich bestehende Ausgewogenheit dieses Nutzungsverhältnisses mit Beendigung des Vertragsverhältnisses zwischen Handelsvertreter und Unternehmer verloren geht.17 Eine weitere Voraussetzung für das Entstehen eines Ausgleichsanspruchs ist daher, dass zu erwarten ist, dass der Unternehmer aus diesen Geschäften auch nach Auflösung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile ziehen kann. § 24 HVertrG stellt nicht ausschließlich auf die Zuführung neuer Kunden ab. Für die Begründung bzw Bemessung des Ausgleichsanspruchs ist auch die (wesentliche) Erweiterung bestehender Geschäftsbeziehungen von Bedeutung. Kunde iSd § 24 HVertrG ist, wer zumindest eine Bestellung bzw zumindest ein Anbot auf Abschluss eines Kaufvertrages aufgegeben hat. Er ist daher der Geschäftspartner des vom Handelsvertreter vertretenen Unternehmens, der die Vertragsprodukte kauft oder die Dienstleistungen des Unternehmers in Anspruch nimmt. Nicht als Kunde iSd § 24 HVertrG gilt jemand, der zwar vom Handelsvertreter geworben wurde, selbst aber keine Vertragsprodukte abnimmt.18 Nicht bereits jede (geringfügige) Umsatzausweitung bestehender Kunden erfüllt die Tatbestandsvoraussetzung der wesentlichen Erweiterung einer bestehenden Geschäftsbeziehung. Eine wesentliche Erweiterung liegt jedenfalls bei der Verdoppelung von Umsätzen vor, es können aber auch wesentlich geringere Umsatzausweitungen diese Anspruchsvoraussetzungen erfüllen. Es kommt dabei stets auf den Einzelfall an.19
Voraussetzung des Ausgleichsanspruchs gemäß § 24 HVertrG ist, dass der Handelsvertreter dem Unternehmer ________________________
Wie dargelegt, sind die Vertriebsmittler in Multi-LevelMarketing-Systemen typischerweise unechte Untervertreter. Bei der Zuführung von Kunden ergeben sich daher in der Regel keine Probleme, da der unechte Untervertreter Vertragspartner des Unternehmers ist. Der Vertriebsmittler hat daher bei Vorliegen der sonstigen Anspruchsvoraussetzungen nur dann einen Ausgleichsanspruch, wenn er dem Unternehmen während des aufrechten Vertragsverhältnisses neue Kunden zugeführt (oder bestehende Geschäftsbeziehungen ausgebaut) hat. Die vom Vertriebsmittler geschaffenen Geschäftsbeziehungen sind für die Beurteilung bzw Bemessung der Ausgleichsanspruchsvoraussetzungen nicht dem (übergeordneten) Hauptvertreter zuzurechnen. Dieser wirkt in der Regel nicht ursächlich an der Kundenzuführung des ihm untergeordneten Vertriebsmittlers mit. Der Hauptvertreter nimmt in MultiLevel-Marketing-Systemen vielmehr Überwachungs- und Betreuungsaufgaben wahr. Dem steht nicht entgegen, dass der Hauptvertreter für diese Tätigkeiten in vielen Fällen eine vom Umsatz des untergeordneten Vertriebsmittlers abhängige Superprovision (diese kann in der Praxis unter________________________
13 Viehböck, Strukturvertrieb und Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, wbl 1998, 434; Nocker, HVertG, Rz 53 zu § 14. 14 Vgl. Petsche/Petsche-Demmel, Handelsvertretergesetz, § 1, Rz 29. 15 Vgl. Petsche/Petsche-Demmel, Handelsvertretergesetz, § 1, Rz 29.
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IV. Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters im Multi-Level-Marketing Vertriebssystem
Vgl. Jabornegg, HVertrG, 487. Vgl. Petsche/Petsche-Demmel, § 24, Rz 2. Vgl. Nocker, HVertrG, § 24, Rz 432. Nocker, HVertrG, § 24, Rz 506.
OGH 26.4.2011 – 8 ObA 22/11k
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schiedliche Bezeichnungen haben, wie zB TeamleiterBonus oder Gruppenleiter-Bonus) erhält. Wegen der Einmaligkeit der – für den Vertrieb in MultiLevel-Marketing-Systemen typischen – Geschäfte mit privaten Endabnehmern könnte ein Ausgleichsanspruch daran scheitern, dass dem Unternehmer keine Stammkunden zugeführt wurden. Wird in diesem Zusammenhang aber nicht auf den Endabnehmer sondern auf die in der Vertriebsstruktur untergeordneten Vertriebsmittler abgestellt, die ihrerseits neue Vermittler für die Vertragsprodukte werben, so könnte auch Vertriebsmittlern die den Strukturvertrieb aufgebaut haben ein Ausgleichsanspruch zuerkannt werden.20 Nach der Rechtsprechung des deutschen BGH kann demnach der Verlust einer Superprovision ausgleichsfähig sein, wenn die Errichtung einer Verkaufsorganisation mit der Superprovision nicht zur Gänze abgegolten wurde.21 Diesem Ansatz ist der OGH in 9 ObA 44/98 gefolgt. Demnach ist nicht immer nur der eigene Umsatz für den Ausgleichsanspruch entscheidend, sondern kann auch eine für die mittelbare Werbung eines Kundenstammes gewährte Superprovision ausgleichsrelevant sein. Bei der Prüfung des Vorliegens eines Ausgleichsanspruchs ist daher in Bezug auf die Tätigkeit des Hauptvertreters zwischen vermittelnder bzw verwaltender Tätigkeit zu unterschieden. Vermittelnde und damit ausgleichsrelevant sind demnach alle Tätigkeiten, die einer umsatzfördernden Kundenzufuhr und damit der Schaffung eines Kundenstammes gedient haben. Nach der Rechtsprechung des OGH ist allerdings nach dem Grundsatz der Billigkeit zu beachten, dass der Unter-
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nehmer nicht dazu verpflichtet werden darf, einen Ausgleichsanspruch mehrfach zu bezahlen. Der volle Ausgleichsbetrag wäre daher uU zwischen mehreren Berechtigten je nach Anteil an der Gewinnung von neuen Kunden aufzuteilen.22 V. Fazit
Bei der Gestaltung von Multi-Level-Marketing-Systemen ist stets auf die strafrechtlichen Bestimmungen sowie die Rahmenbedingungen des UWG Bedacht zu nehmen. Insbesondere im Hinblick auf den Einsatz von Laienwerbung bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung zu den einschlägigen Bestimmungen des UWG in Zukunft entwickeln wird. Ebenso bleibt abzuwarten, wie die Frage des Ausgleichsanspruchs im Zusammenhang mit den vermehrt zum Einsatz kommenden Multi-Level-Marketing-Systemen in Zukunft von der Rechtsprechung beurteilt wird. Wie dargelegt, bestehen grundsätzlich Ansatzpunkte für die Bejahung eines Ausgleichsanspruchs von Absatzvermittlern gegenüber dem Vertriebssystem. Aufgrund der beträchtlichen Unterschiede und der komplexen Struktur einzelner Multi-Level-Marketing-Systeme wird dabei stets auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abzustellen sein. ________________________ 20 Nocker, HVertrG, § 24, Rz 432. 21 Viehböck, Strukturvertrieb und Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters, wbl 1998, 434; BGH 24.6.1971, BGHZ 56, 290 – BB 1971, 887. 22 OGH, 9 ObA 44/98.
Alexander Petsche, Marc Lager und Sebastian Kutsche*
Entscheidungsbesprechung: OGH 26.4.2011 – 8 ObA 22/11k OGH 26.4.2011 – 8 ObA 22/11k Zum Zusammenhang zwischen der Verjährung der Haupt- und Nebenansprüche aus dem Handelsvertretervertrag und der Provisionsabrechnung
HVertrG §§ 16, 18 1. Nebenansprüche aus dem Handelsvertretervertrag verjähren gemeinsam mit dem Hauptanspruch. 2. Die Pflicht zur ordnungsgemäßen Provisionsabrechnung trifft den Unternehmer. Durch Erfüllung seiner Pflicht zu Abrechnung der Provision wird der Lauf der Verjährungsfrist ausgelöst. 3. Wenn die Provisionsabrechnung erst Jahre nach dem betreffenden Jahr gelegt wird, verjähren diese Ansprüche aus diesem Vertragszeitraum auch erst ab diesem Zeitpunkt. OGH 26.4.2011 – 8 ObA 22/11k I. Sachverhalt Der Kläger war seit dem Jahr 1991 für die Beklagte als Handelsvertreter tätig. Der Handelsvertretervertrag wurde zum 30.6.2008 durch Kündigung der Beklagten aufgelöst. Im Vertrag zwischen den beiden Parteien befand sich eine
Bestimmung, die besagte, dass der Unternehmer dem Handelsvertreter für jeden Kalendermonat bis spätestens zum letzten Tag des Folgemonats eine Provisionsabrechnung über die durchgeführten und berechneten Geschäfte übergeben muss. Diese monatlichen Provisionsabrechnungen wurden vom Beklagten jedoch nicht erstellt. Im gegenständlichen Fall legte die Beklagte erst Mitte Oktober 2007 die Provisionsabrechnung für das Jahr 2005 vor. Nach Beendigung des Vertragsverhältnisses machte der Kläger am Ende des Jahres 2008 weitere Provisionen, eine Verwaltungsvergütung, kapitalisierte Zinsen sowie einen Ausgleichsanspruch geltend. Darüber hinaus begehrte er mittels Stufenklage, den Beklagten zu verpflichten, für den Zeitraum vom 1.1.2005 bis 31.12.2008 für sämtliche Geschäfte in Bezug auf bestimmte Produkte und Regionen Rechnungen und einen Buchauszug zu legen. Die Beklagte machte daraufhin geltend, dass sowohl das Rechnungslegungs- als auch das Buchauszugsbegehren für das Jahr 2005 bereits verjährt seien. II. Das Recht des Handelsvertreters auf Verlangen von Buchauszügen und Auskünften Dem Handelsvertreter steht gem § 16 HVertrG das Recht zu, vom Unternehmer zur Nachprüfung des Betrages der
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ZVertriebsR 4/2012
Österreich
ihm zustehenden Provision einen Buchauszug, sowie alle Auskünfte zu verlangen. Das Recht auf Buchauszug ist eines der wichtigsten Kontrollrechte des Handelsvertreters gegenüber dem Unternehmer. Der Buchauszug ist eine teilweise Abschrift aus den Geschäftsbüchern des Unternehmers, die dem Handelsvertreter die Einzelkontrolle über provisionspflichtige Geschäfte ermöglichen soll. Er soll sicherstellen, dass die Provision des Handelsvertreters richtig berechnet und er für seine Arbeit vertragsgemäß entlohnt wird. Dem Handelsvertreter wird damit ermöglicht, die Berechnung seiner Ansprüche zu überprüfen, ohne volle Einsicht in die Bücher des Unternehmers zu nehmen. Falls der Verdacht besteht, der Auszug aus den Büchern sei inkorrekt, hat der Handelsvertreter die Möglichkeit, in einem außerstreitigen Verfahren Einsicht in die kompletten Bücher zu nehmen. Der Buchauszug dient dazu, den Handelsvertreter mit jenen Informationen zu versorgen, die er für die Berechnung seiner Provisionen benötigt. Der Auszug ist nur ein Teil der kompletten Handelsbücher, welche vom Unternehmer geführt werden. Wie der Auszug im Einzelfall auszugestalten ist, hängt stark davon ab, wie die Berechnung der Provisionen des Handelsvertreters erfolgen soll. Der Unternehmer muss dem Handelsvertreter jene Informationen aushändigen, die der Berechnung der Provisionen zugrunde zu legen sind. Typischerweise sind dies die provisionsrelevanten Daten über Kunden, Art und Inhalt des Geschäfts und Erfüllung. Dazu gehören im Fall von provisionsmindernden, nicht ausgeführten Geschäften, auch Angaben zu etwaigen Stornierungsgründen vom Unternehmer. Der Buchauszug muss die Angaben in klarer und übersichtlicher Weise enthalten. Der Unternehmer hat den Auszug auf eigene Kosten herzustellen und kann die Erstellung nicht unter Berufung auf zu hohe Kosten verweigern. Dies gilt selbst dann, wenn der Unternehmer steuer- und unternehmensrechtlich nicht zur Buchführung verpflichtet ist. Im Hinblick auf § 16 HVertrG ergibt sich damit eine Pflicht für den Unternehmer, Bücher zu führen. Eine bloße Einsichtsgewährung oder Zurverfügungstellung der Geschäftsbücher reicht nicht aus. Der Unternehmer ist verpflichtet, den Auszug derartig zusammenzustellen, dass alle für die Errechnung der Provision des Handelsvertreters relevanten Informationen enthalten sind. Der Anschluss von Belegen ist allerdings grundsätzlich nicht erforderlich. Neben einem Buchauszug kann der Handelsvertreter auch alle weiteren Auskünfte verlangen, die er für das Feststellen seiner Provision benötigt. Das Auskunftsrecht hat vor allem dann Bedeutung, wenn der Unternehmer keine Geschäftsbücher führt, oder die Bücher nicht vollständig sind. Das Recht auf einen Buchauszug und das Auskunftsrecht sind voneinander unabhängig und können gegebenenfalls nebeneinander geltend gemacht werden. Genau wie das Recht auf einen Buchauszug kann auch das Informationsrecht gemäß § 27 Abs. 1 HVertrG vertraglich nicht im Voraus zum Nachteil des Handelsvertreters beschränkt oder ausgeschlossen werden. § 16 Abs. 6 HVertrG regelt die Wirkung von Anträgen auf Bucheinsicht, Auskünfte und Buchauszüge auf die Verjährung des Provisionsanspruches. Während des jeweiligen Verfahrens läuft zwar die Verjährung der Ansprüche weiter, sie kann aber nicht vor Ablauf dreier Monate nach rechtskräftiger Beendigung des Verfahrens und Erfüllung des Anspruchs auf Buchauszug, Einsicht und ergänzende Auskünfte enden. § 16 Abs. 6 HVertrG bewirkt daher eine Ablaufshemmung.
OGH 26.4.2011 – 8 ObA 22/11k
III. Die Verjährung von Haupt- und Nebenansprüchen des Handelsvertreters Wie der OGH bereits mehrfach feststellte, unterliegen sämtliche Ansprüche des Handelsvertreters gegenüber dem Unternehmer der dreijährigen Verjährungsfrist des § 18 Abs. 1 HVertrG. Allgemein beginnt die Verjährung mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem das Recht erstmals hätte ausgeübt werden können. Demnach ist der Beginn der Verjährungsfrist an die objektive Möglichkeit der Rechtsausübung nach Eintritt der Fälligkeit geknüpft. Auch nach § 18 Abs. 1 HVertrG verjähren alle Ansprüche der Parteien aus einem Handelsvertretervertrag, also sowohl des Handelsvertreters als auch des Unternehmers, innerhalb von drei Jahren. Darunter fallen unter anderem Provision, Ersatzansprüche, Kontrollrechte, Strafen, Rückzahlungen, Informationsprivilegien etc. Entgegen der üblichen Verjährungsfrist gem § 933 Abs. 1 ABGB knüpft der Beginn der Verjährungsfrist bei Handelsvertretern jedoch nicht an die Fälligkeit – dh die objektive Möglichkeit zu klagen – sondern an das Ende eines Kalenderjahres, in dem der die Verjährung auslösende Umstand eingetreten ist. § 18 Abs. 2 HVertrG unterscheidet dabei zwischen drei Fällen. Für Ansprüche, welche ordnungsgemäß vom Unternehmer in die Abrechnung mit einbezogen wurden, beginnt die Frist mit Ende des Jahres, in dem sie veranschlagt wurden. Ansprüche, die vom Unternehmer entgegen dem Gesetz oder vertragswidrig nicht in die Abrechnung aufgenommen wurden, beginnen am Ende des Jahres, in dem der Vertrag mit dem Handelsvertreter endete, zu verjähren. Der Unternehmer soll dadurch motiviert werden, rasch abzurechnen. Bei Ansprüchen, die erst nach dem Ende des Jahres abzurechnen wären, beginnt die Verjährungsfrist mit Ende des Jahres, in dem die Abrechnung hätte stattfinden sollen. Der Provisionsanspruch stellt immer einen Hauptanspruch im Gegensatz zum Nebenanspruch der Rechnungslegung dar. Nach Ansicht des OGH richtet sich der Beginn der Verjährungsfrist für den Provisionsanspruch als Hauptanspruch sowie für alle Nebenansprüche, die zur Durchsetzung des Hauptanspruches dienen nach § 18 Abs. 2 HVertrG. Aus diesem Grund begann im gegenständlichen Verfahren die Verjährung für das Rechnungslegungsbegehren für das Jahr 2005 erst zu laufen, als der Unternehmer Mitte Oktober 2007 die Provisionsabrechnung für dieses Jahr legte. In diesem Zusammenhang war der Einwand des Beklagten unberechtigt, dass der Handelsvertreter dadurch, dass er die Provisionsabrechnung und den Buchauszug nicht begehrte, den Lauf der Verjährungsfrist nach eigenem Willen verlängern könnte. Der OGH stellte fest, dass es am Unternehmer liegt, seiner Pflicht zu Abrechnung der Provisionen vereinbarungsgemäß nachzukommen und dadurch den Lauf der Verjährungsfrist auszulösen. Zusammenfassend ist daher in Bezug auf die Verjährungsfrist bei Ansprüchen des Handelsvertreters auf die Wichtigkeit der ordnungsgemäßen Abrechnung für den Unternehmer hinzuweisen. Die Legung der Provisionsabrechnung stellt das auslösende Moment für den Beginn der Verjährung dar. ________________________ *
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DDr. Alexander Petsche ist Rechtsanwalt und Partner von Baker & McKenzie in Wien; Dr. Marc Lager ist Associate bei Baker & McKenzie in Wien; Sebastian Kutsche, LL.B. ist Junior Associate bei Baker &McKenzie in Wien. Vgl. OGH 29.4.2004, 8 ObA 39/04z; OGH 10.4.2008, 9 ObA 187/07a.
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