Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen

March 21, 2018 | Author: Anonymous | Category: N/A
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Zukunft der Städte in NRW

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Bericht der Enquetekommission des Landtags von Nordrhein-Westfalen

Zukunft der Städte

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Eine Vorbemerkung zum Sprachgebrauch: Die deutsche Sprache bietet uns keine flüssigen Begriffe, die den weiblichen und männlichen Akteuren gleichermaßen gerecht werden. Entweder wird der Text langatmig oder der Lesbarkeit liegen Stolperschwellen im Wege. Da die ohnehin komplizierte Materie nicht unnötig belastet werden soll, wird der Bericht der Enquetekommission dem gängigen Sprachgebrauch angepasst. Der Bürgermeister, von dem beispielsweise die Sprache ist, soll lediglich eine Berufsbezeichnung sein und die Bürgermeisterin ebenso einschließen wie der Begriff des Bewohners die Bewohnerin etc. Wir bitten die weiblichen Beteiligten und Betroffenen um Verständnis.

Impressum Herausgeber Präsident des Landtags Nordrhein-Westfalen Enquetekommission "Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen" Platz des Landtags 1 40221 Düsseldorf http://www.landtag.nrw.de Der vorliegende Bericht ist zugleich Landtagsdrucksache: 13/5500 Technische Gesamtherstellung Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung und Bauwesen des Landes Nordrhein-Westfalen (ILS NRW) Druckerei Lensing Druck, 44149 Dortmund Gedruckt auf chlorfreiem Papier © 1. Auflage 2004 Verlagsauslieferung Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung und Bauwesen des Landes Nordrhein-Westfalen (ILS NRW) Deutsche Straße 5 44339 Dortmund Tel.: 0231 951-0 Fax: 0231 951-155 http://www.ils.nrw.de ISBN 3-8176-1130-7

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Zukunft der Städte Bericht der Enquetekommission des Landtags von Nordrhein-Westfalen

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Vorwort des Landtagspräsidenten Der Landtag von Nordrhein-Westfalen hat mit der Einrichtung der Enquetekommission „Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen“ zu Beginn der 13. Legislaturperiode eine noch recht junge Tradition fortgesetzt. Die Möglichkeit, Enquetekommissionen zu grundlegenden politischen Fragestellungen einzurichten, denen Abgeordnete und andere Sachverständige angehören, sieht die Geschäftsordnung des Landtags erst seit 1994 vor. Die Erfahrungen mit den beiden Enquetekommissionen der letzten Legislaturperiode zur Zukunft der Arbeit und zur Zukunft der Mobilität haben gezeigt, dass mit der Aufnahme eines aus wissenschaftlicher und politischer Kompetenz kombinierten Gremiums in den Kanon des parlamentarischen Instrumentariums nicht nur ein wichtiger Schritt im Rahmen der Parlamentsreform verbunden ist, sondern dass die erarbeiteten Ergebnisse außerdem auf großes Interesse in der Politik und der interessierten Fachöffentlichkeit stoßen. Diese Tradition scheint mir mit dem vorliegenden Bericht in bewährter Weise fortgesetzt zu werden. Die weitgehend vom politischen Tagesgeschäft unbelastete Arbeit hat den Raum für eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den komplexen Themen der räumlichen wie gesellschaftlichen Stadtentwicklung in nordrhein-westfälischen Städten gegeben. Die heterogene Zusammensetzung der Kommission, deren Mitglieder aus verschiedenen politischen wie wissenschaftlichen Bereichen kommen und deshalb mit unterschiedlichen Kenntnissen und Rationalitäten an die zu erörternden Fragestellungen herangegangen sind, hat zu spannenden Diskussionen und interessanten Ergebnissen geführt. Die dabei herausgestellten Entwicklungsperspektiven nordrhein-westfälischer Städte, vielmehr aber noch die von der Kommission erarbeiteten Handlungsempfehlungen für die Landespolitik, werden sicherlich auf großes Interesse bei den Fachressorts der Landesregierung aber auch bei den Regierungs- und Oppositionsparteien stoßen. Mein Dank gilt an dieser Stelle der gesamten Kommission, die in den drei Jahren seit ihrer Konstituierung in kontinuierlicher Arbeit ein Werk erstellt hat, auf dass die Landespolitik in den nächsten Jahren hoffentlich noch häufig zurückgreifen wird.

Ulrich Schmidt MdL 5

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Vorwort des Kommissionsvorsitzenden Der Landtag von Nordrhein-Westfalen hat als erstes deutsches Parlament eine Kommission eingerichtet, die sich systematisch mit der Zukunftsentwicklung der Städte befasst. Im vorliegenden Bericht der Enquetekommission „Zukunft der Städte in NRW“ haben sich Wissenschaftler und Politiker vorrangig mit den Entwicklungsperspektiven nordrhein-westfälischer Städte beschäftigt und dabei Handlungsempfehlungen für die Landespolitik und die Kommunalpolitik entwickelt. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein solcher Bericht nicht allumfassend sein kann. So konnte weder der nationalstaatliche noch der europäische Kontext Berücksichtigung finden, obwohl der europäische Einfluss auch auf die Entwicklung der Städte zukünftig sicherlich stärker wirken wird. Ebenso wurden die Aspekte der Mobilität und der Kommunalfinanzen weitestgehend ausgeklammert, da der Landtag von Nordrhein-Westfalen zur Mobilität bereits ein Enquetekommissionsergebnis vorweisen kann und sich derzeit mehrere Expertengremien mit den Kommunalfinanzen befassen. Dennoch ist im Verlauf der Arbeit erkennbar geworden, dass viele Problemfelder und Entwicklungschancen der Städte nicht isoliert für Nordrhein-Westfalen zu betrachten sind. Insoweit wird der vorliegende Bericht auch für außerhalb von Nordrhein-Westfalen liegende Städte und Regionen sowie Länder vergleichbarer Entwicklungsstufen Lösungsansätze und politische Handlungsperspektiven für die Stadtentwicklung hergeben. Die Mitglieder der Enquetekommission haben die Hoffnung, mit dem vorliegenden Abschlussbericht wesentliche Impulse für die Städte und Gemeinden des Landes, insbesondere aber für die zukünftige Landespolitik geben zu können. Inwieweit dies gelungen ist, wird sich in der anstehenden 14. Legislaturperiode des Landtags zeigen. Die Tatsache, dass alle Beratungen im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Politik, die in der Regel wiederum lobbyistischen Interessen ausgesetzt ist, letztlich zu einem konsensualen Ergebnis ohne Minderheitenvotum geführt haben, scheint mir in diesem Zusammenhang jedoch sehr viel versprechend. Ich verstehe diesen Bericht als Grundlage für eine weitere Bearbeitung und Erstellung von operativen Handlungsstrategien, die durch Verbände und Parteien weiter ausgestaltet werden sollten und würde mich freuen, wenn die jeweiligen Akteure die dargelegten Initiativen aufgreifen würden. 6

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Dass die erfolgreiche Arbeit in relativ kurzer Zeit von drei Jahren abgeschlossen werden konnte, ist vor allem dem intensiven Einsatz aller Beteiligten bei der Kommissionsarbeit zu verdanken. Insbesondere danke ich dem ersten Kommissionsvorsitzenden, Herrn Dr. Axel Horstmann, der nach der Berufung zum Minister das Amt des Kommissionsvorsitzenden niederlegen musste, dem stellvertretenden Vorsitzenden, Herrn Klaus Kaiser, MdL (CDU) sowie den Obleuten der Fraktionen, Herrn Rainer Schmeltzer, MdL (SPD), Herrn Bernd Schulte, MdL (CDU), Herrn PD Dr. Thomas Rommelspacher, MdL (Bündnis 90/DIE GRÜNEN) und Herrn Karl Peter Brendel, MdL (FDP). Ebenso herzlich danke ich den wissenschaftlichen, sachverständigen und abgeordneten Kommissionsmitgliedern, sowie den Fraktionsreferenten und dem Kommissionssekretariat, die durch die konstruktive und disziplinierte Mitarbeit die vorliegende Veröffentlichung erst ermöglicht haben.

Hans-Peter Milles MdL

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Inhaltsverzeichnis Vorwort des Landtagspräsidenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Vorwort des Kommissionsvorsitzenden . . . . . . . . . . . . . . . 6 A

Einleitung Hintergrund, Aufgabenstellung und Arbeitsweise der Enquetekommission

1. 2. 3. 4.

Herausforderungen an die Städte in Nordrhein-Westfalen. . . . . . . . . . 15 Konstituierung der Enquetekommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Zusammensetzung der Enquetekommssion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Arbeitsweise der Enquetekommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

B

Die Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen: Trends und Entwicklungsperspektiven Herausforderungen für die Landespolitik

B1

Stadt ist nicht gleich Stadt - Die Vielfalt der Städte in Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Versuch einer Städtetypisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Empirische Überprüfung der Expertenurteile . . . . . . . . . . . . . . . . Unterschiede in den Zukunftsperspektiven - ein erster Überblick Erste Schussfolgerungen - Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1.1 1.2 1.3 1.4 B2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 B3 3.1 3.2 3.3 3.4

8

Die Städte vor den Herausforderungen des demografischen Wandels . . . . . . . . . . . . . Bevölkerungsentwicklung in Deutschland . . . . . . Bevölkerungsentwicklung in Nordrhein-Westfalen Bevölkerungsprognose für Nordrhein-Westfalen . Räumliche Wirkung der Bevölkerungsentwicklung in Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Demografische Entwicklung und Auswirkungen auf die Kommunen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strategien kommunalen Handelns . . . . . . . . . . . . Handlungsmöglichkeiten des Landes . . . . . . . . .

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28 31 33 35 38

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42 43 45 46

. . . . . . . . . . . . . . . 50 . . . . . . . . . . . . . . . 55 . . . . . . . . . . . . . . . 58 . . . . . . . . . . . . . . . 59

Ökonomische Potenziale und regionale Profilierung . . . . Globale Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Städte Nordrhein-Westfalens im ökonomischen Wandel Kompetenzfelder, Strukturpolitik und kommunale Wirtschaftsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die wirtschaftliche Entwicklung der Städte in Nordrhein-Westfalen - eine Typisierung . . . . . . . . . . . . . .

. . . . . . . 62 . . . . . . . 63 . . . . . . . 70 . . . . . . . 72 . . . . . . . 75

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3.5 3.6 B4

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Chancen der Städte Nordrhein-Westfalens im Wettbewerb der Zukunft - Handlungsempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Exkurs: Bedeutungszuwachs von Informations- und Kommunikationstechnologien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

4.5 4.5.1 4.5.2 4.5.3 4.5.4 4.5.5 4.5.6 4.6 4.7

Stadtentwicklung und Landesplanung im Zeichen räumlicher Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 Das Leitbild der Zentralen Orte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Instrumente der Landesplanung in Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . 100 Entwicklungen nordrhein-westfälischer Landesplanungspolitik . . . . 101 Ausprägungen der räumlichen Dekonzentration in Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Kategorisierung von Gemeindetypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Bevölkerungsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 Bevölkerungswanderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Bechäftigtenentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Pendlerverflechtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Sozialstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Wanderungsmotive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Ursachen der Dezentralisierung von Gewerbe und Dienstleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Entwicklungsperspektiven und Handlungsmöglichkeiten . . . . . . . . . 128 Perspektiven der Suburbanisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Was wird aus der Zwischenstadt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 Trends neben der Suburbanisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Welche Chancen hat die Kernstadt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 Entwicklungsperspektiven der Zentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Netzstadt - ein mögliches Leitbild? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Herausforderungen an die Landespolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Exkurs: Brachflächen als städtische Entwicklungspotenziale . . . . . . 145

B5 5.1 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.4 5.5

Die Städte als Spiegel des gesellschaftlichen Wandels . . . . . . . 150 Gesellschaftliche Entwicklungstrends . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Innerstädtische und regionale Ausdifferenzierungsprozesse . . . . . . . 156 Zunehmende Bedeutung der Segregationsforschung . . . . . . . . . . . 156 Dimensionen sozialer Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Ausprägungen ethnischer Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Bedeutungswandel des öffentlichen Raums . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Wandel und Öffnung des öffentlichen Raums . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 Öffentlicher Raum als Ort der Begegnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Belebung des öffentlichen Raums - Handlungsempfehlungen . . . . . 183 Bedeutung städtischer Wissensmilieus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 Familienpolitik im Zeichen der modernen Stadtgesellschaft . . . . . . . 190

4.1 4.2 4.3 4.4 4.4.1 4.4.2 4.4.3 4.4.4 4.4.5 4.4.6 4.4.7 4.4.8

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5.6

Lebensqualität und soziale Stabilität in der modernen Stadtgesellschaft - Handlungsempfehlungen an die Landespolitik 5.7 Exkurs: Sozialraumstrukturen und Soziale Milieus in Theorie und Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7.1 Soziale Milieus von Sinus Sociovision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7.2 Milieuorientierte Stadtpolitik - Handlungsempfehlungen . . . . . . B6 6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.1.4 6.1.5 6.2 6.3 6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.3.4

. . . 196 . . . 203 . . . 203 . . . 217

Wohnungsmärkte im Spannungsfeld regionaler und gesellschaftlicher Differenzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Entwicklung der Wohnungsmärkte in Nordrhein-Westfalen . . . . . . . 221 Entwicklung der Angebotsseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Differenzierung der Wohnungsnachfrage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 Regional unterschiedliche Entwicklungen der Wohnungsmärkte . . . 239 Wohnungsmarkt und Segregation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 Wohnraumförderung in Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 Wohnungsbedarf bis 2015 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Neue Rahmenbedingungen für die Wohnungsmärkte in Nordrhein-Westfalen - Handlungsempfehlungen . . . . . . . . . . . . . 247 Regionalisierung der Wohnraumförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Ansätze für einen differenzierten Wohnungsbau . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Öffentliche Wohnraumförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 Stadtumbau - Stadtentwicklung im Zeichen des demografischen Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

B7 7.1 7.2 7.3 7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.4

Die moderne und bürgerorientierte Kommunalverwaltung . . . . . 262 Bürger und Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Die Rolle der kommunalen und regionalen Akteure . . . . . . . . . . . . . 265 Neue Organisationsformen in der öffentlichen Verwaltung . . . . . . . . 271 Das Neue Steuerungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 E-Government . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 Public Private Partnership . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Handlungsempfehlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281

B8 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5

Die Stadt in der Region - Chancen Regionaler Kooperation . . . . 286 Region und Regionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 Formen der Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Informelle oder institutionalisierte Kooperation? . . . . . . . . . . . . . . . 296 Rahmenbedingungen der Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Landespolitische Voraussetzungen für regionale Kooperation . . . . . 301

C

Strategien und Orientierungen für die künftige Städtepolitik in Nordrhein-Westfalen

C1

Lebendige Städte in starken Regionen - Ein Leitbild für Nordrhein-Westfalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304

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1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6

Urbane Vielfalt, Entscheidungen vor Ort . . . . . . Städtisches Leben in lebendigen Städten . . . . . Die verantwortliche Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehr Verantwortung auch für die Bürger . . . . . . Starke Regionen durch kommunale Kooperation Die Tüchtigen fördern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. . . . . . . . . . . 306 . . . . . . . . . . . 307 . . . . . . . . . . . 309 . . . . . . . . . . . 311 . . . . . . . . . . . 312 . . . . . . . . . . . 314

C2 2.1 2.2 2.3 2.4

Handlungsschwerpunkte für die Städte der Zukunft . . . . . . . . . . 316 Entwicklung von Stadtqualitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Ökonomie und Wissenskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 Qualitative Bestandsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 Soziale Stabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322

C3 3.1 3.2 3.3 3.4

Steuerungsprinzipien einer zukunftsorientierten Städtepolitik . . . 324 Dezentralisierung und Differenzierung der Städtepoltik . . . . . . . . . . 326 Regionale Konzepte und Entscheidungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . 327 Budgetierung und Bündelung von Fördermitteln . . . . . . . . . . . . . . . 328 Steuerungskontrolle und Monitoring . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330

C4

Städte- und Regionalmonitoring: Strategisches Steuerungsinstrument einer flexiblen Förderpolitik . . . . . . . . . . . 334 4.1 Zielsetzung eines Städte- und Regionalmonitoringsystems . . . . . . . 335 4.2 Erfahrungen mit Monitoring- und Controllingsystemen in der Praxis . . 338 4.3 Konzeption eines modularen Monitoringsystems . . . . . . . . . . . . . . . 340 4.3.1 Landesweites Monitoring als Grundmodul . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 4.3.2 Modulerweiterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 4.3.3 Förderprogrammcontrolling . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 4.4 Anforderungen an politische und administrative Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355

D

Szenario: Die Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen Ein Blick zurück aus dem Jahre 2030 . . . . . . . . . . . . . . . 365

E

Empfehlungen an die Landespolitik - Ein Überblick . . 393 Anhang

I II III IV V

Die Städtelandschaft Nordrhein-Westfalen (Faltkarte) . . . . Forschungsaufträge, Expertengespräche und Exkursionen der Enquetekommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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415 427 431 437 11

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A Einleitung Hintergrund, Aufgabenstellung und Arbeitsweise der Enquetekommission

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1. Herausforderung an die Städte in Nordrhein-Westfalen Städte sind seit jeher Spiegelbild und Kristallisationspunkte gesellschaftlicher Entwicklungen. Historisch waren sie schon immer die Zentren des Handels, Standorte wirtschaftlicher Produktion und Dienstleistungen. Als Zentren von Wissenschaft, Forschung und Bildung sind Städte Orte der Innovation und der Modernisierung. Als Zentren des sozialen und kulturellen Lebens und Sammelbecken von Fremden sind Städte Orte der Kommunikation, der Identifikation und der Integration. Durch ihre Kristallisationsfunktion verdichten und forcieren sich aber auch soziale Konflikte, wirtschaftliche Umbrüche wie auch gesellschaftliche Neuerungen. Im stetigen Anpassungsprozess werden in den Städten die wesentlichen Weichen für die Zukunft der gesellschaftlichen Entwicklungen gestellt. In der Postmoderne des 21. Jahrhunderts befinden sich die Städte in einer zunehmenden Verflechtung mit dem nationalen und internationalen Umfeld. Ökonomische Globalisierung, informationstechnologische Neuerungen und internationale Wanderungsprozesse werden die Struktur und die Rolle der Städte nachhaltig verändern. Begleitet wird diese Transformation von einem soziodemografischen Wandel, der hoch entwickelten Gesellschaften immanent zu sein scheint: In Deutschland befindet sich eine Vielzahl von Städten in einem 15

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anhaltenden Alterungs- und Schrumpfungsprozess, während sich die Lebensstile immer mehr ausdifferenzieren. In diesem Sinne nehmen die Städte eine Entwicklung vorweg, die sich zeitlich verzögert auch in anderen Siedlungsformen niederschlagen wird. In Nordrhein-Westfalen erscheint es im Rahmen der landespolitischen Verantwortung besonders geboten, vor diesem Hintergrund über die Zukunftsperspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten der Städte und die künftige Ausrichtung der Städtepolitik des Landes grundlegend nachzudenken. Dafür ist ein umfassender Überblick zur Situation der Städte in Nordrhein-Westfalen erforderlich. Es liegt sowohl im Interesse der Städte als auch der Landespolitik, grundlegende Erfordernisse auf städtischer Ebene zu erkennen und gegebenenfalls notwendige Korrekturen der landespolitischen Rahmenbedingungen im Sinne einer nachhaltigen Strategie vorzunehmen. Hierfür müssen von Landesseite die für diesen Gestaltungsprozess erforderlichen politischen Impulse auch langfristig entwickelt werden. Der Landtag von Nordrhein-Westfalen hat daher zu Beginn der 13. Wahlperiode die Enquetekommission zur Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen eingerichtet (Landtagsdrucksache NRW 13/459 vom 30. November 2000), um die Diskussion auf der Basis fundierter Informationen zu führen und um in einem weiteren Schritt konkrete Handlungsempfehlungen an die Landespolitik zu formulieren. Die Kommission soll dabei insbesondere aufzeigen, welche Auswirkungen absehbare wirtschaftliche und soziale Entwicklungen nationaler und globaler Art auf den Lebensraum Stadt und seine Bewohnerinnen und Bewohner haben könnten und wie sich dadurch die Handlungsbedingungen und -erfordernisse nordrhein-westfälischer Politik verändern. Sie soll Entscheidungen des Landtags vorbereiten, die der Zukunftssicherung der Städte in Nordrhein-Westfalen dienen. Dabei ist zu prüfen, inwieweit das Land durch die Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen oder praktischer Impulse auf den verschiedenen Politikfeldern bestmöglich dabei unterstützen kann, attraktive städtische Lebens- und Arbeitsbedingungen in Nordrhein-Westfalen zu sichern und die urbane Qualität im Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft in den Städten zu bewahren und weiter zu entwickeln. In Nordrhein-Westfalen als dem bevölkerungsreichsten Bundesland, dem Flächenland mit der höchsten Bevölkerungsdichte und der größten Dichte von Städten konzentrieren sich die Veränderungsprozesse besonders deutlich und in einer außerordentlichen Vielschichtigkeit. Um Beispiele zu nennen: Das Ruhrgebiet übt seit der Industrialisierung eine hohe Anziehungskraft auf internationale Zuwanderer aus und wird in Zukunft weiterhin erhebliche Integrationsleistungen zu erbringen haben. Die Metropolen der Rheinschiene haben sich im nationalen Wettbewerb etabliert, stehen aber im Fokus verschärfter internationaler Standortkonkurrenzen. Die Städte in Ostwestfalen oder am Niederrhein 16

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Herausforderungen an die Städte

konkurrieren hingegen als traditionelle Standorte arbeitsintensiven Gewerbes im Zuge der europäischen Integration zunehmend mit Produktionsstandorten in osteuropäischen Niedriglohngebieten. Die Profilierung der ökonomischen Potenziale und die Stärkung der stadtregionalen Kompetenzen gewinnen in allen nordrhein-westfälischen Städten an Bedeutung. Zukunftsfähige und lebenswerte Städte sind dabei wichtige Standortfaktoren für die weitere wirtschaftliche und soziale Entwicklung. Es wird besonders darauf ankommen, eine innovationsorientierte Wirtschaftsförderung im Bereich der Informations- und Wissenstechnologien mit Aufgaben der Städtebaupolitik zu verknüpfen. Als Resultat des Strukturwandels sind es vor allem die Areale mit brachliegenden, ehemals gewerblich, verkehrlich oder militärisch genutzten Flächen, die eine Chance für neue Ansätze der innerstädtischen Entwicklung darstellen und somit die urbane Lebensqualität verbessern können. Trotz der gegen Ende dieses Jahrzehnts zu erwartenden Bevölkerungsabnahme in Nordrhein-Westfalen ist die Lage in landesweiter Betrachtung zunächst nicht als dramatisch anzusehen. Im städtischen Vergleich hat die demografische Entwicklung jedoch höchst unterschiedliche Dimensionen. Weiterhin wachsenden bzw. stagnierenden Regionen - insbesondere der Rheinschiene und den Ballungsrändern - steht der stark schrumpfende Ballungsraum des Ruhrgebiets gegenüber. Ähnliche Unterschiede sind in der Entwicklung der Altersstruktur zu erwarten. Hier altern die Kernstädte deutlich schneller als die Umlandregionen. Aus den Schrumpfungsprozessen resultieren Bedarfs- und Angebotsveränderungen in allen Lebensbereichen. Auch durch die anhaltende Bevölkerungssuburbanisierung verschieben sich die räumlichen und sozialen Gewichtungen zwischen den Kernstädten und dem Umland. Allerdings stellen sich die räumlichen Verflechtungen und Wanderungsmuster sehr viel komplexer dar als in anderen, monozentral ausgerichteten Regionen. Ebenso sind mit Blick auf die Beschäftigtenentwicklung Dezentralisierungstendenzen zu erkennen, die auf eine eigenständige Entwicklung der Umlandräume zurückzuführen sind. Zwischenstadt, Netzknoten und Metropolregionen gewinnen ergänzend zum traditionellen Zentrenkonzept in der landesplanerischen Entwicklung an Bedeutung. Angesichts der Pluralisierung und Individualisierung der Lebensstile sowie der sich vornehmlich in den Ballungsräumen konzentrierenden Einwohner mit Migrationshintergrund stehen die Städte in Nordrhein-Westfalen vor wachsenden Integrationsanforderungen. Dem Leitbild der sozialen Stabilität folgend, gewinnen präventive Politikstrategien in der Kommunalpolitik an Bedeutung, um den Gefahren sozialer und ethnischer Segregation, aber auch der Alterssegregation frühzeitig entgegenwirken zu können. Damit auch sozial und sprachlich 17

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benachteiligte Kinder eine Zukunftschance haben, kommt der Prävention in den Bereichen Bildung und Gesundheit sowie einer familiengerechten Kommunalpolitik eine besondere Rolle zu. Wohnungspolitik und Wohnungswirtschaft stehen vor der Herausforderung, sich den regional differenzierenden Entwicklungen und den sich verändernden Nachfragestrukturen anzupassen. Neben weiterhin wachsenden oder zumindest stagnierenden Märkten wird in einigen Städten des Ruhrgebiets der Rückbau von Wohnungsbeständen und Infrastruktur die notwendige Konsequenz sein. Insgesamt bedarf es sowohl beim Bestand als auch beim Neubau einer eindeutigen Qualitätsorientierung und einer Aufwertung der Lebens- und städtebaulichen Qualitäten. Dem öffentlichen Raum, den Freizeit- und Naherholungsmöglichkeiten kommt bei den Wohnumfeldqualitäten ein besonderer Stellenwert zu. Auch die Kommunalverwaltungen sind auf die kontinuierliche Modernisierung ihrer Verwaltungsstrukturen sowie eine partnerschaftliche Einbindung des Bürgers und der lokalen Akteure angewiesen. Neben einer Stärkung des privaten Engagements bietet die Integration neuer Informationstechnologien Chancen, direkter mit dem Bürger zu kommunizieren. Angesicht wachsender räumlicher Verflechtungen und der Zunahme gemeindeübergreifender Aufgaben gewinnt die Region als Handlungsebene weiter an Bedeutung. Hier gilt es, Ansätze zu entwickeln, die den unterschiedlichen regionalen Voraussetzungen, Interessen- und Problemlagen in Nordrhein-Westfalen Rechnung tragen. Es steht außer Frage, dass in einem Land mit so ausgeprägten siedlungsstrukturellen Unterschieden wie in Nordrhein-Westfalen Stadtpolitik nicht ausschließlich Großstadtpolitik sein kann. In gleichem Maße müssen die Belange der oftmals aus dem direkten Blickfeld gerückten Klein- und Mittelstädte berücksichtigt werden - immerhin zählt das Land 206 Städte mit über 20.000 Einwohnern. Insgesamt leben in Nordrhein-Westfalen rund 87 Prozent der Bevölkerung in den Städten bzw. in städtischen Agglomerationen. Somit ist die Zukunft des Landes nicht zuletzt von der Zukunft der Städte abhängig. Gerade in den letzten Jahren sehen sich die Städte und Kommunen insgesamt verstärkt dem Verlust ihrer Handlungs- und Entscheidungsspielräume ausgesetzt. Angesichts der Problematik der wirtschaftlichen Entwicklungen, zunehmend knapper Finanzspielräume und den skizzierten wachsenden Herausforderungen steht das Wesen der kommunalen Selbstverwaltung immer mehr in Frage. Im Hinblick auf eine zukunftsorientierte Stadtpolitik des Landes wird es darauf ankommen, den verantwortlichen Gestaltungsspielraum der Städte zu erweitern und sie zu befähigen, ihre Stärken zu entwickeln damit sie ihre Funktionen in Zukunft weiterhin wahrnehmen und ein funktionierendes Gemeinwesen fortentwickeln können. 18

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Herausforderungen an die Städte

Wesentliche Prämisse künftiger Stadtpolitik muss sein, der Vielfalt der Städte in Nordrhein-Westfalen Rechnung zu tragen und Raum für die Entwicklung ihrer individuellen Potenziale zu schaffen. Ein Überblick über die nordrhein-westfälische Stadtlandschaft offenbart höchst unterschiedliche Begabungen, die nicht nur in der Größe oder der Lage der Städte, sondern vor allem auch in ihren unterschiedlichen Entwicklungsvoraussetzungen begründet liegen. Für alle Handlungsebenen - also Städte, Regionen und auch einzelne Akteure - gilt es, den jeweiligen Handlungsspielraum zu erweitern und dabei die Tüchtigen zu stärken. Die Akteure können ihre eigenen Stärken nur selbst entwickeln; es ist aber ebenso eine ideelle und materielle Anerkennung von außen notwendig, damit gute Ansätze als solche erkannt und gefördert werden. Der Vielfalt der nordrhein-westfälischen Städtelandschaft muss ebenso durch eine Stärkung der kommunalen Handlungsautonomie Rechnung getragen werden. Angesichts der zunehmenden Komplexität kommunaler Aufgaben erscheint es notwendig, Einzelmaßnahmen sowohl auf der lokalen als auch auf den übergeordneten Ebenen verstärkt in Gesamtstrategien einzubetten und auch die wachsenden interkommunalen Verflechtungen durch Kooperationen sinnvoll aufzugreifen. Im Sinne der Zukunft der Städte bedeutet dies zwangsläufig eine Neuorientierung der Städtepolitik in Nordrhein-Westfalen, die durch eine neue partnerschaftliche Aufgabenteilung zwischen Land und Kommunen und durch eine strategisch ausgerichtete Förderpolitik gekennzeichnet ist.

2. Konstituierung der Enquetekommission Der Präsident des Landtags, Ulrich Schmidt, hat die Kommission am 4. Januar 2001 konstituiert. Sie hat einstimmig den Abgeordneten Dr. Axel Horstmann (SPD) zum Vorsitzenden und den Abgeordneten Klaus Kaiser (CDU) zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Nach dem Eintritt von Dr. Horstmann in die Landesregierung hat die Kommission am 7. Januar 2003 den Abgeordneten Hans-Peter Milles (SPD) einstimmig zu ihrem neuen Vorsitzenden gewählt.

3. Zusammensetzung der Enquetekommission Die Enquetekommission setzt sich aus neun Abgeordneten der im 13. Landtag von Nordrhein-Westfalen vertretenden vier Fraktionen sowie sechs vom Landtagspräsidenten auf Vorschlag der Fraktionen berufenen Sachverständigen zusammen. Darüber hinaus haben alle Fraktionen von der Möglichkeit, stellvertretende Sachverständige - ohne Stimmrecht - zu benennen, Gebrauch gemacht, die in ihrer beratenden Funktion intensiv an der Arbeit der Enquetekommission mitgewirkt haben. 19

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Die Mitglieder, Referenten und Assistenten der Enquetekommission vor einer Kommissionssitzung

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Zusammensetzung der Enquetekommission

Der Enquetekommission „Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen“ gehören nachfolgende Abgeordnete und Sachverständige Kommissionsmitglieder an:

Ordentliche Mitglieder Vorsitzender Vorsitzender seit 7. Januar 2003

Hans-Peter Milles (SPD)

Vorsitzender bis 7. Januar 2003

Dr. Axel Horstmann (SPD)

Stellvertretender Vorsitzender

Klaus Kaiser (CDU)

Abgeordnete SPD

Hans-Peter Milles Dr. Axel Horstmann, bis Januar 2003 Rainer Schmeltzer Gerda Kieninger Dr. Georg Scholz, seit Januar 2003

CDU

Bernd Schulte Klaus Kaiser Heinz Sahnen

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

PD Dr. Thomas Rommelspacher

FDP

Karl Peter Brendel

Sachverständige Prof. Dr. Ilse Helbrecht

Institut für Geographie der Universität Bremen, bis Oktober 2002 Geographisches Institut der TU München

Dr. Alexander Schink

Hauptgeschäftsführer des Landkreistags Nordrhein-Westfalen

PD Dr. Werner Schönig

Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung an der Universität Hannover (ies), bis Februar 2004 Forschungsinstitut für Sozialpolitik und Seminar für Sozialpolitik der Universität Köln

ˇ Prof. Dr. Faruk Sen

Direktor der Stiftung Zentrum für Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen 21

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Ullrich Sierau

Stadtrat der Stadt Dortmund, Umwelt- und Planungsdezernent

Prof. Dr. Ulrich van Suntum

Geschäftsführender Direktor des Instituts für Siedlungs- und Wohnungswesen der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster

Stellvertretende Mitglieder Abgeordnete SPD

Bernhard von Grünberg Oda-Gerlind Gawlik, bis März 2003 Carina Gödecke, seit April 2003 Hildegard Nießen Horst Vöge

CDU

Dr. Renate Düttmann-Braun, seit März 2002 Wolfgang Hüsken Thomas Kufen Marie-Theres Ley, bis März 2002

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Peter Eichenseher

FDP

Brigitte Capune-Kitka

Sachverständige Dr. Dirk Halm

Stiftung Zentrum für Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen, seit April 2002

Dr. Winfried Michels

Institut für Siedlungs- und Wohnungswesen der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster

Gisela Nacken

Stadt Aachen, Dezernat für Umwelt und Wohnen

Stephan Schmickler

Stadt Bergisch Gladbach, Stadtbaurat/ Technischer Beigeordneter

Dr. Birgit Stermann

Geographisches Institut der RheinischWestfälischen Technischen Hochschule Aachen, bis März 2002

Stefan Thabe

Stadt Dortmund, Umwelt- und Planungsdezernat

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Arbeitsweise der Enquetekommission

Referenten der Fraktionen Alexander Dahmen

SPD

Pascal Wagener

CDU, seit Januar 2002

Marcus Optendrenk

CDU, bis Dezember 2001

Dr. Birgit Stermann

FDP, seit April 2002

Raoul Mügge

FDP, bis Januar 2002

Mehrdad Mostofizadeh

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, seit Dezember 2002

Martin Tönnes

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bis November 2002

Kommissionssekretariat Wissenschaftliche Assistenten Florian Dohmen, seit Juli 2001 Dr.-Ing. Martina Werheit, seit August 2001 Maria-Anna Schmitz, bis Juni 2001 (kommissarisch) Mitarbeiterinnen Birgit Russ, Patricia Montenero, Sabine Orlowski, Doris Höhn (kommissarisch)

Protokoll Uwe Scheidel (verantwortlich)

4. Arbeitsweise der Enquetekommission Kommissionssitzungen Die Kommission hat insgesamt 34 Sitzungen, davon drei Anhörungen, drei externe Klausurtagungen und drei Expertengespräche mit externen Sachverständigen durchgeführt. Darüber hinaus hat die Kommission sechs Informationsreisen in nordrhein-westfälische Städte unternommen. Bestandteil der ersten Kommissionssitzungen und Expertengespräche war die Entwicklung des Arbeitsprogramms, das in der sechsten Sitzung am 23. Oktober 2001 beschlossen wurde. In der Folge dienten die Kommissionssitzungen der inhaltlichen 23

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Abstimmung und der Vergabe von Forschungsaufträgen sowie der Diskussion und Auswertung der Forschungsergebnisse.

Anhörungen und Expertengespräche Zur inhaltlichen Präzisierung des Untersuchungsauftrags, zur Konkretisierung und Abgrenzung von Fragestellungen und zur Entwicklung des Arbeitsprogramms hat die Kommission zu Beginn ihrer Arbeit zunächst drei nicht öffentliche Anhörungen mit externen Sachverständigen durchgeführt. Im Verlauf der Arbeit wurden darüber hinaus zur Vertiefung spezieller Fragestellungen sowie zur intensiven Auseinandersetzung mit Erfahrungen in bestimmten Handlungsfeldern drei weitere Expertengespräche zu speziellen Themengebieten durchgeführt (siehe Übersicht im Anhang).

Forschungsaufträge Um wichtige Erkenntnisse zur Situation in den Städten Nordrhein-Westfalens, fundierte Informationen über deren künftige Entwicklung und einen grundlegenden Überblick zum Diskussionsstand aus Wissenschaft und Praxis zu erhalten, hat die Kommission zu bestimmten Fragestellungen Forschungsaufträge in Form von Gutachten, Studien, Expertisen und Literaturauswertungen vergeben (siehe Übersicht im Anhang). Die Gutachten beinhalteten in der Regel empirische Analysen sowie darauf begründete fachliche Empfehlungen und konzeptionelle Weiterentwicklungen zu grundsätzlichen Themen. Bei Studien und Expertisen wurden einzelne Fragestellungen - häufig in Form von Fallbeispielen - untersucht und darauf aufbauend wissenschaftliche Empfehlungen abgeleitet. Die Literaturstudien gaben im Wesentlichen einen breiten Überblick über die fachliche Diskussion sowie zum Stand der Entwicklung in einzelnen Handlungsfeldern. Darüber hinaus wurden zu vereinzelten Themen Berichte der Landesressorts eingeholt.

Exkursionen und Informationsreisen Um auch vor Ort ein Bild zu erhalten und um Erkenntnisse bei der Umsetzung erfolgreicher Beispiele zu gewinnen, hat die Kommission darüber hinaus in sechs nordrhein-westfälischen Städten Exkursionen durchgeführt und intensiv mit den kommunalen Akteuren Erfahrungen erörtert. Dabei wurden zahlreiche Projekte nordrhein-westfälischer Stadtentwicklung besichtigt. Die Erfahrungen, die die Akteure und die Städte bei der Umsetzung gemacht haben, sind in den Bericht eingeflossen. Eine Übersicht der besuchten Städte und eine Darstellung der Projekte finden sich im Anhang. 24

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Arbeitsweise der Enquetekommission

Berichterstellung Die Erkenntnisse aus den Forschungsaufträgen, den Expertengesprächen sowie den Informationsreisen mündeten in einen fortwährenden internen Diskussionsprozess. Die Ergebnisse dieser intensiven Auseinandersetzung sind in dem vorliegenden Abschlussbericht zusammengeführt, dessen Gliederung in der Klausurtagung im Mai 2003 beschlossen wurde. Auf Grundlage der Gliederung wurden parallel zur laufenden Plenararbeit der Kommission Arbeitsgruppen gebildet, die Textentwürfe für die inhaltliche Beratung des Abschlußberichts erarbeitet haben. Am Entwurf der einzelnen Kapitel haben im Wesentlichen folgende Mitglieder der Kommission mitgewirkt: B1 Stadt ist nicht gleich Stadt - Die Vielfalt der Städte in Nordrhein-Westfalen Prof. Dr. Ilse Helbrecht, Klaus Kaiser MdL B2 Die Städte vor den Herausforderungen des demografischen Wandels PD Dr. Werner Schönig B3 Ökonomische Potenziale und regionale Profilierung PD Dr. Werner Schönig, Prof. Dr. Ulrich van Suntum B4 Stadtentwicklung und Landesplanung im Zeichen räumlicher Dekonzentration Stephan Schmickler, Ullrich Sierau B5 Die Städte als Spiegel des gesellschaftlichen Wandels Dr. Dirk Halm, Gerda Kieninger MdL, PD Dr. Thomas Rommelspacher MdL, ˇ Heinz Sahnen MdL, PD Dr. Werner Schönig, Prof. Dr. Faruk Sen B6 Wohnungsmärkte im Spannungsfeld regionaler und gesellschaftlicher Differenzierungen Dr. Georg Scholz MdL, Bernd Schulte MdL B7 Die moderne und bürgerorientierte Kommunalverwaltung Karl Peter Brendel MdL, Klaus Kaiser MdL, Gerda Kieninger MdL, PD Dr. Thomas Rommelspacher MdL, Dr. Alexander Schink, Rainer Schmeltzer MdL, Ullrich Sierau, Prof. Dr. Ulrich van Suntum 25

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B8 Die Stadt in der Region - Chancen Regionaler Kooperation PD Dr. Thomas Rommelspacher MdL, Dr. Alexander Schink, Stephan Schmickler, Ullrich Sierau, Prof. Dr. Ulrich van Suntum C Strategien und Orientierungen für die künftige Städtepolitik in Nordrhein-Westfalen Dr. Dirk Halm, Prof. Dr. Ilse Helbrecht, PD Dr. Thomas Rommelspacher, MdL, PD Dr. Werner Schönig, Stefan Thabe, Prof. Dr. Ulrich van Suntum D Szenario: Die Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen - Ein Blick zurück aus dem Jahre 2030 Ullrich Sierau

Die maßgebliche Beratung und Abstimmungen der Vorlagen für den Abschlußbericht erfolgten auf den Klausurtagungen der Kommission im Dezember 2003 und im Februar 2004 sowie in den sich unmittelbar daran anschließenden Kommissionssitzungen im Februar, März und April 2004. Die endgültige Fassung des gesamten Berichts wurde in der 34. Sitzung am 10. Mai 2004 einstimmig beschlossen.

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B Die Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen: Trends und Entwicklungsperspektiven Herausforderungen für die Landespolitik

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B1 Stadt ist nicht gleich Stadt Die Vielfalt der Städte in Nordrhein-Westfalen

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Nordrhein-Westfalen ist kein Stadtstaat, aber ein städtisches Land. Es ist unter den sechzehn Bundesländern das Land mit der reichhaltigsten Stadtlandschaft. Wie in keinem anderen Teilraum Deutschlands sind hier die Lebensweisen der Bevölkerung, die Rahmenbedingungen der Wirtschaft ebenso wie die politischen Steuerungsmöglichkeiten geprägt von einer historisch gereiften, flächenhaften Urbanisierung. Aus dieser besonderen Situation einer hochgradig urbanen Prägung ergeben sich spezifische Herausforderungen und Gestaltungsmöglichkeiten für die Bevölkerung, für Unternehmer und Politiker. Landesentwicklung in Nordrhein-Westfalen ist zu einem großen Teil Stadtentwicklung. Im Sinne einer urban orientierten, politischen Landestradition mit bundesweitem Modellcharakter sind auch die Handlungsansätze dieses Berichts für die Förderung und Entwicklung der Städte Nordrhein-Westfalens zu betrachten. Eine erste Ausgangsmaxime ist daher, dass der Städtepolitik zwar nahezu flächendeckend im Land eine große Bedeutung zukommt, sie jedoch keineswegs deshalb auch flächendeckend überall gleich agieren kann. Vielmehr trifft die Landespolitik auf lokal und regional sehr unterschiedliche Problemsituationen und Handlungskontexte, die einer differenzierten Betrachtung und Behandlung bedürfen. Es ist eine historisch erlernte Einsicht, dass Städte noch nie gleich waren. Immer schon bestanden Unterschiede hinsichtlich der Zahl der Einwohner, des ökono29

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mischen Gewichts, der geografischen Ausstattung und Lage, des politischen Einflussbereichs oder der Lebens- und Bürgerkultur. Heute jedoch, unter den veränderten Bedingungen des 21. Jahrhunderts, gilt das vertraute Motto „Stadt ist nicht gleich Stadt“ auf neue Weise. Hinter der vermeintlich allgemeinen Kategorie von Stadt verbirgt sich eine wachsende Vielfalt unterschiedlicher städtischer Größentypen wie auch sehr verschiedenartig und funktional spezialisierter Struktur- und Regionaltypen. Die wachsende Pluralität städtisch-lokaler Profile beruht auf gravierenden Einschnitten und grundlegenden historischen Veränderungen in den weltweiten Rahmenbedingungen der Stadtentwicklung. Globalisierung, Digitalisierung und Tertiärisierung bilden ein komplexes Ursachengefüge für neuartige städtische Ausdifferenzierungs- und Selektionsprozesse, die gerade seit etwa Mitte der 1970er Jahre an Dynamik gewonnen haben (vgl. hierzu die Beiträge in Kapitel B5). Sowohl die regionale Differenzierung teilräumlicher Entwicklungen wie auch die Vielfalt der Stadttypen nimmt zu. So besteht in Nordhrein-Westfalen beispielsweise der Kontrast der Rheinschiene zum Ruhrgebiet. Und es bilden sich etwa neue Typen der Zwischenstadt, Altenstadt, Dienstleistungsstadt, Medienstadt heraus (vgl. Kapitel B4). Dabei stellen sich die Herausforderungen etwa der peripheren Klein- und Mittelstädte gänzlich anders dar als die Aufgaben, vor denen künftig die Großstädte und Metropolen stehen. Aus der historischen Entwicklung ergeben sich derzeit und auch in naher Zukunft in den alten Industriestädten im Ballungsraum Ruhrgebiet andere Probleme als in den industriell geprägten ländlichen Solitärstädten, beispielsweise im östlichen Westfalen oder am linken Niederrhein. Der schlichte Typus der altindustriellen Stadt gibt somit kein hinreichend differenziertes Bild für die verschiedenen Problemlagen, denen sich die ehemaligen nordrheinwestfälischen Industriestädte stellen müssen. Vor diesem Hintergrund soll zunächst ein erster Überblick über die Vielfalt und Gestalt der nordrhein-westfälischen Stadtlandschaft hergestellt werden. Gerade für eine differenzierte Wahrnehmung von lokalen Ausgangslagen und Problemkonstellationen sowie Entwicklungsverläufen und damit auch politischen Interventionsmöglichkeiten ist eine Kategorisierung und Untergliederung der Städte in Stadttypen hilfreich und nötig. Die Herausforderung besteht in der Frage: Lassen sich innerhalb der Gesamtmenge der Städte in Nordrhein-Westfalen verschiedene Stadttypen bilden, die sowohl ausreichend differenziert sind, um die spezifischen Situationen in den Städten des Landes treffend zu charakterisieren, als auch solche allgemeinen Grundzüge aufzeigen, um aufbauend auf ihnen Typen bezogene Handlungsempfehlungen für die künftige Landespolitik abzuleiten? Ansatzpunkte für Typisierungsversuche bieten dabei etwa folgende Merkmale: • Stadtgröße, räumliche Lage und regionale Funktion (solitäres Zentrum, Agglomerationszentrum, Metropole, Wohnstadt etc.), 30

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• Stadt-Umland-, regionale und interstädtische Verflechtungen (Wanderungs-, Mobilitätsströme etc.), • Branchen-, Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsentwicklung (sektoraler Wandel, Dienstleistungen, Neue Technologien, internationale Wettbewerbsfähigkeit, regionale Kompetenzen etc.), • Stellung und Funktion im nordrhein-westfälischen und europäischen Städtesystem, • historische, aktuelle und zu erwartende Siedlungsstrukturentwicklung (Suburbanisierung, städtische Peripherie/Umland, Dispersion, Verdichtung etc.), • Soziodemografische und sozialräumliche Entwicklung (Sozialstrukturen, ethnische Differenzierung, Einwohnerentwicklung, Wanderungsströme).

1.1

Der Versuch einer Städtetypisierung

Städtetypisierungen sind zielabhängig. Allgemeingültige Kennzeichnungen kommunaler Profile sind nicht möglich, sondern nur für bestimmte Zwecke entworfene Unterscheidungsmerkmale. Um eine Typenbildung zu erreichen, die sich an den Zukunftschancen der Städte orientiert und deshalb zugleich politische Interventionsmöglichkeiten offenbart, müssen die Zukunftsdimensionen städtischer Entwicklung - Entwicklungsstand, Chancen und Risiken, zukünftige Herausforderungen - in der empirischen Untersuchung besonders betont werden. Basierend sowohl auf qualitativen Einschätzungen einzelner befragter Experten als auch auf quantitativen Daten des Statistischen Landesamtes wird der Versuch einer flächendeckenden Typisierung der Städte Nordrhein-Westfalens unternommen. Hierfür werden von den insgesamt 206 Städten NordrheinWestfalens mit mehr als 20.000 Einwohnern in einem mehrstufigen empirischen Verfahren deren gegenwärtige Situation und ihre Zukunftsaussichten untersucht. In einem ersten empirischen Schritt werden bundesweit ausgewählte Experten aus Hochschulen, öffentlichen und privaten Beratungseinrichtungen, Verbänden, Akademien, Kommunen und Bezirksregierungen nach ihren Einschätzungen zu dem gegenwärtigen Entwicklungsstand sowie den Zukunftschancen der 206 Städte befragt. Die in Fragebogenform erhobenen Informationen zur qualitativen Beurteilung der Stadtlandschaft Nordrhein-Westfalens werden in einem zweiten Schritt empirisch angereichert durch eine Fragebogenerhebung bei den Kommunen selbst. Diese werden jedoch nicht nach ihrer Einschätzung des eigenen Entwicklungsstands befragt, sondern sehr pauschal nach den aktuellen Schwerpunkten in der Stadtentwicklungspolitik. Drittens erfolgt eine quantitati31

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ve Analyse der Struktur- und Entwicklungsmerkmale eben jener 206 Städte auf der Basis von Daten des Statistischen Landesamtes. Die Städtetypisierung ist damit charakterisiert durch ein dreistufiges empirisches Verfahren, das aufgrund der Verbindung von harten und weichen Daten als Methodenmix bezeichnet werden kann. Nach dem Expertenurteil werden die positiven Zukunftschancen der Städte primär durch drei Faktoren beeinflusst: • die Lagemerkmale der Städte (Zentralität, Verkehrsanbindung, Erreichbarkeit, günstiges Flächenangebot), • die günstige Wirtschaftsstruktur, -entwicklung und -potenziale (mittelständische Wirtschaftsstruktur, Tertiärstandort, Wirtschaftsschwerpunkt Bildung und Forschung, günstiger Branchenmix), • die urbane Attraktivität (guter Wohnstandort, besondere städtebauliche Qualität, insgesamt hohe Lebensqualität, hohes Kultur- und Freizeitangebot). Tab. 1: Merkmalsdimensionen von Zukunftschancen

Lagevorteile

Ausschließlich positiv

Sowohl als auch

Ausschließlich negativ

43,2

14,2

18,6

Lagenachteile Negative Wirtschaftsstruktur, -entwicklung, wirtschaftl. Probleme

Günstige Wirtschaftsstruktur, -entwicklung, -potenziale

42,5

20,4

17,7

Urbane Attraktivität

29,9

4,4

22,1

Keine oder mangelnde Attraktivität

Kompetente, aktive kommunale Verwaltung/Politik

17,7

2,2

4,4

Eher ineffiziente kommunale Verwaltung/Politik

Günstige soziale Struktur/Integration

8,0

0,0

15,9

Soziale Desintegration/ Problemlagen

Stabile kommunale Finanzlage

6,2

-

10,6

Kommunale Finanzkrise

Bevölkerungswachstum

6,2

-

10,6

Bevölkerungsrückgang

Angaben: Ergebnisse aus den Expertenstatements für die Begründung der positiven oder negativen Zukunftschancen der Städte, Anteil der genannten Städte in Prozent (Städte N = 113) Quelle: Henckel/Kolleck/Mittag/Seidel-Schulze1

1

32

Die Frage in der Erhebung lautet: Im folgenden Teil geht es um die Merkmale, die Sie bei Beurteilung der jeweiligen Stadt in Frage 1 berücksichtigt haben. Wählen Sie bitte aus der Städteliste (Frage 1) bis zu zwanzig Städte aus, die Sie beurteilt haben. Berücksichtigen Sie dabei sowohl Städte mit guten und mittleren als auch Städte mit schlechteren Zukunftschancen.

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Vielfalt der Städte

Darüber hinaus spielen vier weitere Faktoren eine Rolle: die kommunale Finanzsituation, die Kompetenzen und Aktivitäten der Politik und Verwaltung, die soziale Struktur unter den Aspekten Integration bzw. Desintegration sowie die Bevölkerungsentwicklung. Ein anderes Bild bietet sich, fragt man die Experten nicht nach den Gründen für die Einschätzung der Entwicklungsaussichten einzelner Städte, sondern generell nach den Grundvoraussetzungen und Merkmalen einer zukunftsfähigen kommunalen Entwicklung. Auf die Frage „Welche Variablen halten sie für die Zukunftschancen der Städte grundsätzlich für wichtig oder weniger wichtig?“ antworten die Experten sehr uneinheitlich. Von der Möglichkeit, aus einer Liste von 60 Einzelmerkmalen die ihrer Auffassung nach wesentlichen Kriterien für die Beurteilung der Zukunftschancen der Städte herauszufiltern, machen die Befragten sehr unterschiedlich Gebrauch. Hier zeigt das Ergebnis der Befragung eine große Bandbreite im Urteil der Experten, die sich zum einen in Abweichungen und Disparitäten zwischen den Befragten niederschlägt und sich zum anderen auch in den zum Teil widersprüchlichen Einschätzungen der Experten zeigt. Es gibt wenig Korrelationen zwischen den Expertenurteilen. Tatsächlich bestehen große Differenzen in den Bewertungsmaßstäben, die die Experten verwenden, wenn sie die Zukunftsfähigkeit von Städten allgemein - ohne die Nennung von Beispielen - beurteilen.

1.2

Empirische Überprüfung der Expertenurteile

In einem weiteren empirischen Schritt des Versuchs einer Städtetypologie für Nordrhein-Westfalen geht es darum, die subjektiven Expertenurteile in einer empirischen Validierung durch die Auswertung von Daten des Statistischen Landesamtes zu relativieren, zu revidieren oder zu bestätigen. Der Vergleich von Aussagen im Expertenurteil und der Analyse von Datensätzen wirft eine weitere Bruchlinie auf: Nicht nur, dass sich die Experten in den Begründungen für ihre einvernehmlich genannten Urteile über die Schicksale der Kommunen in Nordrhein-Westfalen uneins sind und sich bei der Benennung von Ursachen und Merkmalen erfolgreicher bzw. negativer Stadtentwicklung zum Teil widersprechen. Auch der darauf folgende Versuch, denjenigen Teil des Expertenurteils, bei dessen Beantwortung noch Konsens herrscht - nämlich die Bewertung des gegenwärtigen Entwicklungsstands und der Zukunftsaussichten konkreter Städte - statistisch zu fundieren, misslingt. Es ist nicht möglich, die Expertenurteile über die 206 bewerteten Städte durch statistische Kenngrößen zu erklären. Die Städtestatistik des Landes Nordrhein-Westfalen stützt nicht die - kongruenten - Aussagen der Befragten. Es gibt keine Möglichkeit, für die Gesamtheit aller untersuchten Städte mit über 20.000 Einwohnern akzeptable Abbildungen der 33

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Expertenurteile durch statistische Kenngrößen zu finden. Das Fehlen einer befriedigenden Möglichkeit der Reduktion des Expertenurteils auf landesweit einheitliche, markante Kenngrößen zeigt, dass das Expertenurteil hierüber entweder offensichtlich unpräzise bzw. unzutreffend ist oder hier die Grenzen der gegenwärtigen Statistik erreicht sind. Erst ein Wechsel der räumlichen Maßstabsebene, eine kleinräumigere Perspektive der Betrachtung, kann letztlich eine konstruktive Lösung erbringen. Eindeutigere Ergebnisse bei dem Vergleich der Expertenurteile mit den Datensätzen des statistischen Landesamtes werden erzielt, wenn eine nach Größe und regionaler Zugehörigkeit der Städte differenzierte Analyse unternommen wird. Das aber bedeutet, dass das vorgegebene Ziel einer flächendeckenden Typisierung aller Städte mit über 20.000 Einwohnern in Nordrhein-Westfalen nicht erreichbar ist. Vielmehr bedarf es punktgenauerer Klassifikationen nach Zentralität und Größe, gemessen an der Einwohnerzahl und Lage im Land. Eine solche Differenzierung nach Größenklassen und Zentralität ist beispielsweise möglich, indem man zwischen Oberzentren, Großstädten mit mehr als 100.000 Einwohnern, Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern und Städten mit weniger als 50.000 Einwohnern unterscheidet. Interessant dabei ist, dass die Expertenurteile wohl vorwiegend für die Oberzentren und Großstädte zutreffend sind.2 16 Oberzentren Die Typisierung der Oberzentren anhand der Wirtschaftsstruktur und Wissenskultur ist relativ mühelos. Dies bestätigt Überlegungen aus der regionalen Entwicklungstheorie, wonach der Bereich Forschung und Bildung großen Einfluss (nicht nur) auf die Zukunftschancen von Städten hat. Der wesentliche Indikator zur Messung des Entwicklungsstands der Städte ist der Anteil der Beschäftigten mit Abitur. Dieser Indikator verweist auf Vieles; Er korreliert hoch mit weiteren wichtigen Stadtentwicklungsfaktoren wie etwa den Gewerbesteueranmeldungen und der Bevölkerungsentwicklung. Bei den Oberzentren in NordrheinWestfalen deutet sich eine Zweiteilung und interne Hierarchisierung dieses Stadttypus in einerseits Städte mit guten Zukunftschancen wie etwa Düsseldorf, Münster, Köln, Bonn und andererseits altindustrialisierte Gebiete mit ambivalenten Zukunftsaussichten wie Dortmund und Essen an. Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern (Großstädte) 30 Großstädte gibt es in Nordrhein-Westfalen. Die statistischen Indikatoren für die Entwicklungschancen dieses Typus von Stadt stimmen ebenfalls stark mit

2 34

Korrelation von Expertenurteil und statistischer Analyse in Form von multipler Regression r = 0,9.

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den Expertenurteilen überein.3 Hierbei sind drei Variablen entscheidend: die Beherbergungsbetten pro tausend Einwohner, die Bevölkerungsentwicklung in den Jahren 1990 bis 2000 in Prozent und die Gewerbeneuanmeldungen. Möglicherweise stehen diese drei Variablen für die Attraktivität als Tagungsort, als Wohnort und als Gewerbestandort. Allerdings sind bei diesem Stadttypus identische Klassifikationen mit vielfältigen Indikatoren herstellbar. Demnach scheinen hier komplexe Zusammenhänge zu wirken, die sich nur schwer auf Einzelnes reduzieren lassen.

Städte mit mehr als 50.000 Einwohnern In Nordrhein-Westfalen gibt es 77 Städte mit mehr als 50.000 Einwohnern. Vier Kenngrößen genügen, um deren Entwicklungsstand und -perspektiven einzuschätzen: der Anteil der mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaus geförderten Wohnungen an allen Wohnungen, die Gewerbeneuanmeldungen pro tausend Einwohner, die Veränderung der Beschäftigten in der Energie- und Wasserversorgung und sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Dienstleistungsberufen je tausend Einwohner. Auch diese Variablen könnten wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen kennzeichnen. So spricht beispielsweise eine Zunahme der Beschäftigten in der Energie- und Wasserversorgung für einen Ausbau des Energie- und Wasserversorgungsnetzes und damit für einen erhöhten privaten und gewerblichen Infrastrukturbedarf.

Städte mit weniger als 50.000 Einwohnern Für Städte mit 20.000 bis 50.000 Einwohnern ist keine befriedigende Rückführung des Expertenurteils auf Indikatoren möglich.4 Hier zeigt sich deutlich, dass der Blick der Experten in Hochschulen, Verbänden, Bezirksregierungen etc. kein gleichmäßig gestreuter durch das Land ist, sondern sehr selektiv vor allem die Entwicklungen in den größeren Städten wahrnimmt und fundiert betrachtet.

1.3

Unterschiede in den Zukunftsperspektiven ein erster Überblick

Gerade wegen der Vielfalt der Städte in Nordrhein-Westfalen erscheint es notwendig, eine möglichst übersichtliche und plausible Klassifizierung vorzuneh-

3

Korrelation 0,9.

4

r = 0,6, bei nur ein Drittel erklärter Varianz. 35

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men, um so dem Land Anknüpfungspunkte für eine Städtepolitik zu bieten und - wissend um die Schwierigkeiten jedweder Typisierung - einen Beitrag zur wissenschaftlichen Fundierung der Städtepolitik zu leisten. Wie bereits oben dargestellt, legt die statistische Untersuchung eine Unterteilung in kleine und größere Städte nahe. Die durch Clusteranalysen herausgebildeten Gruppen zeigen sehr viel deutlichere Unterschiede in den Städten mit über 50.000 Einwohnern als in den kleineren Städten. Ebenso sind die Expertenurteile für die größeren Städte sehr viel besser nachvollziehbar. Auch im Rahmen der vorliegenden Analysen zeigt sich ein ähnliches Bild. Letztlich erscheint ein zweigeteiltes Vorgehen auch in Anbetracht der klassifizierten Städte als wesentlich plausibler als das Ergebnis einer Gesamtklassifikation in einem Durchgang. Der nachfolgende Versuch soll dieser Unterschiedlichkeit der Städte in Nordrhein-Westfalen Rechnung tragen und die Verschiedenheit der lokalen Problemlagen und Entwicklungsperspektiven verdeutlichen. Es geht in diesem ersten analytischen Schritt darum, die Varianz der Zukunftsperspektiven der Städte in Nordrhein-Westfalen im Überblick zu sortieren und zu betrachten (vgl. Abb. 1). Im weiteren Gedankengang des Berichts werden dann in den folgenden Kapiteln im Hinblick auf spezifische Fragestellungen, etwa der ökonomischen oder sozialen Struktur, weitere differenzierte Gruppierungen erarbeitet und vorgestellt.

Typen der Mittel- und Großstädte (mehr als 50.000 Einwohner) Zentraler Zukunftsstandort, Entwicklungsmotor Bei den zentralen Zukunftsstandorten bzw. den Entwicklungsmotoren finden sich die Oberzentren wieder, die eine positive Beschäftigung, insbesondere bei der qualifizierten Beschäftigung bzw. im Bereich der Wissenskultur, weit über dem Durchschnitt aufweisen. Sie verfügen meist auch über ein überdurchschnittliches Finanzpotenzial, haben aber mit zum Teil erheblichen sozialen Problemen und einem tendenziellen Bevölkerungsrückgang zu kämpfen.

Prosperierende mittelgroße Stadt Unter dem Typus der prosperierenden mittelgroßen Stadt finden sich die Städte, die durch überdurchschnittliche Beschäftigung und Wissenskultur geprägt sind. Bei sozialen Problemen und der Bevölkerungsveränderung sind sie zumeist unauffällig. Auch die Finanzpotenziale dieses Typus sind häufig ebenso wenig auffallend oder positiv. Vereinzelt befinden sie sich in attraktiven Randlagen neben größeren Städten oder es sind Erholungsstädte. 36

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Vielfalt der Städte

Altindustrielle Großstadt mit positiven Entwicklungspotenzialen (Schwellenstadt) Die altindustriellen Großstädte mit positiven Entwicklungspotenzialen liegen bei der Beschäftigung und Wissenskultur über dem Durchschnitt, haben aber auch überdurchschnittliche soziale Probleme und zumeist geringe Finanzpotenziale. Der Bevölkerungsrückgang liegt im Städtevergleich weit über dem Durchschnitt und sie weisen im Vergleich eine geringere Attraktivität bzw. einen geringeren Lebensstandard auf. Typische mittelgroße Stadt Die typische mittelgroße Stadt ist in allen Bereichen relativ schwach ausgeprägt. Möglicherweise kann dies als Zeichen von Stagnation oder als Durchgangsstadium interpretiert werden. In der Tendenz zeigt sie eine leicht negative Beschäftigung, Wissenskultur und Attraktivität. Ebenso sind meist ein Bevölkerungsrückgang und soziale Probleme zu erkennen. Altindustrielle Problemlage Die Städte in altindustrieller Problemlage haben deutliche soziale Probleme, die weit über dem Städtedurchschnitt liegen: Sie verfügen über sehr wenig qualifizierte Beschäftigung und haben in der Regel allgemeine Beschäftigungs- und Finanzprobleme. Darüber hinaus ist der Bevölkerungsrückgang besonders hoch. Attraktive Wohnstadt in der Nachbarschaft größerer Zentren (Suburb) Der Typus der attraktiven Wohnstadt in der Nachbarschaft größerer Zentren ist gekennzeichnet durch Städte mit hoher Attraktivität bei meist vergleichsweise guten Finanzpotenzialen. Während sie zumeist ein Bevölkerungswachstum aufweisen, ist bei diesem Typus die Beschäftigung vergleichsweise gering.

Typen der Kleinstädte (weniger als 50.000 Einwohner) Kleinstadt mit positiven Entwicklungspotenzialen Die Kleinstädte mit positiven Entwicklungspotenzialen verfügen in der Regel über viele qualifizierte Beschäftigte; Sie haben geringe soziale Probleme und eine wachsende Bevölkerung. Typische kleinere Stadt Ähnlich wie beim Typus der typischen mittelgroßen Stadt sind bei den typischen kleineren Städten mit weniger als 50.000 Einwohnern die Merkmale nur verein37

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zelt überdurchschnittlich ausgeprägt. Gelegentlich zeigen sie eine hohe Attraktivität bzw. einen hohen Lebensstandard. Die Finanzlage liegt leicht über dem Durchschnitt und es bestehen eher wenig soziale Probleme. Allerdings stagniert ihre Bevölkerung. Teilweise tendieren sie zum Typus Suburb - also der attraktiven Wohnstadt in der Nachbarschaft größerer Zentren. Benachteiligte Randlage Die Städte der benachteiligten Randlage liegen oft in den altindustriellen Problemlagen. Sie verzeichnen eine geringe Beschäftigung, insbesondere wenig qualifizierte Beschäftigung, eine geringe Attraktivität bzw. einen geringen Lebensstandard und stehen öfter in Zusammenhang mit Bevölkerungsverlusten und geringem Finanzpotenzial. Attraktive kleinere Vorort- oder Wohnstadt (Suburb) Zum Typus der attraktiven kleineren Vorort- oder Wohnstadt zählen die kleineren Vorortstädte und ländlichen Lagen. Sie haben geringe soziale Probleme, ein hohes Bevölkerungswachstum und sind meist besonders attraktiv. Allerdings sind die Beschäftigung und auch die Wissenskultur eher gering ausgeprägt, wobei die Finanzlage eher heterogen ausfällt.

1.4

Erste Schlussfolgerungen - Thesen

Insgesamt zeigt sich, dass der Versuch einer flächendeckenden Städtetypologie für Nordrhein-Westfalen zu sehr differenzierten Ergebnissen führt, die erst im Überblick transparent erscheinen. Dieser Überblick lässt sich in sieben Thesen formulieren: Die Unterschiede zwischen Groß- und Kleinstädten sind signifikant Für Groß- und Kleinstädte lässt sich keine gemeinsame Städtetypisierung vornehmen. Expertenurteil und der Stand der Literatur zur Zukunft der Stadt beziehen sich vorwiegend auf großstädtische Chancen und Problemlagen. Die besondere Rolle und spezifische Problematik von Klein- und Mittelstädten gesondert zu berücksichtigen, scheint eine wichtige Maßgabe für die Landespolitik zu sein. Die Wirklichkeit wird durch Experten und in Statistiken selektiv wahrgenommen Die über 170 kleineren Städte dominieren die Ergebnisse der statistischen Analysen - durch multiple Regression, Faktorenanalyse und latente Struktur38

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Vielfalt der Städte

Abb. 1: Städtetypen der Zukunftsperspektiven in Nordrhein-Westfalen Quelle: Henckel/Kolleck/Mittag/Seidel-Schulze

analyse - zu den Städtetypen in Nordrhein-Westfalen, während die Expertenratings von den Zuständen und Entwicklungsmustern der Großstädte „leben“ bzw. diese repräsentieren.

Der Weg in die Wissensgesellschaft ist bestimmend für die Zukunft der Stadt Der Faktor Wissenskultur wird von vorneherein - sowohl in der Literatur wie aus Sicht der befragten Experten - als bedeutend eingeschätzt. Am Ende der Unter39

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suchung zeigt sich, dass er noch bedeutender und gewichtiger ist, als im Vorhinein vermutet. Der Anteil der Abiturienten an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist ein wichtiger statistischer Indikator für den gegenwärtig erreichten Entwicklungsstand und die Zukunftsaussichten einer Stadt. Er könnte für das intellektuelle Potenzial einer Stadt stehen. Zukunftsfähige Stadtpolitik ist deshalb vor allem auch lokale Bildungs- und Wissenspolitik.

Starke Rolle des demografischen Wandels Der demografische Wandel ist von zentraler Bedeutung für die Beurteilung des gegenwärtigen Entwicklungsstands und die Zukunftsperspektiven der Städte in Nordrhein-Westfalen. In Form von Bevölkerungswachstum, Bevölkerungsschrumpfung und Überalterung überschattet der lokale demografische Trend viele andere örtliche Entwicklungen. So beeinflusst er die gegenwärtigen Stadtstrukturen Nordrhein-Westfalens und deren Spiegelung in den amtlichen Daten in starkem Maße. Unklar ist jedoch, inwieweit er auch kausal wirkt, das heißt, ob er Ursache oder Wirkung raumstruktureller Veränderungen ist. Schrumpfen ökonomisch schwache Regionen, weil sie auch an Bevölkerung verlieren, oder wandert die Bevölkerung ab, weil die Region schrumpft? Der demografische Wandel ist in jedem Fall ein wichtiger Indikator örtlichen Wachstums oder Schrumpfung, nicht immer jedoch ist er auch deren Verursacher.

Wachsende regionale Differenzierung Die Stadtlandschaft Nordrhein-Westfalens ist deutlich regional differenziert. Art und Ausmaß der pluralen, zu Teilen auch disparitären teilräumlichen Entwicklungen nehmen zu.

Urbane Attraktivität ist bedeutend aber schwer quantifizierbar Der Einfluss der quantitativ schwer messbaren urbanen Attraktivität auf den Entwicklungsstand und die Zukunftsperspektiven der Städte in Nordrhein-Westfalen wird aus Mangel an geeigneten Indikatoren hierfür in statistischen Untersuchungen stets unterbewertet. Dies ist auch hier der Fall.

Städtetypisierung gibt es nur im Plural als Städtetypisierungen Aufgrund der Differenziertheit lokaler Problemlagen, der nach Stadtgrößen sehr unterschiedlich ausgeprägten Bevölkerungs- und Branchendifferenzierung sowie den zudem auch noch regional sehr unterschiedlichen Konstellationen von Wachstum, Schrumpfung und Stagnation ist die Stadtlandschaft Nordrhein40

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Vielfalt der Städte

Westfalens zu bunt und vielfältig - man kann auch sagen reich (-haltig) - als dass eine einzige Städtetypisierung in der Lage wäre, diese Vielfalt strukturiert zu repräsentieren. Bei der Stadtlandschaft Nordrhein-Westfalens zeigt sich je nach Blickwinkel ein anderes Bild, eine andere Struktur - eine andere Möglichkeit, die Städte zu typisieren. Die Frage, ob eine Stadt eine Metropole ist, lässt sich unter Bezug auf die Größe, den Branchenmix oder die Funktion im Städtenetz einschätzen. Das Ergebnis kann dabei jeweils ein anderes sein.

In den nachfolgenden Kapiteln werden ausgehend von diesem Verständnis verschiedene Stadttypologien aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven entwickelt: • Kapitel B2 betrachtet die Städte Nordrhein-Westfalens aus der demografischen Perspektive und entwickelt eine Typologie auf der Grundlage der Bevölkerungsstruktur. • Kapitel B3 stellt die ökonomische Perspektive dar, in der der Branchenmix und die ökonomische Verflechtung zum Umland die Grundlage der Typisierung sind. • Kapitel B4 geht bei der Typisierung von den ordnungspolitischen Kategorien des Konzeptes der Zentralen Orte aus und fragt nach der Funktion der jeweiligen Stadt im Städtesystem. • Kapitel B5 analysiert Städte und Stadtteile sozialräumlich und gibt flächendeckend einen kleinräumigen Überblick über die Disparitäten zwischen Stadtteilen. • Kapitel B6 typisiert Städte und Regionen anhand der Struktur und Dynamik des Wohnungsmarktes.

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B2 Die Städte vor den Herausforderungen des demografischen Wandels

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2.1

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Bevölkerungsentwicklung in Deutschland

Die Bevölkerungsentwicklungen in wirtschaftlich hoch entwickelten Gesellschaften weisen im internationalen Kontext große Parallelen auf. Aus unterschiedlichen Gründen ist die Fertilität in Wohlstandsgesellschaften in Abgrenzung zu wirtschaftlich eher geringer entwickelten Ländern deutlich rückläufig.1 So betrug Ende des 20. Jahrhunderts die Zahl der Lebendgeborenen pro Frau in Deutschland bei den Einwohnern mit deutscher Staatsangehörigkeit 1,2 und bei jenen mit ausländischer 1,9. Dabei hatten die aus europäischen Ländern Zugewanderten eine ähnlich niedrige oder eine noch niedrigere Geburtenrate als

1

Deutlich wird dies, wenn man für verschiedene Länder die Anzahl der Lebendgeborenen pro Frau in Abhängigkeit vom Index der menschlichen Entwicklung betrachtet. Jener Index wird von der UN berechnet und umfasst 1. die Lebenserwartung, 2. den Alphabetisierungsgrad Erwachsener, 3. die durchschnittliche Dauer des Schulbesuchs, 4. das Pro-Kopf-Einkommen und 5. die Gleichmäßigkeit der Einkommensverteilung. Zwischen der Zahl der Lebendgeborenen und dem Index der menschlichen Entwicklung besteht ein empirisch enger hyperbolischer Zusammenhang, das heißt ein höheres Niveau der Entwicklung geht mit einer geringeren Geburtenrate einher. Die ärmsten Länder der Welt weisen die höchsten Geburtenraten (vier bis acht Lebendgeborene) auf, die Schwellenländer ein höheres Entwicklungsniveau und eine deutlich geringere Fertilität (zwei bis vier Lebendgeborene), und die hochentwickelten Länder (zwischen eins und zwei Lebendgeborene) bleiben deutlich unter dem Bestandserhaltungsniveau von 2,1 Lebendgeborenen pro Frau. 43

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die Deutschen. Bei den aus der Türkei und aus den Entwicklungsländern Zugewanderten lag jedoch die Kinderzahl pro Frau deutlich über zwei, so dass sich für alle Ausländer ein Durchschnitt von 1,9 ergibt und für die deutsche und ausländische Bevölkerung zusammen ein Mittelwert von 1,4 Lebendgeburten.2 In hoch entwickelten Ländern mit niedriger Sterblichkeit beträgt die notwendige Geburtenrate zum Ersatz der Elterngeneration bei 2,1. Dies ist eine Quote, die in Deutschland schon seit mehreren Jahrzehnten nicht mehr durchgängig erreicht wird. Für die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland ist deshalb unter Vernachlässigung künftiger Zuwanderung eine Bevölkerungsschrumpfung zu prognostizieren, die bei weiterhin konstant niedrigen Fertilitätsraten die Zahl potenzieller Eltern wellenförmig abnehmen lässt. Hinzu kommt, dass der aktuelle Anstieg der Lebenserwartung nahezu vollständig auf der Anhebung der ferneren Lebenserwartung im höheren Alter beruht. Zurzeit verzeichnet man hinsichtlich der Lebenserwartung innerhalb von jeweils vier bis fünf Jahren ein zusätzliches Lebensjahr. Im Jahr 2030 werden 65jährige Männer durchschnittlich eine fernere Lebenserwartung von 18,4 Jahren, Frauen sogar von 22,6 Jahren haben.3 Dies wird zugleich einen absoluten wie relativen Rückgang jüngerer Menschen zur Folge haben und einen spürbaren Anstieg sowohl der nichtdeutschen Bevölkerungsgruppe als auch der deutschen Bevölkerung mit Migrationshintergrund. Der Rückgang der inländischen Bevölkerung, der bereits mit dem ersten Geburtenrückgang von 1965 bis 1975 einsetzte und auch auf nicht unerhebliche Abwanderungen zurückzuführen ist, wurde in der Vergangenheit durch Zuwanderung aus dem Ausland, insbesondere seit Öffnung der Grenzen im Osten, überlagert. Die Grenzöffnungen im Osten und die flüchtlings- und bürgerkriegsbedingten Zuwanderungen haben von 1987 bis 1990 sogar zu einem (zu-) wanderungsbedingten Bevölkerungszuwachs in Deutschland geführt.4 Seitdem jedoch nimmt die Bevölkerung in Deutschland stetig ab. Selbst für den Fall einer optimistisch geschätzten künftigen Nettozuwanderung - also der Zuwanderung abzüglich der Abwanderung - von 200.000 Personen jährlich prognostiziert die Enquetekommission Demografischer Wandel einen Bevölkerungsrückgang um zwölf Millionen auf dann etwa siebzig Millionen Menschen in Deutschland bis zum Jahr 2050.5 Zu diesem Rückgang kommt es, weil in Deutschland in den nächsten 50 Jahren wesentlich mehr Menschen sterben, als Kinder geboren werden.6 2

Birg 2003, S. 7.

3

Rürup 2004, S. 15.

4

Strohmeier/Neubauer/Prey 2002, S. 2.

5

Enquête-Kommission „Demographischer Wandel“ 2002, S. 63.

6

Klemmer 2001, S. 19.

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Demografischer Wandel

2.2

Bevölkerungsentwicklung in Nordrhein-Westfalen

Die Einwohnerzahl Nordrhein-Westfalens ist laut Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik Nordrhein-Westfalen (LDS) von 1980 bis 2003 von gut 17 Millionen auf über 18 Millionen angestiegen (vgl. Tab. 1). Getragen wurde dieser Bevölkerungszuwachs ausschließlich durch Wanderungsgewinne. Während zwischen 1980 und 2002 insgesamt 283.000 mehr Personen gestorben sind als Kinder geboren wurden, zogen im selben Zeitraum gut 1,3 Millionen mehr Personen nach Nordrhein-Westfalen als das Land verließen. Die demografische Entwicklung in Nordrhein-Westfalen hat räumlich gesehen eine starke Differenzierung aufzuweisen. Die Unterschiedlichkeit der Entwicklungen zeigt sich bei kleinräumiger Betrachtung nach kreisfreien Städten auf der einen und Kreisen auf der anderen Seite. Der Bevölkerungsanstieg im Verlauf der beiden letzten Jahrzehnte um über eine Millionen Einwohner in der Landessumme setzt sich zusammen aus einem Zuwachs von knapp 1,3 Millionen in den 31 Kreisen und einem Rückgang von gut 220.000 Personen in den 23 kreisfreien Städten (vgl. Tab. 1). Während 1980 44,9 Prozent der Einwohner in den kreisfreien Städten und dementsprechend 55,1 Prozent in den Kreisen lebten, sind es heute 41,1 Prozent in den kreisfreien Städten und 58,9 Prozent in den Kreisen. Die Bevölkerungsveränderung in den beiden letzten Jahrzehnten zeigt bei regionaler Betrachtung somit deutliche Unterschiede und vor allem gegenläufige Entwicklungen insbesondere zu Lasten der Städte. Der Gesamtzuwachs von 6,2 Prozent auf Landesebene umfasst Veränderungsraten auf der Ebene der kreisfreien Städte und Kreise in einer Bandbreite zwischen einem Plus von 32 Prozent im Kreis Paderborn und einem Rückgang um 10,3 Prozent in der Stadt Essen. Verbunden mit dieser Entwicklung ist auch eine Verschiebung der Altersstruktur: Der Anteil der Kinder und Jugendlichen bis unter 19 Jahren verringerte sich von 25,3 im Jahr 1980 auf 20,3 Prozent Ende 2002 (-634.000); der Anteil der Personen im Rentenalter mit 60 und mehr Jahren erhöhte sich im selben Zeitraum um 1.265.000 Personen von 18,5 auf 24,4 Prozent (vgl. Abb. 1). Die Bevölkerung im

Tab. 1: Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen 1980 und 2003, kreisfreie Städte und Kreise Quelle: LDS NRW 1. Januar 1980

1. Januar 2003

Veränderung

NRW

17.017.075

18.076.355

1.059.280

Kreisfreie Städte

7.645.622

7.422.062

- 223.560

Kreise

9.371.453

10.654.293

1.282.840 45

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30 25

Alter von 19 bis unter 60 Jahren ist von 1980 bis Ende 2002 um 430.000 Personen angewachsen.

20

Deutliche Unterschiede zeigt ein Vergleich der Altersstrukturen zwischen den Kreisen und kreisfreien Städten: Während 10 1980 der Anteil der Kinder und Jugendlichen in den Kreisen bei 27,5 Prozent lag, 5 erreichte er in den kreisfreien Städten nur 0 einen Wert von 22,5 Prozent; gegenwärtig 1980 2002 liegen die entsprechenden Quoten bei 0 bis 19 Jahre 60 und älter 21,6 Prozent in den Kreisen und 18,4 ProAbb. 1: Verschiebung der Altersstruktur zent in den kreisfreien Städten Nordrheinin Nordrhein-Westfalen 1980 und 2002 Westfalens. Im selben Zeitraum erhöhte Angaben in Prozent sich der Anteil der Personen im RentenalQuelle: LDS NRW ter (60 Jahre und älter) in den Kreisen von 17,3 Prozent auf 23,7 Prozent und in den kreisfreien Städten von 20 auf 25,4 Prozent. Für die Kreise ergab sich ein Zuwachs an Personen im erwerbsfähigen Alter zwischen 19 bis unter 60 Jahren von 649.000. Dagegen hat diese Altersgruppe in den kreisfreien Städten um 220.000 Personen abgenommen. 15

Die Grundtendenz der Entwicklung, mit sinkenden Bevölkerungszahlen in den kreisfreien Städten und einer Bevölkerungszunahme in den Kreisen, wird sich aller Voraussicht nach auch in Zukunft weiter fortsetzen.

2.3

Bevölkerungsprognose für Nordrhein-Westfalen

Nach der aktuell vom LDS durchgeführten Bevölkerungsprognose ist bis zum Jahr 2020 für das Land insgesamt ein relativ geringer Rückgang der Einwohnerzahl um etwa 100.000 zu erwarten. Während sich nach diesen Berechnungen für die Kreise ein Zuwachs von 380.000 Personen ergibt, muss für die kreisfreien Städte von einem weiteren Rückgang um etwa 480.000 Einwohner ausgegangen werden (vgl. Abb. 2). Damit werden die Kreise einen Zuwachs erreichen, der der gesamten Bevölkerung des Kreises Borken entspricht, während die kreisfreien Städte so viele Einwohner verlieren werden, wie heute die Städte Oberhausen und Krefeld zusammen haben. Die Prognoseergebnisse für das Jahr 2020 auf der Basis der Zahlen aus 2002 weisen eine Bandbreite bei der Entwicklung einen Zuwachs von 12,5 Prozent im Rhein-Sieg-Kreis bis zu einem Rückgang um 16,3 Prozent für die Stadt Hagen aus. Der Anteil der in den kreisfreien Städten lebenden Menschen würde nach den vorliegenden Prognoseergebnissen damit unter 40 Prozent fallen. 46

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Abb. 2: Bevölkerungsentwicklung in den kreisfreien Städten und Kreisen 1998 bis 2020 Angaben: Veränderung in Prozent, Ergebnisse der Bevölkerungsprognose 2002 bis 2020/2040 Quelle: LDS NRW

Die Einwohnerzahl von Nordrhein-Westfalen insgesamt wird sich bis zum Jahr 2040 voraussichtlich weiter auf knapp 16,9 Millionen verringern und damit einen Stand wie vor etwa 15 Jahren erreichen. Nach den Ergebnissen dieser Modellrechnung ist außerdem mit einer Fortsetzung des bereits begonnenen Alterungsprozesses der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen zu rechnen, das heißt, der Anteil der Kinder und Jugendlichen wird ebenso wie der Anteil der jüngeren Personen im Erwerbsalter von 19 bis 39 Jahren zurückgehen und der Anteil der sehr Alten ab 75 und älter nimmt zu (vgl. Abb. 3). 47

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Kreise 28,5

29,9

29,4

30

26,9 25

9:11

26,3

25,3

26,2

24,1

26,7

20,5

20

18,2 17,1

17,1

17

16,3 15

13,9

13,2 10 7

11,2

5,3

5

1980

2000

unter 19

2020

19 bis 39

40 bis 59

2040 60 bis 74

75 und älter

Abb. 3: Prognose der Altersstruktur in Nordrhein-Westfalen bis 2040 Angaben in Prozent Quelle: LDS NRW

35

kreisfreie Städte 30,6

30,2

28,5

30 27,3 25

27,3

26,4

22,5 18,5

20

17,1

16,8

15,6

14,2

15

11,5 10

7,6 5,8

5

0 Kreise 35

30

28,7

28,4

29,3

27,9 26,5

26,2

25,6

25 22 18,1

20

16,9 15,9

15

12,4 11

10 6,6

4,9

5

0 1980 unter 19

2000 19 bis 39

40 bis 59

2020 60 bis 74

75 und älter

Abb. 4: Prognose der Altersstruktur in den Kreisen und kreisfreien Städten bis 2040 Angaben in Prozent, Ergebnisse der Bevölkerungsprognose 2002 bis 2020 bzw. 2040 Quelle: LDS NRW 48

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Demografischer Wandel

Der Anteil der Kinder und Jugendlichen wird weiter zurückgehen und bis 2020 in den Kreisen einen Wert von 19,8 Prozent, in den kreisfreien Städten von 17,8 Prozent erreichen. Der Anteil der Personen im Rentenalter mit 60 Jahren und älter wird bis 2020 in den Kreisen 27,9 Prozent und in den kreisfreien Städten 28,6 Prozent ausmachen. Eine differenzierte Betrachtung dieser nach oben offenen Altersgruppe zeigt allerdings, dass sowohl in den Kreisen als auch in den kreisfreien Städten sich der Anteil der Personen im Alter von 60 bis 74 Jahren nur leicht erhöht, während der Anteil der mindestens 75 Jahre alten Menschen in den Kreisen auf 11 und in den kreisfreien Städten auf 11,5 Prozent ansteigen wird (vgl. Abb. 4). Insgesamt sind bis zum Jahr 2020 deutliche Veränderungen in den Besetzungsstärken der Altersgruppen in Nordrhein-Westfalen zu erwarten. Die Zahl der Kinder und Jugendlichen bis zu 18 Jahren wird, ausgehend vom Basisjahr 2002, um 603.000 zurückgehen, die Zahl der Personen im Erwerbsalter zwischen 19 und 59 Jahren wird um etwa 177.000 geringer, während sich die Zahl der Personen im Rentenalter mit 60 und älter um rund 678.000 erhöht. Die Entwicklung verläuft in den einzelnen Kreisen und kreisfreien Städten sehr unterschiedlich. Die Stadt Essen beispielsweise wird bis 2020 insgesamt 64.000 Einwohner verlieren, der Kreis Paderborn dagegen 36.000 hinzu gewinnen. Der Bevölkerungsrückgang in Essen erstreckt sich unterschiedlich stark auf alle Altersgruppen mit Ausnahme der mindestens 75jährigen, deren Zahl um 15.300 zunehmen wird. Im Kreis Paderborn wird dagegen nur die Zahl der unter 19jährigen abnehmen, während die 40 bis 59jährigen ebenso wie die Älteren Zuwächse verbuchen werden. Insgesamt wird die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter in Essen bis 2020 um 41.700 Personen zurückgehen, im Kreis Paderborn dagegen um 20.900 Personen zunehmen. Der aus den vorgenannten Zahlen erkennbare Alterungsprozess wird bei einer etwas tieferen Altersgliederung in Bezug auf die Gesamtzahlen von Nordrhein-Westfalen noch deutlicher: Der Rückgang in der Altersgruppe 19 bis 59 Jahre um 176.000 Personen insgesamt zeigt eine Zweiteilung in Jüngere und Ältere. Bei den Älteren zwischen 40 und 59 Jahren wird mit einem Zuwachs von 330.000 und bei den Jüngeren zwischen 19 bis 39 Jahren mit einem Rückgang von 506.000 Personen gerechnet. Die nachwachsende Generation in Nordrhein-Westfalen wird somit schon zahlenmäßig nicht mehr in der Lage sein, die scheidende Altengeneration auszugleichen. Bis zum Jahr 2040 wird sich die Zahl der Personen im Erwerbsalter gegenüber heute um über 1,4 Millionen verringern, während die Altersgruppe im Rentenalter um etwa eine Millionen zunehmen wird. Innerhalb der letztgenannten Altersgruppe zeigt sich eine ähnliche Zweiteilung. 49

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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen

Der Zuwachs in dieser Altersgruppe bis 2020 um insgesamt 680.000 Personen ist bei einem nahezu unveränderten Wert für die 60 bis 74jährigen ausschließlich auf einen Anstieg bei den mindestens 75jährigen Personen zurückzuführen. Bis zum Jahr 2040 werden die über 75jährigen in Nordrhein-Westfalen um weitere 330.000 Personen ansteigen und die 60 bis 74jährigen jedoch nur um 30.000 zunehmen. Deutlich unterschiedliche Entwicklungen zeigen sich auch bei einer detaillierten Betrachtung einzelner Altersbereiche in der Gruppe der Kinder und Jugendlichen. Die Zahl der unter Dreijährigen verringert sich bis 2020 um 36.000 Personen, die Gruppe der Drei- bis Fünfjährigen um 82.000 und die der Sechs- bis Zehnjährigen sogar um 143.000. Noch deutlicher ist der Rückgang in der Altersgruppe mit zehn bis 15 Jahren um 290.000, während bei den 16 bis 18jährigen mit einer um 53.000 geringeren Zahl zu rechnen ist. Bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang die Entwicklungen der einzelnen Altersgruppen im Zeitverlauf, die durch unterschiedliche Intensitäten und zum Teil durch wechselnde Entwicklungen gekennzeichnet sind. So zeigt sich in dem Bereich der 16 bis 18jährigen im Verlauf der ersten fünf Prognosejahre bis zum Jahr 2007 ein Anstieg um etwa 75.000 Personen. Unmittelbar danach setzt ein Richtungswechsel ein, der in den folgenden 13 Jahren bis 2020 zu einem Rückgang um etwa 128.000 Personen in der unter anderem für Kapazitätsplanungen im Bildungs- und Ausbildungsbereich relevanten Altersklasse führt.

2.4

Räumliche Wirkung der Bevölkerungsentwicklung in Nordrhein-Westfalen

Für ganz Nordrhein-Westfalen erscheint die Bevölkerungsentwicklung zunächst wenig spektakulär. Betrachtet man diesen Prozess jedoch kleinräumiger, ergeben sich erhebliche regionale Unterschiede. Das Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung und Bauwesen Nordrhein-Westfalen (ILS) prognostiziert für das Ruhrgebiet bis 2015 einen Bevölkerungsverlust von 6,92 Prozent. Je nach Kommune schwanken die Verluste zwischen fünf und zwölf Prozent, während beispielsweise für die kreisfreien Städte Aachen und Münster mit Zuwächsen gerechnet wird. In einem Teil des ländlichen Umlandes steigt die Zahl der Einwohner durch Wanderungsgewinne sogar um über zehn Prozent.7 Das Pestel Institut erwartet bis 2015 lediglich noch in den Kreisen Borken, Coesfeld, Gütersloh und Paderborn einen leichten Geburtenüberschuss aufgrund des niedrigen Altersschnitts der Bevölkerung.8

7

ILS NRW 2002a, S. 6f.

8

Möller/Günther 2003, S. 39f.

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Demografischer Wandel

Das Ruhr-Forschungsinstitut für Innovations- und Strukturpolitik (RUFIS) hat 2002 für die Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen eine Studie zur demografischen Entwicklung in Nordrhein-Westfalen erarbeitet, nach der sich hinsichtlich der Bevölkerungsentwicklung unterschiedliche Regionstypen herausstellen lassen.9 Ausgehend von einer Differenzierung der Bevölkerungsdaten nach Alterskohorten10 werden dabei die 54 Kreise und kreisfreien Städte zu Gruppen (Cluster) zusammengefasst, die eine ähnliche Struktur der Bevölkerungsentwicklung aufweisen. Dabei werden die Unterschiede innerhalb der Gruppen möglichst klein, zwischen den Gruppen jedoch möglichst groß gewählt. Leitgedanke für die Analyse ist die Abweichung der jeweiligen Gebietskörperschaften vom zu erwartenden Landesdurchschnitt. Neben den Bevölkerungsdaten des LDS sind in der nachfolgend eingehender dargestellten Untersuchung weitere räumliche Strukturdaten des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR) ausgewertet worden.11 Zur Bildung von Clustern kamen dabei 95 Indikatoren aus folgenden Bereichen hinzu: • Bevölkerung und Siedlungsstruktur • Bevölkerungsstand und natürliche Entwicklung • Bevölkerungsentwicklung: Mobilität • Altersstruktur • Sozialstruktur • Beschäftigung • Wirtschaft • Wirtschaftskraft und Finanzen • Arbeitslosigkeit • Bildung • Verkehr und Energie • Ausgewählte raumwirksame Fördermittel • Baulandmarkt und Wohnungsbestand • Wohnungsbau 9

Kersting/Werbeck 2002.

10 Hauptkohorten: a) bis 18 Jahre; b) 19 bis 64 Jahre; c) ab 65 Jahre, Unterkohorten: a) bis 2 Jahre, 3 bis 5 Jahre, 6 bis 18 Jahre; b) 19 bis 29 Jahre, 30 bis 49 Jahre, 50 bis 59 Jahre, 60 bis 64 Jahre; c) 65 bis 74 Jahre, ab 75 Jahre. 11 BBR 2001a. 51

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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen

Abb. 5: Cluster der Bevölkerungsstruktur nach Kreisen und kreisfreien Städten Quelle: Kersting/Werbeck 2002, S. 29

Schließlich werden für die räumliche Bevölkerungsstrukturuntersuchung fünf Cluster gebildet. Im Ergebnis können Kreise und kreisfreie Städte in NordrheinWestfalen bestimmt werden, die über alle Prognosejahre einer Clustergruppe angehören oder die in dem Prognosezeitraum die Gruppenzugehörigkeit wechseln. Differenziert nach Clustern wird in Abb. 5 die räumliche Verteilung der jeweiligen clusterangehörigen Kreise und kreisfreien Städte mit stabiler Gruppenzugehörigkeit dargestellt. Als Ansatz zur Erklärung der demografischen Unterschiede zwischen den Clustern können die geografische Lage und ihre siedlungsstrukturelle Bedeutung herangezogen werden. Daher wird in der Karte zusätzlich die siedlungsräumliche Grundstruktur des Landesentwicklungsplans wiedergegeben.12

12 Vgl. auch MURL NRW 1995, S. 374. 52

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Abb. 6: Wechsel der Cluster von Kreisen und kreisfreien Städten bis 2015 Quelle: Kesting/Werbeck 2002, S. 30

Nach der Studie von RUFIS bildet das Cluster 1 einen überdurchschnittlichen Anteil an Personen im erwerbsfähigen Alter. Es besteht mit Düsseldorf, Köln und Bonn aus den Metropolen des Rheinlands sowie aus den kreisfreien Städten Aachen und Bochum. Diese Städte liegen alle in siedlungsstrukturellen Ballungskernen. Das Cluster 2 ist durch einen überdurchschnittlichen Anteil an Personen mit über 65 Jahren geprägt. In diesem Cluster finden sich zum überwiegenden Teil die Kreise im Ballungskern der Europäischen Metropolregion RheinRuhr, insbesondere das Ruhrgebiet und das Bergische Städtedreieck. Ebenso weist bezogen auf die Einteilung der Cluster die Stadt Bielefeld als solitäres Verdichtungsgebiet ähnliche demografische Entwicklungen wie der größte Teil des Ruhrgebiets auf. Das Cluster 3 kennzeichnet einen hohen Anteil an Familien. Die zu dieser Gruppe zugehörigen Kreise finden sich in der unmittelbaren Nachbarschaft zu den 53

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Clustern 1 und 2. Sie liegen nördlich des Ruhrgebiets und grenzen links- und rechtsrheinisch an die Metropolen des Rheinlands bis hin nach Aachen. Die Cluster 4 und 5 sind durch ländliche Raumstrukturen geprägt. Das durch einen überdurchschnittlichen Anteil an Kindern und Personen über 65 Jahren gekennzeichnete Cluster 4 umfasst Ostwestfalen und den Hochsauerlandkreis, einschließlich der Stadt Hamm. Im Cluster 5 finden sich der Rest des Sauerlands, das Sieger- und das Münsterland sowie die Kreise Kleve und Heinsberg. In dieser Gruppe liegt ein hoher Kinderanteil vor. Nach RUFIS bleibt die jeweilige Zugehörigkeit der Kreise zu den einzelnen Clustern für die Jahre 1999 und 2000 zunächst konstant. Ab dem Jahre 2005 wechseln jedoch elf der 54 Kreise bzw. kreisfreien Städte bis 2015 mindestens einmal das Cluster (vgl. Abb. 6). Der Oberbergische Kreis wird demnach 2005 von einem hohen Kinderanteil (Cluster 5), die Stadt Remscheid hingegen 2010 von einem hohen Anteil von Rentnern in die Gruppe des mit einem mit einem überdurchschnittlichen Anteil an Kindern und Alten geprägten Cluster 4 wechseln. Der Kreis Siegen-Wittgenstein vollzieht nach der Prognose im Jahr 2005 einen deutlichen Wechsel vom kinderreichen Cluster 5 in das altenreiche Cluster 2. Münsterland, Ostwestfalen, weite Teile des Sauerlands sowie die Regionen der Metropolen des Rheinlands bis nach Aachen bleiben in ihrer Bevölkerungsstruktur dagegen unverändert. Besonders auffallend in der Prognose ist jedoch die räumliche Entwicklung des Clusters 2. Diese in den ersten Jahren vorrangig aus den meisten Ruhrgebietsstädten bestehende Gruppe dehnt sich ab 2005 auf die Kreise und Städte nördlich des Ruhrgebiets (Landkreis Wesel erst 2010) sowie die rechtsrheinischen Kreise Mettmann und Rheinisch-Bergischer Kreis weiter aus. Lediglich der Kreis Unna wechselt zum Ende des Prognosezeitraums im Jahr 2015 wieder zu seinem einstigen Cluster 3 (hoher Familienanteil) zurück. Im Hinblick auf die unterschiedlichen räumlichen demografischen Entwicklungen des Landes werden sich nach der Prognose die durch einen überdurchschnittlichen Anteil älterer Menschen geprägten Kreise und kreisfreien Städte in den nächsten zehn Jahren - ausgehend vom Ruhrgebiet - deutlich ausdehnen. Die Untersuchung des RUFIS zeigt, dass die Bevölkerung im Kern des Ruhrgebiets bereits stark altert. Es ist davon auszugehen, dass im Ruhrgebiet in den nächsten Jahren die Bevölkerung spürbar zurückgehen wird. Diese Entwicklung wird räumlich in den nächsten Jahren auf den nördlichen Rand des Ruhrgebiets und auf das Bergische Land übergreifen. Die übrigen Teile des Landes entwickeln sich ähnlich wie der Bundes- und Landestrend. Hier differenziert RUFIS allerdings unterschiedliche Regionstypen. Dies betrifft (1) die Metropolen des Rheinlands, (2) weite Teile des ländlichen Raums im Münsterland und (3) im Rheinland sowie (4) Ostwestfalen. Einschließlich des Ruhrgebiets bzw. des Ber54

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gischen Städtedreiecks (5) kann man somit hinsichtlich der demografischen Entwicklungsperspektiven für Nordrhein-Westfalen insgesamt fünf Regionstypen ausmachen.13

2.5

Demografische Entwicklung und Auswirkungen auf die Kommunen

Es steht außer Frage, dass die skizzierte Entwicklung gravierende Auswirkungen auf Erwerbstätigkeit, Einkommensverteilung und Konsumgewohnheiten der Bevölkerung haben wird, die sich auch räumlich, das heißt insbesondere auch auf die Entwicklung der Städte niederschlagen werden. Dieser räumliche und kommunale Aspekt der demografischen Schrumpfung erfordert eine weitere Differenzierung, für die der wissenschaftliche Kenntnisstand unbefriedigend ist und die Prognoserisiken zusätzlich erhöht sind. Es fehlen vielfach Differenzierungen: • regional zwischen Städten bzw. Kreisen, • kleinräumig zwischen Stadtteilen, • nach Größe und Entwicklungstyp sowie • nach Ursachen und Handlungsfeldern. Die deutsche Wirtschafts- und Sozialordnung und ebenso die Kommunen sind auf Wachstum hin orientiert. Neben der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist dabei insbesondere auch ein Wachstum der Bevölkerung relevant, wobei beide Aspekte eng miteinander verbunden sind:14 Ein positives Bevölkerungswachstum setzt Wachstumsimpulse, eine anhaltende Bevölkerungsschrumpfung wird bei gegebener Verteilungsstruktur für sich genommen das Pro-Kopf-Einkommen sinken lassen. Die Situation einer anhaltenden, sich sogar verstärkenden Bevölkerungsschrumpfung ist ein historisch neues Phänomen. Zwar gab es immer wieder Phasen des Bevölkerungsrückgangs, diese waren jedoch Zäsuren durch Kriege oder Naturkatastrophen (unter anderem 30jähriger Krieg, Pestepidemien), die den langfristigen Wachstumstrend der Bevölkerung weder umkehrten noch überhaupt in Frage stellten. Für die heute absehbare Entwicklung liegen somit keine historischen Erfahrungen vor, die als Grundlage für Szenarien herangezogen werden könnten. Nur jene wenigen Kommunen, die in der Vergangenheit bereits im Zuge eines Strukturwandels nachhaltige wirtschaftliche und demografische Schrumpfungsprozesse durchlaufen haben und diese 13 Siehe dazu auch die ausführliche Untersuchung des RUFIS in Kersting/Werbeck 2002. 14 Schönig 2002. 55

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politisch bewältigen mussten, verfügen über erste Erfahrungen mit dieser Thematik. Für das Gros der nordrhein-westfälischen Städte ist eine Umkehrung der Perspektive notwendig: Die heutige Ausnahme der demografischen, gegebenenfalls auch ökonomischen Schrumpfung wird zur Regel und die heutige Regel mit Wachstum bzw. Stabilisierung wird zur Ausnahme. Verschärft wird die Situation dadurch, dass sich der notwendige Kurswechsel bei dauerhaft angespannten Haushaltslagen vollziehen muss, so dass die Kommunen keine finanzielle Entlastung durch übergeordnete Gebietskörperschaften erwarten können. Dort, wo bereits heute die demografische Schrumpfung für die Kommunalpolitik spürbar ist, setzt man sich schon jetzt systematisch mit der Thematik auseinander. Dies betrifft vor allem Städte in den neuen Bundesländern und Städte des Ruhrgebiets. Die Mehrzahl der Städte und Gemeinden ist hingegen von der aktuellen Tagespolitik und der Bewältigung der prekären Finanzlage derart eingenommen, dass ihnen wenig Raum für die strategische Auseinandersetzung mit dem zu erwartenden Bevölkerungsrückgang bleibt. Im Vergleich zur gesamtwirtschaftlichen Betrachtung ist die Thematik Demografie und Kommune durch folgende Spezifika gekennzeichnet: • Je nach Situation vor Ort setzen spürbare Veränderungen nicht erst in den Jahren 2015 bzw. 2030 ein, sondern zum Teil wesentlich früher und sind bereits heute zu beobachten.15 • Wegen der räumlichen Differenzierung sind die Auswirkungen des demografischen Wandels auf kommunaler Ebene zum Teil weitaus dramatischer als auf volkswirtschaftlicher Ebene, auf der sich die Extremfälle statistisch aufheben. • In schrumpfenden Städten wird sich vermutlich die kleinräumige Segregation zur Polarisierung verstärken. Es kommt dabei nicht zur klassischen Segregation im Sinne eines Verdrängungsprozesses, sondern zu Leerzug und Abwanderung aus problembelasteten Stadtteilen. So wirken sozioökonomische, demografische und ethnisch-kulturelle Segregation eng und gleichgerichtet zusammen. Sozial selektive Wanderungen können dabei auf einem tendenziell entspannten Wohnungsmarkt schneller und kostengünstiger durchgeführt werden, wodurch ein selbst verstärkender Prozess kleinräumiger Polarisierung in Gang gesetzt werden kann.16 • Die spezielle Situation einer Kommune ergibt sich aus dem Zusammenwirken von Wanderungen (Zu- und Abwanderungen) mit der natürlichen

15 Klemmer 2001, S. 35. 16 Strohmeier/Neubauer/Prey 2002. 56

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Schrumpfung der ansässigen Bevölkerung. Wanderung und natürliche Schrumpfung stehen in engem Zusammenhang. Wanderungsgewinne können die natürliche Schrumpfung kompensieren, Wanderungsverluste verschärfen die Problemlage.17 Eine heute absehbare, besonders ausgeprägte natürliche Schrumpfung und Alterung der Bevölkerung hat ihre Ursache in den Nettoabwanderungen der letzten Dekaden. Eine besonders ungünstige Altersstruktur ist somit Spätfolge lang anhaltender Wanderungsprozesse in der Vergangenheit.18 Kommunale „Gewinner“ und „Verlierer“ der weiteren Entwicklung stehen mithin bereits heute fest: „Die Städte und Kreise, die in Zukunft wachsen werden, sind die, die in der Vergangenheit gewachsen sind, die Verlierer der Zukunft sind die Verlierer der Vergangenheit“.19 • Neben die klassische Suburbanisierung ist eine zunehmende Komplexität der Wanderungsmuster, aber auch der Wanderungsmotive getreten (vgl. dazu insbesondere die Ausführungen in Kapitel B4). Alterung und Bevölkerungsrückgang werden tendenziell die Finanzlage verschärfen. Bislang vorliegende Erfahrungen mit dem Ausgabenverhalten schrumpfender Städte weisen darauf hin, dass mit rückläufigen Einwohnerzahlen die städtischen Ausgaben keineswegs proportional und schon gar nicht überproportional sinken. Der Reduktion von Ausgaben in einigen Bereichen stehen verstärkte Ausbauaktivitäten - also qualitativ - und steigende Kosten mithin quantitativ - in anderen Bereichen gegenüber.20 Auf der Ausgabenseite ist somit zwischen Art der Leistung (freiwillige gegenüber Pflichtleistungen) und dem Verhältnis von variabeln zu fixen Kosten zu differenzieren. Auf der Einnahmeseite ist mit steigenden Gebührensätzen, sinkendem Einkommensteueranteil und sinkendem Aufkommen an Gewerbe- und Grundsteuer sowie sinkenden Zuweisungen aus dem kommunalen Finanzausgleich zu rechnen. • Im Hinblick auf die Wanderungstypen ist für die Kommunen die Bereitstellung sozialer Infrastruktur im Bereich von Erziehung, Bildung und Pflege ein wichtiger gesellschaftlicher wie ökonomischer Handlungsparameter. Auf-

17 ILS NRW 2002a, S. 6. 18 Klemmer 2001, S. 39. 19 Strohmeier 2002, S. 18. 20 von Loeffelholz/Rappen 2002, S. 6f. 57

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grund finanzieller Zwänge werden Kommunen allerdings in der Regel prozyklisch reagieren müssen und den Umfang der Infrastruktur an die Nachfrage koppeln.21 Die Nutzung des Nachfragerückgangs zu einer Steigerung der Versorgungsquoten, z.B. bei Kindergärten scheint in den meisten Kommunen keine realistische Option.

2.6

Strategien kommunalen Handelns

Kommunalwissenschaft wie Kommunalpraxis haben zu den Problemen der demografischen Herausforderung für die Kommunen unterschiedliche Handlungsstrategien entwickelt. Das ILS hat dazu - als Ergebnis einer Befragung von 21 kreisfreien Städten und sechs Kreisen in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2001 eine geeignete Typisierung kommunalen Handelns entwickelt (vgl. Tab. 2). Es liegt auf der Hand, dass jede dieser Strategien primär Besonderheiten der individuellen Betroffenheit der Kommunen mit Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung widerspiegelt: Eine expansive Strategie steht nur jenen Kommunen zur Verfügung, die überhaupt über marktfähige Baulandreserven verfügen, eine Bestandspflege kommt für jene Kommunen in Betracht, die aufgrund günstiger Bedingungen nicht akut von Schrumpfung betroffen sind. Die geordnete Schrumpfung setzt voraus, dass überhaupt noch Handlungsoptionen bestehen, so dass noch keine Schrumpfung als Teufelskreis einsetzen muss. Die Schrumpfung als Teufelskreis ist der Worst Case einer Kommunalpolitik, die von Resignation gekennzeichnet ist, falls die schrumpfenden Ressourcen keinesfalls die wachsenden Probleme aufheben können. Treten wirtschaftlicher Strukturwandel, Bevölkerungsrückgang und eine Verschiebung der Nationalitätenstruktur gleichzeitig auf, so kann sich dies zu einem „sich negativ verstärkenden Prozess hochschaukeln“, den die Kommune allein kaum aus eigener Kraft bewältigen kann.22 Es muss auf jeden Fall vermieden werden, dass z.B. leer stehende Wohnungen, Brachflächen oder ein weiterer Abbau von Arbeitsplätzen das Image dieser Städte und Gemeinden weiter belasten. Ziel ist hier der Übergang zur Strategie 21 Deutscher Städtetag 2001. 22 Klemmer 2001, S. 51. 58

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Tab. 2: Typen kommunalen Handelns bei Alterung und Schrumpfung der Bevölkerung Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an ILS NRW 2002a, S. 25 Aktiv

Passiv

Typ

Expansion

Bestandspflege

geordnete Schrumpfung

Schrumpfung als Teufelskreis

Ziel

Randwanderung im Stadtgebiet halten

Prävention durch Attraktivitätssicherung

Nutzung für bessere Lebensqualität

-

Instrumente

Flächenausweisung, Eigenheimförderung

Zielgruppenangebote, Anpassung der Infrastruktur

Infrastrukturrückbau, Brachflächen als Freiräume

Rückerlangung der Handlungsfähigkeit

der geordneten Schrumpfung, wie in Kapitel B6 näher aufgezeigt wird. Ohne eine Intervention von Bund und Land scheint hier eine Lösung der Problematik aus eigener Kraft kaum möglich.

2.7

Handlungsmöglichkeiten des Landes

Die Schrumpfung der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen insgesamt erscheint aktuell wenig dramatisch. Durch die regional differenzierte Überlagerung von natürlicher Bevölkerungsentwicklung und Wanderungen ist die Lage für eine Reihe von Kommunen, insbesondere im Ruhrgebiet, aber besorgniserregend. Politik kann zwar die Geburtenrate nicht direkt beeinflussen, sie schafft aber Rahmenbedingungen und gestaltet Lebensumfelder, die potenzielle Eltern in ihre Entscheidungen einbeziehen. Im Folgenden werden einige Aspekte skizziert, die im weiteren Bericht vertieft werden. Während die Alterung der Bevölkerung einerseits eine entsprechende Anpassung der urbanen Räume erforderlich macht, wird es andererseits notwendig, auch für Kinder, Jugendliche und junge Familien attraktive Stadträume zu entwickeln. Politik steht damit vor der Herausforderung, den Interessen einer zahlreicher werdenden Gruppe alter Menschen gerecht zu werden, ohne dabei die Interessen von Kindern, Jugendlichen und Familien außer Acht zu lassen. Die Interessen von Kindern und alten Menschen sind dabei allerdings nicht prinzipiell gegenläufig. Für die Gestaltung des Wohnumfeldes sind sie sogar weitgehend ähnlich. Sowohl Kinder als auch alte Menschen sind auf sichere Wegebeziehungen und nahräumliche Versorgungsmöglichkeiten sowie leicht erreichbare Freiräume angewiesen. 59

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Ziel des Landes sollte es hier sein, Modellprojekte der Gestaltung alten-, familien- und kinderfreundlicher Städte zu initiieren. Vorreiter einer Stadtpolitik für Kinder und Jugendliche auf Landesebene sind beispielsweise das Land Rheinland-Pfalz mit der in Modellprojekten entwickelten Spielleitplanung oder das Land Schleswig-Holstein.23 Allerdings erstreckt sich die Umsetzung in diesen ländlich geprägten Bundesländern bislang nur auf Dörfer und Kleinstädte. „Nordrhein-Westfalen - Städte für Kinder“ könnte etwa das Signal an Kinder, Jugendliche und deren Eltern sein, das auch die regionalen Wanderungsbewegungen aus den Ballungsräumen beeinflussen könnte. Weitere Ansätze einer kinderfreundlichen Stadtpolitik finden sich in Kapitel B5. Neben der entsprechenden Gestaltung öffentlicher Räume sind auch trotz schrumpfender Bevölkerung familienorientierte Infrastrukturen zu erhalten und weiter zu entwickeln. Aufgrund der finanziellen Notlagen der Kommunen bedarf es auch hier innovativer Wege, die das Potenzial, das die älteren Menschen darstellen, mit den Bedürfnissen von Kindern, Jugendlichen und Familien verbindet. Um aus dem Schrumpfen als Teufelskreis auszusteigen, erscheinen solche grundlegenden Innovationen unumgänglich.

23 Nähere Informationen zur Spielleitplanung unter www.spielleitplanung.de. 60

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B3 Ökonomische Potenziale und regionale Profilierung

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3.1

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Globale Rahmenbedingungen

Die Stadt ist nicht nur Kommunikations-, Kultur- und Wohnort, sondern auch zentraler Standort ökonomischer Transaktionen. Die ökonomische Funktion der Stadt ist allerdings einem ständigen Wandel unterzogen, der sich zudem in den letzten Jahren beschleunigt hat. Dies hat seine Ursache vor allem im Wandel der ökonomischen Wertschöpfungsprozesse selbst: Kapital und Arbeit sind mobiler geworden und dies sowohl international als auch in kleinräumiger Hinsicht. Der Dienstleistungssektor hat gegenüber der klassischen Industrieproduktion die Führungsrolle übernommen und gewinnt weiter an Bedeutung. Gleichzeitig nimmt auch die Tertiärisierung des industriellen Sektors selbst zu. Standortgebundene Wirtschaftsbereiche wie Kohle und Stahl weichen räumlich flexibleren Produktionszweigen, die in starkem Maße auf überall verfügbare Produktionsfaktoren zurückgreifen können. Neue Informations- und Kommunikationstechnologien wie das Internet ermöglichen die rasche Verbreitung und den unmittelbaren Austausch von Wissen auch abseits großer Agglomerationen, während städtische Kultur, auch Wissenskultur, vor allem für Führungskräfte als so genannter weicher Standortfaktor an Bedeutung gewinnt. Flächenextensive Bodennutzungen wie Einzelhandel, industrielle Großbetriebe, Flughäfen oder Logistikzentren sehen sich in den Städten zunehmender Konkurrenz durch arbeitsintensive Dienstleistungsbetriebe und Wohnnutzung gegenüber. Politische Prioritäten verstärken vielfach diese Konkurrenz. 63

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Inwieweit diese globalen Trends die Städte als Wirtschaftsstandorte eher belasten oder begünstigen, lässt sich nicht generell beantworten. Grundsätzlich ist das Standortwahlverhalten der Unternehmen von sehr unterschiedlichen Motivationsstrukturen geprägt. In diese strategischen Entscheidungen fließen neben harten Kosten- und Absatzkalkulationen auch so genannte weiche soziokulturell geprägte Standortfaktoren, insbesondere bestehende Netzwerke aus Unternehmen, Abnehmern und Forschungseinrichtungen und die spezifischen örtlichen Infrastrukturen ein. Im Einzelnen sind vor allem folgende Zukunftstrends für den Standort Stadt von besonderem Belang:

Langfristige Stabilität von Standortstrukturen Auch wenn in jüngster Zeit sehr viel Aufmerksamkeit auf einzelne Standortverlagerungen gerichtet wurde wie etwa auf den Umzug der Firma Brandt von Hagen in die neuen Bundesländer, erweisen sich langfristig wirtschaftliche Standortstrukturen als äußerst stabil. So haben sich die Standortstrukturen der Automobilindustrie in den 1930er Jahren herausgebildet und bis heute kaum verschoben.1 Ähnliches lässt sich für die Chemische Industrie sagen. Dies wird auch daran deutlich, dass die Neustrukturierung in den neuen Bundesländern in den 1990er Jahren an den historischen Strukturen anknüpfte, was sich an den Investitionen der Automobilindustrie in ihrem ehemaligen Stammland Sachsen, der Chemischen Industrie etwa in Bitterfeld oder der Mikroelektronik in Dresden zeigen lässt. Gegründet werden Unternehmen bevorzugt am Wohnort eines Unternehmers. Die Chance für derartige Gründungen ist dort besonders hoch, wo bereits Unternehmen oder Leitkunden dieser Branche vorhanden sind; Standortverlagerungen werden so lange wie möglich hinausgeschoben. Wenn sie erfolgen, dann meistens in einem Umkreis von etwa 50 Kilometer vom ursprünglichen Standort. So lassen sich die wesentlichen auf sozialen Netzwerken und regionalen Kompetenzen basierenden Stabilitätsfaktoren zusammenfassen.2 Dieses Verhalten ist auch eine der wesentlichen Ursachen für die wirtschaftliche Suburbanisierung, wie in Kapitel B4 näher erläutert wird. Allerdings darf diese Kontinuität nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Standortstrukturen auch weltweit verändern. Globale Investitionen erfolgen in der Regel als Erweiterungsinvestitionen - sie folgen dem Markt. Daraus ergibt sich, dass gerade in den Kernbranchen des produzierenden Gewerbes nur noch

1

Vgl. Rehfeld 1993.

2

Vgl. Rehfeld 1999.

64

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begrenzt Wachstumsimpulse über den Export realisierbar sind. Bei gleichzeitig anhaltender Rationalisierung wie auch steigender Konkurrenz durch internationale Anbieter wird generell kein Beschäftigungswachstum im unmittelbar produzierenden Bereich mehr zu erwarten sein. Die Veränderungen verlaufen langfristig und sektoral sehr selektiv. Die sich daraus ergebende Verschiebung zu den Dienstleistungsbranchen ist daran sichtbar, dass der industrielle Sektor in den städtisch strukturierten Regionen Nordrhein-Westfalens bereits heute stark unterproportional vertreten und damit keineswegs mehr an den Standort Stadt und seine spezifischen Merkmale gebunden ist.

Regionale Kompetenz bzw. Clusterbildung als Standortfaktor Es lässt sich eine steigende Bedeutung der regionalen Kompetenz als Standortfaktor konstatieren. Diese Kompetenz hängt eng mit den spezifischen regionalen sektoralen Profilen (Clustern) zusammen, ist also immer begrenzt.3 Hervorzuheben ist, dass sich die Clusterbildung und -entwicklung gängigen Unterscheidungen wie Industrie oder Dienstleistungen, kleine oder mittlere Unternehmen, alte oder neue Wirtschaft entzieht. Cluster sind auch nicht ohne weiteres mit der Konzentration von Unternehmen einer Branche gleichzusetzen. Wesentlich ist vielmehr, dass für bestimmte Wertschöpfungsketten notwendige und differenzierte Kompetenzen vor Ort konzentriert sind und zwischen diesen Elementen vielfältige, informelle und formelle Austauschprozesse bestehen, die Grundlage für eine innovative regionale wirtschaftliche Dynamik bilden. In der Terminologie der klassischen Standorttheorie Webers geht es letztlich darum, Lokalisations- und Urbanisationsvorteile zu schaffen:4 • Lokalisationsvorteile entstehen aus der räumlichen Nähe von Unternehmen mit gleicher oder zumindest ähnlicher Branchenausrichtung. Zentrale Elemente von Lokalisationsvorteilen sind das Vorhandensein entsprechend ausgebildeter bzw. spezialisierter Arbeitskräfte, einschlägiger Vorproduktlieferanten und gegebenenfalls spezifischer Infrastrukturen. Hinzu kommt der Informationsvorteil aus der räumlichen Nähe zu den unmittelbaren Konkurrenten, was etwa neue Techniken, Produkte und Absatzwege betrifft. Wichtig ist auch, dass die lokalen Entscheidungsträger in Politik, Verwaltung und Banken die Spezifika und Bedürfnisse der betreffenden Branchen kennen

3

Die Begriffe Cluster und Kompetenzfelder werden hier synonym benutzt. Sie ließen sich zwar theoretisch durchaus unterscheiden und präziser definieren, wir folgen hier aber dem Sprachgebrauch der Strukturpolitik in Nordrhein-Westfalen, der ebenfalls zwischen beiden Begriffen nicht unterscheidet.

4

Vgl. Weber 1909; Maier/Tödtling 1992, S. 103ff. 65

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und so eine vertrauensvolle Zusammenarbeit auch in schwierigen Situationen ermöglicht wird. • Urbanisationsvorteile sind allgemeinerer Natur und entstehen auch schon dann, wenn Unternehmen und Betriebe ganz unterschiedlicher Branchen regional konzentriert sind. Klassische Beispiele für solche Vorteile sind eine entsprechend ausgebaute allgemeine Infrastruktur, ein hohes örtliches Nachfragepotential sowie weiche Standortfaktoren wie zum Beispiel das Flair und die Vielschichtigkeit des Lebens und Arbeitens in einer Großstadt. Auf dieser Basis können durchaus branchenübergreifende Cluster etwa im Sinne einer Dienstleistungshochburg, einer Technologieregion oder einer Industriestadt entstehen. Die in der regionalisierten Strukturpolitik angestrebte Ausrichtung an Kompetenz- bzw. Clusterentwicklung ist allerdings meist wesentlich enger gefasst. Sie setzt auf technologieintensive, als zukunftsträchtig eingestufte Unternehmen und sucht diese auf engem Raum zu konzentrieren. Eigens dafür angelegte Technologie- und Medienparks sollen diese Unternehmen miteinander sowie mit möglichen Kunden, Kapitalgebern und Arbeitskräften in Kontakt bringen und ihnen darüber hinaus vor allem in der Anfangsphase Kostenvorteile verschaffen. Die bisherigen Erfahrungen mit dieser Art von Clusterpolitik sind indessen zwiespältig: So können die Hochschulgründungen auch in Nordrhein-Westfalen in der Regel als Beispiele für einen gelungenen Impuls zum Strukturwandel in der Region genannt werden. Ihre besondere Stärke liegt dabei in zwei Faktoren begründet: Ein erster Faktor ist die Breite der akademischen Infrastruktur, die eine Vielzahl von Qualifikationen vorhält und ausbildet und insofern eine der essentiellen Grundlagen zur Entwicklung in Richtung auf eine Wissensgesellschaft legt. Jene Entwicklung benötigt - und dies bezeichnet den zweiten Faktor - Zeit, um einen Diffusionsprozess zu bewirken und nachhaltige Wohlfahrtssteigerungen zu ermöglichen. Neben der Funktion einer Hochschule als Bildungsfaktor, übernehmen die Hochschulen vielfach auch die Funktion eines regionalen Innovationsfaktors. Aus beiden Funktionen resultiert ein direkter Standortzusammenhang zwischen Hochschule und der regionalen Unternehmensstruktur. Während Technische Hochschulen eine besonders starke Anziehungskraft auf privatwirtschaftliche forschungsintensive Unternehmen ausüben, profitieren insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen vom Technologietransfer mit den Fachhochschulen. Aufgrund der wachsenden 66

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Wissensintensität bei der Güter- und Dienstleistungsproduktion nimmt die regionale Bedeutung von universitären und privaten Forschungseinrichtungen stetig zu. Auch der Erfolg von Technologie- und Gründerzentren hängt entscheidend von der regionalen Verfügbarkeit innovativen Wissens ab. Dieses ist fast zwangsläufig an die Existenz von Hochschulen mit technischen Schwerpunkten gebunden. Eine ausreichende Anzahl und Qualität von Spin-off Gründungen aus den Hochschulen und damit eine genügend große Zahl von Absolventen ist zwingende Voraussetzung für den langfristigen Erfolg solcher Zentren. Zu den regional sehr differenzierten Erfahrungen mit Technologiezentren zählt auch, dass sich insbesondere solche Zentren als erfolgreich erwiesen haben, denen die Konzentration auf ein oder mehrere Cluster gelungen ist. Die meisten Technologieparks sind indessen heute kaum noch von herkömmlichen Gewerbegebieten zu unterscheiden. Vielfach ist es zu Fehlbelegungen dergestalt gekommen, dass sie beispielsweise als konventionelle Büroräume genutzt werden, nicht aber als Räume wirklich technologieintensiver Unternehmen. Im Sinne des ursprünglich angestrebten Zweckes müssen sie als Fehlinvestitionen, in einigen Fällen sogar als Investitionsruinen bezeichnet werden. Die Investition hat sich nur dann für die Region gelohnt, wenn es gelingt, die Unternehmen und deren Beschäftigte nach erfolgreichem Ausscheiden aus dem Technologiezentrum auch langfristig an die Region zu binden. Dies stellt große Herausforderungen an die regionalen Wohn- und Wohnumfeldqualitäten. Gerade bei innovativen Projekten zeigt sich, dass ungeachtet der Möglichkeit neuer Technologien die Face-to-Face-Kontakte und das vor Ort gebündelte, nicht transferierbare implizite Wissen eine anhaltend zentrale Bedeutung haben. Zudem sind Innovationen immer mit Unsicherheit verbunden, welche durch soziale, in einer Region verdichtete Netzwerke reduziert werden kann (innovative Milieus). Freilich setzt dies auch eine gewisse Vielfalt voraus, weshalb die Bildung von Kompetenz-Clustern keineswegs zu einer Monostrukturierung führen sollte. Des Weiteren haben Analysen der Standortstrategien von Unternehmen gezeigt, dass diese sich keineswegs nur an niedrigen Produktionskosten orientieren, sondern bevorzugt solche Standorte auswählen, die eine spezifische Kompetenz für Innovationen in bestimmten Produktionsketten aufweisen. Festzuhalten ist: Für wirtschaftlichen Erfolg im Allgemeinen und für Innovationen im Besonderen wird die Fähigkeit immer wichtiger, eine Vielfalt unterschiedlicher Kompetenzen zusammenzubringen. Dabei müssen die inner- und zwischenbetrieblichen Strukturen neu organisiert und auf neue Märkte hin gebündelt werden. Dies setzt Netzwerke oder Standortverbünde voraus. Deshalb machen vor Ort verfügbare Fertigkeiten, Gutachten, Zulieferer, Aus- und Weiterbildungsein67

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richtungen sowie effektive lokale Institutionen einen künftig wettbewerbsfähigen Standort aus. Zweifellos haben die Städte in dieser Hinsicht spezifische Standortvorteile gegenüber weniger verdichteten Räumen. Inwieweit diese Vorteile in Zukunft an Bedeutung eher zu- oder abnehmen werden, ist allerdings nicht eindeutig. Verschiedene Einflussfaktoren spielen hier eine Rolle, und diese weisen nicht alle in dieselbe Richtung.

Neue Produktionskonzepte Die kurzen Produktlebenszyklen verlangen von Produktionskonzepten der Zukunft ein immer höheres Maß an Flexibilität. Konzepte wie Smart-, Mini- oder E-Factory ermöglichen die Einrichtung mobiler modularer Produktionsstätten, in denen sich Alternativstrategien schnell realisieren lassen. Die flexiblen Produktionsanlagen orientieren sich an den Erfordernissen der Produkte und nicht an denen der Produktionstechniken.5 Damit steigt insgesamt der Anspruch an qualifiziertes Personal und an die technische und wissensorientierte Infrastruktur am Standort. Die raumprägende Bedeutung dieser neuen Produktionskonzepte ist umstritten. Sie können durchaus im Rahmen von Konzepten wie Just-in-Time, Smart-Factory oder Produktionsverbünden zur Bildung neuer Standorte wie etwa in der Automobilindustrie oder zur Neupositionierung traditioneller Standorte wie bei den Chemieparks führen. Hier besteht eine enge Beziehung zu den oben skizzierten Kompetenz- bzw. Clusteraspekten, insbesondere wenn bisher innerbetrieblich geleistete und koordinierte Funktionen durch zwischenbetriebliche, vernetzte Kooperationen substituiert werden. Während die Verfügbarkeit von hochqualifizierten Arbeitskräften und ihre Wissenskultur die Stadt als Standort für solche Produktionskonzepte tendenziell begünstigt, dürften sich eingeschränkte Flächenverfügbarkeit und Verkehrsprobleme besonders nachteilig auswirken.

Tertiärisierung bzw. Wissensbasierung Die klassische Drei-Sektoren-Hypothese als Grundmodell wirtschaftlichen Strukturwandels wird in jüngerer Zeit durch einen weiteren Trend, nämlich die zunehmende Wissensbasierung aller Branchen bzw. Wirtschaftsbereiche überlagert. Nicht nur Dienstleistungen, auch industrielle Produktionen erfordern heute einen hohen Einsatz von Informationen, Kommunikation und Expertenwissen, das nicht überall in gleichem Maße verfügbar ist.

5 68

Vgl. Kalcic 2002.

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Ökonomische Potenziale

Die räumlichen Konsequenzen des wirtschaftlichen Strukturwandels sind indessen nicht eindeutig. Da sich Dienstleistungsproduktion aufgrund der notwendigen Marktnähe wesentlich stärker im Raum verteilt als der sekundäre Sektor, ist insoweit zwar von einer Dezentralisierung der Wirtschaft auszugehen, zumal sich auch die Bevölkerung gleichmäßiger im Raum verteilt. Dieser Trend wird noch dadurch verstärkt, dass auch industrielle Produktion zunehmend mit Dienstleistungen wie Betreibung, Betreiberfunktionen, Überwachung und Wartung oder Abrechnungssystemen unterstützt wird.6 Gleichzeitig zeigt sich aber bei höherwertigen Dienstleistungen ein wachsendes metropolitanes Standortverhalten. Die Anbieter solcher Dienstleistungen suchen in den sogenannten Global Cities Agglomerationsvorteile, welche ihnen das Umland nicht bieten kann. Bei der bereits angesprochenen Bildung von Clustern spielt vor allem das nicht ohne weiteres transferierbare, implizite Wissen eine zentrale Rolle, welches tendenziell die agglomerierten Räume begünstigt. Auch zeigt sich insbesondere bei den hochwertigen unternehmensbezogenen Dienstleistungen vielfach ein (Re-)Import von der Peripherie in die Zentren bzw. Mittelzentren. Dies gilt auch für solche Prozesse, die in den vergangenen Jahren Träger von Suburbanisierung waren, etwa Finanzdienstleistungen.7

Urbanes und metropolitanes Milieu als Standortfaktor Ein städtisches, kreatives Umfeld spielt sowohl für Anbieter unternehmensorientierter Dienstleistungen, die sich oft in ummittelbarer Nähe ihres Wohnstandortes gründen8, als auch für die Standortwahl großer Konzerne eine wichtige Rolle und kann insofern als Urbanisationsvorteil gesehen werden. Der Organisationsraum, also der Konzern- oder Kooperationsverbund, in dem sich einzelne Unternehmen bewegen, ist zwar zunehmend global. Dennoch muss der konkrete Standort attraktiv genug sein, um die notwendigen Beschäftigten zu binden, und auch für Kunden- oder Zuliefererkontakte (Schulung, Projekte, Präsentation etc.) wird ein repräsentativer Standort zunehmend als wichtig angesehen. Dies betrifft ebenso das Interesse an Repräsentation durch die Unternehmen selbst (Architektur, Ausstellungen, Sponsoring) wie auch deren Forderung nach einem regionalen Umfeld mit einer hohen Lebensqualität, also nach stärkerer Pflege der weichen Standortfaktoren. Für diese Unternehmen sind ebenso wie bei den oben angesprochenen Dienstleistern städtebauliche Qualitäten in Verbindung mit günstigen Mietpreisen und guter innerstädtischer Infrastruktur von Bedeutung. 6

Vgl. Lay 1998.

7

Vgl. Neuhoff 1998, S. 50ff.

8

Diese Wirtschaftssubjekte lassen sich durch die üblichen Statistiken kaum einfangen, spielen aber sowohl als Wirtschaftsfaktor als auch als Standortfaktor eine wichtige Rolle. 69

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Veränderte Nachfrage- und Konsumstrukturen Bei den veränderten Nachfrage- und Konsumstrukturen handelt es sich um sehr unterschiedlich wirkende Trends, deren raumwirksame Bedeutung noch längst nicht eindeutig erkennbar ist und die daher hier nur exemplarisch angeführt werden: • Eine veränderte Freizeitorientierung führt zu einem mobileren Nachfrageverhalten als bisher, insbesondere nach integrierten Konsum- und Freizeitangeboten (vgl. in Kapitel B4 zum Begriff „Generation Regionalstadt“). Dies kann sowohl innerhalb von Städten befriedigt werden wie etwa durch das CentrO in Oberhausen als auch abseits der Städte bzw. in deren Umland, wie die verschiedenen Aktivitäten und Planungen beispielsweise im nördlichen Ruhrgebiet zeigen. • Verschiebungen in der Altersstruktur und damit zusammenhängende Aktionen, die seit einiger Zeit unter Stichworten wie Seniorenwirtschaft oder 50plus geführt werden, zielen darauf ab, die spezifische Kaufkraft älterer Menschen vor Ort zu binden. Auch hier ist das Umland als Konkurrent der großen Städte ebenso aktiv wie die - allerdings mit erheblichen Problemen kämpfenden - Kurorte. • Das gewachsene ökologische Bewusstsein strebt einerseits nach der Ausweitung und Stärkung regionaler Wertschöpfungsketten und der entsprechenden Bindung regionaler Nachfrage. Auf der anderen Seite trägt es zur Verdrängung von emissions- und transportintensiven Unternehmen aus der Stadt bei und manifestiert sich auch in gestiegenen Ansprüchen an die Umweltqualität der Menschen, denen die Städte nur mit überproportionalem Kostenaufwand gerecht werden können.

3.2

Die Städte Nordrhein-Westfalens im ökonomischen Wandel

Die Tatsache, dass rund zwei Drittel der Bevölkerung Nordrhein-Westfalens in Ballungszonen leben, hat in erster Linie wirtschaftshistorische Ursachen. Mit Beginn der Industrialisierung strömten die Menschen Mitte des 19. Jahrhunderts in die großen Städte, um dort Arbeit zu finden. Namentlich im Ruhrgebiet führte dies aufgrund der standortgebundenen Kohle- und Stahlindustrie zur größten Bevölkerungskonzentration in Deutschland überhaupt. Hinzu kamen die großen Industriebetriebe der Chemie- und Automobilindustrie an Rhein und Ruhr, die zusammen mit der eher mittelständisch geprägten Kleineisen- und Textilindustrie im Bergischen Städtedreieck bzw. an Niederrhein und im Münsterland einen riesigen, industriell geprägten Agglomerationsraum bildeten. 70

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Der Bedeutungsrückgang der Industrie ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, im Ruhrgebiet vor allem der Montanindustrie, entzog dieser historisch außergewöhnlichen Konzentration von Menschen und Arbeitsplätzen allmählich ihre ursprüngliche ökonomische Grundlage. Zwar entfalteten die gut ausgebaute Infrastruktur, das große Potenzial von gut ausgebildeten Arbeitskräften und nicht zuletzt die unternehmerische Tradition der Region nach wie vor eine hohe Anziehungskraft. Zudem haben die Universitätsneugründungen in Bochum, Duisburg, Essen und Dortmund diesen Städten und ihrem Umland wesentliche Impulse gegeben und sind auch heute noch Kristallisationskerne des Strukturwandels hin zur Informationsökonomie. Die dadurch ausgelösten Neuansiedlungen von Unternehmen und Menschen konnten jedoch per Saldo die Arbeitsplatz- und Bevölkerungsverluste des Ruhrgebiets nicht ausgleichen. Einige Städte außerhalb des Ruhrgebiets, wie etwa Köln und Düsseldorf an der Rheinschiene oder Münster und Aachen, haben sich inzwischen zu erfolgreichen Standorten hochwertiger Dienstleistungs- und Technologieunternehmen gewandelt. Andere Städte, neben den Ruhrgebietsmetropolen vor allem auch im kleinindustriell geprägten Bergischen Land, waren weniger erfolgreich. Hier überwogen trotz massiver politischer Unterstützung die Verluste von Bevölkerung und Arbeitsplätzen an das Umland. Vergleichbare Prozesse spielen sich auch in anderen Regionen mit früher dominierender Großindustrie ab, etwa an den Werftstandorten oder am früheren Chemiestandort Halle/Bitterfeld in Sachsen-Anhalt. Hier wie dort gilt es, einerseits die traditionellen Standortvorteile und Unternehmensnetzwerke als Ausgangspunkt der weiteren Wirtschaftsentwicklung zu nutzen und andererseits offen für Ansiedlungen anders gelagerter Unternehmen zu sein. Städte im Strukturwandel kommen nicht umhin, zwischen diesen beiden Polen ihren eigenen Weg zu suchen. Wenn die Produktionsfaktoren beweglicher, die Produktionsprozesse schlanker und flexibler und die öffentliche und nicht-öffentliche Infrastruktur allgemeiner verfügbar werden, dann entstehen unter dem Gesichtspunkt der einzelwirtschaftlichen Effizienz zwangsläufig ökonomische Zentrifugalkräfte zugunsten von weniger stark verdichteten Siedlungsstrukturen. Andererseits gibt es insbesondere im Bereich hochqualifizierter Dienstleistungen Fühlungsvorteile zugunsten hoch konzentrierter Branchencluster, die diesen Zentrifugalkräften entgegenwirken. Insgesamt ist daher die räumliche Wirkung branchenspezifisch differenziert zu bewerten. Hinsichtlich der Kosten einer neu aufzubauenden Infrastruktur ist von Bedeutung, die Investitionskosten beim Aufbau von jenen des Unterhalts zu unterscheiden. Erstere sind in der Regel auf den Freiflächen am Siedlungsrand in Relation zur Agglomeration niedriger, da dort zum Beispiel die Bodenpreise und andere Teile der Kostenstruktur niedriger sind. Betrachtet man hingegen die 71

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Kosten des Unterhalts der Versorgungsinfrastruktur, so sind diese für den Ballungsraum aufgrund der höheren Auslastung oft geringer. Auch hinsichtlich der Kosten ist somit eine differenzierte Bewertung nötig. Dies gilt vor allem auch für einen weiteren Aspekt: Es liegt auf der Hand, dass den in den Staatskassen und Umweltbilanzen gegebenenfalls auftretenden Kosten aufgrund steigender Umweltbelastungen infolge der Suburbanisierung erhebliche Gewinne an Lebensqualität für einige Gruppen der Bevölkerung gegenüberstehen können. Sie sind zwar bisher nirgendwo exakt beziffert, können aber durchaus ein Vielfaches der in der politischen Diskussion im Vordergrund stehenden externen Kosten ausmachen. Jene Kosten und Nutzen können nicht ohne weiteres gegeneinander aufgerechnet werden, da sie zu unterschiedlichen Zeiten anfallen und daher unterschiedliche Bevölkerungsgruppen, im Sinne von Generationen, betreffen. Die volkswirtschaftlich einzig mögliche Lösung des Problems wäre daher, alle echten Kosten möglichst sachgerecht ihren Verursachern anzulasten und dann den Wettbewerb der Standorte entscheiden zu lassen. Wo eine hinreichend sachgerechte Zurechnung nicht möglich ist, müsste von der Politik eine besonders sorgfältige Entscheidung eingefordert werden.

3.3

Kompetenzfelder, Strukturpolitik und kommunale Wirtschaftsförderung

Die kommunale Wirtschaftsförderung hat in den vergangenen Jahrzehnten eine grundlegende Ausweitung des Aufgabenspektrums erlebt: Konzentrierte sich Wirtschaftsförderung bis weit in die 1970er Jahre hinein auf die Erschließung von Gewerbeflächen und die Bereitstellung wirtschaftsnaher Infrastruktur sowie auf die Akquisition neuer und die Umsiedlung vorhandener Unternehmen, so kamen in den folgenden Jahren umfangreiche Aufgabenbereiche hinzu. Technologieförderung und Technologietransfer, Existenzgründung und Zugang zu Risikokapital, Sicherung von Betriebsübernahmen, Netzwerkmanagement und Entwicklung von Clustern, Kompetenzfeldern oder Wertschöpfungsketten sind Zielsetzungen, die sich in der einen oder anderen Form mittlerweile in allen Wirtschaftsförderungseinrichtungen finden. Bei der Entwicklung von Kompetenzfeldern geht es nicht darum, alle Anstrengungen auf eine (neue) Branche zu konzentrieren, sondern vielmehr darum, bereits vorhandene Branchen im städtischen oder regionalen Umfeld bei ihrer Spezialisierung, Ausdifferenzierung, Neuorientierung und ihrem Wachstum zu unterstützen. In jeder Kommune oder Region finden sich dazu mittlerweile weitere Einrichtungen der Wirtschaftsförderungen wie zum Beispiel Entwicklungs72

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agenturen oder Regionalbüros, kommunale oder regionale Marketinggesellschaften, Einrichtungen des Technologietransfers bzw. Innovations- oder Gründerzentren, nicht zuletzt kooperative Arbeitskreise etwa als Beschäftigungsbündnis oder im Rahmen der Agenda 21. Vor diesem Hintergrund erfolgte auch die Neuorientierung der Strukturpolitik des Landes Nordrhein-Westfalen sukzessive seit Anfang der 1990er Jahre unter Stichworten wie Cluster, regionale Netzwerke und Kompetenzfelder. Diese Neuausrichtung ist durch folgende Perspektiven gekennzeichnet: • Es wird versucht, ein regionales Profil (möglichst als überregionales wenn nicht international ausstrahlendes Alleinstellungsmerkmal) herauszuarbeiten und in seiner Entwicklung zu unterstützen. • Die Ausrichtung auf Cluster zielt dabei auch darauf ab, die immer knapper werdenden strukturpolitischen Mittel strategisch zu bündeln. • Auf der regionalen Ebene werden Kompetenzen dann als vorhanden angesehen, wenn diese komplementär zu einander, also nicht zu breit gestreut sind. • Regionale Akteure aus Unternehmen, Politik und Verwaltung, Gewerkschaften und Verbänden sollen in einer Art miteinander vernetzt werden, dass ihren Aktivitäten eine gemeinsame Orientierung zugrunde liegt und damit eine strategische Bündelung möglich wird. • Der erhoffte Vorteil besteht darin, dass aus dem Zusammenwirken der verschiedenen Ressourcen eine Dynamik entsteht, die dazu beiträgt, dass Innovationen in dieser Region häufiger stattfinden als in anderen Regionen. • Schließlich wird davon ausgegangen, dass innerhalb einer derartigen Konstellation vielfältige informelle Prozesse vor allem auch in Form des Austauschs informellen Wissens ablaufen, die regional einmalig und daher auch nur schwer zu imitieren und zu transferieren sind. Auf der Grundlage dieser Überlegungen hat die Landesregierung NordrheinWestfalen im Zuge der Weiterentwicklung der regionalisierten Strukturpolitik seit 1993 in mehreren Programmen regionale Kompetenzfelder definiert: • Informations- und Kommunikationstechnologien, • Logistik, • Mikrostrukturtechnik und Mikroelektronik, • Neue Werkstoffe, • Medizintechnik und Gesundheitswirtschaft, • Design, • Wasser- und Abwassertechnik, • Maschinenbau, 73

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• Tourismus und Freizeit, • Energie und neue Energietechniken, • Bergbautechnik und • neue Chemie. Die ersten Eindrücke aus diesen Projekten sind ambivalent, da die Entwicklung und Vernetzung innerhalb der einzelnen Kompetenzfelder sehr unterschiedlich erfolgt. Insbesondere hinsichtlich der begrenzten Einbindung von Unternehmen sowie der mangelnden Erfahrungen und institutionellen Ausrichtungen der für die Umsetzung zentralen Akteure ist Kritik angebracht, da die Engpässe bei der Umsetzung des Konzepts auf der Hand liegen. Andererseits kann sich der Kompetenzfeldansatz - soweit er seitens der Landesregierung klug eingesetzt wird und nicht zu einer Bevormundung der Städte führt - durchaus als wirtschaftlich lohnend erweisen. Für eine systematische Bewertung ist es ohne Zweifel noch zu früh, da wirtschaftsstrukturelle Veränderungen nur sehr langfristig wirken. Harte Evaluierungsverfahren für strategische Ansätze, die auf Interaktion, Aktivierung und Vernetzung ausgerichtet sind, befinden sich bestenfalls noch in der Erprobung.9 In Kompetenzfeldern regionale Stärken profilieren Eine erste Einschätzung des Kompetenzfeldansatzes sollte folgende Aspekte berücksichtigen, die gleichzeitig als Checkliste und Voraussetzung für seine erfolgreiche Umsetzung gelten können: • Es ist nicht möglich, Cluster oder Kompetenzfelder aus dem Nichts aufzubauen. Die Entwicklung und Unterstützung von Clustern soll an den vorhandenen Wirtschaftsstrukturen ansetzen und die vorhandenen Stärken stärken. Dem entspricht, dass die Wurzeln von Clustern oft jahrzehntelang zurückreichen. Dabei ist dies keineswegs ein nur in größeren Städten vorkommendes Phänomen: Es können durchaus auch kleinere Städte eine Vorreiterrolle bei spezifischen Branchen innerhalb Nordrhein-Westfalens einnehmen (etwa Unna als Logistikstandort, Lippstadt im Technologiebereich Messen, Steuern, Regeln). • Es gilt, die Potenziale für neue Cluster oder für die Veränderung von Clustern möglichst früh zu erkennen und ihre weitere Entwicklung durch wirtschaftspolitische Maßnahmen zu unterstützen. Abhängig davon, ob bestehende Branchen bei der Umstrukturierung unterstützt oder aber Unternehmensneugründungen gestärkt werden sollen, lassen sich verschiedene Formen von Kompetenzfeldpolitik unterscheiden.10 9

Zum Stand der methodischen Forschung vgl. Gornig/Toepel 1998.

10 Vgl. Rehfeld/Baumer/Wompel 2000. 74

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In Abwägung des Für und Wider hängt erfolgreiche Kompetenzfeldpolitik nicht zuletzt von dem aktiven Beitrag aller Beteiligten ab und ist daher wesentlich weniger planbar oder von den Ergebnissen her definierbar als frühere Konzepte der Strukturpolitik. Auf Kompetenzfelder ausgerichtete Strukturpolitik wirkt eher als Katalysator für die Interaktion wirtschaftlicher und öffentlicher Akteure. Die Stärkung der lokalen Ökonomie, wie sie im Programm Soziale Stadt vorgesehen ist, hat zwar einen Bezug zum Strukturwandel, diesen aber vielfach eben nur lokal (z.B. in Form von Handwerkerhöfen). Eine Verknüpfung mit dem Kompetenzfeldansatz oder auch nur der gesamtstädtischen Profilbildung ist im Einzelfall lohnend, kann jedoch längst nicht immer geleistet werden. Um dem Beratungsbedarf insbesondere kleinerer und mittlerer Städte konzeptionell entgegenzukommen, könnte das Land Erfahrungen aus den Städten auswerten, diese für die verschiedenen Stadttypen aufbereiten und den Kommunen zur Verfügung stellen. Dabei ist es wichtig, verschiedene Evaluierungs- und Beratungsebenen möglichst zusammenzuführen. Es dürfte zudem für die künftige Umsetzung der Cluster- oder Kompetenzfeldpolitik zentral sein, ihre Erfolge regelmäßig zu evaluieren und durch Qualitätskriterien Standards zu setzen. Wenngleich dies in erster Linie eine Aufgabe unabhängiger wissenschaftlicher Institutionen ist, könnte das Land hier durchaus eine Orientierungsfunktion übernehmen.

3.4

Die wirtschaftliche Entwicklung der Städte in Nordrhein-Westfalen - eine Typisierung

Die Städte Nordrhein-Westfalens stehen im Standortwettbewerb der Zukunft nicht alle mit den gleichen Voraussetzungen da. Es kommt darauf an, den Städten eine Standortpolitik im Sinne ihrer spezifischen Begabungen und Vorteile zu ermöglichen. Das Leitbild sollte fairer Standortwettbewerb in diesem Sinne und nicht die Nivellierung unterschiedlicher Begabungen und Anstrengungen der Vergangenheit sein. Die Bewältigung des wirtschaftlichen Strukturwandels verdient besondere Beachtung in ihrer Bedeutung als eigenständiges Handlungsfeld der Politik. Die Vielfalt der Städtetypen steht dabei der Verbreitung von Patentrezepten für die Landespolitik entgegen. Fragt man nach den städtischen Chancen und Risiken im Einzelnen, so kristallisieren sich unter den 77 Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern in Nordrhein-Westfalen sechs unterschiedliche Städtegruppen heraus, von denen jeweils drei aus heutiger Sicht eher gute, die anderen drei eher risikobehaftete Zukunftsperspektiven haben (vgl. Abb. 1). 75

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Abb. 1: Verteilung der wirtschaftsstrukturellen Stadttypen in Nordrhein-Westfalen Quelle: Gärtner/Grote Westrick/Helmstädter/Rehfeld

Oberzentren mit vorrangig metropolitanen und wissensbasierten Sektoren Die erste Gruppe von Städten umfasst Oberzentren mit vorrangig metropolitanen und wissensbasierten Sektoren - im Folgenden kurz Metropolen genannt. Die fünf Städte dieser Gruppe zeichnen sich durch einen überproportionalen Anteil an wissensbasierten Dienstleistungen und metropolitanen Sektoren aus: Mindestens 17 Prozent der Beschäftigten in Aachen, Bonn, Düsseldorf, Köln und Münster arbeiten in einem dieser Sektoren, gut sechs mal so viele wie im Durchschnitt der 77 Städte. Metropolitane Funktionen nehmen diese Städte innerhalb Nordrhein-Westfalens durch die überproportionale Präsenz des Finanz- und Versicherungssektors, des Linienflugverkehrs, der auswärtigen 76

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Angelegenheiten und der Hörfunk- und Fernsehanstalten ein. Bei den wissensbasierten Dienstleistungen übernehmen sie eine ähnlich wichtige Position im Lande: Hochschulen und Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen, Unternehmensberatungen und die Werbebranche sind Bereiche, die sich vorrangig in den Landesmetropolen konzentrieren. Alle Metropolen sind Oberzentren mit einem mindestens 750.000 Menschen umfassenden Versorgungsgebiet. Ihre Bedeutung spiegelt sich auch in hohen Pendlerüberschüssen wider: So pendeln zum Beispiel nach Düsseldorf und Köln täglich weit über 100.000 Berufstätige. Die Städte selbst zeichnen sich zudem durch eine sehr hohe Einwohnerdichte aus. Zwar verlieren auch die Metropolen aufgrund der anhaltenden Suburbanisierung Bevölkerung. Auf der anderen Seite sind sie aber - im Gegensatz zu anderen Großstädten - auch starke Anziehungspunkte für neue Zuwanderung. Diese Bevölkerungsgewinne, die aus anderen Groß- und Mittelstädten oder dem ländlichen Raum generiert werden, kompensieren die Verluste der Suburbanisierung nahezu. Beide Entwicklungen sind Zeichen für die Attraktivität der Metropolen, sowohl im wirtschaftlichen als auch im privaten Bereich. Die einzigartige Konzentration verschiedener, hochwertiger Dienstleistungen ist der spezifische Standortvorteil der Metropolen. Es gibt zwar nur sehr wenige Branchen, die auf diese Konzentration objektiv angewiesen wären und für die sich daher jegliche Standortalternative ausschließen würde. Jedoch werden die vorhandenen Urbanisationsvorteile der Metropolen wie die kurzen Wege, die formellen und informellen Kontakte in einer Stadt und das kreative Milieu einer Branche (zum Beispiel Medien) sehr hoch eingeschätzt und sind in dieser Form eben nur hier zu finden.

Städte im Sog von Metropolen bei breitem Sektorprofil Die einzelnen Stadttypen stehen bewusst nicht für sich, sondern sind mehr oder weniger deutlich auf ihr Umland bezogen. Besonders deutlich wird dies an den zwölf Städten im Sog von Metropolen und ihrem wechselseitigen Verhältnis zu diesen. Damit nehmen sie eine Zwischenposition zwischen dem ersten und dem zweiten Städtetyp ein. Die hier zusammengefassten Städte Neuss, Willich, Hilden, Hürth, Kerpen, Pulheim, Ratingen, Erftstadt, Langenfeld, Meerbusch, Mülheim an der Ruhr und Viersen liegen zum Teil in direkter Nachbarschaft zu den Metropolen Köln oder Düsseldorf. Ähnlich wie diese haben sie einen überdurchschnittlich hohen Dienstleistungsanteil, wenngleich dieser deutlich schwächer ausgeprägt ist und vor allem die allgemeinen unternehmensnahen Dienstleistungen betrifft. Die Abhängigkeit von den Metropolen ist keineswegs einseitig, denn es bestehen wechselseitige Interdependenzen, die auch für die Metropolen sehr wichtig 77

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sind. Viele Städte haben neben ihren zum Teil ursprünglichen Branchen und dem Handel eine Nische gefunden, in der sie weitere Dienstleistungen für das Umland bzw. speziell für den Metropolraum zur Verfügung stellen. In Hürth ist dies beispielsweise der Medienbereich mit großen Kapazitäten in der TV-Produktion, Ratingen hat sich als attraktiver Unternehmenssitz mit einem hohen Anteil wissensbasierter Dienstleistungen wie Unternehmensberatungen, Werbefirmen, Softwarehäusern sowie Ingenieur- und Architekturbüros in der Nähe Düsseldorfs etabliert. Weitere Beispiele sind Viersen mit einem hohen Anteil an Infrastrukturwirtschaft bzw. Entsorgung sowie Neuss und Langenfeld mit überdurchschnittlichen Anteilen im Speditions- bzw. Post- und Kurierdienst. Pulheim steht stellvertretend auch für andere Städte der Region als spezialisierter und zukunftsträchtiger Speditionsstandort. Allerdings stagniert das Wachstum in fünf Städten dieser Gruppe. Bis auf Mühlheim an der Ruhr und Viersen hat sich in den Städten dieser Gruppe die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten überdurchschnittlich erhöht. Auch hier kann dies eindeutig auf den Ausbau der heute starken Sektoren, Handel und unternehmensnahe Dienstleistungen, zurückgeführt werden. Auffällig ist, dass die meisten der Städte mit einem hohen Beschäftigungsanstieg auch einen Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen haben, zum Teil sicher auch ein Effekt der Suburbanisierung aus den Metropolen. Dieser positiven Entwicklung steht jedoch in der Hälfte der Städte ein Verlust an Kaufkraft gegenüber, eigenartigerweise besonders dort, wo die Zahl der Arbeitsplätze gestiegen ist. Möglicherweise haben die neuen (geringer bezahlten) Dienstleistungsarbeitsplätze in Handel und Logistik das bisherige Durchschnittslohnniveau in diesen Städten gedrückt. Andererseits haben sie die Chance der Nachfrage aus den Metropolen genutzt und die betreffenden Sektoren teilweise strategisch auszubauen gewusst, ohne dabei ihr altes (industrielles) Profil und damit ihre Basis völlig aufzugeben, die als Rückgrat nach wie vor wichtig ist. Ein Vorteil sind sicherlich die gegenüber den Metropolen größeren und günstigeren Flächen, die besonders flächenintensive Dienstleistungen wie Handel, Logistik oder auch die Filmindustrie benötigen. Gerade flächenintensive Unternehmen, die häufiger Probleme mit öffentlicher Straßennutzung oder ähnlichem haben, attestieren kleineren Städten und Kommunen zudem ein besseres Verhältnis zu den Unternehmen.

Städte mit eigenständigem dynamischem Dienstleistungsprofil Die insgesamt sieben Städte mit eigenständigem dynamischem Dienstleistungsprofil unterscheiden sich insofern von den Metropolen, als sie nicht über eine vergleichbare Konzentration metropolitaner und wissensbasierter Dienstleistungen verfügen. Vergleichbar mit den Metropolen kann aber auch bei diesen 78

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Städten ein mehr oder minder klares Profil und ein hohes Zukunftspotenzial ausgemacht werden. Das prägende Element der Städte Bad Oeynhausen, Detmold, Essen, Gütersloh, Paderborn, Sankt Augustin und Unna ist die Kombination aus personenbezogenen, unternehmensbezogenen oder wissensbasierten Dienstleistungen, ergänzt um eine industrielle Basis. Dieses eigenständige Profil sichert ihnen eine relative Unabhängigkeit trotz zum Teil großer räumlicher Nähe und engen Verflechtungen zu einzelnen Metropolen. Die wirtschaftlichen Entwicklungsdaten der letzten zehn Jahre zeigen Stagnationen in Essen, Paderborn und Unna, jedoch auch positive Entwicklungen besonders in den drei anderen Städten in Ostwestfalen-Lippe auf. Diese positive Entwicklung, welche die der Metropolen deutlich übersteigt, lässt auf einen Bedeutungsgewinn dieser Städte in den letzten zehn Jahren schließen. Dabei haben die größten Beschäftigungszuwächse wiederum in den Branchen stattgefunden, die das heutige Dienstleistungsprofil prägen: So waren in Bad Oeynhausen beispielsweise neben 1.400 neu geschaffenen Arbeitsplätzen im Gesundheitswesen auch Zuwächse bei den wissensbasierten Dienstleistungen entscheidend für den Anstieg der Beschäftigtenzahlen. Die wirtschaftlich erfolgreichsten Städte dieser Gruppe liegen somit im ländlichen Raum. Ein Zusammenhang zwischen einer zentralen Lage und einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung kann in diesem Fall nicht abgeleitet werden. Mehr als die Lage im Raum beeinflusst ein eigenständiges, jedoch mit dem Umland vernetztes bzw. komplementär gestaltetes Profil der Stadt deren wirtschaftliche Entwicklung. Für die positive Entwicklung dieser Städte hat neben spezifischen regionalen Voraussetzungen wie dem Vorhandensein eines großen Unternehmens und damit eines bestimmten Milieus auch die frühzeitige Spezialisierung auf wachstumsintensive Bereiche eine Rolle gespielt.

Städte mit industrieller Prägung bei starker Sektor- bzw. Unternehmenskonzentration Die vierzehn Städte mit industrieller Prägung bei starker Sektor- bzw. Unternehmenskonzentration verbindet nicht nur ein stark industriell geprägtes Profil, sie zeichnen sich zudem durch eine hohe Konzentration der Beschäftigten auf einen dominanten Sektor, in vielen Fällen sogar auf ein einziges oder einige wenige Unternehmen aus. Herausragende Beispiele sind Leverkusen, Dormagen, Marl und Bergkamen mit ihrer starken Konzentration auf die Chemische Industrie. Typisch für das nördliche Ruhrgebiet ist zudem der hohe Beschäftigtenanteil von Logistik- und Speditionsunternehmen in Marl, der nur zum Teil in Verbindung zur Chemieindustrie steht. Außer in Dormagen verlief in allen Chemiestädten Nordrhein-Westfalens die wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre sehr negativ. Es sind zwar viele 79

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neue Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor geschaffen worden, jedoch konnten diese nicht den Verlust in der Chemischen Industrie und benachbarten Branchen nicht wettmachen. Die Städte Bottrop, Dorsten, Dinslaken, Bergheim, Eschweiler, Grevenbroich, Duisburg und Gladbeck verbindet demgegenüber ein immer noch dominanter Montansektor. Entsprechend dem Bedeutungsverlust des Sektors ist die Zahl der Beschäftigten in den letzten zehn Jahren auch in diesem Bereich stark zurückgegangen. Bochum und Bocholt schließlich kennzeichnet die starke Dominanz jeweils einiger weniger Unternehmen aus den Bereichen Maschinenbau, Fahrzeugbau oder Elektrotechnik. Daneben zeichnet sich Bochum mit einem Anteil von knapp zehn Prozent auch durch einen relativ hohen Grad an wissensbasierten Dienstleistungen aus, Bocholt durch einen vergleichsweise hohen Anteil der dort traditionell starken Textilindustrie. Bocholt ist ebenfalls ein Beispiel dafür, dass die Arbeitsplatzverluste in den traditionellen Sektoren durch einen stark wachsenden Dienstleistungssektor ausgeglichen werden können. Die Zahl der Arbeitsplätze ist hier von 1990 bis 2000 um knapp 16 Prozent gestiegen, die Kaufkraft um etwa drei Prozent. Gleichwohl ist das Risikopotenzial für die weitere wirtschaftliche Entwicklung der Städte dieser Gruppe hoch. Mit ihren hochkonzentrierten Branchen sind sie im wirtschaftlichen Sinne meist wenig in die Region eingebunden. Auch die Unternehmensvernetzungen sind gering einzustufen, da oft Unternehmen oder Konzerne dominieren, die sich von der lokalen Wirtschaft absondern.

Städte mit industrieller Prägung durch klein- und mittelbetriebliche Sektoren Die fünfundzwanzig Städte mit industrieller Prägung durch klein- und mittelbetriebliche Sektoren spiegeln den Prototyp eines wirtschaftsstrukturell breit gestreuten, noch immer stark industriell geprägten, am Ballungsrand oder in der ländlichen Zone gelegenen Mittelzentrums wider. Die meisten von ihnen haben historisch bedingt einen überdurchschnittlichen Anteil an der Metallerzeugungsund Verarbeitungsindustrie. Die räumlichen Knotenpunkte liegen dabei im Bergischen Städtedreieck, bzw. im Bergischen Land und im Sauerland. Daneben zeichnen sich einige Städte wie zum Beispiel Minden und Arnsberg durch einen hohen Beschäftigungsanteil in der Elektroindustrie oder andere wie Remscheid und Troisdorf durch den Maschinenbau aus. Andere Städte haben einen hohen Anteil an der Automobil80

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zulieferindustrie, welche sich wiederum mit der Metallverarbeitung und der Elektroindustrie überschneidet. Daneben gibt es aber auch noch eine Reihe von Städten, die sich durch einen breiten Branchenmix auszeichnen. Vor allem die beiden Oberzentren Wuppertal und Bielefeld haben einen relativ hohen Anteil an metropolitanen Dienstleistungen und Bildung, Forschung und Entwicklung. Daneben prägt sie ebenso wie insbesondere die Kreisstädte ein überdurchschnittlicher Anteil an öffentlichen Einrichtungen und Verbänden. Trotz zum Teil sehr technologieorientierter und innovativer Branchen wie der Elektroindustrie weisen die Städte dieses Typs jedoch einen teilweise stark unterdurchschnittlichen Anteil an wissensbasierten Dienstleistungen auf. So liegt dieser etwa in Lüdenscheid, Velbert oder Lippstadt nur bei einem Drittel bis 50 Prozent des durchschnittlichen Städteniveaus. Die meisten Städte dieser Gruppe haben hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung keine großen Aufoder Abschwünge in den letzten zehn Jahren durchlaufen. Die Kaufkraft ist vor allem in den Städten des Bergischen Städtedreiecks, das heißt in den traditionell von Metallverarbeitung geprägten Städten, rückläufig gewesen. Im Gegensatz zu den hochkonzentrierten Städten kann für diese netzwerkstrukturierten Städte vermutet werden, dass hier die Branche etwas weniger ausschlaggebend ist für die Entwicklung. Einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung liefert aber die Region. Insbesondere die regionale Einbettung der Branchen, interne und externe Verflechtungen und die Unternehmensstruktur spielen dabei eine wesentliche Rolle.

Städte im Umbruch bei starker sektoraler Streuung Das wirtschaftliche Profil der vierzehn Städte im Umbruch bei starker sektoraler Streuung hat sich durch den Strukturwandel in den letzten Jahren erheblich verändert, lässt aber noch keine klare neue Struktur erkennen. Viele dieser Städte liegen im Kern des Ruhrgebietes, insbesondere in dessen Norden. Außer Herten, Lünen und Castrop-Rauxel haben alle Städte über 100.000 Einwohner, Dortmund mit knapp 600.000 ist die größte. Im Detail weist fast jede dieser Städte ein bestimmtes, jedoch nicht dominantes Profil auf. So zeichnet sich Dortmund durch überdurchschnittliche Anteile an metropolitanen Branchen (Versicherungen), informations- und technologiebezogenen Dienstleistungen (Software), produktionsnahen Dienstleistungen (Architektur- und Ingenieurbüros) und im Bereich Bildung sowie Forschung und Entwicklung (Hochschulen) aus. Castrop-Rauxel verfügt über überdurchschnittlich hohe Beschäftigtenanteile bei der Entsorgung, ebenso wie Herten, das sich auch durch hohe Anteile bei der Fleischverarbeitung und bei den Verkehrs- und Logistikdienstleistungen auszeichnet. Hagen ist in der Metallverarbeitung stark, während Mönchengladbach, Lünen, Oberhausen und Witten im Maschinen81

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und Fahrzeugbau etwa doppelt so viele Arbeitnehmer beschäftigen wie der Durchschnitt der Städte. Neben Dortmund haben auch Siegen und Hagen aufgrund ihrer Hochschulen in diesem Sektor mehr Beschäftigte als der Durchschnitt. Mönchengladbach hat etwa doppelt so viele Beschäftigte in Druckereien und der Satzherstellung und Reproduktion aufzuweisen wie das rechnerische Mittel. Die Profile dieser Städte können jedoch nicht mit denen der hochkonzentrierten oder der stark industriell geprägten Städte verglichen werden. Die Anteile der genannten starken Bereiche in diesen Städten übersteigt den Durchschnitt zwar meist um rund hundert Prozent, jedoch sind es nur selten über fünf Prozent der Beschäftigten, die in diesen Bereichen arbeiten. Die wirtschaftliche Entwicklung ist in den letzten zehn Jahren in allen Städten dieser Gruppe negativ verlaufen, sowohl die Zahl der Beschäftigten als auch die Kaufkraft war durchweg rückläufig. Der Abbau der Arbeitsplätze konnte nur in wenigen Städten durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze kompensiert werden, überwiegend im tertiären Sektor, vor allem im Gesundheitswesen, bei Altersheimen, der Rechts- und Wirtschaftsberatung, der Vermögensverwaltung und den sonstigen Dienstleistungen. Nur in Ausnahmefällen wie Dortmund oder Moers wurden auch neue Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe geschaffen, so zum Beispiel in der Elektrotechnik oder im Maschinenbau. Während einige der Städte dieser Gruppe erst vor kurzer Zeit in die Phase des Umbruchs eingetreten sind und sich noch auf einer Talfahrt befinden, nehmen andere Städte wie zum Beispiel Herten und Dortmund schon eine positive Entwicklung auf. Sie leiden zwar immer noch unter den Auswirkungen der Strukturveränderungen, jedoch kristallisierten sich insbesondere in Dortmund inzwischen Bereiche heraus, die diese Verluste in den nächsten Jahren verstärkt ausgleichen könnten. Fasst man diese Skizzen zusammen, so zeigt sich, dass Ursache und Wirkung einer günstigen oder ungünstigen Entwicklung nicht leicht zu trennen sind. So ist ein hohes durchschnittliches Bildungsniveau der Bevölkerung ein wirtschaftlicher Standortvorteil. Gleichzeitig bringt wirtschaftlicher Wohlstand ein hohes durchschnittliches Bildungsniveau hervor. Kommunale Wirtschaftsförderung muss daher generell breit ansetzen: sowohl bei der Gestaltung von Innenstadt und Wohnumfeld zur Entwicklung eines attraktiven Wohn- und Lebensortes als auch bei der Schaffung von Bildungs- und Kultureinrichtungen. Zudem ergeben sich die Entwicklungspotenziale einer Stadt aus dem Zusammenwirken von natürlichen, unbeeinflussbaren Faktoren wie z.B. der räumlichen Lage und den erzeugten, beeinflussbaren Faktoren wie etwa dem Branchenmix. Die Entwicklungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass keiner der beiden Faktoren allein ausschlaggebend ist. Entgegen vorschneller Erwartungen an eine 82

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virtuelle Ökonomie hat vor allem die Lage im Raum, gekennzeichnet durch Verkehrswege und die Nähe zu den Oberzentren, nach wie vor eine große Bedeutung, auf welche die Wirtschaftsförderung bei der Profilbildung eingehen kann und muss. Für die Wirtschaftsförderung ist dabei zunächst entscheidend, dass die Profilbildung überhaupt in Angriff genommen und seitens der Städte steuernd eingegriffen wird. In großen Städten ist man hier naturgemäß konzeptionell weiter fortgeschritten. Aber auch kleinere Städte sollten, sofern sie es nicht bereits getan haben, rechtzeitig mit einer eigenständigen Profilbildung beginnen. Je kleiner die Stadt ist, desto eher bieten sich dafür regionale Kooperationen an.

3.5

Chancen der Städte Nordrhein-Westfalens im Wettbewerb der Zukunft - Handlungsempfehlungen

Dass die Stadt als urbaner Raum seit geraumer Zeit zu den Verlieren des wirtschaftlichen Strukturwandels und der demografischen Entwicklung gehört, ist eine oft vertretene These, die jedoch keine Allgemeingültigkeit beanspruchen kann. Es ist zwar ein sowohl wirtschaftlicher als auch demografischer Suburbanisierungsprozess von den Zentren in die Peripherie nachweisbar, andererseits werden aber auch alte und neue Potenziale der Städte wieder entdeckt. Einerseits verliert das Gravitationszentrum Stadt an Kraft und die verschiedenen städtischen Funktionen diffundieren ins Umland. Dies betrifft Funktionen wie: • den Standort für die Industrie, bei der sich eine abnehmende Bedeutung aufgrund hoher Grundstückspreise und strenger Umweltauflagen zeigt, • den Handelsplatz, wo die Stadt verstärkt mit Standorten auf der grünen Wiese konkurriert; in Stadtteilzentren und in den Klein- und Mittelstädten, die vielfach unter den Glitzer-Welten auf der Grünen Wiese und in den Großstädten leiden, kann es zu weiterem Konkurrenzdruck durch E-Commerce kommen, • den Bildungs-, Wissenstransfer- und Kulturraum, bei denen die Bedeutung der Stadt als Kristallisationspunkt durch die zunehmende flächendeckende Versorgung mit diesen Infrastrukturkomponenten abnimmt, • Wohnen, bei dem die Stadt durch die zunehmend wahrgenommenen Umwelt- und Verkehrsbelastungen ins Hintertreffen gerät. 83

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Andererseits zeigen sich neben allen Unkenrufen auf die Funktion der europäischen Stadt aber gleichzeitig auch neue und alte Potenziale der Stadt: • Eine zwar kleine - aber dennoch steigende - Bevölkerungsgruppe hat den urbanen Lebensraum wiederentdeckt. Weiche Standortfaktoren wie das lokale Milieu, intraregionale Netzwerke und die Qualität der räumlichen Nähe gewinnen für bestimmte Branchen an Bedeutung. • Der städtische Raum ist dabei mehr als bloßer Standort, er wird zum sozioökonomischen Interaktionsfeld. So breiten sich zum Beispiel Business-toConsumer-Aktivitäten (B2C) in verstädterten Räumen schneller und intensiver aus als in peripheren Regionen, in denen der Nutzen aufgrund mangelnder Zentrenerreichbarkeit eigentlich größer wäre.11 • Innenstädte mit einem größeren Einzugsgebiet - insbesondere die 1a-Lagen - haben aufgrund des Erlebnis- und Eventcharakters des Einkaufs gute Chancen, auch bei zunehmendem Marktanteil im E-Commerce ihre Kristallisationsfunktion zu erhalten bzw. auszubauen. • In Business-to-Business-Beziehungen (B2B) können die Städte ihre urbanen Milieus einbringen und verfügen aufgrund der Unternehmensdichte, insbesondere im Bereich der wissensbasierten Dienstleistungen, über besondere Potenziale bei der webbasierten Vernetzung von Unternehmen (vgl. dazu auch die Ausführungen zum Thema E-Government in Kapitel B7). Die Entwicklung des Handels ist insgesamt ein bipolarer Prozess: Es setzt sich auf Dauer nur das durch, was vom Nachfrager gewünscht wird. Die Ähnlichkeit der Konsumwelten wird vielfach nicht bewusst gewollt oder akzeptiert. Sie ist vielmehr das Nebenprodukt preisbewussten Konsumverhaltens, das Massenproduktion und -vertrieb erforderlich macht. Die Ähnlichkeit der Konsumwelten zwischen Düsseldorf, Singapur und Kuala Lumpur ist somit genauso wie die Etablierung von Permanent-Räumungsverkauf-Filialisten in den 1b-Lagen ein vom Konsumenten ausgelöster Prozess. Das Konzentrationsmaß der Dienstleistungsproduktion ist unter anderem abhängig von ihrem Spezialisierungsgrad und der Höhe der Wertigkeit. So verteilen sich hochwertige unternehmensbezogene Dienstleistungen weniger stark in der Fläche.12 Das urbane Milieu hat besonders für hochwertige Dienstleistungen und hochproduktive Wirtschaftsaktivitäten eine zentrale Bedeutung.13 Zugleich zeigt sich aber bei den unternehmensbezogenen Dienstleistungen eine zeitlich geschichtete Diffusion ins Umland, es kommt zu komplexen Wanderungsprozessen, die mit herkömmlichen Theorien nicht mehr hinreichend erklärt werden können. 11 Vgl. Hassenpflug 2002, S. 53ff. 12 Vgl. Neuhoff 1998, S. 50ff. 13 BBR 2000, S. 23ff. 84

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Neben der Verödung von Innenstädten ist auch eine Aufwertung einzelner urbaner Quartiere mit individualisiertem Einzelhandel sowie der Metropolen erkennbar. Factory Outlets entstehen weiterhin auf der Grünen Wiese, während räumlich nicht integrierte Shopping Malls ihren Zenit bereits überschritten haben könnten. Ein gewisser Trend wieder hin zu innerstädtischen Entwicklungen ist durchaus erkennbar (siehe Näheres zu den räumlichen Entwicklungen in Handel und Dienstleistungen in Kapitel B4).

Entwicklungschancen und Handlungsoptionen für die sechs ökonomischen Städtetypen Die Entwicklungschancen der Städte in Nordrhein-Westfalen stellen sich insgesamt als dispers dar, wobei folgende Chancen und Handlungsoptionen der sechs oben charakterisierten Städtetypen im Wettbewerb der Zukunft identifiziert werden können.

Oberzentren mit vorrangig metropolitanen und wissensbasierten Sektoren Die Oberzentren mit vorrangig metropolitanen und wissensbasierten Sektoren haben gute Chancen, sich auch in Zukunft als Oberzentren mit den entsprechenden Funktionen präsentieren zu können. Ihr urbanes bzw. metropolitanes Milieu wirkt zunehmend als wichtiger Standortfaktor, um ein kreatives, repräsentatives und attraktives Umfeld für Unternehmer zu schaffen. Eine industrielle Basis bietet auch für Metropolen nach wie vor komplementäre Wachstumschancen, jedoch muss diese nicht in der Stadt vorhanden sein, sondern kann auch ins Umland diffundieren. Die Metropolen können von einer funktionsfähigen Arbeitsteilung mit ihren komplementären Umlandstädten sogar profitieren. Sie könnten ohne dieses „Überlaufbecken“ für Dienstleistungen, Produktion und Wohnfunktion gar nicht funktionieren. Zudem stehen sie nicht nur untereinander, sondern auch mit international profilierten Standorten wie Frankfurt, London oder Tokio im Wettbewerb um Unternehmenszentralen, staatliche Organisationen und Verbände. In diesem Wettbewerb kann eine arbeitsteilige Kooperation sowohl untereinander als auch und vor allem mit den Umlandstädten von entscheidendem Vorteil sein. 85

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Städte im Sog von Metropolen bei breitem Sektorprofil Die Städte im Sog von Metropolen haben aufgrund ihrer in den letzten Jahren ausgebauten Position eine gute Chance, sich auch weiterhin positiv zu entwickeln. Auf dieser Basis können sie zum einen die Strategie verfolgen, sich wirtschaftsstrukturell komplementär zur Metropole zu entwickeln, also in einem möglichst abgestimmten arbeitsteiligen Prozess eine notwendige Entlastungsfunktion für die Metropolen einzunehmen. Damit würden sie sich allerdings stark von der Entwicklung der jeweiligen Metropole selbst abhängig machen. Deshalb ist auch die Wahrung der alten Wirtschaftsbasis aus dem produzierenden Gewerbe weiterhin wichtig. Als zweite Alternative könnten die Städte auf Basis ihres bereits geschärften Profils auf das gleiche Dienstleistungsangebot wie ihre großen Nachbarstädte setzen und mit den Vorteilen der kleinen Städte in direkter Nähe zu den großen werben. Geht diese Strategie allerdings nicht auf, droht das Risiko zur konturlosen Stadt zu werden. Schließlich bleibt als dritte Entwicklungsalternative die Funktion einer reinen Schlafstadt. Dabei ist dieses Profil nicht zwingend wirtschaftlich unattraktiv, zumal wenn zusätzlich die Nachfrage nach Freizeitaktivitäten und Naherholung abgeschöpft werden kann. Ländliche Idylle für Kinder oder auch bestimmte Angebote für Senioren könnten dabei potenzielle Strategien sein, sich im Umland einer Metropole zu platzieren. Eine Kombination aus der ersten und der dritten Alternative wäre sicherlich denkbar und ist in Städten wie Pulheim, Kerpen, Meerbusch und Ratingen auch schon mehr oder minder Realität. Eine enge Kooperation auch untereinander wäre hilfreich, um mit einem gewissen Gegengewicht der Metropole gegenüber zu stehen. In diesem Zusammenhang ist die Gewerbeflächenpolitik von besonderem Interesse, aber auch bei Diskussionen um Betriebsverlagerungen von wachsenden Unternehmen innerhalb der Metropole bzw. ins Umland besteht Kommunikationsbedarf. Wie bereits dargestellt wurde, sind die übrigen drei Städtetypen in ihrer Wirtschaftsstruktur (noch immer) industriell geprägt und konkurrieren daher in erster Linie mit peripheren Räumen, die günstigere Produktionsfaktoren aufweisen. Diese sind entsprechend dem Produktlebenszyklus zunehmend auch in den so genannten Billiglohnländern vorzufinden. Die Stadt als idealer Standort industrieller Branchen gerät immer mehr ins Hintertreffen, wobei sie gleichzeitig als Standort für Dienstleistungen - insbesondere für wissensbasierte - bedeutsamer 86

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wird. Dies heißt aber nicht, dass die industriell geprägten Städte im Strukturwandel chancenlos sind. Mit einer zukunftsfähigen Positionierung haben auch diese Städte teilweise positive Aussichten. Durch den Ausbau des städtischen Milieus und die weitere Profilierung als Industriestädte mit innovativer und flexibler Produktentwicklung und Produktionstechnik können diese Chancen erhöht werden. In diesem Zusammenhang sind die Vernetzungen vor Ort auszubauen und zudem hochwertige unternehmensbezogene Dienstleistungen zu fördern.

Städte mit eigenständigem dynamischem Dienstleistungsprofil Auch die Chancen der Städte mit eigenständigem Dienstleistungsprofil sind grundsätzlich positiv einzuschätzen. Die Profilierung der letzten Jahre und die meist positive Entwicklung haben eine Basis geschaffen, von der aus sich die Städte weiter entwickeln können. Die Städte dieses Typs haben somit gute Voraussetzungen, um alleine oder mit ihrem Umland zusammen ihre Position im überregionalen oder auch nationalen Wettbewerb auszubauen. Die Chancen, sich weiterhin in Richtung spezialisierte Stadt zu bewegen, sind für viele der Städte in dieser Gruppe positiv zu bewerten. Allerdings sollte eine zu starke Konzentration der wirtschaftsstrukturellen Bemühungen auf die dominierenden Unternehmen vermieden werden, um die Risiken in Grenzen zu halten. Für Städte, die aufgrund zu starker Konkurrenz oder fehlender eigener Stärke eine eigenständige Spezialisierung langfristig nicht realisieren können, bietet sich die alternative Strategie der „Region als Stadt“ an. Dabei sollte das Ziel verfolgt werden, die eigenen Kompetenzen in Zusammenhang mit denen anderer Städte in der Region sinnvoll zu verknüpfen und Synergieeffekte freizusetzen. Nur durch die in der Region aufeinander abgestimmte Planung und Entwicklung haben diese Kommunen die Chance, im nationalen und internationalen Wettbewerb der Regionen zu bestehen. Wollen sich die Städte dieses Typs gegen Ballungsräume behaupten, müssen sie neben den Vorteilen der weichen Standortfaktoren wie Erholungswert vor allem gute Bedingungen im Infrastrukturbereich bieten. Neben einer guten Erreichbarkeit ist dies vor allem eine technische Infrastruktur für Dienstleistungen und Technologiebereiche. 87

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Städte industrieller Prägung bei starker Sektor- bzw. Unternehmenskonzentration Die Städte industrieller Prägung bei starker Sektor- bzw. Unternehmenskonzentration zeichnen sich weniger durch eine regional orientierte als vielmehr durch eine konzernbezogene Wertschöpfungskette aus. Selbst wenn komplementäre Funktionen am Standort vorhanden sind, kann nicht von einer Vernetzung vor Ort ausgegangen werden. Von den dominierenden Branchen werden in Zukunft nur geringe Beschäftigungsimpulse ausgehen. Es kann sogar ein weiterer Beschäftigungsabbau vermutet werden, der durch Produktivitätssteigerung und Standortverlagerungen verursacht wird. Bei keinem anderen Stadttyp besteht eine so große Abhängigkeit von externen Faktoren wie bei diesen Städten. So hängt die Zukunft der Stein- und Braunkohle an einem Standort in erster Linie von politischen Entscheidungen und der daraus resultierenden Förderung ab. Auch Standortverlagerungen konzernabhängiger Unternehmen hängen eher von globalen Unternehmensstrategien ab als von den vor Ort beeinflussbaren Standortfaktoren. Dies heißt aber nicht, dass keine Chancen und nutzbaren Potenziale für diese Städte bestehen. Chancen liegen zum Beispiel darin, dass die starren Unternehmensstrukturen seit einiger Zeit aufbrechen und sich gleichzeitig neue Unternehmen herausbilden. Begünstigt wird diese Entwicklung dadurch, dass sich die Großkonzerne zunehmend auf ihr Kerngeschäft konzentrieren und andere Leistungsbereiche auslagern. Durch den Wandel von der innerbetrieblichen zur zwischenbetrieblichen Arbeitsteilung werden Flexibilitäts- und Innovationspotenziale frei. Chancen lassen sich auch aus der bestehenden industriellen Basis, einschließlich der Zulieferstrukturen und Absatzinfrastrukturen ableiten. Dazu ist unter Umständen eine gemeinsame Positionierung mit benachbarten Städten sinnvoll. Zukunftsentscheidend für alle Städte dieser Gruppe ist es aber, neben der Funktion als Industriestandort auch eine Funktion als Stadt zu haben. Sie müssen sich der Herausforderung stellen, die Lebensqualität ihrer Bewohner und ihre urbanen Qualitäten zu optimieren.

Städte mit industrieller Prägung durch klein- und mittelbetriebliche Sektoren Die spezifischen Vorteile der Städte mit industrieller Prägung durch klein- und mittelbetriebliche Sektoren bestehen theoretisch darin, klein genug und damit flexibel zu sein und groß genug, um Skaleneffekte zu nutzen sowie Forschung und Entwicklung betreiben zu können. Die Defizite dieser Städte liegen jedoch oftmals in fehlenden hochwertigen unternehmensbezogenen Dienstleistungen, die besonders für die Schaffung eines innovativen Klimas förderlich sind. Auch die Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten werden bisher oft vernachlässigt. 88

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Das Vorantreiben von Forschungs- und Produktentwicklungsaktivitäten wäre daher sinnvoll. Die Position als spezialisierte Stadt kann einigen Städten bereits jetzt zugestanden werden, andere müssen dazu das Profil grundsätzlich schärfen. Eine Positionierung kann auch gemeinsam mit benachbarten Städten erfolgen, wodurch die „Region als Stadt“ zum Stadtbild der Zukunft wird. Diese beiden Stadtbilder müssen sich allerdings nicht ausschließen. In Teilgebieten ist es vielleicht sinnvoll, sich allein zu profilieren, auf anderen Gebieten dagegen bietet es sich eher an, mit den Umlandstädten zu kooperieren. Bei den Städten, die es nicht schaffen die notwendigen Rahmenbedingungen richtig zu setzen und deren Branchenstruktur sich für die Zukunft als ungünstig erweist, besteht die Gefahr, durch einen kumulativen Abwärtstrend zur fragmentierten Stadt zu werden. Für die mittelgroßen Städte ist eine Positionierung als spezialisierte Stadt dabei oftmals nicht sinnvoll, vor allem wenn es beispielsweise um die Schaffung entsprechender Forschungsinfrastrukturen geht. Hier ist die gemeinsame Kompetenzprofilierung mit anderen benachbarten Städten angebracht, auch um die komplementäre Wirtschaftsstruktur gegenseitig zu nutzen.

Städte im Umbruch bei starker sektoraler Streuung Für die Städte im Umbruch bei starker sektoraler Streuung lassen sich derzeit noch keine eindeutigen Entwicklungstrends aufzeigen. Die Risiken bestehen für diese Städte nicht nur prognostisch, sie haben sich ganz im Gegenteil bereits real durchgesetzt, was sich an der überwiegend problematischen wirtschaftlichen Entwicklung dieser Städte zeigt. Aber es bestehen auch Chancen für diese Städte: So kann die frühere industrielle Basis durchaus Motor für die weitere Entwicklung sein, indem aus Backward- und Forward-Linkages neue Kompetenzen zum Beispiel in den Bereichen Technologische Dienstleistungen, Umwelttechnik oder Labor/ Analyse entstehen. Die wesentliche Herausforderung für die Zukunft dieser Städte liegt in der Tertiärisierung hin zu hochwertigen Dienstleistungen und zu urbanen bzw. teilweise metropolitanen Funktionen. Eine aktive Stadtpolitik hinsichtlich der wirtschaftsstrukturellen Positionierung ist für diese Städte besonders notwendig. Auch das Entwicklungsbild der schrumpfenden Stadt muss nicht zwingend ein Negativ-Szenario sein, sondern 89

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kann als Paradigma durchaus akzeptiert und positiv genutzt werden. So können beispielsweise preislich günstige, aufgelassene Flächenkontingente in innerstädtischer Lage die Basis für innovative Entwicklungen bieten. Insbesondere bei der kurzfristigen Verwendung von freien Flächen und Gebäuden, für die langfristige Nutzungen gesucht werden, sind die Städte gefordert, innovative Lösungen zu finden.

Konsequenzen für die Landespolitik Das Land kann und sollte die Regionen bei der Wirtschaftsförderung durchaus unterstützen. Seitens des Landes können Kompetenzfelder definiert, Kooperationen angeregt und der Wettbewerb begleitet werden. Dabei steht außer Frage, dass die Städte vorrangig Wirtschaftsförderung aus eigener Kompetenz und auf eigenes Risiko betreiben. Im Bereich der Wirtschaftsförderung hat das Wettbewerbsprinzip seine originäre Anwendung und Berechtigung, so dass die Landespolitik hier eher zurückhaltend agieren sollte. Damit wird nicht einer ruinösen Kirchturmpolitik das Wort geredet; gemeint ist vielmehr der Wettbewerb zwischen größeren Regionen, innerhalb derer die beteiligten Kommunen besser zusammenarbeiten sollten. Die Analyse und Typisierung der Städte in Nordrhein-Westfalen aus ökonomischer Sicht zeigt, dass die gelungene funktionale Einbettung der Städte in ihr Umland bzw. ihre Verflechtung mit anderen Städten in der Region eine wichtige Grundlage für wirtschaftliche Zukunftsperspektiven ist. Wichtig ist Landespolitik daher dort, wo es ein übergreifender Blick ermöglicht, Chancen zu erkennen und den wirtschaftlichen Strukturwandel eine Zeit lang zu begleiten. In der Regel bedeutet dies eine Unterstützung der regionalen Positionierung. Insbesondere dort, wo regionale Kooperation sinnvoll und notwendig erscheint, liegt es an der Landespolitik, dafür die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen und die dafür erforderlichen Abstimmungsprozesse zwischen den beteiligten Kommunen gegebenenfalls anregend und moderierend zu begleiten. Dabei können und sollten durchaus Anreize, etwa finanzieller Art, für erfolgreiche Kooperationsprojekte gesetzt werden, ohne jedoch deren Inhalte und Ziele landesseitig vorgeben zu wollen. Erfolgreiche Wirtschaftspolitik erfordert zwar oft entsprechende Kooperation, aber erfolgreiche Kooperation erfordert gleichzeitig Freiwilligkeit und ein hohes Maß an selbstbestimmten Handlungsräumen. Im Zweifel wissen die Kommunen und Regionen selbst am besten, wo jeweils ihre strategischen Stärken liegen. Mit anderen Worten: Es liegt in der Natur der Sache, dass sich die aus den hier skizzierten Szenarien zu entwickelnden Handlungsempfehlungen in erster Linie an die Städte selbst richten. Die vom Land gesetzten Rahmenbedingungen und 90

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gegebenenfalls Förderpolitiken sollten im Prinzip für alle Städte gelten. Es ist Aufgabe der verantwortlichen Stadt, in diesem Rahmen ihre komparativen Vorteile und Begabungen, aber auch Risiken zu erkennen und sich dementsprechend im Wettbewerb der Standorte zu positionieren. In der Regel wird dies regionale Kooperationen erfordern, denn der Standortwettbewerb spielt sich weniger zwischen einzelnen Städten und auch nicht vorrangig zwischen Stadt und Umland ab, sondern zwischen funktional verflochtenen Regionen. Eine wichtige Aufgabe der Landespolitik wird in Zukunft darin bestehen, diese Regionen - gemeinsam mit den Betroffenen - zu identifizieren und die verwaltungstechnischen Voraussetzungen sowie auch Anreize dafür zu schaffen, dass solche Kooperationen auf freiwilliger Basis zustande kommen können.

3.6

Exkurs: Bedeutungszuwachs von Informations- und Kommunikationstechnologien

Neben dem allgemeinen ökonomischen Strukturwandel hat die technologische Entwicklung eine besondere Bedeutung für die Zukunft der Städte. Die Informations- und Kommunikationstechnologien greifen als Querschnittstechnologien in nahezu alle Bereiche des täglichen Lebens ein. Diese Technologien haben vor allem in den Bereichen der Übertragungsgeschwindigkeit und der Mobilität von Endgeräten in den letzten Jahren wesentliche Fortschritte erbracht. Das Zusammentreffen dieser beiden Entwicklungen setzt ein großes Potenzial wirtschaftlicher Effizienzsteigerung frei, deren Effekte bereits heute spürbar sind. Waren die Effekte zunächst nur von betriebswirtschaftlichem Interesse, so sind inzwischen auch sich daran anschließende Auswirkungen auf die Volkswirtschaft sowie auf die Städte und hier insbesondere die Stadtentwicklung zu erkennen. Der verstärkte Einsatz neuer Informations- und Kommunikationstechnologien ist mit einer Reihe von strukturellen Veränderungen der Funktion Arbeiten verbunden. Dazu gehören insbesondere • die Flexibilisierung von Arbeitsorten und Arbeitszeiten und • die Veränderung von Wertschöpfungsketten. Diese Veränderungen der Arbeitsteilung können innerhalb des Städtesystems mit erheblichen räumlich funktionalen Veränderungen verbunden sein. Diese Veränderungen werden die Städte in Nordrhein-Westfalen aber nur in ausgewählten Bereichen betreffen. 91

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Abb. 2: Einbindung der wichtigsten Knoten des World City Networks Anmerkung: Dargestellt ist die relative „network connectivity“ von einzelnen Städten bezogen auf die Unternehmensvernetzung von hundert weltweit agierenden Dienstleistungsunternehmen gemessen an den World Cities New York und London Quelle: Taylor/Catalano/Walker 2002

Die Informations- und Kommunikationstechnologien unterstützen einen Hierarchisierungsschub nationaler und internationaler Städtenetze, der mit der seit Anfang der 1980er Jahre diagnostizierten veränderten Arbeitsteilung international agierender Großunternehmen verbunden ist.14 Zumindest in Städten, die stärker in internationale Austauschprozesse eingebunden sind, sind Konzentrationsprozesse von hoch spezialisierten Funktionen in Ballungsräumen von Global Cities zu beobachten, die sich vermutlich fortsetzen werden.15 Die Städte sind Knoten in einem Netz von Wirtschaftsstandorten, das die räumliche Logik der Nationalstaaten überlagert, und sie treten in den direkten Wettbewerb unter-

14 Floeting/Henckel 1993. 15 Sassen 1991; Sassen 1994; Castells 1996, S. 378ff; Kurnol/Lorenz-Hennig 1998. 92

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einander. Die Konzentration spiegelt dabei eine Hierarchie unterschiedlicher Ebenen wider, auf denen sich städtische Zentren befinden. Die Hervorhebung von Besonderheiten in diesem Standortwettbewerb bedarf der Kommunikation von Bildern, von Images. Nicht zufällig ist deswegen gegenwärtig und auf absehbare Zeit Stadtmarketing und die Durchführung von Imagekampagnen ein wesentliches kommunales Betätigungsfeld - auch die „Festivalisierung“ von Städten gehört dazu. Hinzu treten Großprojekte, die im internationalen Standortwettbewerb um Unternehmen und Investoren auffallen und dabei das Thema Informations- und Kommunikationstechnologie aufgreifen (Hafencity Hamburg, Messestadt München, Wissenschaftsstadt Berlin-Adlershof, MediaPark Köln, E-City Dortmund, Medienhafen Düsseldorf etc.). In der Literatur werden für Deutschland bisher vor allem Frankfurt am Main, in einigen Untersuchungen auch Hamburg und München als Global Cities benannt.16 In Nordrhein-Westfalen kann man Konzentrationsprozesse hoch spezialisierter Funktionen vor allem im Kölner und Düsseldorfer Raum beobachten. Beide Städte gehören - gemessen an der Einbindung in das Netzwerk weltweit agierender Dienstleistungsunternehmen - zu den zehn deutschen Städten mit der höchsten „network connectivity“ (vgl. Abb. 2).17 Von einem Global-City-Phänomen kann man aufgrund der fehlenden Dominanz der globalen gegenüber den europäischen, nationalen und regionalen Einflussfaktoren aber kaum sprechen. Zwar entstehen Disparitäten zwischen den Steuerungszentralen und den abhängigen Regionen, und es kann zu einer Vergrößerung der regionalen Disparitäten infolge der Spezialisierung von Standorten kommen. Zu erwarten ist auch, dass es in verstärktem Maße von der Entwicklung abgehängte Resträume geben könnte, also ungünstig strukturierte Regionen, die damit in eine dauerhafte Spirale der Abwärtsentwicklung kommen.18 Die breite Verteilung von Funktionen über das Städtesystem, Städtenetze mit komplementären Funktionen und Kompetenzverteilungen sowie bestehende Spezialisierungen werden aber weiter bestehen.19 Anders als in vielen anderen europäischen Ländern oder den USA gibt es in Deutschland keine Konzentration auf ein herausgehobenes Zentrum. Trotz einiger räumlicher Entwicklungsunterschiede im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik sind die großen deutschen Städte weitgehend ähnlich ausgestattet. Trotz des Zugewinns an Standortfreiheit von Unternehmen bleiben doch vorhandene Standortstrukturen bestehen. Mit einem stärker umsatzorientierten

16 van Beaverstock/Hoyler/Pain/Taylor 2001. 17 Taylor 2001; Taylor/Catalano/Walker 2002. 18 Floeting/Henckel 1993; Gareis/Kordey/Korte 2002; Mitchell 1995. 19 Floeting/Grabow 1998. 93

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Abb. 3: Internet- und E-Commerce-Gründungen in Nordrhein-Westfalen 1993 bis 2000 Quelle: Stiftungslehrstuhl für Gründungsmanagement und Entrepreneurship European Business School 2001

Ausbau der Telekommunikationsinfrastruktur wird eine Konzentration der Angebote in ertragsstarken Räumen wahrscheinlich sein. Seit langem erwirtschaften Telekommunikationscarrier etwa die Hälfte ihrer Umsätze mit wenigen ihrer Kunden. Vor allem große Unternehmen und Organisationen sind also für sie interessant. Gerade die Städte, die Standorte dieser Unternehmen und Einrichtungen sind, werden also von den verbesserten Telekommunikationsangeboten profitieren. Umgekehrt fehlt den ländlichen Bereichen oft die ergänzungsfähige Wirtschaftsstruktur, die eine Erschließung der Entwicklungspotenziale erst ermöglicht. Es bestehen zudem keine Anzeichen dafür, dass Telearbeit diese Entwicklung nennenswert umkehren könnte. Auch auf der Ebene der einzelnen Stadt kann die Flexibilisierung des Arbeitsortes erhebliche Auswirkungen haben. Für die Teilräume der Städte können sich ganz unterschiedliche Entwicklungsperspektiven ergeben. Der Gründerboom in den Jahren 1993 bis 2000 im Internet- und E-CommerceBereich hat auch in Deutschland zu einer Dynamisierung der Standortentwicklung geführt, die sich zunächst in einem sprunghaften Anstieg von Unternehmensgründungen und Arbeitsplätzen niederschlug. So sind in diesem Bereich 94

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rund 15.000 neue Unternehmen und etwa 200.000 Arbeitsplätze entstanden. Zwar ist ab dem Jahr 2000 der quantitativ messbare Effekt stark zurückgegangen, es hat sich gleichwohl auch in Nordrhein-Westfalen dauerhaft ein Informations- und Kommunikations-Sektor mit erheblichem Einkommens- und Innovationspotenzial herausgebildet (vgl. Abb. 3). Auf diesem nunmehr weitgehend stabilisierten Kern kann die Stadtentwicklungspolitik aufbauen. Mit einem Fünftel der Gründerunternehmen entfiel der größte Anteil auf die Region Rhein-Ruhr. In Nordrhein-Westfalen haben besonders Köln mit 4,4 Prozent und Düsseldorf mit 3,1 Prozent aller Internet- bzw. E-Commerce-Gründungen in Deutschland von dem Gründerboom profitiert. Aber auch andere Regionen in NordrheinWestfalen wie Wuppertal, Dortmund, Bonn, Duisburg oder Aachen konnten davon profitieren.20 Mit dem Gründungsboom war die Entwicklung spezifischer kleinräumiger Standorte in einzelnen Städten verbunden, in denen sich kreative Milieus entwickelt haben. Technologische Entwicklungen werden auch in Zukunft das Gründungsgeschehen beeinflussen. Die Entwicklung neuer kreativer Milieus zeigt sich in den Städten unter anderem in der Umnutzung überkommener Baustrukturen und in spezifischen Gentrifizierungsprozessen. In den Verdichtungsräumen ist seit Jahren ein stabiler Trend einer Suburbanisierung von Dienstleistungen zu beobachten.21 Durch die Möglichkeiten verbesserter telekommunikativer Anbindungen wird dieser Prozess eher gefördert und sich daher vermutlich kaum abschwächen. Vor allem suburbane Zentren werden die Gewinner solcher Dekonzentrationsbewegungen sein. Gefährdet sind suburbane Zentren aber dann, wenn die bisher hier verorteten, nachgeordneten und stark routinisierten Wirtschaftsabläufe, z.B. im Rahmen von Off-Shore-Telearbeit, ins Ausland verlagert werden. In jüngster Zeit stellen Untersuchungen für die zweite Hälfte der 1990er Jahre eine grundlegende Veränderung in der Entwicklung der räumlichen Arbeitsteilung fest. Das zeigt sich darin, dass der über Jahrzehnte anhaltende Prozess der Dezentralisierung zum Stillstand gekommen scheint. Damit deutet sich eine Stabilisierung der urbanen Zentren in der räumlichen Arbeitsteilung an. Wohnquartiere können durch verstärkte Teleheimarbeit auch als Arbeitsorte an Bedeutung gewinnen. Es ließen sich neue Potenziale der Nutzungsmischung erschließen. Bei der derzeitigen und zu erwartenden Verbreitung der Telearbeit in ihren verschiedenen Formen werden diese Prozesse aber auf absehbare Zeit vermutlich nur zu marginalen Veränderungen führen.22 Einzelne Projekte greifen

20 Stiftungslehrstuhl für Gründungsmanagement und Entrepreneurship European Business School 2001. 21 Vgl. Bade 1996. 22 Vgl. Korte 1996. 95

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diese Potenziale aber explizit auf und versuchen, in diesem Rahmen neue Mischnutzungskonzepte zu realisieren. Durch die Entwicklungen der Informations- und Kommunikationstechnologien kann es zu einem sozialen Polarisierungsschub kommen. Die neuen informationstechnisch unterstützten Organisationskonzepte der Wirtschaft setzen auf höhere Qualifikationen und Flexibilität der Arbeitnehmer. Die Städte spüren dies bereits und werden es noch stärker spüren bei einer wachsenden sozialen Segregation und in Form von wachsenden sozialen Lasten.23 Besonders deutlich wird dies auch in Wohngebieten werden. Im informationstechnischen Bereich wird diese Ausgrenzung als „digitale Spaltung“ sichtbar zwischen Bevölkerungsgruppen, die den Zugang zu den modernen Kommunikationsmedien haben, und jenen, die längerfristig ausgegrenzt sind. Zwar verfügen 44 Prozent aller Haushalte in Nordrhein-Westfalen bereits heute über einen Internetanschluss, dennoch wird es noch längere Zeit Haushalte geben, die das Internet nicht nutzen können. Die Nutzung ist immer noch sozial sehr selektiv, obwohl mittlerweile nicht mehr mehrheitlich gut gebildete, gut verdienende männliche Nutzer die Hauptnutzergruppe des Internets darstellen. Neueste Untersuchungen zeigen, dass vor allem Haushalte mit Kindern zu den Nutzern neuer Informations- und Kommunikationstechnologien gehören. Während 85 Prozent der Haushalte mit Kindern in Nordrhein-Westfalen einen Computer besitzen, sind es bei Haushalten ohne Kinder nur 49 Prozent. Auch der eigene Internetanschluss ist in Haushalten mit Kindern mit 63 Prozent fast doppelt so häufig vorhanden wie in kinderlosen Haushalten mit 37 Prozent.24

Konsequenzen für die Politik und Handlungsempfehlungen Der Umgang mit dem Thema Neue Medien und Stadtentwicklung wird bisher sehr stark von technischen Leitbildern und Pilotprojekten geprägt. Sinnvoller für eine Weiterentwicklung von Städtebau und Stadtentwicklungspolitik erscheint aber eine Verknüpfung technologischer Konzepte und Projekte mit konkreten Fragestellungen der Stadtentwicklung. Eine normative und strategische Auseinandersetzung mit dem technologisch Möglichen in Verbindung mit der Diskussion um das gesellschaftlich Sinnvolle und Erwünschte ist unabdingbar, um gesellschaftliche Fehlentwicklungen zu vermeiden und um mittel- und langfristig vom Nutzen dieser Technologien zu profitieren.

23 Floeting/Henckel 1993. 24 LDS NRW, Pressemitteilung vom 4. März 2003. 96

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Das vorhandene Wissen über erfolgreiche Beispiele sollte besser erschlossen und der Fachöffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Dies könnte etwa über den Aufbau einer internet-gestützten Datenbank von Good Practices geschehen. An Beispielsammlungen fehlt es dabei kaum, wohl aber an bewerteten und vergleichbaren Informationen. Das Einbeziehen internationaler Erfahrungen sollte in stärkerem Maß erfolgen. Dies kann durch eine Verbesserung des Erfahrungsaustauschs von Experten ebenso geschehen wie durch das Einbeziehen internationaler Good Practices. Es gibt keine lineare Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen der Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologie und der Stadtentwicklung. Die Wirkungen der Technologien sind vielmehr vermittelt. Dementsprechend bestehen Gestaltungspotenziale, die bisher aber nur unzureichend erschlossen werden. Dies liegt vor allem daran, dass deutliche Trennungen zwischen den Sphären Technologie und Stadtentwicklung bestehen. Die Stadtentwicklungspolitik hat in den meisten deutschen Städten bisher kaum inhaltlichen oder strategischen Zugang zum Thema Informations- und Kommunikations-Technologien als Vehikel für Stadtentwicklungsprozesse. Dies gilt auch für die Städte und Gemeinden Nordrhein-Westfalens, wenngleich dort eine Reihe von Vorreiterstädten zu finden ist. Nur in einigen wenigen Städten hat man sich in den vergangenen Jahren umfassend dem Thema gewidmet und eine technologieorientierte Stadtentwicklungspolitik verfolgt. In den Kommunen wurden allenfalls zahlreiche Ideen für Ansatzpunkte technologieorientierter Stadtentwicklungskonzepte entwickelt. Häufig fehlt es aber an einem konkreten Anlass oder an der Zeit zur Beschäftigung mit dem Thema. Es muss als Aufgabe der Stadtentwicklung häufig erst definiert werden. Eine sinnvolle Maßnahme zur Förderung technologieorientierter Stadtentwicklungskonzepte wäre daher beispielsweise die Auslobung eines Städtewettbewerbs zu diesem Thema. Erfahrungen anderer Städtewettbewerbe haben gezeigt, dass deren Nutzung deutlich über die Förderung konkreter Projekte in wenigen Preisträgerstädten hinausgeht, da die Diskussion in allen Städten, die sich am Wettbewerb beteiligen, angestoßen wird, das Bewusstsein für die Relevanz des Themas wächst, persönliche und institutionelle Netzwerke entstehen und auch unabhängig von einer externen Förderung entwickelte Konzepte umgesetzt werden. Von besonderer Bedeutung in der Wissensgesellschaft wird gerade das aktive Einbeziehen von Bildungseinrichtungen in Stadtentwicklungs- und Stadterneuerungskonzepte sein. Dies betrifft gerade auch Angebote der Informations- und Kommunikationstechnologie. Beispiele einer gelungenen Umsetzung sind bisher aber noch rar. Für das Land Nordrhein-Westfalen bestünden hier weitere Profilierungspotenziale im Sinne einer integrierten Medien-, Kommunikationsund Stadtentwicklungspolitik. 97

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B4 Stadtentwicklung und Landesplanung im Zeichen räumlicher Entwicklungen

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Das Leitbild der Zentralen Orte

Neben dem Leitbild der Europäischen Stadt, das auch in aktuellen Diskussionen trotz aller Veränderungen immer noch eine wesentliche Rolle spielt, hat es über Jahrzehnte auch für die Raumordnung ein Leitbild gegeben, das sich historisch aus den Untersuchungen von Walter Christaller in den 1930er Jahren entwickelt hat. Christaller hat damals, bei relativ idealen Rahmenbedingungen, in empirischen Untersuchungen ein klar strukturiertes räumliches Muster der Zentrenbildung festgestellt. Im Rahmen der Formalisierung und Kodifizierung der Raumordnung, Landes- und Regionalplanung in den 1960er Jahren, wurde aus diesen Grundgedanken ein räumliches Ordnungskonzept entwickelt und in Gesetzen festgeschrieben, das bis heute Gültigkeit hat. Unter dem Raumordnungsziel der gleichwertigen Lebensbedingungen sollte sich ein hierarchisch geordnetes Netz von Zentren entwickeln. Um die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse herzustellen, werden Ziele hinsichtlich der Funktion und Infrastrukturausstattung der Zentren und leistungsfähiger Verbindungsachsen definiert. Gleichzeitig sollten bei diesem Konzept negative Entwicklungen, wie die von Bandstädten oder von unstrukturierten Siedlungsteppichen, vermieden werden. Die Kritik an dieser Grundkonzeption ist genau so alt wie die Konzeption selbst, allerdings haben die kritischen Bemerkungen in den letzten Jahren zugenom99

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men. Eine genaue Betrachtung der Entwicklungen in Nordrhein-Westfalen zeigt, dass die tradierte Zentrenstruktur durch die Prozesse der Suburbanisierung an Bedeutung verloren hat, und zwar bereits seit dem Zeitpunkt ihrer Einführung. Unabhängig von der Frage, ob ein wie auch immer konstruiertes zentralörtliches System künftig noch als Erklärungs- oder Steuerungsmodell für regionale Entwicklung taugt, ist festzustellen: Dieses System ist „jedenfalls nicht mehr die planerische Allzweckwaffe“.1

4.2

Instrumente der Landesplanung in Nordrhein-Westfalen

Ganz pauschal ist bei den Steuerungsmöglichkeiten des Landes zwischen restriktiven und befördernden Instrumenten zu unterscheiden. Auf der begrenzenden Seite steht dem Land das gesamte gesetzliche und planerische Instrumentarium der Landes- und Regionalplanung einschließlich der einschlägigen Durchsetzungsinstrumente zur Verfügung. In der Praxis wirkt dieses Instrumentarium in erster Linie durch die Planung; landesplanerische Zwangsinstrumente werden selten angewandt.2 Die planerischen Instrumente, das heißt die Landes- und Gebietsentwicklungspläne stehen seit jeher in der Diskussion. Aus kommunaler Sicht weisen sie häufig zu wenig Entwicklungsflächen aus, aus der Sicht übergeordneter Stellen insbesondere des Umweltsektors sollte der Flächenverbrauch hingegen noch weitreichender eingeschränkt werden. Die konkrete Umsetzung erfolgt letztendlich über die Anpassungsregelung im Landesplanungsgesetz. Diese Regelung ist ein rein reaktives Instrument, das heißt, sie greift nur, wenn die Gemeinde ihrerseits eine Planungsabsicht verfolgt und dementsprechend pflichtgemäß bei der Bezirksplanungsbehörde anfragt. In der planerischen Praxis hat dieses bestehende Instrumentarium nur begrenzte Wirkung, was an der aktuellen Siedlungsentwicklung abgelesen werden kann. Landes- und Regionalplanung müssen aus juristischen, planerischen und ökonomischen Gründen den Gemeinden Entwicklungsspielräume und Entscheidungsalternativen belassen. Insofern stößt das landesplanerische Instrumentarium mit seinem überwiegend flächenorientierten Grundansatz an Grenzen, da es letztendlich die nachhaltigen Funktionsverlagerungen im Rahmen der Suburbanisierungsprozesse nicht aufzuhalten vermag. Der grundsätzlich andere und ebenso bis heute gültige Weg führt über Förderinstrumente. Die traditionelle Städtebauförderung ist, bei aktuell deutlich ver1

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So z.B. zur Anpassung des Flächennutzungsplans nach Landesplanungsgesetz.

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Räumliche Entwicklung

ringertem Volumen, in aller Regel eine Förderung für die unterschiedlichsten Formen von Infrastruktur. Darüber hinaus gab und gibt es spezielle Fördertöpfe für bestimmte Fachbereiche wie Schulen oder Sportstätten. In diesen Bereichen ist ein Trend zur Pauschalierung und damit zur Dezentralisierung erkennbar. Diese Förderinstrumente haben nur eine sehr begrenzte regionalpolitische Bedeutung erlangt. Zum Teil sind sie schlicht flächendeckend angelegt, da der Grundsatz der gleichwertigen Lebensbedingungen zu beachten ist: Wenn Siedlungen existieren und Menschen dort wohnen, müssen beispielsweise Schulfördermittel fließen, unabhängig vom Standort der Schule. In anderen Fällen ergänzen sich verschiedene Förderinstrumente räumlich. Was etwa für die städtischen Bereiche die Städtebauförderung war, war in ländlichen Ortsteilen die Dorferneuerung. Die Wohnraumförderung enthält ebenfalls keine Komponenten, die eine regionalplanerische Steuerung ermöglichen würden. Die Frage, ob die Wohnraumförderung hierfür überhaupt das geeignete Instrument darstellt, bleibt offen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die bestehenden Förderinstrumente des Landes allenfalls sehr begrenzt wirksame regionalplanerische Ansätze enthalten. In keinem Fall sind sie heute in der Lage, die negativen Effekte der Suburbanisierung zu verhindern.

4.3

Entwicklungen nordrhein-westfälischer Landesplanungspolitik

Das Konzept der Zentralen Orte wird aktuell in vielfacher Hinsicht als Leitbild für die nordrhein-westfälische Landesplanung infrage gestellt. In besonders deutlicher Form ist dies mit dem Landesplanungsbericht vom November 2001 geschehen. Ein Blick einige Jahre zurück zeigt aber bereits Mitte der 1990er Jahre einen entscheidenden Schritt: Mit der Einführung der Metropolregionen im Jahr 1995 hat die Ministerkonferenz für Raumordnung die bisherigen Grundsätze erstmals und auch recht deutlich relativiert. Unterschiede sollten demnach nicht mehr ausgeglichen, sondern im Gegenteil ausdrücklich profiliert werden.3 Dabei ist allerdings zu bemerken, dass die Unterschiede in der räumlichen Ausstattung zwischen ländlichen Räumen und Stadtzentren im Jahr 1995 nicht mehr die gravierende Dimension aufwiesen wie in den 1960er Jahren. Ein Mindeststandard gleichwertiger Lebensverhältnisse war zu diesem Zeitpunkt weitgehend flächendeckend erreicht. Gleichzeitig hat sich die Infrastruktur zur

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Deckung des täglichen Bedarfs in den Grundzentren spürbar ausgedünnt und neue Disparitäten zwischen dynamischen und stagnierenden Regionen und Teilräumen sind entstanden. Ob das Instrument der Metropolregionen in der Tat die richtige Reaktion auf die Globalisierungsprozesse war bzw. ist oder nicht, mag dahingestellt bleiben. Stiens zweifelt dies beispielsweise deutlich an. Er hält eine besser funktionierende innere Struktur von Regionen für erforderlich, um ihr Handeln besser zu koordinieren und bei konkreten Projekten effektiver zu kooperieren.4 Auf der anderen Seite sind die Prozesse der Globalisierung mit allen Konsequenzen nicht aufzuhalten und erfordern eine Reaktion. Wird aus einem anderen europäischen Staat oder gar aus einem anderen Kontinent ein Standort in Deutschland gesucht, ist der regionale Fokus ein völlig anderer als aus dem hiesigen Blickwinkel. Eine Region hat dann durchaus eine Ausdehnung von mehreren hundert Kilometern, und wenn sie den Standortwettbewerb gewinnen will, muss sie in diesem großen Bereich über alle kommunalen, Bezirks- und gegebenenfalls auch Ländergrenzen hinweg den optimalen Standort präsentieren. Dabei werden Metropolregionen nach wie vor mit ihren Metropolstädten identifiziert. Genau hier aber liegt ein charakteristisches Problem der Region RheinRuhr, die mit ihrer polyzentrischen Struktur aus selbstbewussten, auf Eigenständigkeit bedachten Zentren keine echte international bekannte Metropole als Zentrum besitzt. Die heutige Vertretung über den Kommunalverband Ruhrgebiet (KVR) zeigt dieses Dilemma und macht deutlich, dass zu einer ruhmvollen Region Rhein-Ruhr noch manche Schritte erforderlich sind. Fest steht allerdings, dass Produktion wie Dienstleistungen heute stärker arbeitsteilig und inzwischen häufig auch international organisiert werden. Als Beispiel sei die internationale Arbeitsteilung in der Pkw-Produktion genannt. Ein großräumiger Wettbewerb der Regionen entsteht, auf den Akteure aller Ebenen reagieren müssen, wenn sie auch nur wenig steuernden Einfluss behalten wollen. Derartige grundsätzliche Entwicklungen können nicht ohne Auswirkungen auf geltende Zielsysteme und Handlungsmuster bleiben. Einen wichtigen Schritt machte 1997 Sieverts, indem er die bisherige „Suburbia“ aus ihrer undefinierten Rolle zwischen konzentriertem Kern und ländlicher Zone herausholte und ihr mit der eigenen Bezeichnung der Zwischenstadt erstmalig auch eine Art eigener Identität vermittelte.5 Damit war nicht nur die Basis für eine deutlich breiter angelegte, vertiefte Erkenntnis über die Siedlungsform gelegt. Nicht zuletzt die Tatsache, dass Sieverts die Zwischenstadt nicht gene-

4

Stiens 2000, S. 532.

5

Sieverts 1999.

102

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Räumliche Entwicklung

rell als schlecht und als Fehlentwicklung verdammte, schuf eine Basis für eine konstruktivere Auseinandersetzung mit der Aufgabenstellung und für die Erkenntnis, dass Ignoranz oder pauschale Ablehnung einer inzwischen so umfangreichen und ausdifferenzierten Siedlungsform nicht gerecht werden. Vor diesem Hintergrund soll im weiteren Text der Begriff „Zwischenstadt“ verwendet werden.

4.4

Ausprägungen der räumlichen Dekonzentration in Nordrhein-Westfalen

Noch in den 1960er und bis in die 1970er Jahre waren die Lebensbedingungen in den ländlichen Räumen auch im weiteren Umland der Großstädte ganz andere als in der Kernstadt.6 In vielfältiger Hinsicht fand sich dort noch eine andere Welt: Arbeitsplätze konzentrierten sich, wenn sie nicht gezielten Bezug zu landwirtschaftlichen Strukturen oder Rohstoffvorkommen hatten, in wenigen Bereichen. Eigenversorgung stand im Mittelpunkt. Das Wohnungsangebot war begrenzt, Bildungs- und Kulturangebote nur sehr einseitig. Die Stadt war zu dieser Zeit noch Symbol für andere Lebensweisen, für Toleranz, Integration und Demokratie. Ein erster wesentlicher Anlass zur Änderung dieser Situation liegt in der Massenmotorisierung der 1960er Jahre. Der Aktionsradius der Menschen erweiterte sich schlagartig und war auch nicht mehr auf die Netze der öffentlichen Verkehrsangebote beschränkt. Leistungsfähige Fernstraßen wurden allerorten errichtet und hatten nachhaltige Folgen für die Siedlungsentwicklung. Gleichzeitig verloren die überkommenen Industriewelten an Bedeutung. Traditionelle Industriezweige wie die Montan- oder die Textilindustrie gerieten in massive Strukturkrisen; nicht allein daraus entstanden in vielen Städten deutliche soziale Problemlagen. Die Umweltsituation unterschied sich sehr deutlich vom (vermeintlichen?) Idealzustand „auf dem Lande“. Erste Suburbanisierungsschritte wurden getan, und mit diesen veränderte sich der ländliche Bereich. Mit dem Zuzug der Menschen aus der Stadt kam neue Infrastruktur, die im Zuge der Bemühungen um gleichwertige Lebensbedingungen neue Qualitäten schaffte, die bisher in den ländlichen Zonen unbekannt gewesen waren. Das Wohnungsangebot wurde ausdifferenziert. Waren es zunächst neben wenigen Großprojekten im näheren Umfeld der Städte überwiegend die Häuslebauer, die sich das sprichwörtliche Eigenheim im Grünen errichteten, entstanden später und entstehen noch heute ebenso Eigentumsund Mietwohnungen. 6

Aring 2001, S. 124. 103

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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen

Mit der Bevölkerung kamen schnell die Wohnfolge-Arbeitsplätze. Recht bald erkannten aber auch andere Branchen die Ansiedlungsmöglichkeiten, so dass sich im Laufe der Zeit ein vielfältiges Arbeitsplatzangebot einschließlich der dazugehörigen beruflichen Ausbildungsplätze entwickelte. Hierzu leisteten nicht nur die günstigen Bodenpreise, sondern auch moderne Kommunikationstechnologien, die Flächenknappheit in den Ballungsräumen und der allgemeine wirtschaftliche Strukturwandel ihren maßgeblichen Beitrag. Wohnen und Arbeitsplätze zogen Bildungseinrichtungen und auch kulturelle Angebote nach sich. Unter dem Gebot gleichwertiger Lebensverhältnisse sollten auch Menschen in den ländlichen Zonen einen Zugang zu hochwertigen Bildungseinrichtungen erhalten, weshalb nicht nur weiterführende Schulen, oft in Form von Schulzentren, sondern auch Fachhochschulen etc. errichtet wurden (unter anderem in Bocholt). Manches interessante historische Gebäude erhielt mit starker öffentlicher Förderung eine kulturelle Nutzung und erweist sich heute als Publikumsmagnet (z.B. Schloss Moyland, Schloss Nordkirchen). Mit diesen Entwicklungen verbunden war eine veränderte Sozialstruktur. Soziale Muster und Problemlagen der Ballungsräume wurden auf die ländlichen Zonen übertragen. Auch der Ausländeranteil stieg und erreicht heute Dimensionen, wie sie früher für Kernstädte typisch waren. Ursache hierfür sind nicht Zuwanderungen, sondern vor allem Geburtenüberschüsse und Familiennachzüge. Dennoch kann bis heute festgehalten werden, dass das Umland in seinen Strukturen homogener, überschaubarer und ruhiger geblieben ist. Durch einen Wegzug „auf’s Land“ kann man also nach wie vor quasi „die Zeit anhalten“. Im Umland kann man in Strukturen weiterleben, die in den 1970er und 1980er Jahren in den Großstädten anzutreffen waren. Auch die Stadt hat sich zwischenzeitlich weiter entwickelt. Soziale Probleme haben zugenommen, gleichzeitig ist mit der Nivellierung der Lebensverhältnisse und den bekannten ökonomischen Problemen der besondere Vorzug städtischen Lebens entfallen. Die Städte haben ihren „utopischen Gehalt“ verloren und ihre Funktion beschränkt sich heute mehr und mehr auf die „konsumierbare Urbanität“. Führt man nun gedanklich die Entwicklungen der Ballungskerne und ihres Umlandes wieder zusammen, so ergibt sich, wie Sieverts zutreffend formuliert, eine hoch komplexe und vielgestaltige Landschaft, die Bereiche mit sehr unterschiedlicher Begabung umfasst. Er weist damit darauf hin, dass heutige Anforderungen an den Siedlungsraum so stark ausdifferenziert sind, dass es auch 104

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Räumliche Entwicklung

einer ausdifferenzierten Landschaft mit einer solchen Vielzahl an Funktionen bedarf. Er erwähnt in diesem Zusammenhang die Bemühungen im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Emscher Park, diese sehr komplexe, „verschlüsselte“ Landschaft wieder „lesbar“ zu machen und gibt damit einen ersten Hinweis zum künftigen Umgang mit der Zwischenstadt.7 Aring bezeichnet diese Ausdifferenzierung als „Reifeprozess“.8 Damit wird deutlich, dass die Stadtumlandwanderungen nicht alleine nur im Spiegel der Zahlen über Bevölkerungs- und Arbeitsplatzwanderungen zu betrachten sind, sondern dass grundsätzliche strukturelle Veränderungen und dementsprechend auch komplexe Erklärungsmuster für diese Wanderungen vorliegen. Die Entstehung eines ausdifferenzierten und viele Funktionen erfüllenden Stadtumlands geht auf ein ebenso komplexes Muster an Wanderungsmotiven, bestehend aus Pushund Pullfaktoren, zurück und lässt sich in großen Teilen nicht mehr mit der vierköpfigen Standardfamilie erklären, die in den 1960er oder 1970er Jahren das Einfamilienhaus auf dem Lande errichtete. Im Ergebnis entsteht eine vielschichtige Städtelandschaft, in der sich einerseits die herausgehobene Bedeutung der Ober- und Mittelzentren relativiert, in der aber andererseits die Deckung des täglichen Bedarfs im Nahbereich der Grundzentren durch Konzentrationsprozesse und Verlagerungen an die Peripherie erschwert wird. Trotz des generellen Angleichs der Lebensverhältnisse zwischen ländlichem Raum und Stadtzentren entstehen neue Disparitäten zwischen Regionen und innerhalb von Teilräumen.

4.4.1 Kategorisierung von Gemeindetypen Das Phänomen der Stadtumlandwanderung kann in Nordrhein-Westfalen nicht als einheitlicher Prozess für alle Städte bzw. Stadtregionen gezeichnet werden. In der Suburbia der Zentren bildet sich nicht zwangsläufig die Zwischenstadt heraus. Vielmehr lassen sich unterschiedliche Entwicklungen bei den räumlichen Veränderungen von Bevölkerung und Arbeitsplätzen feststellen, die aber bei der nachfolgenden systematischen Betrachtung das bereits erwähnte Grundmuster eines Reifeprozesses aufweisen. Auf der Basis einer einfachen, lageabhängigen Kategorisierung, die auf die Siedlungskategorien des Landesentwicklungsplans (LEP) Nordrhein-Westfalen aufbaut, sind sechs Gemeindetypen auszumachen. Diese Typisierung umfasst mit den Ballungsräumen und den Mittelstädten zwei Kernstadttypen sowie drei suburbane Raumtypen, die sich abgestuft um die jeweiligen Kerne bilden. Eine restliche Gruppe von peripheren Kommunen lässt sich keiner dieser Kategorien zuordnen (siehe Abb. 1). 7

Sieverts 1999, S. 139.

8

Aring 2001. 105

Zukunft der Städte in NRW

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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen

BIELEFELD MÜNSTER

DORTMUND DUISBURG

ESSEN

ARNSBERG

DÜSSELDORF

KÖLN SIEGEN AACHEN BONN

Abb. 1: Lage der Siedlungstypen in Nordrhein-Westfalen Quelle: Aring

Großstadtzentren • Ballungskern-Kommunen nach LEP Nordrhein-Westfalen • Solitäre Verdichtungsgebiete laut LEP Nordrhein-Westfalen (Städte Aachen, Siegen, Paderborn, Bielefeld, Münster) • Stadt Hamm (zählt über 100.000 Einwohner und hat eine montanindustrielle Vergangenheit)

Erster Suburbia- bzw. Umlandring um Großstadtzentren • Ballungsrandzone nach LEP Nordrhein-Westfalen 106

Zukunft der Städte in NRW

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Räumliche Entwicklung

Zweiter Suburbia- bzw. Umlandring um Großstadtzentren • Gemeinden, die unmittelbar an die Ballungsrandzone oder an die Städte Paderborn, Bielefeld, Siegen, Münster angrenzen (in diesen Kommunen ist der Ballungsrand, das heißt der erste Umlandring eingemeindet) • Gemeinde, die an Osnabrück angrenzt • Ausnahme 1: kein zweiter Ring um Aachen, da hier für die Solitärstadt mit der Ballungsrandzone (laut LEP) bereits ein Umlandring definiert ist • Ausnahme 2: kein zweiter Ring am Ostrand der Ballungsrandzone des Ruhrgebiets, weil hier die Ballungsrandzone schon sehr weit definiert ist und Hamm eine Sonderform des Typs der Großstadtzentren darstellt (s.o.) • Ausnahme 3: Gemeinden, die den Kriterien der Mittelstädte entsprechen (s.u.), werden auch diesem zugeordnet (Verdichtungsräume Bielefeld und Siegen)

Mittelstädte • Zentren außerhalb der Ballungskern- und Ballungsrandzonen • Gemeinden mit mehr als 25.000 Einwohnern und mit positivem Einpendlersaldo

Suburbia- bzw. Umlandring um die Mittelstädte • alle Gemeinden, die unmittelbar an den zweiten Suburbiaring und die Mittelstädte angrenzen und nicht in die Ballungskern- oder Ballungsrandzonen fallen • zusätzlich: einzelne Gemeinden, die diesem Kriterium nicht entsprechen, aber aufgrund ihrer Verkehrsanbindung eine hohe Erreichbarkeit haben (Autobahnanschluss oder gut ausgebaute Bundesstraße)

Periphere Kommunen • alle anderen Kommunen (Gemeindecluster in der Eifel, dem Sauerland, OstWestfalen und dem Münsterland)

4.4.2 Bevölkerungsentwicklung Im Vergleich zur Verstädterungsphase im späten 19. Jahrhundert ist die Bevölkerungszahl in Nordrhein-Westfalen insgesamt in den letzten Jahrzehnten rela107

Zukunft der Städte in NRW

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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen

tiv konstant geblieben. Während - mit Ausnahme des Zuwanderungsbooms durch die deutsche Vereinigung Anfang der 1990er Jahre - die Bevölkerungszahl kaum Veränderungen aufweist, zeigen sich deutliche räumliche und soziale Verschiebungen zwischen den Gemeindetypen.

in Millionen 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 1970

1975

1980

1985

1990

1995

2000

Großstadtzentren

Mittelstädte

1. Umlandring um Großstadtzentren

Mittelstadtumland

2. Umlandring um Großstadtzentren

Periphere Kommunen

Abb. 2: Entwicklung der Einwohner nach Siedlungstypen Angaben: Anzahl der Einwohner absolut, Index 1970 = 100 Quelle: LDS NRW, Berechnungen Aring

Die Muster weisen auf eine zwar langsame, aber über die Jahrzehnte hinweg kontinuierliche Verschiebung hin, bei der die großstädtischen Zentren eindeutig als Schrumpfungsräume auszumachen sind (Abb. 2). Mit einem Bevölkerungszuwachs von knapp 40 Prozent in den letzten drei Jahrzehnten sind die Gemeinden im zweiten Umlandring die am stärksten wachsenden Bereiche. Ähnlich profitierten die Umlandgemeinden der Mittelstädte mit einem Gesamtzuwachs von nahezu 25 Prozent seit 1970. Trotz der Tatsache, dass in den Ballungsrandzonen und den Mittelstädten die Bevölkerung insgesamt deutlich zunimmt, ist das Wachstum wesentlich schwächer als im zweiten Umlandring und dem Umland der Mittelstädte.

Obgleich die Dynamik dieses Prozesses begrenzt ist, macht der Zeitvergleich eine deutliche Gewichtsverlagerung zu Lasten der Kernstädte und zu Gunsten vor allem der zweiten Umlandringe deutlich. Während die Bevölkerung in den großen Zentren dabei in den letzten Jahrzehnten um fast sieben Prozent zurückgegangen ist, wachsen vor allem die Gemeindetypen im Umland (Abb. 3).

4.4.3 Bevölkerungswanderung Aussagekräftiger als die Bevölkerungsveränderungen, in die zu erheblichen Teilen auch die natürliche Entwicklung eingeht, ist eine Analyse der Wanderungsbeziehungen. Wanderungen stellen gewissermaßen die „Abstimmung mit den Füßen“ über unterschiedliche Standorte dar. Ob Wanderungen dabei letztlich extern durch berufliche oder familiäre Gründe erzwungen oder als subjektive Standortoptimie108

Zukunft der Städte in NRW

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Räumliche Entwicklung

rung etwa der Wohnqualität gewollt sind, ist dabei zunächst nachrangig. Eine Analyse der Daten aus den 1990er Jahren zeigt, dass der weitaus überwiegende Teil der Gemeindegrenzen überschreitenden Wanderungen zwischen den Kommunen innerhalb von Nordrhein-Westfalen stattfindet (Abb. 4). Das jährliche Wanderungsvolumen liegt mit etwa einer Millionen Wanderungen etwa jeweils viermal so hoch wie das Wanderungsvolumen mit dem übrigen Bundesgebiet und dem Ausland. Der Saldo der Wanderungen mit dem übrigen Bundesgebiet und dem Ausland ist nach dem Zuwanderungsboom zu Beginn der 1990er Jahre auf nahezu Null zurückgegangen. Die Bevölkerungsveränderungen der letzten Jahre zwischen den Siedlungstypen in Nordrhein-Westfalen gehen also überwiegend auf Regionalwanderungen und auf unterschiedliche Ausprägungen bei der natürlichen Bevölkerungsentwicklung zurück.

46,1

Großstadtzentren

52,7 18,5

1. Umlandring um Großstadtzentren

16,8 9,4

2. Umlandring um Großstadtzentren

7,2 10,9

Mittelstädte

10,3 13,1

Mittelstadtumland

11,3

Periphere Kommunen 0

1,9

1970

1,8

1999 10

20

30

40

50

60

Abb. 3: Relativer Anteil der Einwohner nach Siedlungstypen 1970 und 1999 Angaben: Anteil der Einwohner an Nordrhein-Westfalen gesamt in Prozent Quelle: LDS NRW, Berechnungen Aring

1,4 in Millionen

1,2 1,0 0,8 0,6 0,4 0,2 0 - 0,2

Die Darstellung der Binnenwanderungen in Form einer Matrix erlaubt eine Erfassung der Wanderungen in und zwischen den einzelnen Siedlungstypen über die Gemeindegrenzen hinweg. Mit Hilfe der Daten des LDS lassen sich sowohl die Bruttowanderungsströme wie auch die Salden berechnen (Abb. 5 und 6).

1991

1992

1993

1994

1995

1996

1997

in NRW über Gemeindegrenzen (Volumen)

1998

1999

2000

mit Ausland (Volumen)

mit übrigem Bundesgebiet (Volumen) Ausland (Salden)

übriges Bundesgebiet (Salden)

Abb. 4: Wanderungsvolumina und Wanderungssalden in Nordrhein-Westfalen 1991 bis 2000 Anmerkung: Wanderungsvolumen (Summe der Zu- und Fortzüge), Wanderungssalden (Differenz von Zu- und Fortzügen), Saldo der Gemeindegrenzen überschreitenden Binnenwanderungen in Nordrhein-Westfalen ist Null Quelle: LDS NRW, Berechnungen Aring 109

Zukunft der Städte in NRW

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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen

Wanderungen 2000 von... Großstadt- 1. Umlandzentren ring

nach...

2. Umlandring

Mitelstädte

Mittelstadtumland

Periphere Kommunen

Summe ohne eigene Zone

Summe gesamt

Großstadtzentren

83.456

48.321

21.149

12.487

13.238

2.597

97.792

181.248

1. Umlandring

60.626

39.244

9.630

3.331

5.410

1.238

80.235

119.479

2. Umlandring

27.233

13.017

13.889

5.809

8.615

698

55.372

69.261

Mittelstände

11.149

3.163

5.639

9.746

22.885

1.514

44.350

54.096

Mittelstadtumland

15.691

8.043

10.847

24.397

24.041

3.547

62.525

86.566

Periph. Kommunen

2.315

997

748

1.498

3.360

2.718

8.918

11.636

349.192

Summe (ohne Zuzüge in derselben Region)

117.014

73.541

48.013

47.522

53.508

9.594

Summe Gesamt

200.470

112.785

61.902

57.268

77.549

12.312

Einwohner 1999

8.297.453

3.338.960

1.699.346

1.961.790

2.352.635

349.616

24,1

33,8

36,4

29,2

33,0

35,2

Wanderungen 1998 von... Großstadt- 1. Umlandzentren ring

2. Umlandring

Mitelstädte

Mittelstadtumland

Periphere Kommunen

Summe ohne eigene Zone

Summe gesamt

Wanderungen je tausend

nach...

522.286 17.999.800

Großstadtzentren

82.215

47.383

20.572

12.493

12.179

2.838

95.465

177.680

1. Umlandring

67.360

41.813

10.178

3.272

5.232

1.386

87.428

129.241

2. Umlandring

30.445

13.781

14.825

5.828

8.890

900

59.844

74.669

Mittelstände

11.847

3.339

5.973

10.252

24.093

1.924

47.176

57.428

Mittelstadtumland

17.060

8.304

11.586

26.442

24.893

3.743

67.135

92.028

Periph. Kommunen

2.436

1.076

829

1.611

3.622

3.066

9.574

12.640

366.622

Summe (ohne Zuzüge in derselben Region)

129.148

73.883

49.138

49.646

54.016

10.791

Summe Gesamt

211.363

115.696

63.963

59.898

78.909

13.857

Einwohner 1999

8.367.009

3.317.450

1.672.639

1.951.892

2.318.995

346.502

25,3

34,9

38,2

30,7

34,0

40,0

Wanderungen 1995 von... Großstadt- 1. Umlandzentren ring

2. Umlandring

Mitelstädte

Mittelstadtumland

Periphere Kommunen

Summe ohne eigene Zone

Summe gesamt

Wanderungen je tausend

nach...

543.686 17.974.487

Großstadtzentren

78.229

46.206

19.382

12.502

11.616

2.012

91.718

169.947

1. Umlandring

62.992

39.437

9.662

3.943

5.186

924

82.707

122.144

2. Umlandring

28.984

12.786

14.369

6.954

8.522

746

57.992

72.361

Mittelstände

12.488

3.183

5.329

10.643

24.134

1.609

46.743

57.386

Mittelstadtumland

17.343

7.472

10.497

27.349

24.553

3.593

66.254

90.807

Periph. Kommunen

2.621

944

769

1.805

3.568

2.943

9.707

12.650

355.121

Summe (ohne Zuzüge in derselben Region)

124.428

70.591

45.639

52.553

53.026

8.884

Summe Gesamt

202.657

110.028

60.008

63.196

77.579

11.827

Einwohner 1999

8.404.863

3.290.399

1.640.381

1.937.990

2.277.205

342.207

24,1

33,4

36,6

32,6

34,1

34,6

Wanderungen je tausend

525.295 17.893.045

Abb. 5a-b: Wanderungsströme von Gemeindegrenzen überschreitenden Wanderungen in Nordrhein-Westfalen nach Gemeindetypen Anmerkung: Abwanderungen aus Unna gleich Null, daher Abweichungen gegenüber amtlichen Angaben Quelle: LDS NRW, Berechnungen Aring 110

Zukunft der Städte in NRW

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Seite 111

Räumliche Entwicklung

nach...

Wanderungen 1987 von... Großstadt- 1. Umlandzentren ring

2. Umlandring

Mitelstädte

Mittelstadtumland

Periphere Kommunen

Summe ohne eigene Zone

Summe gesamt 152.497

Großstadtzentren

67.048

42.844

17.935

10.517

11.804

2.349

85.449

1. Umlandring

50.263

32.934

8.294

2.535

4.883

703

66.678

99.612

2. Umlandring

21.637

9.616

10.478

3.964

6.460

509

42.186

52.664

Mittelstände

10.350

2.731

4.366

7.673

17.334

1.258

36.039

43.712

Mittelstadtumland

13.199

5.748

7.080

17.020

16.809

2.267

45.314

62.123

Periph. Kommunen

2.120

726

587

1.015

2.359

1.885

6.807

8.692

282.473

Summe (ohne Zuzüge in derselben Region)

97.569

61.665

38.262

35.051

42.840

7.086

Summe Gesamt

164.617

94.599

48.740

42.724

59.649

8.971

Einwohner 1999

8.109.615

3.059.104

1.454.927

1.762.790

2.021.101

307.308

20,3

31,0

33,5

24,2

29,5

29,2

Wanderungen je tausend

419.300 16.711.845

Abb. 5b

Betrachtet man zunächst die Wanderungsströme, so ergibt sich folgendes Bild: Das Wanderungsvolumen in den Jahren 1995, 1998 und 2000 liegt mit 520.000 bis 540.000 Bewegungen etwa gleich hoch (Abb. 5). Weil jede Bewegung in einem Ort als Wegzug und in einem anderen Ort als Zuzug gezählt wird, kommt man rechnerisch auf ein Wanderungsvolumen von gut einer Millionen Zu- und Fortzügen. Das jährliche Volumen lag damit in der jüngeren Vergangenheit um etwa zwei Prozent über dem Niveau von 1987. Ein Anteil von etwa einem Drittel waren Wanderungen zwischen Kommunen desselben Gemeindetyps. Zwei Drittel führten über die Grenzen der Siedlungstypen. Absolut waren dies jeweils etwa 350.000 Wanderungen (1987 rund 280.000). Nach den Wanderungssalden zeigt sich für alle untersuchten Jahre ein einheitliches Grundmuster: Die Großstädte verlieren im Saldo Bevölkerung an alle suburbanen Raumtypen (Abb. 6). Der Ballungsrand gewinnt von den Kernstädten und verliert an den zweiten Umlandring und das Mittelstadtumland. Der zweite Umlandring verlor schließlich 1995 bis 2000 leicht an das Mittelstadtumland. Insgesamt beobachtet man also ein kaskadenartiges Wanderungsmuster von Innen nach Außen, das wiederum dem Bild der räumlichen Bevölkerungsverschiebung entspricht. Die Niveaus der Verluste sind zwischen den einzelnen Jahren aber durchaus unterschiedlich. 1987 lag der kumulierte Verlust der Kernstädte bei etwa 7.400 Einwohnern an den Ballungsrand und 3.700 Einwohnern an den zweiten Ring. Bis 1998 haben sich diese Verluste auf nahezu 20.000 bzw. 10.000 erhöht. Die Zahlen für das Jahr 2000 zeigen dann wieder mit Verlusten in Höhe von etwa 12.300 und 6.100 Einwohnern deutlich niedrigere Werte. Dies könnte als Hinweis auf eine wieder rückläufige Abwanderungsintensität gedeutet werden. 111

Zukunft der Städte in NRW

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9:11

Seite 112

Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen

Wanderungssalden 2000 aus Sicht von... mit... Großstadtzentren

Großstadt- 1. Umlandzentren ring

2. Umland- Mitelstädte ring

Mittelstadt- Periphere umland Kommunen

Summe

0

12.305

6.084

-1.338

2.453

-282

19.222

1. Umlandring

-12.305

0

3.387

-168

2.633

-241

-6.694

2. Umlandring

-6.084

-3.387

0

-170

2.232

50

-7.359

Mittelstände Mittelstadtumland Periph. Kommunen Summe

1.338

168

170

0

1.512

-16

3.172

-2.453

-2.633

-2.232

-1.512

0

-187

-9.017

282

241

-50

16

187

0

676

-19.222

6.694

7.359

-3.172

9.017

-676

0

Wanderungssalden 1998 aus Sicht von... mit... Großstadtzentren

Großstadt- 1. Umlandzentren ring

2. Umland- Mitelstädte ring

Mittelstadt- Periphere umland Kommunen

Summe

0

19.977

9.873

-646

4.881

-402

33.683

1. Umlandring

-19.977

0

3.603

67

3.072

-301

-13.545

2. Umlandring

-9.873

-3.603

0

145

2.696

-71

-10.706

646

-67

-145

0

2.349

-313

2.470

-4.881

-3.072

-2.696

-3.349

0

-121

-13.119

402

310

71

313

121

0

1.217

-33.683

13.545

10.706

-2.470

13.119

-1.217

0

Mittelstände Mittelstadtumland Periph. Kommunen Summe

Wanderungssalden 1995 aus Sicht von... mit... Großstadtzentren

Großstadt- 1. Umlandzentren ring

2. Umland- Mitelstädte ring

Mittelstadt- Periphere umland Kommunen

Summe

0

16.786

9.602

-14

5.727

609

32.710

1. Umlandring

-16.786

0

3.124

-760

2.286

20

-12.116

2. Umlandring

-9.602

-3.124

0

-1.625

1.975

23

-12.353

Mittelstände Mittelstadtumland Periph. Kommunen Summe

14

760

1.625

0

3.215

196

5.810

-5.727

-2.286

-1.975

-3.215

0

-25

-13.228

-609

-20

-23

-196

25

0

-823

-32.710

12.116

12.353

-5.810

13.228

823

0

Abb. 6a: Wanderungssalden von Gemeindegrenzen überschreitenden Wanderungen in NordrheinWestfalen nach Gemeindetypen Anmerkung: Abwanderungen aus Unna gleich Null, daher Abweichungen gegenüber amtlichen Angaben Quelle: LDS NRW, Berechnungen Aring 112

Zukunft der Städte in NRW

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Räumliche Entwicklung

Wanderungssalden 1995 aus Sicht von... mit... Großstadtzentren

Großstadt- 1. Umlandzentren ring

2. Umland- Mitelstädte ring

Mittelstadt- Periphere umland Kommunen

Summe

0

7.419

3.702

-167

1.395

-229

12.120

1. Umlandring

-7.419

0

1.322

196

865

23

-5.013

2. Umlandring

-3.702

-1.322

0

402

620

78

-3.924

Mittelstände Mittelstadtumland Periph. Kommunen Summe

167

-196

-402

0

-314

-243

-988

-1.395

-865

-620

314

0

92

-2.474

229

-23

-78

243

-92

0

279

-12.120

5.013

3.924

988

2.474

-279

0

Abb. 6b

Auch aus einzelnen Kommunen und anderen Raumbeobachtungen kommen entsprechende Hinweise.9 Insgesamt stellt sich in der kumulierten Bilanz das Abwanderungsgeschehen in quantitativer Hinsicht als nicht besonders bedeutend dar. Wenn die 31 Großstädte mit zusammen etwa 8,3 Millionen Einwohnern in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre etwa 30.000 Einwohner jährlich an andere Gemeindetypen verloren haben und dieser Wert im Jahr 2000 sogar auf einen Verlust von knapp 20.000 zurückging, dann relativieren sich die Gesamtverluste, die durch die Suburbanisierung entstehen. Erscheinen in der Gesamtschau der Kernstädte die wanderungsbedingten Verluste an das Umland noch moderat, zeigen die typenbezogenen Wanderungssalden, dass einzelne Großstädte aus dem Muster herausfallen (Abb. 7). Relativ betrachtet bilden im Jahr 2000 die Städte Hamm, Gelsenkirchen, Duisburg, Hagen und Dortmund mit einem Verlust zwischen 4,4 und 13,2 Einwohnern je tausend Einwohner das Schlusslicht.10 Bonn, Recklinghausen, Leverkusen, Neuss und Oberhausen belegen hingegen mit positiven Salden die fünf Spitzenplätze in diesem Jahr. Hier werden auch die Grenzen einer Typisierung von Städten nach funktionsräumlichen Kriterien deutlich. Andere Ansätze der Typisierung, wie sie in den Kapiteln B1 und B3 vorgenommen werden, bilden die Differenzierung innerhalb der Großstädte deutlicher ab.

9

Hallenberg 2002.

10 Die Städte mit den größten absoluten Einwohnerverlusten waren im Jahr 2000 Duisburg (-3.105), Dortmund (-2.620), Hamm (-2.406), Gelsenkirchen (-1.860) und Köln (-1.878). Den absoluten Gegenpol markierte Bonn mit einem positiven Wanderungssaldo von 1.100 Einwohnern. 113

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9:11

Seite 114

1,4

Bonn

Wanderungssaldo mit anderen Gemeindetypen

Recklinghausen

Wanderungssaldo gesamt

2,4

0,0

Leverkusen Neuss

-1,6

Oberhausen

-1,6

1,4 -0,1

1,2

-0,7

Witten

1,8 1,6

Paderborn

0,1

-2,4

Mülheim a.d. Ruhr

-0,1 0,3

Solingen

-0,3 -3,3

Gladbeck

-0,4 -1,8

Castrop-Rauxel

-0,7 -1,1 -0,9

Bielefeld -1,3

Remscheid

-0,9 -2,8

Bottrop

-1,0 -3,1

Düsseldorf

-1,1 -0,7

Bochum

-1,3 -1,9 -1,6

Mönchengladbach

-2,2 -1,9

Aachen -4,2

Köln

-2,0

Herne

-1,8 -2,1

Münster

-2,1 -2,2 -3,0 -2,8

Krefeld

-1,7

Essen

-3,4 -4,0 -3,5

Herten Wuppertal

-4,2

Siegen

-4,2

-2,9 -2,6

-3,6

Dortmund

-4,4

Hagen

-5,4

Duisburg

-6,0

Gelsenkirchen

-3,5 -5,0 -3,1

-6,6

Hamm

-7,1

-13,2 -16,0

-14,0

-12,0

-10,0

-8,0

-6,0

-4,0

-2,0

0,0

2,0

Abb. 7: Wanderungssalden der Großstadtzentren mit den anderen Gemeindetypen Angaben: Salden der Zu- und Abwanderungen pro tausend Einwohner in 2000 Quelle: LDS NRW, Berechnungen Aring 114

3,6

0,4

4,0

Zukunft der Städte in NRW

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Seite 115

Räumliche Entwicklung

Die Einzelbetrachtung der Kernstädte verdeutlicht auch, dass die Abwanderung in die suburbanen Räume für viele Städte nur die Hälfte des Verlustes ausmacht (z.B. bei Hamm, Gelsenkirchen, Essen). Hier deuten sich Attraktivitätsdefizite an, die auch typische Stadtmenschen zu einer räumlichen Neuorientierung motivieren. In den Eckstädten des Ruhrgebietes Dortmund und Duisburg ist hingegen tatsächlich die Suburbanisierung dominierend, wobei die Stadt Dortmund nach neuesten Zahlen wieder leichte Bevölkerungsgewinne verbuchen kann.11 Ein dritter Städtetyp mit Köln, Düsseldorf und Bonn kann Suburbanisierungsverluste durch Zuwanderungsgewinne aus anderen Groß- und Mittelstädten sogar teilweise kompensieren. Es zeigt sich, dass eine Betrachtung anhand der Gebietskategorien die Unterschiede zwischen wachsenden und schrumpfenden Städten nicht abbildet. Die auf den Strukturwandel zurückgehenden Brüche werden in den Kapiteln B3 (Ebene von Städten) und B5 (kleinräumig auf Stadtteilebene) dargestellt.

4.4.4 Beschäftigtenentwicklung Die Gesamtentwicklung der Beschäftigten weist ebenso wie die Bevölkerungsentwicklung eine eindeutige räumliche Dekonzentration auf. Während die Ballungskerne zwischen 1970 und 1997 rund zehn Prozent der Arbeitsplätze verloren haben, hat die Zahl der Beschäftigten in allen anderen Raumtypen zugenommen. Besonders stark waren die Zuwächse im zweiten Umlandring und im Mittelstadtumland. Wie auch bei der Bevölkerungsentwicklung erkennt man bei den räumlichen Verschiebungen der Beschäftigtenentwicklung zwischen dem Ballungskern und dem Umland bzw. den Mittelstädten einen langsamen Prozess. Das Grundmuster eines dominanten Ballungsraumes und weniger gewichtiger Ergänzungsräume bleibt erhalten, jedoch sind die Verschiebungen zwischen Ballungskern und Umland bzw. Mittelstädten erkennbar (Abb. 8). Es ist offensichtlich, dass ein Teil der Arbeitsplatzdynamik im Umland eine Folge der Bevölkerungssuburbanisierung ist. Wachsende suburbane Räume ziehen haushaltsnahe Dienstleistungen wie Handel und Verwaltungen nach sich. Eine relative Betrachtung der Beschäftigten je tausend Einwohner ermöglicht eine Bereinigung des Effekts durch die Einwohnerentwicklung. Die Beschäftigungsdichte ist, den unterschiedlichen Zentralitäten der sechs Raumtypen entsprechend, in den Ballungskernen und Mittelstädten weiterhin überdurchschnittlich, jedoch sind die Raumtypen stetig näher aneinandergerückt (Abb. 9). Seit Beginn der 1970er Jahre hat sich im Maximum der Abstand vom Ballungskern von etwa 200 auf 130 Beschäftigte reduziert.

11 Angaben Stadt Dortmund, Fachbereich Statistik und Wahlen. 115

Zukunft der Städte in NRW

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Seite 116

Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen

4,5

Die Abnahme der Beschäftigten im sekundären Sektor ist im Vergleich der Raumtypen insbesondere im Ballungskern erkennbar. Inzwischen sind die Mittelstädte diejenigen Räume mit der stärksten Industrialisierungsdichte, während alle anderen Typen dahinter zurückbleiben und sich gleichzeitig in ihren Strukturen immer ähnlicher werden (Abb. 10).

4,0 3,5 3,0 2,5 2,0

1,5 1,0 0,5 0,0 1965

1970

1975

1980

1985

1990

1995

2000

Großstadtzentren

Mittelstädte

1. Umlandring um Großstadtzentren

Mittelstadtumland

2. Umlandring um Großstadtzentren

periphere Kommunen

Abb. 8: Beschäftigte 1970 bis 1997 Angaben: Beschäftigte insgesamt, Arbeitsplatzzählung 1970 und 1987, Anpassungsrechnungen für 1990, 1995 und 1997 Quelle: LDS NRW, Berechnungen Aring

600 500 460

436

400 300

308 259

200 100 0 1965

1970

1975

1980

1985

1990

1995

2000

Nordrhein-Westfalen gesamt Großstadtzentren

Mittelstädte

1. Umlandring um Großstadtzentren

Mittelstadtumland

2. Umlandring um Großstadtzentren

Periphere Kommunen

Abb. 9: Relative Entwicklung der Beschäftigten nach Raumtypen - alle Beschäftigten Angaben: Beschäftige pro tausend Einwohner Quelle: LDS NRW, Berechnungen Aring 116

Die Entwicklung der Dienstleistungsbeschäftigten zeigt, dass in den Umlandtypen deutlich erkennbare Wachstumsprozesse im tertiären Bereich stattfinden. Es wird aber auch deutlich, dass dieses Wachstum weniger im Bereich Handel, Verkehr und Nachrichten stattfindet (Abb. 11). Die Dynamik wird vor allem durch die Beschäftigten in den sonstigen Dienstleistungen (Kredit, Versicherungen und sonstige Dienstleistungen) getragen (Abb. 12). Das Wachstum ist allerdings nicht parallel zur Bevölkerungsentwicklung verlaufen, sondern hat sich in Relation zur Einwohnerzahl sogar in etwa verdoppelt. Zwar haben alle Raumtypen über die beobachteten Jahre hinweg deutlich zugelegt, jedoch ist sowohl das Niveau als auch das Wachstumstempo im Ballungskern deutlich höher ausgeprägt als in den Umlandtypen. Eine differenziertere Betrachtung der einzelnen Ballungskerne in ökonomischer Hinsicht zeigt innerhalb dieses Typs noch einmal deutliche Unterschiede (vgl. Kapitel B3).

Zukunft der Städte in NRW

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Seite 117

Räumliche Entwicklung

Abb. 10: Relative Entwicklung der Beschäftigten im sekundären Sektor nach Raumtypen Angaben: Beschäftige pro tausend Einwohner Quelle: LDS NRW, Berechnungen Aring

300 250 200 150 100 50 0 1965

1970

1975

1980

1985

1990

1995

2000

Nordrhein-Westfalen gesamt

Abb. 11: Relative Entwicklung der Beschäftigten in sonstigen Dienstleistungen im Bereich Handel, Verkehr und Nachrichten nach Raumtypen Angaben: Beschäftige pro tausend Einwohner Quelle: LDS NRW, Berechnungen Aring

Großstadtzentren

Mittelstadtumland

1. Umlandring um Großstadtzentren

Mittelstädte

2. Umlandring um Großstadtzentren

Periphere Kommunen

300 250 200 150 100 50 0 1965

1970

1975

1980

1985

1990

1995

2000

Nordrhein-Westfalen gesamt

Abb. 12: Relative Entwicklung der Beschäftigten in Dienstleistungen im Bereich Kredit, Versicherungen, sonstige private Dienstleistungen nach Raumtypen Angaben: Beschäftige pro tausend Einwohner Quelle: LDS NRW, Berechnungen Aring

Großstadtzentren

Mittelstädte

1. Umlandring um Großstadtzentren

Mittelstadtumland

2. Umlandring um Großstadtzentren

Periphere Kommunen

300 250 200 150 100 50 0 1965

1970

1975

1980

1985

1990

1995

2000

Nordrhein-Westfalen gesamt Großstadtzentren

Mittelstädte

1. Umlandring um Großstadtzentren

Mittelstadtumland

2. Umlandring um Großstadtzentren

Periphere Kommunen

117

Zukunft der Städte in NRW

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Seite 118

Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen

4.4.5 Pendlerverflechtungen Diskutiert man die Entwicklung von Pendlerstrukturen im Kontext einer wachsenden Suburbanisierung, so werden verschiedene Thesen vertreten. Generell geht man von einer steigenden Pendlerintensität aus, weil Wohn- und Arbeitsort in großflächig urbanisierten Räumen immer öfter auseinander fallen. Gleichzeitig nimmt aber die Dominanz der Pendelorientierung auf den Ballungskern und die Mittelstädte ab. Zunehmend wird auch aus den Kernstädten ausgependelt, und es finden gleichzeitig vermehrt Querbewegungen innerhalb der suburbanen Räume statt. Mit dem bisher vorliegenden Zahlenmaterial12 lassen sich diese Thesen weder bestätigen noch widerlegen, weil es an einer Zeitreihe über einen längeren ZeitPendler 1999 von... 2. Umlandring

Mitelstädte

Summe

Summe

Periphere Kommunen

zonenüberschreitend

gesamt

74.868

9.376

782.088

1.300.047

nach... Großstadtzentren

517.959

443.803

207.003

1. Umlandring

202.617

192.232

64.995

8.001

27.290

1.743

304.646

496.878

2. Umlandring

48.248

24.756

48.942

20.578

36.799

1.506

131.887

180.829

Mittelstände

28.687

10.722

33.823

65.207

175.331

11.380

259.943

325.150

Mittelstadtumland

13.880

9.143

25.216

83.365

110.399

15.540

147.144

257.543

725

164

411

2.494

9.184

13.814

12.978

26.792

Summe (Zonenüberschreitend)

294.157

488.588

331.448

161.476

323.472

39.545

1.638.686

Summe Gesamt

812.116

680.820

380.390

226.683

433.871

53.359

1. Umlandring

2. Umlandring

Mitelstädte

Mittelstadtumland

Periphere Kommunen

Periph. Kommunen

1. Umlandring

Mittelstadtumland

Großstadtzentren

47.038

2.587.239

Pendlersalden 1999 Großstadtzentren

nach... Großstadtzentren

0

-241.186

-158.755

-18.351

-60.988

-8.651

1. Umlandring

241.186

0

-40.239

2.721

-18.147

-1.579

-487.931 183.942

2. Umlandring

158.755

40.239

0

13.245

-11.583

-1.095

199.561

Mittelstände

18.351

-2.721

-13.245

0

-91.966

-8.886

-98.467

Mittelstadtumland

60.988

18.147

11.583

91.966

0

-6.356

176.328

Periph. Kommunen

8.651

1.579

1.095

8.886

6.356

0

26.567

487.931

-183.942

-199.561

98.467

-176.328

-26.567

0

Summe (Zonenüberschreitend)

Abb. 13: Pendler in Nordrhein-Westfalen 1999 Quelle: LDS NRW, Berechnungen Aring 12 Abgleich der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit den gemeldeten Wohnorten und Unternehmenssitzen. 118

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Räumliche Entwicklung

raum fehlt. Die Pendlerdaten für 1999 geben nur einen Einblick in das aktuelle Muster (Abb. 13). Dieses deckt sich mit der These einer hohen Pendlerverflechtung. So pendeln beispielsweise fast 444.000 Beschäftigte aus dem Ballungsrand in den Ballungskern. Gleichzeitig pendeln aber auch nahezu 203.000 Beschäftigte in die Gegenrichtung. Der Ballungskern hat zwar einen hohen Einpendlerüberschuss, aber die berufsbedingten Pendlerströme finden nicht mehr auf einer Einbahnstraße statt.

4.4.6 Sozialstrukturen Unser Vorstellungsbild des suburbanen Raumes ist von amerikanischen Erfahrungen geprägt. Was auf der städtebaulichen Seite mit dem Klischee des Einfamilienhausteppichs verbunden wird, wird auf der sozialen Seite vom Bild der deutschen Mittelschichtfamilie flankiert. Dieses Bild trifft für Nordrhein-Westfalen keineswegs zu. Natürlich gibt es deutliche Unterschiede zwischen dem Ballungskern und den anderen Raumtypen des Landes. Das soziale Stadt-UmlandGefälle wird vor allem durch die sozialräumlichen Analysen deutlich (vgl. Kapitel B5). Bestimmte Unterschiede (besser: „Abstände“ in den Sozialstatistiken) sind auch trotz der Veränderungen der letzten Jahrzehnte bestehen geblieben oder haben sich sogar vergrößert. Gleichzeitig finden sich heute in den Umlandräumen Sozialstrukturen, die vor einigen Jahren bzw. Jahrzehnten noch als typisch großstädtisch galten. So ist beispielsweise der Anteil der nicht-deutschen Bevölkerung insgesamt deutlich gestiegen. Die stärksten Anstiege verzeichneten dabei die Ballungskerne. Dennoch haben auch in 2,0 0 4,0 10,0 12,0 14,0 16,0 6,0 8,0 den Umlandtypen innerhalb eines Jahrzehnts die Großstadtzentren Anteile der nicht-deutschen Erster Umlandring Bevölkerung so deutlich zugenommen, dass die Bal- Zweiter Umlandring lungsrandzone im Jahr Mittelstädte 2000 das Niveau des Ballungskerns von 1987 Mittelstadtumland erreicht hat, der zweite Periphere Kommunen Ring hingegen das Niveau der Ballungsrandzone von Nordrhein-Westfalen gesamt 1987 (Abb. 14). Zwischen 1987 den Mittelstädten, die nach Zuwachs 1987 bis 1999 einem Jahrzehnt den Aus- Abb. 14: Ausländerquoten 1987, Veränderung bis 2000 gangslevel des Ballungs- Quelle: LDS NRW, Berechnungen Aring 119

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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen

45,0 1970 40,0

1987

39,3

35,0 30,0

28,3 27,9

Referenzniveau Große Zentren 1970

32,9

27,6 23,9

25,0 22,6 21,1

20,0

20,0

16,8 15,0 10,0

21,9

21,4

15,7

21,4

kerns erreichen, und dem Mittelstadtumland zeichnen sich ähnliche Prozesse ab. Diese Entwicklung hat wenig mit einer Randwanderung der ausländischen Bevölkerung zu tun. Eher spiegeln sich in diesen Prozessen ein Geburtenüberschuss und ein Familienzuzug wider.

5,0

Für die Entwicklung der Haushaltsgrößen liegen Großstadt1. Um2. UmMittelMittelstadt- periphere NRW lediglich Daten auf Gezentren landring landring städte umland Kommunen gesamt meindeebene aus den Abb. 15: Einpersonenhaushalte 1970 und 1987 Volkszählungen vor. ÄhnAngaben: Anteil der Einpersonenhaushalte an allen Haushalten in Prozent, Volkszählungen 1970 und 1987 lich wie bei der EntwickQuelle: LDS NRW, Berechnungen Aring lung der Ausländeranteile hat es bei der Zahl der Einpersonenhaushalte zwischen 1970 und 1987 eine Seitwärtsbewegung gegeben (Abb. 15). In allen Raumtypen ist die Anzahl der Einpersonenhaushalte gestiegen. Ein Niveauabstand zwischen Städten und Umland ist geblieben, aber die Ballungsrandzone hat 1987 das Niveau des Ballungskerns von 1970 erreicht. Ähnlich haben sich die anderen Raumtypen entwickelt. Auch hier ist die Entwicklung in den Ballungskernen am stärksten ausgeprägt. 0,0

Die beiden Kenndaten zeigen deutlich, dass die soziokulturellen Unterschiede zwischen den Kernstädten und den Umlandgemeinden weiterhin bestehen, obwohl die frühere Homogenität der Strukturen im ländlichen Raum verloren gegangen ist. Aber die verschiedenen Umlandtypen durchlaufen einen deutlichen Veränderungsprozess. In weiten Teilen des suburbanen Raumes finden sich heute Quoten an Einpersonenhaushalten und Ausländern, die zwei Jahrzehnte zuvor noch als ausgesprochen großstädtisch bezeichnet worden wären. Dies stützt die These einer Urbanisierung des Umlandes, das durch zunehmende Vielfalt in Bevölkerungszusammensetzung und Funktionen einen deutlichen Reifeprozess durchläuft. Auch die aktuellen siedlungsstrukturellen Untersuchungen von Siedentop und anderen lassen in Deutschland eine kontinuierliche Angleichung etwa im Einkommensniveau erkennen, da das Wohlstandswachstum in den peripheren Regionen im Zeitverlauf stärker als in den Kernen ansteigt. In einigen Agglomerationen liegt das Wohlstandsniveau der Räume unmittelbar um die Kernstädte 120

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Räumliche Entwicklung

bereits deutlich höher als das der Kernstädte. In der gleichen Untersuchung wird festgestellt, dass eine mögliche altersselektive Suburbanisierung, nach der vor allem jüngere Haushalte in den suburbanen Raum abwandern, insbesondere durch den internationalen Zuzug junger Haushalte abgeschwächt wird.13 Die Unterschiede zwischen dem Ballungskern und dem Umland haben sich insgesamt vergrößert, so dass der Ballungskern weiterhin eine Vorreiterrolle bei den großen sozialen Veränderungen übernehmen muss. Damit können gerade großstädtische Strukturen auch weiterhin als eine der Ursachen für eine Abwanderung von Teilen der Bevölkerung ins Umland bleiben.

4.4.7 Wanderungsmotive In Nordrhein-Westfalen haben in den letzten Jahren eine Reihe von Großstädten Wanderungsumfragen durchgeführt. Im Arbeitskreis Kommunale Wohnungsbeobachtung mit der Wohnungsbauförderungsanstalt (Wfa) als Koordinierungsstelle, kommen Vertreter von 21 Städten und dabei überwiegend Großstädte aus Nordrhein-Westfalen zu einem Erfahrungsaustausch zusammen. Aus diesem Kreis haben die Städte Dortmund, Duisburg, Düsseldorf, Hagen und Münster in den letzten Jahren Wanderungsanalysen durchgeführt und publiziert.14 Unabhängig von dem Arbeitskreis hat die Stadt Leverkusen sowohl Meldedaten ausgewertet als auch eine Zu- und Fortziehendenbefragung durchgeführt. Alle Arbeiten haben grundsätzlich mit einem methodischen Dilemma zu kämpfen: Etwa sechs Prozent der Bevölkerung Nordrhein-Westfalens zogen in den letzten Jahren jährlich um und überschritten dabei Gemeindegrenzen. Mit rund 550.000 Personen zogen jährlich etwa drei Prozent der Bevölkerung innerhalb Nordrhein-Westfalens in eine andere Kommune, wobei diese Umzüge in der Statistik doppelt gezählt werden: Einmal in einer Kommune als Fortzug und einmal in einer anderen Kommune als Zuzug. Das entspricht dann etwa 1,1 Millionen Wanderungsbewegungen in Nordrhein-Westfalen pro Jahr, die über die Gemeindegrenzen hinweg erfolgen. Wirkungen auf das räumliche Gefüge gehen aber letztlich von den Salden aus. Die Summe aller kommunalen Salden belief sich im Jahr 2000 gerade einmal auf etwa 46.000 Personen, was etwa acht Prozent der genannten Umzüge entspricht. Und auch hierin sind noch Umzüge zwischen Kommunen des gleichen Raumtyps enthalten. Die schwierige Aufgabe für alle Wanderungsanalysen besteht darin, aus einem enorm hohen „Grundrauschen“ aller Wanderungen den für Verschiebungen zwi13 Siedentop/Kausch/Einig/Gössel 2003, S. 137ff. 14 Die Stadt Köln hat jüngst eine Studie durchgeführt, deren Ergebnisse noch nicht veröffentlicht sind. 121

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schen Kernstädten und Umland relevanten Teil herauszufiltern. Hieraus und aus der großen Bedeutung sehr persönlicher, zum Teil komplexer Wanderungsmotive wird deutlich, dass alle Aussagen entsprechender Untersuchungen nur eingeschränkte Übertragbarkeit besitzen. Die Motivforschung hat hierzu ergeben, dass es nicht ein dominierendes Abwanderungsmotiv gibt, sondern dass verschiedene Wanderungstypen - wie z.B. Preisoptimierer, Lebensqualitätsoptimierer, biografische Wanderer und andere - unterschieden werden müssen, die jeweils unterschiedliche Anforderungen an Wohnung und Wohnumfeld stellen.15 Die Wanderungsanalysen der Städte Dortmund und Leverkusen lassen durch die räumliche Zuordnung der Fort- und Zuziehenden allgemeine Aussagen zu typenübergreifenden Wanderungsmotiven zu.16 Bei einer vergleichenden Auswertung der Analysen zeigen sich immer wieder zwei Ergebnisse, die jedoch nicht immer gleichgewichtig dargestellt werden. Erstens: Die Wanderungsmuster sind komplex. Ein erheblicher Teil der Wanderungen hat persönliche Motive, die losgelöst vom Raumtyp sind und - sieht man einmal von der Beschäftigungssituation ab - kaum politisch beeinflussbar sind. Da die Umlandräume im Laufe der Jahre ein differenziertes Wohnungsangebot entwickelt haben, ziehen längst nicht nur Familien mit Kindern ins Umland, sondern auch Singles und Zweipersonenhaushalte, Junge und Alte. Mieteranteile von über 50 Prozent sind bei den Umlandwanderern nicht außergewöhnlich. Wenn daraus allerdings im Umkehrschluss gefolgert wird, die Themen Wohneigentum und Eigenheim seien weniger wichtig als gemeinhin gesagt wird, liegt eine Fehleinschätzung vor. Etwa die Hälfte der Haushalte in Deutschland gehen im Lebenszyklus den Schritt zum Wohneigentum, zumeist bis zum Alter von 45 Jahren. Spätestens dann wird unter den heutigen Bedingungen für viele eine endgültige Standortwahl zwischen Stadt und Umland zugunsten des Umlandes getroffen. Dabei ist es belanglos, dass sie sich in jungen Jahren drei- oder viermal bei Umzügen pro Stadt entschieden haben. Zweitens: Jenseits des Grundrauschens des allgemeinen Wanderungsgeschehens, das längst die Umlandräume in voller Breite mit eingebunden hat und Ausdruck von Vielfalt ist, gibt es weiterhin eine klassische Suburbanisierung. Die Befragungen, bei denen Zu- und Fortwanderung im Kontext analysiert werden, zeigen in der Bilanz ein differenziertes Bild. Die Umlandräume sind grüner, ruhiger und überschaubarer. In ihnen lässt sich leichter Wohneigentum bilden und ein Eigenheim realisieren. Wohnen im Umland führt für die Haushalte unter dem Strich meist nicht zu einer Reduktion der Wohnkostenbelastung. Die Bodenpreis- und Immobilienkostenvorteile erlauben jedoch, dass man für das gleiche Geld mehr Wohnraum und mehr Freiraum erhält.

15 ILS NRW 2002a, S. 10. 16 Vgl. Stadt Dortmund 2001 und Stadt Leverkusen 1999. 122

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Die Rolle der Wohnkosten bzw. Bodenpreise wird besonders in der Wanderungsumfrage aus Münster deutlich.17 Münster stellt für viele eine ausgesprochen attraktive Stadt dar. Eine im positiven Sinne provinzielle Urbanität, eine historische Altstadt, attraktive Wohnquartiere, viel innerstädtisches Grün und kurze Wege in die freie Landschaft prägen die Stadt. Trotz dieser Qualitäten verliert Münster aufgrund einer negativen Wanderungsbilanz Einwohner. Bei der Fortziehendenbefragung äußerten 60 Prozent der Befragten, sie wären lieber in Münster geblieben (Dortmund 42, Hagen 33 Prozent). Die Wohnungswahl ist immer ein Abwägungsprozess zwischen Preisen und Präferenzen. „Typisch im Abwägungsprozess sind Opportunitätsüberlegungen und -entscheidungen. Die Haushalte müssen ihre Präferenzen mit dem Angebot und den Preisstrukturen in Einklang bringen. Hier gibt es grundsätzlich drei Anpassungsmöglichkeiten: das Ausweichen in billigere Räume, die Reduktion der eigenen Ansprüche oder der Konsumverzicht in anderen Bereichen“.18 Unterstrichen werden diese Erkenntnisse auch von Hallenberg, wenngleich aus der Perspektive einer möglichen Rückkehr in die Stadt: Die allgemeine Attraktivität der Stadt, eine gute Wohnumfeldqualität sowie ein hinreichendes Baulandund Wohnungsangebot reichen nicht aus, wenn die infrage kommende wanderungsbereite Bevölkerung nicht auch über die ökonomischen Möglichkeiten zur Rückkehr in die Stadt verfügt.19 Das Niveau der Bodenpreise einschließlich der umfangreichen Kosten bis zum Baubeginn, z.B. für Hausanschlüsse der Verund Entsorgungsbetriebe ist hier ebenso wichtig wie das Mietniveau. Hallenberg stellt einen zwar etwas zeitverschobenen, aber eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Umfang der Fortzüge ins Umland und den Neubaumieten fest. Er weist diese Entwicklung seit der zweiten Hälfte der 1980er Jahre und insbesondere für die wohnungsmarktaktive Gruppe der 30 bis 49jährigen nach.

4.4.8 Ursachen der Dezentralisierung von Gewerbe und Dienstleistungen Die Beschäftigtenentwicklung in Nordrhein-Westfalen wird langfristig durch vier große Trends dominiert: • den Rückgang im Bergbau und bei den traditionellen Massenindustrien (insbesondere Stahlwerke, Metallverarbeitung, Textilien), • die Tertiärisierung in und zwischen den Branchen, 17 Stadt Münster 2000. 18 BMBau 1996, S. 71. 19 Hallenberg 2002. 123

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• die Standortentscheidungen bzw. -verlagerungen der Wirtschaftsunternehmen und • die konjunkturellen Zyklen. Während konjunkturelle Zyklen nahezu flächendeckend das gesamte Land betreffen, hat der Strukturwandel eine ausgesprochen räumliche Komponente. Alte Industrien können nur da wegbrechen, wo sie entstanden sind - das heißt in den großen Städten und anderen Konzentrationsräumen (z.B. Textilindustrie Westmünsterland). Neue Arbeitsplätze reflektieren hingegen die aktuellen Standortbedingungen und ihre Wertungen. So wird nach der Beschäftigtenentwicklung insgesamt eine Arbeitsplatzdezentralisierung bzw. eine Urbanisierung des Umlandes erkennbar. Insbesondere der Kernumlandring und das Mittelstadtumland sind die wachsenden Räume. Dennoch dominieren die Kernstädte weiterhin das allgemeine Grundmuster. Vor allem der aktuelle ökonomische Leitsektor der Finanzdienstleistungen und der sonstigen Dienstleistungen erweist sich als Domäne der Kernstädte und nicht als die des Umlandes (siehe dazu auch die Ausführungen in Kapitel B3). Die räumliche Dekonzentration von gewerblichen und Dienstleistungsarbeitsplätzen ist auf zwei Ebenen zu betrachten. Ein Teil der Arbeitsplatzdynamik in den Umlandräumen erscheint als unmittelbare Folge der Bevölkerungssuburbanisierung. Die wachsenden suburbanen Räume brauchen vermehrt lokalen Einzelhandel, lokale Dienstleistungen wie Ärzte, Apotheken oder Anwälte sowie lokale Verwaltungen. Hier handelt es sich um einen Anpassungsprozess auf einen bestimmten notwendigen Mindestbesatz an vor allem haushaltsnaher Dienstleistungsinfrastruktur, also um eine endogene Entwicklung. Hingegen lassen die bisherigen Erkenntnisse noch keine eindeutige Aussage zu, in welchem Umfang die zu beobachtende Dekonzentration auf eine Suburbanisierung des gewerblichen Sektors und der Dienstleistungen zurückzuführen ist. Es könnte laut Brake auch zu einer Dynamik der suburbanen Räume kommen, bei der lokale Betriebe eine eigene Wachstumsdynamik entwickeln oder neue Wirtschaftsaktivitäten unmittelbar im suburbanen Raum stattfinden.20 Der allgemeine wirtschaftliche Strukturwandel, der sich in der Aufgabe alter sowie in der Gründung völlig neuer Betriebe und Betriebsstrukturen an anderen - geeigneteren - Standorten zeigt, dürfte eine deutlich größere Wirkungsdimension haben als die - der Suburbanisierung der Bevölkerung vergleichbare - Standortverlagerung bestehender Betriebe in das Umland. In den Bereichen der Gewerbeund Bürosuburbanisierung lassen sich jedoch Entwicklungstendenzen beobachten, die zu neuen Standortmustern führen können. Für die jüngeren Entwicklungen lässt sicht noch kein einheitliches Muster nachweisen. Weder verläuft die Entwicklung in allen Stadtregionen im gleichen 20 Brake in den einführenden Überlegungen zu Brake/Dangschat/Herfert 2001. 124

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Tempo und in die gleiche Richtung, noch zeigt sich innerhalb der Stadtregionen ein neues homogenes Muster. Derartige Entwicklungen lassen sich mit dem System der Zentralen Orte allein nicht mehr abbilden.

Dezentralisierung von Gewerbe Die Dekonzentration von Produktions- und insbesondere flächenintensiven Distributionsgewerbe ist neben der Auflösung von Gemengelagen vor allem eine Reaktion auf das Kern-Rand-Gefälle der stadtregionalen Bodenpreise. Die städtischen Bodenmärkte forcieren eine Verlagerung oder gar Auflösung von Produktionsstätten zugunsten von Büronutzungen, die höhere Bodenerträge erwarten lassen.21 Eine weitere Ursache ist auch in strengen Auflagen etwa in Form von gestalterischen Vorgaben oder der Forderung nach hohen Arbeitsplatzdichten für die Nutzung von zentral gelegenen Gewerbeflächen zu sehen. Mit Ausnahme vom Raum Düsseldorf ist der Umnutzungsdruck in NordrheinWestfalen weniger ausgeprägt als etwa in München, Stuttgart oder Frankfurt. Trotzdem gibt es eine Flächenkonkurrenz, da die Nachnutzung von Gewerbeflächen durch Wohnnutzungen und ergänzende Dienstleistungen höhere Bodenerträge verspricht als eine gewerbliche Weiternutzung. Selbst in Räumen mit einem großzügigen Flächenangebot, in denen sich Flächenumnutzungen lange hinziehen können, ist die hohe Renditeerwartung ungebremst. Angesichts dieser Erwartungshaltung werden seitens der Grundeigentümer, aber auch der lokalen Politiker und Planer verdichtete und intensivere Nutzungen eingefordert, die sich in den Kennziffern der Gewerbeflächen in Nordrhein-Westfalen niederschlagen. So ist in den Ballungsräumen vor allem auf neuen Gewerbeflächen die durchschnittliche Flächeninanspruchnahme mit 197 Quadratmeter pro Beschäftigten deutlich niedriger als im Ballungsrand oder dem ländlichen Raum mit 284 bzw. 434 Quadratmeter Gewerbefläche pro Beschäftigten.22 Laut Kahnert orientiert sich die Randwanderung des Gewerbes in Deutschland bereits auf den zweiten oder dritten Ring der Agglomerationen, da im unmittelbaren Umland im Wettbewerb um gewerbliche Standorte verstärkte Nachfrage von Dienstleistungsbetrieben, ansässigen Unternehmen, Neuansiedlungsinteressen und Umlandwanderern aufeinander treffen.23 In Nordrhein-Westfalen trifft dies weniger auf den zweiten Umlandring als vor allem auf die Mittelstädte und deren Umland zu. Die Beschleunigung von Produktionsprozessen, Größenbeschränkungen in der Fabrikgröße sowie die Intensivierung von Zuliefererbeziehungen und die Reduk21 Kahnert 1998. 22 Mielke 2002. 23 Kahnert 1998, S. 51. 125

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tion von Lieferbeziehungen wird sich laut Kahnert in Zukunft auch auf die räumlichen Muster niederschlagen. Vor allem kleinere und mittlere Einzelbetriebe werden sich je nach Agglomeration und Gewerbeflächenangebot und -preisen in den ersten oder zweiten Agglomerationsring verlagern. Die Verlagerung orientiert sich eher in räumlicher Nähe, um Kundenbeziehungen aufrecht zu erhalten und qualifizierte Arbeitskräfte zu halten. Insbesondere Unternehmen mit beengten Entwicklungsverhältnissen - vor allem in den Agglomerationen - verlagern eher in Richtung von Standorten mit ausreichendem Entwicklungsspielraum, der wiederum vor allem im ländlichen Raum zu finden ist. Wie sich die künftigen organisatorischen Veränderungen im produzierenden Gewerbe und Änderungen im Standortverhalten räumlich niederschlagen werden, gilt gegenwärtig noch als unklar.24 Dezentralisierung von Büroarbeitsplätzen Neben der Dezentralisierung von flächenintensivem Gewerbe beobachtet man in den letzten Jahren auch eine zunehmende Dezentralisierung von Dienstleistungen. Die vorangegangenen Analysen zeigen eindeutig, dass in den verschiedenen Umlandtypen entsprechende Wachstumsprozesse bei den Dienstleistungsbeschäftigten, insbesondere bei den Finanz- und sonstigen Dienstleistungen, stattgefunden haben. Allerdings sind das Niveau und das Wachstumstempo weiterhin deutlich geringer als im Ballungskern. Dienstleistungsarbeitsplätze stellen zu einem guten Teil Büroarbeitsplätze dar. In einer Studie zur Dezentralen Konzentration wurde Mitte der 1990er Jahre festgestellt: „Nach langen Perioden, in denen es zu einer Konzentration der Neubauten auf Kernbereiche der Agglomerationen kam, ist die Standortwahl seit einigen Jahren sehr viel dezentraler. Bevorzugt werden die Achsen in Richtung auf und im näheren Einzugsbereich von Flughäfen. Büroflächen entstehen aber auch immer mehr in einem Ring von Gemeinden in stark verstädterten Zonen im Umland der Kernstädte und entlang von Autobahnen an verkehrsgünstigen Standorten“.25 Diese Einschätzung beschreibt treffend die Entwicklung der späten 1980er und frühen 1990er Jahre. Sie muss aber auch vor dem Hintergrund des Vereinigungsbooms gesehen werden, der die Preise für Büroimmobilien zeitweise deutlich anziehen ließ. Nachdem in Deutschland lange Zeit vorwiegend Büros von Selbstnutzern gebaut wurden und Mietobjekte ein kleinteiliges ergänzendes Segment bildeten, hat sich die Situation seit Mitte der 1980er Jahre strukturell grundsätzlich verändert. Damit differenzierte sich die Nachfrage sowohl im Hinblick auf die Nachfrager als auch auf

24 Kahnert 1998, S. 513. 25 BMBau 1996, S. 58. 126

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die Standorte, Bürotypen und Qualitäten. Noch schwerer wiegen die räumlichen Unterschiede. In Relation zu anderen Bürostandorten in Deutschland haben sich in NordrheinWestfalen die Büromieten nur maßvoll entwickelt. Ein systematisches Herausdrängen von Büroinvestitionen in preiswerte Lagen findet bisher kaum statt. Nach wie vor sind neben dem Mietpreisgefälle zur Kernstadt Kundennähe und Verkehrsgunst bestimmend. Solche Argumente haben für unterschiedliche Nachfrager sehr unterschiedliches Gewicht. Die Büroarbeitsplatzsuburbanisierung muss - soweit vorhanden - deshalb mit branchenspezifischen Ausdifferenzierungsprozessen verbunden sein. Schon 1992 schrieb Brake für den Frankfurter Raum: Dort ist „seit den 1980er Jahren ein neuer regionaler Ring von Bürostandorten entstanden, der sich jedoch mit seiner Nutzung durch unternehmensbezogene Dienste der Technik, EDV, Gebäudereinigung und Vertrieb in seiner Struktur deutlich von der auf internationale Finanzdienstleistungen und Unternehmensberatung spezialisierten City unterscheidet“.26 Auf der empirischen Basis von Fallstudien in den Stadtregionen Bremen, Hannover, Frankfurt und München weisen Brake und andere eine „deutliche Gewerbesuburbanisierung“ nach, deren Träger „zunehmend mehr Dienstleistungen, darunter auch unternehmensbezogene“, sind. Insgesamt gewinnt man den Eindruck, dass „Tätigkeiten, die bei den Kunden nicht unbedingt auf strategische Erfordernisse eingehen“, „die ihre Leistungen in hoher Routine erbringen“, „die relativ wenig spontane Kooperationsformen zeigen“ und „die im wesentlichen den ganzen stadtregionalen Raum als Aktionsraum haben, vor allen Dingen ins Umland gehen und vice versa die anderen eher in die innere Stadt“.27 Räumlich richtet sich die überwiegende Masse der Dezentralisierung auf den suburbanen Gürtel im engeren Sinne.28 In einem zweiten Ring finden sich Orte mit eigenständiger Standortentwicklung, die jedoch „nicht von Verlagerungen aus der Kernstadt, sondern eher vom Zuzug in die Region bzw. auf jeden Fall von Eigenentwicklung“ profitieren.29

26 Brake 1992, S. 225f. 27 Brake/Bullinger/Rautenstrauch/Keim 1998, S. 32. 28 Brake/Danielzyk/Karsten/Rudolph 1997, S. IV. 29 Brake/Bullinger/Rautenstrauch/Keim 1998, S. V. 127

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Entwicklungsperspektiven und Handlungsmöglichkeiten

Der Rückblick auf die Entwicklung Nordrhein-Westfalens zeigt, dass es hier unabhängig von allgemeinen wirtschaftlichen Bedingungen und der jeweils konkreten Lage auf dem Wohnungsmarkt fortlaufend Prozesse der Suburbanisierung gegeben hat. Besonders stark waren diese letztmalig in den 1990er Jahren, die bedingt durch den Fall der Mauer und den Wegfall des Eisernen Vorhangs massive Wanderungsbewegungen aufwiesen. Die urbanen Wohnungsmärkte waren zu dieser Zeit, wie schon einmal in den 1970er Jahren, nicht in der Lage, der erheblichen Nachfrage gerecht zu werden. Bei der Analyse von Wirkungsmechanismen fällt die weiter fortschreitende Ausdifferenzierung ins Auge: • Neben die klassische Stadt-Umland-Beziehung sind z.B. vitale und attraktive Mittelstädte am Ballungsrand getreten, die sowohl Ziel der Stadtflucht als auch einer möglichen Rückwanderung vom Land in die Stadt sein können. • Der Bezug eines Eigenheims durch eine (junge) Familie ist zwar nicht die dominierende, aber auch in Zukunft eine der wichtigen Ursachen und auch ein entscheidender Zeitpunkt für Wanderungen. Die Städte, inzwischen auch die großen, haben erkannt, dass hier nur durch gezielte Planungs- und Flächenpolitik Abhilfe geschaffen werden kann. Insofern sind neue bzw. erweiterte Entscheidungsmöglichkeiten bei der Wohnungssuche entstanden. • Ähnliches gilt auch für andere Aspekte des Wohnungsangebotes. So wie einerseits in den großen Städten von den Wohnungsbauunternehmen sukzessive erkannt wird, dass neben den herkömmlichen Wohnungsgrundrissen auch neue Angebote erforderlich sind, so setzt sich die Ausdifferenzierung des Wohnungsmarktes andererseits auch in den unterschiedlichen Bereichen der Zwischenstadt fort. • Hervorzuheben sind die Bemühungen größerer Städte um die Lösung sozialer Probleme; z.B. im Rahmen des Programms Soziale Stadt. Allerdings setzen die finanziellen Möglichkeiten hier enge Grenzen. Zwar sind auch mittelgroße und kleinere Städte im Bereich der Zwischenstadt von sozialen Problemlagen nicht mehr frei, dennoch bleiben Unterschiede bestehen.

4.5.1 Perspektiven der Suburbanisierung Die Trends der Suburbanisierung haben sich insgesamt abgeschwächt, eine Entwicklung, die sich nicht allein aus der insgesamt abgeflauten Baukonjunktur ableiten lässt. Kann aber vor dem geschilderten Hintergrund auch davon ausgegangen werden, dass die Suburbanisierung mit der Zeit ganz zum Erliegen 128

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kommt? Gelangen die Reifeprozesse zu einem Abschluss oder trägt das Bündel der Gründe auch in der Zukunft ein gewisses Grundmaß an Suburbanisierung? Nicht zuletzt mit Blick auf die überlagernden Auswirkungen des demografischen Wandels, auf die später noch eingegangen werden soll, kann die Antwort nicht einheitlich ausfallen. Vielmehr ist sachlich und räumlich zu differenzieren. Hallenberg sieht durchaus ernsthafte Chancen einer Reurbanisierung, das heißt eines Zurückwanderns von Bevölkerung in die Kernstädte.30 Ohne Frage ist bei vielen Menschen der Wunsch latent vorhanden, in der Stadt zu wohnen - gerade bei Familien in der Gründungsphase. Neben den großen Städten, die ihre „Hausaufgaben“ zum Teil noch machen müssen, stehen auch die mittelgroßen Städte - ob im ländlichen Raum, in der Zwischenstadt oder am Ballungsrand bereit und bieten adäquate Wohnmöglichkeiten. Dies bedeutet, dass Reurbanisierungsprozesse nie ausschließlich den herkömmlichen Ballungszentren zu Gute kommen werden. Die ausdifferenzierten Siedlungsstrukturen in allen Bereichen des Landes bieten gerade in kleineren und mittleren Städten interessante Kombinationen von Übersichtlichkeit, kurzen Wegen und urbanen Qualitäten bzw. Dienstleistungen. Da sich insbesondere moderne Industriezweige - hierzu gehören vor allem stark forschende und entwicklungsbetonte Bereiche - mit ihren Standorten wesentlich stärker als bisher nach den Arbeitskräftepotenzialen und damit nach Hochschulstandorten richten müssen, werden Chancen eröffnet, attraktive gewerbliche Ansiedlungen in die Ballungskerne zu holen (vgl. hierzu auch die Ausführungen in Kapitel B3). Hierfür werden allerdings erhebliche Anforderungen an Umweltbedingungen, Wohnmöglichkeiten und insbesondere an die Qualität des Bildungs- und Weiterbildungssystems gestellt. Peripheren und singulär gelegenen Hochschulstandorten fehlt hier möglicherweise ein entsprechendes Umfeld. Standorte in der Zwischenstadt können für die Kernstädte jedoch eine ernsthafte Konkurrenz darstellen. Weiterhin bildet sich mit der im Schnitt älter werdenden Bevölkerung immer stärker eine breite Schicht aktiver Rentner heraus, die den Sinn ihres Lebens in der Teilhabe an vielen Formen des gesellschaftlichen Lebens sehen. Gerade in einem Alter, in dem die Mobilität beschwerlicher wird, sind zentrale Wohnstandorte wieder gefragt, die Aktivitäten möglichst ohne Autobenutzung zulassen. Mit Blick auf die enormen wirtschaftlichen Potenziale dieser Entwicklung kann davon ausgegangen werden, dass entsprechende Angebote entstehen und damit Beiträge zu einer Reurbanisierung geleistet werden. Deutlich wird aber auch, dass viele der vorgenannten Effekte in enger Abhängigkeit von der konkreten Stadtpolitik im Grundstücks-, Bau- und Planungsbe-

30 Hallenberg 2002. 129

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reich stehen. Es ist daher nicht möglich, detailliert vorauszusagen, wie sich die Entwicklung generell darstellen wird. Vielmehr ergeben sich Szenarien für Entwicklungen je nach konkreter städtischer Politik und nach aktuellen örtlichen Bedingungen.

4.5.2 Was wird aus der Zwischenstadt? Wenn sich aufgrund fortentwickelter Verhaltensweisen, veränderter ökonomischer und demografischer Bedingungen sowie einer stärker am Bedarf angepassten großstädtischen Politik deutlich bessere Chancen für die Kernstädte ergeben, so muss gleichzeitig die Frage nach der Zukunft der Zwischenstadt gestellt werden. Die Zwischenstadt ist nicht mehr ein in wesentlichen Funktionen von der Großstadt, vom Ballungskern abhängiger Siedlungsbrei. Sie hat im Rahmen vielfältiger Reifungsprozesse inzwischen eine eigene Funktionalität erworben. Diese Funktionalität ist hoch differenziert und damit in der Lage, eine Vielzahl von sehr unterschiedlichen Bedürfnissen im Bereich aller Daseinsgrundfunktionen zu erfüllen. Es gibt ausdifferenzierte Wohnstandorte mit unterschiedlichen Wohnungsangeboten ebenso wie gewerbliche Bauflächen in allen Größen und Qualitäten. Es sind Einrichtungen der Kultur, der Bildung ebenso entstanden wie kommerzielle Angebote für Freizeit und Versorgung. Leistungsfähige Verkehrsnetze werden mehr und mehr nicht nur allein auf die Verbindung in die großen Städte, sondern auch auf die inneren Verkehrsbedürfnisse in der Region orientiert, wenngleich dies aufgrund der schwierigen differenzierten Raumstruktur nur eingeschränkt möglich und finanzierbar ist. Selbst die Integration beispielsweise von Migranten, ehedem eine typische Funktion der Großstadt, scheint den Zahlen nach zu gelingen. Offensichtlich also hat die Zwischenstadt inzwischen eine so deutliche und ausgeprägte eigene Qualität entwickelt, dass sie für viele Menschen bevorzugter Wohnstandort ist und auch in Zukunft bleiben wird. Insbesondere gilt dies für solche Bevölkerungsgruppen, die sich ohnehin aus dem regionalen Angebot die für sie attraktiven Punkte heraussuchen und als „Generation Regionalstadt“ bezeichnet werden.31 Zwar setzt diese Lebensweise hinreichende ökonomische wie zeitliche Potenziale voraus, über die nicht alle Menschen verfügen, dennoch handelt es sich um Bevölkerungsgruppen, die durchaus in der Lage sind, eine gewisse Entwicklung zu tragen. Allerdings erfolgen diese Entwicklungsprozesse je nach regionaler Situation weniger quantitativ als - eher im Sinne des Reifungsprozesses - qualitativ. Diese

31 Aring 2004. 130

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qualitative Entwicklung erlaubt die Aussage, dass es auch in Zukunft nicht zu der Herausbildung der oftmals befürchteten Einfamilienhausteppiche nach amerikanischem Muster kommen wird. Sie entsprechen weder den vorhandenen Strukturen, die sich weiterentwickeln werden, noch den Vorstellungen der dort lebenden Menschen. Hingegen werden die städtischen Qualitäten wenn auch moderat wohl weiterhin anwachsen. Die urbane Qualität traditionell gewachsener Städte werden die Zwischenstädte jedoch auch in Zukunft nicht erreichen können.

4.5.3 Trends neben der Suburbanisierung Der demografische Wandel wird in Nordrhein-Westfalen in den nächsten Jahrzehnten zu erheblichen Veränderungen führen. Dabei wird es wie in allen anderen Bereichen auch zu einer räumlich sehr unterschiedlichen Entwicklung kommen. Die Veränderungen werden je nach Ausgangsvoraussetzung und Attraktivität der Teilräume sehr unterschiedlich sein. Weniger attraktive Räume, die seit langem von negativen ökonomischen Strukturveränderungen betroffen sind, weisen in aller Regel schon heute das gesamte Spektrum an demografischen, sozialen und ethnischen Problemen auf. Ihre Ausgangsbedingungen sind damit auch für die Umbruchsituation des demografischen Wandels deutlich schlechter. Entwicklungen werden sich potenzieren, wo sich die subjektiven Lebensbedingungen für die wanderungsfähigen und wanderungsbereiten Bevölkerungsgruppen weiter verschlechtern. Hingegen können attraktive, ökonomisch starke Regionen von diesen Wanderungsbewegungen profitieren, ihre Bevölkerungszahl stabilisieren und möglicherweise sogar noch steigern. Die künftige Attraktivität wird dabei vor allem von einer stabilen Position der Städte bestimmt. Hier sind zunächst die eindeutig oberzentralen Städte Köln, Düsseldorf, Essen und Dortmund zu nennen, die im nationalen und internationalen Kontext auch weiterhin eine wesentliche Rolle spielen. Ähnlich stabil dürften auch die mittelgroßen, eher solitär gelegenen Städte Bonn, Aachen, Münster, eventuell auch Paderborn, Bielefeld und Siegen sein, die neben ihrer Rolle in der Region vor allem Chancen in der Spezialisierung besitzen (Bonn als Bundesstadt, Standort internationaler Organisationen, Telekom-Stadt). Es verbleiben allerdings auch Stadträume mit unklaren, tendenziell schwierigen Positionen: das Ruhrgebiet mit den Hellwegstädten Bochum, Mülheim und Duisburg sowie die Emscherzone von Oberhausen bis Castrop-Rauxel, das Bergische Städtedreieck (Wuppertal, Remscheid, Solingen) mit der Stadt Hagen und die Stadt Mönchengladbach. Aus den genannten Entwicklungen der Kernstädte ergeben sich Folgen für die umliegenden verstädterten Bereiche. Wenn die Kernstädte massiv an auch wirt131

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schaftlicher Attraktivität verlieren, wird dies nicht ausschließlich zu einer verstärkten Abwanderung in das Umland der Kernstädte führen. Voraussetzung für diese Wanderungen war nämlich stets eine solide ökonomische Basis, das heißt insbesondere ein entsprechendes Arbeitsplatzangebot. Zunächst war dies noch ein traditionelles Angebot der Kernstadt. Im Laufe der Jahre haben sich jedoch in der Zwischenstadt Alternativen herausgebildet, die nicht nur konkurrierend, sondern auch komplementär wirken. Ohne entsprechende ökonomische Basis wird es demnach, wie es in den großen Abwanderungsregionen der neuen Bundesländer bereits festzustellen ist, auch zu Bevölkerungsverlusten im Umland der Kernstädte kommen. Bei dem längerfristig zu erwartenden Wohnungsüberangebot und den sich daraus ergebenden niedrigen Preisen in den meisten Kernstädten, könnte also die klassische Stadtumlandwanderung somit tendenziell zum Erliegen kommen, zumindest aber nicht mehr der bestimmende Trend sein. Dominierend werden hier die regionalen Abwanderungsbewegungen sein. Ganz anders sieht es in den wirtschaftlich starken Regionen aus, die zudem von Zuwanderung profitieren. Hier besteht auf mehrere Jahrzehnte eine noch zumindest konstante Bevölkerungszahl. Damit wird die Zahl der Haushalte noch auf längere Frist wachsen, was eine entsprechende Nachfrage nach zusätzlichem Wohnraum zur Folge hat. Es wird sich die Frage stellen, wo in der Kernstadt oder im Umland dieser zusätzliche Wohnraum in der von der Bevölkerung gewünschten Qualität und zu akzeptierten Preisen bereitgestellt werden kann. Damit greifen die oben erläuterten Handlungsmuster: Es wird auf die konkrete Politik insbesondere der Städte ankommen, ob sie Einwohner in ihren Grenzen halten und Reurbaniten ansprechen können. Deutlich wird, dass die Wirkungen des demografischen Wandels sehr unterschiedlich sein können, in jedem Falle aber zu einer weiteren Ausdifferenzierung der Entwicklungsmuster führen. An dieser Stelle soll die Frage neuer Lebensstile aufgegriffen werden, die sich beispielsweise hinter dem bereits erwähnten Begriff von der „Generation Regionalstadt“ verbergen. Stadtentwicklung ist ein langfristiger Prozess; Die baulichen Ergebnisse dieser Entwicklungen bleiben in aller Regel für viele Jahrzehnte erhalten, im ungünstigsten Falle als städtebauliche Brachflächen. Die „Generation Regionalstadt“ zeichnet sich durch einen Lebensstil aus, den man umgangssprachlich auch als „Rosinenpickerei“ bezeichnen kann. Sie tut im Grunde nichts anderes als andere Gruppen auch, sie nutzt ihre ökonomischen und zeitlichen Möglichkeiten, um ihre Lebenssituation zu optimieren. Nur sucht sie sich nicht unter verschiedenen Standorten den, der unter Berücksichtigung aller Lebensbedürfnisse der günstigste ist, sondern sie bedient sich - hochmobil - einer gesamten Region zur Bedürfnisbefriedigung. Diese hohe Mobilität setzt allerdings ökonomische und zeitliche Potenziale voraus, über die nicht alle Bevölkerungsgruppen verfügen. Generell kann davon 132

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ausgegangen werden, dass Menschen ohne Kinder, gegebenenfalls noch kleine Familien am ehesten in der Lage sind, sich entsprechend zu verhalten. Dies sind dann insbesondere jüngere Menschen, das heißt Menschen vor der Familienphase, und noch mobile und aktive ältere Menschen, bei denen die Kinder das Haus verlassen haben und berufliche Bindungen nicht mehr oder nur noch in deutlich geringerem Maße bestehen. Zunehmend sind es auch diejenigen mittleren Alters, eher ohne Kinder, die über ein höheres Haushaltseinkommen verfügen und sich durch Inanspruchnahme von Haushaltsdienstleistungen einen von zeitlich intensiven Reproduktionsaufgaben unabhängigen Lebensstil erlauben können. Aus beruflicher Sicht bestehen solche Möglichkeiten insbesondere für Menschen, denen der Beruf ein möglichst hohes Maß an zeitlichen Gestaltungsspielräumen eröffnet, sei es durch die Möglichkeit, sich die Arbeitszeiten frei einzuteilen oder durch eine insgesamt relativ geringe Wochenarbeitszeit. Schwierig wird es für solche Personengruppen sein, die beruflich sehr stark eingebunden sind und über wenig freie Zeit verfügen, oder die in ein sehr stringentes Zeitraster eingepasst sind, weil sie z.B. Schicht- oder gar Bereitschaftsdienste leisten müssen. Typische Zielpunkte dieser Mobilität sind Freizeitgroßeinrichtungen, moderne erlebnisorientierte Einkaufszentren und kulturelle oder sonstige Großereignisse. In geringerer Zahl treten exklusive Freizeitangebote hinzu. Die Frage, welche Bedeutung Bevölkerungsgruppen wie die „Generation Regionalstadt“ und regionale Ziele der genannten Art in Zukunft haben werden, ist schwer abzuschätzen. Deutlich wird, dass es sich um wenig nachhaltige Lebensentwürfe und ökonomische Konzepte handelt. Wenn die Reproduktionsrate der Bevölkerung nach vielen Jahren der Diskussion zu einem ökonomisch nachhaltig unterstützten Ziel der Politik wird, wird die Zahl der Familien mit mehreren Kindern steigen und wird damit ein wesentlicher Bestandteil der „Generation Regionalstadt“ betroffen sein. Auch wenn deren ökonomische Möglichkeiten trotz der zusätzlichen Kinder durch staatliche Intervention erhalten bleiben, wird doch die Mobilität objektiv zurükkgehen. Solche Bevölkerungsgruppen werden wieder qualitativ hochwertigere und vielseitige Angebote in möglichst großer Nähe zu ihren Wohnstandorten nachfragen und sich bei der Wohnstandortwahl danach ausrichten. Sie würden sich damit ähnlich wie ökonomisch starke ältere Menschen verhalten, die zwar immer noch attraktive Angebote in der Region wahrnehmen, allerdings deutlich stärker darauf achten, wie und in welcher Entfernung diese Angebote erreichbar sind (siehe auch die weiteren Ausführungen zu Lebensstilen in Kapitel B5). 133

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Es bleibt abzuwarten, ob und in welchem Umfang sich die erwähnten staatlichen Maßnahmen auswirken. Es ist nicht erkennbar, dass dies in einer solchen Breite geschieht, so dass die globalen Trends auf mittlere Frist maßgeblich beeinflusst werden. Insbesondere muss zur Kenntnis genommen werden, dass auch eine massive Erhöhung der Geburtenraten die generellen Trends des demografischen Wandels für die nächsten Jahrzehnte nicht umzukehren vermag. In der Quintessenz ist festzuhalten, dass die „Generation Regionalstadt“ in ihren quantitativen Dimensionen nicht überschätzt werden sollte. Zwar finden sich Teile der beschriebenen Handlungsmuster in vielen Bevölkerungsgruppen wieder, doch nur sehr begrenzt in einer solchen Intensität, dass sich hieraus massive Veränderungen der ohnehin bekannten gesellschaftlichen Trends ergeben.

4.5.4 Welche Chancen hat die Kernstadt? Es erscheint unwahrscheinlich, dass die Städte aus eigener Kraft in der Lage sind, Abwanderungen durch Suburbanisierungsprozesse generell zu verhindern. Sie können jedoch versuchen, wieder attraktiver für Zuwanderer zu werden. Aring stellt hierzu fest, die Stadt habe ihren „utopischen Gehalt“ verloren.32 Ein Blick in die Vergangenheit erklärt diesen Begriff: Der Schritt vom Land in die Stadt war oft ein Aufbruch; die Stadt bot umfangreiche Freiheiten und damit Möglichkeiten der persönlichen Entwicklung, die „auf dem Land“ schlicht undenkbar waren. Ansätze für eine Renaissance dieser historisch bedeutenden Funktion der Stadt sind nicht zu erkennen, zumal viele der entsprechenden Qualitäten heute flächendeckend vorhanden sind. Auf Dauer bedeutsam bleibt hingegen die konsumierbare Dimension der Stadt. Hieraus resultieren der wachsende Städtetourismus und städtische Großereignisse mit enormen Besucherzahlen. Manche Stadt muss damit umgehen, mehr und mehr Kulisse sowohl für Großereignisse als auch für individuelle Lebensentwürfe zu werden. Dies mag man beklagen, dies muss aber nicht grundsätzlich negative Auswirkungen haben. In der Verbundenheit vieler Menschen zur Stadt stecken zunächst einmal ökonomische Potenziale, die genutzt werden können. Das vielfach postulierte Bild der europäischen Stadt war stets das Produkt ökonomischer und politischer Rahmenbedingungen. Veränderten sich diese lokal oder global, musste sich auch die Stadt verändern. Konnte oder wollte sie sich nicht verändern, verlor sie ihre ökonomische Basis, ihre Funktionen und manches Mal auch ihre städtische Existenz. 32 Aring/Herfert 2001. 134

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Damit wird deutlich, wie wesentlich die Frage ist, ob eine Stadt überhaupt die Chance hat, sich an die geänderten ökonomischen Bedingungen anzupassen. Ganz entscheidend wird es für die aus heutiger Sicht (noch) zu wenig profilierten, mit schlechten Zukunftsprognosen belasteten Städte darauf ankommen, ihr eigenes wirtschaftliches Profil zu entwickeln. Das Beispiel Dortmund zeigt, wie aus hochwertigen Bildungs- und Forschungseinrichtungen Gewerbeansiedlungen und schließlich auch Wohnungen entwickelt werden können. Vor allem müssen divergierende Funktionen und Entwicklungsmöglichkeiten unterschiedlicher Städte beachtet werden. Anders als früher hängen die Entwicklungschancen einer Stadt nicht mehr von ihrer Einwohnerzahl oder Zentralität ab. Damit verlieren auch die klassischen Steuerungselemente der Landesplanung ihre Funktion. Vielmehr wird es um die konkreten Entwicklungsbedingungen einer Stadt gehen, um ihre speziellen Funktionen und Potenziale, auch um ihre Probleme und Entwicklungsrisiken, wobei die Perspektive der jeweiligen Region eine entscheidende Rolle spielen wird. Als Beispiel genannt seien die zwei Großstädte Bonn und Gelsenkirchen, die trotz ähnlicher „Papierform“ ohne Frage völlig unterschiedliche Entwicklungsperspektiven besitzen. Entscheidend wird auch die teilweise Umkehrung der Stadt-Umland-Beziehung sein. Lebte früher grundsätzlich das Umland sehr stark von der Stadt, so hängt die nachhaltige Entwicklung der Stadt in Zukunft mindestens ebenso stark von der Qualität ihres Umlands ab. Nicht zuletzt muss sich eine Stadt - oftmals Namensgeber einer Region - als Zentrum der Region verstehen und profilieren. Unter dem Stichwort „Herausforderungsräume“ kann sich hier eine neue Planungskultur entwickeln, die negative wie positive Herausforderungen gleichermaßen annimmt. Sie muss neben die traditionellen Strukturen der Raumordnung treten, die nicht mehr in allen Teilbereichen als Erklärungs- und Steuerungsinstrument funktionieren. Ein weiteres Problem stellt in diesem Zusammenhang die Ausdifferenzierung eines Stadtraumes dar. Ob eine Stadt in einer Wachstums- oder in einer Schrumpfungsregion liegt, prägt zwar ihre grundsätzlichen Handlungsmöglichkeiten, sagt aber noch nichts darüber aus, wie sich ihre Teilräume entwickeln. Die Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte zeigen eine stärker werdende Segregation innerhalb der Städte, bei der sich die sozialen Problemfaktoren heute in bestimmten Teilräumen konzentrieren und überlagern. Wesentlich für die Zukunftschancen der Stadt wird es sein, ihre Teilräume zu betrachten und Hilfestellung zu einer angemessenen Entwicklung der Problemstadtteile zu leisten (vgl. hierzu auch Kapitel B5). Ähnlich wie die Grundsatzfrage der Suburbanisierung ist auch diese Frage unabhängig von bestehenden politischen Grenzen. Suburbanisierte Bereiche können ebenso innerhalb wie außerhalb der politischen Grenzen der großen Kernstädte liegen wie prosperierende oder schrumpfende Stadtteile. 135

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4.5.5 Entwicklungsperspektiven der Zentren Neben den allgemeinen Entwicklungstrends für Städte und Regionen, die allenfalls global zu steuern sind, müssen auch die Möglichkeiten der Städte selbst, ihre Entwicklung in positive Bahnen zu lenken, betrachtet werden. Hier ist insbesondere zu fragen, wie sich die zentralen Bereiche innerhalb der Städte, das heißt die innerstädtischen Zentren und Nebenzentren entwickeln werden. Dabei ist es nicht leicht, Entwicklungen vorherzusagen, da sie von widersprüchlichen Trends und Tendenzen abhängen. Welche Einflüsse sich im Einzelnen durchsetzen können, kann nur in Grenzen vorausgesehen werden. Dominierender Faktor für die Entwicklung von Zentren war in der Vergangenheit stets ihre Handelsfunktion. Gerade der Handel aber befindet sich seit Jahren in einer Periode der Schwäche und des Umbruchs. Ein erster Faktor hierfür ist die allgemeine konjunkturelle Lage. Das Budget des einzelnen Haushalts für Konsumzwecke stagniert oder schrumpft; Zukunftsängste führen zu Konsumzurückhaltung. Die Perspektiven, die sich aus dem demografischen Wandel ergeben, werden diese Entwicklungen noch verstärken. Die Prognosen zur Entwickklung der Armut deuten darauf hin, dass die Zahl der Haushalte mit unter dem Durchschnitt liegendem Einkommen weiter zunehmen wird. Die Lasten zur Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme werden steigen; die Erlöse des Einzelnen aus diesen Sicherungssystemen, etwa im Bereich der Rente, werden sinken. Hinzu tritt, dass das verfügbare Einkommen heute anders aufgeteilt wird. Die Kommerzialisierung der Freizeit bindet einen wesentlich größeren Teil des privaten Einkommens als früher. Hierzu zählen Aufwendungen für Fitness, Sport, Entertainment und Urlaub, die gesellschaftliche Anerkennung und Abwechslung bringen und zu Lasten des alltäglichen Konsums finanziert werden. Als dritter Faktor sind veränderte Einkaufsgewohnheiten zu nennen. Mögliche soziale Hemmschwellen gegenüber dem Einkauf in Discounterläden sind praktisch nicht mehr vorhanden. Der Wochenendeinkauf im städtebaulich nicht integrierten Einkaufszentrum ist ebenso zu einem festen Faktor im Kundenverhalten geworden wie der Einkauf in der Tankstelle. Beim Einkauf für den mittel- und langfristigen Bedarf konkurrieren mit Freizeitnutzung kombinierte Einkaufsformen mit den traditionellen Innenstadtstandorten. Hinzu treten Sonderverkaufsaktionen, Flohmärkte, Internethandel und Verbrauchermessen. Nicht zuletzt zu erwähnen ist der massive Trend zur Filialisierung - teilweise bereits bei 80 bis 90 Prozent -, der innerstädtische Zentren wie Nebenzentren austauschbar macht und ihnen einen wesentlichen Attraktivitätsfaktor im Konkurrenzkampf gegen andere Standorte nimmt. 136

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Diese eher ungünstigen Vorzeichen haben jedoch nicht dazu geführt, dass Zentren bzw. Nebenzentren in sozial- bzw. bevölkerungsstrukturell überforderten Stadtteilen an Attraktivität verloren haben. Im Gegenteil: Sie haben ihre urbane Qualität in erstaunlichem Umfange halten können. Hierin besteht ein erhebliches Entwicklungspotenzial und zeigt die positiven Effekte der gezielten Städtebauförderung dieser Zentren. Insgesamt sind aber positive wirtschaftliche Daten, aus denen nachhaltige Entwicklungsimpulse für die Zentren abzuleiten wären, nicht zu erwarten. Auch die finanziellen Möglichkeiten von Städten und Gemeinden, ihre Zentren alleine oder mit Fördermitteln zu stärken, sind sehr gering. Bei der Bewertung der Problematik soll allerdings nicht der Fehler begangen werden, die Krise des Einzelhandels bereits zur Krise des gesamten Zentren- und Stadtgefüges aufzuwerten. Vielmehr muss überlegt werden, wie die besondere Qualität der Innenstädte gefördert werden kann, die in Nutzungsdichte und Nutzungsvielfalt liegt. Bei einer detaillierten Bewertung muss nach Zentrentypen unterschieden werden. Die Innenstädte, das heißt die Cities der Oberzentren, haben heute - anders als früher - keine Monopolstellung mehr. Dies liegt in Nordrhein-Westfalen an dem Nebeneinander einer Vielzahl leistungsfähiger Zentren und Einkaufscenter im Rhein-RuhrBereich. Bessere Bedingungen haben hier die Zentren der solitären Verdichtungsräume wie z.B. Münster. Eine Sonderstellung nehmen im Übrigen Köln und Düsseldorf ein, die sich mit einer günstigen Verbindung von exklusiven, hochpreisigen Warensegmenten, städtebaulich integrierten Shoppingmalls und einem außergewöhnlichen Kultur- und Freizeitangebot den Rang einer Metropole erworben haben. In der Summe werden sich zwar in den Innenstädten und Cities der Oberzentren am ehesten die aktuellen gesellschaftlichen Trends widerspiegeln, genau in diesem Umstand liegt jedoch auch ihre Attraktivität und ihre Chance in der künftigen Entwicklung. Eine Aufgabe besteht darin, die Wohnfunktion wieder zu stärken, mit der - angemessene Preise und Angebote vorausgesetzt - Leerstände insbesondere im Dienstleistungsbereich kompensiert werden können. Die Kernbereiche der Mittelzentren haben in den vergangenen Jahren von dem Bedeutungsgewinn der Mittelzentren allgemein profitiert. Sie treten sowohl in Verdichtungsräumen als auch in den ländlichen Regionen in eine direkte Konkurrenz zu den Oberzentren. Auch hier zeigen sich die Folgen nicht integrierter konkurrierender Handelsstandorte wie der Filialisierung. Gerade in kleinen, überschaubaren Städten, in denen die Filialbetriebe zudem nicht ihre höchste Qualitätsschiene ansiedeln, wirkt sich der Ver137

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lust Inhaber geführter Betriebe auf das Angebot besonders negativ aus. Attraktiv und förderungswürdig ist hier in besonderer Weise die Wohnfunktion, die in den Kernbereichen der meisten Mittelstädte noch eine wesentliche Rolle spielt. Die Stadt- und Ortsteilzentren, das heißt die Nebenzentren, haben traditionell eine wichtige Nahversorgungsfunktion für die dort wohnende Bevölkerung übernommen. Zurückgehende Bevölkerungszahlen und negative Veränderungen der Bevölkerungsstruktur führen in manchen Stadtteilen zu erheblichen Problemen und schlagen sich in Geschäfts- und Wohnungsleerständen nieder. Nebenzentren sind in besonderem Maße von trading-down-Effekten sowie von der Vergrößerung der Verkaufsfläche der Filialbetriebe berührt, da geeignete Immobilien oft nicht zur Verfügung stehen. Die alten oft zu kleinen Ladenlokale stehen leer, neue Standorte, oftmals nicht integriert oder sehr stark konzentriert, werden genutzt. Die Nahversorgungsfunktion für die Bevölkerung leidet; zusätzlicher Verkehr wird erzeugt. Eine extreme Entwicklung hat die Handelsversorgung in Grundzentren genommen, da flächendeckend keine leistungsfähigen Angebote vorhanden sind. Personengruppen ohne Zugriff auf ein Auto haben erhebliche Probleme mit der alltäglichen Versorgung. Eindeutige Gewinner dieser Trends mit deutlich positiven Entwicklungen sind die nicht integrierten, häufig sogar peripheren Standorte. Perspektivisch werden sich die Effekte der Bevölkerungsentwicklung auch in den städtischen Zentren auswirken. Die Zahl trendbewusster und zahlungskräftiger Menschen jüngeren und mittleren Alters wird abnehmen, hingegen wird die Anzahl der Singles ebenso wachsen wie die Anteile älterer Menschen und Migranten. Insbesondere auf die Kaufkraft jüngerer Menschen bauen aber beispielsweise aktuelle Centerkonzepte, die ohne die aktuellen Trendmarkenshops kaum denkbar sind. Konzeptanpassungen dürften hier unvermeidlich sein, auch im städtebaulichen Bereich. Als Handlungsansatz wird hier auf neue Konzepte zur Nahversorgung verwiesen, die insbesondere in Süd- und Südwestdeutschland eingeführt wurden. Nachbarschaftsläden mit Verkaufsflächen von 100 bis 300 Quadratmeter bieten je nach Konzept ein um die Angebote örtlicher Bäcker oder Metzger ergänztes Vollsortiment mit Schwerpunkten auf Frischeartikeln oder auch ConvenianceArtikeln an. In Schleswig-Holstein werden seit 1999 nach Prüfung durch eine Unternehmensberatung so genannte ländliche Dienstleistungszentren - Markt138

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treffs in vier Größenstufen - staatlich gefördert.33 Hier kommt das Prinzip der zentralen Orte zumindest auf der untersten Stufe der Versorgung wieder zum Tragen: Landesplanerisches Ziel muss es sein, ein stabiles, attraktives System der Grundversorgung zu erhalten.

4.5.6 Netzstadt - ein mögliches Leitbild? Die Landes- und Regionalplanung war über Jahrzehnte auf ein hierarchisch geordnetes System von Zentren unterschiedlichen Gewichts ausgerichtet. Deutlich geworden ist, dass dieses räumliche Muster trotz aller Förderungs- und Steuerungsinstrumente weit weniger als früher - insbesondere hinsichtlich der Hierarchien - der Realität entspricht. Auf der einen Seite stehen die Metropolregionen, die im Hinblick auf die internationale Konkurrenzsituation weiter entwickelt werden müssen. Auf der anderen Seite ist die regionale Struktur zu betrachten. Seit rund einem Jahrzehnt, beginnend mit dem raumordnungspolitischen Orientierungsrahmen der Ministerkonferenz für Raumordnung von 1993, wird in diesem Zusammenhang das Modell der „Dezentralen Konzentration“ diskutiert. Brake und andere haben entsprechende Entwicklungen anhand von vier ausgewählten deutschen Stadtregionen (Bremen, Hannover, Frankfurt, München) untersucht.34 Sie schlagen für das enge Umfeld der Zentren eine auf die Zentren orientierte Anreicherung bzw. Profilierung vor. Hier gibt es zwar die deutlichsten Prozesse der Dezentralisierung, aber keine Konzentrationen, sondern weitgehend diffuse Strukturen. Anreicherung und Profilierung sollen diese Strukturen schärfen und deutlicher auf das Zentrum orientieren. Anders sind die Erkenntnisse für den ersten Ring der Groß- und Mittelstädte. Er kann Entlastungsfunktionen für die Zentren wahrnehmen und zeigt als „Stadt vor der Stadt“ noch am deutlichsten Ansätze einer dezentralen Konzentration. Konkret sollen diese Standorte, die mehr von und aus der Region als aus der Kernstadt leben, das große Zentrum also kaum entlasten, gesichert und hinsichtlich ihrer Entlastungsfunktion weiter entwickelt werden. Die in gewissem Abstand zum suburbanen Gürtel gelegenen mittelgroßen Städte, oft als Mittelzentrum ausgewiesen, erfahren eine sehr unterschiedliche Entwicklung. Eine deutliche dezentrale Konzentration konnte nicht festgestellt werden; unter Umständen sind Maßnahmen zur Standortsicherung geboten. Brake

33 Kettl-Römer 2004. 34 Brake/Danielzyk/Karsten 1999. 139

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und andere sehen eindeutige Voraussetzungen für die erwähnten regionalpolitischen Ziele. Notwendig wird eine dezidiertere, stärker projektorientierte Regionalplanung, die Plan- und Vertragsinstrumente für konkrete Projekte besitzt. Der hierin enthaltenen Gefahr des Eingriffs in kommunale Kompetenzen soll durch eine stärker kommunale Regionalplanung, kombiniert mit einer intensiven regionalen Kooperation, begegnet werden. In aktuellen Untersuchungen wird ein weiterer gedanklicher Ansatz gewählt: Aring sieht die überkommunale Zentrensystematik deutlich überlagert, wenn nicht ersetzt durch eine Vielzahl von Netzstrukturen für die jeweils unterschiedlichen Funktionen.35 Fallen die Knoten solcher Netzstrukturen an einem bestimmten Ort zusammen, so wird unter Umständen eine klassische Zentralität erreicht. Fallen sie nicht zusammen, so gibt es eine „Einzelfallzentralität“, beispielsweise bei einem Fachmarkt oder Shoppingcenter an einem Autobahnkreuz oder einer Fachhochschule in einer suburbanen Kleinstadt. Kunzmann ist der Ansicht, dass man die Stadtregionen als Gesamtheit sehen muss, und dass sich in diesen weitläufigen Räumen spezialisierte Inseln herausbilden.36 Sicherlich etwas provokant sieht er „acht Inseln im Archipel der Stadtregion“. Diese Inseln sind (1) Aeroville (Flughafenraum), (2) Knowledge City, (3) Weltmarkthallen, (4) Funurbia, (5) www.suburbia, (6) Arcadia, (7) Kap der chinesischen Hoffnung und (8) Vorstadtvollzugsidyllen. Liest man dazu im Vergleich die konkreten Ausführungen von Bördlein zum Raum Frankfurt, so erkennt man viele Parallelen.37 Inwiefern die Vorschläge für solche neuen Raumbilder langfristig über den Einzelfall hinaus zutreffen und zu systematischen Erklärungen werden, ist jedoch noch offen. Es erhebt sich die Frage, wie stark diese Netzstrukturen im Einzelnen sind. Entscheidend dürfte dies davon abhängen, wie oft nennenswerte Teile der Bevölkerung bestimmte Netzknoten aufsuchen und welche Bedeutung diese Netzknoten für das tägliche Leben der Menschen haben. Hier wird deutlich zu unterscheiden sein zwischen der Konzentration von Arbeitsstätten oder Einzelhandelsbetrieben, die naturgemäß täglich bzw. wöchentlich aufgesucht werden, und beispielsweise Freizeitgroßeinrichtungen, die nur monatlich oder noch seltener besucht werden. Dieser Effekt wird auch nur teilweise dadurch kompensiert, dass bestimmte Freizeitgroßeinrichtungen so hohe Besucherzahlen anziehen, dass sie dennoch eine nachhaltige Zentralität, und damit einen wirksamen Netzknoten erzeugen.

35 Aring/Herfert 2001. 36 Kunzmann 2001. 37 Bördlein 2001. 140

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Die mögliche Rolle von Netzknoten in der Regionalplanung Es kann noch nicht abschließend beantwortet werden, welches räumliche Organisationsmuster welche Bedeutung behalten bzw. erlangen wird. Bei der schon heute bestehenden Vielgestaltigkeit lokaler und regionaler Strukturen im Land Nordrhein-Westfalen werden sich auch die künftigen Entwicklungen nur schwer in wenige übergeordnete Kategorien fassen lassen. Dennoch oder gerade deshalb erscheint es sinnvoll, die bereits heute vorhandenen Netzstrukturen präzise aufzuspüren und mit Hilfe der Empirie über Indikatoren zu genaueren Erkenntnissen der Bedeutung der Wirkungsmechanismen solcher Netzstrukturen zu gelangen. Dabei ist auch zwischen gezielt abseits der traditionellen Zentrenstrukturen geplanten und ohne (bewusste) Planung entstandenen neuen Standorten mit zentralen Funktionen zu unterscheiden. Mehr als nur eine Einzelfallzentralität, also die Eigenschaft eines Netzknotens, erreichen Konzentrationen unterschiedlicher, das heißt sich im weiteren Sinne ergänzender Nutzungen. Im Gegensatz zum Fachmarktzentrum steht hier beispielsweise eine Kombination aus Läden, Bürostandort, Freizeitnutzungen, gegebenenfalls auch mit Handwerk bzw. Dienstleistung oder Wohnen (Paunsdorf-Center Leipzig). Ebenfalls interessant sind andere vielgestaltige und zum Teil ergänzende Nutzungen anziehende Konzentrationen wie etwa ein attraktiver Medienstandort (München-Nord, Köln/Hürth). Eine eher geringe landes- und regionalplanerische Relevanz haben Netzknoten dann, wenn sie ausschließlich den Ort einer bestimmten Attraktion darstellen; wenn sie aufgrund ihrer Nutzung zwar durchaus erheblichen Verkehr anziehen, davon aber keine weiteren nennenswerten Impulse auf die Umgebung ausgehen. Ganz anders verhält es sich bei Netzknoten, die Ausgangspunkte für neue städtebauliche Entwicklungen werden und die zu neuen Nutzungsmustern, zu veränderten Funktionsverteilungen im Raum führen. Können solche Nutzungen identifiziert werden, wird es möglich, ihre Folgewirkung abzuschätzen. Hierzu gehört nicht nur die Ansiedlung neuer Nutzungen; hierzu zählen auch Verdrängungsprozesse oder negative Effekte in Bereichen, aus denen die vorgenannten Nutzungen abgewandert sind. Dies wiederum stellt eine erste Basis für einen planerischen Umgang mit „Netzknoten“ dar, diese erfüllen - anders als „klassische“ Zentren - nicht mehr zentralitätsabhängige standardisierte Funktionen, wozu insbesondere auch das Wohnen gehört - sondern sie weisen ihre jeweils individuelle Nutzungsmischung auf. An diesen Punkten kann eine gezielte Regionalplanung ansetzen. Sie kann zunächst bestehende Netzknoten erkennen und bestätigen. Planerisch positiv zu wertende Standorte können durch Funktionsanreicherung gestärkt und weiter entwickelt werden, wohingegen unerwünschte Entwicklungen zu begrenzen und zu unterbinden sind. 141

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Dies alles setzt ein Annehmen und damit einen positiven Umgang mit neuen Netzknoten und Zentrenstrukturen voraus. Es ergibt sich allerdings auch die Notwendigkeit, die Zentrendarstellungen in den aktuell gültigen Landes- und Regionalplänen qualitativ wie quantitativ zu überdenken. Hier muss - gerade bei Mittelzentren - deutlicher nach Entwicklungsmöglichkeiten differenziert werden. Insgesamt wäre eine Unterteilung in ein primäres und ein sekundäres Zentrennetz denkbar, wobei die Zentren des primären Netzes solche mit einem vollständigen Funktionsspektrum und die des sekundären Netzes solche mit nur wenigen, allerdings mit mehreren Funktionen sind.

4.6

Herausforderungen für die Landespolitik

Auch aus den aktuellen Diskussionen über die Zukunft der Wohnungsbauförderung wird deutlich, dass sich die seit vielen Jahren bestehenden unterschiedlichen Positionen angesichts der aktuellen statistischen Erkenntnisse nicht verändert haben. Gerade vor diesem Hintergrund wird jedoch eine Neubewertung der Suburbanisierung und der Zwischenstadt erforderlich.

Zwischenstadt als neue Gebietskategorie annehmen Erster und wichtigster Ausgangspunkt für diese Neubewertung ist die Tatsache, dass mit der Zwischenstadt im Suburbia der Städte inzwischen eine eigenständige Siedlungskategorie entstanden ist, die zur Kenntnis genommen und im positiven Sinne weiter entwickelt werden muss. Das verdichtete Umland der Kernstädte hat in den vergangenen Jahrzehnten eine Vielzahl von Funktionen wahrgenommen, die die Kernstädte aus den unterschiedlichsten Gründen nicht erfüllen konnten, zum Teil auch nicht erfüllen wollten. Wenn die Städte heute auch andere Ziele und Positionen vertreten, so kann doch nicht davon ausgegangen werden, dass sie deshalb in der Lage sind, alle notwendigen Funktionen selbst zu erfüllen. Allein das Bodenpreisniveau wird auch in Zukunft Wanderungen bewirken. Zudem ist mit der Zwischenstadt eine eigenständige Gebietskategorie entstanden, die aus sich selbst heraus Entwicklungsbedürfnisse hat und Wachstumsprozesse bewirkt. Der neue Raum sollte deswegen als Gebietskategorie akzeptiert und in angemessener Form städtebaulich weiterentwickelt werden. Seine Existenz sollte als Chance zu einer weiteren Optimierung der Standortbedingungen für Wohnungen und Arbeitsplätze erkannt werden. Diese und weitere Aspekte müssen im Sinne von Qualitätszielen in ein eigenes städtebauliches Leitbild für die Zwischenstadt einfließen. Gerade vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden demografischen Entwicklung ist insbesondere eine Begrenzung des Land142

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schaftsverbrauchs, bis hin zur Rückgewinnung von landschaftlichem Freiraum durch Renaturierung anzustreben.

Regionale Aufgabenstrukturen erkennen Anforderungen beispielsweise im Bereich des Verkehrs sind als regionale Aufgabe zu werten und in regionaler Kooperation zu lösen. Die Realität der Suburbanisierungsprozesse fordert also in besonderer Weise die regionale Kooperation heraus - zum einen in der Abstimmung von Flächen- und Nutzungsschwerpunkten, zum anderen hinsichtlich der Errichtung und des Betriebs leistungsfähiger Verkehrssysteme.

Grundlagen der Landesplanung überprüfen Vor diesem Hintergrund ist die Frage nach dem bisherigen Ordnungsprinzip der Landesplanung, dem System der Zentralen Orte, erneut zu stellen. Dabei ist die entstandene Raumkategorie mit ihrem netzförmigen Verflechtungsraster zur Kenntnis zu nehmen, ohne den Ordnungsfaktor von Zentralen Orten ersatzlos aufzugeben. Auch erst seit einigen Jahren bestehende Konzepte wie das der Metropolregionen müssen in diesen Rahmen eingefügt werden. Schließlich ist die sich hieraus ergebende Abkehr vom Prinzip gleichwertiger Lebensbedingungen zu klären und in ihren Auswirkungen zu begrenzen. Gleichwertige Lebensbedingungen zwischen ländlichem Raum und Stadtzentren sind heute weitgehend erreicht, so dass die entsprechende politische Forderung in den Hintergrund getreten ist. In einer Zukunft, in der maßgebliche Teilräume des Landes von massiven Schrumpfungsprozessen betroffen sind und die Verteilungskämpfe um beschränkte Ressourcen zunehmen, wird der Anspruch der gleichwertigen Lebensbedingungen unter völlig neuen Aspekten wieder zu einem zentralen Thema werden (z.B. fehlende private Angebote der Daseinsvorsorge). Heute sind maßgebliche Entwicklungsunterschiede eher zwischen wachsenden und schrumpfenden Städten sowie auf kleinräumiger Ebene zwischen benachteiligten und privilegierten Stadtteilen festzustellen (vgl. Kapitel B5). Eine frühzeitige, präzise Definition ausgleichender Strukturpolitik ist daher erforderlich.

Neue Instrumente entwickeln Auch bei einer unbelasteten Betrachtung der Suburbanisierungsprozesse und der durch sie entstandenen Städtelandschaften bleiben die grundsätzlichen 143

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Risiken und Probleme dieser Entwicklungen bestehen. Es muss daher geklärt werden, welche Instrumente in Zukunft angewendet werden sollen, um Fehlentwicklungen zu verhindern oder positive Entwicklungen zu fördern. Das hergebrachte regionalplanerische Instrumentarium in Nordrhein-Westfalen erscheint dabei nicht mehr als optimale Wahl. Vielmehr sollte verstärkt auf kooperative Verfahren bis hin zu vertragsähnlichen Lösungen gesetzt werden. Erste Schritte dahin sind bei den Landes- und Bezirksplanungsbehörden bereits erkennbar.

Betrachtungsmaßstäbe beachten Abgesehen von Einzelhandelsgroßprojekten wird fast jede Ansiedlung beispielsweise einer größeren Zahl von Arbeitsplätzen standortunabhängig als positiv angesehen, da alle Beteiligten froh sind, eine solche Ansiedlung überhaupt für Nordrhein-Westfalen, oder gar für Deutschland gewonnen zu haben. Hier ist von Bedeutung, dass die internationale Sichtweise auf das Land wesentlich grobkörniger ist und für diffizile Standortvariationen kein Verständnis besteht. Daher sind die unterschiedlichen Betrachtungsperspektiven und Gewichtungen stärker zu berücksichtigen.

Förderpraxis überprüfen Traditionell wurden öffentliche Fördermittel, insbesondere Städtebau- und Infrastrukturfördermittel eingesetzt, um regionale Prozesse zu beeinflussen. Die Wahrscheinlichkeit, auf diesem Wege nachhaltig Veränderungen herbeiführen zu können, ist jedoch ähnlich gering wie bei den restriktiven Instrumenten. Die Fördertöpfe sind in den vergangenen Jahren stark geschrumpft. Bestehende Förderzusagen bewirken in aller Regel eine sehr langfristige Bindung der Mittel, so dass kurz- und mittelfristige Reaktionen aufgrund der eingegangenen Verpflichtungen gar nicht mehr möglich sind. Hinzu tritt, dass die Gemeinden kaum noch in der Lage sind, die erforderlichen Eigenmittel beizusteuern. Für eine absehbare Zukunft ist in all diesen Bereichen nicht mit einer nachhaltigen durchgreifenden Verbesserung zu rechnen. Da aber die Entwicklung auch in den Wachstumspolen auf der Einbettung in ein funktionsfähiges Umland basiert, ist es dringend notwendig, neue Strategien z.B. im Rahmen des Modellprogramms Stadtumbau West zu entwickeln (vgl. hierzu auch Kapitel B6). Ein Problem wird sich dabei insbesondere in den schrumpfenden Städten zeigen, in denen schlechte Zukunftsperspektiven bestehen. Hier wird es auch mit öffentlicher Förderung häufig nicht mehr wirtschaftlich sein, zu investieren. Wo sich ein Projekt grundsätzlich nicht rentiert, wird niemand zu finden sein, der mit öffentlichen Fördermitteln Projekte realisiert. Programme zur Stadterneuerung werden es in solchen Situationen schwer haben, überhaupt umgesetzt zu werden. Vor diesem Hintergrund sollte die Städtebauförderung - unter Einbindung 144

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von Qualitätsvereinbarungen im Rahmen eines Monitorings - neben modellhaften bzw. experimentellen Projekten möglichst pauschaliert und regionalisiert werden. Zentrensystem überarbeiten Ausgehend von einer Akzeptanz der aktuellen Strukturen sind die bestehenden Zentren landesplanerisch neu zu bewerten: Neben die Bevölkerungszahl müssen die Entwicklungsperspektiven als wesentliches Kriterium treten. Gleichzeitig sind neue Strukturen in Form von Netzknoten aufzuspüren und planerisch zu bewerten. Wo eine Weiterentwicklung sinnvoll erscheint, sollen vor allem Funktionsergänzungen, beispielsweise durch Wohngebiete oder ergänzende Dienstleistungen, geprüft und angestrebt werden. Kleine Zentren beachten Besorgnis lösen die Entwicklungstrends für Grund-, Ortsteil- und Stadtteilzentren aus. Wegbrechende Handelsangebote führen beispielsweise für alle Bevölkerungsgruppen ohne Zugriff auf ein Auto zu massiven Versorgungsproblemen. Um die notwendige wohnortnahe Versorgung insbesondere mit Waren und privaten Dienstleistungen zu sichern, sind erhebliche Anstrengungen, auch in Form neuer Konzepte und gegebenenfalls mit staatlicher Unterstützung bzw. in Form von Public Private Partnership, erforderlich.

Brachflächenpotenziale stärker nutzen Eine weiterhin interessante Möglichkeit besteht in der Wiedernutzbarmachung von Brachflächen. Gerade in Zeiten deutlichen wirtschaftlichen Wandels entstehen in Nordrhein-Westfalen solche Flächen im nennenswerten Umfang. Sie können einen interessanten Ausgangspunkt für neue städtebauliche Entwicklungen darstellen. Zu hohe Erwartungen und Standards wirken allerdings kontraproduktiv und sind daher zu vermeiden.

4.7

Exkurs: Brachflächen als städtische Entwicklungspotenziale

Brachflächen entstehen insbesondere durch die Aufgabe flächiger Nutzungen von Gewerbe, Industrie, Verkehr (Bahn) und militärischer Nutzung. Zum Teil sehr zentral, häufig verkehrsgünstig gelegen, eröffnen sie interessante und wichtige Entwicklungsperspektiven. Ihre Nutzung stellt damit nicht zuletzt eine Alternative zu den ebenfalls für die Stadtentwicklung bedeutsamen und leistungsfähigen Modellen des kommunalen Baulandmanagements dar. Dies gilt insbesondere 145

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für die Verdichtungsräume. Dort wird die Einführung solcher Modelle häufig durch ein hohes Bodenpreisniveau, fehlende Möglichkeiten für großflächige Stadterweiterungen oder durch wenig kooperative Eigentümer und fehlende Flächenalternativen erschwert. Der Umfang der verfügbaren Brachflächen einschließlich differenzierter Werte zu möglichen Folgenutzungen wird je nach verfügbarer Quelle sehr unterschiedlich eingeschätzt. Unabhängig hiervon ergeben sich jedoch erhebliche Dimensionen. Die Flächenerhebung des LDS aus dem Jahre 1997 hat für das Land Nordrhein-Westfalen insgesamt 44.000 Hektar an Halden, Unland und ungenutzten Siedlungsflächen erfasst.38 Hierzu treten nach einer Schätzung des Forum Bahnflächen Nordrhein-Westfalen rund 20.000 Hektar disponible Bahnflächen sowie nach Angaben des Bundesverteidigungsministeriums 16.800 Hektar militärischer Flächen, die durch die Bundeswehr freigesetzt werden.39 Zwar werden bei einer Wiedernutzbarmachung erhebliche Flächenanteile zu Grün- und Freiflächen umgewidmet, dennoch verbleibt ein enormes Entwicklungspotenzial. Sowohl die bauliche als auch die freiräumliche Revitalisierung von Brachflächen bietet ökologische, ökonomische, städtebauliche und soziale bzw. kulturellästhetische Vorteile. Zu den ökologischen Vorteilen gehört in erster Linie der indirekte Effekt einer Verringerung des Freiflächenverbrauchs, aber auch die häufig zentrale Lage der Brachflächen, die kurze Wege zwischen unterschiedlichen Aktivitäten ermöglicht. Dies wirkt sich auch ökonomisch aus, da in der Regel in der Nachbarschaft Infrastruktur vorhanden ist, die mitgenutzt und damit besser ausgelastet wird. Städtebaulich kann die bauliche Wiedernutzung von Brachflächen zu einer Aufwertung der Umgebung führen, die oft unter dem meist langjährigen Stillstand gelitten hat. Schließlich werden bei einer Wiedernutzung der Brachflächen durch Betriebsstätten Arbeitsplätze geschaffen und damit das Umfeld ökonomisch gestärkt. Beim Bau von Wohnungen werden die bestehenden Gebiete sozial und altersstrukturell besser durchmischt und damit aufgewertet. Auch in einer freiräumlichen Wiedernutzung stecken Potenziale. Ökologisch profitiert die Natur, wird die Grundwasserneubildung auch im innerstädtischen Bereich erhöht und das Stadtklima verbessert. Neue Lebensräume für Tiere und Pflanzen entstehen. Ökonomisch können land- und forstwirtschaftliche sowie gärtnerische Nutzungen etabliert werden. Städtebaulich wird das Stadtgebiet durch neue Grünflächen gegliedert und aufgewertet. Für die Bevölkerung werden neue Möglichkeiten der Naherholung eröffnet.

38 LDS NRW 1999. 39 Vgl. http://www.wirtschaft.bundeswehr.de/verwertung/start.html. 146

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Trotz all der genannten Vorteile stößt die Wiedernutzung von Brachflächen auf Schwierigkeiten. Das größte Hemmnis für eine Revitalisierung von Brachflächen besteht darin, dass diese häufig nicht an der Stelle liegen, an der sie benötigt werden. Die Regionen mit hoher Baulandnachfrage und die Regionen mit großen Wiedernutzungspotenzialen sind nicht zwangsläufig identisch. Dies gilt insbesondere für altindustrielle Flächen, ist hingegen für Liegenschaften der Bahn oder der Bundeswehr von geringerer Bedeutung. Ein weiteres Problem für viele Verkäufe ist der Buchwert, zu dem die Flächen in den Unternehmensbilanzen enthalten sind. Deutlich überhöhte Werte machen das Liegenlassen der Immobilie für den Eigentümer mit Blick auf die Bilanz interessanter, als einen Verkauf. Die Aktivitäten des Landes Nordhrein-Westfalen mit dem Bahnflächenpool verweisen hier in eine richtige Richtung, da sie nicht nur eine Mitfinanzierung der Wiedernutzung von problematischen Brachen durch wirtschaftlich attraktive Brachflächen ermöglichen, sondern auch einen Beitrag zur Lösung des Bilanzproblems leisten. Zur planerischen Steuerung der Wiedernutzbarmachung von Brachflächen steht ein umfangreiches gesetzliches Instrumentarium zur Verfügung. Wesentlicher für die Umsetzung sind allerdings eine geeignete Organisationsform, ein funktionierendes Prozessmanagement und leistungsfähige förderpolitische Instrumente. So können beispielsweise renaturierte Brachflächen als ökologischer Ausgleich für Eingriffe an anderer Stelle genutzt werden. Zur Förderung des Brachflächenrecyclings gibt es in Nordrhein-Westfalen eine ganze Reihe von Programmen: Zum einen gehören hierzu die Fördermittel für Stadterneuerung und das Ökologieprogramm für den Emscher-Lippe-Raum, zum anderen Initiativen des Landes zur Belegung von Bahnhöfen und Bahnflächen sowie zur Unterstützung der Konversion und zur Weiterentwicklung der „wilden Industriewälder“.40 Der Prozess der baulichen Wiedernutzung von Brachflächen ist von Fall zu Fall sehr unterschiedlich. Nach einer frühzeitigen Erkundung von Altlasten und baulichen Relikten ist zunächst ein städtebauliches Konzept etwa in Form eines Rahmenplans aufzustellen. Des Weiteren müssen bereits zu diesem frühen Zeitpunkt Überlegungen zur Organisationsform und zur Umsetzungsstrategie angestellt werden. Nach Durchführung der ersten Untersuchungen ist zu prüfen, ob

40 Institut für Bodenmanagement 2001. 147

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das planerische Wunschkonzept mit der Belastungssituation des Grundstücks in Einklang zu bringen ist. Hier spielen auch Kostenaspekte eine wesentliche Rolle, die dann in eine bodenwirtschaftliche Kalkulation einmünden. Im Rahmen einer solchen Kalkulation sind auch überhöhte Bodenpreisvorstellungen zu korrigieren. Neben der Einwerbung von Fördermitteln sind vor allem imagefördernde Maßnahmen wichtig, durch welche nicht zuletzt Partner für die nachfolgenden Umsetzungsschritte gefunden werden können.41 Es stehen mehrere Organisationsmodelle zur Verfügung, die durchgängig die Einbindung privaten Know-hows und damit eine unterschiedlich intensive Form von Public Private Partnership zum Inhalt haben. Der Bogen spannt sich von einem Treuhändermodell, in dem der private Unternehmer einen quasi öffentlichen Status erhält, bis zu einem Developer-Modell, in dem der Privatunternehmer die städtebauliche Entwicklung komplett eigenwirtschaftlich übernimmt.42 Auch die Auswahl dieser Modelle hängt in erster Linie von den örtlichen Gegebenheiten, das heißt von den der öffentlichen Hand zur Verfügung stehenden potenziellen Partnern ab. Praktische Erfahrungen haben auf ein besonderes Risiko bei der Reaktivierung von Brachflächen hingewiesen. Beachtet werden muss, dass das Anspruchsniveau an die künftige Nutzung nicht zu hoch gesetzt wird. Attraktives Gewerbeoder auch Wohnbauland muss möglichst gute Entwicklungsperspektiven bieten, darf aber nicht durch Überreglementierung wieder unattraktiv werden. Deutliche planerische Zurückhaltung sowie die möglichst weitgehende Einbindung privaten Know-hows in die Entwicklung der Brachflächen ist daher geboten. Dies gilt auch für die geforderte Nutzungsdichte, die einen wesentlichen kritischen Aspekt in der Konkurrenz zum Umland darstellt, wo in aller Regel sehr großzügige Flächen günstig erworben werden können. Bei gezielter Anwendung kann das Brachflächenrecycling einen nennenswerten Beitrag zur Innenentwicklung der Ballungskerne leisten und damit auch Suburbanisierungstendenzen entgegenwirken. Modellprojekte des Bundesbauministeriums haben gezeigt, dass innerhalb von nur vier Jahren, im Zeitraum von 1997 bis 2000, je nach Situation zwischen 15 und 42 Prozent der Brachflächen wieder einer Nutzung zugeführt werden konnten.43 Das zentrale Instrument des Landes bei der Reaktivierung von Brachflächen ist der seit 1980 bestehende Grundstückfonds NRW. Der Fonds, der als Ergebnis der Ruhrgebietskonferenz im Jahr 1979 in Castrop-Rauxel zunächst als Grund-

41 Vgl. Kötter 1998, S. 51ff, Tomerius/Preuß 2001. 42 Schüller 2002, S. 131. 43 Landtagsvorlage 13/2389, S. 51. 148

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Räumliche Entwicklung

stückfonds Ruhr gegründet worden ist, versteht sich als revolvierendes Förderinstrument im Rahmen der Stadterneuerungspolitik des Landes. Einnahmen aus der Veräußerung von aufbereiteten Flächen sollen für den Erwerb und für die Aufbereitung weiterer Brachflächen eingesetzt werden. Seit 1980 hat der Grundstückfonds, der treuhänderisch von der Landesentwicklungsgesellschaft NRW verwaltet wird, Flächen im Umfang von rund 2.650 Hektar erworben. Der Flächenbestand weist zum Ende 2002 einen Umfang von knapp 1.200 Hektar auf. Damit befindet sich fast die Hälfte des gesamten Flächenbestandes weiterhin im Fonds. Für den Erwerb von Brachflächen sind bis heute Ausgaben in Höhe von 430 Millionen Euro angefallen; für die Aufbereitung wurden mehr als 755 Millionen Euro bereitgestellt. Nach Auskunft der Landesregierung ist für die Aufbereitung der verbliebenen Flächen ein Finanzvolumen von über 512 Millionen Euro erforderlich. Der Grundstückfonds ist immer wieder Gegenstand politischer Auseinandersetzungen. Befürworter und Gegner des Fonds streiten über seine grundsätzliche Leistungsfähigkeit. Um zu fundierten Aussagen zu kommen, bedarf der Grundstückfonds NRW einer grundlegenden Evaluierung. Als Alternative zur Freilegung bebauter, aber nicht mehr genutzter gewerblicher und sonstiger Flächen sollte stets auch eine Nutzung der vorhandenen Bausubstanz geprüft werden. Ein privates Projekt zur Wiedernutzung eines alten Fabrikgeländes in Werdohl zeigt, dass bei niedrigeren, für die Nutzerbedürfnisse aber völlig ausreichenden Standards, echte Alternativen zu teuren, von der Folgenutzung unabhängigen Flächensanierungen bestehen. Auch die Entwicklung des Medienstandortes Schanzenstraße in Köln-Mühlheim ist ein Beispiel dafür, dass altindustrielle Bausubstanz durchaus für innovative kommerzielle Nutzungen interessant sein kann. Auch Erfahrungen aus den östlichen Bundesländern zeigen, dass ohne aufwändige Sanierungen kostengünstige Immobilien entstehen, in denen insbesondere neue Wohn- und Arbeitsformen bzw. Kombinationen davon verwirklicht werden können. Dort finden Existenzgründer aus den verschiedensten Bereichen auch ohne organisierte und geförderte Strukturen ein großzügiges, durchaus variabel und experimentell nutzbares Flächenangebot.

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B5 Die Städte im Spiegel des gesellschaftlichen Wandels

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5.1

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Gesellschaftliche Entwicklungstrends

Die Städte in Deutschland - und damit auch die in Nordrhein-Westfalen - haben in den letzten 30 Jahren einen erheblichen Veränderungsprozess durchlaufen. Bis Ende der 1970er Jahre war die gesellschaftliche und urbane Entwicklung durch eine auf Massenproduktion ausgerichtete Produktion gekennzeichnet. Mit dem Auslaufen dieser Entwicklung begann eine neue Phase. Ein relativ hohes Lohnniveau, eine nahezu bestehende Vollbeschäftigung und das weitgehende Verschwinden von materieller Armut waren die Grundlage für den diese Entwicklungsphase prägenden Massenkonsum. Ein gesellschaftlich breit akzeptierter keynesianischer Interventionsstaat sicherte die Rahmenbedingungen der Ökonomie, während er als Wohlfahrtstaat einen großen Teil der kollektiven Risiken wie Krankheit, Erwerbsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit, Alter oder Armut absicherte. Der Zugang zu zentralen gesellschaftlichen Gütern wie Bildung, medizinischer Versorgung, sozialer Sicherung und Wohnen war staatlich garantiert und im Niveau egalitär. Damit hatte diese Phase der gesellschaftlichen Entwicklung einen hoch inklusiven Charakter. Dies spiegelte sich auch in den Städten und der Stadtpolitik der 1960er bis 1980er Jahre wider. Die Stadtentwicklung war vom Primat der Gleichheit der Lebensverhältnisse geprägt. Ziel der Stadtpolitik war, durch Wohnungsbau, 151

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Stadterneuerung und die Versorgung aller Teilräume mit den wesentlichen Einrichtungen der Daseinsvorsorge diesen Grundsatz zu sichern. Da alle wesentlichen Standards der Stadtentwicklung staatlich formuliert wurden, liefen die Kommunen immer enger am so genannten goldenen Zügel des Landes. Zu dieser Phase der Stadtentwicklung gehörte auch der breit getragene Konsens, wichtigen Strukturbrüchen, in Nordrhein-Westfalen etwa der 1957 erstmals zutage tretenden Krise des Steinkohlenbergbaus, mit einer massiven Staatsintervention zu begegnen. Dies umfasste ab Mitte der 1960er Jahre auch tiefe Eingriffe in die Raumstruktur des Ruhrgebiets. Seitdem hat der Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft, und in diesem Rahmen auch der Wandel des Staates und seiner Handlungsmöglichkeiten, unsere Städte in hohem Maße dynamisiert und verändert. Betrachtet man die gesellschaftlichen Veränderungen vor dem Hintergrund dieser Entwicklungsphase, ist eine Bewegung auf zwei Ebenen erkennbar: • Die „formierte Mittelstandsgesellschaft“ der 1960er Jahre und ihr enger, kleinbürgerlicher Lebensstil wurde durch einen Individualisierungsschub abgelöst, der von einer geradezu explosionsartigen Entfaltung unterschiedlichster Lebensstile begleitet war.1 Die Auflösung tradierter Formen von Vergemeinschaftung und die Loslösung der Menschen aus den Grenzen, die ihnen bisher durch ihre Herkunft gesetzt waren, bewirkte eine enorme Zunahme von Freiheitsgraden für die Individuen. • Die wachsende Individualisierung wird flankiert durch den Rückzug des Staates aus vielen Feldern gesellschaftlicher Regulierung. Damit wird die Erhöhung der individuellen Freiheiten stärker an persönliche Verantwortung gebunden. Dies führt zu einer Zunahme von Optionen und Risiken für den Einzelnen und - bezogen auf die Gesamtgesellschaft - von sozialer Ungleichheit. Damit steht die Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft, deren Umrisse ab den 1980er Jahren sichtbar wurden, vor der Aufgabe, neue Mechanismen zu entwickeln, um mit den Risiken innovativ umzugehen. Bei der Veränderung des Lebens in den Städten haben folgende Entwicklungen eine besondere Rolle gespielt.

Strukturwandel Der Umbruch der städtischen Ökonomien und das Entstehen der internationalen Konkurrenz von Stadtregionen haben den Strukturwandel beschleunigt. Seit Ende der 1970er Jahre erfolgt eine rasche Modernisierung der Wirtschaft in den

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Schelsky 1965.

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Gesellschaftlicher Wandel

Städten. Dabei sind Arbeitsplätze im sekundären Sektor verloren gegangen, während der Dienstleistungsbereich gewachsen ist. Der tertiäre Sektor umfasst heute selbst im Ruhrgebiet 70 Prozent der Beschäftigung. Allerdings sind die Orte der Deindustrialisierung nicht die mit einem starken tertiären Wachstum, so dass mehr gewerbliche Arbeitsplätze entfielen als im Dienstleistungssektor entstehen konnten. Diese Entwicklung führt gegenwärtig in einigen Räumen zu regionalen Disparitäten und zu struktureller Arbeitslosigkeit. Auch zeigten gerade moderne, wachstumsstarke Teile des Dienstleistungsmarktes eine polarisierte Lohnstruktur: Neben gut bezahlten, hoch qualifizieren Arbeitsplätzen entstehen viele marginalisierte Jobs. In den Städten wächst so ein Segment von Beschäftigten mit geringer Bezahlung und hohem Arbeitsplatzrisiko. Kommen Entwicklungen wie der Abbau des (lokalen) Sozialstaats hinzu, besteht die Gefahr, dass hierbei Gruppen entstehen, die in der Literatur als „urban underclass“ bezeichnet werden. Da diese sich im Zug der Segregation häufig räumlich konzentrieren, entsteht hier ein Handlungsfeld, das die Stadtpolitik seit den 1990er Jahren zunehmend beschäftigt.

Internationale Arbeitsteilung Der skizzierte Wandel in der Wirtschaft vollzieht sich im Kontext einer Neuordnung der internationalen Arbeitsteilung. Dabei entsteht ein globaler, kaum noch regulierter Markt für Güter und Dienstleistungen. Es zeichnet sich eine weltweite Hierarchie von Ballungsräumen ab, die untereinander konkurrieren. Damit wandelt sich auch das Selbstverständnis der Städte. Schon in den 1980er Jahren beginnen Einzelne sich als Unternehmen zu verstehen („Unternehmen Hamburg“), das seine Ressourcen und Steuerungskapazitäten ebenfalls ökonomisch auszurichten hat.

Neue Lebensformen Der Wandel der Lebensformen hin zu einer stärkeren Individualisierung und Pluralisierung der Lebensstile und einem Bedeutungsverlust der Familie findet zunächst vor allem in bestimmten sozialen Gruppen statt. Es sind Menschen jüngeren und mittleren Alters mit hoher formaler Bildung und gutem Einkommen - oder mit der Aussicht darauf -, in denen Frauen wie Männer eine starke berufliche Ausrichtung und ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Selbstverwirklichung zeigen. Diese neue Dienstleistungsklasse pflegt Lebensstile, die demonstrativen Konsum, Hedonismus, Flexibilität und Individualismus bis hin zur Entsolidarisierung umfassen. Dies geht einher mit einer Veränderung der Berufswelt, die nun ebenfalls Flexibilität, Entscheidungskraft, Kreativität und die Ökonomisierung von Denken und Handeln verlangt (Ich AG). Die relativ geringe 153

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gesellschaftliche Einbindung dieser Lebensstile führt zu ausgeprägten Formen von Distinktion und somit von der Unterscheidung über die Abgrenzung bis hin zur sozialen Schließung.

Soziale Ungleichheit Das Risiko der sozialen Ausgrenzung sowie das Anwachsen der sozialen Ungleichheit und ihre Verräumlichung (Segregation) nehmen zu. Die tief greifenden Veränderungen am Arbeitsmarkt wirken auch auf die Städte: Untere und mittlere Qualifikationen im gewerblichen Sektor werden weniger nachgefragt, während sich die Angebote in hoch und niedrig qualifizierten Positionen der Dienstleistungsbranchen ausweiten. Gleichzeitig geht die Vollzeitbeschäftigung zurück und der Anteil der geringfügig Beschäftigten und Arbeitslosen wächst. In der Folge öffnet sich die Schere der Einkommensentwicklung und die Risiken am Arbeitsmarkt steigen. Die wachsende Armut akkumuliert sich in den Städten und wird dort über sozial selektive Umlandwanderungen weiter konzentriert. Gleichzeitig sinkt im Zuge des Rückzugs des Staats die Leistungsfähigkeit vieler, in der Wohlfahrtsphase geschaffener gesellschaftlicher Puffer, wie z.B. der soziale Wohnungsbau, der lokale Sozialstaat und ausgleichende Stadtteilpolitiken. Im Ergebnis dieser Prozesse verräumlicht sich die wachsende soziale Ungleichheit, und es entstehen sozial immer homogenere Quartiere, darunter auch Armutsgebiete.

Migration und Integration Die Ausbildung eines Bevölkerungssegments mit Migrationshintergrund unterstreicht diese Entwicklung. In den 1960er und 1970er Jahren war die Integration nahezu aller Arbeitsmigranten möglich, weil auch gering qualifizierte Arbeitskraft nachgefragt wurde. Dies ist nun nicht mehr der Fall. Damit sinkt auch die Chance auf Integration eines gewichtigen Teils dieser Gruppe. Segregationsprozesse greifen in der Folge um sich. Hier besteht die Gefahr einer sich selbst verstärkenden Abwärtsspirale: Geringe Arbeitsmarktintegration senkt die Anreize, Kultur- und Sozialtechniken der Mehrheitsgesellschaft zu lernen, was wiederum die Integrationschance mindert. Die Ausbildung von homogenen Wohngebieten einer verarmten, ethnisch geprägten Unterschicht ist Teil der allgemeinen Armutssegregation in unseren Städten.

Deregulierung öffentlicher Leistungen Die Schwächung des lokalen (Sozial-) Staates im Kontext zum allgemeinen Trend der Deregulierung und Privatisierung bisher staatlich bzw. gesellschaftlich erbrachter Leistungen ist konstitutiver Teil dieses Prozesses, der die physische 154

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Gesellschaftlicher Wandel

und soziale Realität unserer Städte tief greifend verändert. Die Entstehung des lokalen Sozialstaats im Prozess der Hochindustrialisierung war eine innovative Leistung der deutschen Städte. Seine ausgleichenden Funktionen konnten soziale Spaltungen verringern und soziale Risken abpuffern. Das ermöglichte es einer größeren Zahl von Menschen, an der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung teilzuhaben. Indem nun, sei es über zunehmende Finanzprobleme, sei es über eine ab den 1980er Jahren insgesamt exklusivere Selbstdefinition der Gesellschaft, diese Funktionen zunehmend nicht mehr ausgeübt werden können, können sich in den Städten die in den allgemeinen sozioökonomischen Prozessen angelegten sozialen Spaltungen ungehemmter bahnbrechen.

Privatisierung öffentlicher Räume Der Wandel des öffentlichen Raums hin zu hybriden Mischformen von öffentlich/privaten Räumen ist eine Verräumlichung des gesellschaftlichen Trends, der sozialen und kulturellen Unterschieden eine positive Bedeutung zukommen lässt und eine Politik der Lebensstile auch in den Städten etabliert. Die Modernisierungs- und Kulturpolitik vieler Städte schafft durch Styling und Bespielen öffentlicher Räume eine soziale Schließung zugunsten derer, die diesen Stil widerspiegeln und den damit verbundenen Konsum bezahlen können. Ausgeschlossen wird, wer nicht mithalten kann oder will. Derartige Schließungen können durch private Rechtsetzung etwa in Form von Wach- und Sicherheitsdiensten auf der Grundlage von kommunalen Satzungen, Hausrecht oder so genannten Jedermannsrechten unterstrichen und gegebenenfalls auch durchgesetzt werden. In Stadtzentren, die aus privaten Einkaufszentren oder Malls bestehen, sind diese Prozesse von Anfang an gegeben - das betrifft viele Orte in den neuen Bundesländern. In den klassischen Stadtzentren, die in der Tradition der gewachsenen europäischen Stadt stehen, werden sie erst Schritt für Schritt durchgesetzt.

Das Altern der Gesellschaft Während die hier genannten Entwicklungen bereits seit einigen Jahrzehnten bestehen und ihre Auswirkungen auf unsere Städte gut zu beobachten sind, zeichnet sich eine weitere Entwicklungslinie, die das Leben in unseren Städten stark beeinflussen wird, erst am Horizont ab: Alle entwickelten Gesellschaften altern. Die Alterung erfolgt, weil die Geburtenraten sinken, während die Lebenserwartung steigt (vgl. hierzu Kapitel B2). Da auch die durchschnittliche Lebensarbeitszeit sinkt, verschlechtert sich die Relation von lohnarbeitendem und nichterwerbstätigem Bevölkerungsteil zusätzlich. Für Nordrhein-Westfalen bedeutsam ist, dass die Entwicklung in vom Strukturwandel betroffenen Räu155

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men wegen der langjährigen Abwanderung jüngerer Menschen der allgemeinen Entwicklung um rund 25 Jahre voraus läuft. Damit hat besonders das Ruhrgebiet Pilotcharakter. Hier können Verläufe beobachtet und Maßnahmen erprobt werden. Zu ihnen gehört ein gründlicher Umbau der städtischen Strukturen: Dies betrifft zunächst die bebauten Räume und die Dienstleistungsangebote. Nötig sind darüber hinaus aber weitere Veränderungen. Das dominante negative Altersstereotyp versperrt den Blick auf die Potenziale der künftigen Altenbevölkerung: Ein beträchtlicher Teil wird gesund und gut gebildet sein, über interessante berufliche Erfahrungen verfügen und nach Engagements suchen. So muss in einer künftig stark von Alten geprägten Stadtgesellschaft deren zivilgesellschaftliches Engagement einen hohen Stellenwert erhalten.

5.2

Innerstädtische und regionale Ausdifferenzierungsprozesse

Die Stadt und ihre Stadtteile sind nicht in erster Linie administrative Einheiten, sondern vielmehr Orte des Lebens und der Arbeit, der Kultur und der Teilhabe. Jeder Stadtteil hat dabei seine Stärken und Schwächen, wobei diese ungleich verteilt sind. Schon immer waren Städte und ihre Stadtteile nach sozialer Schicht und/oder Berufszugehörigkeit ihrer Bewohner räumlich strukturiert. Seit den 1920er Jahren ist dies wissenschaftlich untersucht worden. Es ist jedoch eine vergleichsweise junge Entwicklung, dass dem Sozialraum und der sozioökonomischen Segregation seiner Bewohner ein breites Interesse in Wissenschaft und Praxis entgegengebracht wird.

5.2.1 Zunehmende Bedeutung der Segregationsforschung Grund für dieses verstärkte Interesse ist zum einen der Wandel der Stadtgesellschaft an sich, der auf der Ebene sozialer Milieus, der Lebensformen und Lebensstile als Reaktion auf den gesellschaftlichen Wandel stattfindet. Dabei sind die Städte und insbesondere die Großstädte nicht für alle Milieus gleich attraktiv. Ausdifferenzierungsprozesse sind somit zwischen den Städten und innerhalb der Städte zu beobachten und zeigen sich als räumliche Wirkungen des allgemeinen sozialen Wandels. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Dynamik innerstädtischer und regionaler Ausdifferenzierungsprozesse schon an sich die Wissenschaft zu umfangreicher Forschungsarbeit anregt. Zum anderen sind es auch die Fachverwaltungen der Städte selbst, die ein verstärktes Interesse an der Analyse sozioökonomischer Segregation und möglichen Handlungsansätzen für die Kommunalpolitik haben. Diese Ausdifferen156

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zierungsprozesse unterliegen einem grundlegenden Trend und sind kommunalpolitisch nur schwer beeinflussbar, da sie von Deregulierungstendenzen der Sozialpolitik mit verursacht werden. Zugleich ist die soziale Segregation in den Städten Nordrhein-Westfalens zwar ausgeprägt, jedoch nicht mit der Ghettobildung in andere Ländern und Kontinenten zu vergleichen. Es gibt in NordrheinWestfalen weder hoffnungslos belastete Problemfälle noch systematisch abgeschottete Stadtteile der Reichen. Es eröffnen sich daher Handlungsspielräume, die eine grundlegende Betrachtung innerstädtischer und regionaler Ausdifferenzierungsprozesse lohnend machen. Aus wissenschaftlicher Sicht wie auch in der Begrifflichkeit der Fachverwaltungen wird unter Segregation die Ungleichverteilung bestimmter Bevölkerungsgruppen im städtischen Raum verstanden.2 Sie ist die Verbindung von sozialer und räumlicher Ungleichheit. Räumliche Ungleichheit ist die Folge von topographischen Unterschieden und Lagequalitäten, die sich aus ökonomischen, ökologischen und soziokulturellen Bewertungen innerhalb einer Stadt ergeben. Soziale Ungleichheit hat ökonomische, kulturelle und machtrelevante Dimensionen. Generell verteilen sich Sozialgruppen nicht gleichmäßig innerhalb eines Stadtgebietes, sondern konzentrieren sich - auch in Abhängigkeit ihres ökonomischen Potenzials - in bestimmten Teilräumen und zu bestimmten Lebensphasen. Grundsätzlich kann Segregation sowohl als statischer Zustand, also als disproportionale Verteilung von Bevölkerungsgruppen mit ähnlichen Merkmalsausprägungen, wie auch als dynamischer Prozess der Entmischung verstanden werden. Generell wird räumliche Segregation nur dann als problematisch beurteilt, wenn damit Ungleichheit verfestigt oder sogar verstärkt wird und wenn sie nicht freiwillig erfolgt. In den meisten Städten wurde in den vergangenen zwei Jahrzehnten ein Prozess der zunehmenden räumlichen Konzentration von benachteiligten Bevölkerungsgruppen beobachtet, der eine zusätzliche Benachteiligung dieser Gruppen bzw. eine Verfestigung ihres sozial unterprivilegierten Status nach sich ziehen kann. Solche Stadtteile und die in ihnen wohnende Bevölkerung werden von der allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung abgekoppelt und dauerhaft marginalisiert. Daraus ergeben sich schwerwiegende Nachteile für die Zukunftschancen bestimmter Bewohnergruppen, insbesondere für Kinder und Jugendliche. Aber auch die Gesamtstadt kann durch solche

2

Friedrichs 1995; Harth/Herlyn/Scheller 1998. 157

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Entwicklungen beeinträchtigt werden, wenn sich die sozialräumliche Ungleichheit in einer Stadt in offensichtlicher Verwahrlosung einzelner Quartiere und wachsenden sozialen Konflikten niederschlägt und so die soziale Integrationskraft der Stadt in Frage steht.3 Obwohl in den Städten die oberste Einkommensschicht in der Regel am stärksten segregiert wohnt, wird dies üblicherweise nicht als problematisch angesehen - die ebenfalls starke Segregation einer sozial und ökonomisch marginalisierten Bevölkerungsgruppe hingegen schon. Dies ist damit zu begründen, dass bei der Bewertung von Segregation zwischen einer freiwilligen und einer erzwungenen Segregation unterschieden wird, wobei die selbst gewählte Segregation als Ausdruck individueller Selbstbestimmung im Allgemeinen nicht in Frage gestellt wird. Anders ist die Bewertung dann, wenn die Segregation eben nicht freiwillig erfolgt, sondern sich beispielsweise einkommensschwache Haushalte oder Haushalte einer bestimmten ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit mangels Alternativen in wenigen Stadtteilen konzentrieren. Insbesondere die benachteiligenden Effekte eines Milieus, das aus Benachteiligten gebildet wird, stehen im Mittelpunkt des Interesses von Wissenschaft und Politik. Diese Effekte bestehen vor allem hinsichtlich der Sozialisation und in den Beschränkungen sozialer Interaktion, also in der Einschränkung der gesellschaftlichen Erfahrung und in der Restriktion von Austauschprozessen. Zugrunde liegen dieser Einschätzung die Theorie des sozialen Lernens bzw. die Sozialisationstheorie sowie die Netzwerktheorie.4 Soziales Lernen erfolgt in der Familie, durch die Medien, in der Schule und in Peer-Groups, das heißt in sozialen Gruppen. Entscheidend für eine erfolgreiche Inklusion ist die Chancengleichheit hinsichtlich der Teilhabe an wirtschaftlichen, sozialen und politischen Prozessen. Dabei ist die Nachbarschaft bzw. das Quartier als Lernraum angesprochen. In einer Nachbarschaft, in der vor allem Modernisierungsverlierer, sozial Auffällige und sozial Diskriminierte konzentriert wohnen, sind vor allem bestimmte, häufig abweichende Normen und Verhaltensweisen repräsentiert, andere - gesamtgesellschaftlich zum „mainstream“ gehörende - Muster hingegen nicht oder immer weniger. Dies führt zu einer Dominanz der abweichenden Verhaltensmuster, von denen nun ein Anpassungsdruck ausgeht. Sowohl durch sozialen Druck wie durch Imitationslernen werden diese Normen immer stärker im Quartier verbreitet, so dass die Kultur der Abweichung zur dominanten Lebensform wird.

3

Häußermann/Siebel 2001; Alisch/Dangschat 1998; Harth/Scheller/Tessin 2000.

4

Netzwerkstudien wurden von Bott 1957, Pfeil 1965 und Ganzert 1973 durchgeführt, zitiert nach Friedrichs 1995, S. 155f.

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Diese Entwicklung kann selektive Wanderungsprozesse aus den Quartieren beschleunigen, insbesondere bei Familien mit Kindern, deren Normen und Verhaltensweisen nicht mit denjenigen übereinstimmen, die im Quartier Dominanz erlangt haben. Je mehr sozial kompetente und aktive Haushalte jedoch mit Wegzug reagieren, desto geringer werden die Erfahrungsmöglichkeiten mit positiven Rollen innerhalb des Quartiers. Es ergeben sich - insbesondere für Kinder und Jugendliche - immer weniger unterschiedliche Lebensmodelle, an denen sich das eigene Verhalten orientieren könnte. Wenn Kinder oder Jugendliche keinen mehr kennen, der einer regelmäßigen Erwerbsarbeit nachgeht, entwickeln sie auch keine Vorstellung davon, dass pünktliches und regelmäßiges Aufstehen und die Aufrechterhaltung einer äußeren Ordnung und Selbstdisziplin eine Lebensmöglichkeit darstellt, die mit gewissen Vorteilen verbunden ist. Oder: Wenn Jugendliche in ihrem Bekanntenkreis niemanden kennen, der mit üblicher Erwerbstätigkeit seinen - wenn auch bescheidenen - Lebensunterhalt verdient, hingegen viele kennen, die sich mit kleinkriminellen Aktivitäten ohne großen Aufwand eine spektakuläre Lebensführung ermöglichen und sich obendrein über ihren mühseligen Schulbesuch lustig machen - welche Handlungsalternativen bieten sich dann? Schon diese wenigen Stichworte machen deutlich, dass es sich bei der sozioökonomischen Segregation um einen Themenbereich handelt, dem aus vielfältigen Gründen zunehmend Beachtung geschenkt wird. In den folgenden Ausführungen werden wesentliche empirische Erkenntnisse dargestellt, von denen im Weiteren Handlungsempfehlungen für die Landespolitik abgeleitet werden.

5.2.2 Dimensionen sozialer Segregation Regionale Struktur der Lebensverhältnisse in Nordrhein-Westfalen Einen Ansatz zur Ermittlung sozialer Segregation zwischen Städten bieten bereits recht wenige Indikatoren, die gleichwohl ausreichen, um regionale Strukturen unterschiedlicher Lebensverhältnisse zu identifizieren. Der Indikatorensatz der laufenden Gesundheitsberichterstattung der Länder weist regionalisierte Sozialstruktur- und Bevölkerungsindikatoren aus, die eine brauchbare und jährlich aktualisierbare Datenbasis für eine Klassifikation räumlicher Differenzierung der Lebenslagen, Lebensformen und Lebensbedingungen der Wohnbevölkerung in den Kreisen und kreisfreien Städten in Nordrhein-Westfalen darstellen.5 Die folgenden acht Merkmale gehen in die anschließenden Analysen ein:

5

Strohmeier/Kersting 1997; Bardehle/Strohmeier/Laaser 2002. 159

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• Altersgruppe Null bis 14 Jahre in Prozent der Bevölkerung am 31. Dezember 1999, • Altersgruppe über 65 Jahre in Prozent der Bevölkerung am 31. Dezember 1999, • Empfänger von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt pro tausend Einwohner am 31. Dezember 1999, • Arbeitslose in Prozent der Erwerbspersonen am 30. September 1999, • Verfügbares Einkommen je Einwohner in DM in 1997, • nichtdeutsche Bevölkerung in Prozent der Bevölkerung am 31. Dezember 1999, • Bevölkerungsdichte: Einwohner pro Quadratkilometer in 2000, • Bevölkerungsveränderung zwischen 1990 und 1999 in Prozent der Bevölkerung am 31. Dezember 1999. Diese Indikatoren sind, mit Ausnahme des verfügbaren Einkommens, im Allgemeinen in allen Städten für alle Stadtteile verfügbar. Diejenigen Indikatoren, die Armutslagen, die Altersstruktur und die Zusammensetzung der Bevölkerung nach Nationalitäten anzeigen, hängen statistisch stark miteinander und mit der Bevölkerungsentwicklung zusammen. Die Abb. 1 zeigt die Verteilung der Kreise und kreisfreien Städte in dem durch die Merkmale des so genannten A-Faktors (s.u.) und des Wohlstandsfaktors aufgespannten Merkmalsraum: In den schrumpfenden Städten leben viele Alte, wenige Junge, viele Ausländer, viele Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger, diese Gruppen der Bevölkerung werden als „A-Gruppen“ bezeichnet. Die demografisch wachsenden ländlichen Räume sind dagegen durch eine junge Alterstruktur, geringe Ausländeranteile und gering ausgeprägte Armut und Arbeitslosigkeit gekennzeichnet. Höchste Werte auf dem ersten Faktor (A-Faktor) haben Städte mit hohen Anteilen von Ausländern, Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern („Arme“), Alten (und geringen Anteilen von Kindern in der Bevölkerung) sowie mit abnehmender Bevölkerung. Niedrige Werte haben ländliche Regionen, in denen diese Gruppen nur gering vertreten sind. Daraus ergibt sich eine starke Korrelation von Merkmalen sozialer (Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger), demografischer (Alte) und ethnischer Segregation (Ausländer) in den schrumpfenden Städten (Bevölkerungsveränderung, Bevölkerungsdichte). Höchste Werte beim zweiten Faktor, der vor allem durch den Effekt der Variable des verfügbaren Einkommens pro Kopf geprägt wird, haben Städte mit hohen Durchschnittseinkommen pro Kopf (und entsprechend vielen kleinen Haushalten), niedrigste Werte weisen Städte und Kreise mit niedrigen Einkommen und/oder großen Haushalten auf. 160

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Abb. 1 „A-Faktor“ und „Wohlstandsfaktor“ in den Kreisen und kreisfreien Städten Quelle: Zimmer-Hegmann/Strohmeier/Häußermann und andere; ZEFIR-Datenbank

Beide Skalen sind in der Abbildung so ausgelegt, dass der Durchschnitt über Nordrhein-Westfalen gleich Null und die mittlere Abweichung (Standardabweichung) der Einzelwerte von diesem Durchschnitt gleich Eins ist. Die Städte in Nordrhein-Westfalen liegen ausnahmslos in der oberen Hälfte, während die Kreise vornehmlich in der unteren Hälfte zu finden sind. Die Konzentration der sogenannten A-Gruppen ist damit eindeutig ein Charakteristikum städtischen Lebens. Die Endpunkte des Kontinuums werden von Gelsenkirchen, Herne, Duisburg auf der einen und den Kreisen Coesfeld und Borken auf der anderen Seite gebildet. Die senkrechte Linie markiert eine Wohlstandsgrenze im nordrhein-westfälischen Städtesystem. Rechts oben finden wir mit Düsseldorf als unangefochtenem Spitzenreiter die prosperierenden Städte, links oben die armen Städte wie Gelsenkirchen oder Herne, rechts unten die prosperierenden ländlichen Räume, links unten die ärmeren und auch kinderreicheren ländlichen Regionen. Je weiter oben, desto städtischer sind die Lebensverhältnisse. Betrachtet man die Städte in den einzelnen Quadranten näher, lässt sich zusätzlich feststellen: je weiter rechts, desto stärker sind die Gegensätze zwischen Arm und Reich in den Städten. Je weiter links, desto homogener in Bezug auf die Verbreitung armer Lebenslagen sind die Städte. Die Abbildung zeigt also recht übersichtlich 161

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in den vier Quadranten die regionale Struktur der Lebensverhältnisse in Nordrhein-Westfalen.

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Kleinräumige Segregationsstrukturen

100

80

60

Häufigkeit

40

20 0 0

6

12

18

24

30

36

42

48

Abb. 2: Verteilung der ethnischen Segregation in den Stadtteilen der kreisfreien Städte Angaben: Häufigkeitsauszählung der Ausländeranteile 2001 in Prozent Quelle: KOSTAT 2001

Bei der Erfassung kleinräumiger Segregation bietet es sich an, zwischen drei Dimensionen zu unterscheiden: der sozialen, der demografischen und der ethnischen Segregation. Diese Dimensionen der Segregation können für die Stadtteile und die meisten kreisfreien Städte in Nordrhein-Westfalen im Wesentlichen aus den vorhandenen KOSTAT-Datensatz des Deutschen Städtetags6 sowie aus den Daten der Volkszählung berechnet werden.

Zur Erfassung der sozialen, demografischen und ethnischen Segregation werden Indikatoren zum sozialen Rang, Familienstatus und zum Ausländeranteil herangezogen. Die Abbildungen 2 bis 4 zeigen die Verteilung des Ausländeranteils, des Jugendquotienten sowie des sozialen Rangs über die Stadtteile in Nordrhein-Westfalen. Die meisten Stadtteile haben einen Ausländeranteil, der unter dem KOSTATDurchschnitt von zwölf Prozent liegt, einzelne haben Anteile, die ein Vielfaches davon betragen (z.B. Duisburg-Bruckhausen). Die Jugendquotienten der Stadtteile sind annähernd normal verteilt. Die große Mehrheit der Stadtteile hat durchschnittliche Werte, eine kleine Gruppe weist extrem niedrige, eine ebenso kleine extrem hohe Werte auf. Im nach wie vor industriell geprägten Nordrhein-Westfalen weist die Mehrheit der Stadtteile einen sozialen Rang auf, der unter dem Durchschnitt von Null liegt. Angesichts der großen Zahl von Stadtteilen und kreisfreien Städten in Nordrhein-Westfalen kann deren sozioökonomische Segregation nicht umfassend

6

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Die Kommunalstatistik - Deutscher Städtetag (KOSTAT DST GmbH) vertreibt kleinräumig gegliederte Sachdaten für eine Reihe deutscher Städte. Das Datenangebot umfasst die wohnberechtigte Bevölkerung und die Zahl der Haushalte sowie Einwohnerdaten nach Altersgruppen, Geschlecht und deutsch bzw. nichtdeutsch.

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beschrieben werden. Aus den empirischen Analysen und insbesondere dem zeitlichen Vergleich der Entwicklung lassen sich jedoch folgende Kernaussagen festhalten:

200

Häufigkeit

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Konvergenz der Dimensionen von Segregation

0 8

14

20

26

32

38

44

50

56

Abb. 3 Verteilung der demografischen Segregation in den Stadtteilen der kreisfreien Städte Angaben: Häufigkeitsauszählung des Jugendquotienten 2001 in Prozent Quelle: KOSTAT 2001

160

80

60

40

Häufigkeit

20

0 -3,0 -2,5 -2,0 -1,5 -1,0 -0,5 0,0

0,5

1,0

1,5

2,0

Abb. 4: Verteilung der ethnischen Segregation in Stadtteilen der kreisfreien Städte Angaben: Häufigkeitsauszählung des sozialern Rangs 1987 (= Arbeiteranteil x (-1)), standardisiert Quelle: Volkszählung 1987

Der Zusammenhang der drei Dimensionen ist zunehmend stärker geworden. Die weitaus größten Anteile der inzwischen zahlreicheren Ausländer leben heute in den Stadtteilen, in denen auch die größten Anteile der armen Inländer leben. Dort leben heute, zumindest in den Städten, auch die meisten Familien, somit auch Kinder und arme Familien. Der Ausländeranteil ist daher mittlerweile das statistisch bedeutendste Unterscheidungsmerkmal der Stadtteile geworden, denn er ist zugleich ein Armutsindikator und ein Indikator für die demografische Struktur des Stadtteils. Stadtteile sind dann besonders belastet, wenn in ihnen die drei Formen der Segregation gemeinsam auftreten. Eben diese Gleichzeitigkeit der Segregationsdimensionen ist immer häufiger zu beobachten. Gleichwohl darf daraus nicht auf einen unmittelbaren kausalen Zusammenhang etwa sozialer und ethnischer Segregation geschlossen werden. So kann es durchaus sein, dass auf kleinräumiger Ebene - also noch unterhalb der Stadtteilebene - die Sozialräume nach ethnischer, sozialer und demografischer Zusammensetzung wieder deutlich zu unterscheiden sind. Das politische Gegensteuern gegen die eine 163

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Segregationsdimension setzt daher nicht zwingend die Aufhebung auch der anderen voraus.

Die Strukturen räumlicher Segregation sind relativ konstant Es gibt eine relative Stabilität von Strukturen sozialer Segregation. Sortiert man die Städte und Stadtteile nach ihrem sozialen Rang, so ergibt sich im Vergleich der letzten 30 Jahre annähernd dieselbe Rangfolge. Städte und Stadtteile, die vor 30 Jahren bereits als sozial benachteiligt galten, sind es in der Regel auch heute. Städte und Stadteile mit sozial höher gestellter Bevölkerung haben in der Regel auch heute überdurchschnittliche Einkommen, eine relativ junge Altersstruktur und einen geringen Ausländeranteil. Auch für die Zukunft ist eine Fortschreibung dieser relativen Stabilität sozialer Strukturen zu erwarten.

Abstände zwischen den Städten und Stadtteilen vergrößern sich Bei konstanter Rangfolge der Städte und Stadtteile haben sich die Abstände zwischen den Extrema vergrößert. Dies ist vergleichbar mit den Perlen einer Kette, die auseinander gezogen werden, ohne jedoch ihre Reihenfolge zu verändern. Diese Beobachtung stimmt mit dem verstärkten Zusammenhang der drei Dimensionen sozialer Segregation überein. In der Gesamtbetrachtung hat damit die sozioökonomische Segregation eindeutig zugenommen und insbesondere im Bereich benachteiligter Stadtteile eine problematische Ausprägung erreicht. Deren Bezeichnung als überforderte Nachbarschaften oder soziale Brennpunkte scheint daher gerechtfertigt.

Hohe Ausländer- oder Altenanteile sind nicht grundsätzlich problematisch Die Ausnahmen von der Regel sollten nicht unbeachtet bleiben. Sie liegen z.B. in den Dienstleistungszentren vor, in denen Stadtteile mit hohem Ausländeranteil gleichzeitig einen hohen sozialen Rang und einen niedrigen Familienstatus aufweisen. Ebenfalls gibt es alternde Wohngebiete von hohem sozialen Rang und mit geringem Ausländeranteil in mittelperipheren Lagen, auf welche die obige Regel nicht zutrifft.

Die Tabelle 1 enthält eine Zuordnung aller Stadtteile in den Städten in NordrheinWestfalen, für die alle drei Indikatoren ermittelt werden konnten. Es handelt sich hierbei um die erste nahezu flächendeckende Sozialraumanalyse der Stadtteile in den kreisfreien Städten des Landes Nordrhein-Westfalen. 164

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Gesellschaftlicher Wandel

Ausländer anteil

Jugendquotient

niedrig (1) DO Hostedde GE Resser Mark HER Sodingen-Süd OB Schlad

niedrig (1)

niedrig(1)

sozialer Rang mittel (2) BI Bethel BO Altenbochum BO Grumme BO Kornharpen /Voede-Abtweig BO Südinnenstadt BO Weitmar-Mark BO Weitmar-Mitte BOT Fuhlenbrock -Wald BOT Süd-West DU Ungelsheim E Borbeck-Mitte HA Elsey-Süd HAM Süden, westl. Werler Str. HER Börnig HER Gartenstadt HER Herne-Süd MG Flughafen OB Styrum RS Falkenberg RS Garschagen RS Grenzwall RS Morsbach

Gesamt hoch (3) BI Babenhausen-Ost BI Großdornberg BI Hoberge-Uerentrup BI Lonnerbach BI Tieplatz BI Upmannstift BN Holtdorf BO Stiepel BO Wiemelhausen/ Brenschede D Himmelgeist D Itter D Unterbach DO Barop DO Bittermark DO Syburg DO Westfalendamm DO Westfalenhalle DO Wichlinghofen E Bergerhausen E Bredeney E Byfang E Fulerum E Haarzopf E Huttrop E Kettwig E Rüttenscheid E Schönebeck E Stadtwald E Werden HA Emst-West HA Fleyerviertel HAM Innenstadt-Ost Ham Westhausen K Klettenberg K Lövenich K Pesch K Rath/Heumar KR Stadtwald MG Pongs MG Windberg MS Aegidii MS Düesberg MS Geist MS Hansaplatz MS Herz-Jesu MS Kreuz MS Martini MS Mauritz-Mitte MS Mauritz-West 165

75

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Ausländer anteil

Jugendquotient

niedrig (1) BO Bergen/Hiltrop BO Gerthe BO Hordel BO Langendreer DO Jungferntal DO Kley DO Lanstrop DO Lütgendortmund DO Wickede DU Röttgersbach DU Wehofen E Gerschede

niedrig (1)

niedrig (1)

sozialer Rang mittel (2)

GE Beckhausen GE Erle

BI Heeperholz BI Holtkamp BI Jöllenbeck-West BI Niederdornberg BI Ubbedissen BO Dahlhausen BO Eppendorf BO Harpen/Rosenberg BO Hoentrop BO Linden BO Westenfeld BOT Kirchhellen -Grafenwald BOT Stadtwald D Vennhausen

GE Resser Mark GE Scholven

DO Asseln DO Brackel

HA Vorhalle-Süd HAM Sandbochum HER Hannover HER Königsgrube KR Gartenstadt OB Buschhausen OB Holten

DO Brechten DO Holthausen DO Oespel DO Schüren DO Sölde DO Westrich DU Bissingheim DU Buchholz DU Großenbaum DU Huckingen DU Mündelheim DU RumelnKaldenhausen E Bedingrade E Dellwig E Frintrop E Kupferdreh E Überruhr-Hinsel E Überruhr-Holthausen GE Heßler HA Boelerheide HA Boele-Zentrum HA Eilpe-Süd/ Selbecke HA Fley/Helfe HA Priorei/ Rummennohl HAM Lerche HAM Lohauserholz HAM Ostwennemar HAM Wiescherhöfen/ Daberg

166

Gesamt hoch (3) AC Kornelimünster AC Laurensberg AC Soers BI Babenhausen-Ost BI Buschkamp BI Johannistal BI Kirchdornberg BI Sieben Hügel BI Theesen BN Finkenhof BN Lessenich/Meßdorf BN Oberkassel BN Röttgen BOT FuhlenbrockHeide BOT Kirchhellen-Mitte BOT KirchhellenNord-Ost D Kalkum D Ludenberg D Urdenbach DO Benninghofen DO Berghofen DO Brünninghausen DO Hacheney DO Holzen DO HombruchSüdwest DO Kirchhörde DO Lücklemberg DO Sölderholz DO Wambel DO Wellinghofen DU Baerl DU Rahm E Burgaltendorf E Fischlaken E Heidhausen E Heisingen E Margarethenhöhe E Schuir HA Berchum HA Eppenhausen HA Garenfeld HA Holthausen HAM Freiske HAM Nordinker

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Gesellschaftlicher Wandel

Ausländer anteil

Jugendquotient

niedrig (1)

sozialer Rang mittel (2) HER Gysenberg HER Stadtgarten K Heimersdorf K Immendorf KR Baackeshof KR Fischeln-West KR Flöthbach/ Plankerdyk KR Hüls-Ostkern KR Kempener Feld KR Königshof KR Orbroich/ Hülser Bruch LEV Hitdorf

niedrig(1)

niedrig (1)

mittel(2)

hoch (3)

LEV Lützenkirchen MG Bettrath-Hoven MG GiesenkirchenMitte MG GiesenkirchenNord MG Hardt-Mitte MG Hehn MG Hockstein MG Neuwerk-Mitte MG Venn OB Alstaden-West OB Dümpten RS Bökerhöhe RS Goldenberg RS Kratzberg RS Schmittenbusch RS Stursberg BI Eckardtsheim BI Altenhagen BOT Eigen BI Brönninghausen DO Deusen BI Dingerdissen DO Kirchderne BI Grafenheide DO Schwieringhausen BI Kupferheide DU Alt-Walsum BI Lämershagen HA Spielbrink BI Lämmkenstadt HA Westerbauer-Nord BI Milse HAM Harringholz BI Oldentrup-Ost HAM Herringen, Ortskern HAM Hövel-Nord HAM Nordherringen HAM Werries KR Elfrath KR Hohenbudberg

BI Schillingshof

Gesamt hoch (3) HAM Westtünnen, östl. Heiseweg K Brück K Elsdorf K Langel K Weiß K Widdersdorf KR Fischeln-Ost KR KR KR KR

Kliedbruch Sollbrüggen Tierpark Traar-Ost

LEV Bergisch Neukirchen MG Hardter Wald MG Sasserath MS Amelsbüren 165 MS Gelmer-Dyckburg MS Hiltrup-Ost MS Kinderhaus-Ost MS Mauritz-Ost MS Mecklenbeck MS Nienberge MS Roxel MS Sprakel MS Wolbeck RS Lennep Nord RS Westhausen

AC Beverau AC Oberforstbach AC Steinebrück AC Walheim BI Todrang BI Wolfskuhle BN Buschdorf BN Hoholz BN Ückesdorf BN Vilich-Müldorf

BI Vilsendorf HA Emst-Ost BI Windwehe HAM Berge BI Wrachtruper Lohde HAM Heessen, Ortskern BOT KirchhellenHAM Osttünnen Nord-West DO Kurl-Husen HAM Rhynern, Ortskern

88

167

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Ausländer anteil

Jugendquotient

niedrig (1) KR Niederbruch MG Rheindahlen-Mitte MG Uedding RS Bergisch Born Ost RS Hackenberg

niedrig (1)

hoch (3)

Gesamt

47

mittel (2)

168

niedrig (1)

sozialer Rang mittel (2) E Freisenbruch HA Halden/Herbeck HAM Braam HAM Dasbeck HAM Frielick HAM Geithe HAM Hölter

Gesamt hoch (3) HAM Wambeln K Esch/Auweiler K Libur KR Traar-West MG Wickrathberg MS Albachten MS GremmendorfWest MS Gremmersdorf-Ost MS Handorf

HAM Mark HAM Selmigerheide/ Weetfeld HAM Uentrop, MS Rumphorst Ortskern HAM Westerheide HAM Westtünnen, westl. Heideweg K Fühlingen KR Hülbusch KR Lindental/Tackheide KR Oppum-Süd KR Roßmühle/Steeg MG Ohler MG Rheindahlen-Land MG Schelsen MG Wanlo MG Wickrath-West OB Alsfeld OB Sterkrade-Nord RS Bergisch Born West RS Engelsburg RS Henkelshof RS LüttringhausenWest 137

144

328

BI Wellensiek BO Hamme

AC Frankenberg BI Johannesstift

DU Ruhrort HER Bickern HER Wanne-Süd

BI Königsbrügge BI Rütli BI Siegfriedplatz BI Sudbrack BN Duisdorf-Nord BI Brackwede-Mitte BO Wattenscheid-Mitte BOT Altstadt D Benrath D Unterrath DO Hombruch-Mitte DO Kaiserbrunnen DU Neudorf-Nord DU Neudorf-Süd

AC Burtscheider Abtei AC Burtscheider Kurgarten AC Hansemannplatz AC Lindenplatz AC Marschiertor AC Theater AC Westpark

BN Grau-Rheindorf

BI Brands-Busch BN Alt-Endenich BN Alt-Plittersdorf BN Baumschulviertel BN Beuel-Zentrum BN Bonner Talviertel BN Dottendorf BN GronauRegierungsviertel

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Gesellschaftlicher Wandel

Ausländer anteil

Jugendquotient

niedrig (1)

sozialer Rang mittel (2) E Frillendorf E Frohnhausen E Rellinghausen K Riehl KR Hammer schmidtplatz KR Königshof-West LEV Küppersteg MS Hafen OB Altstadt-Mitte OB Sterkrade-Mitte RS Lüttringhausen-Mitte

mittel (2)

niedrig (1)

BI Brock

BI Eggeweg

Gesamt hoch (3) BN Kessenich BN Muffendorf BN Vilich-Rheindorf BN Vor dem Koblenzer Tor BN Wichelshof D Oberkassel D Düsseltal D Flehe D Golzheim D Grafenberg D HAM D Stockum DO Eichlinghofen DO Ruhrallee DU Altstadt DU Duissern E Holsterhausen E Südviertel K Bayenthal K Braunsfeld K Ensen K Junkersdorf K Lindenthal K Lindenthal K Müngersdorf K Neuehrenfeld K Rodenkirchen K Sülz K Wahnheide K Weiden K Westhoven K Zollstock KR Cracau MG Am Wasserturm MG Bungt MS Aaseestadt MS Bahnhof MS Buddenturm MS Dom MS Josef MS Neutor MS Pluggendorf MS Schlachthof MS Schloß MS Schützenhof MS Sentrup MS Überwasser MS Uppenberg AC Hangeweiher

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Ausländer anteil

Jugendquotient

niedrig (1) BI Frerks Hof BI Stieghorst BO Guenningfeld BO Hofstede BO Laer BO LangendreerAlter Bahnhof

BI BI BI BI BI BI

BO Leithe BO Riemke BO Werne BOT Batenbrock-Nord BOT Boy DO Bodelschwingh DO Dorstfeld DO Marten

BOT Süd-West D Gerresheim D Wersten DO Menglinghausen DU Alt-Homberg DU Bergheim DU Wedau E Leithe

DO DO DO DO

mittel (2)

mittel (2)

Mengede Nette Oestrich Scharnhorst-Alt

DU Aldenrade DU Mittelmeiderich DU Untermeiderich DU Wanheimerort E Altenessen-Süd E Bochold E Kray GE Horst GE Rotthausen GE Ückendorf HA Delstern HA Eilpe-Nord HA Elsey-Nord HA Westerbauer-Süd HAM Barsen HAM Bockum HAM Heidhof HAM Westen, südl. Lange Str. HER Baukau-Kern HER Baukau-West HER Constantin HER Elpeshof HER Feldkamp HER Holsterhausen HER Pantrings Hof HER RöhlinghausenKern

170

sozialer Rang mittel (2) Gellershagen Kupferhammer Schildesche Stauteiche Unterhteesen Welscher

Gesamt hoch (3) AC Hörn BI Bülmannshof BI Bültmannskrug BI Pappelkrug BI Rosenhöhe BN Alt-Tannenbusch

BN Beuel-Süd BN Brüser Berg BN Duisdorf-Zentrum BN Friesdorf BN Heiderhof BN Ippendorf BN Lengsdorf BN Limperich/Küdinghoven/Ramersdo E Steele BN Neu-Duisdorf GE Buer-Mitte BN Neu-Endenich HA Altenhagen-Süd BN Obermehlem HA Dahl BN Pützchen/ Bechlinghoven HA Haspe-Süd BN Venusberg HER Altenhöfen D Angermund K Flittard D Hubbelrath K Poll D Kaiserswerth K Urbach D Lohausen K Vogelsang D Volmerswerth KR Inrath DO Aplerbeck KR Uerdingen-Markt HAM City LEV Bürring HAM Kurpark LEV Opladen HAM Süden, östl. Werler Str. LEV Steinbüchel K Dellbrück MG Eicken K Eil MG Geistenbeck K Hahnwald MG Grenzlandstadion K Longerich MG HardterbroichK Merheim Pesch MG Heyden K Raderthal MG Lürrip K Sürth MG Schmölderpark K Zündorf MG Schrievers OB Marienkirche RS Bliedinghausen RS Hölterfeld RS Reinshagen RS Schöne Aussicht RS Struck

LEV Schlebusch MS Gievenbeck MS Hiltrup-Mitte RS Ehringhausen

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Gesellschaftlicher Wandel

Ausländer anteil

mittel (2)

Jugendquotient

mittel (2)

niedrig (1)

sozialer Rang mittel (2)

Gesamt hoch (3)

HER Sodingen-Kern HER Strünkede K Merkenich K Worringen KR Oppum-Banhof LEV Quettingen MG Oldenkirchen-West MG Waldhausen OB Alstaden-Ost OB Bermensfeld OB Borbeck OB Heide OB Klosterhardt-Süd OB Lirich-Nord OB Osterfeld-Ost OB Schwarze Heide OB Tackenberg RS Großhülsberg RS Mixsiepen RS Neuenkamp RS Vieringhausen BI Baumheide AC Forst BI Betriebshof Sieker AC Hanbruch BI Dalbke BI Südstadt BI Südwestfeld BI Windelbleiche BOT Nord-Ost D Garath DO Bövinghausen DO Kirchlinde DO Scharnhorts-Ost DO Westerfilde DU Beeckerwerth DU Neuenkamp DU Neumühl

AC Vaalsquartier BN Bad GodesbergKurviertel BI Hillegossen BN Geislar BI Jöllenbeck-Ost BN Holzlar BI Oldentrup-West BN Schweinheim BI Quelle D Wittlaer BI Sennestadt K Rondsdorf BI Ummeln K Wahn BI Vorwerk Schildesche MS Angelmodde D Hellerhof MS Hiltrup-West D Lichtenbroich MS Kinderhaus-West E Horst GE Feldmark HA Geweke/Tücking HAM Pelkum, Ortskern

DU Overbruch DU Rheinhausen-Mitte E Altenessen-Nord E Bergeborbeck E Karnap E Schonnebeck mittel (2)

hoch (3)

HER Eickel-Kern K Dünnwald K Höhenhaus K Lindweiler K Stammheim MG BonnenbroichGeneicken E Stoppenberg MG Holt HA Altenhagen-Nord MG Odenkirchen-Mitte HA Henkhausen/Reh MG Wickrath-Mitte HA Kabel/Bathey RS Dörrenberg HAM Hövel-Mitte RS Haddenbach HAM Nordenfeldmark- RS Stadtgarten West

76

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Ausländer anteil

mittel (2)

Gesamt

hoch (3)

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Jugendquotient

hoch (3)

niedrig (1)

sozialer Rang mittel (2)

Gesamt hoch (3)

HAM Zeche-Sachsen HER Holthausen HER Scharpwinkelring K Roggendorf/ Thenhoven KR Gatherhof KR UerdingenStadtpark LEV Alkenrath LEV Rheindorf RS Fichtenhöhe RS Hasenberg RS Lennep West

109 98

116

323

AC Adalbertsteinweg AC Jülicher Str. BI Dürkopp BI Fuhrpark BI Güterbahnhof

AC Kaiserplatz AC St. Jakob BI Hammer-Mühle BI Kesselbrink BI Landgericht

BI Heeper Fichten BI Pauluskirche

BN Bad GodesbergZentrum BN Ellerviertel

AC Markt AC Ponttor BI Alt- und Neustadt BI Universität BN HochkreuzRegierungsviertel BN Poppelsdorf

BI Stadtwerke

BN Vor dem Sterntor

BN Bonn-Güterbahnhof BO Kruppwerke D Flingern Süd D Lierenfeld DO Dorstfelder Brücke DO Hafen niedrig (1) DO Hörde DU Kaßlerfeld E Nordviertel K Ehrenfeld RS Lennep-Neustadt

BO Gleisdreieck D Derendorf D Flingern Nord D Friedrichstadt D Heerdt D Oberbilk D Unterbilk DU Dellviertel E Stadtkern E Südostviertel E Westviertel GE Altstadt HA Remberg HAM Innenstadt-Süd K Altstadt-Nord K altstadt-Süd K Deutz K Grengel K Neustadt-Süd K Nippes K Radersberg K Weidenpesch KR Stephanplatz KR Vier Wälle

BN ZentrumMünsterviertel BN ZentrumRheinviertel D Altstadt D Bilk D Karlstadt D Lörick D Pempelfort D Stadtmitte DO City K Marienburg K Neustadt-Nord

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Ausländer anteil

Jugendquotient

niedrig (1)

sozialer Rang mittel (2)

Gesamt hoch (3)

MG Gladbach RS Mitte AC Panneschopp AC Trierer Str.

BI Kammeratsheide

BN Bad GodesbergNord BI Bahnhof Brackwede D Eller BI Bauerschaft D Holthausen Schildesche BI Kammerich D Rath BI Nordpark HA Zentrum BI Osningpaß K Holweide BOT Ebel-Welheimer K Mauenheim Mark D Hafen K Niehl D Reisholz KR Bleichpfad DU Beeckerwerth KR Stadtgarten/ Drießendorf DU Friemersheim MG Rheydt DU Hochemmerich OB Altstadt-Süd DU Hochfeld DU Hochheide E Altendorf E Ostviertel GE Bulmke-Hüllen GE Schalke GE Schalke-Nord HA Oege/Nahmer

hoch (3)

mittel (2)

BN Bad GodesbergVillenviertel BN Mehlem-Rheinaue BN Pennenfeld BN Rüngsdorf BO Querenburg D Mörsenbroich D Niederkassel

HA Wehringhausen-Ost HA WehringhausenWest HAM Bahnhof (einschl. Ortsgüterbahn) HAN Heessen-Mitte HER Crange HER Pluto HER Schambrock HER Wanne-Mitte K Buchforst K Buchheim K Godorf K Höhenberg K Humboldt-Gremberg K Kalk K Meschenich K Mülheim KR Dießern KR Schinkenplatz KR Südring LEV Manfort LEV Wiesdorf

71

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Ausländer anteil

hoch (3)

Jugendquotient

mittel (2)

MG Dahl MG Westend RS Altstadt RS Hasten/Mitte RS Lennep-Altstadt RS Nordstadt RS Scheid RS Stachelhausen RS Zentralpunkt OB Klosterhardt-Nord AC Kalkofen AC Rothe Erde BI Sennestadt Industriegebiet BI Sieker BI Windflöte BOT Batenbrock-Süd BOT Welheim D Hassels DO Borsigplatz

hoch (3)

174

hoch (3)

sozialer Rang mittel (2)

niedrig (1)

DO Derne DO Eving DO Huckarde DO Lindenhorst DO Nordmarkt DU Alt-Hamborn DU Bruckhausen DU Fahrn DU Hüttenheim DU Laar DU Marxloh DU Obermarxloh DU Obermeiderich DU Vierlinden DU WanheimAngerhausen E Katernberg E Vogelheim GE Bismarck GE Hassel GE Neustadt HA Eckesey-Nord HA Eckesey-Süd HA Haspe-Zentrum HA Hohenlimburg -Zentrum/Wesselbac HA Kuhlerkamp HA Vorhalle-Nord HAM Herringer Heide HAM Hövel-Radbod

BN BN BN BN

Auerberg Beuel-Ost Dransdorf Lannesdorf

Gesamt hoch (3)

BN Medinghoven BN Neu-Plittersdorf BN Neu-Tannenbusch MS Coerde

HER Wanne-Nord K Bickendorf K Bilderstöckchen K Bocklemünd/ Mengenich K Ossendorf K Porz K Volkhoven/Weiler MS Berg Fidel RS Stadtpark RS Trecknase

81

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Ausländer anteil

hoch (3)

Jugendquotient

hoch (3)

Gesamt

sozialer Rang mittel (2)

niedrig (1)

Gesamt hoch (3)

HAM Mattenbecke HAM NordenfeldmarkOst HAM Ostfeld HAM Westen, nördl. Lange Str. HAM Westenfeldmark HAM Zechensiedlung HER Herne Zentrum HER Horsthausen HER Unser Fritz K Chorweiler K Gremberghoven K Ostheim K Seeberg K Vingst KR Lehmheide KR Stahldorf MG Hauptquartier MG Mülfort OB Lirich-Süd OB Osterfeld-West RS Blumental RS Honsberg RS Klausen RS Kremenholl RS Wüstenhagen 133

61

29

223

Tab. 1: Ausländeranteil, Jugendquotient und sozialer Rang der Stadtteile in Nordrhein-Westfalen Angaben ohne Mühlheim, Wuppertal und Solingen Quelle: KOSTAT 2001; Volkszählung 1987, Berechnungen Zimmer-Hegmann/Strohmeier/ Häußermann und andere

Ordnet man den Dimensionen jeweils Zahlen zu (1 = niedrig; 2 = mittel; 3 = hoch) und bringt sie in eine feste Reihenfolge mit dem Ausländeranteil an der ersten Stelle, dem Jugendquotienten an der zweiten und dem sozialen Rang an der dritten Stelle, dann erhält man z.B. für den Duisburger Stadtteil Bruckhausen das Wertetripel 331, also Ausländeranteil hoch, Jugendquotient hoch, sozialer Rang niedrig. Duisburg-Obermeiderich, Köln-Chorweiler oder Essen-Katernberg werden mit der gleichen Zahlenkombination beschrieben. Eine größere Zahl von Düsseldorfer oder Bonner Stadtteilen weist die Kombination 313 auf, also hoher Ausländeranteil, niedriger Jugendquotient, hoher sozialer Rang. Hier leben mit hoher Wahrscheinlichkeit andere Ausländer als im Typus 331. Die Kombination 311 beschreibt überwiegend innenstadtnahe arme Viertel mit hohen Migrantenanteilen. Am wenigsten auffällig, aber insgesamt auch mit 44 von 1068 Stadtteilen nur relativ selten, ist die Kombination 222, also der in jeder 175

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Hinsicht durchschnittliche, sowohl ethnisch als auch demografisch und sozialstrukturell gemischte Sozialraumtypus. In diese Kategorie gehören zum Beispiel die Stadtteile Essen-Steele oder Düsseldorf-Gerresheim. Besondere Aufmerksamkeit verdienen somit die Kombinationen der extremen Merkmalsausprägungen, die jeweils ein hohes Maß an Segregation der Bevölkerung anzeigen. Auf den ersten Blick ist ersichtlich, dass es Häufungen dieser Extremkombinationen in bestimmten Städten gibt. Wie bereits oben erläutert, ist die ethnische Segregation und insbesondere der Ausländeranteil in einem Stadtteil als Schlüsselgröße anzusehen. Zugleich hat sich in Wissenschaft und Politik in den letzten Jahren ein immer differenzierterer Blick auf die Entwicklungschancen ethnisch verdichteter Stadtteile entwickelt. Im Folgenden wird dieser Aspekt vertiefend behandelt.

5.2.3 Ausprägungen ethnischer Segregation Referenzpunkt für die Einschätzung von Integration und Desintegration in Städten sollte die vorhandene oder nicht vorhandene gleichberechtigte Teilhabe von Bewohnern unterschiedlicher ethnisch-kultureller Herkünfte an Ressourcen und Prozessen sein - und nur in zweiter Linie sollte es die Frage der kulturellen Anpassungsleistungen von Migranten sein. Gelungene Integration bedeutet Chancengleichheit. Entsprechend einer notwendigen Differenzierung des Integrationsbegriffs fordern Häußermann und Siebel eine Auffächerung des Begriffs des segregierten Quartiers. Dabei ist mindestens zu unterscheiden zwischen freiwilliger und erzwungener, kultureller und sozialer Segregation. Im Zusammenwirken dieser Dimensionen entstehen vier Segregationstypen, die unterschiedliche Zuwandererquartiere abbilden (vgl. Abb. 5):7 Ghettos: große kulturelle und ökonomische Distanz zwischen Zuwanderern und Aufnahmegesellschaft. Das entspricht einer Überlagerung von kultureller und ökonomischer Segregation. Slums: geringe kulturelle und große ökonomische Distanz - ökonomische, aber keine ethnische Segregation. Ethnische Kolonie oder Binnenintegration8; Mosaik-Stadt9: freiwillige Segregation oder Diskriminierung mit großer kultureller und geringer ökonomischer 7

Häußermann/Siebel 2001, S. 47.

8

Vgl. zu dieser alternativen Begriffsbildung für diesen Segregationstyp Heckmann 1992, S. 115; Elwert 1982, S. 727.

9

Häußermann/Siebel 2001, S. 11.

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Distanz. Das entspricht einer ethnisch-kulturellen, aber keiner ökonomischen Segregation. Assimilation/Mischung: geringe kulturelle und ökonomische Distanz - keine Segregation. Eine als Chancengleichheit verstandene Integration in die Stadt kann grundsätzlich gleichermaßen durch gemischtethnische Quartiere und Stadtteile wie auch durch ethnische Kolonien erzielt werden. Die Rolle, die der ethnischen Kolonie bei der Integration in der Stadt zukommen kann, muss politisch definiert werden. Hier ist eine explizite Positionsbestimmung unerlässlich, eine Strategieentwicklung für integrative Stadtpolitik ist andernfalls nicht möglich. In der von allen Landtagsfraktionen verabschiedeten Integrationsoffensive Nordrhein-Westfalen werden die hier folgend angesprochenen Elemente weitgehend aufgegriffen - ohne allerdings eine Bewertung der „ethnischen Kolonie“ als eine mögliche Integrationsform vorzunehmen. Zugangshindernisse zum Wohnungsmarkt und freiwillige eigroß klein genethnische Quartiersbildung haben in Nordrhein-Westfalen zu sehr unterschiedlichen moGhetto Slum noethnischen und multiethnischen Quartierstypen geführt, die jeder für sich auch sehr unterschiedliche Entwicklungschancen und Entwicklungsrisiken bergen. Dies gilt ungeachtet ethnische Mischung Kolonie der Tatsache, dass in der Makroperspektive - wie oben beschrieben - ein deutlicher ZuAbb. 5: Typen von Integration und Segregation sammenhang von sozialer und Quelle: Eigene Darstellung ethnischer Segregation zu konstatieren ist. Entsprechend ist die ethnische Kolonie als Gegenentwurf zum so genannten Ghetto für die Bevölkerungsgruppe der ehemaligen Arbeitsmigranten und ihrer Nachkommen bisher kaum verwirklicht. Durch die Migrantenökonomie getragene, dynamische Entwicklungen der letzten Jahre deuten aber in Richtung einer langsamen Etablierung stabiler und konfliktarmer ethnischer Kolonien in zumindest einigen der vorrangig von Migranten bewohnten Quartiere. groß klein

Ökonomische Distanz

Kulturelle Distanz

Hinzuweisen ist insgesamt auf die große Differenziertheit auch unter denjenigen Stadtteilen in Nordrhein-Westfalen mit überdurchschnittlich hohem Zuwandereranteil. Es gibt nicht den problematischen Typus des Zuwandererstadtteils, sondern lediglich sehr unterschiedliche Stadtteilstrukturen mit sehr unter177

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schiedlichen Chancen und Risiken. Dabei kann von „Ghettobildung“ in den nordrhein-westfälischen Städten nur in Ausnahmefällen die Rede sein. Gleichzeitig garantiert aber auch eine große Migrantenpopulation in einem Quartier nicht automatisch die Etablierung eigenethnischer Netzwerke der Selbsthilfe oder einer ethnischen Ökonomie. Ein konstruktiver Umgang mit ethnischen Kolonien und Segregation ist gerade im Ruhrgebiet unerlässlich, da in schrumpfenden Städten inzwischen der Wegzug wirtschaftlich leistungsfähiger, deutschstämmiger Haushalte ins Umland, flankiert von vergleichsweise hohen Geburtenraten in den Zuwanderercommunities, die Hauptursache für ethnische Konzentration darstellt. Hier ist allein die Frage der Entkopplung von ethnischer und sozialer Konzentration - die Umwandlung des Ghettos in eine ethnische Kolonie - von pragmatischem Interesse, nicht mehr die Entflechtung des Quartiers. Segregation wirkt besonders in den Schulen und im Vorschulbereich negativ. Das Absinken des Lernniveaus in multiethnischen Klassen befördert den Wegzug wirtschaftlich leistungsfähiger (deutschstämmiger) Haushalte. Besonderer Aufmerksamkeit bedarf daher die Qualität der Schulen in multiethnischen Quartieren. Entsprechend sollte ein für den multiethnischen Klassenverband adäquater Unterricht den Vorrang vor immer wieder in die politische Debatte eingebrachten Quotierungen bekommen. Letztere können mittelbar auch segregationsverstärkend wirken. Entscheidend ist vielmehr die Qualifizierung von Schulen. Neben statistischen Größen wie Erwerbsbeteiligung und Haushaltseinkommen ist die Existenz eigenethnischer Netzwerkstrukturen ein wichtiges Merkmal, das die Kolonie vom Ghetto unterscheidet. Gleichwohl sind die desintegrativen Wirkungen ethnischer Selbstorganisationen, die tradierte Identitäten verfestigen, um sich ihres eigenen Klientels und der eigenen Rolle zu versichern, nicht zu unterschätzen. Für eine pragmatische Integrationspolitik, die beständig bemüht ist, ein Mehr an Gemeinsamkeit zwischen Deutschen und Zuwanderern herzustellen, ist der Ausbau des Wissensstandes über die Motive für ethnische Selbstorganisation nötig. Auf diese Weise kann der Rückzug in ethnische Nischen als Folge nachlassender Kontakte, Diskriminierung und fehlender Teilhabechancen unterschieden werden von im Kern kulturbedingten, durch Integrationspolitik nicht zu beeinflussenden Neigungen zur Etablierung eigenethnischer Netzwerke, die für die Identitätsbildung und -stabilisierung unerlässlich sein können. Aus einer so verstandenen Integrationspolitik, die sich gleichermaßen mit ethnischer Mischung und ethnischen Kolonien arrangieren kann, resultiert die Möglichkeit, Vorteile ethnischer Netzwerke, konfliktarmer und homogener Nachbarschaften und kultureller Autonomie bei gleichzeitiger Bekämpfung negativer und unfreiwilliger Folgen von Segregation nutzen zu können. 178

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Gesellschaftlicher Wandel

5.3

Bedeutungswandel des öffentlichen Raums

Wurzeln, Bedeutung und Merkmale Mit dem Leitbild der europäischen Stadt verbindet sich das Bild einer Bürgerstadt. In der Stadt als Ort der Emanzipation der Bürger gegenüber der Adelsherrschaft, als Hort der Freiheit und als Marktplatz sind sich die Bürger ungeachtet sozialer Unterschiede als Gleiche begegnet. Sie konnten sich nach allgemeingültigen Regeln verhalten, die keine intime gegenseitige Kenntnis erfordert, sondern auch die Kommunikation unter Fremden ermöglicht. In den beiden, heute noch lebendigen Traditionslinien von Markt und Bürgerpolitik steht der öffentliche Raum in der europäischen Stadt. Seine Gestaltung, Pflege und Entwicklung ist Kern- und Daueraufgabe der Städte.10 Straßen, Plätze und Grünanlagen sind öffentliche Räume, die für alle jederzeit und ohne Zweckbestimmung zugänglich sind. Der öffentliche Raum der Stadt ist der Ort, an dem Markt und politische Öffentlichkeit stattfinden. Umgekehrt prägen die Funktionsfähigkeit von Markt und Demokratie die Qualität des öffentlichen Raums. Eine Diktatur kennt dahingehend keinen öffentlichen Raum. So dokumentierten die Stadtzentren der DDR eindrucksvoll das Fehlen von Öffentlichkeit. Das heißt, dass soziale oder politische Ausgrenzungen auch die Qualität des öffentlichen Raums verändern.

Öffentlicher und privater Raum Genese und Funktionen des Öffentlichen Raums verweisen darauf, dass es weitere Raumtypen gibt, deren soziale Konstruktion anderen Regeln folgt. Dies sind Varianten von privaten Räumen, in denen Menschen ihr Familienleben gestalten, konsumieren oder arbeiten. Hier herrschen andere Verhaltensregeln. Wie alle sozialen Phänomene unterliegen sie sozialem und kulturellem Wandel. Dem öffentlichen Raum, der Bühne der Stadt, ist neben Anonymität auch stilisiertes Verhalten zugeordnet. Er ist der Ort der Begegnung unter Fremden. Private (Lebens-) Räume sind dagegen Orte der Intimität, Körperlichkeit und Emotionalität. Hier ist zu beobachten, wie im Laufe der letzten Jahrzehnte Überschneidungen entstehen, die die Polarität von öffentlichen und privaten Räumen zusehends verwischen. So wirken etwa Handynutzer und Obdachlose in der Öffentlichkeit gleichermaßen störend, weil sie die vorherrschenden Codes des urbanen Verhaltens verletzen und Verhaltensweisen, die wir dem privaten Raum zuordnen, im öffentlichen Raum sichtbar machen: der Handynutzer, indem er lautstark seine Privatangelegenheiten erörtert, und der Obdachlose, indem er in

10 Kuklinski 2003, S. 2. 179

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einer öffentlichen Anlage zum Beispiel isst und schläft. Dies sind Tätigkeiten, die ein langer Zivilisationsprozess in die private Sphäre zurückgedrängt hat.

5.3.1 Wandel und Öffnung des öffentlichen Raums Allerdings war der für alle zugängliche öffentliche Raum auch in europäischen Städten lange ein unerreichtes Ideal.11 Es gab ihn weder in der Wiege der Demokratie noch in der Industriestadt: Im antiken Athen hatten lediglich 40.000 von 200.000 Einwohnern Zugang zu öffentlichen Räumen; Unfreie und Frauen waren ausgeschlossen. Auch Engels´ Beschreibung von Manchester zeigt, dass öffentlicher Raum für Proletarier nicht zugänglich war. Eine Frau, die sich im öffentlichen Raum ohne männliche Begleitung bewegte, galt im 19. Jahrhundert als Prostituierte; und noch in den 1960er Jahren waren Frauen zumindest geächtet, wenn sie in der Öffentlichkeit etwa rauchten. Im Zuge der sozialen und kulturellen Modernisierungen der letzten Jahrzehnte sind die den Frauen auferlegten Nutzungseinschränkungen nahezu völlig verschwunden. Öffentlichkeit und die Nutzung öffentlicher Räume ist kaum noch männlich dominiert und Frauen erobern, ähnlich wie in Arbeitswelt und Politik, ihre Räume. Dennoch bleiben nach wie vor offene wie auch subtile Zugangsbeschränkungen für manche Bevölkerungs- und Lebensstilgruppen bestehen.

Privatisierung des öffentlichen Raums Im Zuge des Wandels der Stadtzentren, aber auch aufgrund innergesellschaftlicher Veränderungen sind neue Tendenzen der Zugangserschwernis für gesellschaftliche Gruppen erkennbar. So schafft etwa die Ausbreitung von großflächigen, privat betriebenen Einkaufszentren eine neue Rechtslage: Die Eigentümer können den Zugang zu diesen Anlagen regulieren und tun dies in aller Regel auch. Betroffen sind insbesondere solche Gruppen, die als verhaltensabweichend gelten. Aber auch politische oder gewerkschaftliche Betätigung, das Geldsammeln für mildtätige Zwecke, das Betteln und ähnliche, für den öffentlichen Raum typische Nutzungsformen werden reguliert bzw. sind verboten. In die gleiche Richtung wirken Versuche einzelner Städte, ihre Cities durch die Vergabe von Sondernutzungsrechten oder mit ordnungsrechtlichen Instrumenten von verhaltensauffälligen und armen Gruppen freizuhalten.

11 Kuklinski 2003, S. 3. 180

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Aber nicht jeder Einzelfall der Überführung von Teilen der City in private Verfügung bedroht das Konzept des innerstädtischen öffentlichen Raums für jedermann. Auch Einkaufszentren und einzelne private Plätze im öffentlichen Raum können deshalb mit dem Leitbild eines innerstädtischen Raums für alle vereinbar sein. Die Privatisierung von öffentlichem Raum bedarf aber stets der kritischen Analyse. Es muss gewährleistet sein, dass zentrale Bereiche der Stadt weiter jedem zur Verfügung stehen. Unangemessene Interventionen privater Sicherheitsdienste sind zu unterbinden. Auch bei Sondernutzungsrechten muss im Rahmen der Genehmigungen geprüft werden, ob die Funktion des öffentlichen Raums nicht ausgehöhlt wird. Wichtig ist ein Dialog der Politik mit den privaten Nutzern, besonders dem Handel. So kann es gelingen, eine relative Offenheit auch privater Flächen für alle zu realisieren.

Rückgewinnung des öffentlichen Raums Während Malls in der Regel als Verlust öffentlicher Räume gelten, erleben wir gleichzeitig im Zuge des Wandels zur Dienstleistungsgesellschaft die „VerÖffentlichung“ privater Räume. Militärstandorte und Industrieanlagen wie Zechen und Stahlwerke, die verbotenen Zonen, welche auch im juristischen Sinne privat waren, werden zunehmend der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Internationale Bauausstellung Emscher-Park hat viel dazu beigetragen „verbotene Zonen“ großer Industrieareale als Parks, Wohnquartiere und Gewerbegebiete zu öffnen. In einer Flächenbilanz kompensiert die „Ver-Öffentlichung“ privater vermutlich die Tendenzen der Privatisierung von öffentlichen Flächen.

5.3.2 Öffentlicher Raum als Ort der Begegnung Als Ort der Begegnung ist der öffentliche Raum auch ein Medium der Kommunikation. Damit steht er heute in Konkurrenz zu anderen öffentlichen Medien wie Radio, Fernsehen und Film sowie zu Formen der Kunst. Gleichzeitig sind viele Funktionen, die früher im öffentlichen Raum selbstverständlich waren, „Indoor“ gewandert, weil unsere Gesellschaft sich funktional differenziert und für bestimmte Aktivitäten Bauten wie Jugendzentren, Sportarenen und Versammlungshallen errichtet. Den Anfang machte das Kaufen und Verkaufen: In dem Maße, in dem es möglich war, hat man wegen des Wetters den Handel zunächst in Markthallen und später in Kaufhäuser verlegt. Dass im Wandel neue Qualitäten liegen, zeigen die Malls. Einerseits sind sie Orte der Ausgrenzung, weil sie bestimmten Gruppen den Zutritt verweigern. Andererseits ermöglichen sie spezifische Formen der warengestützten Selbstinszenierung. In dieser Funktion werden sie beispielsweise von Jugendlichen 181

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genutzt, die sich dort gerne treffen, weil man sich mit Freunden ohne Probleme sehen lassen kann. Popularkulturen hatten immer schon die Tendenz, das öffentlich zu machen, was gehobenen bürgerlichen Schichten als intim galt. Jahrmärkte, oder das sich Küssen auf der Straße anstelle des respektierlichen Flanierens sind dafür Beispiele. Das Körperliche und die Intimität des Privaten sind im öffentlichen Raum in Europa nicht selbstverständlich; aber es gab immer Tendenzen, Privates in den öffentlichen Raum einfließen zu lassen. Städte sollten für Sinnliches im öffentlichen Raum offen sein und das Körperliche nicht verdrängen. Barthes spricht von der Erotik des öffentlichen Raums und der dort stattfindenden Begegnungen. Dort hat die Inszenierung von Mode oder von gestylten Bodies und nackten Bauchnabeln ihren Reiz.12 Versuchen, Sport in den öffentlichen Raum zurückzuholen, liegt ein ähnliches Motiv zugrunde. Etliche Städte, unter anderem Essen und Düsseldorf, tun dies erfolgreich mit Beach-Volleyball, Biathlon und Eisbahnen. Die Erfahrung des Körperlichen kann durch mediale Angebote angereichert werden. Großereignisse wie Fußballendspiele können im öffentlichen Raum übertragen werden. So können sich Fans auf Plätzen versammeln und ihre Begeisterung gemeinsam teilen. Die Screens und virtuellen Netze leisten einen Beitrag zur Verstärkung der sinnlichen Qualität des öffentlichen Raums. Kunst verstärkt diese Qualitäten. Das gilt sowohl für die Architektur als auch für Performances und Straßentheater. Auch die wenig geförderte Off-Szene braucht öffentliche Räume für ihre Formen kultureller Aktion.

Soziale Kontrolle und subjektives Sicherheitsgefühl Der öffentliche Raum ist ein Ort der Anonymität. Das ist die Basis für städtische Freiheiten: Der Fremde kann nicht auf seine Identität verpflichtet werden und kann sein Leben gleichsam neu beginnen. Er bewegt sich anonym im öffentlichen Raum, kann auch Verhaltensweisen zeigen und Bedürfnissen nachgehen,

12 Barthes 1988, S. 207; zugespitzt findet sich dieses zur Schau stellen im öffentlichen Raum am Seawalk von Venice/LA. 182

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die vielleicht nicht ganz ins Schema bürgerlicher Wohlanständigkeit passen, aber auch zur urbanen Stadt gehören. Weil Menschen sich im öffentlichen Raum anonym und unerkannt bewegen, besteht auch die soziale Kontrolle etwa durch Nachbarschaften nicht. Hier liegt eine Chance, Verhalten zu ändern, und damit auch eine Voraussetzung für Innovation. Andererseits ist soziale Kontrolle Voraussetzung für die Zugänglichkeit öffentlicher Räume. Ein Park, in dem Frauen fürchten müssen, belästigt zu werden, oder eine Straße, in der man mit Überfällen rechnen muss, sind keine zugänglichen, öffentlichen Orte. Dort, wo Selbstdisziplin und informelle Kontrollen durch Passanten nicht greifen, müssen Kontrollen durch Polizei oder Überwachungstechnik die Sicherheit als Voraussetzung für die Zugänglichkeit des öffentlichen Raums gewährleisten. Öffentlicher Raum braucht also soziale Kontrolle. Allerdings darf das Anonymität und damit städtische Freiheit nicht einschränken. Der öffentliche Raum der Stadt ist nämlich ein Ort der Begegnung von Fremden. Die Stadt ist der Ort, wo Fremde leben; jeder, nicht nur der Migrant, ist dort dem anderen fremd. Deswegen kann die Situation im öffentlichen Raum nicht vollständig kontrolliert werden. Diese grundsätzliche Unsicherheit muss zugleich ertragen und in Grenzen gehalten werden. Somit beruht der Öffentlichkeitscharakter städtischer Räume immer auf einer prekären Balance von Anonymität und Kontrolle, von Sicherheit und Verunsicherung. Dabei ist die Schere zwischen objektiver (Un-) Sicherheit und subjektiv empfundener (Un-) Sicherheit groß. Plakativ gesagt: Es fürchten sich die falschen Menschen an den falschen Orten vor den falschen Menschen. So ist die Angst vor Gewalt im öffentlichen Raum bei älteren Frauen am größten und bei jungen Männern am geringsten. Die Opferwahrscheinlichkeit verhält sich jedoch genau entgegengesetzt. Die durch einseitige Berichterstattung und Klischees geschaffenen Angsträume (Bahnhöfe, U-Bahn-Haltestellen, Parkhäuser) haben meist keine signifikant höhere Quote an Gewalttaten als gut beleuchtete Flaniermeilen. Auch dissoziales Verhalten von Randgruppen in der Öffentlichkeit, z.B. Konsumenten legaler und illegaler Drogen, und Verwahrlosung wird häufig zu Unrecht mit erhöhter Gewaltaffinität gegenüber Unbeteiligten assoziiert.

5.3.3 Belebung des öffentlichen Raumes - Handlungsempfehlungen Agenda für den öffentlichen Raum Generell gilt es die Funktion und die Qualität des öffentlichen Raumes als konstitutives Element der Europäischen Stadt zu stärken. Eine Agenda für den 183

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öffentlichen Raum als Kampagne des Landes könnte die mit der Initiative StadtBauKultur und dem 50 Plätze-Programm bereits begonnenen Aktivitäten unterstützen. Elemente können sein: Ein ressortintegrierter Strategieplan Öffentlicher Raum sollte zunächst den Zustand erfassen (wie es Köln derzeit mit seinen Plätzen macht), Schlüsselmaßnahmen und -projekte mit Impulswirkung identifizieren, für die Entwicklung und Pflege des öffentlichen Raums werben, ein breites Akteursfeld ansprechen und Mitwirkungsbereitschaft einwerben. Dabei sollen alle relevanten Akteure an einen Tisch kommen und gemeinsam Maßnahmen zur Verbesserung des jeweiligen Raums initiieren. Sie können vom Organisatorischen bis zur Neugestaltung reichen. Auch hier müssen Kommunalverwaltungen integriert und ressortübergreifend handeln. Dabei soll die Mitwirkungs- und Mitfinanzierungsbereitschaft wirtschaftlicher Profiteure eines attraktiven öffentlichen Raums geweckt werden. In den letzten Jahrzehnten wurde viel gebaut ohne damit Raumqualitäten zu erzeugen. Um die Qualität öffentlicher Räume zu steigern, müssen neue Spielarten des Aushandelns von Beiträgen zur Raumqualität gefunden werden. Im Baugenehmigungsverfahren, bei Gestaltungsbeiräten wird im günstigsten Fall nach der Bau- und Gestaltqualität von Neubauvorhaben gefragt. Seltener wird die gestalterische und funktionale Wirkung eines Neu- oder Umbauvorhaben auf den öffentlichen Raum überprüft.

Öffentliche Räume für Events öffnen Begegnung, Öffentlichkeit und Selbstdarstellung sind meist individuelle Kommunikationen, die Medien für diese Botschaft (Film, Foto, Internet etc.) haben sich aber über den öffentlichen Raum hinaus stark erweitert. Als nicht substituierbares Erlebnis bleibt dem öffentlichen Raum in den Städten die unmittelbar sinnliche Erfahrung von Kommunikation und Körpern. Es kann durch den Einsatz von Film, Fernsehen und Musik im öffentlichen Raum erweitert und verstärkt werden. Stadtpolitisch interessante und einflussreiche Gruppen können darauf dringen, öffentlichen Raum ihrer sinnlichen Erfahrung weiter zu öffnen, so dass Sport als Straßensport zurückkehrt, der Film, das Filmen und das Filmstudio als Reality Show im öffentlichen Räumen attraktiv wird, statt in Filmparks verabschiedet zu sein.

Subjektives (Un-) Sicherheitsgefühl ernst nehmen Die empfundene (Un-) Sicherheit in Teilen der Bevölkerung ist ernst zu nehmen, zumal sie häufig zu Vermeidungsverhalten im Hinblick auf Örtlichkeiten führen 184

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kann. Ziel staatlicher und kommunaler Arbeit im Spannungsfeld von objektiver und subjektiver Sicherheitslage muss die Aufklärung über Risiken sein, um die Schere zwischen objektiver (Un-) Sicherheit und subjektiv empfundener (Un-) Sicherheit zu verringern. Zentrales Betätigungsfeld ist jedoch die objektive Sicherheit. Abzulehnen sind aktionistische, auf die Beeinflussung der subjektiven Wahrnehmung zielende Interventionen. Die von Interessengruppen oft gewünschte Schwerpunktsetzung für die subjektive Sicherheit ist nur eine pseudo-bürgernahe Sicherheitsarbeit. Sie nimmt faktisch die Vernachlässigung der tatsächlichen Sicherheit in Kauf. Beratung und Hilfe für den Einzelnen und Sicherheit der Allgemeinheit sind kein Gegensatz. Die vielen Schnittmengen und Wechselwirkungen zwischen Polizei, Ordnungsamt und Sozialarbeit müssen genutzt werden. Beispiele aus Köln und Bonn zeigen, dass da, wo Vertreter dieser drei Gruppen unter Wahrung der beruflichen Identität zielorientiert kooperieren, praxisgerechte, problemminimierende und sozialverträgliche Konzepte zum Umgang mit den Problemen der Desintegration in unseren Städten erzielt werden.13 Diese unspektakulären aber nachhaltigen Vertrauenspartnerschaften sollten auf allen Ebenen gefördert werden.

13 Seit 1992 existiert im berüchtigten „Bonner Loch“ am Hauptbahnhof die Gemeinsame Anlaufstelle Bonn-Innenstadt (GABI). Mitarbeiter von Polizei und Ordnungsamt gehen von dort aus gemeinsame Streifen und betreuen die Aufenthaltsplätze von sozialen Rand- und Problemgruppen. Die Sicherheits- und Ordnungskräfte halten ständigen engen Kontakt zu den in der Innenstadt ansässigen sozialen Beratungs- und Hilfeeinrichtungen. In der Summe vieler kleiner, problem- und personenorientierter Abstimmungen hat dieser ganzheitliche Ansatz zu einem von allen Akteuren als angemessen empfundenen Umgang mit den Problemlagen eines „Schmelztiegels Innenstadt“ geführt. „Angemessener Umgang“ heißt nicht „weiche Welle“! Gewalttätigen Gruppen und organisierten Drogendealern wird mit klassischen, repressiven polizeilichen Maßnahmen begegnet. Der dauernde vertrauensvolle Austausch zwischen den Mitarbeitern von Polizei, Ordnungsamt und sozialen Einrichtungen hat bei allen Beteiligten den beruflichen Horizont erweitert und ein Frühwarnsystem geschaffen. Das führt zu schnellen, effektiven und sozialverträglichen Interventionen bei problematischen Entwicklungen der Sicherheitslage. Mit gleicher Zielrichtung wurde im Sommer 2003 ein gemeinsamer Fußstreifendienst in der Kölner Innenstadt (Citystreife) eingerichtet. Anders als in Bonn sind hier die Aufenthaltsplätze von sozialen Rand- und Problemgruppen über die gesamte Innenstadt verteilt. Im Rahmen der Citystreife (häufig unterstützt durch ein „Sicherheitsmobil“ als vorübergehende stationäre Anlaufstelle) werden alle Problemzonen arbeitstäglich aufgesucht, um dauernd in Kontakt mit Szeneangehörigen und Anliegern zu stehen und auf Negativentwicklungen schnell und angemessen reagieren zu können. Auch hier wird ein ständiger Austausch mit den sozialen Beratungs- und Betreuungsstellen gepflegt. Schon nach kurzer Zeit hat dieses Konzept, ebenso wie das Bonner GABI-Modell, zu vielen „kleinen“ Absprachen, Regelungen und Verhaltenskorrekturen geführt, die bislang aktionistische Verdrängungskonzepte entbehrlich machen. 185

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5.4

Bedeutung städtischer Wissensmilieus

Der Bildung von Wissenskulturen und Wissensmilieus in Städten und Stadträumen kommt mit Blick auf eine nachhaltige Stadtentwicklung immer größere Bedeutung zu. Der Generierung von Wissen wird nicht zuletzt durch die zunehmende Globalisierung eine grundsätzlich innovative und damit standortfördernde Wirkung zugeschrieben. Mit der Schaffung von geeigneten Rahmenbedingungen zur Generierung von Wissensmilieus verbinden die städtischen Akteure eine generell positive Entwicklung, die durch die Ressource Wissen sowohl auf (stadt-) ökonomische wie (stadt-) gesellschaftliche Faktoren wirkt. Über die Entstehung von Wissenskulturen und Wissensmilieus in Städten und Stadtregionen bestehen bisher jedoch nur unzureichende Kenntnisse. Dieses Manko verwundert wenig, lässt sich der abstrakte Begriff des Wissens doch nur unzureichend auf eine konkrete räumliche Ebene herunterbrechen. Trotzdem gibt es erkennbar bestehende komplexe Wirkungsbeziehungen zwischen den sozioökonomischen und sozialräumlichen Rahmenbedingungen. Dass von Interdependenzen ausgegangen wird, zeigen auch die bestehenden Steuerungsinstrumente und Förderstrategien, die zur Entstehung von Wissenskulturen und -milieus in den Städten beitragen.

Typologien der Wissensformen Zur Untersuchung von Entwicklungen und Prozessen einer wissensbasierten Stadtentwicklung hat das Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) ein heuristisches Konzept der Wissensmilieus entwickelt. Dieses wird verknüpft mit einem governance-capacity-Ansatz zur Untersuchung der Handlungsfähigkeit stadtregionaler Akteure.14 Der Grundgedanke des Wissensmilieukonzepts basiert auf der Annahme, dass sich in den vergangenen Jahren veränderte Formen und Modi der Wissensgenerierung durchgesetzt haben, die mit einer Kombination unterschiedlicher Wissensformen sowie der Inwertsetzung von implizitem Wissen als Tacit Knowledge verbunden sind (vgl. Abb. 6). Diese Entwicklung ist mit jeweils veränderten Raumbedarfen und sozioökonomischen Entwicklungsanforderungen verbunden. Damit verändern sich die Entstehungs- und Vernetzungsbedingungen von Wissen. Neben der Wissensproduktion in eher traditionell fest abgegrenzten Handlungsbereichen (Universitäten, Forschungs- und Entwicklungsabteilungen von Unternehmen, speziellen Forschungseinrichtungen) treten zunehmend neue Formen der Wissensproduktion hinzu, mit durchlässigen Strukturen, in Form von temporären Projekten,

14 Fichter/Jähnke/Knorr-Siedow 2004. 186

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interdisziplinären Arbeitsgruppen und Teams mit flachen it Ze Hierarchien. Akteure, die in solW1 chen Kontexten arbeiten, neiMilieuwissen W6 gen aufgrund ihrer intensiven Lokales Wissen W2 Institutionelles Interaktion dazu, milieuartige W7 Wissen Marktwissen ReflexionsNetzwerke zu bilden. Bei diesen wissen W5 Führumgswissen Wissensmilieus handelt es sich W3 um soziale Gemeinschaften, die W4 Produktwissen Experten- und Sonderwissen eine erhöhte Binnenkommunikation aufweisen. Die BeteiligW0 ten an diesen InteraktionszuAlltagswissen (explizit/implizit) sammenhängen sind zugleich, beruflich oder durch eine beAbb. 6: Typologie der Wissensformen stimmte Form der LebensfühQuelle: Matthiesen/Bürkner 2003 rung, durch neue wissensbasierte Handlungsfelder geprägt, zum Beispiel durch forschungs- und anwendungsbezogene Wissenskulturen und Technologien. Hinzu kommt, dass sie spezifische Lebensstile und Konsumorientierungen entwickeln, die bestimmte Anforderungen an Wohn- und Lebensstandorte in Städten erzeugen und diese kurz- und mittelfristig in ihren Strukturen beeinflussen. Zugleich bekommen der (stadt-) regionale Zusammenhang von Produktions- und Wissensmilieus, Infrastrukturen für Forschung und Entwicklung, Kultur und sozialen Milieus sowie eine aktive Verortungspolitik über Ansiedlung von Infrastrukturen hinaus - eine zunehmende Bedeutung. Einfluss und Bedingungen von Wissenskulturen in Städten werden daher nicht nur von den jeweiligen Wissensinstitutionen, sondern von den Lebensumfeld- und Standortanforderungen dieser Wissensmilieus geprägt. W0 Alltagswissen (explizit/implizit)

Von den neuen Raumbedarfen sowie der tendenziellen Befriedigung dieser sozioökonomischen und soziokulturellen Anforderungen an die Stadtstruktur (Wohnumfeld, Freizeit, Kultur, Urbanitätsbedürfnisse etc.) sind standortbildende Effekte zu erwarten, die sich sowohl auf die wirtschaftliche als auch auf die gesellschaftliche Entwicklung in den Städten auswirken. Insofern sind die Wechselwirkungen zwischen diesen neuen Raumansprüchen und entsprechenden Raumangeboten als Chance für entwicklungsplanerisches Handeln im Rahmen einer integrierten, wissensbasierten Stadtentwicklung aktiv zu nutzen.

Anknüpfungspunkte zur Generierung von Wissensmilieus Spezifische Anknüpfungspunkte zur Entwicklung von Wissensmilieus liegen bei der Betrachtung der historischen Entwicklungspfade, stadträumlicher Gegebenheiten sowie förderpolitischer Rahmenbedingungen. Hinzu kommen 187

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akteursbezogene Kontexte und die Interaktionsbedingungen. Dabei hat die Kombination dieser Faktoren eine ausschlaggebende Wirkung. Untersuchungen des IRS zur Wissensmilieubildung (z.B. in den Städten Jena, Erlangen und anderen Teilen Deutschlands) haben ergeben, dass eine Mischung von hochinnovativen Industrien, Forschung und Entwicklung sowie Hochschulen in der Innenstadt zusammen mit vielfältigen kulturellen und gastronomischen Angeboten als Anknüpfungspunkte für Kommunikationsprozesse und Wissensaustausch besonders förderlich ist. Von Start-up-Unternehmern der HightechBranche wird diese Mischung als lebendige Szenerie geschildert, durch welche sich zahlreiche Möglichkeiten zu informellen Gesprächen mit potenziellen Geschäftspartnern auch außerhalb des Arbeitsalltages ergeben. Mischstrukturen zu fördern sollte damit ausdrückliches Ziel einer wissensbasierten Stadtentwicklung sein.15 Neben der Förderung von Hightech-Wissen muss auch die In-Wert-Setzung von zumeist ungenutztem und damit entwertetem Erfahrungswissen für wissensbasierte Stadtentwicklung gestärkt werden. Dies betrifft zum einen das Wissen der Arbeitermilieus (Produktwissen aus der Industriearbeit, Local Knowledge). Daneben betrifft dies auch das Migrantenmilieu, mit seinem Wissen über andere kulturell geprägte Arbeitsformen und kulturelle Kontexte. Zum anderen übernehmen die so genannten Business-Angels und Mentoren mit der Weitergabe ihres Erfahrungswissens wichtige Hilfestellungen beispielsweise beim Aufbau von Unternehmen. Programme wie Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf können dabei Hilfestellung leisten, um Beratungsleistungen und interkulturelle Treffpunkte auf Quartiersniveau bereit zu stellen, Lernnetze zu organisieren und damit für die Integration von Migranten und bessere Nachbarschaftsverhältnisse zu sorgen. Eine Verbesserung der sozialen Infrastruktur in Zusammenhang mit vielfältigen kulturellen Angeboten ist für das Gesamtimage einer Stadt bedeutend. Dies zeigt sich zum Beispiel in der Aufwertung der Nordstadt und des Brückstraßenviertels in Dortmund, wo beispielsweise durch Stärkung des lokalen Handwerkes Lowtech-Wissen in Wert gesetzt und Künstler zur Fassadengestaltung gewonnen werden konnten sowie das neue Konzerthaus als Leuchtturmprojekt im Brückenstraßenviertel überregional Besucherströme anzieht. Durch spezifischere Anforderungen der Hightech-Industrien werden 15 Kühn 2004. 188

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außerdem Lowtech-Industrien, zum Beispiel durch die Anforderungen an eine vielfältige Produktpalette, gefördert. Gerade in Regionen mit einem hohen Anteil an strukturbedingter Langzeitarbeitslosigkeit sollte bei der Entwicklung von High-Tech berücksichtigt werden, dass eine Aufwertung traditioneller Beschäftigungsbranchen einbezogen wird, wie beispielsweise im dortmund-project. Eine prägnante Koppelung von Wissensformen bildet die Voraussetzung für eine stadtgesellschaftliche Innovationsdynamik. Die Generierung neuer Wissensformen, einhergehend mit einer Stärkung lokaler Wissensformen, muss dabei im Vordergrund aller Bemühungen um Wissensmilieubildungen stehen. Neben der Vermittlung von Fachwissen sollte Milieuwissen darüber, wie die Dinge in einer Organisation, in Netzwerken üblicherweise laufen, gepaart mit Local Knowledge über die Bedeutung von zum Beispiel Mentalitäten, Einstellungen, Werten der regionalen Akteure durch teamorientierte Lernprozesse verstärkt ins Bewusstsein gerückt und vermittelt werden. Eine breite Entfaltung von Fachwissen kann sich stadträumlich nur über intakte sozialräumliche Wissensmilieus ausprägen. Zur Verbesserung der Interaktionsbedingungen ist die Gestaltung positiver Beziehungsstrukturen eine wesentliche Voraussetzung für Wissensflüsse und Wissensaustauschprozesse insbesondere auch zur Überwindung organisatorischer Grenzen. Dabei hat die Vertrauensbildung einen sehr hohen Stellenwert. Nur in einem vertrauensvollen Klima ist es möglich, Informationen auszutauschen. Für ein vertrauensvolles Klima sind bestimmte Voraussetzungen fördernd. Dies ist beispielsweise die Möglichkeit eines geschützten Diskursraums, in dem neue Ideen (gemeinsam) entwickelt werden, ohne sofort deren Folgewirkungen und Konsequenzen in der gesamten Tragweite überblicken bzw. verantworten zu müssen. Auf der Fachebene hat sich im Beispiel Städteregion Ruhr 2030 dieser Ansatz als milieufördernd erwiesen. Erfahrungen zeigen, dass gering institutionalisierte Organisationsformen Vertrauensbildung begünstigen. Hier ist das oben genannte Projekt ein gutes Beispiel, weil es einerseits den Rahmen für Annäherung schafft, andererseits die Eigenständigkeit der Akteure bewahrt. Das oft ungenutzte Wissen älterer Generationen muss nicht nur im Familienkreis bewahrt bleiben, sondern sollte auch gesellschaftlich breiter kommuniziert werden. Die Erfahrungen älterer Menschen - ob in beruflicher oder privater Hinsichtstellen einen unschätzbaren Wissenspool für kommende Generationen dar. Auch hier gilt es, ein vertrauensvolles Umfeld zu schaffen und Menschen zu animieren, auch in größerer Runde ihr Wissen im Sinne bürgerschaftlichen Engagements weiterzugeben. Geteilte Verantwortung scheint für Milieubildungsprozesse ebenso förderlich zu sein, wie die Flankierung bzw. Unterstützung von Selbstorganisationsprozessen durch ein Mindestmaß an Organisationsstruktur (strukturelle Kerne, wie 189

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Geschäftsstelle etc.), damit auch nach Ablauf der Förderung, über Informationsund Kommunikationsinfrastrukturen Projektergebnisse weitergeführt werden können. Zur (räumlichen) Bindung von Wissensmilieus müssen sich attraktive Orte bilden. Für kreative Gestaltung und Besetzung von Räumen (Place-Making) ist daher Platz zu schaffen. So genannte Raumpioniere suchen sich Nischen im Stadtraum, meist in sozial und infrastrukturell gemischten innenstadtnahen Vierteln. Weniger regulierte, sozialräumlich und ökonomisch durchmischte Strukturen bieten somit Möglichkeitsräume und Experimentierfelder für kreative Gestaltung und Erprobung neuer Arbeitsformen.

5.5

Familienpolitik im Zeichen der modernen Stadtgesellschaft

Die stärkere Förderung von Familien ist eine weitgehend unbestrittene Notwendigkeit, für die zum einen sozioökonomische Gründe sprechen (Stichwort: demografischer Wandel, Bildungsförderung), zum anderen aber auch sozialethisch-normative Gründe und nicht zuletzt der grundgesetzliche Auftrag zum Schutz von Ehe und Familie. Angesichts der vehement geführten Diskussion um die Familienförderung auf Bundesebene und im System der sozialen Sicherung geraten die Kommunen allzu leicht aus dem Blickfeld. Dabei wird Familienpolitik zu einem guten Teil in den Städten und Gemeinden gemacht und vor Ort wird über die Lebensbedingungen und die Familienfreundlichkeit im Alltag entschieden. In der Kommune sind Probleme und Lösungsansätze für Familienförderung unmittelbar verortet; hier ist in den letzten Jahren ein Handlungsfeld entstanden, das - trotz aller Restriktionen - von den lokalen Akteuren zunehmend aufgegriffen wird. Auffälliges Kennzeichen der kommunalen Familienförderung ist es, dass sie in großem Umfang, allerdings nicht „offiziell“ betrieben wird, da Familienförderung eine Querschnittsaufgabe darstellt. Das gesamte Verwaltungshandeln ist insofern für die Lebensbedingungen von Familien relevant, so dass sich hier ein breites Handlungsfeld auftut - wesentlich breiter zumindest, als dies der enge Begriff expliziter Familienförderung nahe legen würde.

Erfahrungsberichte kommunaler Familienpolitik Im Rahmen dieses Berichts kann nicht die gesamte Literatur zum möglichen Instrumentarium kommunaler Familienförderung referiert werden. Die wichtig190

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sten Erfahrungen aus den Projekten der letzten 25 Jahre werden im Folgenden zusammengefasst:

Zentrale Erfahrungen aus bundesweiten Projekten Eine zentrale Erfahrung aus der umfangreichen Forschung der letzten Jahre ist die Vielfalt kommunaler Ansätze in der Familienförderung. Jenseits des Pflichtaufgabenbereiches zählen dazu unter anderem: • Familienermäßigungen für den Besuch kommunaler Einrichtungen besonders für sozial schwache Familien (z.B. Frei- und Hallenbäder, Besuch von Museen und Eisstadien, Musikschulen sowie örtlicher kultureller und sportlicher Veranstaltungen), • Ermäßigungen für Familien bei kommunalen Gebühren, insbesondere für Kindertagesstätten und Kindergärten, • Ferienpässe für Kinder und Jugendliche (kostenloser oder ermäßigter Besuch von kommunalen Einrichtungen und bestimmten Veranstaltungen), • Ermäßigungen für den ÖPNV (Schülerbeförderung), besondere Tarife für kinderreiche Familien sowie Ferienkarten für Kinder, • Förderung des Erwerbs oder Aus- oder Neubaus von Wohneigentum (z.B. günstige Darlehen, vergünstigter Erbbauzins, Baukostenzuschüsse, Stundung von Erschließungskosten), • Hausaufgabenbetreuung, • Schulmilch und ähnliches. Hinzu tritt der qualitative Aspekt bei der Erbringung von Pflichtaufgaben z.B. im Bereich der Familienbildung, der für die Kommunen eine eigene Steuerungsebene darstellt. Auch und gerade innerhalb der Pflichtaufgaben, also in der Art und Weise ihrer Erbringung, im Personalschlüssel, in mehr oder weniger flexiblen Öffnungszeiten von Kinderbetreuungseinrichtungen und in der Bereitstellung von Reservekapazitäten liegen wichtige Ansätze, die für die Qualität und Wahrnehmung der Leistung aus Familiensicht entscheidend sind. Darüber hinaus betonen kommunale Praxisportraits immer wieder die Bedeutung zentraler Prinzipien und Verfahren der Familienförderung: • die Entwicklung eines kommunalen Leitbilds, • die Etablierung einer sozialverträglichen, kinder- bzw. familienfreundlichen Planung sowie die damit zusammenhängende Familien- und Kinderfreundlichkeitsprüfung, 191

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• die Erstellung eines Familien-, Kinder- und Jugendberichts bzw. Sozialberichts, • die Organisation einer Interessenvertretung von Kindern und Jugendlichen. Betont wird vor allem die Notwendigkeit, dass am Anfang des Prozesses ein schriftliches Leitbild zur familienfreundlichen Orientierung erstellt wird. Für die erfolgreiche Umsetzung ist es dann entscheidend, das Vorhaben auf höchster Verwaltungsebene - und mit Rückendeckung der Politik - nach vorne zu bringen. Günstig ist es, wenn ein Familienbeauftragter im Büro des Oberbürgermeisters angesiedelt ist. Nur so kann Familienfreundlichkeit sanktionsbewehrt und als Querschnittsaufgabe ernst genommen werden.

Good Practices aus Nordrhein-Westfalen Aus der Fülle der Ansätze in Nordrhein-Westfalen sollen die im Folgenden erläuterten Aktivitäten in den Städten Dortmund, Frechen, Essen, Köln und Münster hervorgehoben werden, da sie als vorbildlich für eine familienfreundliche Politik gelten.

Dortmund - Familienpolitische Leitlinie für die Stadt Im September 2002 hat der Rat der Stadt Dortmund eine familienpolitische Leitlinie verabschiedet. Dieser Verabschiedung war ein fast zweijähriger Diskussionsprozess vorausgegangen, an dem Bürger sowie Vertreter aus Politik, Verbänden, Organisationen, Institutionen, Selbsthilfegruppen und Verwaltung beteiligt waren. Anfang 2003 wurde in ähnlicher Zusammensetzung ein Familienpolitisches Netzwerk gegründet, das über Leitprojekte entscheiden und Fragen der praktischen Umsetzung erörtern soll.16 Die familienpolitische Leitlinie betont vor allem das Ziel einer Verbesserung der Zukunftschancen für Kinder und Jugendliche und setzt folgende Schwerpunkte: • Verbesserung der Zukunftschancen für Kinder und Jugendliche, durch Stärkung der Erziehungskompetenz der Eltern (Familienbildung), • Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Männer und Frauen, insbesondere durch eine familienfreundliche Unternehmenspolitik und durch den weiteren Ausbau verlässlicher Betreuungsangebote für Kinder, • Berücksichtigung von Familienfreundlichkeit in den Bereichen Planen und Wohnen sowie bei der Förderung von Nachbarschaftsinitiativen.

16 Stadt Dortmund 2002a; auf den Internetseiten der Stadt Dortmund finden sich auch andere Dokumente zum Politikfeld Kinder- und Familienfreundlichkeit der Stadt. 192

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Außerdem wurden im Rahmen eines Workshops die Ergebnisse einer Elternbefragung zum Betreuungsbedarf für Kinder vorgestellt, die laut Aussage der Verwaltung in die aktuelle Kinder- und Jugendhilfeplanung einfließen sollen.17

Frechen - Modellprojekt zur Umsetzung der Rahmenkonzeption Familien- und Kinderfreundlichkeit in der Kommune An der modellhaften Erprobung des Rahmenkonzeptes Familien- und Kinderfreundlichkeit in der Kommune beteiligte sich auch die Stadt Frechen. In diesem Erprobungsprozess wurden vier Projektmodule entwickelt, die nun umgesetzt werden sollen.18 • Es wurde eine Kinder- und Familienfreundlichkeitsprüfung für die Planung eines Neubaugebietes konzipiert, die an Hand eines konkreten Bebauungsplanes umgesetzt werden soll. • Es wurde ein familien- und kinderfreundliches Belegungskonzept für öffentlich geförderte Wohnungen in einem „Stadtteil mit besonderem Erneuerungsbedarf“ erarbeitet, das unter Beteiligung der Mieterinnen und Mieter eine Umgestaltung des Wohnumfeldes vorsieht, wobei insbesondere Nachbarschaftshilfeund Selbsthilfestrukturen gefördert werden sollen. • Erprobt werden Beteiligungskonzepte für Kinder- und Jugendliche, z.B. die Durchführung eines Kinder- und Jugendforums im Internet. • Geplant war zudem eine Verwaltungsumfrage zu Beteiligungsprojekten sowie zur Familien- und Kinderfreundlichkeit.19 Grundsätzlich entspricht es der Konzeption der Modellvorhaben, ein Bündel von Maßnahmen vorzusehen, die ineinander greifen und die eine Orientierung des gesamten Verwaltungshandelns sowie der Politik an Kinder- und Familienfreundlichkeit signalisieren.20 Die entscheidende Frage ist allerdings, ob der Transfer in die Umsetzungsphase gelingt. 17 Koths 2002. 18 Stadt Frechen 2001. 19 Konnte wegen Personalmangels nicht umgesetzt werden. Vgl. Stadt Frechen 2001, S.4. 20 Stadt Frechen 2001. 193

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Essen - Großstadt für Kinder Essen verfolgt seit etwa 15 Jahren das Projekt Großstadt für Kinder und kann sich dabei auf eine Aktionsgemeinschaft stützen, die aus einem breit angelegten Bündnis zur Förderung von Kinder- und Familienfreundlichkeit besteht.21 Daran beteiligt sind unter anderem folgende lokale Akteure: der ADAC, der Verein Mehr Platz für Kinder, die Programmkommission Essen - Großstadt für Kinder, der Lions Club Ludgerus, die Essener Wirtschaftsförderungsgesellschaft, der Rat der Stadt und die Stadtverwaltung. Das Spektrum der Initiativen, die von diesem Aktionsbündnis ins Leben gerufen wurden, ist breit und vielfältig. Es umfasst sicherlich viele Maßnahmen, die auch in anderen Kommunen realisiert wurden. Um den Charakter der Maßnahmen zu umreißen sollen hier einige aufgeführt werden: Initiativen für Tempo-30-Zonen, später Tempo-10-Straßen, Kinderwegesystem, kinderfreundliche Straßenraumplanung, Programm Kind im Straßenverkehr, freie Fahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln, Spielplatz-Initiativen und Kinderspielplatzpatenschaften, Kindermitwirkung bei der Spielflächengestaltung, Schülerbefragungen zu Schul- und Freizeitwegen sowie kinderfreundliche Gestaltung von Schulgebäuden und Schulhöfen oder örtliche Karawane für mehr Kinderfreundlichkeit. Essen hat zudem einen Kinderbeauftragten und ein Kinderbüro und erstellt in regelmäßigen Abständen einen Kinderbericht. Was die Stadt darüber hinaus auszeichnet ist ihre Mitgliedschaft im internationalen Netzwerk der Cities of tomorrow der Bertelsmann-Stiftung, wo sie in der Arbeitsgruppe „Kinder und Jugend“ mitwirkt. In diesem Zusammenhang wurde in Anlehnung an das von der Bertelsmann-Stiftung geförderte Gesamtprogramm der Cities of tomorrow ein Strategieplan zur Förderung der Kinder- und Familienfreundlichkeit entwickelt. Kennzeichnend für dieses Konzept ist die Betonung der strategischen Bedeutung von Kindern und Jugendlichen für eine zukunftsfähige Stadt und die Einbindung des so entwickelten Leitbildes in ihr strategisches Management.

Köln - Befragung, Leitlinien und Handlungsfelder Die Stadt Köln, die ebenfalls am Modellprojekt Kinder- und Familienfreundlichkeit in der Kommune beteiligt ist, hat ihre Leitlinien für eine nachhaltige Familienpolitik auf der Basis mehrerer Befragungen entwickelt: 21 Stadt Essen 1998. 194

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• einer verwaltungsinternen Befragung zur Familien- und Kinderfreundlichkeit, • einer Elternbefragung in zwei Stadtbezirken im Jahr 2001, • einer Umfrage „Leben in Köln“ im Rahmen des kommunalen Mikrozensus 2001, • sowie zweier Familienforen mit Eltern schulpflichtiger Kinder.22 Ein Vergleich der verschiedenen Befragungen brachte hinsichtlich der Situations- und Bedarfsanalyse weitgehend übereinstimmende Resultate, die in die Formulierung der Leitlinien der Stadt für familien- und kinderfreundliche Handlungsfelder eingeflossen sind. Diese sollen künftig im Sinne einer nachhaltigen Familienpolitik durch ein dauerhaftes Monitoring beobachtet werden, das heißt durch regelmäßig wiederkehrende Befragungen von Eltern sollen die Wirkungen realisierter Maßnahmen überprüft und auf diese Weise auch hinsichtlich ihrer Qualität evaluiert werden.

Münster - Netzwerk Familien stärken Münster hat schon seit längerem ein Amt für Kinder, Jugendliche und Familien, ein Kinderbüro und seit neuerem ist auch ein Familienbüro konzipiert.23 Aktuell wurde des weiteren ein Konzept für ein Netzwerk Familien stärken von der Verwaltung vorgelegt, das eine breite Kooperation mit Netzwerk-Partnern vorsieht. Die Zielsetzung ist dabei eine doppelte: • Die Unterstützung der Eltern in ihrer alltäglichen Erziehungskompetenz sowie • die Interessen von Eltern öffentlicher zu machen und zu vertreten.24 Mit der Initiative des Netzwerkes sollen Informationen zu kindlicher Entwicklung Erziehung und Gesundheit auf der Basis eines niedrigschwelligen Konzepts an Eltern, Großeltern, Tageseltern sowie Personen, die mit Kindern und Jugendlichen zusammen leben oder mit ihnen in ihrem Berufs- oder Privatleben in engem Kontakt stehen, herangetragen werden. Ein kinder- und familienfreundliches Klima erfordert - so ein tragender Gedanke der Initiative - nicht nur eine ausreichende Infrastruktur von Bildungs-, Beratungs- und Betreuungsangeboten, sondern auch insgesamt eine offenere Atmosphäre der Öffentlichkeit gegenüber Eltern. In das Netzwerk sollen verwaltungsinterne Arbeitsgruppen25

22 Stadt Köln 2003. 23 Stadt Münster 2002a. 24 Stadt Münster 2002a. 25 Nach § 78 Kinder- und Jugendhilfegesetz. 195

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und das initiierende Amt sowie Beratungsstellen, Bildungswerke, Familienverbände, Frauenbüro und Frauenverbände, Jugendeinrichtungen und Jugendverbände, Kirchengemeinden, Wohlfahrtsverbände, Kindertagesstätten und Schulen, der Stadtelternrat und politische Gremien eingebunden werden.

5.6

Lebensqualität und soziale Stabilität in der modernen Stadtgesellschaft - Handlungsempfehlungen an die Landespolitik

Maxime der Politik der Landesregierung sollte es sein, die Städte in ihrem Bemühen zu unterstützen, die Lebensqualität in den Städten, Toleranz zwischen ihren Bürgern und sozialen Ausgleich zu sichern. Eine wichtige Rolle bei der Sicherung dieser Lebensqualität spielen die Stadtteile. Generell sollte daher die gesamte Stadtpolitik darauf ausgerichtet sein, die Trends sich verstärkender Polarisierungen zu verhindern, abzumildern und zu kompensieren. Die Entwicklungen der letzten Jahre beeinträchtigen den sozialen Zusammenhang der Stadtgesellschaft. Auch in Nordrhein-Westfalen zeigen sich bereits überforderte Nachbarschaften in einigen Städten und Stadtteilen. Hier besteht die Gefahr, dass die soziale Stabilität als Basis einer sozialen Balance von Stadtteilen und Wohngebieten verloren geht. Befürwortet wird eine Politik mit dem Ziel, Lebensqualität und Entwicklungschancen für alle Bewohner zu sichern. Folgende Handlungsempfehlungen zum Umgang mit sozioökonomischer Segregation lassen sich daraus ableiten:

Segregation sorgfältig beobachten Zunächst scheint es angesichts der Tragweite der Segregation sinnvoll, diese intensiv zu beobachten und die Datenbasis zu verbessern. Die relevanten Variablen für die ökonomische, ethnische und demografische Segregation wurden im Vorfeld aufgeführt. Da sich die beschriebenen Segregationsprozesse gegenwärtig noch in ihren Anfängen befinden, später aber unumkehrbar sind, scheint ihre sorgfältige Beobachtung etwa durch ein kleinräumiges Monitoring und rechtzeitige Intervention notwendig.

Programm „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf - die Soziale Stadt“ fortsetzen und weiterentwickeln Von den segregationsrelevanten Handlungsansätzen und Programmen des Landes Nordrhein-Westfalen steht insbesondere die Stadtentwicklungspolitik im Fokus. Das Land hat im bundesdeutschen Vergleich schon früh begonnen, sich 196

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dem Problem einer zunehmenden sozialräumlichen Polarisierung und sozialen Segregation in seinen Städten zu stellen. Durch zwei Kabinettbeschlüsse wurde in den Jahren 1993 und 1994 erstmals in einem deutschen Flächenland ein integriertes und ressortübergreifendes Handlungskonzept gegen soziale Segregation im Rahmen der Stadterneuerungsförderung programmatisch angestoßen. Unter dem Titel „Integriertes Handlungskonzept für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“ wurde ein gemeinsames Vorgehen zwischen dem Land und den betroffenen Kommunen vereinbart. Das Programm startete mit zunächst neun Stadtteilen in acht Kommunen des Landes, zwischenzeitlich sind 36 Stadtteile in 27 Kommunen in dem Programm vertreten. Durch seinen innovativen Ansatz übernahm das nordrhein-westfälische Programm „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“ auch eine Vorbildfunktion bei der Ausgestaltung und Umsetzung des im Jahr 1999 initiierten Bund-Länder-Programms „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die Soziale Stadt“, in dem derzeit alle am Landesprogramm „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“ beteiligten sowie zehn weitere Gebiete aufgenommen sind. Ein Programmgrundsatz ist die ebenen- und fachübergreifende Vernetzung aller relevanten Akteure - sowohl vertikal zwischen den verschiedenen Ebenen (Land, Regierungsbezirk, Kommune, Stadtteil) als auch horizontal innerhalb dieser Ebenen. Hinzu kommt, dass der Bewohnerbeteiligung ein hoher Stellenwert beigemessen wird, da sie über die Aktivierung von Eigeninitiative und die Einbindung in Entscheidungsprozesse langfristig zur Schaffung selbsttragender Strukturen in den Programmgebieten führen soll.26 Das Stadtteilmanagement stellt dabei das zentrale Instrument der Quartiersentwicklung dar. Es ist - meist in Form eines Stadtteilbüros - mit der Organisation und Koordination des gesamten Erneuerungsprozesses befasst und fungiert als Anlauf- und Kontaktstelle vor Ort. Es zeigt sich deutlich, dass das Ineinandergreifen von steuernden Impulsen und Anreizen „von oben“ und die gleichzeitige Erneuerung „von unten“ keinen Gegensatz darstellen müssen, sondern eine nachhaltige Stabilisierung der Quartiere erst ermöglichen. Die bisherigen Erfahrungen stimmen zuversichtlich, dass auf lange Sicht zumindest eine Stabilisierung dieser Stadtteile möglich ist. Instrumentell hat sich dabei bewährt, die Projekte durch eine Komplementärfinanzierung aus kommunalen und staatlichen Mitteln zu fördern, wobei Mittel des Arbeitsamts oder freier Träger wichtige Beiträge leisten können, die auch der politischen Verankerung dienen. Der Akzent auf der Kofinanzierung darf andererseits auch nicht dazu führen, dass in Zeiten leerer Kassen ein allgemeines Abwarten um sich greift.

26 Austermann/Zimmer-Hegmann 2000, S. 32ff. 197

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Sozialraumorientierung im Rahmen von Stadtteilbüros Stadtpolitik der Zukunft darf jedoch nicht auf die sozialen Brennpunkte fixiert bleiben. Ein wichtiges Instrument sollte die Sozialraumorientierung sein, die sich in Stadtteilbüros manifestiert. In jenen Stadtteilbüros wird das Leistungsangebot freier Träger je nach Bedarf vor Ort koordiniert und dieser Bedarf unter Mitwirkung der Bürger definiert. Im Ergebnis sind nicht nur Einspareffekte durch entfallende Doppelerbringung von Leistungen zu erwarten, es kommt im Zuge einer Konzentration auf Aufsicht und Controlling auch zu einer Stärkung der Fachämter sowie der freien Träger, die durch verlässliche Zuweisung Planungssicherheit erhalten. Nicht zuletzt sind die Stadtteilbüros niedrigschwellige Anlaufstellen der Bürger für Beschwerden, Anregungen und bürgerschaftliches Engagement. Stadtteilbüros bieten alle Beratungs- und Hilfsangebote kommunaler und freigemeinnütziger Träger übersichtlich und bürgernah aus einer Hand an. Dort, wo dieses Basisangebot wegen spezieller Probleme nicht ausreicht, ebnen sie etwa wie der Hausarzt zum Facharzt - verbindlich den Weg zu weiterführenden Fachdiensten. Auf der Stadtteilebene werden Hilfen übersichtlicher, besser und billiger. Versorgungslücken werden geschlossen und Stadtteile stabilisiert. Stadtteilbüros koordinieren auch das bürgerschaftliche Engagement. Jenes Engagement bedarf in der Regel einer fachlichen Begleitung und der Übergabe beschränkter Budgetkompetenz, durch die es anerkannt, stabilisiert und nutzbar gemacht werden kann. Allein und aus sich heraus wird zukünftig bürgerschaftliches Engagement nicht mehr vereinsbezogen sondern verstärkt projektgebunden existieren. Eine städtische Begleitung kann hier stabilisierend wirken.

Sozialräumlich differenzierte Schulpolitik entwickeln Die dargestellten Ursachen, Folgen und Ansätze zum Handlungsfeld der sozialökonomischen Segregation zeigen deutliche Verbindungslinien zur Schul- und Bildungspolitik. Die räumliche Verteilung von Bildungsangeboten nach Quantität und Qualität entscheidet letztlich über die Chancengerechtigkeit in einer Gesellschaft und die Möglichkeiten von Integration und Teilhabe. Die Auswirkungen von Segregation treffen insbesondere die Kindergärten und Schulen in benachteiligten Stadtteilen. Viele der zu unterrichtenden Kinder haben einen Migrationshintergrund und/oder kommen aus benachteiligten (deutschen) Familien, so dass sich aufgrund von Sprachdefiziten, Konzentrationsschwierigkeiten und einer mangelnden Förderung durch die Eltern besondere Handlungserfordernisse ergeben. Diese Analyse wird durch die Ergebnisse der PISA-Studien unterstützt, die ebenfalls eine enge Wechselwirkung zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen belegen - auch und gerade im räumlichen Sinne. Der soziale und kul198

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turelle Hintergrund wie auch der sozioökonomische Status der Herkunftsfamilien werden dort als eminent wichtig für den schulischen Erfolg ausgewiesen. Die soziale Herkunft wirkt an allen schulischen Übergangsschwellen und -barrieren selektierend. Dies betrifft die Zurückstellung vom Schulbesuch, die Überweisung in Sonderschulen, das Wiederholen von Jahrgangsklassen, den Wechsel zu niedrigeren Bildungsstufen, das Verfehlen des Hauptschulabschlusses oder das Nichterreichen eines Berufsbildungsabschlusses. Letztlich schlägt sich die ungleiche Bildungsbeteiligung in den analysierten Sozialraumstrukturen nieder. Sie ist Ausdruck und Bestandteil gewachsener sozialer und sozialräumlicher Ungleichheit. „Bildungschancen verteilen sich systematisch entlang den Barrieren sozialer und sozialräumlicher Ungleichheit und verstärken heute die bestehende soziale und sozialräumliche Ungleichheit“.27 Im Rahmen der nordrhein-westfälischen Schul- und Bildungspolitik sollten die betroffenen Schulen daher deutlicher als bislang gefördert werden. Durch eine solche Form der bewussten Sonderbehandlung kann die Attraktivität der Schulen in benachteiligten Quartieren gesteigert werden, so dass auch die Kinder bildungsinteressierter Eltern gehalten werden. Beispielsweise können mit dem Ziel der Klassenverkleinerung Schulen durch eine flexible und bedarfsorientierte Lehrerzuweisung mehr Stellen zur Verfügung gestellt werden. Allerdings hat die PISA-Studie auch ergeben, dass Klassengrößen allein kein Qualitätskriterium sind. Unter den Ländern, die im internationalen Vergleich besser als Deutschland abgeschnitten haben, finden sich einige mit höheren Klassenstärken. Eine Ausweitung der Ganztagsangebote, ist ebenso erforderlich, um sozial benachteiligten Kindern auch außerhalb ihres Elternhauses besondere Förderung zuteil werden zu lassen. Dabei bedarf es einer Öffnung der Schule und insbesondere einer stärkeren Kooperation mit der Jugendhilfe, um Erziehungsangebote besser zu verzahnen und zu bündeln. Hinsichtlich einer ausgewogenen Verteilung von Kindern mit Migrationshintergrund sollten die Schulen innerhalb eines Schulbezirkes zur Kooperation bei der Schüleraufnahme verpflichtet werden, wobei dann auch Bekenntnisschulen in gleichem Maße einbezogen werden müssen. Die aktuellen Vereinbarungen mit den kirchlichen Trägern lassen eine solche Handhabung zurzeit jedoch nicht zu. Zudem könnte das Land kommunale Konzepte für eine ausgewogene Verteilung von Schülern mit Migrationshintergrund mit zusätzlichen Ressourcen belohnen. Dabei kann es aber nicht das Ziel sein, Schüler zu diesem Zweck mit Bussen zwischen den Schulbezirken hin und her zu fahren. Die Fähigkeit, Sprache zu verstehen und sich ausdrücken zu können, stellt eine wichtige Voraussetzung für das Lernen dar. Neben einer Ausweitung von

27 Strohmeier/Kersting 2002, S. 1. 199

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Sprachfördermaßnahmen - möglichst bereits im vorschulischen Bereich - ist auch die Abstimmung zwischen dem Elementarbereich und den Sekundarstufen erforderlich, um größtmögliche Wirkungen erzielen zu können. Schulen als Lehr- und Lernorte müssen ins Zentrum der Entwicklung multiethnischer Stadtteile gerückt werden, um die Etablierung einer Wissenskultur in diesen Stadteilen zu befördern. Hierzu müssen sich Schulen nicht nur Eltern unterschiedlicher Herkünfte, sondern auch Vereinen und Initiativen im Stadtteil öffnen. Im multiethnischen Klassenverband und bereits in der Vorschule muss stärker als bisher allen Kindern insbesondere die Schlüsselkompetenz der deutschen Sprache vermittelt werden. Für Schüler mit Migrationshintergrund sollte die Förderung der Bilingualität sichergestellt werden, da nur solche Lernkonzepte der Lebenswirklichkeit der Kinder aus Migrantenfamilien gerecht werden. Die Umsetzung derartiger Konzepte würde die Problematik des multiethnischen Klassenverbandes deutlich reduzieren. Die Sprachförderung sollte ein Schlüsselthema des Modellprojekts Selbständige Schule in Nordrhein-Westfalen werden.

Zugangshindernisse der Migranten zum Wohnungsmarkt abbauen Wohnungspolitik hat im Umgang mit Segregation einen zentralen Stellenwert. Der Abbau von Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt und der Verzicht auf Barrieren gegen freiwillige Ethnisierungsprozesse sind zwei Seiten einer Medaille. Zugleich kann eine aktivere Wohnungspolitik unfreiwilliger Segregation vorbeugen. Eine Umsetzung der europäischen Antidiskriminierungsrichtlinie durch ein Antidiskriminierungsgesetz des Bundes 2004 kann wegen der zu erwartenden Wirkung auf den Wohnungsmarkt auch die stadträumliche Integration potenziell befördern, wobei die Praktikabilität dieser Strategie in Frage zu stellen ist. Aufgrund der besonderen Bedeutung der Wohnungspolitik werden die hiermit zusammenhängenden Aspekte nicht als Aspekte der Segregation, sondern im Rahmen von wohnungspolitischen Fragen aufgegriffen (vgl. Kapitel B6).

Politische Partizipation von Migranten erleichtern Politische Repräsentation der Minderheiten und Konsultationsmechanismen in Stadtteilen und Quartieren bleiben ein Schlüssel zur effektiven Interessenvertretung der Zuwanderer und damit zur gleichberechtigten Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen in der Stadt. Damit wird zugleich unterstrichen, wie außerordentlich nachteilig sich die fehlende politische Partizipationsmöglichkeit von Ausländern in der Kommune auswirkt. Den fehlenden Möglichkeiten der Interessenwahrnehmung muss durch intelligente Förderinstrumentarien begegnet werden, um die fehlenden 200

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Steuerungsmechanismen zumindest teilweise zu kompensieren. Mangelnde Beteiligung an den Wahlen zu den kommunalen Ausländerbeiräten haben in den letzten Jahren zu Bestrebungen einer Reform dieser Gremien geführt, ohne dass das grundsätzliche Beteiligungsproblem damit hätte gelöst werden können.28

Interkulturelle Sensibilisierung und Qualifikation in den Verwaltungen erreichen Für Kommunen wie für das Land ergibt sich darüber hinaus die Notwendigkeit der weiteren interkulturellen Sensibilisierung und Qualifizierung nicht nur als politische, sondern auch als organisatorische Zielvorgabe mit Blick auf die eigenen Verwaltungen.

Selbsthilfepotenziale von Migranten fördern und nutzen Selbsthilfepotenziale in städtischen Quartieren entwickeln sich nicht in allen Fällen automatisch, sondern können auch durch Förderung initiiert werden. Letzteres gilt insbesondere für Quartiere, in denen viele Migranten mit kurzer Aufenthaltsdauer leben, wo Selbsthilfepotenziale indessen besonders nötig wären. Es besteht kein Zusammenhang zwischen dem Grad der Selbstorganisationen auf Stadtteilebene und der Dichte der zugewanderten Bevölkerung. Daraus ist zu schlussfolgern, dass Migrantenselbstorganisationen oftmals über die Stadtteiloder auch Stadtgrenzen hinaus arbeiten und wirksam werden. Entsprechend wären Förderinstrumente auf der regionalen Ebene zu verankern. Ähnliches gilt für die wirtschaftliche Selbsthilfe durch Unternehmensgründungen von Zuwanderern.

Betreuungsangebote für Jugendliche ausbauen In Quartieren mit junger Altersstruktur - dies sind nicht zwangsläufig alle Quartiere mit hohem Migrantenanteil - sind Entwicklungsaufgaben im Hinblick auf Kinder und Jugendliche deutlich erkennbar. Für jeden Stadtteil ist dabei zu prüfen, inwieweit Strukturen schon bestehen und für welche anderen Angebote Nachfrage gegeben ist (z.B. Elternvereine, Jugendinitiativen). Selbst bei knappen Mitteln sollte im Jugendbereich nicht gespart werden, denn in diesem Alter entscheiden sich die Chancen auf In- oder Exklusion sowie die Orientierung zur Mehrheitsgesellschaft. Insofern gestalten sich in dieser Gruppe heute die Chancen des Zusammenlebens von morgen. Überalterung ist indessen nicht nur ein Problem der deutschen Bevölkerung - auf Stadteilebene zeigt sich vielmehr,

28 So in den Städten Solingen, Duisburg oder Bonn. 201

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dass es auch hohe Altersquotienten in Quartieren gibt, die durch nicht-deutsche Nationalitäten geprägt sind. Hieraus ergeben sich Herausforderungen an die lokalen Betreuungsangebote.

Kommunale Familienbeauftragte installieren Kommunale Familienpolitik wird nur dann eine reale gestalterische Wirkungskraft entfalten, wenn die entsprechenden strukturellen Voraussetzungen in Verwaltung und Politik geschaffen werden. Es müssen entsprechende Zuständigkeiten geschaffen und Steuerungsmechanismen etabliert werden. Ideal ist die Einsetzung eines Familienbeauftragten auf höchster Verwaltungsebene (Büro des Oberbürgermeisters), bei dem die Aktivitäten koordiniert und gegebenenfalls Sanktionsbedarf festgestellt wird. Eine konsequente Umsetzung des Querschnittgedankens ist darüber hinaus nicht ohne eine breite Verankerung in der Politik denkbar. Je deutlicher hier ein parteiübergreifender Konsens gefunden wird, desto konsequenter wird die Umsetzung der Familienförderung in der Kommune und desto nachhaltiger werden ihre Effekte sein.

Ämterübergreifende Koordination der Familienpolitik in Verwaltungen verbessern Als strukturelle Voraussetzungen sind neue Kooperationsformen in den Verwaltungen anzusehen, die sie zur ämterübergreifenden Kooperation und zur Umsetzung von Querschnittsaufgaben befähigen. Gleichzeitig sind neue externe, netzwerkorientierte Kooperations- und Beteiligungsformen zu entwickeln.

Leitbild der familienfreundlichen Stadt entwickeln Familienberichterstattung einführen Wie die bisherige Erfahrung zeigt, setzt die Etablierung und Umsetzung eines strategischen Ziels - das heißt die Realisierung von Kinder- und Familienfreundlichkeit - eine konkrete Abfolge von Steuerungsmechanismen voraus: • die Formulierung eines familien- und kinderfreundlichen Leitbildes, • die Orientierung der kommunalen Planung und Umsetzung von Maßnahmen an diesem strategischen Leitbild, • eine entsprechende Sozial- bzw. Kinder- und Familienberichterstattung (gegebenenfalls verknüpft mit einem Monitoring-System); dabei Beteiligung eines breiten Akteurspektrums an der Gestaltung von Stadt als Lebenswelt von Kindern und Familien (lokale Netzwerke). 202

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Familienförderung als Standortfaktor begreifen Eine kinder- und familienfreundliche Politik führt zur Steigerung von Lebensqualität für Familien und wird deshalb zunehmend als weicher Standortfaktor verstanden. Die Sicherung der Attraktivität des kommunalen Lebensstandorts sollte als wirkungsvolle Form der Wirtschaftsförderung, Entwicklungsplanung und nachhaltiger Strukturpolitik betrachtet werden.

5.7

Exkurs: Sozialraumstrukturen und Soziale Milieus in Theorie und Praxis

Die Kenntnis über die Sozialstruktur der Bevölkerung ist als Grundlage politischer Entscheidungen auf allen Ebenen von zentraler Bedeutung. Insbesondere die Verantwortlichen in den Kommunen benötigen für die strategische und planerische Ausrichtung ihrer Aufgaben möglichst kleinräumige Informationen über die Bewohner in einem bestimmten Stadtteil im Hinblick auf ihre soziale Struktur und die Wohnsituation. Ebenso interessant für kommunale Entscheidungen ist die Frage nach den sozialen Netzen in einem kleinräumigen Gemeinwesen. Um frühzeitig und vorbeugend Gegenstrategien entwickeln und Maßnahmen einleiten zu können, ist es darüber hinaus wichtig zu wissen, welche Faktoren den Stadtteil stabilisieren oder destabilisieren.

5.7.1 Soziale Milieus von Sinus Sociovision Fundierte Informationen über die Sozialstruktur der Bevölkerung sind von hoher Relevanz, da sich angesichts anhaltender Engpässe in den kommunalen Haushalten die Frage der Zielgenauigkeit öffentlicher Aktivitäten ohnehin verstärkt stellt. Notwendig sind deshalb Sozialstrukturanalysen oder Sozialberichterstattungssysteme, die entsprechende raumbezogene Daten und Informationen liefern. Das Erkenntnisobjekt der Sozialstrukturanalyse ist zunächst die Erfassung der gesellschaftlichen Strukturen in der Bevölkerung sowie die Analyse ihrer Wechselbeziehungen und Wirkungszusammenhänge. Zentrale Zuordnungsmerkmale sind insbesondere die Einkommenssituation, die berufliche Stellung wie auch die Ausbildungs- und schulische Qualifikation - so genannte objektive Soziallagen. Der zunehmende gesellschaftliche Wohlstand hat zur Folge, dass auch bisher benachteiligte Bevölkerungsgruppen vermehrt Zugang zu einer Lebenswelt 203

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haben, die traditionell eher mittleren und oberen Schichten vorbehalten war. Dass der gesellschaftliche Wohlstand nicht gleichmäßig verteilt ist, ist jedoch ebenso wenig zu bestreiten wie die Tatsache, dass es nach wie vor Bevölkerungsteile gibt, die vom Wohlstandszuwachs nicht oder nur partiell profitierten. Auch der erste Armutsbericht der Bundesregierung verdeutlicht, dass sich die Ungleichheit der Einkommen zwischen Geringverdienern (hierzu gehören auch Bezieher niedriger Renten und Pensionen) und den gehobenen Einkommen trotz eines allgemeinen Wohlstandszuwachses langfristig verstärkt hat. In diesem Zusammenhang ist auch auf die offensichtlich ungleiche Vermögensverteilung hinzuweisen: rund 42 Prozent des Privatvermögens waren im Jahr 1998 im Besitz von einem Zehntel aller Haushalte.29 Die gesellschaftlichen Unterschiede des Wohlstandsniveaus wie auch dessen Entwicklung sind ebenso in räumlicher Hinsicht, insbesondere nach der regionalen und auch stadträumlichen Verteilung, nachzuvollziehen. In dem Maße, wie Zugangshemmnisse durch den insgesamt gestiegenen gesellschaftlichen Wohlstand an Bedeutung verlieren, gewinnt die Pluralisierung und Individualisierung von Lebensstilen an Gewicht. Dabei steht die „Vielfalt der Handlungsmöglichkeiten, Lebensformen, Lebensführung und Lebensstile“ zunehmend im Mittelpunkt.30 Lebensstile definieren sich weniger durch Merkmale des sozialen Status als durch individuelle Werthaltungen und Alltagseinstellungen: „Wenn sich typische Lagen und Einstellungen bündeln, ergibt sich ein gruppenspezifischer Lebensstil und damit ein soziales Milieu.“31 Gerade im Hinblick auf die Entwicklung von Wissensmilieus erscheint ein tieferes Verständnis dieser Entwicklung notwendig. Vor diesem Hintergrund verstehen sich Ansätze wie das Milieu-Konzept des Heidelberger Sinus-Instituts als neuer Beitrag in der Sozialstrukturforschung.32 Im Jahr 1979 hat Sinus erstmals eine anwendungsbezogene lebensweltliche Beschreibung und Analyse der Bevölkerung Westdeutschlands in Form von Milieus erstellt. 1990 wurde sie um ein zunächst eigenständiges Milieumodell für die neuen Bundesländer ergänzt.

29 BMAS 2001, S. XVIII. 30 Geißler 1996, S. 77. 31 Vester/von Oertzen/Geiling und andere 2001, S. 144. 32 Der Begriff des Milieus geht ursprünglich auf den französischen Soziologen Émile Durkheim (1858 bis 1917) zurück, der als Erfinder der Soziologie als eigenständige empirische Wissenschaft gilt. In den 1960er Jahren hat es eine Wiederbelebung des Milieu-Begriffs gegeben. Eine einheitliche Definition gibt es jedoch nicht. Durkheim verstand Milieus als soziale Gruppen, als Grundeinheiten der Gesellschaft mit einem gemeinsamen Korpus moralischer Regeln. vgl. Durkheim 1988, S. 56. 204

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Abb. 7: Die soziokulturellen Milieus des Sinus-Instituts Quelle: Sinus-Sociovison 2004

In dem Modell werden auf der Grundlage von repräsentativen Erhebungen soziale Bevölkerungsgruppen mit vergleichbaren Grundeinstellungen und Lebenszielen zusammengefasst. Alltagseinstellungen zur Arbeit, zur Familie und Partnerschaft, zur Freizeit, zu Geld und Konsum werden bei der Analyse ebenso berücksichtigt wie Werteinstellungen. Es handelt sich hierbei um eine Differenzierung nach „real existierende(n) Subkulturen“ mit gemeinsamen Sinn- und Kommunikationszusammenhängen.33 Das Sinus-Institut führt hierzu aus, dass bei der Differenzierung der Milieus die Unterschiede im Vergleich zu einer Einteilung der Bevölkerung in Klassen- oder Schichten deutlicher hervortreten. So orientiert man sich nicht mehr an den objektiven Soziallagen, sondern an inhaltlichen bzw. qualitativen Merkmalen.34 Die Sinus-Milieus „rücken den Menschen und das gesamte Bezugssystem seiner Lebenswelt ganzheitlich ins Blickfeld.“35 2001 wurden die beiden Milieumodelle für die Bundesrepublik zusammengeführt. Das aktuelle Sinus-Modell aus dem Jahre 2003 besteht aus insgesamt zehn Milieus.

33 Perry 2003, S. 18. 34 Vgl. Sinus Sociovision 2002, S. 8. 35 Perry 2003, S. 18. 205

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Die Grenzen zwischen den einzelnen sozialen Milieus sind fließend (vgl. Abb. 7): Je höher das soziale Milieu in der Grafik (vertikale Perspektive) positioniert ist, desto gehobener sind Berufsgruppe, Bildung und Einkommen. Je weiter es sich nach rechts (horizontale Perspektive) erstreckt, desto weniger traditionell ist die Grundorientierung des jeweiligen Milieus. Es bleibt offen, ob Milieumodelle geeignet sind, gesamtgesellschaftliche Entwicklungen und Ausdifferenzierungsprozesse in der Sozialstruktur umfassend darzustellen.36 Vorsicht ist vor allem dann geboten, wenn kurzlebige Einstellungen und Verhaltensweisen bei der Definition von sozialen Milieus ausschlaggebend sind. Ebenso ist anzunehmen, dass die Entwicklung von Lebensstilen erheblich feiner und auch schneller voranschreitet, als dass man es mit einem statischen Modell realistisch nachvollziehen könnte.37 Auch vor diesem Hintergrund schreibt das Sinus-Institut sein Modell fort und passt es den gesellschaftlichen Entwicklungen an. Längerfristig können jedoch gewisse Beständigkeiten in der übergeordneten Gruppierung nachvollzogen werden. Sinus-Milieus haben bisher überwiegend in der Markt-, Jugend- und Wahlforschung Anwendung gefunden und sich dort bewährt.38 Wenn auch die Erkenntnisse der Sinus-Analysen im Rahmen der Marktforschung einen räumlichen Bezug, bis hin zum Straßenzug herstellen können, wurden daraus bislang noch keine Konsequenzen für stadtpolitisches Handeln gezogen. Mit Blick auf planerische und gesellschaftspolitische Gestaltungsprozesse können soziale Milieus ein interessanter Ansatz sein, über hergebrachte Klassen- bzw. Schichtkonstruktionen hinaus detaillierte Informationen über die Sozialstruktur und Kommunikationszusammenhänge in konkreten Raumbezügen - wie einen Stadtteil zu erhalten. Dabei können sie herkömmliche Sozialraumanalysen hinsichtlich bestimmter Fragestellungen ergänzen. So hat das (vhw) Deutsche Volksheimstättenwerk, Bundesverband für Wohneigentum, Wohnungsbau und Stadtentwicklung ein Projekt zur nachfrageorientierten Wohnungsbaupolitik initiiert, dessen noch ausstehende Erkenntnisse sicherlich mit Interesse verfolgt werden müssen. Hier werden unter anderem am Beispiel des Wohnungsmarktes der Stadt Essen die spezifischen Raumbezüge von Sinus-Milieus untersucht. Aus den Ergebnissen lassen sich differenzierte Anforderungen unterschiedlicher Lebensstiltypen hinsichtlich der Präferenzen des Stadtquartiers ableiten. Am Beispiel der Wohnumfeldgestaltung werden Chancen und Grenzen von milieu-

36 Vgl. Häußermann/Kapphan 2000, S. 155. 37 Vgl. Eichener/Schauerte/Klein 2002, S. 79. 38 Vgl. Geißler 1996, S. 82. 206

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spezifischen Betrachtungen und sich daraus ergebenden Handlungsempfehlungen herausgearbeitet.

Milieuorientierte Wohnumfeldgestaltung Um die Attraktivität der Städte zu erhalten, müssen Verbesserungen der Wohnqualität und des Wohnumfelds in den städtischen Zentren erreicht werden. Auch die Analysen der Suburbanisierung und sozialräumlichen Entwicklung zeigen, dass Wohnumfeldqualitäten maßgeblichen Einfluss auf Verweilentscheidungen von Haushalten im angestammten Quartier haben (vgl. Kapitel B4). Die Verbesserung von Wohnumfeldqualitäten ist damit ein geeigneter Ansatz, mit dem man unter anderem den beiden Trends der Suburbanisierung und der Segregation entgegenwirken kann. Der Begriff des Wohnumfelds muss weit gefasst werden: Wohnumfeld reicht von der städtebaulichen und architektonischen Gestaltung, über das Infrastrukturangebot (Spielplätze, Begegnungsstätten, Nahversorgung) bis hin zur der stadträumlichen Lage. Neben diesen eher harten Aspekten gewinnen so genannte weiche Faktoren wie Nachbarschaften, Szene, soziales Umfeld erheblich an Bedeutung. Mit der fortschreitenden Ausdifferenzierung der Gesellschaft werden sie zunehmend zu wichtigen Kriterien für die individuelle Standortentscheidung. Im städtischen Umfeld lassen sich ideale Wohnverhältnisse für eine individualisierte (Single-) Gesellschaft mit sich ausdifferenzierenden Lebensstilen finden. So kann sich Wohnen in räumlicher Nachbarschaft zu Sport- und Freizeitangeboten für den einen als genauso attraktiv erweisen, wie die Nähe zum Büro, zum Einkaufsort oder auch zum Erholungsgebiet für andere. Die zunehmende Zahl von Einpersonenhaushalten beiderlei Geschlechts erfordert hierbei geschlechtergerechte Angebote bei den Wohnumfeld- und Freizeitbedingungen. Die sich in der pluralistischen Gesellschaft herausbildenden neuen Lebensformen und Zielgruppen fordern auch neue Formen des Wohnens. Zielgruppen wären zum Beispiel Starterhaushalte, Singles und Senioren. Aber auch für die Gruppe der Alleinerziehenden und der Scheidungsopfer ist aufgrund ihrer oftmals eingeschränkten finanziellen Spielräume ein akzeptables Angebot vorzuhalten, will man auch die oftmals mit geringer Arbeitsmobilität ausgestattete Gruppe in der Stadt und damit vielfach in der Nähe des Arbeitsplatzes halten. Innerstädtische und zentrale Wohnlagen ermöglichen die Stadt der kurzen Wege. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung erweisen sich diese Lagen vielfach als idealer Wohnstandort. Die Entwicklung neuer Wohnkonzepte, wie zum Beispiel betreutes Wohnen mit Full-Service eröffnet die Möglichkeit vielfältiger Synergien aus Dienstleistungen, Handel und Gastronomie. 207

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Milieus als Grundlage der Bedarfsermittlung Die eindimensionale Bedarfsermittlung und Ausgestaltung anhand allgemeiner Zielgruppen nach sozioökonomischen Kennzeichen (Kinder, Familien, Senioren) stößt bei der Gestaltung und Anpassung des Wohnumfelds an Grenzen. Die klassischen Paare: Kinder - Spielplätze, Jugendliche - Begegnungsstätte, Senioren - Pflegeheime geben allenfalls Hinweise für quantitative Bedarfe. Für qualitative Anforderungen bedarf es ergänzender Informationen. Darüber hinaus ist in der Bedarfsermittlung stärker ein Milieuansatz zu berücksichtigen, wie er von Bourdieu in die Diskussion eingebracht und seitdem wesentlich weiter entwickelt wurde.39 Jener Ansatz zeichnet sich dadurch aus, dass bei der Bedarfsermittlung nicht nur der sozioökonomische Status der Bewohner ermittelt wird, sondern zusätzlich deren Lebensstil und gesellschaftliche Wertorientierungen. Die Arbeiten von Sinus-Sociovision basieren auf diesem Modell. Es liegt auf der Hand, dass dieser Ansatz ein weitaus differenzierteres Bild für die Bedarfsermittlung liefert. Eine milieudifferenzierte - und damit an Lebensstilen ausgerichtete - Betrachtung kann helfen, räumliche Präferenzen bestimmter Lebensstile einzubeziehen. Das allein reicht jedoch nicht aus, um den lokalen Anforderungen gerecht zu werden. Vielmehr bedarf es jeweils einer Vielzahl kleiner, oftmals unspektakulärer, aber sehr genau auf den jeweiligen sozialräumlichen Kontext zugeschnittener Maßnahmen, die erst in der Addition und unter Mitwirkung der Begünstigten gewünschte Effekte im städtischen Raum ergeben. Insofern gibt es keine Patentrezepte für die konkrete Gestalt einer milieuorientierten Stadtpolitik und somit auch keine Wenn-Dann-Handlungsanleitungen. In aller Regel unrealistisch und wenig Erfolg versprechend ist zudem die Vorstellung, Milieus an einem bestimmten Ort gezielt ansiedeln zu können. Dies ist darauf zurükkzuführen, dass die Logiken, nach denen sich Milieus bilden und von denen sie zusammengehalten werden, zu komplex, zu spezifisch und stets selbst bestimmt sind. Um sie planen und steuern zu können, sind offene und gleichzeitige Angebote auf verschiedenen Ebenen der städtischen Lebenswelt erforderlich, an denen Milieubildungen ansetzen können. Zudem wird es unrealistisch sein, die Planung bzw. die Gestaltung eines Quartiers auf einzelne Lebensstilgruppen auszurichten. Vielmehr zeigen unterschiedliche Milieus ähnliche oder sich ergänzende Präferen-

39 Bourdieu 1982. 208

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zen, die innerhalb eines Quartiers angeboten werden können. Darüber hinaus ist im Sinne einer nachhaltigen Nutzung, eine hohe städtebauliche Flexibilität für unterschiedliche - und auch sich wandelnde - Nutzungspräferenzen erforderlich, um eine langfristige Attraktivität zu gewährleisten. Stadtpolitik besitzt auf ihren unterschiedlichen räumlichen Handlungsebenen vielfältige Möglichkeiten, die Verortung und Weiterentwicklung von Milieus zu beeinflussen. Sie kann - gerade im Bereich der Wohnumfeldgestaltung und der wohnortnahen Freizeitangebote - Anreize und Gelegenheitsstrukturen schaffen, die unterschiedliche Bewohner motivieren, einem Wohnort treu zu bleiben, sich diesen verantwortungsvoll anzueignen und mit Gleichgesinnten zukunftsoffen zu gestalten. Sie kann aber auch Angebote entwickeln, die gezielt den Beschäftigten in einem bestimmten Berufsfeld ein Forum des Austauschs bieten. Es ist unstrittig, dass über Belegungspolitiken im sozialen Wohnungsbau Voraussetzungen für die Bildung von Milieus erleichtert oder erschwert werden. Bei diesen Maßnahmen handelt es sich um qualitative Einflussfaktoren, die vergleichbare Wirkungen erzeugen können, dies aber nicht zwangsläufig müssen.

Räumliche Präferenzen von Sinus-Milieus - der Versuch einer Zuordnung Die vorgenannten Erkenntnisse verbieten eine überschaubare und damit als Leitfaden verwendbare Empfehlungsmatrix. Gleichwohl haben bereits 1999 Schneider und Spellerberg versucht, bevorzugte Standorte von Lebensstilgruppen empirisch herauszuarbeiten und qualitativ zu beschreiben.40 Grundlage für die Darstellung ist in diesem Fall jedoch nicht das Sinus-Milieumodell sondern eine eigene Typologie auf der Basis des Wohlfahrtssurvey von 1993. Die Analysen der bevölkerungsrepräsentativen Daten zeigen, dass sich anhand der Lebensstiltypologie sehr spezifische Wohnverhältnisse, Wohnbedürfnisse und auch Verhaltensmuster auf dem Wohnungsmarkt identifizieren lassen. Die Ergebnisse lassen hoffen, dass die noch im Aufbau befindlichen Analysen des ebenfalls zu differenzierten Ergebnissen auf einer breiteren empirischen Basis kommen werden. Auch wenn die von Schneider und Spellerberg vorgenommenen Typisierungen und Präferenzen sehr klar herausgearbeitet sind, soll im Folgenden eine Zuordnung auf der Grundlage der Sinus Milieus dargestellt werden. Hier besteht der Vorteil, dass sowohl die Modellbeschreibung durch Sinus als auch die Datenerhebung durch das vhw kontinuierlich aktualisiert werden können. Die Akzeptanz der Vielfalt ist erforderlich, um die Aussagekraft dieser Darstellung zu bewerten. Auch hier ist es mit den oben genannten Einschränkungen gelungen, mögliche räumliche Bezüge unterschiedlicher Milieus aufzuzeigen

40 Ausführlich in: Schneider/Spellerberg 1999. 209

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und denkbare Ansprüche an die Gestaltung von Wohnumfeld und Freizeitbedingungen zu benennen, die für diese Milieus von besonderer Bedeutung sind. Konkrete Raumbezüge der Sinus-Milieus und damit auch Anforderungen einzelner Milieus an Wohnumfeld- und Freizeitqualitäten wurden von Sinus selbst bisher nicht untersucht. Die bereits oben erwähnte laufende Studie zu Möglichkeiten einer Nachfrageorientierten Wohnungspolitik im Auftrag des vhw versucht diese Lücke zu schließen.41 Dabei wird deutlich, dass stadträumliche Verortungen von Milieus nur auf dem Weg sorgfältiger Analysen nachvollzogen werden können. Welche Aussagekraft diese Ergebnisse für die Beurteilung von Wohnumfeld- und Freizeitanforderungen von Milieus haben werden, ist beim gegenwärtigen Stand dieser Arbeiten noch nicht abschätzbar. Auf der Basis der auch im Vorhaben des vhw zugrundegelegten Sinus-Milieus wird im Folgenden zunächst rein hypothetisch versucht, Präferenzen einzelner Milieus für Wohnumfeld- und Freizeitbedingungen räumlich zu differenzieren. Die Beschreibungen beruhen anders als die Arbeiten von Schneider und Spellerberg nicht auf empirischen Erhebungen, sondern folgen einem heuristischen Ansatz. Sie basieren auf der Grundlage von Wissensbeständen aus der Stadtforschung und Stadtplanung.42 Die im Folgenden kurz erläuterten Milieus, zeichnen sich vielmehr durch eine gewisse Immobilität und räumliche Konstanz aus. Diese vier Milieus stehen daher weniger im Fokus politischer Handlungsoptionen, werden aber der Vollständigkeit halber hier skizziert: • Das konservative Milieu (rund fünf Prozent der deutschen Bevölkerung) entspricht dem alten deutschen Bildungsbürgertum. Typisch sind humanistisch geprägte Pflichtvorstellungen und gepflegte Umgangsformen. • Die Traditionsverwurzelten (15 Prozent) sind die auf Sicherheit und Ordnung bedachte Kriegsgeneration. Sie sind in der kleinbürgerlichen Welt wie in der traditionellen Arbeiterkultur ansässig. • Zu den DDR-Nostalgischen (sechs Prozent) gehören die resignierten Verlierer der Deutschen Einheit. Sie halten an preußischen Tugenden und gleichzeitig an den sozialistischen Prinzipien von Gerechtigkeit und Solidarität fest. • Die deutlich materialistisch ausgerichtete Unterschicht - das sind rund elf Prozent der Bevölkerung - bilden die Konsum-Materialisten. Sie versuchen den Anschluss an die Konsum-Standards der breiten Mitte zu halten, um damit soziale Benachteiligungen kompensieren zu können. 41 Schmals 2003. 42 Auch wenn die Lebensstiltypen von Schneider und Spellerberg nicht deckungsgleich mit den Milieus von Sinus Sociovision sind, zeigen sich doch in der Darstellung sowohl der Gruppierungen als auch deren Präferenzen gewisse Übereinstimmungen, die die nachfolgenden Aussagen wenn auch nicht belegen, so denn aber inhaltlich stützen. 210

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Es folgt eine eingehende Darstellung der Milieus, die sich entweder durch besondere Ansprüche an Wohnumfeldqualitäten auszeichnen oder durch ein besonderes hohes Maß an räumlicher Flexibilität oder der Neigung zu einem regelmäßigen Ortswechsel.

Bürgerliche Mitte (16 Prozent der deutschen Bevölkerung) Obwohl das Milieu der bürgerlichen Mitte eher noch den immobilen Milieus zuzuordnen ist, verfügt es über nicht unerhebliche Suburbanisierungspotenziale. Dieses Milieu weist viele Haushalte auf, die als potenzielle, aber nicht als zwingende Suburbanisierer zu bezeichnen sind. Grundsätzlich lässt sich dieses Milieu gut und - wenn bestimmte zentrale Voraussetzungen erfüllt sind - auch dauerhaft an ein städtisches Quartier binden, wenn ihm dort das geboten wird, was es an Infrastruktur und Atmosphäre erwartet. Zentral ist dabei ein angemessenes und qualitätvolles Angebot für Kinder. Insbesondere Grünflächen spielen dabei eine gewichtige Rolle. Als Ideal wird ein eigener Garten angesehen, doch ist man unter Umständen bereit, auf ihn zu verzichten, wenn das öffentliche Grün in der Nähe der Wohnung akzeptabel ist. Gerne sind die Haushalte dieses Milieus auch bereit, sich zu engagieren, doch bedarf es dazu staatlicher Kooperation und einer spürbaren Würdigung ihres Engagements. Abwärtstendenzen in Quartieren können leicht Suburbanisierungsüberlegungen auslösen, zumal die Grundeinstellung dieses Milieus das Wohnen zur Miete im Prinzip irrational erscheinen lässt. Die Einbettungskräfte des Quartiers, das heißt das Gefühl mit dem Quartier verbunden zu sein, sind letztlich entscheidend für den Verbleib dieses Milieus im Quartier. Wichtig sind hierfür Orte der Kommunikation, vielfältige Infrastruktur und kreative Aneignungsmöglichkeiten. Innerhalb eines gewissen Rahmens schätzt dieses Milieu Kreativität, Flexibilität, clevere und konsensuale Nutzungslösungen. Das Milieu wünscht sich eine engagierte, kreative und kooperative Stadtpolitik. Es ist in seiner Freizeit nicht auf den Innen- oder den Außenbereich beschränkt - beides ist wichtig, wobei der Außenraum des näheren Wohnumfeldes von zentraler Bedeutung ist. Die Bürgerliche Mitte bewegt sich aber auch regelmäßig über die Quartiersgrenzen hinweg zu gezielten Ausflügen oder Einkaufsaktivitäten. Heterogenität und Vielfalt im Quartier werden begrüßt, doch müssen sie im Rahmen bleiben und dürfen 211

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nicht ein gewisses normatives Verhaltensraster sprengen. Aufgabe von Stadtpolitik wäre es, in Dialog zu treten, Engagement aufzugreifen sowie Möglichkeiten und Optionen zu eröffnen. Aufgrund des relativ hohen Bevölkerungsanteils und der latent vorhandenen Suburbanisierungstendenzen scheint das Milieu eine lohnende Zielgruppe zur Einflussnahme auf Segregations- und Suburbanisierungsprozesse zu sein. Von diesen in der Grundtendenz eher beständigen Milieus unterscheiden sich die nachfolgend dargestellten Milieus insbesondere durch ihre Bereitschaft zum Ortswechsel. Veränderungen im Wohnumfeld lösen sehr viel schneller Wanderungsbewegungen aus. Bei Aktivitäten zur Attraktivierung von Quartieren sollte ihnen daher besonderes Augenmerk zukommen. Die plakative Darstellung dient der Veranschaulichung. Sie ist sicherlich nicht auf alle Mitglieder der jeweiligen Milieus zu beziehen.

Etablierte (zehn Prozent) Das Milieu des „selbstbewussten Establishment“ braucht die Großstadt als Bühne der Repräsentation und als Aktionsraum mit anspruchsvollen Angeboten von Kultur, Gastronomie, Geselligkeit etc. Gelebt wird in diesem Milieu in exquisiten, weitläufigen, meist zentral gelegenen, gemieteten oder gekauften Altbauwohnungen oder in extravaganten Neubauten in exponierten Lagen, jeweils mit einem ansprechenden, statusadäquaten Wohnumfeld. Etablierte erschließen sich zuweilen aber auch gut ausgestattete Randbereiche von Kernstädten. Etablierte sind hochgradig mobil im beruflichen Alltag und auch im privaten Leben. Der Nahraum des Wohnorts wird daher selektiv wahrgenommen und nur dann genutzt, wenn Angebote dem eigenen Status entsprechen und Repräsentationen der eigenen Besonderheit ermöglichen. Toleranz gegenüber sozialer Mischung und Fremdheit ist in diesem Milieu so lange vorhanden, wie die Entfaltung des eigenen Lebensstils dadurch nicht eingeschränkt wird. Durch überdurchschnittliche Bildung und Einkommensverhältnisse können Mitglieder dieses Milieus räumliche und soziale Abgrenzungen zu fast jedem anderen Milieu selbst bestimmen. Die Kategorie des Quartiers ist für dieses Milieu nachrangig, da es sich an vielen verschiedenen attraktiven Orten der Welt in Zweitwohnungen, Urlaubsdomizilen oder in beruflichen Kontexten verortet. Wichtig ist stets die Anwesenheit einer hinreichenden Anzahl von Mitgliedern dieses Milieus, um Austausch und Geselligkeit zu ermöglichen. Mitglieder dieses Milieus sind kaum langfristig an eine Wohnung oder ein Quartier zu binden. Sie entwickeln allenfalls anhaltende Sympathien für eine Region, die ihr mobiles Standortverhalten aber kaum zu stören vermögen. Durch Nutzung des Autos oder des Flugzeugs bleiben diese 212

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Menschen aber auch in ihren Freizeitaktivitäten tendenziell standortunabhängig. Stadtpolitik sollte in der Perspektive dieses Milieus nicht in die freien Kräfte des Marktes intervenieren sondern potenziellen Standorte mit Highlights für Kultur, Konsum oder sportlichen Aktivitäten aufwerten. Für eigene Kinder wird ein angemessenes Bildungsangebot vorausgesetzt.

Postmaterielle (zehn Prozent) Bei diesem Milieu handelt es sich mehrheitlich um stadtorientierte Haushalte, die sich mit unterschiedlichen urbanen Wohnlagen anfreunden können. Ausgewählte heterogene Quartiere werden bevorzugt, weil sie interessante Nischen bieten. Hier etabliert dieses Milieu seine sozialen Netzwerke und Treffpunkte als wichtige Faktoren der Freizeitgestaltung. Zivile Heterogenität wird viel eher akzeptiert als Belästigungen durch Lärm, Licht oder Abgase. Das Quartier ist als Alltagsort wichtig, befriedigt aber nicht alle Wünsche. Mobilität erfolgt gezielt an interessante Orte. Bei Umzügen werden häufig Quartiere des vertrauten Typs gesucht. Dieses Milieu interessiert sich weniger für materiellen Erfolg als für gutes, nachhaltiges und vernünftiges Leben. Es benötigt vielfältige kulturelle Angebote auf einem angemessenen intellektuellen Niveau und eine den geltenden Vernunft-Kriterien entsprechende Nahversorgung: Markt, Buchladen, Programm-Kino, Naturkostladen, gepflegter Weinhandel, Cafes, Kneipen und Restaurants, pädagogisch angemessene Spielflächen für Kinder unterschiedlicher Altersgruppen, sportliche Möglichkeiten zur Gesundheitspflege. Das Automobil ist als Verkehrsmittel nicht zwingend. Wichtig sind eine hohe Qualität öffentlicher Räume, attraktive Fuß- und Radwege und lebendige Bürgersteige. Fertige Angebote sind diesem Milieu in der Regel zu langweilig. Gesucht werden Freiräume, die individuell angeeignet werden können. Ein gepflegter Park mit vielen abgetrennten Wiesen, der zu einem privaten Picknick einlädt, ist attraktiver als organisierte kommerzielle Volksfeste. Dieses Milieu kann durch verlässliche Befriedigung seiner zentralen Wünsche langfristig an die Stadt gebunden werden. Stadtpolitik muss allerdings die differenzierten Erwartungen dieses Milieus und seinen Hang zur Selbstbestimmung ernst nehmen, sei es auch nur durch Offenlegung ihrer begrenzten Handlungsmöglichkeiten und durch Einbeziehung der reichhaltigen Ressourcen dieser Gruppe. Dieses Milieu verlangt qualitative Stadtpolitik in seinem Sinne, bevor es bereit ist, seine vergleichsweise hohe Kaufkraft vor Ort zu verwirklichen. 213

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Moderne Performer (acht Prozent) Dieses Milieu weist eine starke Orientierung auf den Außenraum auf. Hier wird die Möglichkeit gesehen, sich zu präsentieren und unter Gleichgesinnte zu begeben. Dieses Milieu siedelt sich gezielt in der Nähe der Szene an, bestimmte Stadtteile, oftmals auch nur Teilbereiche von Stadtteilen gelten als alternativlos. In aller Regel liegen diese Stadtteile in den Altbaubeständen der inneren Stadt. Die Wohnräume werden individuell gestaltet und eingerichtet, dessen ungeachtet besteht eine große Mobilitätsbereitschaft. Zieht die Szene weiter oder erscheinen andere Orte mehr angesagt, kann es sehr schnell zu einem Umzug kommen. Zwar ist das unmittelbare Wohnumfeld als Szenerie wichtig, doch spielen die nahräumlichen Freizeitangebote eine eher nachgeordnete Rolle, da dieses Milieu mobil ist und gezielt die Orte aufsucht, die von Gleichgesinnten frequentiert werden und wo das von ihnen gesuchte Konsumangebot besteht. Wichtig erscheint es allerdings, dass Bedarfe des täglichen Lebens schnell und möglichst rund um die Uhr organisiert werden können, da dieses Milieu oft lange und zu unkonventionellen Zeiten arbeitet. Das Fremde ist diesem Milieu nicht unangenehm, im Gegenteil, es wird oftmals gezielt nachgefragt und dient als Inspirationsquelle. Partizipationsangebote wie Runde Tische zu Fragen der Quartiersentwicklung werden nicht wahrgenommen, da sie zu langatmig erscheinen. Von der Stadtpolitik wird erwartet, dass sie individuelle Formen der Aneignung von Nischen zulässt und nicht auf der Einhaltung festgeschriebener Standards und Normen besteht.

Experimentalisten (sieben Prozent) Von großer Bedeutung sind für dieses Milieu Räume zur individuellen Aneignung und das Ausleben der weit reichenden sozialen Bedürfnisse. In der Regel finden sich diese Möglichkeiten eher in der Stadt, speziell in vielfältigen und urbanen Stadtteilen, doch sind bei diesem Milieu durchaus Wohnbiographien denkbar, die auch einige Jahre auf dem Land mit anschließender Rückkehr in die Stadt enthalten. Langfristige Bindungen an einen Wohnort sind nur schwer möglich, dazu ist das Milieu zu sprunghaft in seinen Präferenzen. Bindungen bestehen weniger an das Quartier als an die jeweils angesagte Szene, mit der im Zweifel auch in einen anderen Stadtteil gewandert wird. Die Wohnform kann unterschiedlichster Art sein (Alt- bzw. Neubau, Landhaus, Fabriketage, alter Bauernhof etc.), wichtig ist nur, dass sie Platz lässt zur Auslebung der eigenen Interessen und Vorlieben. Diese können sich auf das Wohnen beziehen, doch nicht zwingend; mitunter kann die Wohnung auch schlicht den Rahmen für die gerade verfolgten Aktivitäten abgeben. Das Wohnumfeld sollte 214

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möglichst so strukturiert sein, dass es der Auslebung des eigenen Lebensstils in den jeweils aktuellen Ausprägungen entgegenkommt. Grün- und Erholungsräume spielen dabei in der Regel eine geringere Rolle als Ausgehmöglichkeiten, kleine Plattenläden, Antiquitäten-Läden und Kommunikationsorte jeder Art. In der Freizeit werden generell sehr ausgefallene, dabei jedoch präzise ausgewählte Angebote nachgefragt, für die auch erhebliche Wegstrecken in Kauf genommen werden. Heterogenität ist aus Sicht des Milieus ein absolutes Gütekriterium für ein Quartier und keinesfalls eine Belastung. Durchaus besteht die Bereitschaft, sich in einem Quartier zu engagieren; allerdings nur, wenn auf Seiten der Stadtpolitik die Bereitschaft zu erkennen ist, auch in unkonventionellen Bahnen zu denken und zu handeln. Hier liegt auch die zentrale Forderung an die Stadtpolitik seitens des Milieus: Selbstverwirklichung zu ermöglichen, Aneignungsprozesse von Räumen zu fördern, Verschiedenartigkeit nicht einzuebnen.

Hedonisten (elf Prozent) Das Milieu ist deutlich stadtorientiert, lebt aber schwerpunktmäßig in den äußeren oder in benachteiligten inneren Bereichen der Kernstadt zur Miete, oft in Neubaugebieten oder auch in Großwohnsiedlungen. Das Milieu weist nur eine geringe Quartiersbindung und einen nur vorübergehenden Ortsbezug auf, da es immer auf der Suche nach Neuem, nach Spaß und Unterhaltung ist. Generell ist die Bedeutung der Wohnung und des Wohnumfeldes vergleichsweise gering, da eine hohe Mobilitätsbereitschaft besteht. Für die Auswahl des Wohnstandortes übliche Kriterien wie Lärmbelastungen, Grünanlagen, ästhetische Gestalt werden nicht sonderlich hoch gewichtet, relevant ist eher die Lage der Wohnung im Stadtraum. Freizeitangebote des Wohnumfeldes werden nur dann angenommen, wenn sie nicht durch das spezifische, stark spaßorientierte Anspruchsraster fallen. In der Regel wird das die Ausnahme sein und die Freizeit eher an anderen Orten verbracht werden. Bei der Auswahl der besonders frequentierten Räume ist der Außenraum entscheidend; er muss viele Konsum- und Ausgehangebote bieten. Fremdes wird nicht gezielt aufgesucht oder als Bereicherung verstanden, doch solange es nicht in Konkurrenz zu eigenen Aktivitäten und Interessen tritt, wird es nicht weiter beachtet. Das Milieu der Hedonisten wird kaum für partizipative 215

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Maßnahmen der Quartiersentwicklung zu erwärmen sein und hat auch an die Stadtpolitik eine eher indifferente Erwartungshaltung. Zwar soll ein breites Spektrum von Angeboten zur Unterhaltung dieses Milieus zur Verfügung stehen, wie dieses zustande kommt und ob sich die Stadtpolitik daran beteiligt, interessiert allerdings nicht weiter.

Soziale Milieus in Stadtpolitik und Wohnungsmarktbeobachtung Die hypothesenartigen Ausführungen zu den Raumbezügen unterschiedlicher Milieus sowie ihren Wohnumfeld- und Freizeitbedarfen verdeutlichen, wie vielschichtig und stark ausdifferenziert die Ansprüche der einzelnen Bevölkerungsgruppen und Milieus sind und wie unterschiedlich folglich auch die Erwartungen an stadtpolitisches Handeln sind. Dies alles zeigt, dass es für die Stadtpolitik keine Patentrezepte gibt, sondern dass eine milieudifferenzierte Betrachtungsweise dringend erforderlich ist. Selbst die allgemein geschätzten städtebaulichen Leitbilder wie soziale Mischung, die Stadt der kurzen Wege oder scheinbar allgemein geteilte Ansätze wie flexible Mehrfachnutzungen oder die städtebauliche Verdichtung werden nur bei einzelnen Milieus auf Akzeptanz stoßen, während andere gleichgültig oder sehr stark ablehnend reagieren werden. Es wird somit darauf ankommen, die abstrakten Zielvorstellungen der Stadtpolitik den spezifischen lokalen Konstellationen sensibel anzupassen. Wichtig ist dies sowohl im Hinblick auf konkret umzusetzende städtebauliche Maßnahmen als auch hinsichtlich der gewählten Kommunikationsformen, um die angesprochenen Milieus tatsächlich zu erreichen. Speziell für die Wohnungswirtschaft und die Wohnungspolitik ist die qualitative Wohnungsmarktbeobachtung ein viel versprechender Ansatz. Hierbei werden mit Hilfe der Mikrogeografie - unter Beachtung datenschutzrechtlicher Vorgaben - kleinräumige Segmentierungsmodelle entwickelt, die es erlauben, in kleinen räumlichen Einheiten verlässliche Informationen über deren milieudifferenzierte Zusammensetzung zu erhalten.43 Interessant wäre dabei, ob es gelingt, eine auf verschiedene Quartierstypen differenzierte Darstellung der dort jeweils auftretenden Milieus zu erhalten. Ziel sollte es sein, in einem insgesamt eher gesättigten Markt kleinräumig spezifische Bedarfe zu erkennen, um möglichst Fehlinvestitionen durch nicht bedarfsgerechte Bau- oder Modernisierungsaktivitäten zu vermeiden. Ein milieuorientiertes Vorgehen hilft dabei, neben rein quantitativen auch qualitative Anforderungen zu befriedigen, bieten doch reine Bevölkerungsstrukturdaten hier in aller Regel keine Anhaltspunkte. 43 Schmals/Wolff 2003. 216

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5.7.2 Milieuorientierte Stadtpolitik - Handlungsempfehlungen Neben der Qualität und der Preisstruktur des vorhandenen Wohnungsangebotes gehören Wohnumfeld- und Freizeitqualitäten für private Haushalte zu den bedeutsamsten Entscheidungsfaktoren bei der Wahl eines Wohnstandortes. Die Wertigkeit einer Wohnung wird seit jeher vorrangig durch die räumliche Lage bestimmt, da dieser Faktor kaum durch bauliche Maßnahmen zu beeinflussen ist. In ihm bündeln sich Erreichbarkeiten von Einkaufsmöglichkeiten, Verkehrsmitteln, sozialen Netzwerken, gesundheitlichen und sozialen Dienstleistungseinrichtungen. Hinzu kommt die zunehmend wichtigere Qualität von Schulen, Nachbarschaften, Spielmöglichkeiten, öffentlichen Räumen und Grünflächen. Diese vielschichtigen Raumqualitäten werden aber nicht von allen Haushalten in gleicher Weise beurteilt, weil sich auch die Bevölkerung ständig und von Ort zu Ort in besonderer Weise ausdifferenziert. Vor diesem Hintergrund erscheint es unabdingbar, eine milieuorientierte Politik für Städte in Nordrhein-Westfalen auf allen Ebenen urbaner Lebenswelt zu verankern. Eine milieudifferenzierte Stadtpolitik ist keineswegs ohne Voraussetzungen, sondern bedarf der Berücksichtigung einiger zentraler strategischer Grundsätze, wenn sie dem mit ihr verbundenen Anspruch gerecht werden möchte. Hierzu zählt in erster Linie, dass die Abgrenzung und Identifizierung einzelner Milieus sorgfältige Analysen erfordert. Diese müssen Aussagen über die spezifischen Ausprägungen und die Charakteristika der untersuchten Milieus enthalten. Nur auf der Grundlage soliden Wissens über vorhandene Milieus ist milieuorientiertes Handeln überhaupt denkbar. Zu berücksichtigen ist auch, dass Milieus kontinuierlichen Wandlungsprozessen unterliegen, auf die sich die Beobachtung und Analyse einstellen muss. Milieus können sich überall dort bilden, wo Menschen mit ähnlichen Interessen, Lebensstilen, Werteorientierungen und Normen in Interaktion treten. Sie lagern sich folglich an den unterschiedlichsten Bereichen des Alltags an. Hieraus folgt, dass sich weder eine Milieuanalyse noch eine milieudifferenzierte Stadtpolitik ausschließlich auf einzelne dieser Bereiche fokussieren, sondern für unterschiedliche Orte und Verläufe der Milieubildung offen sein sollte. Die oben beschriebenen milieuspezifischen Präferenzen können daher allenfalls ein erster Ansatz für milieuorientierte Wohnumfeldgestaltung sein. Neben einer Milieuanalyse ist eine Rückkopplung mit den Betroffenen vor Umsetzung der sich anbietenden Maßnahmen erforderlich, um nicht auf Pauschalbetrachtun217

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gen basierende Fehlinvestitionen zu tätigen oder unerwünschte Wanderungsbewegungen zu provozieren. Milieuorientierte Stadtpolitik empfiehlt sich damit insgesamt als ein interessanter Ansatz für zielgruppengenaue Konzepte. Aufgrund der zurzeit noch sehr aufwändigen qualitativen und quantitativen Untersuchungserfordernisse erscheint ein flächendeckender Einsatz dieser Vorgehensweise jedoch noch nicht leistbar. Es bleibt zu hoffen, dass mit dem vhw-Projekt „Nachfrageorientierte Wohnungspolitik“ der Einstieg gelingt.

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B6 Wohnungsmärkte im Spannungsfeld regionaler und gesellschaftlicher Differenzierungen

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Entwicklung der Wohnungsmärkte in Nordrhein-Westfalen

Die Versorgung breiter Schichten der Bevölkerung mit Wohnraum ist in den letzten Jahrzehnten - nicht zuletzt durch den Einsatz der öffentlichen Wohnungsbauförderung - kontinuierlich verbessert worden. Das eigentliche Mengenziel der Wohnungsbaupolitik ist somit weitgehend erreicht. Der Bundesgesetzgeber hat deshalb im Jahr 2001 mit dem Wohnraumförderungsgesetz diejenigen Personen als Zielgruppen der Wohnraumförderung bestimmt, die sich auf dem Wohnungsmarkt nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können. In Nordrhein-Westfalen haben derzeit knapp 102.000 Haushalte Marktzugangsschwierigkeiten.1 Der Wohnungsmarkt in Nordrhein-Westfalen hat in den letzten zehn Jahren mehrfach einen erheblichen Wandel erfahren. Gegen Ende der 1980er Jahre war die Situation durch eine weitgehende Entspannung gekennzeichnet. Nach der Wiedervereinigung führten die Zuzüge aus den neuen Bundesländern und die Zuwanderung vor allem aus Osteuropa zu einer Verschärfung der Versorgungslage. 1992 erreichte das Wohnungsdefizit mit 450.000 Wohneinheiten einen

1

Vgl. Wfa NRW 2002a, S. 22. 221

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Höhepunkt. Die rasch nachlassende Zuwanderung, eine relativ hohe Wohnungsbautätigkeit und eine Abnahme der Bevölkerungsdynamik vor allem in den Großstädten haben erneut zu einer Entspannung geführt.2 Einen Bauboom erlebten insbesondere der Niederrhein, das Münsterland sowie die Kreise Gütersloh, Paderborn und Soest. Im Ruhrgebiet und den Städten der Rheinschiene wurden im Vergleich weniger Wohnungen gebaut.3 Mit 178.000 fehlenden Wohnungen im Jahr 2002 wurde seit 15 Jahren das geringste Wohnungsdefizit erreicht.4 Die aktuelle Expertenbefragung der Wohnungsbauförderungsanstalt NordrheinWestfalen (WfA) zeigt in fast allen Regionen einen ausgewogenen, teilweise entspannten Wohnungsmarkt mit Ausnahme der Rheinschiene. 65 Prozent der Experten bewerten hier das untere, 50 Prozent das preisgebundene Segment und 29 Prozent den Eigenheimsektor als angespannt bis sehr angespannt.5

Entwicklung der Bevölkerung und der Haushalte Die wechselhafte Entwicklung des Wohnungsmarktes in Nordrhein-Westfalen während der letzten 15 Jahre verdeutlicht seine Abhängigkeit von der Einwohnerzahl. Der bereits seit Mitte der 1980er Jahre vor allem in den Großstädten anhaltende negative Saldo bei der natürlichen Bevölkerungsentwicklung wurde bis Anfang der 1990er Jahre durch Zuwanderung kompensiert, gewinnt aber seit Mitte der 1990er Jahre wieder an Bedeutung und wird sich in den kommenden Jahren weiter fortsetzen. Durch die Stadtumlandwanderung wird die Entwicklung in den Ballungskernen zusätzlich verstärkt, während die Umlandgemeinden vor allem im ländlichen Raum davon profitieren (siehe dazu auch die Analysen zur demografischen Entwicklung und der Stadtumlandwanderung in den Kapiteln B2 und B4). Die Entwicklung des Wohnungsbedarfs ist jedoch weniger von der Einwohnerzahl als von der Zahl der Haushalte und der Abgänge aus dem Wohnungsbe-

2

Wfa NRW 2002d, S. 12.

3

Wfa NRW 2002b, S. 5.

4

Wfa NRW 2002d, S. 34. Das Eduard Pestel Institut für Systemforschung, das eine Wohnungsmarktprognose im Auftrag der LBS Westdeutsche Landesbausparkasse durchgeführt hat, kommt nach eigenen Berechnungen für 2001 hingegen zu einem Überhang von 85.000 Wohneinheiten (Möller/Günther 2003, S. 19f).

5

Wfa NRW 2003a, S. 16.

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Wohnungsmärkte

40,0 in Prozent 35,0 30,0 25,0 20,0 15,0 10,0 5,0 0,0 1987 1988

1989 1990

Einpersonenhaushalte

1991

1992

1993

Zweipersonenhaushalte

1994

1995

1996

1997

Dreipersonenhaushalte

1998

1999

2000

2001

2002

Vier-und Mehrpersonenhaushalte

Abb. 1: Entwicklung der Haushalte nach Größenstruktur 1988 bis 2002 Angaben: Anteil der Haushalte in Prozent (Mikrozensus) Quelle: LDS NRW

stand abhängig. In den letzten Jahrzehnten konnte aufgrund der Veränderungen in den Haushaltsstrukturen auch in Nordrhein-Westfalen ein stetiger Anstieg der Haushaltszahlen festgestellt werden. Von 7,180 Millionen im Jahr 1987 stieg die Zahl der Haushalte bis zum Jahr 2002 auf 8,447 Millionen.6 Der seit Jahrzehnten anhaltende Trend zu immer kleineren Haushalten setzt sich auch im bevölkerungsreichsten Bundesland weiter fort. Die Zahl der in einem Haushalt lebenden Personen sank von 2,5 im Jahr 1980 auf durchschnittlich 2,14 in 2002.7 Hinter dieser Entwicklung verbirgt sich die deutliche Zunahme der Ein- und Zweipersonenhaushalte (Abb. 1). Trotz einer gewissen Bandbreite in den Annahmen der Bevölkerungsentwicklung, gehen die Wohnungsmarktprognosen insgesamt von einer Steigerung der Haushaltszahlen für Nordrhein-Westfalen zwischen 2,5 und 4,7 Prozent bis zu den Jahren 2014 bzw. 2015 aus.8 Abhängig vom persönlichen Lebensstil, von der Familien- und der Altersstruktur zeigen sich bei einer regionalen Betrachtung ebenfalls merkliche Unterschiede (vgl. Abb. 2). Die kleinsten Haushalte finden sich in den Ballungsräumen an Rhein und Ruhr sowie in der Region Biele-

6

Wfa NRW 2003c, S. 6.

7

LDS NRW.

8

Vgl. Möller/Günther 2003; BBR 2001b; Veser/Jaedicke/Höß 2001. 223

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Abb. 2: Regionale Veränderungen der Haushaltsgrößen 1992 und 2001 Angaben: durchschnittliche Haushaltsgröße nach Anzahl der Personen Quelle: Wfa NRW 224

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feld. Es wird deutlich, dass sich im Zeitverlauf die Umlandräume den Haushaltsstrukturen der Kernzonen ebenfalls anpassen. Die Entwicklung der Haushaltszahlen und -größen hat unmittelbaren Einfluss auf die quantitative und qualitative Wohnraumnachfrage; dies gilt insbesondere für Größe, Grundriss, Ausstattung und Lage der Wohnung. Dem instabilen, sich kontinuierlich wandelnden und zudem auch noch dem jeweiligen Lebensstil unterliegenden Nachfrageverhalten steht eine zwangsläufig nur mit Zeitverzögerung handelnde Angebotsseite gegenüber.

6.1.1 Entwicklung der Angebotsseite Wohneigentum Das Wohneigentum hat in der Bevölkerung einen hohen Stellenwert.9 In Umfragen wünschen sich regelmäßig 80 bis 90 Prozent der Befragten das Wohnen in den eigenen vier Wänden.10 Allerdings gibt es einen deutlichen Unterschied zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Nicht jeder ist in der Lage, Wohneigentum zu bilden. Dies ist nicht nur auf die nach wie vor problematische Wirtschaftslage, sondern auch auf die damit verbundene Verunsicherung in der Zukunftsplanung großer Teile der Bevölkerung zurückzuführen. Mit einer Eigentumsquote von 41 Prozent im Jahr 2001 verzeichnet die Bundesrepublik einen sehr niedrigen Wert in Europa. In Großbritannien, Belgien, Irland und Spanien liegen die Quoten zwischen 69 und 82 Prozent. Selbst die Niederlande haben eine Selbstnutzerquote von 51 Prozent. Demgegenüber weisen die Länder mit umfangreichen sozialen Sicherungssystemen eher niedrigere Eigentumsquoten auf, so liegt sie in der Schweiz beispielsweise bei 31 Prozent.11 In Nordrhein-Westfalen ist die Wohneigentumsquote traditionell besonders niedrig. Für 2002 weist das Land mit 39 Prozent von den westdeutschen Flächenländern das niedrigste Niveau auf. Die Menschen leben in verdichteten städtischen Räumen, vor allem der Ballungsraum Ruhrgebiet findet in Europa kaum vergleichbare Strukturen. Die Eigenheimquote ist daher eher mit denen der Stadtstaaten zu vergleichen: Bremen 35,1 und Hamburg 21,9 Prozent.12 9

Weder in der Bautätigkeits- noch der Wohnungsbestandsstatistik ist eine eindeutige Unterscheidung zwischen vermieteten und selbstgenutzten Wohnraum möglich. So werden Gebäude mit ein oder zwei Wohnungen als Eigenheime definiert, unabhängig von der Tatsache, dass die Zahl der vermieteten Objekte zunimmt. Ebenso wird selbstgenutztes Eigentum im Geschosswohnungsbau als Mietwohnungen gerechnet (Wfa NRW 2002c, S. 13).

10 Faller/Braun/Heyn/Pfeiffer 2001, S. 19. 11 BMF 2002, S. 53. 12 Angaben Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung vom 30. Juli 2003. 225

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In Folge der industriellen Vergangenheit und der anhaltenden Zuwanderung bestand eine starke Nachfrage nach Wohnraum. Daher lag der Schwerpunkt lange Zeit im Geschosswohnungsbau (hier weitgehend Mietwohnungsbau), vor allem in den Großwohnsiedlungen der 1960er und 1970er Jahre. Der inzwischen erhebliche Verstädterungsgrad, veraltete Wohnungsbestände, Defizite in der Wohnumfeldqualität, eingeschränkte Baulandangebote und damit einhergehende hohe Baulandpreise begünstigen die Suburbanisierung. Vor diesem Hintergrund erklärte die nordrhein-westfälische Landesregierung im Landesplanungsbericht 2001 den Eigenheimbau in den Ballungsräumen an Rhein und Ruhr als zentrales Instrument einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung.13

Entwicklung der Bautätigkeit Die überwiegend entspannten Wohnungsmärkte und die verbreitete Unsicherheit innerhalb der Bevölkerung bleiben nicht ohne Auswirkungen auf den Wohnungsneubau und damit auf die Bauwirtschaft. Wurden im Jahr 1995 noch rund 94.500 Wohnungen gebaut, gingen die Fertigungszahlen bis 2002 auf fast die Hälfte zurück (vgl. Abb. 3). Der Rückgang trifft sowohl den Bau von Ein- und Zweifamilienhäusern als auch den Geschosswohnungsbau. Insbesondere beim Geschosswohnungsbau setzte sich der Abwärtstrend der vergangenen Jahre deutlich fort. Die Entwicklung der Baugenehmigungen verläuft hierzu parallel. Seit 1995 verringerte sich ihre Zahl bis zum Jahr 2002 schrittweise auf etwa die Hälfte. Mit Vorsicht sind die Zahlen für 2003 zu werten. Angesichts der Diskussionen über den Wegfall der Eigenheimzulage, die schließlich in eine Kürzung der Eigenheimzulage mündeten, sind die Bauanträge und Genehmigungen im Eigenheimbereich sprunghaft angestiegen. Es ist anzunehmen, dass dieser Aufschwung nur von kurzer Dauer ist. Die Zahlen sind von deutlichen Vorzieh- bzw. Mitnahmeeffekten geprägt.

Ein- und Zweifamilienhäuser Nach Jahren des Eigenheimbooms schlägt sich der Einbruch bei der Bautätigkeit auch auf den Bau von Ein- und Zweifamilienhäusern nieder. Nach einer Stagnation des Anstiegs in den Jahren 1999 und 2000 wurden in den beiden Folgejahren wieder deutlich weniger Häuser fertiggestellt (vgl. Abb. 4). Während im Jahr 2001 vor allem der ländliche Raum einen hohen Einbruch verzeichnete, hat sich hier 2002 die Abnahme deutlich abgeschwächt. In den Ballungskernen

13 Chef der Staatskanzlei 2001, S. 62. 226

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Wohnungsmärkte

120.000 100.000 80.000 60.000 40.000 20.000 0 1992 1993

1994 1995

1996

1997

1998

1999

2000

2001

2002

Fertigstellungen

Genehmigungen

fertiggestellte Geschosswohnungen

fertiggestellte Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäuser

Abb. 3: Entwicklung der Bautätigkeit 1992 bis 2002 Quelle: Wfa NRW

16.000 14.000 12.000 10.000 8.000 6.000 4.000 2.000 0 1992 1993

1994 1995

Ballungskern

1996

1997

1998

Ballungsrand

1999

2000

2001

2002

Ländlicher Raum

Abb. 4: Baufertigstellungen Ein- und Zweifamilienhäuser nach Siedlungstypen 1992 bis 2002 Quelle: Wfa NRW

setzt sich der Rückgang weiterhin fort. Aufgrund der Diskussionen um die Zukunft der Eigenheimzulage stieg die Zahl der Baugenehmigungen insgesamt im Jahr 2002 hingegen wieder um 6,8 Prozent.14

14 Wfa NRW 2003c, S. 16; für das erste Halbjahr 2003 wird sogar eine Steigerung von 46,7 Prozent verzeichnet. 227

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Die Wfa sieht in der aktuellen Entwicklung das vorläufige Ende des Eigenheimbooms der späten neunziger Jahre.15 Demgegenüber vertritt das Rheinisch Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) die These, dass der Trend zum Eigenheim sich fortsetzen wird.16 Tatsächlich ist eine Prognose schwierig. Aufgrund des ausgeprägten Wunsches nach Eigentum geht auch das Pestel Institut in seiner Prognose davon aus, dass der Neubaubedarf bis 2015 überwiegend im Bereich des Ein- und Zweifamilienhausbaus gedeckt wird.17 Als weiterer wesentlicher Einflussfaktor verharren hingegen die Grundstückpreise unverändert auf einem hohen Niveau. Ebenfalls könnte der entspannte Mietwohnungsmarkt den Druck zugunsten des Eigenheimbaus senken. Die demografische Entwicklung in Nordrhein-Westfalen spricht eher für eine vorsichtige Einschätzung bei der Nachfrage nach Ein- und Zweifamilienhäusern. Zwar steigt die Zahl der Haushalte bis 2015 weiter an, aber vor allem bei Einund Zweipersonenhaushalten. Die auf den Wohnungsmärkten aktiven Haushalte jüngeren und mittleren Alters werden in der näheren Zukunft erheblich abnehmen.18 Die anhaltende Stadtumlandwanderung ist nicht generell ein Beleg für eine wachsende Nachfrage nach Ein- und Zweifamilienhäusern. Nach den kommunalen Befragungen liegt der Anteil der Haushalte, die im Umland in Eigentum ziehen je nach Kommune zwischen 24 und 46 Prozent; zwischen 34 und 61 Prozent ziehen dabei sogar in den Geschosswohnungsbau (Mietwohnungen und Eigentumswohnungen).19

Geschosswohnungsbau Im Jahr 2002 hat sich der Abwärtstrend der Fertigstellungen im Geschosswohnungsbau der letzten Jahre fortgesetzt (vgl. Abb. 5). Besonders spürbar war der Rückgang in den Ballungskernen. Im ländlichen Raum schwächte sich die negative Entwicklung hingegen deutlich ab. Im Gegensatz zu den Ein- und Zweifamilienhäusern sank die Zahl der Baugenehmigungen für Geschosswohnungen weiter. Diese Entwicklung schlägt sich vor allem in den Ballungskernen mit einem Minus von 28,7 Prozent nieder, während in den Ballungsrändern und im ländlichen Raum der Rückgang mit 1,6 bzw. 1,1 Prozent eher stagniert. Die Genehmigungszahlen bis zum Juni 2003 zeigen jedoch erstmalig eine positive Entwicklung mit einem Plus von 6,5 Prozent.20 15 Wfa NRW 2002c, S. 14. 16 Janßen-Timmen/von Loeffelholz/Moos 2001, S. 10. 17 Möller/Günther 2003, S. 83. 18 Bucher/Schlömer 2003, S. 13. 19 Siehe Übersicht in ILS NRW 2002a, S. 12. 20 Wfa NRW 2003c, S. 18f. 228

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Wohnungsmärkte

16.000 14.000 12.000 10.000 8.000 6.000 4.000 2.000 0 1992 1993

1994 1995

Ballungskern

1996

1997

1998

Ballungsrand

1999

2000

2001

2002

Ländlicher Raum

Abb. 5: Baufertigstellungen Geschosswohnungen nach Siedlungstypen 1992 bis 2002 Quelle: Wfa NRW

Die Entwicklung des Geschosswohnungsbaus hängt ganz wesentlich vom Investitionsklima und der Renditeerwartung ab. Nach der Befragung der Wfa im Frühjahr 2002 erwarten 90 Prozent der Experten für die kommenden Jahre ein schlechtes bis sehr schlechtes Investitionsklima.21 Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage und den allgemeinen Entwicklungen beim preisgebundenen Wohnungsbau ist eine rasche Veränderung des Investitionsklimas nicht zu erwarten. Die Beurteilung der jeweiligen Wohnungsmarktsituation hängt nicht zuletzt von der Entwicklung eventueller Leerstände ab. Die Leerstandsquote ist von 2,7 Prozent im Jahr 2001 auf 1,7 Prozent im Jahr 2002 gesunken.22 1996 lag die Quote noch bei 0,2 Prozent.23 Ein Blick in die einzelnen Regionen zeigt, dass es auch hier erhebliche Unterschiede gibt. Während die Leerstandsquoten im Münsterland, im südwestlichen Rheinland, an der Rheinschiene und am Niederrhein unter einem Prozent liegen, fallen die Werte im Ruhrgebiet und in Südwestfalen mit 1,8 und 2,6 Prozent schon sichtbar höher aus.24 Seitens des Wohnungsbauministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen werden in vielen Ruhrgebietsmetropolen schon wesentlich höhere Leerstandsquoten - teilweise bis

21 Wfa NRW 2002d, S. 44. 22 Wfa NRW 2003c, S. 28. 23 Wfa NRW 2002d, S. 40. 24 Wfa NRW 2002c, S. 33. 229

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zu zehn Prozent - befürchtet.25 Ebenso teilt die Wfa mit, dass es immer weniger Unternehmen gibt, die überhaupt nicht mit Leerständen konfrontiert sind.26 Angesichts der großen Altbestände im Geschosswohnungsbau in den Ballungsräumen und deren eingeschränkte Wohnqualität wird die Zukunft in einer verstärkten Modernisierung bis hin zum Rückbau liegen, teilweise im Zusammenhang mit der Notwendigkeit des Stadtumbaus. Bei der hohen Verdichtung und entsprechend hohen Baulandpreisen wird es in Nordrhein-Westfalen zwangsläufig einen Bedarf an Wohnungen in Mehrfamilienhäusern geben. Auch die zunehmende Zahl der Single- und Zweipersonenhaushalte spricht dafür. Es gibt eine wachsende Gruppe von Personen, die die Vorteile des urbanen Lebens schätzen. Gleichzeitig zeichnet sich ein neuer Trend zur Rückwanderung in die Stadt im Alter ab.27 Allerdings stellen beide Gruppen erhebliche Anforderungen an die Qualität der Wohnungen und des Wohnumfeldes. Insgesamt wird das aktuelle Investitionsklima bei der Bestandsverbesserung von den Experten als eher gut eingestuft.28

Preisgebundener Wohnungsbau Ende 2002 umfasste der Bestand an Sozialwohnungen in Nordrhein-Westfalen insgesamt 1,102 Millionen Wohneinheiten (alle Förderwege). Davon befindet sich mit rund 453.700 Wohnungen der größte Anteil im Ruhrgebiet.29 Der preisgebundene Wohnungsbestand nimmt sowohl im Bereich des selbstgenutzten Wohneigentums als auch bei den Mietwohnungen kontinuierlich ab (vgl. Abb. 6). Noch Anfang der 1990er Jahre betrug der Anteil der Wohnungen mit Belegungsbindungen am gesamten Wohnungsbestand in Nordrhein-Westfalen rund 20 Prozent, bis zum Jahr 2002 ging der Anteil auf 14 Prozent zurück.30 Die Struktur des gesamten preisgebundenen Wohnungsbestandes wird von Mietwohnungen dominiert, nur 14 Prozent entfallen auf den Eigentumsbereich. Der bisherige Erste Förderweg stellte am Ende des Jahres 2002 mit 1,029 Millionen Wohnungen den Schwerpunkt der Förderung. Auf den Zweiten und Dritten Förderweg entfallen im Jahr 2002 jeweils rund 70.000 bzw. 2.500 Wohnungen.31 25 Krupinski 2002, S. 185. 26 Vgl. Wfa NRW 2003c, S. 28. 27 Möller/Günther 2003, S. 69. 28 Wfa NRW 2003a, S. 21. 29 Wfa NRW 2003b, S. 46. 30 Wfa NRW 2003b, S. 46. 31 Wfa NRW 2003b, S. 46f. 230

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Wohnungsmärkte

1.200.000 1.000.000 800.000 Prognose 600.000 400.000 200.000 0 1992

1993 1994

1995

1996

Selbst genutztes Wohneigentum

1997 1998

1999

2000

Mietwohnungen

2001

2002

2004

2008

2009

2019

Nordrhein-Westfalen gesamt

Abb. 6: Preisgebundener Wohnungsbestand in der Darlehensverwaltung Angaben: Anzahl der Wohnungen am 31. Dezember des Jahres Quelle: Wfa NRW

Im Zeitraum zwischen 1992 und 2001 ist der Mietwohnungsbestand im Ersten Förderweg um 27 Prozent zurückgegangen. Vor allem in den Ballungskernen an Rhein und Ruhr sind Rückgänge um 33 Prozent zu verzeichnen. Demgegenüber hat die Zahl der Sozialwohnungen in den ländlichen Regionen um über zehn Prozent zugenommen.32 In den nächsten Jahren wird sich der Bestand insgesamt weiter deutlich reduzieren. Bis zum Jahr 2009 wird nach Prognosen der Wfa durch den Wegfall von Belegungsbindungen die Zahl von Mietwohnungen im Ersten Förderweg um ca. 440.000 Wohnungen abnehmen. Im Jahr 2019 macht der Mietwohnungsbestand dann nur noch die Hälfte des heutigen Bestandes aus. Dies hat zur Folge, dass die verbleibenden Bestände eine bedeutendere Rolle für die Versorgung der Zielgruppen des sozialen Wohnungsbaus und für die jeweilige kommunale Wohnungspolitik einnehmen werden.33 Der abnehmende Sozialwohnungsbestand führt in Verbindung mit der wieder leicht steigenden Zahl wohnungssuchender Haushalte dazu, dass es für Berechtigte zunehmend schwieriger wird, eine preisgebundene Wohnung zu finden. Die Zahl der suchenden Haushalte stagnierte 2002 mit 102.400 weiterhin auf einem hohem Niveau. Von den landesweit auf rund 3,4 Millionen im Sinne des Wohnraumförderungsgesetzes hochgerechneten berechtigten Personen sind vor allem Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund, Dauerarbeitslose, kinderreiche Familien und Alleinerziehende betroffen, die nach wie vor

32 Wfa NRW 2002a, S. 20f. 33 Arbeitskreis „Wohnungswirtschaftliche und soziale Situation in hochverdichteten Sozialwohnungsbeständen in NRW“ 1999. 231

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Zugangsprobleme zum Wohnungsmarkt haben.34 Nach der Expertenbefragung der Wfa hält bereits ein Drittel der Befragten die Lage im preisgebundenen Segment für angespannt.35

Baulandmärkte Angebot und der Preis des Baulands sind wichtige Einflussfaktoren für die Bautätigkeit und in der Konsequenz auch für die Entwicklung der Wohnungsmärkte. Das Bauflächenangebot ist zunächst weitgehend von den Entscheidungen der Kommunen abhängig. Darüber hinaus wird es durch die Vorgaben der Landesplanung, hier insbesondere durch die Gebietsentwicklungsplanung gesteuert. Im Jahr 2002 wurden in Nordrhein-Westfalen mit 4.855 baureifen Grundstücken erstmals wieder mehr Grundstücke gegenüber dem Vorjahr veräußert. Dennoch liegt diese Zahl weit unter den Ergebnissen der 1990er Jahre, in denen im Mittel 11.000 Grundstücke verkauft wurden. Mit über 45 Prozent fanden die meisten Gründstücksverkäufe in den Mittelstädten statt. In den Kleinstädten mit 10.000 bis 20.000 Einwohnern war 2002 ein Anstieg um 27,3 Prozent, in Gemeinden bis 10.000 Einwohnern sogar um 39,4 Prozent zu verzeichnen.36 Im Durchschnitt lag der Quadratmeterpreis für baureifes Land im Jahr 2002 bei 114 Euro. Damit stagniert das bis Ende der 1990er Jahre schrittweise angestiegene Baulandpreisniveau seit drei Jahren. Die Preise für Grundstücke im Einund Zweifamilienhausbau haben sich in fast allen Gemeinden des Landes erhöht (vgl. Abb. 7). Zwischen den Ballungsräumen und dem ländlichen Raum gibt es jedoch ein erhebliches Gefälle sowohl im Preisniveau als auch in der Preisdynamik. Im ländlichen Raum steigen die Grundstückspreise überdurchschnittlich. Die höchsten Steigerungen weisen die Regionen um die solitären Kerne Münster, Paderborn und Bielefeld auf. Ebenso verzeichnen die Suburbanisierungsbereiche um die Zentren Düsseldorf und Köln hohe Preiszuwächse. Nach wie vor ist das regionale Niveau der Bodenpreise sehr unterschiedlich. In den Kommunen unter 10.000 Einwohnern sind die Baulandpreise zwischen 1995 und 2002 um 49,6 Prozent auf 64 Euro gestiegen. Teilweise kann in den ländlichen Regionen das Preisniveau sogar unter 30 Euro liegen. In Städten mit mehr als 100.000 Einwohnern stieg der Kaufwert im Mittel lediglich um 14,4 Prozent auf 216 Euro. Im Ballungsraum an der Rheinschiene ist das Preisniveau besonders hoch. Neben München gehört Düsseldorf mit 430 Euro pro Quadrat-

34 Wfa NRW 2003b, S. 18f. 35 Wfa NRW 2003a, S. 15. 36 Wfa NRW 2003c, S. 11. 232

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Wohnungsmärkte

Abb. 7: Bodenpreisentwicklung Grundstücke für Ein- und Zweifamilienhäuser 1998 bis 2002 Quelle: Oberer Gutachterausschuss, Wfa NRW

meter im bundesweiten Vergleich zu den teuersten Wohnstandorten und bildet für mittlere Wohnlagen die Spitze, gefolgt von Köln mit 315 Euro pro Quadratmeter. Für die Zukunft geht die Wfa davon aus, dass die Preise im ländlichen Raum weiter ansteigen werden, zumal das Ausgangsniveau dort deutlich niedriger ist als in den Ballungsräumen.37 Hier wird der im Zuge der Suburbanisierung zu beobachtende „Reifeprozess“ des Stadtumlandes nachvollzogen (siehe dazu die Ausführungen in Kapitel B4).

37 Wfa NRW 2002c. 233

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Das deutlich höhere Preisniveau in den Ballungsräumen beruht zum einen auf dem geringeren Baulandangebot, zum anderen aber auch auf den höheren Infrastrukturkosten einer Großstadt. Viele Umlandgemeinden bieten zwar preiswerte Flächen, überlassen aber die Versorgung ihrer neuen Einwohner z.B. durch Schulen und kulturelle Einrichtungen weiterhin der Kernstadt. Der Mangel an preiswertem Bauland hat im Wesentlichen zwei Gründe. Erstens wurde über Jahre eine zurückhaltende Baulandpolitik betrieben. Es mangelt selbst heute nicht an Forderungen, das Baulandangebot noch weiter zu drosseln.38 Vor allem die Flächen für Eigenheime und hochwertigen Geschosswohnungsbau reichen nicht aus, die Nachfrage zu decken. Ein enger Bodenmarkt wirkt im Rahmen der Suburbanisierung somit als Push-Faktor: Viele junge Familien und „Aufsteiger“ sind durch das Preisniveau überfordert und gehen den Städten verloren. Nicht selten wurde auch der Versuch gemacht, durch eine entsprechende Preisgestaltung kommunale Haushaltspolitik zu betreiben. Das gilt zum Teil bis heute z.B. in Regionen des Münsterlands.39 Gerade im Ruhrgebiet gibt es Städte wie z.B. Herne oder Essen, die kaum noch über ungenutzte Flächen für den Wohnungsbau verfügen. Sind Freiflächen vorhanden, verbietet sich häufig deren bauliche Nutzung, da sonst die Wohnqualität des Umfeldes durch Nachverdichtung weiter sinkt. Dagegen prägen Industriebrachen, Konversionsflächen und nicht mehr nachgefragte Wohnsubstanz mit erheblichen Leerständen das Bild. Flächen sind zwar vorhanden, die enormen Kosten für Abriss, Altlastenbeseitigung und Sanierung sind durch die Kommunen jedoch allein nicht tragbar. Für die Wohnungswirtschaft stehen diese Flächen aufgrund der hohen Aufbereitungskosten außer Konkurrenz.40 Bei größeren Arealen sind Kommunen und kleine Wohnungsbauunternehmen mit der Gebietsentwicklung und dem Marketing überfordert. Aufgrund der innerstädtischen Flächenpotenziale, sinkender Einwohnerzahlen, der sich abzeichnenden Sättigung von Wohnungsteilmärkten und der inzwischen deutlichen Urbanisierung des Ballungsrandes plant die Landesregierung bei der anstehenden Novelle der Landesplanung, den Freiflächenverbrauch im Sinne einer nachhaltigen Raumordnung insgesamt deutlich zu begrenzen.41 Sie begründet diesen Schritt mit dem nach wie vor zu hohen Freiflächenverbrauch in Deutschland von täglich 117 Hektar.42 Die geplante Rückführung des Wachstums ist - trotz weitgehendem Konsens über eine Reduzierung des Freiflächen38 Aring 1999, S. 20. 39 Badde 2002, S. 59f. 40 Möller/Günther 2003, S. 98. 41 Chef der Staatskanzlei 2001. 42 Statistisches Bundesamt, Pressemitteilung vom 30. Juli 2003. 234

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Wohnungsmärkte

verbrauchs - Gegenstand heftiger Diskussionen. Es wird befürchtet, dass eine undifferenziertes Reglementierung den Entwicklungschancen des ländlichen Raums entgegenstehen könnte. Darüber hinaus werden drastische Preissteigerungen und Bodenspekulationen befürchtet.43

Mieten und Nebenkosten Die Wohnungsmiete ist neben der Bevölkerungsentwicklung, der Zahl der Haushalte und dem Baulandaufkommen ein weiterer wesentlicher Faktor für den Wohnungsmarkt. Mieten sind der wichtigste Ausgabeposten der privaten Haushalte und beeinflussen somit den individuellen Lebensstandard erheblich. Nach dem Mietenindex des LDS stiegen die Bestandsmieten im Zeitraum 1990 bis 2001 um 44 Prozent. Auf die Phase von 1990 bis 1995 mit verstärkter Zuwanderung entfallen davon 28,4 Prozent. Im Zusammenhang mit der allgemeinen Entspannungstendenz sanken die Neuvertragsmieten ab dem Jahr 1995 hingegen auf breiter Front. Insbesondere in Südwestfalen, im Münsterland sowie im nördlichen und östlichen Ruhrgebiet ist seit 1996 eine Stagnation oder ein Rückgang der Mietkosten erkennbar.44 Für 2002 verzeichnete die Wfa nur noch in Köln und in Bielefeld einen Anstieg. In Düsseldorf sanken die Mieten erstmals auf das Niveau vom Herbst 2001. Bei sinkenden Haushaltseinkommen erhöhte sich trotz stagnierender Mieten die Wohnkostenbelastung gegenüber dem Vorjahr um einen halben Prozentpunkt auf 28,5 Prozent.45 Darüber hinaus haben sich die Mietnebenkosten zu einer zweiten Miete entwickelt, die jährlich ansteigt. Inzwischen liegt die Entwicklung der Nebenkosten mit 51,2 Prozent auf Rang Eins der aktuellen Probleme auf dem Mietwohnungsmarkt in der jährlichen Expertenbefragung der Wfa.46

6.1.2 Differenzierung der Wohnungsnachfrage Entwicklung neuer Zielgruppen Die Prognosen zur Bevölkerungs- und Haushaltsentwicklung zeigen, dass der traditionelle Familienhaushalt - die typische Musterfamilie mit Vater, Mutter und

43 Schink 2002, S. 55. 44 Neuvertragsmieten nach Auswertung der Inserate in den örtlichen Tageszeitungen (Wfa NRW 2002e, S. 8ff.). 45 Wfa NRW 2003c, S. 31ff. 46 Wfa NRW 2003a, S. 17f. 235

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zwei Kindern - immer weniger gelebte Realität ist. Für die Wohnungsmärkte hat dies erhebliche Auswirkungen. Die Wohnung, die weitgehend auf die Bedürfnisse einer Familie mit Kindern ausgerichtet ist, entspricht immer weniger der Nachfrage. Durch den gesellschaftlichen Wertewandel, der von einer zunehmenden Individualisierung und gleichzeitigen Pluralisierung von Lebensstilen geprägt ist, entstehen neue Haushaltsformen, die differenzierte Anforderungen an die Wohnungswirtschaft stellen. Besonders deutlich ist der auch in Zukunft weiter anhaltende Trend zu Single- und Zweipersonenhaushalten, der auf die Veränderung der Altersstruktur und die Singularisierung zurückzuführen ist (siehe dazu die Ausführungen in Kapitel B2). Welche Dynamik diese Entwicklung in Zukunft annehmen kann, zeigt bereits heute der Blick auf den Wohnungsmarkt in Hamburg.47 Gerade ältere Menschen, die einzige Bevölkerungsgruppe, die relativ und absolut wächst, leben überwiegend in Ein- und Zweipersonenhaushalten.48 Mit zunehmendem Alter steigt der Anteil der Einpersonenhaushalte und erreicht in der Gruppe der über 70jährigen 44,4 Prozent (vgl. Abb. 8). Durch die Entspannung am Wohnungsmarkt wird es jungen Menschen in der Altersgruppe 20 bis 30 Jahre erleichtert, ihren eigenen Haushalt zu bilden. Junge berufstätige Frauen leben inzwischen vor einer Familiengründung in der Regel in einer eigenen Wohnung.49 Senioren, Starterhaushalte, Singles, kinderlose Paare und Alleinerziehende mit ihren speziellen Bedürfnissen sind die neuen Zielgruppen der Wohnungswirtschaft. Wohnqualität und Wohnfläche Die Situation der Wohnungsmärkte ist nicht nur von der Quantität, sondern zunehmend von der Qualität des Wohnungsangebots und des jeweiligen Umfeldes abhängig. Neben dem Preis sind die Größe der Wohnung, das Alter, der Standort, die bauliche Ausstattung und nicht zuletzt das Wohnumfeld entscheidend für die Nachfrage bzw. deren Marktfähigkeit: „Die Menschen wollen qualitativ hochwertige, ausreichend große, aber dennoch bezahlbare Wohnungen in einem angenehmen physischen und sozialen Wohnumfeld“.50 Bei einem wachsenden Freizeitbudget und einer längeren Lebenserwartung gewinnt die Wohnung und das Wohnumfeld an Bedeutung. Der Wunsch nach mehr Freiraum und individueller Gestaltung des persönlichen Umfelds erklärt auch den anhaltenden Trend zum Eigentum. Im deutlichen Gegensatz dazu ste-

47 Siehe dazu Häußermann 2002 und Statistisches Landesamt Hamburg 2003, S. 19f. 48 Eichener/Schauerte/Klein 2002, S. 19. 49 Häußermann 2002, S. 29. 50 Eichener/Schauerte/Klein 2002, S. 55. 236

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von 50.000 bis unter 200.000 Einwohner

108

108

unter 50.000 Einwohner 108

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ab 200.000 Einwohner

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Wohnungsmärkte

105

105 105

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98 96 94 92 1992

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1999

Abb. 8: Entwicklung der Einpersonenhaushalte nach Gemeindegrößenklassen Angaben: Anteil der Bevökerung in Einpersonenhaushalten (Index 1992 = 100) Quelle: Veser/Jaedicke/Höß 2001, S. 31

hen die hergebrachten Standards des Geschosswohnungsbaus, vor allem bei den preisgebundenen Wohnungen der 1960er und 1970er Jahre. Die wachsenden Leerstände zeigen, dass Großwohnsiedlungen in der Regel zu wenig Raum für individuelle Wohnpräferenzen bieten und deshalb tendenziell mit einem negativen Image befrachtet sind. Die Wanderungsmotivuntersuchungen in Städten wie Dortmund oder als Vergleich Hamburg ergeben als einen der wichtigsten Gründe für die Abwanderung den Wunsch nach mehr Grün und Freiraum. Besonders ausgeprägt ist dies in der Altersgruppe der 30 bis 40jährigen, jener Phase, in der meist ein Haushalt und eine Familie gegründet wird. Deshalb ist die Abwanderungstendenz in dieser Gruppe in beiden Städten besonders hoch. Anders sieht es bei den 15 bis 30jährigen aus. Der Wunsch nach Ausbildung, Berufskarriere und vielfältiges Großstadtleben steht im Vordergrund, so dass in dieser Altersgruppe die Zuwanderung überwiegt.51 Der Wunsch nach mehr Freiraum lässt sich unabhängig von der Eigentumsfrage an der Entwicklung der von den Haushalten bewohnten Fläche nachvollziehen. So verdoppelte sich seit 1972 der Anteil der Haushalte, die eine Wohnung

51 Sierau 2002, S. 17 und Statistisches Landesamt Hamburg 2003, S. 9. 237

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mit 100 Quadratmeter oder mehr bewohnen auf 30 Prozent im Jahr Seniorenhaushalte 1998.52 Auch die Wohnfläche pro Einwohner hat in den letzten JahSingle-Haushalte ren deutlich zugenommen. Die alleinerziehende individuelle FlächeninanspruchHaushalte nahme wuchs von 1950 bis 1996 kinderreiche Haushalte von 15 auf 37 Quadratmeter um Haushalte mehr als das Doppelte.53 Für ohne Kinder 2002 liegt der Wert nach Angesamt gaben der Wfa bei 38,4 Quadrat15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 meter. Die Wohnungsgröße 2003 2001 1999 schwankt zwischen 74,3 Quadratmetern in den Großstädten Abb. 9: Wohnflächenversorgung verschiedener Haushaltstypen und 98,1 Quadratmetern auf dem Angaben: Quadratmeter pro Person, Mieterbefragung Land.54 Auf die EinpersonenWfa NRW haushalte entfällt der höchste Quelle: Wfa NRW Flächenverbrauch (vgl. Abb. 9). Unerwünschter Nebeneffekt dieser Entwicklung ist dabei die voranschreitende Zersiedelung, durch die noch vorhandene Freiräume bebaut werden. Die Gesamtentwicklung der Bebauung von Freiräumen hebt den vorübergehenden Nutzen des nahen Freiraums also wieder auf. Siedlungen, die vor 30 Jahren am Stadtrand lagen, finden sich heute mitten in der Stadt wieder.

ausländische Haushalte

Der Trend zu größeren Wohnungen wird bis 2014 noch weiter wachsen. Während kleine Wohnungen von bis zu 60 Quadratmeter landesweit um acht Prozent weniger nachgefragt werden, steigt der Bedarf an großen Wohnungen über 100 Quadratmeter um 23 Prozent.55 Eine Ausnahme bilden Universitätsstädte, in denen Studenten eher kleinere Wohnungen nachfragen. Trotz kleinerer Haushalte wächst also der Flächenbedarf. Ein großer Teil der älteren Menschen bleibt auch nach dem Ableben des Partners in seinem bisherigen Umfeld wohnen. Ähnliches gilt für Haushalte jungen und mittleren Alters im Fall von Trennung oder dem Auszug der Kinder. Gleichzeitig nimmt der Anteil der jungen Bevölkerung bis 40 Jahre, die als Einsteiger eher zu kleineren Wohnungen tendieren, aus demografischen Gründen beständig ab.

52 Veser/Jaedicke/Höß 2001, S. 39. 53 ILS NRW 2002a, S. 12. 54 Wfa NRW 2003c, S. 27. 55 Veser/Jaedicke/Höß 2001, S. 42ff. 238

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6.1.3 Regional unterschiedliche Entwicklungen der Wohnungsmärkte Der Wohnungsmarkt ist in den letzten Jahren zunehmend komplexer geworden. Durch die Entspannung auf den Wohnungsmärkten treten bisher verdeckte regionale Unterschiede z.B. in der Bevölkerungsentwicklung, der Verteilung der Haushaltstypen und im Verhältnis von Wohneigentum zum Geschosswohnungsbau deutlicher hervor. Die Zuwanderungen kompensieren nicht länger die anhaltenden Geburtendefizite, vor allem in den Ballungsräumen. Die stark differierende wirtschaftliche Dynamik einzelner Regionen wird klarer erkennbar.56 Es treten aber nicht nur die Unterschiede deutlicher hervor, sondern es zeigen sich auch die starken regionalen Verflechtungen zwischen den einzelnen Kommunen. Für die meisten Menschen sind administrative Grenzen im täglichen Leben nahezu bedeutungslos geworden. Man wohnt in der einen Gemeinde, arbeitet in einer anderen, kauft in der dritten ein und besucht am Abend in einer weiteren das Theater. Diese regionale Verflechtung stellt neue Anforderungen an Wohnungspolitik und -wirtschaft. Es gibt weder kommunal abgrenzbare Wohnungsmärkte noch landesweit einheitliche Wohnungsmärkte z.B. für den Geschosswohnungsbau oder die Einfamilienhaussiedlung für die vierköpfige Familie. Es gibt vielmehr zahlreiche regional differenzierte Teilmärkte, die einer eigenen Perspektive und Entwicklungsstrategie bedürfen.

Regionale Wohnungsmarkttypen Aufgrund dieser Entwicklung muss die Wohnungsbaupolitik stärker als bisher den veränderten Anforderungen auf den Wohnungsmärkten Rechnung tragen. Zur Vorbereitung von Entscheidungen sind regionale Wohnungsmarktprognosen erforderlich. Für das gesamte Land Nordrhein-Westfalen hat das Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik (IfS) im Auftrag des Wohnungsbauministeriums von Nordrhein-Westfalen eine Prognose für verschiedene Wohnungsmarktregionen erarbeitet.57 Auf Grundlage der regionalisierten Bevölkerungsprognose des LDS identifiziert das IfS sechs Wohnungsmarkttypen, die durch die Entwicklung und Struktur der Bevölkerung, die wirtschaftliche Situation und Einkommensentwicklung sowie durch den Wohnungsbestand und durch den Wohnungsbau unterschieden werden (vgl. Abb. 10). Nach der Analyse des IfS wirkt sich die Bevölkerungsprognose des BBR aus dem Jahr 2002 in Folge der erkennbaren Trends der Haushaltsverkleinerung und

56 Birg/Flöthmann 2003, S. 22. 57 Veser/Jaedicke/Höß 2001. 239

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Abb. 10: Sechs Wohnungsmarkttypen in Nordrhein-Westfalen Quelle: Veser/Jaedicke/Höß 2001, S. 6

zum zunehmenden Wohnflächenkonsum unterschiedlich auf die einzelnen Regionstypen aus (vgl. Abb. 11). Während die Ballungsraumstädte des Ruhrgebietes bis zum Jahr 2014 nicht nur Verluste bei der Bevölkerung, sondern auch bei der Zahl der Haushalte verkraften müssen, können alle anderen Wohnungsmarkttypen mit mehr oder weniger deutlichen Zunahmen bei den Haushaltszahlen rechnen. Beim Wohnungsmarkttypus der Ruhrgebietsstädte ist der Rückgang der Bevölkerung sogar so deutlich, dass auch die weitere Singularisierung nicht zu einer Zunahme von Haushalten führen wird.

Strukturelle Unterschiede der stadtregionalen Entwicklungen Die Wfa geht bei ihren Analysen der regionalen Entwicklung von der bundesweiten Abgrenzung der Stadtregionen durch das BBR aus.58 Von den 62 Raum58 Hier aktuell Göddecke-Stellmann/Kuhlmann 2000. 240

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ordnungsregionen entfallen sie- 15 in Prozent ben auf Nordrhein-Westfalen: 10 der Ballungsraum Rhein-Ruhr, die Region Aachen und Düren, 5 die Stadtregionen Siegen, 0 Münster und Paderborn sowie die polyzentrale Agglomera- -5 Bevölkerung Haushalte tion um Gütersloh, Bielefeld, -10 Wohnungsmarkttyp Herford und Minden. Auf der 1 2 3 4 5 6 NRW Grundlage ihrer eigenen Marktbeobachtung unterteilt die Wfa Abb. 11: Veränderung der Haushalte und der Bevölkeden Ballungsraum Rhein-Ruhr rung 1999 bis 2014 nach Wohnungsmarkttyp in fünf weitere Teilräume: Ruhr- Angaben: Veränderung in Prozent Quelle: Veser/Jaedicke/Höß 2001, S. 34 gebiet Ost, Ruhrgebiet West, Düsseldorf/Niederrhein, das Bergische Städtedreieck und Köln/Bonn.59 Um strukturell unterschiedliche Entwicklungen innerhalb der Regionen von Nordrhein-Westfalen zu identifizieren, werden die elf Regionen mit Hilfe eines kompakten Indikatorensatzes aus der landesweiten Wohnungsmarktbeobachtung untersucht. Dabei werden drei Gruppen mit jeweils ähnlichen Strukturen und Entwicklungstendenzen identifiziert: • Zum Stadtregionstyp 1 - hohes Wachstum in der gesamten Region - zählen derzeit die boomenden Städte, die eine prosperierende Entwicklung in der gesamten Region aufweisen und auch in naher Zukunft weitere Zuwächse in Angebot und Nachfrage zu erwarten haben. Bis 2015 wird ein hoher Neubaubedarf vor allem bei Ein- und Zweifamilienhäusern erwartet. Dies betrifft beispielsweise die Stadtregion Paderborn. Vergleichbar dürfte die Entwicklung in der Stadtregion Düren verlaufen. Das südliche Rheinland bildet einen zweiten ländlich geprägten Wachstumspol. • Im Stadtregionstyp 2 - Umland wächst, Kernstadt stagniert - ist eine abnehmende Entwicklungsdynamik, insbesondere im Bereich der Kernstadt und des Kerngebiets zu erwarten, während sich die Pendlereinzugsbereiche leicht positiv entwickeln werden. Dies betrifft die Region Düsseldorf/Niederrhein. Ähnliche Entwicklungen bestehen in den Wohnungsmarktregionen Münster und Aachen; daneben auch in der Region Bielefeld/Gütersloh/Minden, wobei letztgenannte manche Aspekte (Bevölkerungsstruktur, Wohnungsbestand) eher mit dem altindustrialisierten Typ gemeinsam hat. • Der Stadtregionstyp 3 - altindustrielle Kerne verlieren, Umland wächst moderat - weist ein deutliches Entwicklungsgefälle von außen nach innen auf: Die 59 Wfa NRW 2003c, S. 39. 241

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Pendlereinzugsbereiche gewinnen noch leicht, im Kerngebiet und in der Kernstadt sind hingegen weitere Stagnation oder sogar Verluste zu erwarten. Im Vergleich zu den anderen beiden Stadtregionstypen weisen die altindustriellen Regionen in Zukunft die schwächste Dynamik in ihrer Entwicklung auf. Als Beispiel steht hier die Region Westliches Ruhrgebiet; ähnlich strukturiert ist der Wohnungsmarkt in den Bergischen Städten, im östlichen Ruhrgebiet und in der Region Siegen. Insgesamt werden sich die Wohnungsmärkte unterschiedlich entwickeln und immer stärker ausdifferenzieren. Untersuchungen innerhalb einzelner Regionen wie Münster zeigen zudem, dass auch sie keine homogene Struktur haben, sondern in einzelne Teilmärkte zerfallen. Je komplexer der Markt, umso wichtiger wird die Information als Ressource für investive und politische Entscheidungen in der Kommune.60 1998 haben sich deshalb 16 Städte an einem Modellversuch zur Kommunalen Wohnungsmarktbeobachtung Nordrhein-Westfalen (KomWoB) beteiligt, um ein Netzwerk und Kooperationsbeziehungen zur Analyse und Vernetzung wohnungsmarktrelevanter Daten aufzubauen.61 Alle beteiligten Kommunen haben inzwischen Wohnungsmarktberichte veröffentlicht und setzen ihre Arbeit in einem Initiativkreis fort.62 2002 wurde aufgrund des starken Interesses eine weitere Arbeitsgruppe KomWoB II eingerichtet.

6.1.4 Wohnungsmarkt und Segregation Die Regionalisierung der Wohnungsmärkte wird von deutlichen sozialen Entwicklungsdivergenzen in den Städten begleitet. Dabei prägt sich eine kleine Gruppe wohlhabender, stark mittel- und oberschichtgeprägter Städte, eine große Gruppe moderner Städte mit hohem Tertiärisierungsgrad und mit einer starken sozialräumlichen Polarisierung sowie eine Gruppe armer, nur in geringem Maße segregierter Städte aus (siehe auch Kapitel B5). Der Wohnungsmarkt hat einen bedeutenden Einfluss auf das Ausmaß sozialer und ethnischer Segregation. Insbesondere in schrumpfenden Städten mit stark entspannten Wohnungsmärkten wie Essen kann eine besondere Dynamik der Segregation entstehen. Durch Überhänge in bestimmten Wohnungsmarktsegmenten wird der innerstädtische Wohnungswechsel für wirtschaftlich leistungsfähigere Haushalte erleichtert. Die einkommensschwachen Haushalte verbleiben im benachteiligten Quartier. Darüber hinaus ist in den letzten Jahren eine

60 Kreibich 2000. 61 Wfa NRW 2002c, S. 34f. 62 Beispiele: Stadt Dortmund 2002b, Stadt Münster 2002b. 242

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Entmischung der Bevölkerung nach Altersgruppen bzw. Lebenszyklen zu beobachten. Die Kernstädte verlieren Haushalte mit Kindern, während Senioren hier verbleiben. Durch die Stadtumlandwanderung wird die räumliche Segregation verstärkt, da überwiegend einkommensstarke und jüngere Haushalte die Ballungsräume verlassen. Anders sieht es in wachsenden Städten mit angespannten Wohnungsmärkten aus. Sie erschweren die Fluktuation und führen zu Verdrängungen von benachteiligten Bevölkerungsgruppen aus bestimmten Quartieren. Trotzdem gilt auch hier: Die drei städtischen Wohnungsmarktsegmente - freier Mietwohnungs-, Eigentumsmarkt und preisgebundener Wohnungsbau - bedienen in Abhängigkeit vom Bedarf und dem ökonomischen Potenzial der Wohnungssuchenden unterschiedliche Nachfragehaushalte. Sie kanalisieren dadurch in bestimmte räumliche Lagen und wirken so selektiv auf die Wohnstandortverteilung (siehe auch die weiteren Ausführungen in Kapitel B5). Eine besondere Rolle spielt dabei das preisgebundene Wohnungsangebot. Die häufig verdichtete und monotone Bauweise, oftmals in peripherer Lage und mit schlechter Infrastruktur, sowie eine einseitige kommunale Belegungspraxis haben vor allem in den Großwohnsiedlungen der 1960er und 1970er Jahre zu einer hohen sozialen und ethnischen Segregation geführt. Die Situation wird sich in den kommenden Jahren noch verstärken. Einer wieder wachsenden Nachfrage stehen aufgrund wegfallender Bindungen immer weniger Sozialwohnungen gegenüber. Nordrhein-Westfalen stellt zwar bundesweit immer noch über die Hälfte der preisgebundenen Wohnungen, trotzdem halbierte sich von 1980 bis 2002 der Bestand auf 1,1 Millionen Wohneinheiten und wird weiter zurückgehen. So konzentrieren sich die einkommensschwachen Haushalte auf immer kleinere Bestände mit Preisbindung. Die Entmischung wird weiter beschleunigt und die Wohnungswirtschaft zeigt vielerorts wenig Bereitschaft für die verbleibende Zielgruppe zu bauen. Ein großer Teil der einkommensschwachen Bevölkerung lebt bisher in Wohnungen des unteren Preissegmentes des freien Wohnungsmarktes. Es sind meist Wohnungen im Altbestand mit minderer Qualität. Ihre Zahl wird sich durch Abriss und Modernisierung in den kommenden Jahren erheblich reduzieren und die Situation für benachteiligte Gruppen auf dem Wohnungsmarkt weiter verschlechtern. Laut Wfa gibt es rund 102.000 wohnungssuchende Personen, die erhebliche Zugangsschwierigkeiten im freien Marktsegment haben.63 Auch in der aktuellen 63 Wfa NRW 2003c, S. 22. 243

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Expertenbefragung der Wfa beurteilen gut die Hälfte der Befragten in allen Regionstypen das Segment des sozialen Wohnungsbaus als das am stärksten angespannte.64

6.1.5 Wohnraumförderung in Nordrhein-Westfalen Aufgrund der starken Nachfrage war die Wohnungsbauförderung in NordrheinWestfalen zur Deckung des Bedarfs über Jahrzehnte auf den Bau von Mietwohnungen ausgerichtet. Insbesondere in den 1960er und 1970er Jahren sind zahlreiche Großwohnsiedlungen entstanden, die eine Hypothek für die Zukunft bedeuten.65 Aufgrund der veränderten Nachfrageentwicklung wurden die Wohnungsbauprogramme der letzten Jahre verstärkt auf die Wohneigentumsförderung ausgerichtet. Sie hatten ein durchschnittliches Volumen von rund 800 Millionen Euro, mit dem der Bau von 13.500 Wohneinheiten gefördert werden sollte. Im Jahr 2004 stehen 810 Millionen Euro bereit, die um das Volumen des bisherigen Modernisierungsprogramms (175 Millionen Euro) erweitert werden sollen. Mit neuen Förderschwerpunkten sollen die besonderen Belange der älteren Generationen verstärkt berücksichtigt werden. Dazu zählt auch die Modernisierung von Alten- bzw. Pflegeheimen im Rahmen eines Modellversuchs. Eine Besonderheit der Wohnungsbauförderung in NordrheinWestfalen stellt das Modellprojekt der regionalen Budgetierung in der Region Bonn/Rhein-Sieg-Kreis dar.66 Seit dem Jahr 2001 wird den betroffenen Bewilligungsbehörden ein Globalbudget zur Verfügung gestellt, das auch Mittel des Modernisierungsprogramms und das anteilige Aufkommen aus der Ausgleichszahlung enthält. Im Jahr 2003 steht für die Region ein Globalbudget von 45 Millionen Euro bereit. Dem Modellprojekt liegt angesichts der zunehmenden Regionalisierung von Wohnungsmärkten die Absicht zugrunde, nicht Verwaltungsgrenzen, sondern Wohnungsmärkte zu fördern.

64 Wfa NRW 2003a, S. 17. 65 Siehe dazu Krupinski 2002, S. 7. 66 Tatsächlich zählt zur Wohnungsmarktregion Bonn/Rhein-Sieg-Kreis ebenfalls der Kreis Ahrweiler, der jedoch als Landkreis des Landes Rheinland-Pfalz nicht in die Förderregion eingebunden wird. 244

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Nordrhein-Westfalen hat sich schon früh dem Problem einer zunehmenden sozialräumlichen Polarisierung gestellt. Das erstmals in den Jahren 1993 und 1994 aufgelegte Programm „Integriertes Handlungskonzept für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“ übernahm eine Vorbildfunktion für das bundesweite Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die soziale Stadt“. Das ressortübergreifende Handlungskonzept setzt vor allem in altindustriellen, meist innenstadtnahen Quartieren der Gründerzeit und in Großsiedlungen der 1960er und 1970er Jahre an (mehr zum Programm vgl. Kapitel B5). Ein wichtiges und innovatives Programm des Landes in der Verknüpfung von Wohnungs- und Sozialpolitik ist das Modellprogramm „Wohnungslosigkeit vermeiden - dauerhaftes Wohnen sichern“. Das Sozialministerium unterstützt dabei für einen befristeten Zeitraum wohnungs- und sozialpolitische Maßnahmen, die die Wohnungsbauförderung ergänzen. Seit Initiierung des Programms ist die Zahl der Wohnungslosen kontinuierlich gesunken. In der Folge konnten problematische Schlichtwohnsiedlungen und Notunterkünfte aufgelöst werden.67 Da sowohl die preisgebundenen Wohnungen wie auch die Wohnungen des unteren Preissegmentes abnehmen, bleibt abzuwarten, wie lange dieser positive Trend Bestand hat.

6.2 Wohnungsbedarf bis 2015 Die Lage am Wohnungsmarkt in Nordrhein-Westfalen hat sich in weiten Teilen des Landes deutlich entspannt. Aufgrund der unterschiedlichen Bevölkerungsentwicklung in den einzelnen Regionen, steigender Haushaltszahlen und einem zunehmenden Flächenverbrauch steht die Wohnungspolitik nunmehr vor neuen Herausforderungen. Wichtigstes Ziel der künftigen Wohnungspolitik bleibt die Versorgung möglichst breiter Schichten der Bevölkerung mit angemessenem und bezahlbarem Wohnraum. Was die Wohnungsbaupolitik zu leisten hat, bringt Aring auf den Punkt: „Eine zentrale Herausforderung für die Wohnungsbaupolitik liegt in der Sicherung eines entspannten Marktes. Ein entspannter Markt schafft die Freiräume für eine qualitative Verbesserung des Bestands und für ökologische und soziale Innovationen“.68 Diese Aufgabe ist nur zu verwirklichen, wenn man auf möglichst genaue Informationen über den eigentlichen Wohnungsbedarf zurückgreifen kann.

67 Berendt/Höbel 2003. 68 Aring 1999, S. 19f. 245

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Für das Land Nordrhein-Westfalen ermittelt das IfS in seiner regionalisierten Wohnungsbedarfsprognose einen Neubaubedarf von insgesamt rund 964.000 Wohnungen bis zum Jahr 2014. Der Bedarf begründet sich insbesondere durch die Zunahme der Haushalte und den Ersatz für Wohnungsabgänge durch Abriss, Zusammenlegung bzw. Umwidmung von Wohnraum sowie durch die Anpassung des Bestands an die künftigen Nachfragestrukturen und durch Zweitwohnungen.69 Der Gesamtbedarf teilt sich auf in 562.000 Wohneinheiten im Bereich von Einund Zweifamilienhäusern, 242.000 Mietwohnungen sowie 161.000 Eigentumswohnungen.70 Das Wohneigentum stellt laut IfS den Großteil des Neubaubedarfs. Auch das Pestel Institut geht mit 370.000 Wohneinheiten von einem höheren Bedarf an Ein- und Zweifamilienhäusern gegenüber dem Geschosswohnungsbau aus und prognostiziert einen weiteren Zubaubedarf von insgesamt rund 659.000 Wohnungen bis zum Jahr 2015.71 Dagegen berechnet das BBR einen Gesamtbedarf von zusätzlich 879.500 Wohnungen, der sich in etwa auf beide Hausformen gleich verteilt.72 Aufgrund der regional unterschiedlichen demografischen Entwicklung und Bevölkerungsstrukturen erwartet das IfS beim Neubaubedarf bis 2014 erhebliche Unterschiede zwischen den Wohnungsmarktregionen (vgl. Abb. 12). Die Spanne liegt zwischen 3,7 Prozent des derzeitigen Wohnungsbestands in den Ruhrgebietsstädten, bis hin zu 22,6 Prozent in den ländlichen Regionen an den Landesgrenzen. Dabei handelt es sich überwiegend um Ersatzbedarf, das heißt um den Ausgleich von Abrissen und sonstigen Bestandsverlusten - in den Ruhrgebietsstädten sogar ausschließlich. Der Bedarf an Ein- und Zweifamilienhäusern dominiert den Neubau von Wohnungen in allen Regionen, wenn auch mit unterschiedlicher Prägnanz. Der Anteil von Mietwohnungen am Neubaubedarf unterliegt einer großen Bandbreite. Während in den Ruhrgebietsstädten und den nördlichen Ballungsgebieten der Anteil bei 27 Prozent liegt, wird für die Großstädte des südlichen Rheinlands sowie Münster Bielefeld und Siegen ein Anteil von 36, für die Umlandkreise von 30 Prozent angenommen. In den strukturell ländlich geprägten Kreisen wird

69 Veser/Jaedicke/Höß 2001, S. 34f. Das IfS erwartet, dass die Zahl der Haushalte in NordrheinWestfalen um 4,7 Prozent steigt. 70 Veser/Jaedicke/Höß 2001, S. 59. 71 Allerdings wird eingeräumt, dass die Entwicklung stark von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen abhängig ist. Zumindest zurzeit sind die Annahmen einer realen Produktivitätssteigerung von 1,2 Prozent pro Jahr und eines Wachstums des Brutto- bzw. Nettoeinkommens von drei bzw. knapp ein Prozent pro Jahr nicht wirtschaftliche Realität (Möller/Günther 2003, S. 84). 72 BBR 2001b, S. 25. 246

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25 in Prozent

20

15

10

5

0 1

Neubaubedarf gesamt

2

3

Mietwohnungen

Wohnungsmarkttyp 4

5

Ein- und Zweifamilienhäuser (selbstgenutzt)

NRW

6

Eigentumswohnungen (selbstgenutzt)

Eigentum gesamt

Abb. 12: Neubaubedarf in den Wohnungsmarkttypen bis zum Jahr 2014 Angaben: Neubaubedarf bezogen auf den Wohnungsbestand von 1999 in Prozent Quelle: Veser/Jaedicke/Höß 2001, S. 55ff.

lediglich ein Bedarf von 21 bzw. 18 Prozent erwartet. Hier hat das Ein- bzw. Zweifamilienhaus mit 63 bzw. 69 Prozent einen deutlich höheren Stellenwert. Der vom IfS prognostizierte Neubaubedarf von jährlich ca. 64.000 Wohnungen wurde in den Jahren 2001 und 2002 mit rund 61.000 bzw. 50.000 Neubauten bereits unterschritten.

6.3

Neue Rahmenbedingungen für die Wohnungsmärkte in Nordrhein-Westfalen - Handlungsempfehlungen

Insgesamt hat sich der Wohnungsmarkt in Nordrhein-Westfalen nach der letzten Zuwanderungswelle zu Beginn der 1990er Jahre weitgehend entspannt. Die allgemeine Lage täuscht allerdings darüber hinweg, dass in weiten Teilen des Landes trotz sinkender Einwohnerzahlen die Haushaltszahlen weiterhin wachsen und in einigen Regionen die Situation nach wie vor angespannt ist. Sollten die Baufertigungszahlen weiterhin unter dem Niveau der Bedarfsprognosen bleiben, können erneut Engpässe auftreten, die sich in den Metropolen der Rheinschiene bereits jetzt abzeichnen. Die Bedarfprognosen verdeutlichen, dass der Neubaubedarf der kommenden Jahre insbesondere als Ersatz für Wohnungsabgänge zu sehen ist und eine Marktanpassung des Bestands dominieren wird. Aufgrund der regional spezifischen Entwicklungen spalten sich die Wohnungsmärkte immer stärker in Teilmärkte auf, die in den nächsten Jahren einen sehr 247

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unterschiedlichen Neubau- und Modernisierungsbedarf aufweisen. Während insgesamt im Vergleich zu dem Bau von Ein- und Zweifamilienhäusern die Bedeutung des Mietwohnungsbaus zurückgeht, wird es in diesem Marktsegment an den Entwicklungsstandorten der Rheinschiene dennoch weiterhin einen erheblichen Neubau- und Modernisierungsbedarf geben. Die Ballungsräume im Ruhrgebiet müssen sich angesichts der rückläufigen Einwohnerzahlen in weiten Teilen frühzeitig auf einen Schrumpfungsprozess einstellen. Dabei steht neben dem Rückbau die Notwendigkeit einer umfassenden Modernisierung des Bestands im Vordergrund. Hingegen besteht in den Umlandkreisen der Kernstädte und den Kreisen im ländlichen Raum vor allem bei Ein- und Zweifamilienhäusern ein weiterer Neubaubedarf. Die künftige Wohnungsbaupolitik in Nordrhein-Westfalen muss insbesondere den veränderten Wohnungsmärkten und den damit zusammenhängenden divergenten Entwicklungen auf den Teilmärkten Rechnung tragen. Regionale und teilmarktbezogene Wohnungsmarktanalysen wie auch Wohnungsmarktprognosen sind in Zukunft nicht nur für die Wohnungsbaupolitik, sondern auch für die Wohnungswirtschaft von besonderer strategischer Bedeutung.73 Aufgrund der komplexen Entwicklungen auf den Wohnungsmärkten benötigen Politik und Wohnungswirtschaft Bedarfsprognosen als fundierte Entscheidungsgrundlagen.74 Die Trends zu individuelleren und vielfältigeren Lebensformen sowie die alternde Gesellschaft stellen in Zukunft immer komplexere Anforderungen an die Qualität des Wohnungsangebots. Angesichts der anhaltenden Abwanderung der Bevölkerung aus den Verdichtungsräumen und sozialen Segregationstendenzen ist eine Stärkung der Lebens- und Wohnumfeldqualität in den Großstädten erforderlich, die sich gleichzeitig auf eine differenzierte Nachfrage durch neue Zielgruppen einstellt. Für Haushalte, die aus sozialen oder ethnischen Gründen erhebliche Zugangsschwierigkeiten zum freien Wohnungsmarkt haben, wird sich der Wohnungsmarkt im unteren Preissegment in den kommenden Jahren deutlich verengen. Vor diesem Hintergrund sind Konzepte notwendig, die eine Wohnungsversorgung für die Zielgruppen der sozialen Wohnraumförderung sicherstellen. Insbesondere im Ruhrgebiet werden sich die Ballungsraumstädte mehrheitlich auf ein weiteres Schrumpfen der Bevölkerung und zum großen Teil auch eine

73 Schneider 2002, S. 33. 74 Wermker/Heil 2003, S. 8. 248

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Abnahme der Haushalte einrichten müssen. Hier sollte die Bautätigkeit für zukunftsgerichtete Anpassungen und Impulse für die Stadtentwicklung genutzt werden. Durch die geringere Einwohnerzahl besteht die Chance zu einem Stadtumbau im Sinne von „mehr Stadt für weniger Einwohner“.75 Angesichts der sich zunehmend differenzierenden Wohnungsmärkte sind die bisherigen landesweiten, einheitlichen Regelungen der Wohnungsbauförderung und der projektbezogenen Förderinstrumente nicht mehr ausreichend. Mit einer Regionalisierung der Wohnungspolitik besteht eine Perspektive, eine den spezifischen Belangen und Anforderungen der regionalen Wohnungsmärkte angepassten Wohnraumförderung in kommunaler Verantwortung umzusetzen.

6.3.1 Regionalisierung der Wohnraumförderung Aufgrund der sich regional immer stärker unterscheidenden Entwicklungen der Wohnungsmärkte und der zunehmenden Ausdifferenzierung der Nachfrage ist das System eines einheitlichen, projektbezogenen Landeswohnungsbauprogramms kritisch zu hinterfragen. Lösungen für die immer kleinteiligeren Probleme der Wohnungsmärkte sollten weitgehend kommunal gefunden und flexibel auf die regionalen Anforderungen ausgerichtet werden. Die vier Handlungsebenen Kommune, Regierungsbezirk, Land und parallel dazu die Wohnungswirtschaft sind zu unbeweglich, um rasche und für die in den Regionen vielfältigen Problemlagen bedarfsgerechte Entscheidungen zu treffen. Die positiven Erfahrungen aus dem seit dem Jahr 2001 bestehenden Modellprojekt der regionalen Budgetierung der Wohnungsbauförderung in der Region Bonn/Rhein-Sieg/Ahrweiler zeigen eine Perspektive auf, wie die Wohnungsbauförderung entsprechend der unterschiedlichen regionalen Belange und Anforderungen der Wohnungsmärkte in Zukunft durch eine Stärkung kommunaler Verantwortung gestaltet werden kann. Über die Verwendung der Mittel entscheidet die Region selbst. Unter Einhaltung der Wohnraumförderungsbestimmungen und im Rahmen einer regionalen Verwaltungsvereinbarung können die beteiligten Bewilligungsbehörden die Mittel eigenständig nach den örtlichen Erfordernissen einsetzen. In dem Modellprojekt orientiert sich die Förderung nicht an den Verwaltungsgrenzen sondern an den Wohnungsmärkten. Gleichzeitig können Projekte durch den direkten Kontakt mit der Wohnungswirtschaft zielgenauer umgesetzt werden. Die Budgetierung der Förderung stellt jedoch hohe Anforderungen an die Region. Im ersten Schritt ist eine Marktbeobachtung und ein Informationsaus-

75 van Suntum 2002, S. 14. 249

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tausch erforderlich. Es gilt, Vertrauen aufzubauen und Konkurrenzen zu überwinden. Im zweiten Schritt gilt es, eine gemeinsame Vorstellung vom regionalen Wohnungsmarkt bis hin zu einem Masterplan zu entwickeln. Auf seiner Grundlage müssen die Entscheidungen über Entwicklungsflächen, die Art der Bebauung und die Verteilung der Mittel im regionalen Konsens fallen. Die einvernehmliche Kooperation zwischen den Gebietskörperschaften und den beteiligten Wohnungsunternehmen ist zwingende Voraussetzung für das Funktionieren des Modells. Landesmittel werden nur zur Verfügung gestellt, wenn man sich auf einen gemeinsamen Rahmenplan geeinigt hat.76 Ob ein solcher Konsens erzielbar und vor allem tragbar ist, muss die Zukunft zeigen. Das Modellprojekt ist finanziell gut ausgestattet und die bisherigen Projekte liegen bisher überwiegend im Bereich des Ein- und Zweifamilienhausbaus.77 Die unterschiedlichen Vorraussetzungen der Regionen in Nordrhein-Westfalen verdeutlichen, dass Problemlösungen durch die Wohnraumförderung alleine nicht zu leisten sind. Die Qualität des Wohnungsangebotes steht im engen Zusammenhang mit den städtebaulichen Vorraussetzungen, dem sozialen Umfeld und der Infrastruktur, die in einem integrierten Ansatz auf die örtlichen Erfordernisse abzustimmen sind. Darüber hinaus müssen auch angesichts der nur noch geringen finanziellen Spielräume Schwerpunkte dort gesetzt werden, wo die Defizite der Stadtentwicklung besonders greifbar sind. Eine Bündelung von Fördermitteln - unabhängig von Ressortgrenzen - ist zwingend geboten und müsste die regionalen Wohnungsbaumittel ergänzen. Instrumente der Stadtentwicklung, des Wohnungsbaus und der Sozialpolitik müssen aufeinander abgestimmt werden. Die guten Erfahrungen mit den Projekten „Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“ und „Soziale Stadt“ sprechen dafür, ihren integrierten Handlungsansatz auszuweiten. Es ist zu prüfen, wie bei einer regionalen Budgetierung neben den Wohnungsbauförderungsmitteln auch die Zuweisungen für Maßnahmen der Stadterneuerung eingebunden werden können. Hier bietet sich die Durchführung eines entsprechenden Modellversuchs bzw. Pilotprojekts an. Grundsätzlich sollte zumindest ein Teil der Mittel im Rahmen einer regionalen Budgetierung zur Verfügung gestellt werden, um eine höhere Flexibilität und Zielgenauigkeit der Maßnahmen durch eine stärkere regionale Entscheidungsfreiheit zu erreichen. Zwingende Vorraussetzung für eine regionale Budgetierung muss jedoch die Entwicklung eines im regionalen Konsens abgestimmten Entwicklungskonzepts sein, das auf fundierten regionalen Wohnungsmarktanalysen und einer klaren Abgrenzung einer Wohnungsmarktregion basiert. Darüber hin-

76 Kreibich 1999, S.138. 77 Siehe auch Koch/Wuschansky 2002. 250

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aus sind Vereinbarungen von entsprechenden Qualitätszielen mit dem Land erforderlich. Der erfolgreiche Einsatz der Globalmittel sollte kontinuierlich im Rahmen eines Monitorings überprüft und gegebenenfalls korrigiert werden (zu weitergehenden Überlegungen siehe Kapitel B8 und C4).

6.3.2 Ansätze für einen differenzierten Wohnungsbau Die Prognosen zeigen, dass die Zeiten des Wohnungsneubaus in der Masse vorüber sind. Die Bedarfe der kommenden Jahre entstehen vor allem durch den Ersatz von Abgängen, Anpassungsprozesse und den Bau von Ein- und Zweifamilienhäusern. Eine Förderung des Neubaus sollte nur dort erfolgen, wo der Markt Angebot und Nachfrage nicht selbst regelt. Im ländlichen Raum ist die Lage im Allgemeinen entspannt. Zwar wächst der Bedarf durch die Stadtumlandwanderung, aber der Markt kann sich weitgehend der Nachfrage anpassen. Anders ist die Situation in den Ballungskernen. Nach der aktuellen Expertenbefragung der Wfa sind die Märkte in der gesamten Rheinschiene und in den Großstädten des Ruhrgebiets besonders schwierig, was einerseits auf das knappe Marktangebot und andererseits auf die Qualitäten des Angebots zurückzuführen ist. Es fehlt vor allem an der Bereitstellung von Baugebieten. Wollen die Städte ihre Einwohner wieder verstärkt an sich binden, kann dies nur durch ein qualitativ hochwertiges Angebot an Mietwohnungen und Ein- bzw. Zweifamilienhäusern gelingen. Ebenso sind verdichtete Bauweisen im Geschoss denkbar, die Qualitäten des Einfamilienhauses aufweisen. Notwendig ist hierzu die Verbesserung des Baulandangebotes. Dazu müssen die Kommunen Bauland entwickeln und preiswert zur Verfügung stellen - z.B. zum Selbstkostenpreis. Dies kann, ähnlich wie bei Gewerbegebieten, durch die Entwicklung eigener Flächen gelingen oder indem ein Teil der privat entwickelten Flächen als Äquivalent zur Abschöpfung des Planungsgewinns besonderen Zielgruppen wie z.B. jungen Familien zur Verfügung gestellt wird (siehe Beispiel der Stadt Bocholt). Neue Baugebiete führen nicht zwangsläufig zu einem weiteren Flächenverbrauch. Ein großes Potenzial besteht häufig in den Ballungsräumen durch Gewerbebrachen, Konversionsflächen oder leerstehenden Wohnbestand, das im Rahmen einer Flächenkreislaufwirtschaft für den Wohnungsbau und den Ausbau von Frei- und Grünflächen zur Aufwertung des städtischen Wohnum251

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felds reaktiviert werden kann. Im Landeswohnungsbauprogramm 2002 wurde erstmals eine zusätzliche Darlehensförderung für das Wohnen auf Brachen verankert. Dennoch bestehen für das Wohnen auf Brachen oftmals noch vielfältige Vorbehalte. Am besten eignet sich der Umbau der zunehmend unattraktiveren Bestände in den Großwohnsiedlungen, so sie in attraktiver Lage gute Voraussetzungen für einen zeitgemäßen Umbau bieten. Ihre Modernisierung und soziale Begleitung ist jedoch vielfach sehr aufwändig. Die meist erheblichen Kosten für Abriss und Altlasten können durch Kommunen und Wohnungswirtschaft nicht allein aufgebracht werden. Deshalb muss hier ein Schwerpunkt der Landesförderung liegen. Dabei bedarf es der Hilfestellung und Moderation durch das Land bei Verhandlungen mit den Alteigentümern. Der Bahnflächenpool zwischen Land und Deutsche Bahn AG ist ein Schritt in die richtige Richtung, betrifft aber überwiegend dezentral gelegene Flächen, deren Attraktivität nicht immer ausreicht. Eine aktive städtische Wohnungsmarktpolitik - gekoppelt mit einem Bodenmanagement - ist eine sinnvolle Strategie, städtisches Bauland zu mobilisieren. Hinter der Abwanderung in die Umlandgemeinden steht vielfach der Wunsch nach mehr Wohnqualität und Grün. Die Entscheidung für das Umland fällt jedoch häufig aufgrund fehlender Grundstücke oder zu hoher Kosten für städtische Bauflächen.78 Oftmals ist das Umland nur die zweitbeste Lösung. Aufgrund des Wunsches der Bevölkerung nach dem Wohnen in den eigenen vier Wänden wird ein wesentlicher Teil des Wohnungsneubaus in Form von Ein- und Zweifamilienhäusern erfolgen. Beim öffentlichen Wohnungsbau entfallen bereits über die Hälfte der Förderungen in dieses Segment. Die Eigenheimzulage ist seit 1996 wesentliches Element der Förderung der Eigentumsbildung und hat die Schwelle zur Eigenheimbildung verringert. Für eine umfassende Vereinfachung und Reform des Steuersystems müssen jedoch alle Finanzhilfen und Steuervergünstigungen überprüft werden. Es stellt sich die Frage nach der Form zukünftiger staatlicher Eigentumsförderung überhaupt z.B. für die Altersvorsorge und im Wohnungsbau im Besonderen. Die innerstädtische Wohneigentumsbildung ist vor allem vor dem Hintergrund zu betrachten, dem Abwandern von einkommensstabilen Familien in den suburbanen Raum entgegenzuwirken und die städtische Gesellschaft zu stabilisieren. In Nordrhein-Westfalen gibt es dafür bereits zukunftsweisende Ansätze, wie etwa der Landeswettbewerb „Wohneigentum in der Stadt“ oder die Erneuerungsstrategien für die großen Wohnbestände der 1950er Jahre.79 Gerade die Schwierigkeiten, Eigenheimsiedlungen in die soziale Infrastruktur der Städte einzubinden, sprechen dafür, mehr über die Zukunft des Wohnens in 78 Dies zeigt beispielsweise die Untersuchung der Stadt Dortmund (Stadt Dortmund 2002b). 79 LB NRW 2001. 252

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Städten nachzudenken. Die Etablierung neuer Lebensstile und Haushaltstypen fordert ebenso neue Formen des Wohnens. Zielgruppen wären zum Beispiel Starterhaushalte, Singles und Senioren. Statistische Untersuchungen aus verschiedenen Bundesländern zeigen, dass der Abwanderungstrend kein unumstößliches Naturgesetz darstellt, sondern durchaus auch ein verstärktes Interesse an innerstädtischen Wohnstandorten besteht.80 Insbesondere die ältere Generation mit erwachsenen Kindern zeigt wieder ein Interesse am Stadtleben. Eine Strategie zur Stärkung des innerstädtischen Wohnens sollte auf diesem Trend aufbauen, sie darf jedoch nicht bei einer Versorgung älterer Wohnungssuchender Halt machen. Es muss auch gelingen, Familien mit Kindern an die Stadt zu binden, zumal die erforderliche Infrastruktur in der Regel vorhanden ist. Was teilweise fehlt, sind hochwertige Wohnquartiere mit familienfreundlichen Wohnungen und innerstädtische Freiräume mit kinder- und jugendgerechten Angeboten. Innerstädtische und zentrale Wohnlagen ermöglichen die Stadt der kurzen Wege. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung erweisen sich diese Lagen daher als idealer Wohnstandort. Die Entwicklung neuer Wohnkonzepte, wie zum Beispiel betreutes Wohnen mit Full-Service eröffnet die Möglichkeit vielfältiger Synergien aus Dienstleistungen, Handel und Gastronomie. Denkbar wären Wohnformen mit einer mittleren Dichte, sowohl als Mietwohnungen wie auch im Wohneigentum. Historische und aktuelle Beispiele zeigen, dass bei einer mittleren Verdichtung durchaus gute Wohnqualitäten mit privatem Freiraum realisierbar sind. Wohnen im Geschoss könnte für einige Nachfragegruppen in Großstädten durchaus interessant sein, wenn es zum Beispiel als Loftwohnen mit offenen Grundrissen und Terrasse für hohe Wohnqualität und attraktive Atmosphäre steht. Lofts sind in erster Linie in Altbauten zu realisieren; es gibt jedoch auch Wohnprojekte, die diese Form des Wohnens in den Neubau übertragen haben. Auch die Stapelung von Maisonnette-Wohnungen, wie zum Beispiel im Freiburger Rieselfeld bietet sich als interessante Wohnform für die Eigentumsbildung an. Eine ganz entscheidende Weichenstellung könnte mit der Wiederbelebung des Einfamilienhauses in mittlerer Dichte als Stadthaus oder Patiohaus möglich wer-

80 LBS 2000; LBS 2002. 253

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den. Hier kann der Wohnungs- und Städtebau auf eine lange Tradition zurückgreifen, die von der Fuggerei in Augsburg über das Bremer Haus bis zum verdichteten Flachbau der 1980er Jahre reicht. In den Niederlanden wurde gerade diese Wohnform in den letzten Jahrzehnten mit großem Erfolg kultiviert. Unabhängig davon, welche sozialen Gruppen bzw. Milieus die Zielgruppe sind, ist bei der Gestaltung eines Quartiers eine hohe städtebauliche und architektonische Qualität erforderlich. Angesichts einer allgemeinen Entspannung der Wohnungsmärkte wirkt die Nachfrage höchst selektiv auf weniger attraktive Standorte. Durch Investoren- und städtebauliche Wettbewerbe können entsprechende Qualitäten und die Berücksichtigung neuer Zielgruppen im Rahmen von Bau- und Modernisierungsvorhaben gewährleistet werden.

6.3.3 Öffentliche Wohnraumförderung Bezahlbaren und attraktiven Wohnraum auch für die einkommensschwachen Haushalte zu sichern, ist und bleibt Hauptaufgabe der sozialen Wohnraumförderung. In den nächsten Jahren wird die Zahl der Wohnungen mit Belegungsbindungen deutlich abnehmen. Gleichzeitig werden durch Modernisierung und Rückbau viele Wohnungen im unteren Preissegment wegfallen, so dass Personengruppen vermehrt in die Bestände des preisgebundenen Wohnungsbaus drängen und sich die sozialen Probleme erhöhen können. Angesichts dieser Situation stellt sich die Frage, wie die Wohnraumversorgung der Bevölkerungsgruppen mit Schwierigkeiten im Zugang zum freien Wohnungsmarkt sichergestellt werden kann. Das Land steht auch in den kommenden Jahren gemeinsam mit den Wohnungsunternehmen in der Verpflichtung, die Sozialwohnbestände zu erhalten, zu modernisieren und soweit erforderlich zu ergänzen. Wohnungswirtschaft und Kommunen müssen in Zukunft in Form eines aktiven Belegungsmanagements verstärkt miteinander kooperieren. In den letzten Jahren verlor der soziale Wohnungsbau für die Wohnungswirtschaft deutlich an Attraktivität. Die vorhandenen Modernisierungsmittel werden unter anderem aufgrund der zurzeit günstigen Kreditkonditionen und der Belegungsbindungen kaum noch in Anspruch genommen. Zahlreiche Unternehmen nutzen zudem das aktuell niedrige Zinsniveau, um die öffentlichen Mittel zurück zu zahlen und gehen keine neuen Bindungen ein. Damit die Wohnungswirtschaft wieder verstärkt in die Modernisierung einsteigt, muss die öffentliche Wohnraumförderung von einer Reihe von Maßnahmen begleitet werden. Besonderer Aufmerksamkeit bedürfen vor allem die großen baulichen und sozialen Defizite in den Beständen. Hier ist eine umfassende Modernisierung not254

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wendig, um die Qualität des Wohnraums zu verbessern und um die Bestände den aktuellen Erfordernissen des Wohnungsmarktes anzupassen. Grundsätzlich gilt, Entwicklungen negativer Segregation zu verhindern oder zumindest abzumildern. Der wachsenden sozialen Polarisierung in den Beständen des preisgebundenen Wohnungsbaus muss durch eine verstärkte Modernisierung und eine Stärkung der sozialen Stabilität in den Quartieren begegnet werden. Haushalte mit höherem Einkommen verbessern die soziale Mischung und müssen in den Quartieren gehalten werden. Die Bestände sind auf die Bedarfe neuer Zielgruppen auszurichten. Das Wohnen im Alter erfordert altengerechte Wohnungen, die nicht nur den Standards der Barrierefreiheit entsprechen. Notwendig sind ebenso Angebote für Service-Wohnen, die den besonderen Bedürfnissen der älteren Generationen entsprechen. Die Verknüpfung von baulichen und sozialen Maßnahmen wird in der Zukunft noch wichtiger. Neben dem reinen Wohnungsbau sind in die Förderung Maßnahmen für die soziale Infrastruktur und das Wohnumfeld mit einzubeziehen. An die Stelle der Förderung von kleinteiligen isolierten Modernisierungsmaßnahmen sollte eine Förderung von abgestimmten Konzepten zur Stabilisierung eines Wohnquartiers treten, die Rückbau, bauliche Aufwertung und Modernisierung sowie nicht-investive Maßnahmen integrieren. Ebenso sollten zielgruppenorientierte Wohnungsangebote in die Förderung einbezogen werden. Preisgebundener Mietwohnungsbau muss nicht zwangsläufig als Geschosswohnungsbau realisiert werden, Reihenhaussiedlungen weisen in finanzieller Hinsicht durchaus ähnliche Ergebnisse auf. Die Entscheidung über die Wahl der Instrumente sollte flexibel und in Abstimmung mit der Wohnungswirtschaft innerhalb einer regionalen Budgetierung lokal erfolgen. Zu den nicht-investiven Maßnahmen sind ebenso Sozialarbeit, ConciergeLösungen, Quartiersmanagement, Beratungsangebote sowie die Förderung von sozialen und kulturellen Initiativen zu zählen. Hier steht in erster Linie die Wohnungswirtschaft in der Pflicht. Sie ist nicht nur Anbieter von Wohnungen, sondern muss sich auch als Dienstleister rund um das Wohnen verstehen. Wie etwa das Beispiel Bonn-Dransdorf zeigt, amortisiert sich für die Unternehmen zumindest ein Teil der Investitionen durch bessere Vermietbarkeit der Bestände, geringere Bewohnerfluktuation und weniger Vandalismusschäden oder Mietrückstände. 255

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Angesichts der zum Teil hohen Leerstände und der Segregationstendenzen in einzelnen Quartieren muss das bestehende Fehlbelegungsrecht grundsätzlich überprüft werden. Die Landesregierung hält bisher aus Gründen der formalen Subventionsgerechtigkeit weiterhin an einer landesweiten Erhebung der Ausgleichsabgabe fest. Nur im Ausnahmefall sind gebietsbezogene Befreiungen für schwierige Quartiere möglich. Die Möglichkeit zur Eigentumsbildung in reinen Sozialwohnungsquartieren muss geprüft werden. Angesichts des derzeit niedrigen Zinsniveaus sollte bei einer Veräußerung die Mieterprivatisierung bevorzugt gefördert werden. Dies erfordert eine gründliche und neutrale Beratung sowie entsprechendes Startkapital. Eine Alternative hierzu sind Wohnungsbaugenossenschaften, in denen Eigenanteile, Arbeitsleistungen und ehrenamtliches Engagement durch die Mitglieder eingebracht werden. Dazu ist die Gründung von Genossenschaften öffentlich zu unterstützen und die steuerliche Förderung von Genossenschaftsanteilen mit der bestehenden Förderung selbstgenutzten Wohneigentums zu harmonisieren. Ebenso ist die Kooperation von Genossenschaften zur Stärkung der Wirtschaftskraft zu erleichtern. Die bisherige Objektförderung ist ein Produkt der Wohnungsnot in der Nachkriegszeit und hat einen maßgeblichen Anteil an der quantitativen Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum. Unbestritten sind aber auch ihre Schwächen. So hat die Zielgenauigkeit der Objektförderung ihre Grenzen, wie die Erhebung der Ausgleichsabgabe zeigt. Sozialer Wohnungsbau ist nicht zwingend billiger Wohnungsbau. Durch die Mietpreisfortschreibung liegen die Mieten oft oberhalb der Vergleichsmieten des unteren und mittleren Preissegments. Mit der Konsequenz, dass die Wfa bereits seit Jahren auf eine Verzinsung ihrer Darlehen bzw. auf eine Erhöhung der Verzinsung verzichtet. Eine einkommensabhängige, monatliche Förderung - vergleichbar mit dem Wohngeld - weist demgegenüber eine nicht zu bestreitende Zielgenauigkeit auf und würde eine Konzentration einkommensschwacher Personengruppen in bestimmten Quartieren verhindern. Es ist daher zu prüfen, wie der Übergang von der Objektförderung zur Subjektförderung gestaltet und die Finanzierung der Subjektförderung - auch in Verbindung mit einer Reform des Wohngeldes - sichergestellt werden kann. Für die wirklichen Problemgruppen, die reale Marktzugangsschwierigkeiten haben, muss dennoch eine Sockelförderung in Form der Objektförderung erhalten bleiben. Aufgrund der unterschiedlichen Problemlagen sollte die Entscheidung über den Einsatz und das Verhältnis der beiden Förderinstrumente im Rahmen der Budgetierung der Fördermittel auf der kommunalen Ebene fallen. Eine Experimentierklausel im Bundeswohngeldgesetz würde die Möglichkeit eröffnen, die Mittel zu kombinieren. Dabei ist zu prüfen, inwiefern alle Förderinstrumente der Wohnraumförderung im Rahmen der Budgetierung zusammengeführt werden kön256

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nen, um eine örtlich zielgerichtetere Wohnungspolitik umzusetzen. Eine landespolitische Schwerpunktsetzung sollte sich dann nicht mehr an vereinheitlichten Mietpreisstufen oder der Zugehörigkeit zu bestimmten Räumen orientieren, sondern sich anhand bestimmter Problemlagen ausrichten.

6.3.4 Stadtumbau - Stadtentwicklung im Zeichen des demografischen Wandels Mit der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts begann das rasante Wachstum unserer Städte. Vor allem an Rhein und Ruhr wuchsen sie parallel zur wirtschaftlichen Entwicklung bis in die 1970er Jahre. Das schnelle Wachstum hatte seinen Preis. Die Stadtentwicklung konnte oft nicht nach heutigen Maßstäben gesteuert oder geordnet werden. So entstanden die hoch verdichteten Ballungsräume des Ruhrgebietes und der Rheinschiene mit hoher Einwohnerzahl und massiver Bebauung. Freiräume, Individualität und Vielfalt der einzelnen Städte gingen verloren und führten zu Defiziten in der urbanen Lebens- und Wohnumfeldqualität. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts zeichnet sich das Ende dieser Entwicklung ab. Durch den Rückgang der Geburtenrate, Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmendaten, anhaltende Suburbanisierung und abnehmende Zuwanderung werden für die Städte, vor allem die des Ruhrgebiets, bis zum Jahr 2015 Bevölkerungsrückgänge bis zu 12 Prozent prognostiziert. Die demografische Entwicklung hat unmittelbare Folgen für die betroffenen Städte. Sie ist Chance und Herausforderung zu gleich. Sie erfordert einen grundlegenden Paradigmenwechsel in der Stadtplanung. Die Entwicklung einer Stadt kann und braucht sich nicht länger am Wachstum und an einer meist quantitativen Bedarfsdeckung orientieren. Durch den wegfallenden Siedlungs- und Wachstumsdruck gibt es erstmals seit Jahrzehnten die Chance über großflächige Stadtumbaukonzepte nachzudenken. Stadtumbau erfordert grundlegend andere Strategien und Konzepte als die traditionelle Stadtplanung. Dem Stadtumbau dienen alle Maßnahmen, die zur Sicherung und Verbesserung der Lebens- und städtebaulichen Qualität beitragen. Das zentrale Ziel des Stadtumbaus ist somit die Qualitätsorientierung. Unter diesen Rahmenbedingungen ist Schrumpfen nicht nur ein unvermeidlicher 257

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Anpassungsprozess sondern bietet auch die Chance zu einer neuen innerstädtischen Entwicklung. Schrumpfen und neue Perspektiven sind nicht länger ein Gegensatz. Die Umorientierung erscheint alternativlos. Die demografische Entwicklung bietet zwar auf der einen Seite die Chance für eine neue Qualität der Stadtplanung, ist aber auch eine Herausforderung angesichts der unmittelbaren Folgen der sinkenden Einwohnerzahlen in einzelnen Stadtteilen. Die Defizite in der Lebensund Wohnumfeldqualität, die Erosion sozialer Strukturen, Verwahrlosungserscheinungen im öffentlichen Raum, hohe Baulandpreise, monotone Architektur und bauliche Mängel sind Ursachen der anhaltenden Suburbanisierung, die die demografischen Probleme in den betroffenen Stadtteilen noch verschärft: • Auf dem Wohnungsmarkt zeigen sich erhebliche Leerstände, vor allem in den hoch verdichteten Wohnsiedlungen der 1960er und 1970er Jahren mit deutlichen Defiziten in der Ausstattung, in den baulichen Standards und im Wohnumfeld. • Durch den Wegzug einkommensstärkerer Personengruppen kommt es zu einer beschleunigten sozialen Polarisierung und räumlichen Segregation. • Bevölkerungsrückgang, hohe Arbeitslosigkeit und wachsende Abhängigkeit von öffentlichen Transferleistungen bedeuten einen Rückgang der Nachfrage im Konsumbereich. Die Folge sind ein Rückgang der Kaufkraft und das Sterben von Stadtteilzentren. • Die sinkende Einwohnerzahl verstärkt die Probleme bei der Finanzierung der öffentlichen Infrastruktur. Die Steuereinnahmen nehmen ab, während die Infrastruktur durch geringe Auslastung und die Folgen der sozialen Segregation zusätzlich belastet wird. • In den Kernstädten des Ruhrgebietes verläuft der Bevölkerungsrückgang häufig parallel mit dem wirtschaftlichen Strukturwandel. Der damit verbundene Abbau von Arbeitsplätzen im sekundären Sektor führt zu hohen Arbeitslosenquoten und zahlreichen Gewerbe- und Industriebrachen. Die Vielfalt der Probleme in den betroffenen Stadtquartieren kann durch Einzelmaßnahmen und kleinteilige Modernisierung nicht behoben werden. Die bisherigen Instrumente der Städtebau- und Wohnungsbauförderung in NordrheinWestfalen reichen nicht aus. Die betroffenen Kommunen und Wohnungsbaugesellschaften sind alleine überfordert. Dies ist auch Ausdruck der kommunalen Finanzsituation. Weniger Einwohner bedeuten automatisch niedrigere Einnahmen für die städtischen Haushalte, so dass der Spielraum zur Finanzierung von gegensteuernden Maßnahmen begrenzt wird. Insofern ist der Stadtumbau die zentrale Herausforderung für die Stadtentwicklungs- und Wohnungsbaupolitik 258

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in Nordrhein-Westfalen in den kommenden Jahren. Es geht um nicht weniger als die Zukunft unserer Städte. Die Entwicklung in vielen ostdeutschen Städten mit dramatischen Leerständen zeigt, was ohne Gegenmaßnahmen in den kommenden Jahren eintreten könnte. Allerdings werden auch die Unterschiede zu Nordrhein-Westfalen deutlich: Im Westen sind die Folgen des demografischen Wandels zunächst noch ein punktuelles Problem, das vor allem in altindustriell geprägten Quartieren auftritt, die im Strukturwandel weiter zurückfallen.81 Daneben gibt es häufig andere Stadtteile, die weiter wachsen. Darüber hinaus ist die wirtschaftliche Situation der Wohnungswirtschaft in den westdeutschen Bundesländern deutlich günstiger, da hier bereits erhebliche Rücklagen aufgebaut werden konnten. Der Stadtumbau Ost hat zwangsläufig eine andere Schwerpunktsetzung als der zu begleitende Stadtumbau in den alten Bundesländern. Versteht sich der Stadtumbau Ost in erster Linie als Abrissförderprogramm, bei dem 350.000 dauerhaft leer stehende Wohnungen im Zeitraum 2002 bis 2009 vom Markt genommen werden sollen, wird der Stadtumbau in den alten Bundesländern vor allem durch den Umbau und die Aufwertung von städtischen Quartieren geprägt sein. Neben den Stadtumbau Ost muss ein Programm Stadtumbau West mit eigenen Zielsetzungen treten. In einer konzertierten Aktion von Bund, Land, Kommunen und der Wohnungswirtschaft gilt es neue Formen und Konzepte zur Aufwertung ganzer Wohnquartiere und Stadtteile zu entwickeln und in einem Programm zu bündeln. Weniger Siedlungs- und Wachstumsdruck ermöglicht es, die Stadtplanung und Stadtentwicklung zu überdenken und neu zu justieren. Der Rückbau bzw. Abriss von Wohnungsbeständen eröffnet die Perspektive, Defizite der urbanen Lebensqualität zu beseitigen. Je nach örtlicher Situation gilt es, verschiedene Strategien sinnvoll zu kombinieren: • Generelle Umorientierung vom Neubau zur Bestandspflege und -entwicklung sowie städtebaulichen Aufwertung, • Weiternutzung durch Bedarfsanpassung und Modernisierung, • wo erforderlich punktueller Rückbau bis hin zum Abriss mit anschließendem ergänzenden und marktgerechten Neubau, • Umnutzung und Konversion vor allem von Gewerbe- und Industriebrachen sowie aufgegebener militärischer Liegenschaften, • Rückbau bzw. Anpassung der Infrastruktur sowie

81 Vgl. Schmidt-Eichstaedt 2003, S. 282. 259

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• Verbesserung des Wohnumfeldes, Schaffung neuer Freiräume bis zur Renaturierung. Im Rahmen des seit 2002 bestehenden Bund-Länder-Programms Stadtumbau West, werden mit einem Ansatz von 15 Millionen Euro nur wenige Modellprojekte in den alten Bundesländern gefördert. Erstes Projekt in Nordrhein-Westfalen ist das Wohnquartier Schillerpark in Oer-Erkenschwick. Trotz dieser zaghaften Anfänge gibt es in Nordrhein-Westfalen bereits zahlreiche Erfahrungen mit dem Konzept eines geordneten Rückbaus. Im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Emscher Park (IBA) wurden Methoden und Verfahren des Umbaus an über hundert Projekten erprobt. Hier hat sich gezeigt, dass Geld alleine für einen umfassenden Stadtumbau nicht ausreicht. Es müssen bessere Rahmenbedingungen für die Förderung auf den unterschiedlichen Handlungsebenen geschaffen werden: • Es bedarf einer integrierten ressortübergreifenden Planung und Förderung in den Bereichen Stadtentwicklung, Wohnungsbau, Verkehr, Wirtschaftsförderung und soziale Infrastruktur. • Aufgrund der Größe der Probleme und zur Vermeidung interkommunaler Konkurrenz muss eine regional abgestimmte Stadtumbaukonzeption obligatorisch sein. Um einen Ausgleich zwischen Gewinnen und Verlusten herbei zu führen sind die Wohnungsunternehmen mit einzubinden. • Die Kommunen müssen ein gesamtstädtisches Handlungs- und Entwicklungskonzept erarbeiten. • Die Bewohner müssen, ähnlich wie bei den Stadtteilen mit besonderen Erneuerungsbedarf, aktiv in den Umbauprozess eingebunden werden. Hierzu könnten Wettbewerbe wie z.B. der Bundeswettbewerb „Unsere Stadt blüht auf“ beitragen.82 Vor allem diese Rahmenbedingungen und die kostenintensive Anpassung der Infrastruktur, die notwendigerweise den abnehmenden Bevölkerungszahlen folgen muss, bedürfen der öffentlichen Förderung. Der Rückbau und insbesondere der Abriss von Immobilien bleibt dagegen in erster Linie Aufgabe der Wohnungswirtschaft. Sie trägt für die Defizite in vielen Quartieren die unmittelbare Verantwortung und viele Altimmobilien bedürfen in den Bilanzen dringend einer Wertberichtigung. Bei Verknappung und Modernisierung von Wohnungen profitieren die Unternehmen direkt durch die Wertsteigerung der verbleibenden Immobilien. Beim Abriss öffentlich geförderter Wohnungsbestände ist das Problem der verbleibenden Restvaluta zu berücksichtigen. Aus der Fördervereinba-

82 www.entente-florale-deutschland.de. 260

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rung ergeben sich staatliche Ansprüche in Form von Preis- oder Belegungsbindungen, die mit dem Abriss des Bestandes nicht aufrechterhalten werden können. Es ist zu klären, ob die Fördervereinbarung auf andere Bestände übertragen werden kann, ob eine Tilgungsverlängerung, eine Zinsaussetzung oder sogar ein Verzicht auf die eingesetzten Förderdarlehen möglich ist. Öffentliches Handeln ist in erster Linie nur dort erforderlich, wo einzelne Problemobjekte weitere städtebauliche Probleme nach sich ziehen, z.B. der Leerstand einer nicht marktgängigen Immobilie die Entwicklung eines Stadtteils gefährdet oder öffentliche Investitionen entwertet. Die Finanzierung eines gesamtdeutschen Programms „Stadtumbau in Deutschland“ ist mit dem herkömmlichen Finanzrahmen der Wohnraumförderung und Stadterneuerung nicht zu leisten.

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Die Kommune unterliegt als die untere Handlungsebene im föderalen System Deutschlands einem beständigen Wandel und kontinuierlichen Anpassungsprozessen. Angesichts wachsender Aufgaben für die kommunale Ebene, abnehmender finanzieller Handlungsspielräume und neuer technologischer Möglichkeiten werden dabei Fragen des Aufgabenverständnisses von Kommunen und des Welfare-Mix neu zu bestimmen sein. Dies betrifft zum einen den Wandel im Selbstverständnis der Kommune als Dienstleister und kooperativer Partner gegenüber dem Bürger und lokalen Akteuren, zum anderen die Etablierung von modernen Organisationsstrukturen durch den Einsatz neuer Technologien und die Orientierung an privatwirtschaftlichen Kriterien in der Verwaltung sowie die wachsende Bedeutung Privater bei der Verantwortung öffentlicher Aufgaben. Im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen steht die Kommune vor dem Hintergrund dieser Veränderungsprozesse und der daraus resultierenden Herausforderungen. Darüber hinaus ergeben sich Anforderungen an die Landespolitik in Nordrhein-Westfalen, die Kommunen in ihrer Handlungsfähigkeit zu stärken und sie im Modernisierungsprozess im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung zu unterstützen.

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7.1

Bürger und Verwaltung

Seit Jahren bestimmen Reformdiskussionen im öffentlichen Sektor das Bild in den Parlamenten, in der Wissenschaft und in der Öffentlichkeit.1 Die Notwendigkeit von grundlegenden Veränderungen wird nicht mehr bestritten. Mittlerweile ist zudem ein breiter politischer Konsens darüber feststellbar, dass Verwaltungsmodernisierung als eine Daueraufgabe verstanden werden muss. Differenzen bestehen hingegen in der konkreten Ausgestaltung einer Verwaltungsmodernisierung und der Schwerpunktsetzung. Ein Schwerpunkt der Reformüberlegungen besteht darin, die Selbstverantwortung der Bürger zu stärken.2 Die Kommunen sind ohne ein Mehr an Eigeninitiative ihrer Bürger nicht zukunftsfähig. Nirgendwo sonst ist die Notwendigkeit des bürgerschaftlichen Engagements so unmittelbar spürbar wie auf der kommunalen Ebene. Freiwillige Feuerwehren, öffentliche Bibliotheken, Kultur- und Sportvereine sind ohne tatkräftige Mithilfe der Bürger nicht denkbar. Bürgerschaftliches Engagement kann dort helfen, wo öffentliche Aufgaben durch Private ergänzt oder sogar vollständig übernommen werden können. Gerade in Zeiten finanzieller Restriktionen der öffentlichen Kassen gewinnt die aktive Mithilfe der Bürger eine neue Qualität. Es zeichnet sich zunehmend ab, dass das Gemeinwesen ohne die Hilfe des Einzelnen keine Zukunft mehr hat. Dies kann mit dem Leitbild der Bürgerkommune beschrieben werden. Für die Kommunen gilt, das freiwillige Engagement zu fördern, zu pflegen und zu honorieren. Bürgerschaftliches Engagement ist jedoch mehr als ein Ersatz für ausgebliebene öffentliche Leistungen. Das Engagement stärkt die Identifikation des Einzelnen mit dem Gemeinwesen und der Kommune. Freiwilliges Engagement ist jedoch kein Freibrief für die Kommunen, sich weiter aus der Finanzierung von Aufgaben zurück zu ziehen. Das wäre das falsche Signal. In diesem Zusammenhang gewinnt die Frage einer Neubestimmung öffentlicher Aufgaben des Staates an Bedeutung. Konkret steht hierbei die Zukunft des klassischen Wohlfahrtsstaates zur Diskussion. Entgegen immer wieder formulierter Pauschalvorstellungen gibt es keine universelle Aufgabentheorie des Staates, sieht man von originären hoheitlichen Aufgaben wie Polizei, Justiz und

1

Budäus sieht in der seit rund zehn Jahren andauernden Reformdebatte zunächst nichts besonderes, Verwaltungsmodernisierung ist für ihn ein völlig normaler Vorgang. Verwaltungsreformen habe es schon immer gegeben. Dennoch habe die derzeitige Reform eine andere Bedeutung. Für ihn steht vor dem Hintergrund grundlegender gesellschaftlicher Veränderungen das klassische Funktions- und Rollenverständnis von Staat und Verwaltung zur Diskussion. Vgl. Budäus 2002, S. 15.

2

Nach Bogumil können dem Bürger drei Rollen zugeschrieben werden. Er unterscheidet nach dem Bürger als politischer Auftraggeber, als Kunde der Leistungserstellung und als Mitgestalter des örtlichen Gemeinwesens. Vgl. Bogumil 2003, S. 111.

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Kommunalverwaltung

Finanzverwaltung ab. Forderungen, öffentliche Aufgaben auf so genannte Kernaufgaben zu beschränken, hat erst kürzlich die Bull-Kommission unter dem Aspekt der Reform des öffentlichen Dienstes untersucht.3 Die dort getroffenen Aussagen können Hinweise geben, welche gesellschaftlichen Aufgaben dem Kernbereich staatlichen Handelns noch zuzuordnen sind. Beeinflusst durch das international verbreitete Konzept des New Public Management hat auch in Deutschland seit Ende der 1980er Jahre eine umfassende Diskussion über das Leistungs- und Aufgabenspektrum der öffentlichen Verwaltung eingesetzt. Sowohl auf Ebene des Bundes, der Länder wie auch in den Kommunen wird seitdem über Kostensenkungsprogramme, Privatisierung, Verselbständigung von Verwaltungseinheiten, Wettbewerbsmaßnahmen und Verlagerung öffentlicher Aufgaben auf Private diskutiert. Gerade die Kommunen befinden sich hier in einer schwierigen Situation. So muss die Kommune beim Abbau von öffentlichen Leistungen mit dem direkten Widerstand bzw. dem Unverständnis der Bevölkerung rechnen. Dies zeigt sich besonders, wenn Schwimmbäder oder kulturelle Einrichtungen aus Kostengründen geschlossen oder im Angebot reduziert werden müssen. In Zeiten einer engeren Finanzausstattung kommen die Kommunen nicht umhin, Aufgabenschwerpunkte zu setzen, soweit sie nicht durch Bundes- und Landesgesetzgebung ohnehin zur Wahrnehmung pflichtiger Aufgaben angehalten sind. Es gilt deshalb der Grundsatz, gemeinsam mit den Bürgern Vereinbarungen zu erzielen, wie vor Ort freiwillige, jedoch für notwendig erachtete Aufgaben bzw. Leistungen trotz defizitärer Haushaltslage finanziert und umgesetzt werden können. Erforderlich ist, ein neues kommunales Aufgabenverständnis zu entwickeln, in dem Kommune, Unternehmen und Bürger einen gewichtigen Platz haben. Nur das Zusammenwirken der verschiedenen Akteure stellt sicher, dass die erforderlichen Leistungen dort erbracht werden, wo sie benötigt werden.

7.2

Die Rolle der kommunalen und regionalen Akteure

Die Beteiligung und Mitwirkung von Bürgern und Wirtschaft gewinnt vor dem Hintergrund eines veränderten öffentlichen Aufgabenverständnisses eine grund3

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legend neue Bedeutung. Sie ist weder ausschließlich noch vorrangig unter dem Aspekt der Haushaltskonsolidierung zu sehen. Vielmehr geht es darum, den Bürgern nahe zu bringen, die Geschicke ihrer Kommune verstärkt in die eigene Hand zu nehmen. Im Verständnis der westeuropäischen Tradition war der Bürger derjenige, der seine Lebensumstände verantwortlich organisierte und auf dieser Basis das Gemeinwesen mitgestaltete. Das Engagement soll die Identifikation der Bürger mit der örtlichen Gemeinschaft fördern und die Erkenntnis verdeutlichen, dass das öffentliche Gemeinwesen nicht allein Aufgabe der öffentlichen Hand sein kann. Insbesondere die Krise der kommunalen Haushalte hat seit Mitte der 1990er Jahre eine umfassende Diskussion über die verstärkte Einbeziehung der Bürger in kommunale Entscheidungs- und Handlungsprozesse ausgelöst. Ansätze zur Aufstellung so genannter Bürgerhaushalte zielen in diese Richtung. Insoweit kann bürgerschaftliche Teilhabe auch eine Maßnahme der Haushaltskonsolidierung sein. Neben diesem - eher dem bürgerschaftlichen Engagement zuzuordnenden - Bereich darf die Rolle der Investoren, der örtlichen Wirtschaft und des örtlichen Handels einerseits und die Rolle der Verwaltung andererseits bei der Gestaltung von Prozessen und Maßnahmen nicht vernachlässigt werden. Auch in diesen Bereichen werden, zum Teil durchaus aus wirtschaftlichem oder administrativem Interesse, wichtige Grundlagen für Stadtentwicklung geschaffen und Stadträume gestaltet. Bei der Einbeziehung der Bürger geht man von einem Governance-Begriff aus, der sich im Gegensatz zum allein staatlich verstandenen Government-Begriff dadurch unterscheidet, dass er Staat, Markt, soziale Netzwerke und Gemeinschaften in unterschiedlichen Kombinationen einbezieht. Zur Analyse der politischen Steuerungsmöglichkeiten werden die Beiträge von zivilgesellschaftlichen und privatwirtschaftlichen Akteuren mit einbezogen.4 Bürgerschaftliches Engagement Bürgerschaftliches Engagement findet überwiegend im kommunalen Raum statt und eröffnet neue Möglichkeiten der Beteiligung. Dabei sind zunächst dauerhaft angelegte Beteiligungsinstrumente wie Ausländer- und Seniorenbeiräte von zeitlich befristeten und zudem dialogorientierte von nicht dialogorientierten Ansätzen zu unterscheiden (vgl. Tab. 1). Stark dialogorientierte Formen der Beteiligung wie etwa Stadtmarketing oder lokale Agenda 21 entsprechen in der Regel eher den Bedürfnissen und Erfordernissen der Bürger und geben die Chance zu dauerhaftem Engagement. 4

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Hinsichtlich der Ausgestaltung und der Förderungsmöglichkeiten des bürgerschaftlichen Engagements sollen im Weiteren nur Ausschnitte aufgegriffen werden. Hier muss insbesondere auf die aktuellen und umfassenden Untersuchungen der Enquetekommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ des Deutschen Bundestags sowie deren Empfehlungen hingewiesen werden (vgl. Enquête-Kommission Zukunft des „Bürgerschaftlichen Engagements“ 2002).

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Kommunalverwaltung

Tab. 1: Beteiligungsinstrumente des Bürgerschaftlichen Engagements im Überblick Quelle: Bogumil

Dialogorientiert

nicht dialogorientiert

Punktuelle Beteiligung

Dauerhafte Beteiligung

Bürgerforen aller Art (Mediationsverfahren) Planungszelle Zukunftskonferenz/- werkstatt open space Stadtteilkonferenz Perspektivenwerkstatt E-Democracy

Ausländerbeiräte Seniorenbeiräte Behindertenbeiräte Kinder- und Jugendparlamente Nachbarschaftsarbeit Gemeinwesenarbeit Quartiersmanagement

Bürgerversammlungen Bürgerbefragungen Einwohnerfragestunden

turnusmäßige Bürgerbefragungen

Gleichsam machen die veränderten Motive sich zu engagieren deutlich, dass ein langfristiges Engagement nicht immer gewollt ist. Der persönliche Einsatz erfolgt heute gewöhnlich spontan, zur konkreten Lebenssituation passend und damit eben nicht zwangsläufig langfristig. Hinzu kommt, dass die individualisierte Gesellschaft durch ein starkes Bedürfnis nach Eigenverantwortung und Selbstbestimmung geprägt ist, woraus neue Herausforderungen an Mitbestimmungs-, Gestaltungs- und Teilhabemöglichkeiten resultieren. In der Praxis sind die Engagement- und Beteiligungsformen vielfältig und unterschiedlich erfolgreich. Das Engagement bei Bürgerforen ist sowohl zeitlich befristet als auch themenorientiert. Die herkömmliche, formale Bürgerbeteiligung im Rahmen der Bauleitplanung wird nicht immer den neuen, dialogorientierten Verfahren der Bürgerbeteiligung gerecht. Durch die zurückhaltende Anbindung an die kommunale Vertretung durch Rat und Ausschüsse besteht häufig die Gefahr einer mangelnden Umsetzung der Beteiligungsergebnisse, zumal auch die finanziellen Handlungsspielräume der Kommunen immer enger werden. Setzt die Kommunalpolitik sich zum Ziel, durch freiwillige und offene Beteiligungsprozesse Politikverdrossenheit abzubauen, so wird dieses Ziel erheblich gefährdet, wenn die Ergebnisse des Beteiligungsmanagements nicht ernst genommen und nicht aufgegriffen werden und deshalb auch keine Umsetzung erfahren. Seit Mitte der 1990er haben sich in Deutschland neue Formen der Engagementförderung herausgebildet. Dennoch gibt es in nordrhein-westfälischen Städten deutlich weniger Mitarbeiter, die für die Förderung von bürgerschaftlichem Engagement, Freiwilligenagenturen oder Bürgerstiftungen zuständig sind, als beispielsweise in Baden-Württemberg. Die dortige Förderpraxis zeichnet sich stärker durch Engagementkonzepte als durch landesgeförderte Einzelprojekte aus. 267

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Insbesondere in den Klein- und Mittelstädten besteht ein erhebliches Engagementpotenzial. Eine Befragung in den Städten Arnsberg und Schwäbisch Gmünd zeigt, dass der Spaß an Engagement - wie z.B. im Sportverein - vorherrschende Motivation ist, während etwa die Übertragung der Pflege von öffentlichen Grünflächen oder die Pflege öffentlicher Einrichtungen nur auf wenig Interesse bei den Bürgern stößt. Zahlreiche innovative Beteiligungsformen sind auch innerhalb der von den Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung 1992 initiierten Lokalen Agenda 21 vorgesehen. Gerade in Nordrhein-Westfalen ist durch eine intensive Landesförderung die Teilnahme der Kommunen am Agendaprozess mittlerweile der Regelfall. Dennoch hat dieser Prozess zuweilen zu Frustration geführt, da er „top-down“ organisiert wird und die initiierten Maßnahmen nicht in dem erhofften Maße umgesetzt werden. Erfolgreich sind in der Regel kleine, konkrete Projekte, deren Umsetzung entweder durch eigene Mittel, Sponsoren oder durch Landesmittel garantiert werden kann. Diese Ansätze gilt es aufzugreifen, damit bürgerschaftliches Engagement noch gezielter wirken kann. Als weiteres Erfolgshindernis erweist sich innerhalb der Agendaarbeit die mangelnde Diskussionsbereitschaft und Entschlussfreudigkeit der beteiligten Akteursgruppen bei wesentlichen Konfliktfragen. Ebenso problematisch sind Konkurrenz- wie auch Kompetenzängste der kommunalpolitischen Entscheidungsträger und der Fachverwaltungen, die sich in ihren Einflussmöglichkeiten beeinträchtigt sehen. Privatwirtschaftliches Engagement Das private Engagement auf kommunaler Ebene ist besonders stark in zwei relativ neuen Politikbereichen ausgeprägt, dem Stadtmarketing (Problemlage Einzelhandel in Innenstadtlagen - Konkurrenz durch „grüne Wiese“) und der Kriminalprävention. Durch die Anreizfinanzierung des Landes im Rahmen der Stadtmarketingkonzepte können Vertreter des Einzelhandels und andere Akteure gewonnen werden. Auch das Folgeprogramm „Ab in die Mitte - City-Offensive Nordrhein-Westfalen“, finanziert aus dem Stadterneuerungsprogramm des Landes, stößt auf positive Resonanz. Die ebenfalls durch das Land initiierten Ordnungspartnerschaften auf kommunaler Ebene sind zu großen Teilen Kooperationen, die das Engagement zumeist der Einzelhändler im Rahmen der Kriminalprävention fördern. Diese Konzepte sind im Vergleich zu den Agendaprozessen erfolgreicher, da geringere Umsetzungsprobleme und übereinstimmende Interessenlagen bei den beteiligten Bürgergruppen bestehen. Kommunale Engagementinfrastruktur Ähnlich den privatwirtschaftlichen Aktivitäten hat sich die Akzeptanz für kriminalpräventive, bürgerschaftliche Ansätze entwickelt, da sich die Furcht vor Kri268

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minalität unter anderem an äußeren Zeichen von Unordnung und Unsauberkeit manifestiert. Hierbei ist nicht zu bestreiten, dass das subjektive Sicherheitsempfinden der Bevölkerung lange Zeit nicht genügend berücksichtigt wurde. Durch Runde Tische und eine Vernetzung der Kommune mit Polizei, Handel und Bürgern innerhalb von Ordnungspartnerschaften konnte die Kriminalprävention in lokale Politik mit starker privater Beteiligung integriert werden. Bei der Entwicklung einer kommunalen Infrastruktur zur Engagementförderung, insbesondere in Form von Freiwilligenagenturen, Seniorenbüros und Selbsthilfekontaktstellen erscheint ein Blick auf die Aktivitäten in BadenWürttemberg sinnvoll. In der Literatur wird darauf hingewiesen, dass gerade in Klein- und Mittelstädten die Ansiedlung entsprechender Büros innerhalb der Kommunalverwaltung Vorteile und einen höheren Bekanntheitsgrad gegenüber lediglich auf Initiative eines Wohlfahrtsverbandes eingerichteten Freiwilligenagenturen bietet. Das Nebeneinander von Selbsthilfekontaktstellen, Seniorenbüros und Freiwilligenagenturen sollte zugunsten einer Zusammenlegung aufgegeben werden.

Organisationen und Verbände In einer langen Tradition steht die Beteiligung der gesellschaftlichen Akteure in der Jugendhilfe. Dabei erfüllen die Wohlfahrtsverbände drei wichtige Funktionen als Dienstleister, als Organisatoren ehrenamtlicher Helfer sowie als Interessensvertreter ihrer Klientel. Die Nähe der Wohlfahrtsverbände zu den Jugendhilfeausschüssen der Kommunen wird von nicht wenigen Akteuren und Beobachtern als kritisch eingeschätzt. Andere, private Akteure sehen sich dadurch bei der Politikformulierung und implementierung benachteiligt und ins Abseits gedrängt. Gleichwohl haben sich die Wohlfahrtsverbände als verlässliche Partner bewährt und werden nicht zuletzt auch durch das Kinder- und Jugendhilfegesetz sowie das Bundessozialhilfegesetz gefördert. Wettbewerb in der Vergabe findet in der Jugendhilfe heute de facto nicht statt. Elemente eines Wettbewerbs finden sich bis heute lediglich im Bereich der Erziehungshilfe. Durch eine stärkere Wettbewerbsorientierung im Jugendbereich könnte die Zahl der Ehrenamtlichen immer stärker zurückgehen, da diese sich eben nicht für rein privatrechtlich geführte Unternehmen engagieren würden. 269

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Vereine Traditionell ist das Vereinswesen mit seinen vielfältigen Angeboten in NordrheinWestfalen stark ausgeprägt. Das große Engagement in Sportvereinen ist der gesellschaftlich dominierte Teil innerhalb der Sportpolitik. Hier hat sich das Engagement in den letzten 20 Jahren erheblich verstärkt. So hat sich in dieser Zeit die Zahl der Vereine und Verbände verdoppelt. Die Sportvereine bieten heute eine leistungsfähige ehrenamtliche Struktur, die auch Aufgabenübertragungen durch die Kommune erledigen und bewältigen kann. Beispiele hierfür bieten Essen und Gelsenkirchen, die ihren Stadtsportbünden weitgehend die Aufgaben und Kompetenzen der klassischen Sportverwaltungen übertragen haben. In Essen haben der Sportbund und die Vereine beispielsweise zahlreiche Sportstätten durch die Delegation der Schlüsselgewalt in ihre Trägerschaft übernommen. Die Stadt reduziert somit ihre Ausgaben, wobei die Vereine aufgrund der faktischen Mehreinnahmen zudem ein besseres Angebot machen können.

Mitwirkungsrechte in Kommune und Quartier Ein Vergleich mit Konzepten und Erfahrungen in Großbritannien, Frankreich und Schweden zeigt zunächst, dass der Bund und die Länder in der Erweiterung der direkten politischen Mitwirkungsrechte der Bürger auf der kommunalen Ebene am weitesten fortgeschritten sind, da seit den frühen 1990er Jahren die verbindlichen kommunalen Referenden eingeführt worden sind. In Schweden sind die Erfahrungen mit den von oben angeordneten Nachbarschaftsräten auf der Stadtteilebene der Kommunen eher negativ. Dem stehen die positiven Erfahrungen in Frankreich mit den seit den 1920er Jahren aus der Bürgerschaft entstandenen Quartiersräten (conseils de quartier) gegenüber, die den Betroffenen, aber auch einzelnen Randgruppen zum Teil weitgehende Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte zukommen lassen. Positive Erfahrungen gibt es sowohl in Schweden als auch in Frankreich mit der Einrichtung von Nutzerräten als Ansatz einer so genannten kleinen Demokratie. Diese geben den Nutzern bestimmter kommunaler Einrichtungen wie z.B. den Eltern in den Schulen oder Jugendlichen in Jugendeinrichtungen die Möglichkeit zur Mitwirkung an sie unmittelbar betreffenden Entscheidungen. Dies geschieht im Sinne einer Nutzerdemokratie und umfasst sogar kleine, selbständig verwaltete Budgets.

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Neue Organisationsformen in der öffentlichen Verwaltung

Die öffentliche Verwaltung steht unter einem stetigen Modernisierungsdruck. Angesichts der anhaltenden Krise der öffentlichen Finanzen hat das Modernisierungserfordernis jedoch eine neue Qualität erhalten.5 Den Bemühungen ist vielfach gemein, Modernisierungserfahrungen aus der Privatwirtschaft auf die öffentliche Verwaltung zu übertragen. Mittlerweile gibt es einen „breiten Konsens darüber, dass auch die Verwaltungen effektiver und effizienter werden sollen und dass es durchaus sinnvoll sein kann, aus privatwirtschaftlichen Erfahrungen zu lernen. Die Ökonomisierung gesellschaftlicher Strukturen macht auch vor dem öffentlichen Sektor nicht halt, die Marktwirtschaft endet nicht mehr länger vor den Rathaustoren“.6 Allerdings ist nicht alles, was von privatwirtschaftlich geprägten Unternehmensberatern vorgeschlagen wird, eins zu eins auf den öffentlichen Sektor übertragbar. Die Implementierung derartiger Prozesse und Strategien in die öffentliche Verwaltung erfordert ein hohes Maß an Sensibilität. Gegen Anfang der 1990er Jahre hat die Diskussion über die Modernisierung des Staates neuen Schwung bekommen. Dieser Modernisierungsdruck hat verschiedene Ursachen: Aus neuartigen Problemlagen (z.B. Haushaltskrisen, höheren Ansprüchen der Bevölkerung durch Wertewandel), einem veränderten internationalen Umfeld (Globalisierung, EU-Erweiterung etc.) sowie einem organisatorischen Paradigmenwechsel im privaten Sektor und schließlich aus den Modernisierungsbemühungen in anderen Staaten resultierte die Notwendigkeit einer schnellen Anpassung.7 Die Modernisierung der öffentlichen Verwaltung hat vor allem auf der kommunalen Ebene stattgefunden. Dies ist nicht ungewöhnlich, da der Kontakt zwischen Verwaltung und Bürgern auf der kommunalen Ebene besonders intensiv ist. So werden Fehlentwicklungen und Defizite weitaus früher wahrgenommen als auf der Ebene der Länder und des Bundes. Die Beurteilung der deutschen Kommunalverwaltung gab in den letzten Jahren kein einheitliches Bild ab. In den 1970er und 1980er Jahren galt die deutsche Kommunalverwaltung auch international als wertgeschätztes Markenprodukt. Zu Beginn der 1990er Jahre hat sich diese Einschätzung grundlegend gewandelt. In internationalen Leistungsvergleichen wurde festgestellt, dass die deutsche Kommunalverwaltung teilweise erhebliche Leistungs- und Innovationsde-

5

Vgl. Bogumil/Kißler 1995, S. 7.

6

Kißler/Bogumil/Greifenstein/Wiechmann 1997, S. 22.

7

Vgl. Naschold/Bogumil 2000, S. 84ff. 271

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fizite aufweist - dies gilt besonders für den Wettbewerb im Zusammenhang mit der Vergabe des Carl-Bertelsmann-Preises 1993.8 Seit dieser Bestandsaufnahme sind mittlerweile mehr als zehn Jahre vergangen. Auch wenn die Entwicklung nicht im gesamten Land in allen Kommunen parallel verlaufen ist, ist seitdem auf kommunaler Ebene viel geschehen. Einige Aspekte dieser Entwicklung sollen im Folgenden aufgegriffen werden.

7.3.1 Das Neue Steuerungsmodell Inspiriert durch die internationalen Erfahrungen eines New Public Management und durch das so genannte Tilburger Modell in den Niederlanden hat die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung im Jahr 1993 das Neue Steuerungsmodell als Reformleitbild vorgelegt.9 Innerhalb weniger Jahre hat sich das Modell zum bestimmenden Modernisierungs- bzw. Referenzkonzept für die kommunalen Verwaltungen entwickelt.10 Das anfangs mit großer Euphorie aufgenommene Konzept wurde jedoch in den Städten und Gemeinden des Landes im unterschiedlichen Maße umgesetzt. Das Neue Steuerungsmodell stellt eine Abkehr von der klassisch bürokratischen Steuerung der öffentlichen Verwaltung dar.11 Im Kern beschreibt es das Leitbild des politisch gesteuerten Dienstleistungsunternehmens Kommunalverwaltung: Es ist kunden- bzw. nachfrageorientiert statt inputorientiert und zudem deutlich wettbewerbsorientiert.12 Ein weiteres entscheidendes Element als Zeichen einer unternehmensähnlichen dezentralen Führungs- und Organisationsstruktur ist die neue Verantwortungsabgrenzung zwischen Politik und Verwaltung. Demnach soll die Politik für das „Was“, die Verwaltung für das „Wie“ der kommunalen Leistungserstellung zuständig sein. Diese Konstruktion wird als Kontraktmanagement bezeichnet, das als Vereinbarung von Zielen zwischen Politik und Verwaltung unter Bereitstellung von entsprechenden Ressourcen zu verstehen ist.13 Als das wirksamste Element hat sich die im Neuen Steuerungsmodell vorgesehene Budgetierung erwiesen. Bei konsequenter Umsetzung wurde hierdurch 8

Vgl. Naschold 1997, S. 89.

9

Bereits im Jahr 1991 hat die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung einen Bericht vorgelegt, der die Grundgedanken für ein neues Leitbild der Kommunalverwaltung formuliert. Vgl. Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung 1991.

10 Vgl. Banner 1997, S. 125. 11 Vgl. Naschold/Jann/Reichard 1999, S. 15f. 12 Vgl. Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung 1993, S. 13f. 13 Vgl. Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung 1993, S. 16f. 272

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eine eindeutige fachbereichsbezogene Ressourcenzuständigkeit und in der Folge eine haushalterische Begrenzung von Haushaltstiteln erreicht. Außerdem wurde ein kurzfristig wirksames Konsolidierungsinstrument gefunden, indem Ausgaben nicht aufgabenorientiert sondern budgetorientiert kalkuliert werden. Insofern wird das Neue Steuerungsmodell in der Praxis weniger als Leitbild, sondern eher als Rationalisierungsinstrument genutzt.14 Das Zusammenführen der Fach- und Budgetverantwortung führt jedoch zu erheblich mehr Verantwortung auf Seiten der Verwaltung, die nicht mehr auf andere Budgets zurückgreifen kann. Gleiches gilt für Politik und Öffentlichkeit: Politische Prioritätensetzungen werden unmittelbar sichtbar und somit öffentlich diskutierbar. Schwierigkeiten ergeben sich in vielen Kommunen bei der Ermittlung des vorhandenen Vermögens. Erst die Einbeziehung der Kosten für den Werterhalt, die jeder Kaufmann in Form seiner Abschreibungen darlegt, macht die Doppelte Buchführung zu einem wirksamen Instrument. Nur wer die Folgekosten von politischen Entscheidungen kennt und in seine politischen Beschlüsse einbezieht, kann gesamtverantwortlich entscheiden. Eine entsprechende Reform des Haushaltsrechts der Gemeinden steht unmittelbar vor der Umsetzung. Die althergebrachte Kameralistik hat ausgedient und wird durch das Neue Kommunale Finanzmanagement - ein an die Erfordernisse öffentlicher Haushalte angepasstes kaufmännisches Rechnungswesen - abgelöst. Damit hält die betriebswirtschaftliche Buchführung jetzt in ihren Grundzügen Einzug in die Haushalte der Kommunen. In Nordrhein-Westfalen haben in drei Jahren sieben Modellkommunen Erfahrungen mit dem Neuen Kommunalen Finanzmanagement gesammelt. Nach Auswertung dieser Erfahrungen wird nun mit der flächendeckenden Umsetzung in die Praxis begonnen. Bei dem Modellprojekt ist herauszuheben, dass diese sieben Kommunen den Entwurf für das Gesetz selbst entwickelt haben und somit ein praxisorientiertes Konzept entsteht. Das Gesetz kann noch im Laufe des Jahres 2004 im Landtag beraten und verabschiedet werden. Ab 2005 kann dann in Nordrhein-Westfalen die Umsetzung beginnen. Spätestens ab 2008 müssten dann alle nordrhein-westfälischen Kommunen ausschließlich mit dem neuen System arbeiten.15 Das Hauptproblem des Neuen Steuerungsmodells ist und bleibt seine konsequente Umsetzung, die vielfach durch bestehende Normen wie Haushaltsrecht, Besoldungs- und Tarifstrukturen oder Personalvertretungsrecht sowie durch die Akteure selbst gehemmt wird. Ein weiteres Problem stellt die oft infolge der Haushaltskrise erfolgte Ausgliederung ehemaliger Verwaltungsteile dar. Mittlerweile wird in vielen Städten mehr in 14 Vgl. Kißler 1998, S. 16. 15 Innenministerium NRW, Pressemitteilung vom 21. November 2003. 273

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diesen Gesellschaften investiert, als innerhalb der Kernverwaltung. Dem Rat als gewähltem Organ muss eine funktionierende Beteiligungsverwaltung zur Seite gestellt werden, damit er seine Funktion als Gesellschafter wahrnehmen kann. Die Verwaltungsspitze muss auch hier eindeutig den Unternehmen sowohl in fachlicher als auch in ressourcenspezifischer Sicht zugeordnet werden. Gleichzeitig muss der Rat gerade auch gegenüber den Gesellschaften den politischen Willen aufbringen und durchsetzen, diese strategisch über klare Vereinbarungen und verlässliche Budgetvorgaben zu steuern. Nicht weniger problematisch ist die Einbindung der Politik. Vielfach wurden die politischen Entscheidungsträger nicht ausreichend in die Planungen integriert, was Unmut und Widerstand erzeugt. Dass die Idee einer Trennung von politischen Entscheidungen und dem operativen Geschäft nicht realistisch und sinnvoll ist, zeichnet sich zunehmend ab. Gleichermaßen müssen die Beschäftigten, die eigentlich Betroffenen, in den Reformprozess mit eingebunden werden. Es ist letztendlich anzunehmen, dass das Leitbild des Dienstleistungsunternehmens Kommunalverwaltung nur Erfolg haben kann, wenn die Entscheidungsträger aktiv in den Modernisierungsprozess eingebunden werden: „Politik steht dabei nicht am Rande, sondern im Zentrum des Modernisierungsfeldes“.16 Sie muss allerdings die Bereitschaft zeigen, auf einzelne Kompetenzbereiche zu verzichten, die von der Fachverwaltung erledigt werden können. Gleichzeitig muss die Politik den Willen haben, die wesentlichen strategischen Entscheidungen selbst zu treffen und sich dabei weder hinter Ressortfragen noch hinter der Verwaltung zu verstecken. Aus heutiger Perspektive stellt sich kein durchgängig positives Bild bei der Beurteilung der kommunalen Verwaltungsmodernisierung in den letzten elf Jahren ein. Aus diesem Grund haben laut Banner viele Kommunen nur Teile des Neuen Steuerungsmodells umgesetzt, was die Wirksamkeit des Modernisierungskonzepts erheblich beeinträchtigt.17 So überrascht es auch nicht, dass der Modernisierungsprozess als zu langsam bewertet wird.18 Eine insgesamt positive Bilanz will selbst die kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung nicht ziehen. Sie bewertet die Verwaltungsreform nicht als durchgehende Erfolgsgeschichte, obwohl sichtbare Erfolge eingetreten sind.19

16 Bogumil/Kißler 1998, S. 19. 17 Vgl. Banner 2003, S. 17. 18 Vgl. Vogel 2003, S. 10. Nach Bogumil kann zwischen vier Reformphasen der kommunalen Verwaltungsmodernisierung unterschieden werden: 1. Grundlegende Kritik bis 1993; 2. Euphorische Aufbruchstimmung bis 1996; 3. Stagnation bzw. Ernüchterung bis 1998; 4. Konsolidierung und Konzentration der Modernisierung auf das Machbare, Ermüden der Reformen oder Neuausrichtung unter dem Stichwort Bürgerkommune. Vgl. Bogumil 2002, S. 55. 19 Vgl. Hilbertz 2002, S. 2. 274

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7.3.2 E-Government Seit Jahren bestimmen Forderungen nach einer größeren Dienstleistungs- und Kundenorientierung sowie Flexibilität und Wirtschaftlichkeit die Diskussion über die Zukunft der öffentlichen Verwaltung. Der Einsatz des Internets zur Verwaltungsprozesserleichterung und -flexibilisierung erscheint eine nahe liegende Lösung. Die großen Erwartungen und Hoffnungen, die in die digitale Revolution gesetzt wurden, sind allerdings inzwischen einer pragmatischen Annäherung und Nutzung der neuen Medien gewichen. Die Akzeptanz der einzelnen Anwendungsmöglichkeiten fällt sehr unterschiedlich aus. Während die Internetnutzung ebenso wie die Internetpräsenz von Unternehmen mittlerweile Selbstverständlichkeiten darstellen, werden die Potenziale, die aus dem Einsatz von Internetdiensten im Rahmen von Verwaltungsprozessen resultieren, auf Grund fehlender Rahmenbedingungen nach wie vor nur unzureichend genutzt. Trotzdem sind viele Beispiele bekannt, wo nordrhein-westfälische Städte ihre Leistungsbereitschaft und ihre Leistungsfähigkeit auf dem Gebiet des elektronischen Verwaltungshandelns unter Beweis stellen. Die zahlreichen entwickelten elektronischen Portale der Verwaltungseinheiten machen deutlich, dass auch die öffentliche Hand sich den aktuellen technischen Herausforderungen stellt. Einschränkend muss aber festgestellt werden, dass sich das Gros der kommunalen Internetauftritte auf eine nahezu ausschließliche Informationswiedergabe beschränkt. Über die simplen Abruffunktionen hinausgehende, möglicherweise sogar interaktive Angebote findet man dagegen nur selten. Das elektronische Wunschkennzeichen etwa ist zwar ein durchaus sinnvolles und von der Bevölkerung auch angenommenes Angebot, aber erst der Anfang der Möglichkeiten. Der Einsatz von E-Government wird häufig im Rahmen einer notwendigen Verwaltungsmodernisierung diskutiert. Die Erwartungen an eine Steigerung der Kunden- und Dienstleistungsqualität wie auch der Wirtschaftlichkeit der Verwaltungsarbeit zielen darauf, komplette Geschäftsvorgänge zwischen Bürgern und Verwaltung über das Internet abzuwickeln. Die Bereitstellung von Formularen zum Download ist hier keine hinreichende Antwort auf die Anforderungen an das neue Medium. Zu kurz greifen auch Ansätze, bestehende Verwaltungsabläufe einschließlich der bisherigen Formulare zu kopieren und in das Internet einzustellen. Eine Verknüpfung digitaler und traditioneller Wege in der Weise, dass Formulare herunter geladen werden, dann aber von Hand ausgefüllt und zur Behörde getragen werden müssen, um dort manuell bearbeitet zu werden, erfüllt die Erwartungen aller an das Medium nicht. Mit der elektronischen Steuererklärung (ELSTER) weist die Finanzverwaltung hier den Weg in die richtige Richtung. Die Angebote müssen im Hinblick auf interaktive Prozesse und eine stärkere elektronische Teilhabe der Bürger an Entscheidungen deutlich weiter entwickelt 275

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werden. Voraussetzung hierfür ist, dass bei Bedarf auch die Verwaltungsabläufe verändert werden und eine Aufgabenkritik erfolgt. Die Akzeptanz des Internets bei den Bürgern und den Verwaltungsmitarbeitern ist in den letzten Jahren sicher gestiegen. Das Medium hat sich mittlerweile zu einer unentbehrlichen Kommunikations- und Arbeitshilfe entwickelt. Die anfänglich geführten Diskussionen bei der Etablierung von E-Government zu notwendigen technischen Infrastrukturen, Anwendungen, Standards etc. sind zwischenzeitlich abgeschlossen. Die Diskussion fand zunächst nahezu ausschließlich vor dem Hintergrund der technischen Machbarkeit und der damit verbundenen Kosten statt. Abgesehen von der technischen Nutzbarkeit ist bei der Umsetzung von EGovernment jedoch auch zu berücksichtigen, dass zurzeit nur etwa die Hälfte aller Haushalte Zugang zum Internet haben (vgl. Kapitel B3). Neben Anforderungen an die Verfügbarkeit für unterschiedliche Nutzer ist zudem der Sicherheitsaspekt ein zentraler Gesichtspunkt. Hier spielt die Einführung der elektronischen Signatur eine besondere Rolle. Die Abwicklung von Verwaltungsvorgängen stellt hohe Anforderungen an die Datensicherheit. Besonders in Deutschland besteht hier sowohl auf Seiten der Bürger als auch auf Seiten der Verwaltung ein hohes Sicherheitsbedürfnis. Allerdings erscheint fraglich, ob tatsächlich für alle angedachten Verwaltungsvorgänge die hohen Anforderungen einer elektronischen Signatur erfüllt sein müssen. Mit der kontinuierlich wachsenden Akzeptanz des Internets in allen Lebensbereichen werden auch die Anforderungen für elektronische Signaturen und andere Identifikationsmöglichkeiten zunehmen. Das praktische Beispiel des OnlineBankings zeigt, dass mit der Personal Identity Number (PIN) und Trans Action Number (TAN) durchaus ein Sicherheitsstandard erreicht werden kann, der von den beteiligten Personen akzeptiert wird. Der Nutzer will einen Vorteil für sich verbuchen können, wenn er sich dem Medium nähert. Dieser Vorteil lässt sich am leichtesten monetär darstellen. Auch wenn eine Übertragung eines so verstandenen Aufwand-Nutzen-Prinzips nicht für alle Verwaltungsvorgänge möglich ist, spricht doch Vieles dafür, dass auch bei der Gebührengestaltung der öffentlichen Hand entsprechende Differenzierungen vorgenommen werden sollten. So könnten etwa unterschiedliche Bearbeitungsgebühren für die traditionelle Bearbeitung und die Internetnutzung erhoben werden. Die Akzeptanz des Mediums wird im Interesse der Beteiligten zweifelsfrei erhöht, wenn die neue Form der Abwicklung mit einem Mehrwert verbunden, also z.B. schneller, gebühren- und kostengünstiger als die herkömmliche Art der Abwicklung ist. Voraussetzung für die Nutzung des Internets in Verwaltungsprozessen ist, dass die Nutzung einfach und leicht zugänglich ist. Wer den Verwaltungsvorgang 276

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leichter per Telefon erledigen kann, wird nicht die Hürden eines gemeindlichen Internetzugangs auf sich nehmen. Bei diesem Vergleich wird jedoch auch die Überlegenheit des Mediums Internet deutlich, wenn das Angebot entsprechend qualitativ gestaltet wird: So ist die Online-Nutzung nicht an Öffnungszeiten gebunden und nahezu überall verfügbar. Für das E-Government sind insbesondere die so genannten Lebenslagen-Portale von großer Bedeutung.20 Der Nutzer muss nicht die Zuständigkeitsfragen der Verwaltung klären, wenn er das Angebot nutzen will, sondern hat direkten Zugriff auf die für ihn relevanten Informationen. Beim Aufruf der Lebenslage „Umzug“ bietet ihm das gemeindliche Portal beispielsweise eine Zusammenstellung aller Vorgänge, die in der Regel bei einem Umzug anfallen und zu beachten sind. Bisher beschränkt sich das Angebot auf den öffentlichen Bereich, jedoch gibt es keinen Grund, auf der Internetseite neben der meldebehördlichen Ummeldung nicht auch die Adressänderung bei den Unternehmen der Versorgungswirtschaft, der örtlichen Tageszeitung, den Anbietern von Telekommunikationseinrichtungen etc. optional anzubieten. Hier eröffnen sich vielfältige Möglichkeiten eines sinnvollen Public Private Partnership. Ein Link zu beim Umzug hilfreichen Firmen wie Umzugsunternehmen, Handwerkern etc. ist hier zudem möglich und sinnvoll. Alle diese Angebote müssen dabei naturgemäß im Rahmen der datenschutzrechtlichen Bestimmungen bleiben. In den bisherigen Überlegungen ist die erforderliche Anpassung des Verwaltungsablaufs an das neue Medium unberücksichtigt geblieben. In diesem Zusammenhang sind noch viele Fragen offen; insbesondere dann, wenn das Internet konsequent als anwendungsbezogenes bzw. nutzerorientiertes System eingesetzt werden soll. Der Nutzer unterscheidet nicht nach Zuständigkeiten, sondern will seine Nachfrage umfassend befriedigen und erwartet entsprechend, dass das Medium Internet alle Zuständigkeitsfragen für ihn löst. Dies macht die Notwendigkeit einer stärkeren Koordination und Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen deutlich. Neben den technischen Fragen müssen in diesem Zusammenhang auch die rechtlichen - in erster Linie datenschutzrechtlichen - Probleme geklärt sein. Der volle Nutzen des Mediums erschließt sich nur, wenn der Bürger nicht die unterschiedlichen Internetangebote in einem zeitaufwändigen Arbeitsprozess suchen und finden muss, son-

20 Vgl. Reinermann 2001, S. 8ff. 277

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dern wenn ihm diese gebündelt zur Verfügung gestellt werden, ohne dass er identische Daten mehrfach eingeben und übermitteln muss. Durch das Vorhandensein einer technischen Vernetzung bieten sich insbesondere auch für die Verwaltungen neue Möglichkeiten der Gestaltung und Optimierung von Arbeitsabläufen. Die Kooperation zwischen verschiedenen Verwaltungsträgern wird auf diese Weise erheblich vereinfacht. Aufgaben können zusammengefasst werden, ohne dass dies vom Nutzer bemerkt werden muss (Service aus einer Hand). Auf diese Weise können Personalressourcen gezielter genutzt und kostengünstig eingesetzt werden. Solche Formen der verwaltungsinternen Kooperation stoßen zurzeit noch an rechtliche Grenzen. Hier ist der Landesgesetzgeber gefordert, zumal auch die verfassungsrechtlich gesicherte Stellung der Kommunen zu beachten ist. Auch beim Verwaltungsablauf sind weitere Anpassungen erforderlich, insbesondere wenn das Medium lückenlos eingesetzt werden soll. Die Überprüfung der gesetzlichen Vorgaben im Zusammenhang mit der gewünschten Entbürokratisierung sollten dabei die Erfordernisse von Schriftformen und Anlagen einer kritischen Überprüfung unterzogen werden. Diese Anforderungen sind mit der Nutzung elektronischer Verfahren nur schwer vereinbar und häufig nicht mehr zwingend erforderlich. E-Government bezieht sich nicht ausschließlich auf das Verhältnis von Verwaltung und Bürger. Auch die Beziehungen zwischen Verwaltung und privater Wirtschaft enthalten auf beiden Seiten ein erhebliches Rationalisierungspotenzial. In diesem Bereich wird die Zusammenarbeit nicht nur durch den wechselseitigen wirtschaftlichen Nutzen erleichtert. Es fallen hier auch viel häufiger Verwaltungskontakte gleicher Art an, so dass sich die Anschaffung entsprechender Zugangssoftware eher rentiert als dies im Verhältnis zum Bürger der Fall ist. Auch die Antragstellung durch Architekturbüros, deren Berechtigung durch eine entsprechende Kennung problemlos nachgewiesen werden kann, sollte weiterentwickelt werden. Das neue Medium eignet sich auch zur Kommunikation zwischen Mitarbeitern der verschiedenen Ebenen, da mit Hilfe des E-Governments sowohl eine schnelle Informationsübermittlung als auch eine Verbesserung der Schulungsmöglichkeiten erreicht werden kann. Eine weitere wesentliche Funktion des Mediums besteht darin, dass die Befähigung der Bürger zur Teilhabe am politischen Geschehen im Sinne der E-Democracy deutlich gesteigert werden kann. Voraussetzung für die Partizipation an den politischen Abläufen ist dabei die Verfügbarkeit entsprechender Informationen, also die Schaffung von Transparenz. Hier können die bereits existierenden Informationsangebote weiterhelfen, müssen allerdings hinsichtlich ihrer Transparenz noch weiter entwickelt werden. Die in diesem Zusammenhang bislang mit dem Informationsfreiheitsgesetz gesammelten Erfahrungen sind gut. Aller278

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dings könnten die rechtlichen Möglichkeiten des Gesetzes noch besser umgesetzt werden. Auch könnte der mittlerweile in vielen Kommunen mögliche Zugriff der Bürger auf Verwaltungsvorlagen sowie Rats- und Ausschussprotokolle in vielen Fällen noch verbessert werden. Insgesamt sollte auch im Bereich der E-Democracy die Erwartungshaltung an das Medium Internet nicht zu hoch sein. Der Bürger, der bisher den Informationsveranstaltungen zur Bauleitplanung fern geblieben ist, wird sich durch das elektronische Angebot nicht automatisch zum aktiven und interessierten Bürger entwickeln. Auch hier bietet das Medium nur das Handwerkszeug, das von den Menschen genutzt werden muss. Die Verwaltung ist allerdings gefordert, den Bürgern den Zugang so leicht wie möglich zu gestalten. Zugangsbarrieren darf es nicht geben.

7.3.3 Public Private Partnership Eine zunehmenden Ökonomisierung des öffentlichen Sektors äußert sich sowohl durch indirekte wie auch durch faktische Wettbewerbe mittels Privatisierungen als auch in Public Private Partnership (PPP). Public Private Partnership stehen wegen ihres hohen Maßes an flexiblen Einsatzmöglichkeiten im Fokus gleichermaßen von Wissenschaft wie von Praxis. So stellt auch der Vorstand des Städtetages Nordrhein-Westfalen hinsichtlich der Publik Private Partnership Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen in einem Beschluss „vor dem Hintergrund des hohen Investitionsbedarfs einerseits, der finanziellen Situation der Städte und der damit verbundenen Talfahrt der städtischen Investitionen andererseits (...) fest: 1. Städtische Investitions- und Finanzierungsentscheidungen sind grundsätzlich Einzelfallentscheidungen. Die Nutzung privater Finanzierungs- und Betreibermodelle für die Erfüllung kommunaler Aufgaben ist abhängig von der Wirtschaftlichkeit der Vorhaben im Vergleich zur Finanzierung mit Hilfe von Kommunalkrediten. 2. Bestehende Restriktionen des Landesgesetzgebers gegenüber privaten Realisierungsformen kommunaler Investitionen sind aufzuheben und die Entscheidungsbefugnis für die Nutzung dieser Modelle ist ausschließlich in die Verantwortung der Kommunen zu legen. Gleichzeitig sind die Förderrichtlinien für derartige Modellvorhaben zu öffnen (...)“.21 Auch wenn diese Forderungen grundsätzlich zu unterstützten sind, wird im Rahmen eines Abwägungsprozesses gründlich zu prüfen sein, ob insbesondere die 21 Städtetag NRW, Eildienst vom 15. Mai 2003. 279

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zweite Forderung vollständig umsetzbar ist. Es erscheint daher sinnvoll, ausgewählte Modellvorhaben durchzuführen, sie kritisch zu begleiten und auf der Grundlage einer fachlichen Evaluation über die Gestaltung weiterer Konzepte sowie über notwendige rechtliche Rahmenbedingungen zu entscheiden. Die Definition von Public Private Partnership erfolgt nicht einheitlich. Es handelt sich vielmehr um einen schillernden Begriff. Allgemein dürfte es zutreffend sein, hierunter Kooperationen zwischen staatlichen bzw. kommunalen, privatgewerblichen und nicht-öffentlichen Akteuren zur Erstellung bestimmter Werke oder Leistungen zu verstehen. Sie können durchaus unterschiedliche Formen annehmen und sind dadurch charakterisiert, dass unterschiedliche Handlungslogiken zu einer gemeinsamen Zielperspektive vermittelt werden.22 Eine Übersicht über die verschiedenen Formen geben die Studie „Public Private Partnership“ der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2003 sowie die Ausarbeitung des Bundesverbandes deutscher Banken „Public Private Partnership Chancen für die Modernisierung von Infrastruktur und Verwaltung“ aus dem Jahr 2004.23 Der öffentliche Einfluss des öffentlichen Bereichs bleibt größer als bei der reinen Privatisierung. Die Stärken der Privatwirtschaft werden zur Erreichung des Zieles genutzt. Die Vorteile bei Projekten des Public Private Partnership mit Blick auf eine effiziente öffentliche Aufgabenerfüllung ergeben sich insbesondere aus einer schnelleren Realisierung, einer Ausweitung des Wettbewerbs, einer sachgerechten Risikoverteilung und privatwirtschaftlichem Managementwissen.24 Gerade im Bereich der Risikoverteilung ist jedoch festzustellen, dass ein angemessener Risikotransfer hin zu den privaten Akteuren eines Partnership häufig nicht erfolgt. Stattdessen besteht die Gefahr, dass das finanzielle und rechtliche Risiko vielfach bei den Kommunen verbleibt. Dies kann nicht Sinn einer gleichberechtigten Zusammenarbeit sein. Aufgrund mangelnder Projekterfahrung sind die kommunalen Akteure häufig überfordert; bei ihnen besteht Beratungsbedarf.

22 So z.B. Sack 2003, S. 5. 23 Hart/Welzel/Gerstelberger/Sack 2003; BdB 2004. 24 Dieckmann 2004, S. 23. 280

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Eine erste Bewertung der Ergebnisse der Projektgruppe Public Private Partnership im nordrhein-westfälischen Finanzministerium nimmt Dieckmann vor. Danach ergeben sich anhand der ersten Ausschreibungsergebnisse Einsparungen von zehn bis 15 Prozent über eine Laufzeit von 25 Jahren. Dieckmann weist hierbei allerdings auch darauf hin, dass diese Einspareffekte nicht zwingend haushaltsrelevant werden, sondern sich auch in einer höheren Qualität ausdrücken können.25 Standardmäßig wird betont, dass die Zuwendung zu öffentlich-privaten Modellen nicht die alleinige Folge der finanziellen Situation der öffentlichen Haushalte ist. Trotzdem nähert man sich dem Thema aber über eine Beschreibung der finanziellen Situation. So heißt es beispielsweise bei Dieckmann nach einer Charakterisierung der schwierigen Finanzlage: „Staat und Kommunen müssen (. . .) bei den notwendigen Investitionsmaßnahmen und der Auflösung des vorhandenen Sanierungsstaus in der öffentlichen Infrastruktur neue Wege gehen“.26 Bei Public Private Partnership handelt es sich nicht ausschließlich um eine allternative Finanzierungsform. Mit Hilfe dieser Modelle werden die unterschiedlichen Stärken der Partner kombiniert und damit das Ergebnis optimiert. Derartige privat-öffentliche Modelle sind aber nicht per definitionem die überlegenen Organisationsformen. Ob im Einzellfall eine Zusammenarbeit in Form eines Public Private Partnership der richtige Weg ist oder ob sich die ausschließlich öffentliche Realisierung - auch kreditfinanziert - oder die reine Privatisierung als vorteilhafter herausstellen, hängt von vielen Faktoren ab. Im Ergebnis können nur individuelle Projektlösungen unter Berücksichtigung der jeweiligen Gesamtsituation in Betracht kommen.

7.4

Handlungsempfehlungen

In der aktuellen Diskussion ist einvernehmlich festzustellen, dass die kommunalen Handlungsspielräume wieder gestärkt werden müssen, damit die Kommunen überhaupt ihre Handlungsfähigkeit zurückgewinnen können. Ebenso erfordert das Bestreben, Entscheidungskompetenzen zu dezentralisieren und die Kommunen in ihrer Verantwortung sowie in ihrer Handlungsautonomie zu stärken, eine Ausweitung der kommunalen Handlungs- und auch Finanzspielräume.

Kommunale Haushaltspolitik und Gemeindefinanzreform Die Reformdebatte um die kommunale Finanzausstattung wird oftmals auf die Gewerbesteuerdiskussion oder auf Vorschläge zur Verankerung des verfas25 Dieckmann 2004, S. 22ff. 26 Dieckmann 2004, S. 22. 281

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sungsrechtlichen Konnexitätsprinzips verengt. Angesichts der vielfältigen Herausforderungen, die sich unter anderem durch die demografische Entwicklung, den zu bewältigenden Strukturwandel oder auch gesellschaftliche Veränderungen ergeben, können die Kommunen ihre Zukunft jedoch nur dann erfolgreich meistern, wenn sie künftig wieder handlungsfähig werden. In einer zunehmenden Zahl von Kommunen stellt sich die gegenwärtige Situation aufgrund der engen Verknüpfung zwischen Einwohnerzahl und kommunaler Finanzausstattung als eine sich verstärkende Abwärtsspirale der Schrumpfung dar (vgl. Kapitel B2). Konkrete Anforderungen an die unabdingbare Reform des Gemeindefinanzsystems werden an dieser Stelle bewusst ausgeklammert. Es ist offenkundig, dass die künftige Stadtpolitik des Landes nicht losgelöst von der Finanzentwicklung und -ausstattung der Kommunen gesehen werden kann. Nur eine umfassende Gemeindefinanzreform kann die Finanzen der Kommunen nachhaltig sanieren und sichern. Dazu gehören die Ausgestaltung der Gemeindefinanzierung und der Förderpolitik, die direkten kommunalen Einnahmen (Hebesatzrecht, kommunale Steuern etc.) sowie Instrumente und die Genehmigungspolitik im Rahmen der kommunalen Haushaltswirtschaft (Kommunalaufsicht, Haushaltssicherungskonzepte). Es erscheint jedoch notwendig, zunächst strukturelle Erfordernisse der Definition künftiger kommunaler Aufgabenbereiche und Handlungsschwerpunkte sowie der strategischen Steuerung der Städtepolitik in Nordrhein-Westfalen politisch zu klären, um darauf aufbauend das Finanzsystem systematisch und zielgerichtet zu modernisieren.27 Abbau und Flexibilisierung kommunaler Standards Eine Detailsteuerung durch die Vielzahl bestehender Standards steht im Widerspruch zu einer anzustrebenden Stärkung der kommunalen Handlungsautonomie. Die Bemühungen um „Entbürokratisierung“ in den letzten Jahrzehnten haben bereits deutliche Erfolge aufzuweisen. Dennoch muss festgestellt werden, dass die Zahl der Standards wieder deutlich ansteigt. Durch die Reduzierung kommunaler Standards können die Handlungsspielräume der Kommunen erweitert und die Belastungen für den Haushalt gemildert werden. Neben dem konventionellen Abbau von Standards erscheint es angebracht, auch andere Modelle zum flexibleren Umgang mit Standards einzubeziehen. Die in Schweden gesammelten positiven Erfahrungen mit dem experimentellen Programm der so genannten Freien Kommune (free commune experiments), bei

27 Dessen ungeachtet sollten die Empfehlungen der Enquetekommission „Kommunen“, die Mitte 2002 vom Landtag Rheinland-Pfalz eingerichtet wurde, auch in der nordrhein-westfälischen Debatte um die Gemeindefinanzreform aufgegriffen werden. Darüber hinaus werden die grundlegenden aktuellen und künftigen Reformbestrebungen zur Steuer- und Finanzpolitik auf der Bundesebene erhebliche Auswirkungen auf die Finanzausstattung der Kommunen und des Landes haben. Zurzeit sind noch keine eindeutigen Konsequenzen für landespolitische Umgestaltungen absehbar. 282

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dem die Kommune von bestimmten gesetzlichen Bindungen durch Befreiung von Standards und Einführung von Experimentierklauseln freigestellt wird, kann durchaus eine Alternative darstellen. Die Gemeindeordnung von NordrheinWestfalen weist bereits eine Experimentierklausel auf.28 Sofern und soweit konkrete Projekte auch im Rahmen dieser Klausel nicht realisierbar sind, gilt es gemeinsam mit den Aufsichtsbehörden - kreative Lösungen zu entwickeln.

Förderung von Gesamtkonzepten Ehrenamtliches Engagement braucht - heute mehr denn je - eine breite Basis, wenn es nicht in punktuelles Einzelengagement einiger weniger zerfallen soll. Eine solche Basis lässt sich nur im Rahmen integrierter Gesamtkonzepte sichern und entwickeln. Auch die Landesförderung muss diese Trends berücksichtigen. Ansätze hierzu gibt es im Rahmen des Programms Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf. Es bedarf aber auch darüber hinaus einer Optimierung der Landesprogramme durch die ressortübergreifende Förderung von Gesamtkonzepten der Kommunen statt einzelner Maßnahmen. So wird beispielsweise im Rahmen der Engagementförderpolitik in Baden-Württemberg mit Gesamtkonzepten als Grundlage eines Kontraktes zwischen Kommune und Ministerium über vier Jahre gearbeitet. Ziel ist in diesem Zusammenhang die Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für eine strategische Leistungstiefenpolitik, die deutliche Vorteile gegenüber Detaileingriffen bietet.

Stärkung von Nutzerdemokratien Der vielfach beschriebene Trend zu punktuellem Engagement bietet Raum für eine neue Form des Bürgerengagements, der so genannten Nutzerdemokratie. So werden beispielsweise in schwedischen Schulen, in Kindertagesstätten oder Seniorenheimen Nutzerräte eingerichtet, die bei bestimmten Entscheidungen beteiligt werden. In NordrheinWestfalen wäre es beispielsweise denkbar, die Rolle von Elternpflegschaften in Schulen aufzuwerten und dabei die oftmals parallel bestehenden Fördervereine einzubeziehen. Durch Leistungsvergleiche lernen Eine strategisch ausgerichtete Leistungstiefenpolitik kann auch durch die Einbeziehung der Bürger und Nutzer kommunaler Einrichtungen gestärkt werden, 28 § 126 Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen. 283

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ebenso durch den Einsatz von Wettbewerbselementen. Die Förderung ehrenamtlichen Engagements und die Vernetzung mit kommunalen und regionalen Entscheidungsträgern ist nicht in allen Kommunen des Landes gleich weit fortgeschritten. Internationale Erfahrungen zeigen, dass Leistungsvergleiche oder auch Leistungswettbewerbe durchaus ein funktionierendes Instrument sein können, um eine Verbesserung kommunaler Aufgabenwahrnehmung anzustoßen. Interkommunale Leistungsvergleiche und Leistungswettbewerbe können aufgrund des Lernens durch Erfahrungsaustausch ein Einstieg in eine sich selbst verstärkende Entwicklung sein und zudem die damit verbundenen Chancen transparenter machen.

Kundenorientierung in der Kommunalverwaltung Das im Neuen Steuerungsmodell enthaltene Ziel einer konsequenten Kundenorientierung im Sinne einer bürgerfreundlichen Verwaltung ist davon unabhängig weiterzuentwickeln.29 Bereits in den 1980er Jahren wurden in größeren Städten so genannte Bürgerämter eingerichtet, die den Bürgern den Zugang zum Rathaus über das One-Stop-Prinzip erleichtern und die übliche Ämterrallye ersparen sollen. Das Konzept eines Bürgerbüros in Unna wurde bereits Ende der 1970er Jahre erarbeitet. Dahinter verbirgt sich die Vorstellung, dass nicht der Bürger zum Amt, sondern das Amt zum Bürger kommen soll. Sämtliche Kontakte mit der Verwaltung sollen so gestaltet werden, dass die Bürger ohne Umwege zu den richtigen Stellen geleitet werden. So besteht auch in der Stadt Essen die Dienstanweisung, dass Telefonkunden nach spätestens einer Vermittlung den richtigen Ansprechpartner gefunden haben sollen. Eine allumfassende Kundenorientierung der Kommunalverwaltung wird hiermit jedoch nach wie vor nicht erreicht. Es fehlt an einer hinreichenden Konkretisierung der Kundenorientierung in der öffentlichen Verwaltung.30

Dezentralisierung der Fach- und Ressourcenverantwortung Das Neue Steuerungsmodell wurde insbesondere von den Kommunen in Nordrhein-Westfalen aufgegriffen. Viele Städte kommen dadurch zu innovativen Ansätzen wie Output- statt Inputorientierung, Kontraktmanagement oder zur Zusammenlegung von Aufgaben- und Finanzverantwortung in Form einer dezentralen Fach- und Ressourcenverantwortung. Trotz allem sind die Zielsetzungen, Genaueres über Ergebnisse und Wirkungen im kommunalen Geschehen zu erfahren, bisher nur in geringem Umfang erreicht. Die bevorstehende 29 Das Ziel der Kundenorientierung ist umstritten. Der Bürger kann nicht immer Kunde sein. So wird sich ein Falschparker sicherlich nicht als Kunde verstehen, wenn er ein „Knöllchen“ empfangen hat. Es stellt sich daher die Frage, ob Kundenorientierung überhaupt als Ziel der Verwaltungsmodernisierung herhalten kann. 30 Bogumil/Kißler 1995, S. 8. 284

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Kommunalverwaltung

Reform des kommunalen Haushaltsrechts, verbunden mit der Abschaffung der Kameralistik und gleichzeitiger Einführung der doppelten Buchführung, soll in diesem Zusammenhang einen Fortschritt bringen.

Erweiterung des E-Government-Angebots Eine verstärkte Dienstleistungsmentalität der Verwaltungen zeigt sich auch in einem alternativen, auf dem Internet basierenden Angebot kommunaler Prozesse und Dienste. Als positiver und durchaus gewollter Nebeneffekt tritt zugleich eine Erleichterung und Flexibilisierung der Verwaltungsprozesse ein. Dazu gehört auch, dass Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden müssen, dass die Vorgänge gänzlich und damit gegebenenfalls auch interaktiv über das Internet abgewickelt werden können und sie für den Bürger einen echten Fortschritt zum herkömmlichen und meist zeitaufwändigen Behördengang darstellen. Eine wesentliche Voraussetzung für eine noch breitere Akzeptanz in Bevölkerung und Verwaltung ist allerdings die Gewährleistung eines Höchstmaßes an (Daten-) Sicherheit für alle sensiblen Prozessabläufe. Mit einer breit angelegten Aufklärung durch die Verwaltung können bei vielen Bürgern bereits im Vorfeld meist unbegründete Ressentiments abgebaut werden. Um die Anreize für den Bürger zu erhöhen, kann über Konzepte nachgedacht werden, die - für die Kommune Arbeitsaufwand einsparende - Internetnutzung durch reduzierte Gebührensätze zu honorieren. Ein umfassendes Angebot in den Lebenslagenportalen trägt zudem dazu bei, dass ein Mehrwert für den Bürger deutlich wird. Gerade Zuständigkeitsprobleme können mit entsprechenden Links im Internet eindeutig für den Nutzer geklärt werden. Im Sinne eines „Service aus einer Hand“ wird nicht nur auf eine andere kommunale Dienststelle verwiesen sondern auch an die zuständige Stelle auf Länder- oder Bundesebene. Eine Vernetzung unsensibler Daten zwischen den einzelnen Hierarchieebenen bietet großes Potenzial für eine Optimierung der Verwaltungsabläufe sowie für ein noch stärker auf die Bedürfnisse der Bürger abgestimmtes Angebot. Unabdingbar sind hier allerdings - ebenso wie für alle Bestrebungen einer verstärkten Teilhabe der Bürger am politischen Leben - Transparenz und Information.

Beratungsangebote für Public Private Partnership-Projekte schaffen Für eine stärkere Förderung von Public Private Partnership sind potenziellen Partnern - öffentliche Hand wie private Unternehmen - Unterstützungs- und Beratungsleistungen anzubieten. Da das Land Nordrhein-Westfalen auf vielfältige Erfahrungen und Projekte zurückgreifen kann, bietet es sich an, einen überregionalen Beratungsservice in Trägerschaft des Landes oder der Kommunen anzubieten.

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B8 Die Stadt in der Region - Chancen regionaler Kooperation

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8.1

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Region und Regionalisierung

Es gibt keine allgemeingültige Definition von Region. Regionsbegriffe werden typischerweise nach Anwendungsgebiet und Interesse gebildet.1 Grundsätzlich geschieht das anhand von drei Kriterien: Physische (geografische) Regionsbegriffe arbeiten mit morphologischen Merkmalen (z.B. der Niederrhein). Häufig werden derartige Regionsbildungen mit weiteren Merkmalen angereichert: Der kulturelle Regionsbegriff fasst Räume mit gemeinsamer Geschichte, Sprache, Lebensweise etc. und verbindet sie meist mit physisch-räumlichen Merkmalen (Kulturräume). In der Praxis dominieren aber vielfältige Varianten von funktionalen Regionsbegriffen. Ökonomisch basierte beschreiben etwa regionale Arbeitsmärkte, Verflechtungen zwischen Unternehmen, die z.B. über Ströme von Arbeitskräften, Waren und Dienstleistungen abgebildet werden. Eine andere Funktionalität liegt Ordnungsräumen zugrunde, die z.B. aus Verdichtungsräumen und ihren Randgebieten gebildet werden können. Zu den funktionalen Regionsbildungen gehören auch die Wirkungsräume staatlicher Behörden und kommunaler Kooperationen.

1

Vgl. auch Rommelspacher 2003. 287

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Im Folgenden wird ein pragmatischer Begriff verwendet, der Regionen als Räume mit intensiven funktionalen Zusammenhängen begreift. Ihre Kohärenz fußt in aller Regel auch auf historischen und kulturellen Gemeinsamkeiten. Seit den 1990er Jahren gibt es Diskussionen um einen Sachverhalt, der abstrakt „Regionalisierung“ genannt werden kann. Dies sind Debatten und Prozesse, die um die Frage kreisen, wie die zwischen der staatlichen und der kommunalen Ebene liegenden Phänomene sinnvollerweise organisiert werden sollten. Dies ist kein deutsches Phänomen. Im Gegenteil: In ganz Westeuropa - und darüber hinaus - finden vergleichbare Debatten und Prozesse statt. Dabei ist der Grad der Regionalisierung in anderen Ländern deutlich weiter fortgeschritten.2 Auch in Deutschland wird die Debatte breit geführt. Sowohl in der wissenschaftlichen Diskussion als auch im politischen Alltag der Kommunen und Länder ist der boomartige Aufschwung regional basierter Handlungskonzepte zu beobachten.3 Angesichts ihrer Breite und einer Fülle in den letzten eineinhalb Jahrzehnten entstandener regionaler Kooperationen kann durchaus von einem starken Bedeutungsgewinn der regionalen Perspektive, der damit verbundenen Handlungsebene und damit insgesamt von einem Regionalisierungsschub gesprochen werden. Der Blick auf die Diskussion sowohl bei Praktikern als auch in den Wissenschaften zeigt, dass die Notwendigkeit der Intensivierung regionaler Kooperationen inzwischen breit akzeptiert wird. In der Debatte wird eine Fülle von Ursachen für diese Entwicklung genannt. Die meisten wissenschaftlichen Diskurse verweisen auf drei Ursachenbündel: • Die Belebung oder Neuschaffung des Regionalen kann als eine Reaktion auf die Rationalisierungstendenzen moderner Gesellschaften interpretiert werden. Die Modernisierungen der letzten 40 Jahre wirkten homogenisierend und universalisierend. Sie ließen regionale Eigenarten verblassen. Dagegen setzt die Betonung lebensweltlicher Erfahrungen mit gemeinsamen Raumbezügen auf kollektive Identitäten und Orientierungsmuster. Die Renaissance von regionaler Identität wäre damit ein Produkt ihres Gegenteils, der Bildung nationaler und transnationaler Räume. So gesehen sind Globalisierung und Regionalismus zwei Seiten einer Medaille, weil globale Entdifferenzierung den Wunsch nach regionaler Besonderheit erzeugt. Dies erklärt auch, warum regionale Strategien aus politischer Sicht interessant sein können: Das Bewusstsein für die Notwendigkeit kollektiven Handelns ist in Regionen oft eher mobilisierbar, als auf Länder- oder Bundesebene. Gleichzeitig ist kollektives Handeln im regionalen Rahmen auch noch eher koordinierbar.

2

Bullmann/Heinze 1997; Heinz 2000.

3

Vgl. auch Lindner 1994; Fürst 1997; ARL 1998; ARL 1999.

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Regionale Kooperation

• Die regionale Handlungsebene erfährt aber auch einen funktionalen Bedeutungsgewinn: Hoch differenzierte moderne Gesellschaften stehen vor der Notwendigkeit eines permanenten ökonomischen und ökologischen Strukturwandels. Diesen können sie nicht mehr wie bisher durch zentrale Interventionen bewältigen, und auch die lokale Ebene ist meist überfordert. Da bietet sich Region als Zwischenebene z.B. für Städte an, die im Verbund nicht nur Alltagsprobleme besser bearbeiten können, sondern nur so die nötige Stärke für den internationalen Wettbewerb aufbringen. Daneben steigt die Bedeutung der regionalen Ebene aber auch zur Integration von UrsacheWirkungs-Zusammenhängen innerhalb von Verantwortungsräumen. Soziale, ökologische und ökonomische Probleme treten häufig nicht in den Verursacherkommunen auf (vgl. auch Kapitel B3 und B4). • Einen Bedeutungsgewinn gibt es schließlich auch in der Ökonomie. Dabei wächst die Einbindung der Unternehmen in immer umfangreichere Verbünde auf dem Weltmarkt. Gleichzeitig ist aber zu beobachten, wie Unternehmen regionale Vernetzungen und Cluster suchen, um ihre Waren oder Dienstleistungen flexibel, kundengerecht und billig produzieren zu können. Dezentrale Strategien sollen auch regionale Markt- und Kostenvorteile ausschöpfen (vgl. auch Kapitel B3). Unzweifelhaft spielen auch die kommunikativen Strukturen und Akteursnetzwerke, das heißt die historisch gewachsenen regionalen Kulturen von Kommunikation, Konflikt und Kooperation, bei der Erklärung des wirtschaftlichen Erfolgs von Regionen eine Rolle. Neben diesen Ursachen, die auf strukturelle Veränderungen in Gesellschaft, Ökonomie und Staat verweisen, veranlassen eine Reihe hoch pragmatischer Gründe viele Praktiker in den Kommunen, sich aktiv am Diskurs um kommunale Kooperationen zu beteiligen: • Die Krise der kommunalen Finanzen erzwingt eine Reduktion öffentlicher Leisstungen. Dabei eröffnen Kooperationen mit Nachbarn die Möglichkeit des abgestimmten Rückbaus und die Chance, durch gemeinsame Leistungserbringung Kosten zu senken. • Trotz insgesamt nur minimaler Entwicklungsmöglichkeiten ist der Wettbewerb unter den Kommunen in den letzten Jahren erheblich gewachsen. Besonders in Ballungsräumen kann er ruinöse Ausmaße erreichen. Offenkundig nachteilige Entwicklungen sind bei der Entwicklung des Flächenverbrauchs, der Zulassung nicht integrierter Komplexe des großflächigen Einzelhandels aber auch bei der Ausweisung von Gewerbeflächen erkennbar. Vor diesem Hintergrund wird die Notwendigkeit betont, eine von den Kommunen getragene regionale Entwicklung voranzutreiben. • Auch Veränderungen in der Siedlungsstruktur erhöhen die Bereitschaft zur Kooperation. Hier hat die fortgeschrittene Suburbanisierung zu einem neuen Verhältnis von Stadt und Umland geführt. In dem Maße, in dem die vorstädtischen Räume nun auch Arbeitsplätze anziehen, wächst der Druck auf die 289

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Kernstädte. Sie verlieren an Gewicht, erfüllen aber weiter Zentralfunktionen. Ein abgeschwächtes Stadt-Land-Gefälle bleibt erhalten, gleichzeitig wachsen in den Ballungsräumen und ihren Rändern die Spezialisierung sowie die Funktions- und Arbeitsteilung. Dies erfordert intensivere Absprachen. • Im Zuge dieser siedlungsstrukturellen Entwicklungen wächst besonders in Ballungsräumen die Diskrepanz zwischen kleinteiligen politisch-administrativen Strukturen und den großräumiger werdenden Aufgaben- und Problemstellungen. Insgesamt können damit drei Tendenzen festgehalten werden: • In den letzten Jahrzehnten hat ein Typus von Aufgaben und Problemen an Gewicht gewonnen, für deren Bearbeitung auch große Kommunen zu klein sind, während sie für den Staat zu klein und zu feinteilig sind. • Der traditionelle Wettbewerb unter den Kommunen wird durch einen teilweise international verlaufenden Wettbewerb der Regionen überlagert. Vermutlich werden Räume, denen es gelingt den Regionalisierungsprozess optimal zu gestalten, hier einen deutlichen Vorteil haben. • In Rede steht ein sehr breites Feld von Aufgaben. Es reicht von der Flächenund Standortplanung, die Entwicklung, Planung und Trägerschaft für überlokale Infrastrukturen bis hin zur Wirtschaftsförderung und zum Regionalmarketing. Der Bedeutungszuwachs der Region ist aber in mehrfacher Hinsicht zu relativieren. Zunächst ist festzuhalten, dass er in Abhängigkeit von den jeweiligen Gestaltungszusammenhängen zu sehen ist. Er ist keinesfalls als Stärkung in dem Sinne zu verstehen, dass nunmehr möglichst viele Fragestellungen und Lösungen nur noch auf der regionalen Ebene zu behandeln sind. Zwei weitere Aspekte sind unbedingt festzuhalten: Moderne Gesellschaften sind sozial geschichtet und funktional differenziert. Sie formieren sich nach Lebenslagen, sozialer Ungleichheit, Funktionssystemen etc. Deswegen darf die Bedeutung der Segmentierung nach Regionen für die gesellschaftlichen Strukturen nicht überschätzt werden. Regional gegliedert waren allenfalls einfache Agrargesellschaften. Darüber hinaus unterstreichen Ipsen und Kühn zu Recht die Ambivalenz des Begriffs Region, der mit völlig gegensätzlichen politischen Zielvorstellungen verbunden werden kann.4 So ist der Bezug auf sie in unterschiedlichsten Zusammenhängen ein brauchbarer Code, der die gesellschaftliche Komplexität sozial integriert.5

4

Ipsen/Kühn 1994, S. 21.

5

Das erklärt, warum es rechten wie auch linken Regionalismus gibt. Vgl. etwa die Lega Nord in Italien und die Bewegungen im Baskenland oder in Katalanien.

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Regionale Kooperation

8.2

Formen der Kooperation

Die Notwendigkeit einer stärkeren Regionalisierung wird kaum noch bestritten. Kontroversen können sich aber an der Frage entfalten, in welcher Form dieser Entwicklung Rechnung zu tragen ist. Die Praxis zeigt hier sehr vielfältige Varianten.6 Diese reichen von losen Kooperationen über unterschiedliche Konstellationen von Städtenetzwerken bis hin zu Formen stärker institutionalisierter Kooperation. Dabei ist zu vermuten, dass die Unterschiede nicht nur funktionale, in der zu bewältigenden Aufgabe liegende Gründe haben. Da Kommunen verfassungsrechtlich den Ländern zugeordnet sind, dürfte das Ausmaß an Freiheitsgraden, über das sie bei Kooperationen verfügen, auch von den Interessen der jeweils betroffenen Länder beeinflusst worden sein. Unterscheidet man die verschiedenen Formen der regionalen Kooperation nach dem Grad der Institutionalisierung, dem Umfang der wahrgenommenen Aufgaben sowie der Rechtsform, so lässt sich folgende einfache Typologie erstellen: • Nicht-öffentlich-rechtlich verfasste Kooperationen; sie reichen von informellen Netzwerken und Foren bis zu privatrechtlich organisierten Formen der Zusammenarbeit wie etwa einer GmbH oder einem eingetragenen Verein. • Auf Einzelaufgaben beschränkte, öffentlich-rechtlich verfasste Kooperationen; typisches Beispiel dafür ist der Zweckverband. • Gelegentlich findet sich in Ballungsräumen auch der Typ des multisektoralen, unterschiedliche Aufgaben kombinierenden Zweckverbands. • Nur selten - jedenfalls in Deutschland - findet sich die eigenständige Gebietskörperschaft als sehr weitgehende Kooperationsform. Auch die organisatorische Ebene lässt vielfältige Lösungen zu. Wo etwa die räumlichen Funktionsverflechtungen im Wesentlichen den Kreisgrenzen entsprechen, wird man zweckmäßigerweise an den schon bestehenden Verwaltungseinheiten ansetzen. Wo dies nicht der Fall ist, bieten sich andere Kooperationsstrukturen an, wie sie etwa mit dem Regionalverband Ruhr geschaffen wurden. Folgende Beispiele für denkbare Organisationsformen regionaler Kooperation werden in der Fachdiskussion immer wieder hervorgehoben:7 • Der Verband Region Stuttgart wurde 1994 als Rechtsnachfolger des Regionalverbandes Stuttgart gegründet. Er umfasst den Stadtkreis Stuttgart und

6

Vgl. etwa ARL 1999.

7

Vgl. Kreibich/plan-lokal 2000, S. 47f; Kiepe 1996, S. 307ff; ARL 1998. 291

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die umliegenden Gemeinden. Die Aufgaben des seit 1996 über die Direktwahl seiner Regionalversammlung stark legitimierten Verbandes liegen vor allem in den Bereichen Regionalplanung, Regionalverkehr, Wirtschaftsförderung und Abfallentsorgung. • Der Stadtverband Saarbrücken wurde 1974 aus der ehemals kreisfreien Stadt Saarbrücken und dem Landkreis Saarbrücken gebildet; er ist ein Planungsverband, dessen Kompetenzen in etwa denen eines Kreises entsprechen. • Die Region Hannover ist ein 1992 gegründeter Kommunalverband zwischen der Stadt Hannover und dem Umlandkreis, der im Jahre 2002 durch Landesgesetz zu einer Region Hannover weiterentwickelt wurde. Seine Kompetenzen umfassen vor allem die Regionalplanung und den Regionalverkehr. • Der Umlandverband Frankfurt ist ein 1975 gesetzlich gebildeter und 2001 weitgehend reformierter Mehrzweckverband zwischen den kreisfreien Städten Frankfurt und Offenbach sowie 41 kreisangehörigen Gemeinden und drei Landkreisen mit überörtlicher Planungskompetenz. Auch für weniger stark institutionalisierte, eher pragmatische und auf freiwilliger Basis zustande gekommene Kooperationsformen zwischen Kommunen gibt es eine Vielzahl von Beispielen.8 So ist es schon in den 1960er und 1970er Jahren in den Großräumen Frankfurt, Hannover, Hamburg und München zu Kooperationen im sozialen Wohnungsbau dergestalt gekommen, dass die jeweiligen Kernstädte Sozialmieter in ihren Umlandgemeinden untergebracht und dafür entsprechende Kompensationsbzw. Förderleistungen erbracht haben. In jüngerer Zeit ist es auch zwischen kleineren Kommunen vermehrt zu Kooperationen gekommen. So haben die niedersächsischen Gemeinden Rendsburg und Osterrönfeld 1999 Verträge abgeschlossen, die Wohn- und Gewerbeflächen in Osterrönfeld zur Bedarfsdeckung in Rendsburg vorsehen. Rendsburg erhält im Gegenzug einen Teil der daraus resultierenden Gewerbe- und Einkommensteuerzahlungen.9 In Nordrhein-Westfalen besteht ebenfalls eine gewachsene Tradition interkommunaler Gewerbegebiete. Dabei erschließen Gemeinden gemeinsam Flächen und regeln in Verträgen die Verteilung von Kosten und Nutzen. 8

Vgl. dazu ausführlich Rottmann 2004, S. 180ff.

9

Vgl. Kreibich/plan-lokal 2000, S. 49, sowie ausführlicher Rottmann 2004, S. 186ff.

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In Nordrhein-Westfalen gibt es zudem bemerkenswerte Beispiele für weit darüber hinaus gehende Formen regionaler Kooperationen:

Regionalverband Ruhr (RVR) und Regionaler Flächennutzungsplan Mit dem im Januar 2004 vom Landtag Nordrhein-Westfalen beschlossenen Gesetz zur Reform der Landesplanung und des Kommunalverband Ruhrgebiet (KVR) wurde einer über zehn Jahre andauernden Debatte um das Ruhrgebiet Rechnung getragen. Schon zu Beginn der 1990er Jahre waren Forderungen nach einer stärkeren regionalen Verfasstheit des Ruhrgebiets aufgekommen. Dafür gab es im Wesentlichen zwei Gründe. Zum einen spaltete der wirtschaftliche Strukturwandel die stark polyzentrische Region mit ihren 15 Kreisen und Kreisfreien Städten in einen prosperierenden Süden einerseits und einen von wachsenden sozialen und ökonomischen Problemen gezeichneten Norden andererseits. Zum anderen hemmte die Zugehörigkeit des Ruhrgebiets zu drei Regierungsbezirken und zwei Landschaftsverbänden die Kooperation und wurde den tatsächlichen Verflechtungen innerhalb dieses großen Ballungsraums auch nicht gerecht. Die Reform des Landesplanungsrechts ermöglicht nun einen regionalen Flächennutzungsplan: Drei Nachbarstädte stellen ihn gemeinsam auf und ersetzen so den Gebietsentwicklungsplan. Mittelfristig ist damit die Ablösung der staatlichen Regionalplanung vorgezeichnet. Um die weit reichenden Konsequenzen zu beobachten und dem hohen Handlungsbedarf aufgrund der planerischen Dreiteilung Rechnung zu tragen, bleibt der regionale Flächennutzugsplan fünf Jahre lang auf das Gebiet des neuen Regionalverbands Ruhr beschränkt. Letzterer stellt Masterpläne auf, die den Rahmen für die kommunalen Planungen bestimmen. Daneben hat der neue Verband Pflichtaufgaben auf dem Gebiet der regional bedeutsamen Projekte, der regionalen Wirtschaftsförderung und Standortentwicklung, des Marketing und der Tourismusförderung. Zusammen mit dem Recht, sich weitere freiwillige Aufgaben zu geben, entsteht so eine neue regionale Verfasstheit für das Ruhrgebiet. Ihre Bewertung und Einordnung in die großen Regionalisierungen, die in den letzten zwanzig Jahren entstanden sind (Umlandverband Frankfurt, Verband Region Stuttgart, Region Hannover) steht noch aus.

Regionale Wohnraumbudgetierung Region Bonn/Rhein-Sieg/Ahrweiler Die Region Bonn/Rhein-Sieg/Ahrweiler ist eine nach dem Hauptstadtbeschluss 1991 entstandene freiwillige Arbeitsgemeinschaft von 18 Städten und Gemeinden, die inzwischen Modellregion für ein Budgetierungskonzept der wohnungs293

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politischen Förderung des Landes Nordrhein-Westfalen geworden ist. Die wohnungspolitischen Mittel werden seitdem nicht mehr den einzelnen Kommunen, sondern der Region als Gesamtbudget mit weitgehender Selbstbestimmung der Verwendung in gegenseitiger Absprache zugewiesen (siehe Näheres dazu in Kapitel B6).10

Entsorgungskooperation EKOCity Eine Anzahl von Städten im Ruhrgebiet bildet seit dem Jahr 2003 die Entsorgungskooperation EKOCity. Beteiligt sind der Kreis Recklinghausen, der Ennepe-Ruhr-Kreis, die Städte Bochum, Herne, Wuppertal, Remscheid und der Kommunalverband Ruhrgebiet. EKOCity soll Entsorgungssicherheit für Abfälle aus Haushalten und Gewerbe sowie die Auslastung der Entsorgungsanlagen und den Erhalt des politischen Einflusses sichern. Hintergrund ist, dass viele Müllverbrennungsanlagen nur teilweise ausgelastet sind. EKOCity soll hier einen sinnvollen Anlagenmix, die Auslastung der Anlagen der beteiligten Gebietskörperschaften und langfristig verträgliche Gebühren realisieren. Dabei erweist sich ein Zweckverband, kombiniert mit einer GmbH und Pachtverträgen für die vorhandenen Anlagen, als sinnvollstes Modell. Alle Beteiligten behalten ihren politischen Einfluss auf die Abfallwirtschaft und die kommunalen Unternehmen bleiben im Wettbewerb. EKOCity gewährleistet eine öffentlich verantwortete, demokratisch kontrollierte Verantwortung der Müllentsorgung. Außer diesen stärker institutionalisierten Formen der Zusammenarbeit gibt es in Nordrhein-Westfalen auch eine große Zahl und Vielfalt von informellen Kooperationsformen wie die interkommunale Zusammenarbeit von Planungsdezernenten, die Erarbeitung regionaler Einzelhandelskonzepte oder gemeinsamen Standortmarketings. Die im Folgenden skizzierten drei Beispiele dieser freiwilligen interkommunalen Zusammenarbeit stehen für zahlreiche weitere Projekte und Initiativen, die auch anderswo im Land erfolgreich etabliert wurden.

Regionales Einzelhandelskonzept östliches Ruhrgebiet In der so genannten Interkommunalen Zusammenarbeit der Planungsdezernenten (IKZ-Runde) werden Fragen der räumlichen Planung und Entwicklung im Grundsatz und projektbezogen erörtert. Dies betrifft Fragen der regionalen Wirt-

10 Vgl. zu einer ausführlichen Darstellung und Würdigung Rottmann 2004, S. 189ff. 294

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schaftsflächenentwicklung, Aspekte der regionalen ÖPNVKonzeption und der Aufbau einer regionalen Wohnungsmarktbeobachtung. Die Abstimmungen fördern die administrative Vorbereitung von Beschlüssen der Kommunalparlamente und bewähren sich auch bei der ebenenübergreifenden Abstimmung mit Einrichtungen der Landesregierung. Aus der IKZ-Runde kam der Anstoß zur Entwicklung eines regionalen Einzelhandelskonzepts (vgl. Abb. 1). Hier ist es gelungen, zwischen 21 Gebietskörperschaften, davon Abb. 1: Regionales Einzelhandelskonzept östliches Ruhrgebiet zwei Kreise (Unna und Enne- Quelle: Stadt Dortmund pe-Ruhr-Kreis), Vereinbarungen für die Ansiedlung von Einzelhandelsbetrieben zu treffen. Sie ersetzen zwar nicht das formale Verfahren zur Raumverträglichkeitsprüfung durch die Bezirksregierung, führen aber gleichwohl eine wesentliche Vorabstimmung herbei. Zentral ist das Prinzip der freiwilligen Selbstverpflichtung zur Information über Ansiedlungsvorhaben und zur Abstimmung kommunaler Auflagen, etwa für Flächengröße und Sortimentszusammensetzung. Das Konzept wurde 2001 auf der Grundlage kommunaler Beschlüsse verabschiedet. Es hat sich im Wesentlichen bewährt und ist Vorbild für andere Regionen innerhalb Nordrhein-Westfalens und darüber hinaus geworden.

Initiative Fluss Stadt Land Die Initiative „Fluss Stadt Land“ umfasst eine Region von Dorsten im Westen und Hamm im Osten sowie Haltern im Norden und Dortmund im Süden (vgl. Abb. 2). Ausgelöst durch eine Bewerbung zur Regionale des Landes arbeiten hier rund 20 Gebietskörperschaften mit Unternehmen, Verbänden und bürgerschaftlichen Initiativen sowie Einzelpersonen zusammen. Das Vorziehen des „Flusses“ steht für die Betonung des Wassers; es verbindet die Region über ihre Flüsse und das dichteste Kanalsystem Europas. Neben dem Ziel, die Städte wieder zum Wasser hin zu orientieren, steht die Freizeitentwicklung am und auf dem Kanalsystem sowie das Natur- und Landschaftserlebnis im Fokus der 295

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Abb. 2: Regionale Initiative Fluss Stadt Land Quelle: Geschäftsstelle Fluss Stadt Land

Bemühungen. In der Auftaktpräsentation 2003 ist es gelungen, in über 200 Veranstaltungen mehr als 600.000 Menschen mit der Projektidee anzusprechen. Über eine Zwischenpräsentation im Jahr 2006 wird für das gleiche Jahr eine Landeswasserschau angestrebt. Das regionale Engagement wird vom Land durch finanzielle und operative Unterstützung begleitet.

8.3

Informelle oder institutionalisierte Kooperation?

In der Frage der Ausgestaltung regionaler Kooperationen gibt es zwei Extrempositionen: • Die eine Denkrichtung hält nur freiwillige und im Wesentlichen informelle Formen der Kooperation für akzeptabel. Zur Begründung wird auf die kommunale Autonomie, auf die größere Problemnähe dezentraler Instanzen und auf den heilsamen Einigungszwang verwiesen, der durch eine win-win-Situation für alle Beteiligten entstehe. Stärker institutionalisierten oder gar von der Landespolitik verfügten Formen der Zusammenarbeit wird auch mit Hinweis auf interkommunale Verteilungskonflikte, abnehmende Bürgernähe und die Gefahr der Überbürokratisierung widersprochen. • Die andere Denkrichtung hält letztlich eine Institutionalisierung für unverzichtbar, wenn nötig auch gegen den Willen einiger der Beteiligten. Als wesentliche Argumente für diese Position wird auf deren größere demokrati296

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sche Legitimation, auf die bessere Durchsetzung von übergeordneten Landesinteressen sowie auf die ansonsten bestehende Gefahr des Trittbrettfahrens verwiesen.11 Letzteres ist ein Konflikt, der auftritt, wenn ein Beteiligter Leistungen erbringen muss, von denen viele profitieren, ohne dass er sie zu Beiträgen zwingen kann. Derartige Situationen werden vor allem zwischen Umlandgemeinden und deren Ballungskernen mit ihren zentralörtlichen Leistungen und Funktionen gesehen. Eine Zuspitzung der Entscheidung über die richtige Kooperationsform auf diese beiden Extrempositionen wird der Vielschichtigkeit der hier angesprochenen Probleme nicht gerecht. Sie spiegelt auch nicht die Vielfältigkeit der Lösungsansätze, die in Nordrhein-Westfalen bereits Praxis sind. Eine allgemeingültige Antwort zu den Vor- und Nachteilen freiwilliger oder institutioneller regionaler Kooperation kann es vor dem Hintergrund dieser Vielzahl von Kooperationszusammenhängen und -formen nicht geben. Es ist vielmehr im Einzelfall zu entscheiden welcher Weg zu gehen ist, wobei im Zweifel der Freiwilligkeit Vorrang vor der Zwangskooperation zu geben ist. Tatsächlich erlebten in den letzten Jahrzehnten insbesondere die informellen, auf spezielle Aufgaben hin konzipierten Formen der Kooperation einen Boom.12 Viele Praxisberichte betonen, dass sie schnell einzurichten, flexibel zu handhaben und mit geringem Aufwand zu betreiben sind. Da sie quasi präventiv tätig sind, können sie das Aufkommen von Konflikten oft bereits im Keim ersticken. Viele Ansätze regionaler Kooperation setzen auf die Integration des bürgerschaftlichen Engagements und sind in ihrer Zielrichtung darauf ausgerichtet, die Beteiligung der Bürgerschaft in der Region an der Ausgestaltung der regionalen Prozesse sicherzustellen. Dies gilt beispielsweise für die landesseitig initiierten Regionalen (z.B. EUROGA 2002, Rechts und Links der Ems) oder die im gleichen Zusammenhang entstandenen regionalen Initiativen Ruhrtal oder Fluss Stadt Land. Die bürgerschaftliche Mitwirkung trägt zur Herausbildung regionaler Identität bei und ist letztlich die Grundlage für die erfolgreiche Realisierung vieler Projekte. Alle genannten Formen freiwilliger innerregionaler Kooperation sind gestützt auf kommunale Ratsbeschlüsse und Beschlüsse der Regionalräte in den jeweiligen Regionen. Insoweit ist die freiwillige Kooperation durchaus parlamentarisch legitimiert. Man kann sogar sagen, dass gerade die regionale Kooperation eine besondere gesellschaftliche und demokratische Legitimation erfahren hat, da sie in der Regel zunächst einmal auf Erklärungsbedarf sowohl in der Öffentlichkeit als auch in den Parlamenten gestoßen ist. Die Chancen und Möglichkeiten freiwilliger regionaler Kooperation werden gerade dann besonders intensiv erör11 Levèvre 1998, Sharpe 1994, Fürst 1990. 12 Vgl. auch Rottmann 2004, S. 198ff. 297

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tert, wenn überkommene Handlungsmuster beim Blick über den kommunalen Tellerrand verlassen werden. Allerdings ist die Reichweite der Sachverhalte, die in Formen gänzlich unverfasster Kooperationen bearbeitet werden können, begrenzt. Vorbehalte hinsichtlich der Leistungsfähigkeit informeller Kooperationsformen sind besonders für das große Feld der Regelung potenziell konfliktträchtiger Sachverhalte anzumelden. Zwar kann man in solchen Fällen mit Kompensationsleistungen für die Verlierer arbeiten, um sowohl Trittbrettfahrern als auch reine Zwangslösungen zu vermeiden. In der Praxis stößt ein solcher Ansatz aber ohne geeigneten institutionellen Rahmen schnell an seine Grenzen. Wenn etwa begrenzte Ressourcen und Wachstumschancen verteilt oder ein regionaler Interessenausgleich gefunden und durchgesetzt werden muss, Planungsrecht geschaffen werden soll oder Fördermittel zu verteilen sind, können stärker institutionalisierte Formen der Kooperation erforderlich sein. Insbesondere in Agglomerationen ist ab einem bestimmten Ausmaß von wechselseitiger Verflechtung und Abhängigkeit dauerhaftes regionales Handeln nur in stärker verfassten Formen organisierbar. Stärkere Verfasstheit ist allerdings nicht automatisch mit Preisgabe der Freiwilligkeit gleichzusetzen. Zwar muss der institutionelle Rahmen selbst bindende Absprachen und Abstimmungsregeln enthalten, um eine effiziente Arbeit zu gewährleisten. Die Entscheidung jedoch, dem Regelwerk als Ganzem zuzustimmen, kann durchaus mit Vetorechten ausgestattet werden. Auch im staatlichen Bereich ist ja der Beitritt zu supranationalen Organisationen wie der EU oder der World Trade Organisation jedem Land freigestellt; nach erfolgtem Beitritt ist aber das entsprechende Regelwerk verbindlich. Wo regionale Kompensationsleistungen an die Verlierer der Kooperation nicht möglich oder unangemessen erscheinen, kann man mit landespolitischen Anreizen arbeiten. So könnte das Land im Rahmen eines Budgetierungskonzeptes Prämien für einvernehmlich verabschiedete regionale Handlungskonzepte vorsehen. Denkbar ist auch, die Auszahlung von Landesmitteln - etwa für Infrastruktur oder Wohnungspolitik - ganz oder teilweise vom Zustandekommen regional abgestimmter Handlungskonzepte abhängig zu machen. Ein auf diese Weise erzeugter Einigungsdruck würde auch die Trittbrettfahrer unter Zugzwang setzen, ohne jedoch gleichzeitig das Grundprinzip der freiwilligen Kooperation preiszugeben. Ein starker Anreiz zur Kooperation kann durch das Land auch dadurch gesetzt werden, dass es im Gegenzug den eigenen Lenkungs- und Kontrollanspruch gegenüber den teilnehmenden Kommunen reduziert.13 Nur wo all dies nicht

13 In diese Richtung wirkt die Reform der Landesplanung: Kommunen, die sich zur Erstellung eines regionalen Flächennutzungsplans mit Nachbarn zusammenschließen, ersparen sich die Aufsicht durch den Regierungspräsidenten. 298

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funktioniert und wo gleichzeitig vitale Landesinteressen wie etwa der Natur- und Landschaftsschutz berührt sind, sollte das Prinzip der Freiwilligkeit zur Disposition gestellt werden.

8.4

Rahmenbedingungen der Umsetzung

Die Praxis der Regionalisierung zeigt, dass die Umsetzung konkreter Kooperationsnotwendigkeiten stark von den Ausgangsbedingungen abhängig ist.14 So scheinen Zentralstaaten wie Frankreich oder Großbritannien eher geneigt zu sein, Regionalisierungen politisch zuzulassen. In föderalen Strukturen wie etwa in Deutschland neigen die hier zuständigen Länder dagegen oft dazu, Regionalisierungen als Einschränkung ihrer eigenen politischen Spielräume zu deuten. Das lässt sie eher zurückhaltend bis ablehnend reagieren. Wichtig sind die jeweils konkreten lokalen politisch-administrativen Strukturen. So ist ein monozentrischer Ballungsraum wie etwa der Raum Hannover besser organisierbar als ausgeprägt polyzentrische Ballungsräume wie Rhein-Main oder das Ruhrgebiet. Von Bedeutung ist aber vor allem auch die jeweils vorliegende Akteurskonstellation:15 • Initiatoren und Befürworter der Regionalisierung sind nahe liegender Weise diejenigen Akteure, die sich davon Vorteile erwarten. Dazu gehören vor allem die Kernstädte, die einerseits meist Bevölkerung an das Umland verlieren, andererseits aber weiterhin zentralörtliche Funktionen wahrnehmen müssen. Regionalisierungen in Ballungsräumen werden oft auch von der Wirtschaft befürwortet, die unter fragmentierten Entscheidungsstrukturen leidet.16 In einigen Ländern hat sich auch die staatliche Ebene intensiv in die Entwicklung von Regionalisierungen eingeschaltet. So versuchte etwa in den Niederlanden das zuständige Ministerium als maßgeblicher Akteur, die StadtUmland-Beziehungen zu entwickeln. Ähnlich verlief die Entwicklung in Frankreich. • Zu den Gegnern und Kritikern insbesondere stark verfasster Regionalisierung gehören meist staatliche Mittelinstanzen und bestehende Gemeinde-

14 Heinz 2000. 15 Heinz 2000. 16 So haben sich etwa bei den Diskussionen um die Verfasstheit des Ruhrgebiets viele Unternehmen für eine Regionalisierung ausgesprochen, während einzelne Kammern sich dagegen positionierten. 299

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verbände, die einschneidende Kompetenz- und Machtverluste erwarten.17 Auch prosperierende Vorstädte und Umlandgemeinden befürchten Machtverluste und finanzielle Einbußen, die bei einer Beteiligung an den Zentralitätskosten der Kernstädte entstehen. Schließlich kann auch die Bevölkerung kritisch reagieren, wenn ihre Zugehörigkeitsgefühl zur Region schwach ist. Dabei denkt die jüngere Generation oft weniger ortsbezogen und steht Regionalisierungsbestrebungen daher tendenziell aufgeschlossen gegenüber. Nicht weniger vielschichtig als diese politische Gemengelage sind die Sachargumente, die in der Diskussion insbesondere der Stadt-Umland-Problematik vorgetragen werden. So verweisen die von Abwanderungen betroffenen Kernstädte auf drohende Unterauslastungen ihrer Infrastruktur, während diese in den Zuzugsgemeinden des Umlands gleichzeitig zu hohen Kosten neu erstellt werden muss. Zudem erfolgt aus ihrer Perspektive der Bevölkerungsverlust asymmetrisch zu Lasten der sozial schwächeren Schichten, die überwiegend in den Städten bleiben, was dort zu hohen Kosten und sozial unausgewogenen Quartieren führt (vgl. dazu auch Kapitel B4). Die Umlandgemeinden halten dem ihrerseits entgegen, dass sie preiswerteren Boden und geringere Ballungsprobleme und somit echte volkswirtschaftliche Kostenersparnisse zu bieten haben. Zudem gilt die Degression der Infrastrukturkosten bei höheren Bevölkerungszahlen nicht nur in den Ballungszentren, sondern langfristig gerade auch in der Fläche. Dem Hinweis auf die zentralörtlichen Funktionen der Kernstädte begegnen sie mit dem Hinweis auf die Erholungs- und zunehmend auch Wirtschaftsfunktionen, welche wiederum das Umland leistet. Das Konzept der Regionalisierung kann hier aber helfen, zu einer sinnvollen Funktionsteilung und zu einem gerechten Vor- und Nachteilsausgleich zwischen Stadt und Umland zu kommen. Wird über entsprechende Anreize ein genügend hoher Einigungsdruck erzeugt, so sollten die bereffenden Kommunen in der Lage sein, weitgehend einvernehmlich zu einer für alle vorteilhaften Lösung zu kommen. Manche Diskussionen über die Vor- und Nachteile des Lebens in der Stadt dürften sich in der praktischen Gestaltung von Kooperationen weitgehend erledigen. Das wäre auch für die Bevölkerung und Wirtschaft der bei weitem beste Weg. Die privaten Akteure begreifen ihren Lebensraum oft ganz selbstverständlich als die Region und bringen wenig Verständnis für Friktionen auf, die ihre Ursache allein in kommunaler Uneinigkeit haben.

17 Vgl. etwa die Rolle der Bezirksregierungen und Landkreise bei der administrativen Entwicklung der Region Rhein-Main (Scheller 1998). Eine ähnliche Blockadeposition vertraten die französischen Departements. 300

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8.5

Landespolitische Voraussetzungen für regionale Kooperation

Dem Land obliegt es, dafür die entsprechenden Voraussetzungen und gegebenenfalls auch Anreize zu schaffen. Im Einzelnen stellen sich dabei vor allem drei Aufgaben: • Zum einen muss das Land die kommunalen Handlungsspielräume entsprechend erweitern und gleichzeitig Anreize zur Kooperation für die betreffenden Kommunen setzen. Insbesondere sollten für interkommunale Kompensationsabkommen und Ausgleichszahlungen, sofern erforderlich, die gesetzlichen und verwaltungstechnischen Voraussetzungen geschaffen werden. • Zum zweiten sollte das Land die Analyse von regionalen Verflechtungsräumen in Auftrag geben, um eine Grundlage für die Bildung geeigneter Kooperationsgemeinschaften zu schaffen. Es empfiehlt sich, die konkrete Bildung von Kooperationen an diesem Grundraster zu orientieren, jedoch im Einzelfall flexibel und in enger Abstimmung mit den betreffenden Kommunen zu handhaben. • Zum dritten ist ein Indikatorensystem zu erarbeiten, das als Grundlage für die Bereitstellung budgetierter Regionsmittel sowie auch zur Erfolgskontrolle ihrer Verwendung dienen kann (siehe dazu die näheren Vorschläge eines Monitorings in Kapitel C4). Es sind zudem geeignete Instrumente zu schaffen, um mit Hilfe eines solchen Monitoringsystems die Verteilung der knappen Finanzmittel sachgerecht zu steuern und dabei Erfolge zu honorieren und Fehlleistungen zu sanktionieren. Bei alledem gilt es immer auch, wichtigen Landeszielen wie etwa dem Naturschutz und der Bewältigung der überörtlichen Verkehrsströme in den regionalen Kooperationsabkommen ausreichende Berücksichtigung zu sichern. Das Land muss vor allem dort moderierend, falls erforderlich auch regelnd eingreifen, wo eine Kooperation notwendig erscheint und nicht zustande kommt oder die Art der Zusammenarbeit der zu lösenden Aufgabe nicht gerecht wird. Dabei sind regionale Unterschiede und Besonderheiten zu berücksichtigen - was in hoch verdichteten Ballungsräumen sinnvoll sein kann, lässt sich nicht ohne weiteres auf die Verhältnisse in ländlichen Gebieten übertragen und umgekehrt. Daher sollten nicht schematische und kleinräumige Vorschriften im Vordergrund stehen, sondern in erster Linie solche Belange, deren Relevanz über die Grenzen der betreffenden Regionen hinausgeht.

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C Strategien und Orientierungen für die künftige Städtepolitik in Nordrhein-Westfalen

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C1 Lebendige Städte in starken Regionen Ein Leitbild für Nordrhein-Westfalen

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Wer die Zukunft der Städte verantwortlich gestalten will, muss nicht nur ihre Chancen und Risiken erkennen. Es bedarf auch eines Leitbilds für das politische Wollen und Handeln. Damit ist jedoch nicht an eine Blaupause für die Stadt der Zukunft gedacht, wie sie beispielsweise als Leitbild der Europäischen Stadt oder in der Charta von Athen entwickelt wurde. Für ein allgemeingültiges Leitbild in diesem Sinne ist die Differenzierung der Städte und ihrer spezifischen Problemlagen viel zu groß (vgl. Kapitel B1). Das gilt ganz besonders für Nordrhein-Westfalen mit seinen überaus vielfältigen Siedlungsstrukturen. Es ist kaum ein Städteleitbild vorstellbar, das von der dünn besiedelten Eifel über das Münsterland bis hin zu den höchstverdichteten Agglomerationen an Rhein und Ruhr Gültigkeit beanspruchen könnte. Schon innerhalb dieser Regionen sind die Problemlagen und Zukunftschancen oft sehr unterschiedlich, wie es auch die wirtschaftliche Analyse in Kapitel B3 zeigt. Es geht deshalb in erster Linie darum, ein Leitbild für die künftige Städtepolitik in Nordrhein-Westfalen zu entwickeln. Dies betrifft zum einen die Politik des Landes gegenüber seinen Städten und Gemeinden, zum anderen auch deren politisches Handeln selbst, sowohl untereinander als auch innerhalb der eigenen Grenzen. Im Vordergrund der folgenden Überlegungen stehen deshalb weniger Ergebnisziele, etwa im Sinne städtebaulicher Visionen, als vielmehr die urbanen Prozesse selbst und die landespolitischen Rahmenbedingungen, unter 305

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denen sie sich abspielen. Hier sind zukunftsfähige Lösungen zu suchen, die im Normalfall sowohl effiziente als auch sozialverträgliche Ergebnisse erwarten lassen. Direkte Landesinterventionen können dann auf solche Ausnahmefälle beschränkt bleiben, in denen aufgrund ungünstiger Sondereinflüsse trotz allem nicht hinnehmbare Fehlentwicklungen auftreten. Mit ins Bild zu nehmen ist, dass wesentliche Einflüsse und Restriktionen hinsichtlich der städtischen Entwicklung von der Bundespolitik sowie zunehmend auch von der Europäischen Union ausgehen. Das gilt nicht zuletzt auch für die finanziellen Rahmenbedingungen, unter denen die Städte und Gemeinden zu agieren haben. Dies wird im Folgenden nicht näher thematisiert, wenngleich sich einige der hier angestellten Überlegungen im Grundsatz auch auf diese Problematik anwenden lassen.

1.1

Urbane Vielfalt, Entscheidungen vor Ort

Die Stadt der Zukunft muss sich in einer wirtschaftlich und kulturell immer stärker integrierten Welt behaupten. Als Unternehmensstandort, aber auch als Wohnort und Lebensmittelpunkt der Menschen stehen die Städte NordrheinWestfalens in starker Konkurrenz, sowohl untereinander als auch gegenüber ihrem Umland. Mit zunehmender Mobilität der Menschen und des Kapitals gewinnt auch der Wettbewerb mit anderen Agglomerationsräumen an Bedeutung, nicht zuletzt auch mit solchen im benachbarten Ausland. Gleichzeitig werden die sozialen Probleme insbesondere in den größeren Städten an Schärfe gewinnen: Rückläufige Bevölkerungszahlen bei gleichzeitig dramatisch veränderter Altersstruktur verlangen nicht nur entsprechende Anpassungen der Infrastruktur, sondern bedeuten auch neue Herausforderungen für das soziale und kulturelle Zusammenleben. Hinzu kommen Integrationsanforderungen, die sich aus wachsenden Bevölkerungsanteilen mit Migrationshintergrund ergeben. All dies gilt es zu bewältigen bei eher enger werdenden Finanzierungsspielräumen und oft schon zu hohen Schuldenlasten der Vergangenheit. In Nordrhein-Westfalen stehen vor allem die Städte des Ruhrgebiets und des bergischen Städtedreiecks vor großen Herausforderungen. Sie leiden zumeist schon seit Jahren unter rückläufigen Einwohnerzahlen, Überalterung ihrer Bevölkerung, überkommenen Wirtschaftsstrukturen sowie hohen Anteilen von sozial schwachen oder nicht integrierten Bevölkerungsschichten. Aber auch für die zurzeit noch prosperierenden Städte und Gemeinden zeichnen sich teilweise große Zukunftssorgen ab. Den demografischen Problemen werden auch sie sich nicht entziehen können, und ihre wirtschaftliche Zukunft ist keineswegs unabhängig davon, wie es bei ihren Nachbarn weitergeht. Im Gegenteil: Weit mehr 306

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als früher gilt es für die Städte der Zukunft, in Regionen statt nur in den eigenen Grenzen zu denken. Dazu zwingt nicht nur der Bevölkerungsrückgang, sondern auch die Wahrnehmungs- und Durchsetzungsfähigkeit in einem harten - auch internationalen - Standortwettbewerb. Dazu steht nicht im Widerspruch, dass sich die kleinräumigen Probleme heute und in Zukunft weit differenzierter darstellen, als es früher der Fall gewesen ist. So wird es neben Regionen mit Wohnungsleerständen nach wie vor auch solche mit angespannten Wohnungsmärkten geben, namentlich was die Versorgung von so genannten Problemgruppen betrifft. Ferner werden Städte mit niedrigen Migrantenanteilen neben solchen mit hohem Zuzug aus dem Ausland stehen. Dabei ist die Problemlage auch unter letzteren oft ganz verschieden, je nach den Herkunftsregionen der Zugezogenen, der wirtschaftlichen Lage in der betreffenden Region und nicht zuletzt wiederum nach der Lage auf dem Wohnungsmarkt. Und manche ökologischen Probleme wie etwa die Flächeninanspruchnahme stellen sich in hochverdichteten oder stark zersiedelten Gebieten ganz anders dar als in den ländlichen Regionen. Hier kann deshalb nur die Vielfalt selbst das Leitbild sein. Vielfalt der Lösungsansätze bedeutet allerdings nicht Beliebigkeit. Worauf es ankommt ist vielmehr, dass jeweils die beste Lösung möglichst auch zum Zuge kommt. Die Landespolitik sollte darauf angelegt sein, hierfür durch entsprechende Rahmenbedingungen Gewähr zu bieten.

1.2

Städtisches Leben in lebendigen Städten

Die Städte Nordrhein-Westfalens waren einstmals nicht nur Motoren ökonomischer Modernisierungsprozesse, sie mussten auch immer schon das Zusammenleben von Bürgern ganz unterschiedlicher sozialer Schichten und Herkunft bewältigen. Für die Integration derjenigen, die als Migranten und Gastarbeiter in die Städte strömten, war es hilfreich, dass sie dort in Zeiten der Vollbeschäftigung leicht Arbeit fanden, wenn auch überwiegend in gering qualifizierten Beschäftigungen. Inzwischen sind viele dieser Arbeitsplätze weggefallen und mit ihnen die wohl wichtigste Voraussetzung für die wirtschaftliche und soziale Integration der betreffenden Bevölkerungsschichten. Gleichzeitig ist aber der Anteil derer, die dauerhaft im Land bleiben wollen und hier mit ihren Familien eine neue Heimat gefunden haben, angestiegen. Damit ist die Integration von Menschen mit ganz unterschiedlichen Religionen, Sprachen und kulturellen Hintergründen eine der zentralen Herausforderungen für die Städte in Nordrhein-Westfalen geworden. Einen Königsweg für diese Aufgabe gibt es nach aller Erfahrung nicht - Vieles muss zusammenkommen, und nicht überall bieten sich die gleichen Lösungs307

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wege an. In vielen Fällen könnte eine regionale Kooperation helfen, die räumliche Konzentration der Probleme zu entschärfen. Zu solcher Zusammenarbeit Anreize und Hilfen zu geben, wird deswegen eine wichtige Aufgabe der künftigen Landespolitik sein. Dessen ungeachtet ist aber eine kritische Überprüfung überkommener Leitbilder der Integration angezeigt. So ist es keineswegs ausgemacht, dass eine möglichst breite Bevölkerungsmischung in den Stadtteilen den größten Erfolg verspricht. Soziale Mischung ist auch nicht unbedingt Voraussetzung für soziale Stabilität. Stadtteile mit Zusammenballungen bestimmter ethnischer und sozialer Zugehörigkeit sind nicht per se problematisch oder desintegriert. Den zweifellos vorhandenen Gefahren der Isolierung, der Stigmatisierung und der sozialen Destabilisierung entsprechender Quartiere stehen nämlich auf der anderen Seite auch Chancen gegenüber. Dazu gehören konfliktarme Nachbarschaften, die Möglichkeit zur Bildung gruppenspezifischer Netzwerke der Selbsthilfe und nicht zuletzt ein Gefühl der Geborgenheit in einer oft als kalt, wenn nicht gar feindlich empfundenen Umgebung. Darüber, ob letztlich die negativen oder die positiven Aspekte überwiegen, kann keine allgemeingültige Aussage getroffen werden. Es ist vorwiegend die Aufgabe der Städte selbst, dies im Einzelfall herauszufinden. Sie müssen nach Wegen suchen, die Vorteile der Konzentration zu nutzen und zugleich die negativen Folgen der Segregation möglichst gering zu halten. Von besonderer Bedeutung ist hier neben der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der kommunale Wohnungsmarkt. Hier gilt es, gemeinsam mit der Wohnungswirtschaft Zugangsschranken abzubauen und bedarfsgerechten Wohnraum für Gruppen mit Zugangsschwierigkeiten auch in nicht segregierten Quartieren zu schaffen. Ziel muss sowohl die Verhinderung unfreiwilliger Segregation als auch die Ermöglichung freiwilligen Rückzugs in das eigene Milieu sein. Dazu gehört auch die Bekämpfung von Diskriminierungen, sowohl auf dem Arbeits- als auch auf dem Wohnungsmarkt. Hier sind entsprechende Vorurteile abzubauen und notfalls auch mit öffentlicher Hilfe entsprechende Zugangschancen zu schaffen. Hilfreich können in diesem Zusammenhang öffentliche Bürgschaften und der Erwerb von Belegungsrechten auf dem Wohnungsmarkt sein. Die kommunale Wohnungspolitik spielt auch eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung der demografischen Herausforderungen. Die Alterung der Gesellschaft setzt aufgrund des Zusammenwirkens von natürlicher Bevölkerungsentwicklung und Wanderungen in den Städten früher ein als im Land insgesamt. Sie hat auf lokaler Ebene auch dramatischere Auswirkungen als im Landesdurchschnitt, weil sich die Extreme hier nicht ausgleichen. Sollen die Städte der Zukunft nicht 308

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zu Altersheimen werden, ist es deshalb höchste Zeit für kleinräumige Bevölkerungsprojektionen und die Erstellung strategischer Optionen. Zukunftsträchtig erscheinen vor allem Bestandsinvestitionen in die urbane Qualität des Wohnumfeldes, in Kinderbetreuungseinrichtungen und Schulen sowie in die Stabilisierung der wirtschaftlichen Basis einer Stadt. Dabei kann man sich zunutze machen, dass Familien und alte Menschen teilweise ähnliche Anforderungen an eine bürgergerechte Stadt haben, beispielsweise hinsichtlich der Barrierefreiheit und der Sicherheit im Straßenverkehr. Die Bereitstellung familiengerechten Wohnraums in den Städten kann gleichzeitig zur sozialen Stabilisierung von Quartieren beitragen, insbesondere wenn sie mit sozialverträglicher Eigentumsbildung verbunden ist. Wo Leerstände den Rückbau von Wohnraum erforderlich machen, können die entstehenden Freiflächen für ein besseres Wohnumfeld und für die Schaffung hochwertigerer Bausubstanzen genutzt werden. Dabei ist angesichts leerer öffentlicher Kassen eine finanzielle Beteiligung derjenigen Eigentümer anzustreben, die von der Aufwertung der betreffenden Quartiere besonders profitieren. Auch in anderer Hinsicht können rückläufige Bevölkerungszahlen durchaus als Chance begriffen werden. Sie bergen unbeschadet der damit verbundenen, vor allem im Übergang auftretenden Probleme auch ein großes Potenzial zur Verbesserung der Lebensqualität in den Städten. Mehr Frei- und Grünflächen, abnehmende Verkehrs- und Lärmbelastung und weniger Engpässe in Infrastruktur und Verwaltung machen das urbane Leben entspannter und damit auf längere Sicht auch für solche Bevölkerungsschichten wieder attraktiv, die auf der Suche nach mehr Ruhe und Umweltqualität der Stadt den Rücken gekehrt haben.

1.3

Die verantwortliche Stadt

Es wäre falsch, den Herausforderungen der Zukunft mit rein defensiven Strategien begegnen zu wollen. Dadurch lassen sich weder der unvermeidliche Bevölkerungsrückgang in Nordrhein-Westfalen noch die wachsende Standortkonkurrenz anderer Länder und Regionen aus der Welt schaffen. Auch Kirchturmpolitik auf Kosten anderer hilft dem Land und seinen Städten nicht weiter. Es gilt vielmehr zu erkennen, dass in den sich abzeichnenden Veränderungen auch Chancen liegen. So können rückläufige Einwohnerzahlen auch für die Schaffung von mehr Grünflächen in den Städten und für eine höhere Wohnqualität genutzt werden. Der notwendige Umbau der Infrastruktur kann Anlass für eine stärkere Zusammenarbeit mit benachbarten Städten und Gemeinden sein, um Doppelinvestitionen zu vermeiden und sinnvolle Arbeitsteilungen zu erzielen. Der Zuzug von Menschen aus anderen Ländern schafft unter Umständen Probleme, trägt aber auch zur Verjüngung der Bevölkerung und zur kulturellen Vielfalt bei. Oft 309

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sind es gerade diese Neubürger, die als Selbständige neue Existenzen gründen und der örtlichen Wirtschaft damit Impulse geben. Um solche Chancen nutzen zu können gilt es freilich, auf die örtlich unterschiedlichen Problemlagen entsprechend differenziert und flexibel zu reagieren. Das kann letztlich nur in dezentraler Verantwortung vor Ort gelingen. Die Stadt der Zukunft muss deshalb mehr Entscheidungsfreiheit in eigener Sache haben, aber auch stärkere Verantwortung für das Gelingen tragen. Dadurch werden ganz neue Kräfte freigesetzt, und zwar in zweifacher Hinsicht: Zum einen werden Menschen zum aktiven Mitmachen gebracht, die dafür aufgrund zu enger Handlungsspielräume kaum Motivation und Möglichkeiten hatten. Das gilt nicht nur für die kommunalen Entscheidungsträger selbst, sondern auch für ihre Bürger und für die Vertreter der örtlichen Unternehmen und Verbände. Zum anderen ermöglicht es die dezentrale Suche nach der besten Lösung, von anderen zu lernen und dabei auch Fehler zu erkennen, bevor sie landesweites Gesetz geworden sind. Eine verantwortliche Stadt in diesem Sinne verwaltet nicht ihre Bürger, sondern gestaltet ihre Zukunft zusammen mit den in ihr lebenden Menschen und Unternehmen. Sie entscheidet weitgehend selbst, wofür sie ihre knappen Mittel einsetzt, was entsprechende Spielräume vor allem an frei verfügbaren, nicht zweckgebundenen Finanzmitteln voraussetzt. Wo ihr bundes- oder landespolitische Gesetze vorgegeben sind, hat sie zumindest Ermessensspielräume in der Umsetzung. Wo sie selbst entscheidet, trägt sie auch die finanzielle und rechtliche Verantwortung. Rechtliche Handlungsautonomie ist deshalb von der Verfügbarkeit entsprechend freier Finanzmittel nicht zu trennen. Eine bessere Finanzausstattung der Städte und Gemeinden, vor allem mit frei einsetzbaren, nicht zweckgebundenen Mitteln, ist deshalb in höchstem Maße wünschenswert. Es sollte in diesem Sinne vorurteilslos geprüft werden, ob den Kommunen nicht auch Hebesatzrechte auf andere als die Realsteuern gegeben werden können. Das Leitbild der verantwortlichen Stadt meint jedoch mehr als Selbstbestimmung. Es schließt auch die Verantwortung für nachhaltige soziale, ökologische und bildungspolitische Ziele mit ein. Dazu gehören tragfähige Konzepte zur sozialen und kulturellen Integration benachteiligter Bevölkerungsschichten ebenso wie das Bewusstsein für einen sparsamen Umgang mit den natürlichen Ressourcen. An der Erreichung solcher Ziele besteht auch ein über die einzelne Kommune hinausgehendes Interesse, weswegen hier die kommunale Autono310

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mie an ihre Grenzen stößt. Die örtlichen Ermessensspielräume sind dabei umso enger zu ziehen, je stärker das allgemeinpolitische Interesse an den betreffenden Maßnahmen und Regelungen ist. Das dürfte zum Beispiel auf die Gewährleistung bestimmter Bildungsstandards oder auf energiepolitische Ziele zutreffen, die zu Recht landes- oder sogar bundesrechtlich geregelt sind. Auch die kommunale Flächenpolitik muss sich in die großen Linien der landesweiten Raumplanung einfügen und darf beispielsweise nicht zu unerwünschten Zerschneidungseffekten oder zur Zerstörung zusammenhängender Schutzgebiete führen. Soweit entsprechende Entscheidungen indessen überwiegend nur örtliche Auswirkungen haben, sollten sie stärker als bisher auch auf lokaler Ebene geregelt werden. Landesweit gültige Vorgaben könnten sich, wo sie unverzichtbar erscheinen, auf Mindeststandards beschränken, um flexible Lösungen vor Ort zu ermöglichen. Das schließt landespolitische Initiativen, etwa im Bildungssektor oder in der Wohnungspolitik, keineswegs aus. Für die konkrete Umsetzung landespolitischer Ziele gibt es aber meist mehrere Optionen. So kann das Ziel einer besseren Wohnungsversorgung einkommensschwacher Haushalte auf ganz verschiedenen Wegen erreicht werden: vom sozialen Wohnungsbau über die vermehrte Ausweisung von Bauland bis hin zum Erwerb von Belegungsrechten oder zur Zahlung eines kommunalen Wohngeldes. Welcher dieser Wege der jeweils sinnvollste ist, dürfte je nach örtlicher Problemlage ganz unterschiedlich sein und kann darum in aller Regel am besten vor Ort entschieden werden. Entsprechende Landesprogramme zur Unterstützung der Kommunen sollten daher weniger die Instrumente als vielmehr vorwiegend die zu erreichenden Ziele festlegen, idealerweise im Wege von Zielvereinbarungen mit den betreffenden Städten und Gemeinden.

1.4

Mehr Verantwortung auch für die Bürger

Die Bereitschaft der Bürger, sich vor Ort für die Belange ihrer Stadt zu engagieren, ist noch nicht überall so hoch, wie man es sich wünschen würde. Mancherorts ist sie in den letzten Jahren sogar eher zurückgegangen. Das gilt auch für die Unternehmen. Dazu mag auch die wachsende Sorge um den eigenen Arbeitsplatz und die schwache Ertragsentwicklung vieler Unternehmen beigetragen haben. Die lebendige Stadt der Zukunft wird sich aber auch durch mehr bürgerschaftliches Engagement und durch die aktive Mitwirkung nicht-staatlicher Akteure an der Stadtentwicklung auszeichnen müssen. Dies erzwingt schon alleine der Rückzug des Staates aus Teilen der Daseinsvorsorge, aber es ist auch ein Wert an sich. Die Motivation sich zu engagieren, wird gerade in einer individualisierten Gesellschaft in starkem Maße auch von dem Bedürfnis nach Eigenverantwortung und Selbstbestimmung geprägt. 311

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Die Nutzung dieser Potenziale stellt allerdings neue Anforderungen an den Staat, auch entsprechende Mitbestimmungs-, Mitgestaltungs- und Teilhabemöglichkeiten zu schaffen. Dabei geht es weniger um finanzielle Vergütungen als vielmehr um gesellschaftliche Anerkennung, echte Kooperation zwischen engagierten Bürgern und Verwaltung und nicht zuletzt auch um die Umsetzung von Beteiligungsergebnissen. Die Förderung privaten Engagements muss in diesem Sinne eine Querschnittsaufgabe für alle Bereiche des urbanen Lebens werden. Klare Kompetenzzuweisungen und eigenständige Arbeitsfelder erleichtern eine entsprechende Zusammenarbeit und beugen Missverständnissen und Frustrationen vor. Dabei sind natürlich die Grenzen bürgerschaftlicher Gestaltungsfreiheit zu beachten. Von essenzieller Bedeutung ist auch die Entbürokratisierung, ohne die das bürgerschaftliche Engagement schnell im Wust von Vorschriften zu ersticken droht. Das gilt für das Schul-, Gesundheits- und Betreuungswesen ebenso wie für das Arbeitsleben, die Sozialpolitik und den Kulturbereich. Es geht dabei aber nicht nur um das klassische Ehrenamt; eine vitale Stadt wird künftig auch nicht mehr ohne neue Formen der Kooperation zwischen Staat und privater Wirtschaft auskommen. Hier sind vielfältige Formen von Public Private Partnership bis hin zu Bürgerstiftungen als Alternative zu kommunalen Gewährsträgern vorstellbar. Auch die private Wirtschaft sollte aktiv in die Mitarbeit einbezogen werden, sei es bei der Flächennutzungsplanung oder bei der Finanzierung und Organisation von Aufgaben in der Kinderbetreuung, die mit städtischen Mitteln allein nicht mehr bewältigt werden können. Grundlegende Voraussetzung dafür ist aber auch hier eine weitgehende Entbürokratisierung der entsprechenden Bereiche und die Schaffung von echten Entscheidungsspielräumen auf der kommunalen Ebene, die dann im Konsens der Beteiligten je nach den örtlichen Gegebenheiten genutzt werden können.

1.5

Starke Regionen durch kommunale Kooperation

Die Lebensräume der Menschen, aber auch die Verflechtungen der Wirtschaft gehen über die Grenzen selbst großer Städte weit hinaus. Dementsprechend bedürfen Infrastrukturplanung, Verkehrswege, Wohnungsversorgung und Maßnahmen der ökologischen Nachhaltigkeit einer entsprechenden Abstimmung. Auch der Standortwettbewerb spielt sich zunehmend weniger zwischen einzelnen Städten als vielmehr zwischen Regionen ab. Das Leitbild der verantwortlichen Stadt umfasst deswegen auch die Kooperation mit den benachbarten Städten und Gemeinden. Nur so kann eine sinnvolle Arbeitsteilung insbesondere zwischen Stadt und Umland erreicht werden, bei der nicht der eine auf Kosten des anderen Vorteile zieht, sondern ein Interessenausgleich zum beiderseitigen Nutzen - und damit auch zum Wohle der Bürger - erreicht wird. Bei der 312

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Abgrenzung sinnvoller Kooperationsräume, die die beteiligten Partner in eigener Entscheidung definieren müssen, wird man sich zweckmäßigerweise neben den Verflechtungsintensitäten auch an bereits bestehenden Verwaltungseinheiten orientieren, schon um die Zusammenarbeit politisch handhabbar zu machen. Die bestehenden Landkreise dürften dafür allerdings im Regelfall zu eng, die Regierungsbezirke wiederum zu weit abgegrenzt sein. Wichtig ist die Überschaubarkeit und das Zugehörigkeitsgefühl der Bürger zu der jeweiligen Region. Wie diese im Einzelfall abzugrenzen ist, sollte deshalb im kommunalen Konsens entschieden werden, wobei je nach Art und Intensität der Kooperation auch regional ganz unterschiedliche Lösungen denkbar sind. Nach aller Erfahrung bedarf das Zustandekommen von freiwilligen Kooperationen entsprechender Anreize, damit insbesondere diejenigen mitmachen, die auch so ganz gut zurechtzukommen glauben. Schon allein die demografische Herausforderung mit ihren künftigen Anforderungen an eine Anpassung der Infrastruktur sollte eigentlich Anlass genug sein, sich untereinander entsprechend abzustimmen. Wo dies nicht ausreicht, sollte die Landespolitik zusätzliche Anreize setzen. Beispielsweise könnte die Zuteilung von Finanzmitteln für die Infrastruktur und für die soziale Wohnungspolitik daran geknüpft werden, dass ein regional abgestimmtes Gesamtkonzept von den betreffenden Städten und Gemeinden vorgelegt wird. Auf diese Weise kann ein Einigungsdruck in Richtung freiwilliger Kooperation erzeugt werden, ohne dass die Landespolitik für die eine oder für die andere Seite Partei ergreifen oder gar zu Zwangsmaßnahmen greifen müsste. Schon heute bestehen vielfältige Kooperationsansätze zwischen einzelnen Städten und Gemeinden. Sie beschränken sich aber meist auf Einzelprobleme wie etwa den Nahverkehr oder die Abfallentsorgung. Das Ziel sollte sein, darüber hinaus zu wesentlich umfassenderer Zusammenarbeit zu kommen, welche die gesamte Infrastrukturpolitik umfasst. Bereits bestehende Kooperationsansätze können dafür ein sinnvoller Ausgangspunkt sein, zumal hier bereits Erfahrungs- und Vertrauenskapital geschaffen wurde. Die Erfahrung lehrt, dass regionale Kooperation am besten auf freiwilliger Basis funktioniert, und dafür ist gegenseitiges Vertrauen eine unabdingbare Voraussetzung. Ursprünglich unverbindliche Gesprächskreise können sich so schrittweise zu immer umfassenderen und verbindlicheren Formen der Zusammenarbeit weiterentwickeln. So werden aus bescheidenen Anfängen schließlich starke Regionen im doppelten Sinne: stark im Hinblick auf ihre Kompetenzen gegenüber Land und Einzelkommunen, stark aber auch im Wettbewerb der Standorte. Die Landespolitik sollte solche Kooperationen anregen und fördern, durchaus auch mit finanziellen Anreizen. Sie sollte ihren eigenen Lenkungsanspruch in dem Maße zurücknehmen, wie entsprechende regionale Vereinbarungen zustande kommen. Budgetierungskonzepte und Artikelgesetze könnten so 313

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schrittweise an die Stelle von Zweckzuweisungen und landesweiten Einzelregelungen treten. Das Land kann darüber hinaus als Moderator und Impulsgeber agieren, sollte sich aber mit inhaltlicher Einflussnahme auf die regionalen Entwicklungskonzepte zurückhalten. Zu starke inhaltliche Vorgaben würden dem Sinn der Regionalisierung widersprechen und die Akteure entmutigen, nach neuen und unkonventionellen Konzepten zu suchen.

1.6

Die Tüchtigen fördern

Städte sind wesentliche ökonomische, kulturelle und soziale Kristallisationspunkte der gesellschaftlichen Entwicklung. Von der Zugkraft prosperierender Stadtregionen profitiert letztlich das ganze Land. Es besteht deshalb ein Interesse der Landespolitik, die Rolle der Städte als Innovationszentren und Motoren der wirtschaftlichen Entwicklung zu stärken. Diese Rolle wird jedoch nicht von allen Städten gleichermaßen eingenommen es gibt Gewinner und Verlierer, Städte mit guten und solche mit eher problematischen Zukunftsperspektiven. Die Unterschiede im Entwicklungsstand wie auch die regionalen Differenzierungsprozesse haben in Nordrhein-Westfalen im Zeitverlauf sogar zugenommen (vgl. Kapitel B1 und B4). Damit scheint sich für die künftige Landespolitik der alte Konflikt zwischen wachstums- und ausgleichsorientierter Regionalpolitik zu stellen: Soll man mit den begrenzt zur Verfügung stehenden Mitteln eher die Starken fördern oder vielmehr den Schwachen zum Aufholen verhelfen? Die Förderung des Wachstums in prosperierenden Regionen und die Stärkung ökonomisch schwächerer Regionen muss jedoch kein unüberbrückbarer Gegensatz sein. In gewisser Weise bedingt das eine sogar das andere, denn ohne das Vorhandensein von Wachstumspolen gibt es auch keine Verteilungsmasse, um den schwächeren Regionen zu helfen. Es kommt hinzu, dass prosperierende Zentren die benachbarten Regionen oft wirtschaftlich mitziehen, so dass der Konflikt zumindest kleinräumig gar nicht oder nur abgeschwächt besteht. Umgekehrt profitiert das Land auch davon, wenn bislang benachteiligte Regionen aufholen und möglicherweise in Zukunft sogar selbst eine Führungsrolle übernehmen können. In diesem Sinne sollten im Grundsatz vor allem diejenigen Regionen unterstützt werden, die Zukunftspotenziale haben und diese auch nutzen. Das können im Prinzip sowohl arme als auch bereits hoch entwickelte Regionen sein. Deshalb kann eine sinnvolle Ausgleichspolitik kaum darin bestehen, alle gleich zu behandeln. Sie sollte vielmehr jedem das Seine ermöglichen. Dementsprechend muss es das Bestreben der Landespolitik in Nordrhein-Westfalen sein, 314

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die Teilräume des Landes in ihrer Eigenart zu stärken und ihnen dabei zu helfen, ihre jeweiligen Vorteile voll zur Geltung zu bringen. Weder eine Breitenförderung noch die einseitige Bevorzugung ausgewählter Wachstumszentren würde einem solchen Anliegen gerecht werden. Vielmehr sollten diejenigen Städte und Regionen besonders unterstützt werden, die nachweisliche Erfolge aufzuweisen haben, sei es beim Ausbau einer bereits bestehenden Führungsposition oder im Aufholprozess gegenüber anderen. Dafür belastbare Kriterien zu entwickeln, ist eine der großen Herausforderungen für eine zukunftsweisende Regionalpolitik. Ein landesweites Monitoring-System (vgl. Kapitel C4) könnte die Basis für ein entsprechendes System von Indikatoren bilden, wobei auch hier Zielvereinbarungen mit den betreffenden Regionen eindeutig der Vorzug gegenüber starren Zielvorgaben von oben zu geben ist. Grundidee eines solchen Systems ist es, weder die Starken noch die Schwachen, sondern die Tüchtigen zu fördern. So können die Schwachen aufholen, ohne dass die Starken gebremst werden. Es liegt dann an den Städten und Regionen, ihre Chancen realistisch zu erkennen, zielstrebig und gemeinsam vorzugehen und letztlich auch die Verantwortung für das Gelingen oder Misslingen zu übernehmen. Für den Bürger hat das den Charme, dass er die Verantwortlichkeiten für das Gedeihen seiner Heimatregion weit besser als im bestehenden Mischsystem zuordnen und entsprechend reagieren kann. Dies wiederum erhöht den Druck auf Politik und Verwaltung, mit den regionalen Ressourcen sorgfältig umzugehen, unnötigen politischen Streit untereinander zu vermeiden und auf diese Weise bestmögliche Erfolge zu erzielen. Selbstverständlich kann das Land nicht tatenlos zusehen, wenn einzelne Städte oder Regionen im Standortwettbewerb so weit zurückfallen, dass daraus nicht mehr hinnehmbare soziale Konsequenzen resultieren. Daraus begründete Sonderhilfen oder direkte Interventionen sollten aber die Ausnahme sein und stets als Hilfe zur Selbsthilfe verstanden und ausgestaltet werden. Auch in dieser Hinsicht dürfte sich ein regionales Monitoring-System als hilfreiches Instrument erweisen.

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C2 Handlungsschwerpunkte für die Städte der Zukunft

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Die Städte und Regionen des Landes Nordrhein-Westfalen stehen zu Beginn des 21. Jahrhunderts vor zahlreichen Herausforderungen und Entwicklungsoptionen. In Abschnitt B wurde deutlich, dass sich insbesondere die Entwicklung von Stadtqualitäten, Ökonomie und Wissenskultur wie auch die Schaffung von sozialer Stabilität in den Städten als wesentliche Handlungsschwerpunkte für die Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen darstellen. Diese Kernpunkte städtischer Entwicklung sollen im Folgenden zusammenfassend erläutert werden. Auf die besonderen Erfordernisse, die sich aus der zu optimierenden regionalen Kooperation ableiten, wird im Abschnitt C3 (Steuerungsprinzipien) näher eingegangen.

2.1

Entwicklung von Stadtqualitäten

Die Städte in Nordrhein-Westfalen sind durch ihre große Vielfalt gekennzeichnet. Dies gilt sowohl bei der Betrachtung der Städte im Lande in der Gesamtheit der so genannten Stadtlandschaft - als auch bei der Betrachtung der einzelnen Städte selbst. Die Qualitäten einer Stadt werden hierbei durch zahlreiche Merkmale und deren Wechselwirkungen bestimmt und von den Bürgern unterschiedlich wahrgenommen. Vor diesem Hintergrund wird ersichtlich, dass es 317

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nicht darum gehen kann, die eine - quasi normierte - sondern viele Stadtqualitäten zu entwickeln. Zukunftsfähige Städte zeichnen sich in erster Linie durch ihre (verstärkte) Orientierung an qualitativen Entwicklungen aus. Im Kern geht es hierbei um den Erhalt, die Schaffung und die Ausgestaltung von einem möglichst hohen Maß an Lebensqualität. Die Lebensqualität wird als das gelungene Zusammenspiel unterschiedlichster Merkmale interpretiert. So zählen die individuelle Wohnsituation, das unmittelbare Wohnumfeld sowie intakte Umweltbedingungen zu den wichtigsten Faktoren von Lebensqualität. Ferner sind die vorhandenen Angebote (bzw. deren Qualität) in den Bereichen Kultur, Freizeit, Sport und Bildung von großer Bedeutung. Darüber hinaus tragen alle Möglichkeiten der nahräumigen Versorgung in den Bereichen Einzelhandel, Dienstleistungen, Erholung etc. zu einem hohen Maß an Lebensqualität bei. All diese Aspekte von Lebensqualität gilt es für die Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen zu sichern und bei Bedarf auszubauen. Neben diesen Merkmalen von Lebensqualität sind aber auch alle Aspekte des sozialen Miteinanders der Menschen von entscheidender Bedeutung. Es bedarf Möglichkeiten zur Begegnung und Kommunikation sowie zum bürgerschaftlichen Engagement, um dies zur Entfaltung zu bringen. Nur wenn es gelingt, die soziale Stabilität in unseren Städten zu gewährleisten und die soziale Integration verschiedener Bevölkerungsgruppen zu realisieren, können sich Stadtqualitäten aufbauen. Seit jeher wird die städtische Gesellschaft zudem mit Freizügigkeit, Weltoffenheit und Toleranz in Verbindung gebracht. Keine andere Siedlungsund damit verbunden auch Gesellschaftsform hat jene Integrationskraft entfalten können, wie sie der Stadt zu Eigen ist. Mehr noch: gesellschaftlicher Wandel geht in der Regel aus der städtischen Gesellschaft hervor. Städte bzw. bestimmte Stadtteile sind Orte von Innovation und Experiment, sie bilden ein eigenes Flair und eine besondere Qualität aus, die bestimmte Milieus suchen oder auch anziehen. All diese Qualitäten gilt es für die Zukunft der Städte zu erhalten. Es geht zukünftig aber auch verstärkt darum, mehr Qualität in die Prozesse der Beteiligung der Bürger zu tragen, eine neue Planungskultur in und für die Städte in Nordrhein-Westfalen zu etablieren. Hierzu sind innovative und bedarfsgerechte Methoden und Verfahren der Bürgerbeteiligung erforderlich, die den Bürgern eine echte Chance auf Engagement für ihre Stadt eröffnen. Die stadtgesellschaftliche Interaktion der Zukunft zeichnet sich aber auch durch die konsequente Einbeziehung von Unternehmen, Ver318

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Handlungsschwerpunkte

einen, Initiativen sowie allen weiteren Formen bürgerschaftlichen Engagements aus, die es aktiv in den Prozess der Stadtentwicklung einzubinden gilt. Dazu sind Möglichkeiten der Teilhabe und Mitwirkung aufzuzeigen. Jede Stadt hat ihr eigenes Gesicht, ihren eigenen Charakter, der sich unter anderem an Merkmalen aus Städtebau und Architektur festmachen lässt. Diese Eigenheiten gilt es zu pflegen und bei Bedarf weiter zu entwickeln. Hierbei kommt unter anderem dem öffentlichen Raum eine entscheidende Bedeutung zu, da er maßgeblich über die Attraktivität und Identifikationskraft einer Stadt entscheidet. Der öffentliche Raum findet zudem vielfach als Synonym für den Zustand einer Stadt bzw. eines Gemeinwesens Betrachtung. Daher wird es in Zukunft verstärkt darauf ankommen, (wieder) mehr Aufmerksamkeit und Engagement für den gebauten städtischen Raum zu entwickeln, das heißt vorhandene Qualitäten zu erhalten bzw. zu stärken und neue zu gewinnen. Alle Maßnahmen im öffentlichen Raum müssen daher einem hohen Anspruch an städtebaulicher und architektonischer Qualität genügen. Vor diesem Hintergrund sind geeignete Instrumente zu entwickeln, die diese Qualitäten gewährleisten. Dazu zählen beispielsweise städtebauliche Wettbewerbe, Gutachterverfahren oder Workshops. Der gebaute physische Raum allein aber führt noch nicht zu urbaner Qualität. Erst durch die Aneignung durch die Stadtgesellschaft entstehen lebendige öffentliche Räume. Neben architektonischer Qualität bedarf es daher Initiativen zur Belebung öffentlicher Räume in partizipativ angelegten Projekten. Städte, egal ob groß oder klein, sind ausgewiesen komplexe Gebilde. Auf dem Weg zur Entwicklung von mehr Stadtqualitäten sind naturgemäß verschiedene Zugänge denkbar, die in erster Linie von den jeweiligen Gegebenheiten vor Ort abhängig sind. Die Bestimmung der Ziele und der Wege zu mehr Stadtqualitäten kann nur vor Ort erfolgen, das heißt es bedarf zwingend der kleinräumigen Betrachtung und der darauf aufbauenden integrierten Stadtentwicklung.

2.2

Ökonomie und Wissenskultur

Eine große Zahl von Städten in Nordrhein-Westfalen, insbesondere die Städte im Ruhrgebiet und im Bergischen Städtedreieck befinden sich gegenwärtig und auch in näherer Zukunft inmitten des Strukturwandels. Nachdem mit dem Verlust der traditionellen Arbeitsbereiche in vielen Städten die ökonomische Grundlage entzogen wurde, sind vielfältige Prozesse zur Entwicklung zukunftsweisender ökonomischer Strukturen in Nordrhein-Westfalen auf den Weg gebracht worden. Hierbei sind bereits beachtliche Erfolge zu verzeichnen, die sich beispielsweise in der Ausbildung neuer (regionaler) Kompetenzfelder und in der Etablierung moderner Arbeitsplätze zeigen. Diesen Prozess von Seiten des Lan319

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des weiterhin zu begleiten und die Städte und die Regionen in ihren vielfältigen Anstrengungen zu unterstützen, ist eine wichtige Aufgabe für die Zukunft. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass es neben den qualitativen Verbesserungen z.B. im Bereich der baulichen und planerischen Aufgabenstellungen in einem vom Strukturwandel geprägten und zugleich rohstoffarmen Land primär die Notwendigkeit gibt, „in die Köpfe“ zu investieren, das Bildungsniveau und die beruflichen Qualifikationen der Menschen weiterhin zu verbessern, Wissenskulturen zu fördern und dabei die Innovationsfähigkeit zu sichern und auszubauen. Eine Zukunftsstrategie, die diese Elemente berücksichtigt, trägt auch zur internationalen Konkurrenzfähigkeit des Standortes Nordrhein-Westfalen und seiner Regionen und Städte bei. Vor diesem Hintergrund stellen die Hochschulen, Fachhochschulen und die vielfältigen anderen Forschungseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen eine wichtige Ressource für die künftige Entwicklung des Landes und seiner zahlreichen Städte dar. Sie können einen wichtigen Nukleus bei der Ausbildung von Wissenskulturen bilden und zum Ausgangspunkt und Motor einer insgesamt positiven Entwicklung werden. Die Stadtentwicklung kann hierbei befördernde Rahmenbedingungen schaffen, die zur Profilbildung im Bereich der Wissenskulturen beitragen. Der Ansatz zur Herausbildung von regionalen Kompetenzen im Bereich der Ökonomie und der Wissenskulturen ist daher im Grundsatz weiter zu verfolgen. In diesem Zusammenhang ist auch die Entwicklungslinie zu betrachten, die ein Ausbreiten der Fachhochschulen in Nordrhein-Westfalen als Ankerpunkte zur Ausbildung von Wissenskulturen in der Fläche vorsieht.

2.3

Qualitative Bestandsentwicklung

Die Städte in Nordrhein-Westfalen sind - mit Blick auf die Wohnbebauung - im Grundsatz fertig gebaut. Die Qualität der Wohnungsbestände entscheidet maßgeblich über die Attraktivität einer Stadt als Wohnstandort und damit auch über deren gesamte Entwicklungsperspektiven. Angesichts zum Teil rückläufiger Bevölkerungszahlen in den Städten Nordrhein-Westfalens kommt der weiteren Entwicklung des Wohnungsbestandes in Form einer qualitätsorientierten Bestandsverbesserung eine erhebliche Bedeutung zu. Die Wohnraumbestände in Nordrhein-Westfalen sind nach den klassischen Kriterien überwiegend modernisiert. Weiterer Modernisierungsbedarf besteht mancherorts allerdings bei der energetischen Nachrüstung, der Anpassungsfähigkeit der Grundrisse an sich verändernde Wohnansprüche und Haushaltsstrukturen sowie bei der Berücksichtigung neuer technischer Entwicklungen im Bereich der Tele- und Medienkommunikation. Ferner ist eine Verbesserung des unmittelbaren Wohnumfeldes vielfach geboten. Werden die heutigen Anforderungen an 320

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Handlungsschwerpunkte

eine Wohnung im Bestand bzw. an das Wohnumfeld nicht erfüllt, kann dies zur Folge haben, dass sich die Mieter auf den zurzeit überwiegend ausgeglichenen Wohnungsmärkten eine neue Wohnung suchen. Hohe Fluktuationsraten und Leerstände tragen im Ergebnis dazu bei, dass ein Stadt- bzw. Ortsteil (weiter) an Attraktivität verliert. Unter bestimmten Umständen kann dies auch eine sich selbst verstärkende Dynamik erzeugen, die in Verbindung mit gegebenenfalls rückläufigen Bevölkerungszahlen nur schwer aufzuhalten ist. Am Ende einer solchen Entwicklung zeigen sich vielfach die unerwünschten Folgen von Segregationsprozessen. Bei der aktuellen (Fach-) Diskussion um rückläufige Bevölkerungszahlen in den Städten von Nordrhein-Westfalen (vgl. Kapitel B2), die unter dem Titel „Schrumpfende Stadt“ oder auch „Stadtumbau-West“ geführt wird, gilt es zu berücksichtigen, dass diese Entwicklung keineswegs für alle Städte Gültigkeit hat. Neben den Städten, deren Bevölkerungszahl rückläufig ist, gibt es Städte, die hinsichtlich ihrer Einwohner weiterhin wachsen, so dass eine differenzierte Betrachtung angebracht ist. Auch innerhalb einer insgesamt schrumpfenden Stadt gibt es wachsende Stadt- bzw. Ortsteile. Wohnungsleerstände und eine mangelnde Nachfrage sind in der Regel ein Indiz für die geringe Attraktivität bzw. Qualität der Bestände. Eine rückläufige Bevölkerungszahl muss aber keinesfalls als das Ende aller Entwicklungsoptionen interpretiert werden. Vielmehr kann hierin auch eine Chance zur Nutzung neuer Entwicklungsmöglichkeiten in Richtung eines qualitativen Fortschritts gesehen werden. Für die Zukunft der Städte ist es entscheidend, die sich hier ergebenden Möglichkeiten kreativ auszugestalten, auch wenn nicht immer eine ausreichende finanzielle Mittelausstattung vorhanden ist. Unter dem Motto „weniger ist mehr“ könnte ein gezielter Rückbau stattfinden, der im Ergebnis beispielsweise eine geringere städtebauliche Dichte, eine weniger überlastete Infrastruktur und eine insgesamt gestiegene Lebensqualität zur Folge hätte. Die fachlichen Anforderungen an den Rückbau sind als komplex einzustufen und bedürfen der strategischen Entwicklung im Kontext einer integrierten Stadtentwicklung. Eine vorbereitende und verbindliche Bauleitplanung muss auch in der Lage sein, Schrumpfungsprozesse zu gestalten. Unabhängig davon, ob die Bevölkerungszahlen nun wachsen oder zurück gehen, liegt in der qualitativen Bestandsentwicklung eine herausragende Aufgabe für die künftige Stadtentwicklung. Die Städte müssen ihre Wohnraumbestände und Quartiere qualitativ weiter entwickeln, um die Zufriedenheit der Bewohner mit der Wohnsituation zu verbessern. Hierbei sind moderne Qualitätsstandards mit zukunftsweisenden Ausstattungsmerkmalen zugrunde zu legen. In der praktischen Umsetzung sollte gezielt die Kooperation mit den Wohnungsanbietern und den Mietern gesucht werden, ohne die die erforderlichen Veränderungsrozesse nicht auf den Weg zu bringen sind. 321

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2.4

Soziale Stabilität

Angesichts fortschreitender Diversifizierung der städtischen Bevölkerung nach ethnischer Zugehörigkeit und sozialen Milieus und bei gleichzeitiger Überforderung der bisherigen Systeme der sozialen Sicherung, kann die Herstellung der Gleichheit der Lebensverhältnisse weder ein sinnvolles noch ein erreichbares Ziel von Stadtpolitik sein. Gleichwohl gilt es, gesellschaftlichen Erosionsprozessen entgegenzuwirken, Lebensqualität und Entwicklungschancen für alle Bewohner der Stadt zu sichern. Eine Stadt, die diesen Anforderungen gerecht wird, kann als sozial stabil bezeichnet werden - wozu dynamische Prozesse, auch Konflikte und die Bildung von Nischen für einzelne Bevölkerungsgruppen nicht im Widerspruch stehen. Nicht nur für die Zukunftschancen einzelner Bevölkerungsgruppen, sondern auch für die der Gesamtstadt ist der Grad der sozialen Stabilität eine bedeutende Einflussgröße. Bedroht wird die soziale Stabilität in einigen Städten Nordrhein-Westfalens durch sozial, ethnisch und altersdemografisch selektive Schrumpfungsprozesse, die mittelund langfristig auch auf suburbane Gebiete übergreifen können. Soziale und ethnische Segregation überlagern sich währenddessen zunehmend. Neue räumliche Sortierungen in Folge des wirtschaftlichen Strukturwandels betreffen zudem nicht nur die teilhabeschwachen Bevölkerungsgruppen. Flankiert werden diese Entwicklungen durch Desintegrationsprozesse in der Gesamtgesellschaft, wie die Individualisierung der Lebensformen, zunehmende Notwendigkeit zur Mobilität, die Auflösung familiärer Strukturen, und der Wandel in Motiven für gesellschaftliches Engagement. Gerade Migranten und Senioren in den betroffenen Stadtteilen können dem mit dem sozialen Wandel einhergehenden Wegbrechen sozialer Kontrolle und bürgerschaftlichen Engagements, das sich in Verwahrlosung, subjektiver und objektiver Unsicherheit und dem Rückzug wirtschaftlicher Aktivität äußert, nicht ohne weiteres etwas entgegensetzen. Es gilt, diese Akteure in die Lage zu versetzen, die Zukunft ihres Stadtteils trotz ungünstiger Ausgangsbedingungen gemeinsam zu gestalten. Dabei ist es wichtig, sowohl Selbsthilfepotenziale zu aktivieren als auch die ureigenen Vorstellungen der Bevölkerung gerade in sozial, ethnisch und altersdemografisch segregierten Quartieren als Modernisierungsbeitrag zu nutzen. Die bedrohte integrative Leistungsfähigkeit der Stadt hat bereits in den 1990er Jahren zu neuen Ansätzen der Stadtpolitik geführt, wie sie zuerst im Rahmen 322

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Handlungsschwerpunkte

des Programms Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf seit 1994 in Nordrhein-Westfalen entwickelt wurden. Bewohnerbeteiligung und Quartiersmanagement sind seitdem Schlüsselbegriffe im Zusammenhang mit der sozialen Stabilisierung dieser Stadtteile. Besondere Bedeutung kommt der Koordinierung bürgerschaftlichen Engagements durch Stadteilbüros zu. Das Quartiersmanagement in den Städten in Nordrhein-Westfalen ist fortzuführen und bei Bedarf zu intensivieren. Gerade in Stadtteilen mit hohen Ausländeranteilen bieten Beteiligungsprozesse im Rahmen von Quartiersmanagement neben den Ausländerbeiratswahlen die einzige Möglichkeit der politischen Partizipation der nicht-deutschen Bevölkerung. Eine Reihe weiterer Maßnahmen kann stabilisierend auf Stadtteile und Quartiere wirken. Dazu zählt in erster Linie die Verhinderung unfreiwilliger Segregation durch den Abbau von Zugangsschranken auf dem Wohnungsmarkt. Hierbei sind insbesondere Anstrengungen beim preisgebundenen Wohnungsbau, der sich an den Bedarfen der unterschiedlichen ethnisch-kulturellen und Altersgruppen orientieren muss, ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung des Wohnungsmarktzugangs. Zusätzlich könnte eine selektive, innerstädtische Wohneigentumsförderung der Abwanderung einkommensstarker Familien aus den Kernstädten entgegenwirken. Die sozial stabile Stadt produziert sowohl objektive als auch subjektive Sicherheit für ihre Bewohner. Die tatsächliche Bedrohungslage und das Sicherheitsempfinden der Bürger sind aber oft nicht deckungsgleich. Dessen ungeachtet müssen sich Repressions- und Überwachungsmaßnahmen an der objektiven Gefährdungslage und nicht an subjektiven Befindlichkeiten orientieren. Eine Verbesserung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung ist am effektivsten durch die Stärkung des sozialen Zusammenhalts und die Aktivierung der Solidarität unterschiedlicher Bewohnergruppen zu erzielen.

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C3 Steuerungsprinzipien einer zukunftsorientierten Städtepolitik

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Die zunehmenden sozialen und ökonomischen Herausforderungen in unseren Städten erfordern neue Ansätze einer vorausschauenden und präventiven Stadtentwicklungspolitik. Die vorangegangenen raumbezogenen Analysen beschreiben für unterschiedliche Politikfelder regional voneinander stark abweichende Problemkonstellationen und vielschichtige Entwicklungsperspektiven. Die differenzierten Problemlagen benötigen einen spezifischeren Mitteleinsatz und damit eine veränderte Zuwendungs- und Förderpolitik. Entscheidungen über Einzelmaßnahmen müssen stärker als bisher an die regionale oder lokale Ebene delegiert werden. Vor Ort kann vielfach am besten problemadäquat entschieden werden. Dies kann nur mit einer weitreichenden Dezentralisierung von Entscheidungen gerade auch bei der konkreten Verwendung von Fördermitteln geschehen. Im Verhältnis von Land und Kommunen bedeutet das die Verlagerung von Steuerungskompetenzen auf die regionale und kommunale Ebene. Selbstverständlich muss das Land bei der Ausgestaltung seiner Förderpolitiken seinen grundsätzlichen Steuerungsanspruch weiterhin aufrecht erhalten. Das Steuern über Ziele im Rahmen von Zielvereinbarungen scheint hier ein geeigneter Weg zu sein. Ein solches modernes Politikverständnis ist auch Ausdruck einer planungs- und steuerungstheoretischen Diskussion der letzten Jahre über eine neue Aufteilung staatlicher bzw. kommunaler Aufgaben hin zu einer Dezentralisierung, bei der zentrale Regelungen zugunsten von dezentralen 325

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bzw. kommunalen Lösungen abgebaut werden. Für die übergeordneten Ebenen ist es dabei umso wichtiger, aktuelle und kontinuierliche Informationen über Entwicklungen und Prozesse zur Stadt-, Regional- und Landesentwicklung zu erhalten, um rahmensetzend steuern zu können. Monitoring- und Controllingsysteme erfüllen in diesem Zusammenhang die Funktionen der Diagnose von Handlungsbedarf (einschließlich einer Frühwarnfunktion) und der Evaluation politischen Handelns. Einem Städte- und Regionalmonitoring, für das im nachfolgenden Kapitel ein konzeptioneller Vorschlag entwickelt wird, kommt somit eine strategische Funktion zu. Wesentliche Steuerungsprinzipien, die für eine zukunftsorientierte Neuorientierung relevant sind, werden in den folgenden Abschnitten aufgegriffen (siehe auch Abb. 1).

3.1

Dezentralisierung und Differenzierung der Städtepolitik

Auf der Landesebene ist sehr wohl bekannt, dass im Rahmen sich regional differenzierender Entwicklungen landesweit einheitlich angewandte Politiken und Programme zunehmend an Effektivität und Effizienz verlieren. Beispielsweise trägt die öffentliche Wohnraumförderung in der Rheinschiene maßgeblich zur Milderung der Wohnungsnot bei. Im Speckgürtel des Ruhrgebiets kann sie dagegen die weitere Abwanderung aus den Kerngebieten forcieren und damit etwa zum Anwachsen von Wohnungsleerständen in bestimmten Quartieren und Wohnungsmarktsegmenten beitragen. In der Konsequenz können positive Intentionen der Landespolitik teilweise durch andere Förderpolitiken konterkariert werden, so dass Zielkonflikte entstehen und die Politik insgesamt an Effektivität verliert. Das Land steht somit vor der Herausforderung, die Förderpolitik den regional und zum Teil auch lokal divergierenden Entwicklungen anzupassen. Fest steht, dass dieses Ziel nur mit einer weitreichenden Dezentralisierung und stärkeren Differenzierung der Förderstrategien zu erreichen ist, da vor Ort sachgerechter und adäquater über einen effektiven Einsatz von Fördermitteln entschieden werden kann. Um die kommunal besten Strategien gewährleisten zu können, brauchen die Städte und Regionen mehr Handlungsfreiraum und Eigenverantwortung. Durch ein Weniger an konkreten Vorgaben, Zweckbindungen und sektoralen Förderzuweisungen können die Kommunen in ihrer Entscheidungs- und Handlungsautonomie gestärkt werden. Eine Dezentralisierung der Steuerung bietet 326

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Steuerungsprinzipien

den Städten und Regionen in Nordrhein-Westfalen die Chance, eigenverantwortlich und problemnah handeln zu können. Nicht nur Wachstumsregionen, sondern auch Regionen mit Entwicklungsproblemen können von einem Mehr an Handlungsautonomie, Flexibilität und Selbstbestimmung profitieren. Dabei sollte sich das Land auf seine Funktion als Moderator besinnen, der die Kommunen darin unterstützt, ihre eigenen und für ihre Situation bestmöglichen Ziele und Lösungen zu finden. Gegebenenfalls kann diese Moderatorenrolle auch helfen Entwicklungsdefizite im Land aufzuspüren, um frühzeitig gegensteuern zu können. Eine Verpflichtung konkrete Vorgaben zu setzen hat das Land demgegenüber nach wie vor dann, wenn landesweite Richtlinien und Standards erforderlich sind oder übergeordnete Ziele des Landes, Bundes oder der europäischen Ebene betroffen sind, wie es beispielsweise in der Bildungs-, Energie- und überregionalen Verkehrspolitik der Fall sein kann. Ebenso sollte das Land weiterhin in der Verantwortung stehen, landespolitische Impulse zu setzten wie auch Risiken abzuwenden. Dies schränkt die regionalen Ermessensspielräume zwar partiell ein, muss aber im Allgemeininteresse im Sinne der landesweiten Entwicklung gewährleistet sein. Entsprechend sind von Seiten des Landes verbindliche Rahmensetzungen erforderlich, innerhalb derer die Kommunen und die Regionen eigenverantwortlich agieren können. Die konkrete Umsetzung, die Wahl der Maßnahmen und möglichst auch die Wahl der Instrumente sollte vor Ort erfolgen. Das Land kann dafür in den verschiedenen Politikbereichen einen „Instrumentenkasten“ zur Verfügung stellen, aus dem im Rahmen einer budgetierten Förderung vor Ort gewählt wird. In seiner Moderatorenfunktion könnte das Land positive Entwicklungen und Lösungen im Sinne von Good Practices herausstellen.

3.2

Regionale Konzepte und Entscheidungsverfahren

Angesichts der zunehmenden Komplexität der kommunalen Aufgaben und der wachsenden räumlichen Verflechtungen gewinnt für eine Vielzahl kommunaler Aufgaben die regionale Handlungsebene an Bedeutung. Gerade Großstadtregionen und deren Leistungsfähigkeit kommt im verschärften Standortwettbewerb eine wachsende Bedeutung als Netz- und Knotenpunkte zu. Die auf den ersten Blick widersprüchlichen Entwicklungstrends Globalisierung und Regionalisierung verlaufen parallel und sich gegenseitig verstärkend. Die Globalisierung führt zu einer immer stärkeren Verflechtung von Problemen und zu wachsender internationaler Konkurrenz der Standorte. Um im Wettbewerb bestehen zu können ist die einzelne Kommune mit dieser Situation und den ihr erwachsenden Herausforderungen häufig überfordert. 327

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Hieraus resultiert die Forderung nach regionaler Kooperation, mit deren Hilfe nicht nur ein Interessenausgleich zwischen den Beteiligten herbeigeführt, sondern auch die regionale Handlungsfähigkeit durch neue kooperative Konzepte und Entscheidungsstrukturen verbessert werden soll. Dies umfasst die Qualifizierung regionaler Planungsprozesse und das Bekenntnis zu einer kooperativen, regional abgestimmten differenzierten Standortentwicklung, die es im Rahmen der Förderpolitik auch von Landesseite zu unterstützen gilt. Die regionale Einigung sowie regional abgestimmte Entwicklungskonzepte müssen Voraussetzung für eine Förderung durch das Land sein. Das Land selbst muss seine originäre Zuständigkeit, die Planungshoheit und die Selbständigkeit der Kommunen im Blick haben. Sowohl freiwillige Kooperationsformen als auch regional verfasste Zusammenschlüsse können zur regionalen Entwicklung ergebnisorientiert beitragen. Unabhängig davon muss das Zusammenspiel zwischen regionaler Ebene und Landesebene festgelegt werden. Zielvereinbarungen mit freier Wahl der regionalen Handlungsoptionen sollten Vorrang haben, um die regionalen Eigenheiten zu berücksichtigen. Thematische Grenzen der Beeinflussung sind ohnehin durch die Planungshoheit der Kommunen vorgegeben. Angesichts zunehmender regionaler Ungleichgewichte und unterschiedlicher Interessenlagen wird das Land nicht umhin kommen, moderierend einzugreifen, Fördermittel schwerpunktmäßig einzusetzen und kooperative Handlungswege konkret zu belohnen. Es sollte dabei dafür Sorge tragen, dass innerhalb der Regionen ein gerechter Vorteils- und Lastenausgleich sichergestellt wird. Dafür müssen entsprechende rechtliche Instrumente entwickelt und gegebenenfalls gemeinsam mit dem Bund der erforderliche Rechtsrahmen geschaffen werden.

3.3

Budgetierung und Bündelung von Fördermitteln

Die Stärkung der kommunalen bzw. regionalen Eigenverantwortung muss Hand in Hand mit einer Flexibilisierung der finanziellen Handlungsautonomie gehen. Lösungen vor Ort können nur dann zielgerichtet und bedarfsgerecht eingesetzt werden, wenn die Mittel weniger an bestimmte Zweckzuweisungen gebunden sind und auch wirksamer miteinander abgestimmt werden können. Die Komplexität und Heterogenität der Probleme erfordern überdies eine ressortübergreifende Bündelung von Finanzmitteln und eine stärkere Verknüpfung der verschiedenen Politikbereiche sowie die Entwicklung eines mit der örtlichen Situation abgestimmten Gesamtkonzeptes. Dies ist insbesondere bei den Handlungsfeldern Städtebau- und Wohnraumförderung der Fall. Die Stärkung pro328

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Steuerungsprinzipien

Land Bereitstellung von Instrumenten

übergeordnete Ziele

Moderation/Beratung

Erfolgskontrolle

Monitoring

Kommunales/ Regionales Budget

Politische Schwerpunkte

Ziele Vereinbarung

Kommunale/Regionale Entwicklungskonzepte Regionale Kooperation

Kommunen Abb. 1: Prinzip der strategischen Steuerung Quelle: eigene Darstellung

blembehafteter Quartiere kann nicht allein mit Mitteln der Wohnraumpolitik oder allein mit sozialpolitischen Instrumenten gelöst werden. Die bisherige sektorale Förderpolitik erscheint für solche integrierten Ansätze, wie sie etwa im Programm Soziale Stadt bereits realisiert werden, zu wenig flexibel. Die Bündelung von öffentlichen und privaten Ressourcen durch integrierte Handlungskonzepte scheint ein geeigneter Weg zu sein. Eine stärkere Budgetierung und Verknüpfung der Fördermittel vor Ort könnte die lokalen Entscheidungen deutlich flexibilisieren und Möglichkeiten eröffnen, Schwerpunkte dort zu setzen, wo die Kommunen es als notwendig erachten. Zudem wird es die Kommunen dazu motivieren, ihre Stadt- bzw. Regionalentwicklung ganzheitlich anzugehen und Einzelmaßnahmen in Gesamtentwicklungsstrategien stärker einzubinden, was allerdings in Zukunft auch einer stärkeren Verankerung von entsprechendem Querschnittsdenken bei den Akteuren bedarf. Das Land sollte dabei weniger konkrete Aufgabenfelder oder Projekte definieren, sondern vielmehr klare Rahmenbedingungen in Form von übergeordneten Zielen und inhaltlichen Schwerpunktsetzungen, etwa der Stärkung regionaler Kooperation, setzen. Hier ist anzustreben, dass die Budgets problemorientiert und nicht nach Ressorts gebildet und vergeben werden. Nur so kann gewährleistet werden, 329

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dass die Kommunen und Regionen kleinräumigen Problemlagen in Zukunft effektiv und effizient begegnen können. Innerhalb der Förderpolitik der einzelnen Fachressorts des Landes gibt es durchaus schon Beispiele und Modelle für eine Flexibilisierung von Förderrichtlinien und -programmen. Zu erwähnen ist hier beispielhaft die Pauschalierung der Landeszuweisungen an die Kommunen für deren Aufwendungen im Schulbereich, die seit 2002 flexibel für Bau, Erwerb, Miete, Leasing, Modernisierung, Sanierung sowie zur Einrichtung und Ausstattung von Schulgebäuden verwendet werden können (Schulpauschale). Ein weiteres Beispiel ist die regionale Budgetierung der Wohnungsbauförderung, mit der seit 2001 in der Region Bonn/Rhein-Sieg-Kreis Wohnungsbauförderungsmittel im Rahmen eines Globalbudgets zur eigenen Verteilung im regionalen Konsens durch das Land bereitgestellt werden. Offenbar funktionieren diese fachspezifischen Budgetierungen bisher recht erfolgreich, wenngleich im Falle der Regionalisierung der Wohnungsbauförderung bislang ein systematisches Instrument zur Erfolgsmessung fehlt. Die Budgetierung von Fördermitteln bedeutet daher zunächst nichts grundlegend Neues in der Fördersystematik des Landes; sie sollte nun deutlich ausgebaut werden. Eine gänzlich neue Qualität erhält der Gedanke einer Pauschalierung und Budgetierung von Fördermitteln allerdings durch die Möglichkeiten einer förderprogramm- oder sogar ressortübergreifenden Verwendung. Das Land sollte gemeinsam mit den Städten bzw. den Regionen Aufgaben in Form eines kommunalen oder regionalen Entwicklungskonzeptes definieren und im nächsten Schritt den Finanzrahmen zur Erreichung vereinbarter Ziele für den jeweiligen Förderempfänger bestimmen. Dies schließt nicht aus, dass das Land je nach Bedarfslage eigene landesbezogene Schwerpunkte z.B. für den Wohnungsneubau oder die Bestandssanierung festlegen kann. Die so erreichte Integration und Abstimmung der Förderpolitiken trägt einer Rückbesinnung auf das Subsidiaritätsprinzip Rechnung. Dies bedeutet zwar keinen eindimensionalen Machtverlust der Landesebene, wohl aber eine neue und eigenverantwortliche Form der Aufgabenwahrnehmung durch die jeweils Betroffenen und eine stärkere Moderatorenfunktion des Landes.

3.4

Steuerungskontrolle und Monitoring

Eine Dezentralisierung und Stärkung der kommunalen Handlungsautonomie, die Budgetierung von Fördermitteln und die Stärkung der kommunalen Handlungsfähigkeit in der Region bedarf auch zukunftsweisender, innovativer Ansätze in der Steuerung zwischen übergeordneter Landespolitik und der kommunalen 330

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Umsetzung. Es wird ein flexibles Steuerungsinstrumentarium benötigt, das eine neue strategische Ausrichtung der Fördersystematik und der landespolitischen Rahmensetzungen in der Städtepolitik ermöglicht. Dabei kommen Informationsund Monitoringsystemen wichtige strategische Funktionen als Frühwarn-, Begleit- und Steuerungsinstrumente zu. Zentrales Ziel einer grundlegenden Veränderung der Förderpolitik des Landes sollte die stärkere Dezentralisierung von konkreten Förderentscheidungen auf die kommunale bzw. auf die regionale Ebene sein. Vor Ort kann sachgerechter und adäquater entschieden werden, wo und wie Fördermittel bedarfsgerecht eingesetzt werden. Die zentrale Steuerungsfunktion des Landes bei der Vergabe von Fördermitteln würde dabei nicht aufgegeben, sondern in Zukunft über grundlegende Zielvereinbarungen mit den jeweiligen Förderempfängern, also in der Regel den Kommunen ausgeübt. Die Kommunen hätten im Rahmen dieser Zielvereinbarungen eine größere Autonomie bei der konkreten Verwendung und Ausgestaltung der Fördermittel, die beispielsweise über die Bildung von Budgets flexibler einzusetzen sind. Dem Monitoring käme bei einer solchermaßen veränderten Förderpolitik eine zentrale strategische Funktion zur Steuerung solcher Zielvereinbarungsprozesse zu. Es würde zu einer Weiterentwicklung im Sinne eines Controllings kommen. Dabei ist diese Form des Controllings weniger als Kontrolle der Förderempfänger sondern primär als zentrales Steuerungsinstrument zu verstehen. Dessen Funktion könnte sowohl sein • anhand von bestimmten Indikatoren Kriterien für die Vergabe von Fördermitteln zu erhalten bzw. zu entwickeln (z.B. für inhaltliche und räumliche Förderschwerpunkte), wie auch • Instrument bei der Evaluation, das heißt der prozesssteuernden Zielüberprüfung der eingesetzten Fördermittel zu sein. Um dabei dennoch steuernd einwirken zu können, sind Informationen einerseits zu laufenden Prozessen und Entwicklungen und andererseits zur Effektivität von gewählten Politiken, Strategien und Maßnahmen notwendig. Die Implementation einer neuen Steuerungsphilosophie hin zu einer stärkeren Dezentralisierung ist demnach ohne detailliertere Informationen aus der Sicht des Landes nicht möglich. 331

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Aufgrund der unterschiedlichen Interessen von Land und Kommunen ist der Aufbau eines landesweiten Städte- und Regionalmonitorings nur als Kooperationsprojekt zwischen Land und Kommunen denk- und vor allem umsetzbar. Eine partnerschaftliche Zusammenarbeit wird im Rahmen einer Weiterentwicklung und Umsetzung hin zu einem Controllinginstrument noch bedeutender und muss zudem mit der Entwicklung einer neuen Förderpolitik einhergehen. Um die mögliche Skepsis der Kommunen im Hinblick auf ein solches „Kontrollinstrument“ zu zerstreuen, sind einerseits vertrauensbildende Maßnahmen und andererseits auch Zugeständnisse an die Kommunen in Form einer stärkeren Dezentralisierung von Kompetenzen notwendig. Durch Letzteres kann einer zu engen Zweckbindung von Fördermitteln entgegengewirkt werden und die gewährten Landesmittel können flexibler von den Kommunen eingesetzt werden. Dies kommt einer Stärkung der kommunalen Autonomie gleich und räumt den Kommunen mehr Raum für eigene Entscheidungen ein. Im Gegenzug honorieren dies die Städte gegenüber dem Land wiederum durch einen Verwendungsnachweis in Form von Informationen. Nur wenn tatsächlich gemeinsame Interessen am Aufbau eines solchen Instrumentes bestehen, werden insbesondere die Kommunen bereit sein, an einem Monitoring- und Controllingsystem mitzuarbeiten und die dafür erforderlichen Daten zu liefern.

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C4 Städte- und Regionalmonitoring: Strategisches Steuerungsinstrument einer flexiblen Förderpolitik

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Die anzustrebende Dezentralisierung von Entscheidungen und eine Integration der Förderprogramme schließt zwangsläufig veränderte Steuerungsformen in Richtung einer neuen Aufgabenteilung zwischen Land und Kommunen bei der Umsetzung von konkreten Förderprogrammen ein. In diesem Rahmen kommt einem Städte- und Regionalmonitoring eine entscheidende strategische Informations- und Steuerungsfunktion zu. Im Folgenden werden grundsätzliche Überlegungen zur Konzeption eines solchen Monitoringsystems für NordrheinWestfalen vorgestellt.

4.1

Zielsetzung eines Städte- und Regionalmonitoringsystems

Funktion und Bedeutung von Monitoring- und Indikatorensystemen Analytisch wie auch im operativen Sinne wirken Monitoringsysteme im Hinblick auf Leitbilder und strategische Handlungskonzepte, indem Entwicklungen mit Hilfe von Indikatoren kontinuierlich beobachtet und analysiert werden. Dabei können sowohl Handlungsbedarfe ermittelt als auch Erfolge bzw. Entwicklungs335

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fortschritte und Misserfolge gemessen werden. Darüber hinaus können solche Systeme auch eine Frühwarnfunktion wahrnehmen, indem sie nicht erwünschte Entwicklungen oder Schwachpunkte aufzeigen. Gleichzeitig können sowohl fachlich Beteiligte als auch die Öffentlichkeit informiert werden, was wiederum die Basis für Kommunikationsprozesse darstellt. Im Unterschied zu den stark staatsfixierten und planungseuphorischen Debatten um Indikatorensysteme in den 1970er Jahren geht es heute insbesondere darum, durch systematische Informationen Transparenz für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Staat, Kommunen, privat-wirtschaftlichen Akteuren und Bürgern zu schaffen. Die Steuerung politischer, gesellschaftlicher und städtischer Entwicklungen durch indikatorenbasiertes Monitoring setzt stets voraus, dass zwischen den beteiligten Akteuren, den wissenschaftlichen Beobachtern, den politischen Entscheidungsträgern und der Öffentlichkeit Einigung über die Bedeutung von Indikatoren einschließlich des Ausmaßes und der Art ihrer räumlichen und zeitlichen Veränderung erzielt worden ist. „Ohne weitere Interpretation und vor allem ohne Bewertung bedeuten (...) Indikatoren wenig. Weder erlauben sie ohne weiteres, planerische Konsequenzen zu ziehen, noch begründen sie überhaupt Handlungsbedarf“.1 An die Auswahl geeigneter Indikatoren ist eine Reihe formaler Anforderungen zu stellen. Bezogen auf die Sozialpolitik haben Atkinson und andere jüngst im Rahmen der für die EU durchgeführten Studie „Social Indicators. The EU and Social Inclusion“ Kriterien formuliert, die allgemeine Geltung beanspruchen können.2 Sie sind ein gutes Beispiel für die vielen Präzisierungsversuche, die insbesondere im Zuge der Debatte um die Operationalisierung des Nachhaltigkeitsleitbilds für die unterschiedlichen Handlungsbereiche und Planungsebenen weit vorangetrieben wurde.3

1

Kersting/Strohmeier/Neubauer/Oliva-Hausmann/Schultz 2003.

2

Atkinson/Cantillon/Marlier/Nolan 2002.

3

Auf internationaler Ebene haben vor allem das von der OECD entwickelte Pressure-StateResponse-Modell sowie das von der UN-Kommission für Nachhaltige Entwicklung (CSD) erstellte Driving Force-State-Response-Modell einen hohen Stellenwert (Wolter 2001, vgl. auch Birkmann/Koitka/Kreibich/Lienenkamp 1999 oder Szerenyi 1999). Beispiele für eine nachhaltige Raumentwicklung finden sich in Sternberg/Ewringmann und andere 2000 und 2001, Renn/León/Clar 2000 oder Brückner/Birkmann/Finke 2001. Für die kommunale Ebene sind inzwischen unzählige Konzepte entwickelt worden. Als Essenz der kommunalen Praxiserfahrungen kann das von zwölf verschiedenen Expertengruppen der Indikatorenforschung zusammengestellte Modell der gemeinsam empfohlenen Indikatoren zur kommunalen Nachhaltigkeit gelten (Agenda-Transfer Agentur für Nachhaltigkeit 2003). Als Ansatz einer rechtlichen Verknüpfung von Nachhaltigkeitsindikatoren mit der Bauleitplanung siehe Werheit 2002.

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Städte- und Regionalmonitoring

Städte- und Regionalmonitoring als strategisches Informationsund Steuerungsinstrument Im Hinblick auf ein zu entwickelndes Monitoring, das als zukunftweisendes, strategisches Steuerungsinstrument der Städte- und Regionalpolitik sowie einer Evaluierung der Förderpolitik in Nordrhein-Westfalen eingesetzt werden kann, erscheint ein Verfahren sinnvoll, das aus zwei Grundelementen zusammen gesetzt ist: Ein landesweites Monitoringsystem soll im Wesentlichen fundierte Grundlageninformationen für die Landespolitik liefern. Ein zweites Element soll hingegen ergänzend die strategische Steuerung der Städte- und Regionalpolitik sowie deren Erfolgsevaluierung zur Aufgabe haben. Vor diesem Hintergrund sind bei der Entwicklung eines landesweiten Monitoringsystems in Nordrhein-Westfalen insbesondere folgende Kriterien zu berücksichtigen: • Es gilt ein Informationssystem zu entwickeln, das auf vereinheitlichten sowie vergleichbaren Daten und Indikatoren beruht und damit eine objektive Entscheidungsgrundlage für Land und Kommunen bildet. • Es gilt, im landesweiten Vergleich sowohl Defizite und Problemlagen herauszufinden, die zu mildern oder abzubauen sind, aber auch Potenziale zu erkennen, die zu stärken sind. Insofern dienen die gewonnenen Informationen auch dazu, vor dem Hintergrund zunehmend knapper Finanzressourcen inhaltliche wie räumliche Schwerpunkte der Landespolitik zu definieren. • Die momentan erkennbaren und aller Voraussicht nach zunehmenden regional differenzierten Entwicklungen in Nordrhein-Westfalen müssen detailliert abgebildet werden können, um die Grundlage für eine zielgenaue, effiziente und gerechte Förderpolitik für die Städte und Regionen zu bilden. Um die Aufgabe eines Monitoringsystems als strategisches Informations- und Steuerungsinstrument zu erfüllen, bestehen an die Konzipierung des zweiten Grundelements, des Förderprogrammcontrollings, essenzielle Anforderungen; sie muss angesichts unterschiedlicher Interessenlagen von Land und Kommunen einen gemeinsamen Nutzen einbringen und die Voraussetzung für ein solches System als Kooperationsprojekt bilden. Diese Anforderungen sind insbesondere: • Transparenz herstellen: Zusammen mit dem landesweiten Monitoring liefert ein Controllingsystem detaillierte Informationen zu stadt- und regionalpolitischen Entwicklungen. Diese Informationen können als Basis für politische Entscheidungen und Entscheidungsprozesse, also als Grundlage für die politische Legitimierung von Politikansätzen dienen. • Effektivität messen: Die Effektivität der von den Kommunen ergriffenen Strategien und Maßnahmen ist objektiv zu messen. Das heißt, dass die Verände337

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rungen aufgezeigt und analysiert werden müssen, die durch die Handlungsweisen der Kommunen bzw. im Rahmen der eingesetzten Fördermittel induziert wurden. Dabei geht es aber nicht allein um die Wirkungen von Politiken und Programmen, sondern auch um Prozessqualitäten. Dabei wird hinterfragt, ob administrative Rahmenbedingungen die Umsetzung von Zielen der Kommunen oder des Landes unterstützen oder behindern. • Landespolitik evaluieren: Es gilt, die Landespolitik insgesamt und einzelne landespolitische Strategien, Zielsetzungen und Programme im Hinblick auf positive und negative Wirkungen zu evaluieren. Damit kann hinterfragt werden, ob die getroffenen Entscheidungen einen „richtigen“ und damit auch effektiven Weg gehen. Nicht zuletzt muss ein solches System in seiner Funktionsweise auch praktikabel und vor allem finanziell beherrschbar sein. Das System sollte mit wenig Aufwand umzusetzen sein. Neue Datenfriedhöfe sind zu vermeiden und man sollte sich auf das Machbare und Wesentliche konzentrieren. Dazu gehört auch, dass schon bestehende Raumbeobachtungs- und Informationssysteme sinnvoll genutzt bzw. integriert werden.

4.2

Erfahrungen mit Monitoring- und Controllingsystemen in der Praxis

Beispiele bestehender Monitoring- und Controllingsysteme aus NordrheinWestfalen, dem übrigen Bundesgebiet und dem europäischen Ausland liefern eine Reihe von Anknüpfungspunkten für die Diskussion in Nordrhein-Westfalen. In organisatorischer Hinsicht zeigen die Praxisbeispiele aus dem europäischen Ausland, dass partnerschaftlich entwickelte Modelle erfolgversprechende Wege aufzeigen. Das Monitoring der Regionalentwicklungsplanung in Großbritannien ist vor allem in organisatorischer Hinsicht ein interessantes Beispiel aus der Praxis. Kernelemente der so genannten Planning Policy Guidance sind normative Aussagen zu einer gewünschten regionalen Entwicklung (Objectives) und textliche qualitative Ziele (Policies), sowie Targets, also quantifizierbaren Zielgrößen, die den Veränderungsgrad in bestimmten Zeitspannen ausdrücken. Aufgrund der stark zentralistisch ausgerichteten Planung sind die Ziele - allerdings unter breiter Einbeziehung der beteiligten Akteure - staatliche Vorgaben. Grundlage für die Messung der Umsetzungserfolge bildet ein landesweites Kernindikatorenset, das einen interregionalen Vergleich ermöglicht. Für wichtige Handlungsfelder werden ergänzend regional spezifische Ziele definiert.4

4 338

Preuss 2003; Cullingworth/Nadin 2002; ODPM 2002.

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Städte- und Regionalmonitoring

Um eine wirksamere Umsetzung von Zielen der Richtplanung zu erreichen, wurde Mitte der 1990er Jahre in der Schweiz ein indikatorengestütztes Controlling innerhalb der kantonalen Verwaltung eingeführt.5 Durch ein prozessuales Verfahren sollen Planungsziele dynamischer angepasst werden können. Im zweijährigen Rhythmus werden mittels Indikatoren die im Kantonalplan definierten Maßnahmen durch ein operatives Controlling überprüft. Alle vier Jahre wird ein strategisches Controlling durchgeführt, das die Wirkung der Ziele quantitativ mittels Indikatoren und anhand von qualitativen Experteneinschätzungen analysiert. Dabei wird ebenfalls die Zweckmäßigkeit der Planfestlegungen ausgewertet; im Bedarfsfall wird die Richtplanung angepasst.6 Als Reaktion auf die akuten sozialen Problemlagen in den Städten wurde in den Niederlanden im Rahmen der Große-Städte-Politik (Grote Steden Beleid) der Verwaltungsapparat einer starken Deregulierung und Dezentralisierung hin zu einem integrativeren Handeln unterzogen. Mit der Zusammenführung von Fördermitteln und der Einführung von raumbezogenen Budgets wird die Trennung zwischen den einzelnen Ministerien und sektoralen Politikansätzen aufgehoben. In diesem Beispiel ist vor allem die budgetierte Fördermittelzuweisung an die Städte und Gemeinden auf der Grundlage von Zielvereinbarungen hervorzuheben. Federführend wird das Programm vom niederländischen Innenministerium koordiniert, für die einzelnen Handlungsfelder sind die jeweils unterschiedlichen Ministerien verantwortlich. Die budgetierte Fördermittelzuweisung räumt den Kommunen weitgehende Entscheidungsfreiheit bezogen auf einen zielgenauen und effektiven Einsatz von Fördermitteln ein. Den in die Politik integrierten Monitoringsystemen kommt für die Steuerung eine strategische Rolle zu: Sie liefern die erforderlichen Steuerungsinformationen sowohl für Zielsetzung und Ausgestaltung der Landspolitik als auch für die kommunale Umsetzung der Großen-Städte-Politik, die ihr Handeln jeweils überprüfen und bei Bedarf umsteuern können. Die Implementation des Informationssystems basiert auf kooperativen Verfahren mit allen beteiligten Akteuren. Für die Beantragung der im Wesentlichen nicht zweckgebunden Förderbudgets müssen die Kommunen integrierte Handlungskonzepte für einen Zeitrahmen von fünf Jahren aufstellen. Insgesamt hat die Einführung des neuen Politikansatzes eine Auflösung der sektoralen Strukturen nicht nur auf der Landesebene, sondern auch in den Kommunen ausgelöst.7

5

Die kantonale Richtplanung entspricht in ihrer inhaltlichen Ausgestaltung und ihrer Stellung als überörtliches Planwerk etwa dem deutschen Regionalplan.

6

Schultz 2002; ORL 2001; ARE 2001.

7

Verweij/Goezinne 1997; RIGO 2001; RIGO 2003. 339

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4.3

Konzeption eines modularen Monitoringsystems

Auch in Nordrhein-Westfalen besteht eine vielseitige, inhaltlich und methodisch weit entwickelte Berichtslandschaft. Es zeigt sich, dass die Kernindikatoren der Systeme in den jeweiligen Handlungsfeldern häufig ähnlich sind und auf die gleichen Datenquellen zurückgreifen. Dabei scheint eine Verknüpfung von harten, quantitativen Indikatoren und weichen, qualitativen Indikatoren sinnvoll zu sein. Qualitative Informationen, die z.B. durch Bewohner- oder Expertenbefragungen erhoben werden, können in Bereichen, in denen keine aussagekräftigen quantitativen Daten bestehen bzw. die durch komplexe Wirkungszusammenhänge geprägt sind, wertvolle planungsrelevante Informationen liefern. Als in Nordrhein-Westfalen relevante Informations- und Monitoringsysteme sind hier insbesondere zu nennen: Allgemeine und umfassende Systeme • Laufende Raumbeobachtung des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung (BBR),8 • Innerstädtische Raumbeobachtung - vergleichende Stadtbeobachtung (IRB) des BBR.9 Systeme in den Bereichen Ökologie, Flächen, Wohnen • Portal Nachhaltigkeitsindikatoren - Nordrhein-Westfalen,10 • Landesweite und kommunale Wohnungsmarktbeobachtung NordrheinWestfalen (KomWoB),11 • Siedlungsflächenmonitoring der Bezirksregierung Detmold und Düsseldorf,12 • Erfolgskontrolle der Förderung gewerblicher Bauflächen in Nordrhein-Westfalen, • Modellprojekt Gewerbeflächenmonitoring der Region Aachen,13

8

Blach/Jonetzko 1999.

9

Böltken 2001.

10 Energieagentur NRW 2003. 11 Heusener/Lüschow 1999, Heitkamp 1999. Darüber hinaus wurde 2003 die Regionale Wohnungsmarktbeobachtung als weiteres Modellvorhaben in der Wohnungsmarktregion östliches Ruhrgebiet gestartet (Wfa 2003c). 12 Bezirksregierung Düsseldorf 2003, Bezirksregierung Düsseldorf 2001. 13 AGIT 2003. 340

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Städte- und Regionalmonitoring

• Flächennutzungskartierung und Informationssysteme des Kommunalverbands Ruhrgebiet,14 • Raumbeobachtung der Bezirksregierungen.

Systeme im Bereich Soziales • Sozioökonomisches Informationssystem (SIS) des Sozialministeriums von Nordrhein-Westfalen,15 • Landes-Sozialberichterstattung Nordrhein-Westfalen,16 • Informationssystem Sozialhilfedaten Nordrhein-Westfalen,17 • Kommunale Familienberichterstattung: familienpolitische Informationssysteme für Kreise und kreisfreie Städte,18 • Kontextindikatoren Soziale Stadt Nordrhein-Westfalen.19 Die Übersicht macht deutlich, dass in Nordrhein-Westfalen eine weit entwickelte Berichtslandschaft besteht. Von den im Land bereits existierenden Informationssystemen kann jedoch kein System vollständig den Bedarf für ein Städteund Regionalmonitoring in Nordrhein-Westfalen abdecken. Sie sind auf die oft sehr spezifischen Interessen der jeweiligen Adressaten ausgerichtet. Ferner sind die bestehenden Monitoringsysteme zum Teil nicht flächendeckend implementiert - teilweise werden die Daten nur von wenigen Gemeinden erhoben. Schließlich fehlen meist Auswertungen, die die unübersichtliche Menge von Daten auf das Wesentliche konzentrieren, bewerten und die Handlungsrelevanz der Informationen für eine Städte- und Regionalpolitik herstellen. Ein modulares System dürfte den Anforderungen an ein Städte- und Regionalmonitoring besser entsprechen als ein umfassendes, zentrales Gesamtsystem. Ein dezentrales System, das sich aus mehreren lose gekoppelten Teilsystemen zusammensetzt und in einem Internetportal zusammengeführt wird, könnte mit begrenzten Mitteln sukzessive aufgebaut werden. Es würde dabei weniger Vorbehalte hervorrufen als ein Konzept für ein umfassendes System und könnte an sich ändernde Anforderungen flexibel angepasst werden.

14 website des KVR. 15 Ruhr-Universität Bochum, Presseinfo 81 vom 16. März 2004. 16 MASSKS NRW 1999; Kersting/Strohmeier/Neubauer/Oliva-Hausmann/Schultz 2003. 17 website des MGSFF NRW. 18 MGSFF NRW 2003. 19 Zimmer-Hegmann 2003; Strohmeier/Köhler/Himmelmann und andere 2003. 341

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Das im Folgenden vorgeschlagene modulare System für ein Städte- und Regionalmonitoring setzt sich aus einem landesweiten Grundmodul sowie weiteren thematischen Modulen und Sonderauswertungen zusammen. Diese Module können unter anderem für die Weiterentwicklung zu einem Förderprogrammcontrolling eingesetzt werden.

4.3.1 Landeweites Monitoring als Grundmodul Grundlageninformationen über die Entwicklung der Landesteile gewinnen an Bedeutung, weil die Entwicklungsverläufe in den Regionen immer heterogener ausfallen. Das zunehmende Interesse von Politik und Verwaltungen an quantitativen Informationen verdeutlicht, dass es hier einen erheblichen Informationsbedarf gibt. Das Grundmodul soll der Landespolitik einen Überblick über wichtige Entwicklungen in den Landesteilen liefern. Es kann auch zur Früherkennung von Problemlagen und dem Aufspüren von positiven Entwicklungen beitragen, um darauf aufbauend Politikschwerpunkte zu definieren. Für differenzierte Aussagen sind allerdings in der Regel feinkörnigere Untersuchungen in Form von thematischen Modulen und/oder problembezogenen Auswertungen erforderlich (Abb. 1). Gleichzeitig ermöglicht das Grundmodul den Gemeinden, ihre Entwicklung an vergleichbaren Gemeinden im interkommunalen Vergleich zu messen, sich im Rahmen der landesweiten Entwicklung einzuordnen und von den Erfolgen anderer zu lernen. Diese Benchmarkingfunktion ist vor allem ein Angebot für die mittelgroßen und kleineren Gemeinden und die Kreise des Landes. Während die großen Städte mit eigenen Statistikabteilungen über die notwendigen Informationen verfügen, fehlt es in den mittleren und kleineren Kommunen an Kapazitäten für eine Ermittlung von Vergleichsinformationen.

Grundmodul - Diskussionsvorschlag für ein Kernindikatorenset Im Rahmen des Grundmoduls soll im Wesentlichen auf vorhandene Datenbestände (vor allem des LDS) zurückgegriffen werden. Als räumliche Bezugsbasis sollte soweit möglich die Gemeindeebene Verwendung finden. Sie ermöglicht differenzierte Informationen auch über die Entwicklung großer kreisangehöriger Gemeinden, die sonst im Kreisdurchschnitt untergehen würden, achtet aber die Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinden. Für regionale Auswertungen oder Vergleiche können diese Daten ohne weiteres aggregiert werden. Eine weitere Differenzierung, zumindest bis auf Stadtteilebene wird im Rahmen des Grundmoduls nicht zu erreichen sein. Derartige Verfeinerungen müssen in der Regel den thematischen Modulen vorbehalten bleiben. 342

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Städte- und Regionalmonitoring

Abb 1: Aufbau eines modularen Monitoringsystems Quelle: Zimmer-Hegmann/Strohmeier und andere

Die konkrete Auswahl des landesweiten Monitorings muss im Rahmen eines umfassenden fachlichen und politischen Abstimmungsprozesses zwischen Land und Kommunen erfolgen. Für einen ersten Vorschlag soll an dieser Stelle auf Indikatoren bereits existierender Monitoringsysteme zurückgegriffen werden, die grundsätzlich auch als Teilbausteine eines übergreifenden Städte- und Regionalmonitorings integriert werden können. Die hier berücksichtigten Indikatoren sind Ergebnis einer breiten Fachdiskussion. Somit wird gewährleistet, dass aussagefähige Indikatoren zur Diskussion gestellt werden und bereits ein Abstimmungsprozess zwischen unterschiedlichen Akteuren stattgefunden hat. Die Indikatoren sollen die wesentlichen Teile der Landesentwicklung abdecken. Aus diesem Grund wird zusätzlich das Regionalmonitoring Niedersachsen als Quelle berücksichtigt, weil hier ökonomische Indikatoren verwendet werden, die in den nordrhein-westfälischen Systemen fehlen.20 Sie zeigen jedoch, dass eine entsprechende Erhebung grundsätzlich realisierbar ist. Das landesweite Monitoring soll zunächst die Aufgabe einer Übersichtsfunktion erfüllen. Gleichzeitig muss die politische und gesellschaftliche Kommunizierbarkeit des Systems gesichert sein und die Anzahl der Indikatoren überschaubar bleiben. Dennoch sollten die vielfältigen Aspekte der Landes- und Stadtentwicklung vollständig abgebildet werden können. Eine Auswahl aus den folgenden sieben Monitoring- bzw. Informationssystemen erscheint zunächst als Diskussionsgrundlage für Kernindikatoren eines Grundmoduls des Städte- und Regionalmonitorings für Nordrhein-Westfalen geeignet (vgl. Tab. 1): 20 NIW 2003. 343

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• die Indikatoren aus der Agenda 21 Nordrhein-Westfalen, • die gemeinsam empfohlenen Indikatoren zur kommunalen Nachhaltigkeit, • das Portal Indikatoren Nordrhein-Westfalen, • das Monitoring Soziale Stadt Nordrhein-Westfalen, • das Regionalmonitoring Niedersachsen, • das Sozioökonomische Informationssystem (SIS) und • die Wohnungsmarktbeobachtung der Wfa. Indikatoren zu mehreren wichtigen Sachverhalten können wegen fehlender Daten im Rahmen dieses Grundmoduls nicht berücksichtigt werden. So fehlen beispielsweise kleinräumige Daten zur Zahl der Haushalte, die für eine Vielzahl von Fragestellungen insbesondere im Wohnungsbereich wichtig wären: Für die Haushalte liegen derzeit nur Daten aus dem Mikrozensus vor, dessen kleinste räumliche Einheit durch Zusammenfassungen mehrerer Kreise gebildet wird aussagefähige Wohnungsmarktanalysen sind somit nur sehr eingeschränkt möglich. Ähnlich sieht es bei der Frage nach der räumlichen Verteilung von Existenzgründern oder bei der Verkehrsmittelwahl aus. Zu beachten ist ferner, dass viele Grunddaten wie die Bevölkerungszahl seit der letzten Volkszählung lediglich fortgeschrieben werden können und ihre Qualität mit zunehmendem Abstand von der Volkszählung immer geringer wird. Ein Teil der Indikatoren kann gegenwärtig nur auf Kreisebene erhoben werden, etwa bei Daten aus dem ökonomischen und sozialen Bereich. Teilweise könnten in diesen Fällen Schätzwerte für die Gemeindeebene berechnet werden, etwa bei den Erwerbstätigen; in anderen Fällen muss die Kreisebene als kleinste räumliche Ebene zunächst hingenommen werden. Das Grundmodul soll Land und Kommunen mit der Zusammenstellung wichtiger Daten Grundlageninformationen zur Verfügung stellen. Dabei besteht eine wichtige Funktion des Monitoringsystems bereits darin, aussagefähige Indikatoren auszuwählen und für entsprechende Daten die Zugangsmöglichkeit zu verbessern. Die angesprochenen Lücken sowie Informationsdefizite, die auf aktuell nicht erfasste Daten zurückzuführen sind, sollten sukzessive ergänzt werden. Nachfolgend sind die vorgeschlagenen Indikatoren im Einzelnen dargestellt. Grundlage für eine Gliederung der Indikatoren bilden die drei Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung, die auch im Raumordnungsgesetz verwendet werden, zusätzlich um die Dimension der Demografie ergänzt.

Die Erklärungen zu Abkürzungen folgender Tabelle 1 befinden sich auf S. 348. 344

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Tab. 1: Vorschlag für ein landesweites Monitoringsystem (Kernindikatoren des Grundmoduls) Sektor/ Indikator

Indikatorensystem (1)

DatenErläuterung quelle (2)

Demografie 1

Bevölkerungsentwicklung

M, N ,S

LDS

Saldo der Geborenen und Gestorbenen sowie der Zu- und Fortzüge innerhalb eines Kalenderjahres in Prozent der Bevölkerungszahl des Vorjahres

2

Bevölkerungsdichte

M, S

LDS

Einwohnerzahl je Hektar

3

Fluktuation/Fortzüge

A, G, I, M, S, W

LDS

Zu- und Fortzüge bzw. Fortzüge innerhalb eines Kalenderjahres in Prozent der Bevölkerungszahl des Vorjahres

4

Jugendquotient

A, I, S

LDS

Verhältnis der Zahl der unter 20jährigen zu der der 20 bis 64jährigen

5

Anteil Nichtdeutscher

M, S

LDS

Anteil Nichtdeutscher an der Bevölkerung insgesamt

Ökonomie 6

Veränderung des Bruttoinlandprodukts (BIP)

N, S

LDS

Veränderung des Wertes für wirtschaftliche Leistung aus der Produktionstätigkeit im Inland innerhalb eines Kalenderjahres in Prozent des Ausgangswertes

7

Verfügbares Einkommen je Einwohner

S

LDS

Summe des verfügbaren Einkommens je Einwohner in Euro

8

Beschäftigtenentwicklung

N, S

BA, LDS

Zu- oder Abnahme der Anzahl der Erwerbstätigen innerhalb eines Kalenderjahres in Prozent des Ausgangswertes

9

Erwerbstätigenquote

M, S

LDS

Anteil der Erwerbstätigen an der Bevölkerung

10 Arbeitslosenquote

A, G, M, N, S, W

BA

Anteil der beim Arbeitsamt registrierten Arbeitslosen an den abhängigen zivilen Erwerbspersonen (sozialversicherungspflichtige Beschäftigte, Beamte, Arbeitslose)

11 Anteil Langzeitarbeitslose

A, N, M, S

BA

Anteil der Personen, die länger als ein Jahr als Arbeitslose registriert sind, an den Arbeitslosen insgesamt 345

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Sektor/ Indikator

Indikatorensystem (1)

DatenErläuterung quelle (2)

12 Beteiligung an weiterführender A, N, M, S Schulbildung

LDS

Anteil der Schüler, die nach der Grundschule wechseln auf Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien, Gesamtschulen, Sonderschulen, differenziert nach deutscher und nicht-deutscher Staatsangehörigkeit

13 Anteil Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss

LDS

Anteil der Schulabgänger ohne (mindestens) Hauptschulabschluss an der Summe der gesamten Schulabgänger

14 Anteil der 15 bis 25jährigen Nichtdeutschen ohne Schulabschluss

A, G, S

LDS

Anteil der Ausländer ohne Schulabschluss an der Summe der gesamten Schulabgänger

15 Ausbildungsquote

G, N

BA

Anzahl der Ausbildungsverhältnisse je tausend sozialversicherungspflichtige Beschäftigte

16 Anteil hoch qualifizierter BeN schäftigter/ F&E-Beschäftigter

BA

Anteil Beschäftigter mit Fachhochschul- oder Hochschulabschluss an den Gesamtbeschäftigten

17 Baufertigstellungen je Einwohner

K, LDS

Anzahl der Baufertigstellungen bezogen auf die Bevölkerungszahl

LDS

Gesamtbetrag der kommunalen Steuereinnahmen in Euro bezogen auf die Bevölkerungszahl

W

18 Kommunale Steuereinnahme- N kraft je Einwohner

Ökologie 19 Anteil Siedlungs- und Verkehrsfläche

A, G, I, M, N

LDS

Anteil der Siedlungs- und Verkehrsflächen an der Gesamtfläche des Gebietes

20 Anteil geschützter Flächen

A, G, I, M

LDS

Anteil der geschützten Flächen an der Gesamtfläche

21 Wiedernutzung von Flächen/ Flächen-Recyclingrate

A

K

Anteil der wiedergenutzten Flächen an den in einem Jahr für Siedlungszwecke in Anspruch genommenen Flächen

22 Anteil der Schaffung von Wohnraum im Bestand

A, I

LDS

Anteil der Fertigstellungen von Wohnungen in bestehenden Gebäuden an allen fertig gestellten Wohnungen

346

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Städte- und Regionalmonitoring

Sektor/ Indikator

Indikatorensystem (1)

DatenErläuterung quelle (2)

A, G, I

K

Gesamtstromverbrauch der privaten Haushalte in kWh je Einwohner

24 Stromerzeugung aus erneuer- A, G I baren Quellen je Einwohner

K

Gesamtstromerzeugung aus erneuerbaren Quellen in kWh je Einwohner

25 Siedlungsabfälle je Einwohner G, I

LDS

Gesamtaufkommen der Siedlungsabfälle in Kilogramm je Einwohner

26 Trinkwasserverbrauch der pri- G, I vaten Haushalte je Einwohner

K

Gesamttrinkwasserverbrauch privater Haushalte in Litern je Einwohner

27 Ein- und Auspendleranteil

A

LDS

Anteil der Ein- und Auspendler an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen

28 Anteil Sozialhilfeempfänger

A, G, M, S, W

LDS

Anteil der Sozialhilfeempfänger je Einwohner

29 Straftaten je Einwohner

G

LKA

Bekannt gewordene Straftaten je Einwohner

30 Durchschnittliche Lebenserwartung

A, S

LDS

Durchschnittliche Anzahl von Jahren, die eine Personengruppe (Männer/Frauen) voraussichtlich leben wird

31 Anteil Kinder mit allergischen A oder Atemwegserkrankungen

LDS

Anteil der erkrankten Kinder an der Gesamtanzahl der Kinder

32 Anteil Sozialwohnungen

M, W

K, Wfa

Anteil der Sozialwohnungen am Gesamtwohnungsbestand

33 Wohnfläche je Einwohner

I, M, W

LDS

Wohnfläche je Einwohner

34 Anteil Wohnungslose

A, S, W

LDS

Wohnungslose je Einwohner

35 Frauenanteil im Kommunalparlament

A, G

K

Anteil der Frauen an der Gesamtzahl der Parlamentarier in der Kommune

36 Wahlbeteiligung an den Kommunalwahlen

M, S

LDS

Anteil der abgegebenen Stimmen bei den Kommunalwahlen an der Gesamtzahl der Wahlberechtigten der Kommune

23 Stromverbrauch der privaten Haushalte je Einwohner

Soziales

347

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Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen

(1)

In welchem Indikatorensystem berücksichtigt

(2)

Datenquellen:

A

Agenda 21 Nordrhein-Westfalen

LDS

Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik

G

Gemeinsam empfohlene Indikatoren zur kommunalen Nachhaltigkeit

BA

Bundesagentur für Arbeit

I

Indikatoren Nordrhein-Westfalen

K

Kommunen

M

Monitoring Soziale Stadt Nordrhein-Westfalen

LKA

Landeskriminalamt

N

Regionalmonitoring Niedersachsen

Wfa

Wohnungsbauförderungsanstalt Nordrhein-Westfalen

S

Sozio-ökonomisches Informationssystem

W

Wohnungsmarktbeobachtung Wfa NRW

4.3.2 Modulerweiterungen Das Grundmodul sollte mit mehreren Modulerweiterungen ergänzt werden. Dabei kann zwischen zwei Arten von Ergänzungen unterschieden werden (Abb. 2): • Als thematische Module können differenziertere Indikatorensysteme Informationen für wichtige Bereiche der Landespolitik liefern. • Darüber hinaus sollten bei Bedarf problembezogene Sonderauswertungen erfolgen. Thematische Module Das Grundmodul vermittelt zwar wesentliche Informationen zur Landesentwicklung, ist jedoch für fachbezogene Auswertungen in der Regel zu wenig differenziert. Daher sollten thematische Module das Grundmodul entsprechend ergänzen und Detailinformationen zur Entwicklung in wichtigen Politikbereichen liefern. Derartige Informationen können eher die Aufgabe eines Frühwarnsystems übernehmen als das Grundmodul.

Abb. 2: Modulerweiterungen Quelle: Zimmer-Hegmann/Strohmeier und andere 348

Darüber hinaus können sie Grundlage für eine zielgenaue Förderpolitik, für Vereinbarungen über Ziele und budgetierte Mittelzuweisungen sowie für ein Controlling bzw. eine Evaluierung sein.

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Da im Rahmen der thematischen Module konkrete fachliche Fragestellungen im Vordergrund stehen, kann das Monitoring diesen und den Erwartungen der Adressaten spezifisch angepasst werden. So sind beispielsweise als Ergänzung zum Grundmodul folgende Elemente möglich, die im Weiteren erläutert werden: • unterschiedliche Arten von Indikatoren, etwa Kontextindikatoren, Inputindikatoren, Outputindikatoren, Outcomeindikatoren, qualitative Indikatoren etc., • unterschiedliche Akteure und Datenquellen: Neben dem LDS können die Daten von anderen Landeseinrichtungen, Kommunen oder privaten Akteuren stammen und sich aus statistischen Daten, Sondererhebungen und Befragungsergebnissen zusammensetzen, • unterschiedliche Raumbezüge: soziale Brennpunkte lassen sich beispielsweise nur kleinräumig analysieren und definieren. In einer Ausbaustufe des Systems sollten weiterhin auch flexible, nichtadministrative Raumbezüge möglich sein, die einerseits eine größere räumliche Tiefe ermöglichen, um etwa innerstädtische sozialräumliche Polarisierungen identifizieren zu können. Andererseits sollte im Rahmen einer Stärkung der Kommunen im regionalen Zusammenhang auch wichtige räumliche funktionale oder kulturelle Verflechtungen abgebildet werden, die als Orientierung für eine regionale Zusammenarbeit dienen können.

Problembezogene Auswertungen Neben differenzierten thematischen Modulen wird vielfach Bedarf für themenübergreifende Auswertungen bestehen. So müssen als Basis für integrierte Handlungskonzepte Indikatoren unterschiedlicher thematischer Module herangezogen und gemeinsam ausgewertet werden.

4.3.3 Förderprogrammcontrolling Zentraler Hintergrund für die Entwicklung eines gemeinsamen Monitoringsystems mit Controllingfunktion ist eine Bündelung von Fördermitteln zu größeren Budgets sowie eine gleichzeitige Dezentralisierung von Entscheidungen über den Einsatz von Fördermitteln und Instrumenten auf die kommunale Ebene. Die Steuerungsfunktion des Landes bei der Vergabe von Fördermitteln wird dabei nicht aufgegeben, sondern wird in Zukunft über grundlegende Zielvereinbarungen mit den jeweiligen Förderempfängern ausgeübt. 349

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Inhaltliche Basis einer veränderten Förderpolitik des Landes wäre es, anhand der Informationen aus dem Monitoringsystem Schwerpunkte für die Förderpolitik zu setzen und klare Ziele zu definieren. Kommunen oder Regionen müssten danach zunächst anhand quantiativer Indikatoren förderwürdig sein. Mit anderen Worten ist es zentrale Aufgabe des landesweiten Monitorings, anhand von Indikatoren eindeutige Kriterien für die Verteilung der budgetierten Fördermittel zur Verfügung zu stellen. Welche das im Einzelnen sind, ist politisch zu diskutieren und zu entscheiden, hängt aber auch von der Art der Fördermittel ab. Kriterien der Bedürftigkeit könnten z.B. die wirtschaftliche Lage, die Belastung durch Arbeitslosigkeit, die Lage auf dem Wohnungsmarkt, die Integration von Migranten oder der Grad der sozialen Segregation (Armutskonzentration) in einer Stadt sein. Ebenso sind in diesem Zusammenhang Kriterien zu definieren, nach denen besondere städtische oder regionale Entwicklungspotenziale zu unterstützen sind, etwa Wachstumspole oder Innovationspotenziale. Eine wesentliche Rolle für die Fördervoraussetzung sollten zudem qualitative Kriterien spielen. Die Vorlage eines integrierten Handlungskonzeptes, das unterschiedliche fachliche Handlungsfelder zusammenführt, sowie regional abgestimmte Konzepte und eine Kooperation mit Wirtschaft, Verbänden und Bürgern stellen entsprechend ausgerichtete Ansätze dar. Anknüpfungspunkte bilden Erfahrungen mit integrierten Konzepten im Programm Soziale Stadt, Regionale Einzelhandelskonzepte oder die Regionalisierung der Wohnungsbauförderung. Aber auch kommunale Wohnraumversorgungskonzepte, Kooperationsverträge im Rahmen der öffentlichen Wohnraumförderung oder integrierte Stadtentwicklungskonzepte sind als beispielgebende Ansätze zu nennen.

Anwendungsbeispiel: Integrierte Stadtentwicklung Für einen Einstieg in die im Vorfeld beschriebene Änderung der Förderpolitik und -systematik empfiehlt sich ein prozess- und modellhaftes Vorgehen. An ausgewählten Handlungs- und Förderbereichen sollte ein solches Vorgehen zunächst erprobt werden, bevor es auf weitere oder alle Förderbereiche ausgedehnt wird. Ein gutes Beispiel wäre die Weiterentwicklung des integrierten Handlungsprogramms Soziale Stadt zu einem gesamtstädtischen Handlungsansatz, bei dem die verschiedenen Fördermittel zu einem Globalbudget zusammengeführt werden. Landespoltische Leitziele eines solchen neuen bzw. erweiterten Fördergegenstandes könnten unter anderem sein: • für eine ausgleichende sozialräumliche städtische Entwicklung zu sorgen, die die räumliche Konzentration von Armut und Benachteiligung abbaut, • unfreiwillige Segregation zu vermeiden und 350

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• die Integration und gleichberechtigte Teilhabe von Menschen im städtischen Zusammenleben zu fördern. Zu diesem Zweck müssten Fördermittel unterschiedlicher Fachressorts gebündelt und zu einem Globalbudget zusammengeführt werden. Zunächst unabhängig von den rechtlichen Voraussetzungen und Möglichkeiten würden Mittel aus den Bereichen Städtebauförderung, Wohnraumförderung, Soziales, Jugendhilfe, Schule, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik etc. in ein solches Globalbudget haushaltstechnisch zugewiesen und z.B. einem Ressort zur Verwaltung überlassen. Die konkrete Verwendung der Mittel könnte gemeinschaftlich durch die Ressorts etwa mit Hilfe einer interministeriellen Arbeitsgruppe festgelegt werden. Alternativ könnte diese Aufgabe einer zentral für die Vergabe von Fördermitteln zuständigen Stelle übertragen werden. Wenn diese unabdingbare Voraussetzung geschaffen ist, wären folgende Verfahrensschritte zur Vergabe und Steuerung der Fördermittel vorstellbar (Abb. 3):

Förderwürdigkeit nachweisen Die Förderempfänger (in der Regel die Kommunen) müssen zunächst anhand objektiv-quantitativer Indikatoren ihre Förderwürdigkeit nachweisen. Das könnte ein im Landesvergleich überdurchschnittlicher Anteil an Arbeitslosen- und Sozialhilfeempfängern sein, ein überdurchschnittlicher Anteil an Migranten, auffällige räumliche Konzentrationen von Benachteiligungen oder Probleme bei der Wohnungsversorgung. Ob solche Merkmale sich durch bestehende Indikatoren

Abb. 3: Abfolge bei der Zuweisung von Fördermitteln durch Zielvereinbarung Quelle: Zimmer-Hegmann/Strohmeier und andere 351

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eines schon funktionierenden Monitoringsystems erfassen lassen oder aber von den Kommunen beispielsweise im Rahmen von eigenen Sozialraumanalysen deutlich gemacht werden, ist zunächst unerheblich. Entscheidend ist, dass der Fördergeber vorab in Bezug auf das landesweite Monitoring eindeutige Kriterien zur Vergabe formuliert und transparent macht.

Vorlage eines Entwicklungskonzepts Neben dem Nachweis der objektiven Förderwürdigkeit sind die Kommunen aufgefordert, ein überzeugendes Konzept zur Bearbeitung des Fördergegenstandes vorzulegen, das die unterschiedlichen Handlungsfelder integriert und bestimmte Prozessqualitäten erfüllt (Integration, Kooperation, Beteiligung etc.). Auf Grundlage dieser Konzepte entscheidet der Fördergeber dann grundsätzlich, ob die Kommune in der Förderung berücksichtigt wird.

Zielvereinbarung Diese Konzepte bilden auch die Basis für die gemeinsam zu formulierenden Zielvereinbarungen. In der Zielvereinbarung verpflichten sich die Kommunen in einem bestimmten Zeitraum bestimmte Ziele zu erreichen. Die zu vereinbarenden Ziele würden sich sowohl auf die Verbesserung der objektiven Indikatoren beziehen wie auch auf die Umsetzung der Verfahrens- und Kooperationsqualitäten (z.B. regionale Zusammenarbeit). Diese Ziele sollten spezifisch auf den jeweiligen Fall zugeschnitten sein und möglichst sowohl anhand von quantitativen Indikatoren als auch durch qualitative Kriterien überprüft werden können. Es sollte zumindest zwischen Globalzielen bzw. strategischen Zielen und operativen Zielen unterschieden werden. Global- bzw. strategische Ziele stellen etwa die schon genannte Verringerung der räumlichen Konzentration von Armut und Benachteiligung, die Vermeidung unfreiwilliger Segregation und die Verbesserung der Integration von Migranten dar. Um die weitere Entwicklungsrichtung nachvollziehen zu können, sollten im Rahmen der Zielvereinbarungen die Ausgangswerte der verabredeten Indikatoren möglichst quantitativ erfasst werden (z.B. Anteil der Haushalte unterhalb eines Einkommensniveaus von x Prozent pro Person vom Durchschnittseinkommen in Nordrhein-Westfalen in Stadtteil Y). Operative Ziele sollten für konkrete Handlungsbereiche definiert werden, die mittels Outputindikatoren quantifiziert werden können: Outputindikatoren bilden die unmittelbaren Produkte von Maßnahmen und Programmen ab, z.B. die Anzahl der geschaffenen Wohnungen zur Wohnungsversorgung von Familien mit mehr als drei Kindern oder die Anzahl der geschaffenen Ausbildungsplätze. Anhand solcher Outputindikatoren lassen sich dann auch Ziele im Rahmen von 352

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Zielvereinbarungen quantifizieren (z.B. Ziel ist es x Wohnungen, Ausbildungsplätze etc. für die Zielgruppe Y zu schaffen).

Zuteilung eines Globalbudgets Der Fördergeber stellt sodann den Kommunen zur Umsetzung der Zielvereinbarung ein Globalbudget zur eigenen Bewirtschaftung zur Verfügung. Die Förderempfänger entscheiden selbst, welche Maßnahmen damit umgesetzt werden, wie viel Geld in konkrete Projekte fließen soll und welche Instrumente im Rahmen der rechtlichen Rahmenbedingungen dafür eingesetzt werden.

Controlling der Zielvereinbarungen Eine Zielüberprüfung erfolgt unter anderem anhand der Kernindikatoren, die zur Auswahl der Fördergebiete herangezogen worden sind, im Wesentlichen jedoch mittels Indikatoren, auf die sich der Fördergeber und die Förderempfänger im Rahmen der Zielvereinbarungen verständigt haben (Abb. 4): Mögliche Veränderungen von zentralen Kontextindikatoren (z.B. Arbeitslosigkeit) können nicht alleine auf die zu evaluierenden Maßnahmestrategien, sondern auch auf externe Faktoren (z.B. die konjunkturelle Entwicklung) zurückgeführt werden. Daher sollten zusätzlich spezifische Outputindikatoren gemeinsam festgelegt und spezifisch erhoben und dokumentiert werden. Für eine Evaluierung könnte man sich folgendes Vorgehen vorstellen: • Zu vereinbarten Zeitpunkten überprüfen Fördergeber und-empfänger in regelmäßigen Abständen (z.B. jährlich) gemeinsam die Umsetzung der Zielvereinbarung anhand der oben genannten Informationen, um diese Steuerungsmöglichkeiten optimal auszuschöpfen. • Anhand von Kern- oder Kontextindikatoren und spezifischen Pro-

Abb. 4: Elemente eines Förderprogrammcontrollings Quelle: Zimmer-Hegmann/Strohmeier und andere 353

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gramm- bzw. Outputindikatoren lässt sich die Umsetzung der Zielvereinbarung überprüfen. Dabei lassen sich „Erfolge“ anhand der vereinbarten quantitativen Indikatoren messen. • Insbesondere die qualitativen Ziele bedürfen einer weitergehenden Evaluation durch qualitative Indikatoren. Sie ergänzen die quantitativen Informationen und erlauben Hinweise auf Programmwirkungen. Durch qualitative Methoden wie z.B. Experteninterviews und Betroffenenbefragungen kann nach der erfolgreichen Umsetzung der spezifischen Prozessziele (z.B. Kooperationsintensität) und über den Erfolg und die Wirkungen von Maßnahmen erfasst werden. Das können beispielsweise Fragen zur spezifischen Prozessqualität der Programmumsetzung sein (z.B. Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Kommune und Wohnungsunternehmen?) oder den qualitativen Wirkungen von Maßnahmen (z.B. die Qualität von Sprachfördermaßnahmen oder berufsqualifizierenden Maßnahmen aus Sicht von Experten und/oder Betroffenen). Dabei sind diese Erhebungsmethoden bewusst als prozesssteuernde Instrumente zu verstehen, die kontinuierliche Informationen für den Fördergeber und den Förderempfänger liefern. Nur so ist es möglich, Zielvereinbarungen entsprechend der Anforderungen flexibel umzusetzen. Dadurch kann die Zielrichtung von Einzelmaßnahmen oder die Gewichtung zwischen den Maßnahmeschwerpunkten verändert werden. Die kontinuierliche Selbstkontrolle ermöglicht es dabei den Kommunen, bereits frühzeitig Strategien gegebenenfalls zu korrigieren.

Abb. 5: Datenquellen eines Controllingsystems Quelle: Zimmer-Hegmann/Strohmeier und andere 354

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4.4

Anforderungen an politische und administrative Rahmenbedingungen

Die vorangegangenen Ausführungen diese Kapitels zeigen, wie die Struktur eines Städte- und Regionalmonitoring für Nordrhein-Westfalen als strategisches Steuerungsinstrument in Zukunft aussehen kann und welche Verfahrensschritte damit verknüpft sind. Bei der Konzipierung eines landesweiten Städte- und Regionalmonitoringsystems müssen sowohl die jeweiligen Interessen als auch vorhandene Restriktionen auf Seiten des Landes wie auch auf Seiten der Kommunen von Anfang an in die Überlegungen miteinbezogen werden. Darüber hinaus sind im Zuge einer Implementation auch Veränderungen der politischen und administrativen Rahmenbedingungen erforderlich. Wesentliche Aspekte, die sich in erster Linie an die Adresse des Landes richten, sollen im Folgenden formuliert werden.

Landesweites Monitoring in Kooperation von Land und Kommunen entwickeln Die Umsetzung des landesweiten Monitoring ist weitgehend mittels vorhandener amtlicher und allgemein zugänglicher Daten, im Wesentlichen durch die Informationsgrundlagen des LDS möglich. Da dieses Grundmodul die Basis für ein Steuerungs- und Controllinginstrument bildet, muss die Erstellung des Monitoringsystems als gemeinsame Aufgabe von Land und Kommunen verstanden werden. Die für die Kooperation bei weiteren Modulen notwendige Vertrauensbasis kann dabei geschaffen werden. Das Land sollte daher auf Grundlage der inhaltlich-konzeptionellen Vorschläge zunächst mit den Kommunen das substanzielle Interesse an einem gemeinsamen Aufbau eines Monitoringsystems sondieren und sie von Beginn an in die Diskussion und den Abstimmungsprozess einbeziehen. Dabei sollte das Land von vornherein deutlich machen, dass die Absicht besteht, bei einer Veränderung der Förderpolitik das Grundmodul zu einem Begleitsystem der Landesförderung weiter zu entwickeln. Durch eine Beteiligung der Kommunen kann am besten deutlich gemacht werden, dass mit dem Informationssystem auch eine Dienstleistung für die Kommunen erbracht werden soll. Es ist davon auszugehen, dass ein Städte- und Regionalmonitoring schrittweise umgesetzt werden muss. Im Rahmen der Umsetzung sind Experimente zuzulassen, sogar ausdrücklich gewollt. Beim Betreten von Neuland ist es lohnend, mit der Durchführung von Modellvorhaben die verfahrensmäßigen und technischen Abläufe zu erproben und die Vorteile des Monitoring konkret zu verdeutlichen. Ein modulares, fehlerfreundliches Systems kann sukzessive und im kooperativen Prozess zwischen Land und Kommunen implementiert und dabei optimiert werden. 355

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Soweit die Beteiligung der Kommunen freiwillig ist, werden die verschiedenen Themenbereiche und Räume unterschiedlich gut abgedeckt sein. Da die Mitarbeit im Rahmen eines Monitoringsystems Geld bzw. Personalkapazitäten kostet, wird es zunächst Themenbereiche und Gemeinden geben, für die keine Daten vorliegen. Ferner muss mit Vorbehalten auf Seiten der Kommunen insbesondere hinsichtlich der Übermittlung von kleinteiligen Daten an das Land gerechnet werden. Seitens der Städte wird befürchtet, dass die Offenlegung von kommunalen Daten zu einer stärkeren Kontrolle des Landes führen könnte und so die Handlungsfreiheit und Eigenständigkeit der Kommunen eingeschränkt wird. Die bisherigen Erfahrungen mit Monitoringsystemen zeigen jedoch, dass derartige Vorbehalte im Laufe der Zeit abgebaut werden können, so dass zu erwarten ist, dass die „weißen Flecken“ auf der nordrhein-westfälischen Landkarte schrittweise kleiner werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn den Kommunen verdeutlicht werden kann, dass das Monitoring für sie mit Vorteilen verbunden ist. Es erscheint daher sinnvoll, dass das Land schon zu einem frühen Zeitpunkt in Vorleistung tritt und den Kommunen bei einer neuen Ausgestaltung der Förderpolitik eine größere Entscheidungsautonomie einräumt. Dadurch würde die Bereitschaft, im Sinne einer Berichtspflicht eigene Daten als Verwendungsnachweis im Rahmen eines Förderprogrammcontrollings zur Verfügung zu stellen, honoriert.

Strategische Informationsgewinnung für Kommunen Idealtypischerweise sollten die Kommunen ein Interesse an vergleichbaren und in den Kontext der Landesentwicklung eingeordneten Informationen haben, um Defizite und Potenziale im Vergleich zu Kommunen gleichen Typs oder benachbarten Städten zu erkennen. Mit solchen Informationen können Kommunen zukunftweisende und effektive strategische Entscheidungen treffen. So können die Kommunen von erfolgreichen Strategien und Maßnahmen bei gleichartigen Problemlagen anderer lernen. Vor allem im Hinblick auf eine regionale Profilierung und internationale Positionierung können strategische Partnerschaften mit Kommunen ähnlichen Typs eingegangen werden. Ferner können besondere Stärken und Potenziale identifiziert und im interkommunalen Wettbewerb ausgebaut werden. Bei einer objektiven Feststellung von vergleichbaren Problemlagen würde zudem die Position der Kommunen insgesamt gegenüber dem Land gestärkt, da einfacher und transparenter landespolitische Hilfestellungen erwirkt werden können. Daher sind beim Aufbau des Monitoringsystems derartige Vergleichsmöglichkeiten, gegebenenfalls unter Berücksichtigung vergleichbarer Entwicklungstypen, zu ermöglichen. 356

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Innerhalb der Kommunen kann das Interesse an einer strategischen Informationsgewinnung durch ein ausgeprägtes „Kirchturmdenken“ oder durch kleinteilige und stark divergierende Interessen der Akteure behindert werden.21 Dennoch zeichnet sich hier ein Bewusstseinswandel ab. Angesichts der Krise öffentlicher Haushalte kann es auch im Interesse der kommunalen Akteure liegen, die Effizienz und Erfolge der lokalen Stadtentwicklungspolitik im Rahmen politischen und administrativen Handelns zu evaluieren. Die erfolgreichen Modellprojekte kommunaler und regionaler Indikatorensysteme zeigen, dass hier infolge der positiven Erwartungen an ein Monitoring die Hemmnisse überwunden werden können.22 Durch eine entsprechende Verknüpfung mit der Landesförderung können besondere Anreize geschaffen werden, etablierte Verhaltensmuster der lokalen Akteure aufzubrechen.

Informationsbasis auf kommunaler Ebene sichern Vielfach werden im Verwaltungsvollzug produzierte Daten oder anonymisierte Personendatensätze zu einer zielgenauen Indikatorenbildung verwendet, wodurch oft auch ein zusätzlicher Erhebungsaufwand der Kommunen vermieden werden kann. Besonders bei der Erhebung von solchen Daten, die nicht verpflichtend von der amtlichen Statistik erhoben werden müssen, werden gute Erfahrungen mit freiwilligen Entwicklungspartnerschaften gemacht, in die Kommunen ihre Interessen einbringen und von deren Ergebnissen sie profitieren können. Im Zuge der Verwaltungsreform und kommunalen Finanzkrise werden allerdings in den Städten Personalressourcen zunehmend eingespart, so dass momentan ein Rückzug auf die kommunalen Kernaufgaben stattfindet. Auch der Bereich der Statistik bleibt davon nicht verschont. Das geht so weit, dass in einigen Städten, wie z.B. in Herne statistische Ämter aufgelöst werden. In der Folge wird die kommunale Statistik nicht mehr zentral, sondern in den einzelnen Dezernaten, Ämtern und Abteilungen betrieben. Dieses geht zu Lasten von Qualität und Quantität der Datenaufbereitung und -analyse insgesamt sowie der übergeordneten Informationsgewinnung für die strategische Planung im Besonderen. In Zeiten knapper Kassen muss in besonderem Maße darauf geachtet werden, dass Monitoringsysteme kein Selbstzweck sind, sondern den Beteiligten bei der Erledigung ihrer Aufgaben helfen müssen. Vor diesem Hintergrund müssen Land und Kommunen dafür Sorge tragen, dass auch dauerhaft die Informationsbasis gesichert werden kann. 21 Kuhlmann 2003. 22 Siehe dazu unter anderem die Modellvorhaben des experimentellen Städte- und Wohnungsbaus der Städte bzw. Regionen der Zukunft (Difu 2003; IÖR 2002). Ebenso das Kompass-Projekt der Bertelsmann-Stiftung (www.kompass-modellkommunen.de). 357

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Regionale Kooperationen in Monitoring einbinden Aus Sicht des Landes ist es wünschenswert, dass sich Kommunen und Gemeinden in regionalen Kooperationen zusammenschließen. Ziel der Landespolitik ist es demnach auch, Anreize zur interkommunalen Kooperation zu geben. Ein Informationssystem, das regionale Zusammenhänge und damit den Nutzwert von Kooperationen aufzeigt, kann dazu einen wesentlichen Beitrag leisten. Kern des gewählten Beispiels ist die ressortübergreifende Zusammenfügung von unterschiedlichen Förderzugängen im Rahmen eines von den Kommunen formulierten und verantworteten integrierten Handlungsansatzes. Förderempfänger sind in der Regel die Kommunen. Eine regionale Abstimmung bei der Umsetzung der Programmschwerpunkte könnte etwa durch einen Bonus in der Förderung honoriert werden. Ein anderer Förderansatz könnte die regionale Kooperation noch stärker in den Vordergrund stellen. Ähnlich wie bei dem Modellvorhaben zur Bildung von regionalen Budgets bei der öffentlichen Wohnraumförderung könnten Fördermittel auch einzelnen Regionen zur Bewirtschaftung und zur Verteilung überlassen werden. Eine ressortübergreifende Zusammenführung von unterschiedlichen Förderprogrammen im Rahmen von integrierten Konzepten würde durch die unterschiedlichen und auch unklaren regionalen Abgrenzungen eher behindert. Lösen könnte man dieses Problem durch eine landesweit einheitliche Abgrenzung von Förderregionen.23 Dies erscheint jedoch weder sachgerecht noch realistisch. Da davon auszugehen ist, dass sich Kommunen nur freiwillig und jeweils nach spezifisch-fachlicher Interessenlage zu Förderregionen zusammenfinden, macht eine solche Förderstrategie nur im Rahmen der Beibehaltung einer fachspezifischen Förderschiene Sinn, die dann nachdrücklich die regionale Abstimmung und Zusammenarbeit zur Fördervoraussetzung erklärt. Daher ist eher dafür zu plädieren, dass grundsätzlich die Kommunen Förderempfänger sein sollen. Eine Stärkung der regionalen Abstimmung und Zusammenarbeit sollte zusätzlich über den schon erwähnten Förderbonus bei Vorlage eines regional abgestimmten Konzeptes stimuliert werden. Denkbar ist, dass sich verschiedene Kommunen zusammenfinden und als gemeinsamer Förderempfänger auftreten, um Fördermittel flexibler innerhalb der Region einsetzen zu können. Unabdingbare Voraussetzung muss dann aber neben einem regional abgestimmten Entwicklungskonzept der Nachweis von verbindlichen Regelungen zum Interessen- und Lastenausgleich sein. Diese könnten etwa in Form eines regionalen Kontraktes erfolgen.

23 Ansatzpunkt dazu könnten die Arbeits- und Ausbildungspendlerströme sowie die wirtschaftlichen Austauschbeziehungen innerhalb des Landes sein (vgl. Mainz/van Suntum 2003, S. 4ff.). 358

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Überprüfbarkeit von Zielvereinbarungen Nach der förderrechtlichen Schaffung von Budgets sollten durch grundlegende Zielvereinbarungen zwischen Land und Kommunen konkrete Ziele verabredet werden. Der Konkretisierungsgrad solcher Ziele hängt dabei im Wesentlichen von der Intensität des Steuerungsanspruchs durch das Land ab. Je höher der Steuerungsanspruch ist, desto konkreter müssen die Ziele formuliert sein. Ob es dabei auch sinnvoll ist, zu einer konkreten Quantifizierung von Zielwerten zu kommen, soll an dieser Stelle zunächst offen bleiben. Die Förderung sollte aber in jedem Fall an objektive Indikatoren, die quantitativ messbar sind, und an verfahrensbezogene, qualitativ überprüfbare Kriterien geknüpft werden.

Förderrichtlinien und Fördersystematik überprüfen Die dargestellte Zusammenführung von Fördermitteln in ein Globalbudget bedeutet in jedem Fall das Ändern oder Außerkraftsetzung von bestehenden Förderrichtlinien und gegebenenfalls auch rechtlichen Bindungen. Dies ist beispielsweise im Bereich des zweckgebundenen Landeswohnungsbauvermögens oder bei der Kombination mit Fördermitteln des Bundes etwa im Rahmen der Städtebau- wie auch der Wohnraumförderung der Fall. Hier bedarf es einer systematischen rechtlichen Überprüfung der betroffenen Förderprogramme und bestehenden Richtlinien sowie gegebenenfalls einer miteinander abgestimmten Neukonzipierung der Fördersystematik. Darüber hinaus müsste geklärt werden, ob und wie im Hinblick auf eine Budgetierung ressortbezogene Fördermittel gegebenenfalls in Zukunft organisiert werden können. Denkbar ist die Zusammenführung und Verwaltung der entsprechenden Haushaltsmittel in eine ressortübergreifende Förderstelle. Es ist jedoch auch möglich, je nach Förderungsschwerpunkt die Verwaltung der Globalbudgets in die Verantwortung eines jeweils zu benennenden Ressorts zu geben. In diesem Zusammenhang besteht ebenfalls Klärungsbedarf über eine mögliche Kontingentierung der zur Verfügung gestellten Globalbudgets. Grundsätzlich reicht die Steuerung über Ziele aus, die dann allerdings präzise formuliert sein müssen. Es ist auch vorstellbar, dass bestimmte prozentuale Anteile für die einzelnen Maßnahmenbereiche kontingentiert werden (z.B. 30 Prozent der Mittel für Wohnraumförderung, 20 Prozent für Sprachförderung etc.). Ebenso wäre eine kontingentierte Zuteilung von Mitteln möglich, die jedoch im Rahmen der Zielvereinbarungen seitens der Kommunen umgewidmet werden können. Welchen Modellen einer ressortübergreifenden Mittelverwaltung und damit verbundenen Flexibilität der Mittelverwendung der Vorzug gegeben werden soll, muss ebenfalls in enger Abstimmung mit den zu beteiligenden Ressorts geklärt werden. 359

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Eindeutige und transparente Fördervoraussetzungen schaffen Die Stärkung der Handlungsautonomie von Städten und Regionen bedarf seitens des Landes verbindlicher Rahmenbedingungen, insbesondere in Form von klaren Fördervoraussetzungen und transparenten Förderkriterien. Eine wesentliche Aufgabe des landesweiten Monitorings ist, anhand von Indikatoren eindeutige Kriterien für die Bereitstellung der Förderbudgets zu setzen. Das Monitoring bietet dafür die Grundlageninformationen, Schwerpunkte innerhalb der Förderpolitik zu formulieren und klare Ziele zu definieren. Welche Förderkriterien im Einzelnen zu benennen sind, ob die Schwerpunkte eher auf Problemgebiete oder auf die Stärkung von Potenzialen zu setzen sind, ist vor allem politisch zu klären. Um bestimmte verfahrensmäßige Qualitätsanforderungen zu honorieren, wäre eine Art Bonussystem denkbar, bei dem die Höhe der Fördermittel abhängig vom Grad der Integration, Kooperation und regionalen Abstimmung der Konzepte und Vorgehensweisen festgesetzt werden sollte. Je überzeugender die vorgelegten Konzepte in dieser Hinsicht sind, desto höher sollte die Zuweisung der Fördermittel sein. Auch hierfür müssen die Kriterien transparent und nachvollziehbar gestaltet werden.

Einsetzen eines Nutzergremiums Da Indikatorsysteme auf den konkreten Bedarf der Adressaten abgestimmt werden müssen, empfiehlt es sich, für die Ausgestaltung des Systems ein Nutzergremium zu schaffen, welches den weiteren Aufbauprozess und den Betrieb eines Städte- und Regionalmonitoringsystems kontinuierlich inhaltlich begleitet. Um Legitimation und Akzeptanz bei den unterschiedlichen Nutzern zu gewährleisten, muss das Nutzergremium sowohl mit kommunalen Vertretern, gegebenenfalls vertreten durch die kommunalen Spitzenverbände, mit den zu beteiligenden Landesressorts als auch mit fachwissenschaftlichem Sachverstand besetzt sein. Nach der Einrichtung des Nutzergremiums kann der vorgeschlagene Katalog von Kernindikatoren im Hinblick auf die spezifischen Nutzerinteressen überprüft und weiter entwickelt werden. Am Ende des Diskussionsprozesses sollten sich Land und Kommunen auf einen gemeinsamen Katalog von Kernindikatoren einigen, der die Grundlage für den Aufbau des Grundmoduls bildet. Darüber hinaus sollte das permanent einzurichtende Gremium über Ausbau-, Änderungsbedarfe und neue Schwerpunkte entscheiden. Insbesondere im Rahmen der Diskussion um Sozial- und Nachhaltigkeitsindikatoren haben sich wesentliche Erkenntnisse herauskristallisiert, die bei der Konkretisierung des Städte- und Regionalmonitoringsystems durch das Nutzergremium von Bedeutung sind. Dabei sind unterschiedliche Zielvorstellungen und somit uneinheitliche Prioritäten bei der Auswahl und Bewertung von Indikatoren 360

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in Einklang zu bringen. Daher ist eine explizite Zieldiskussion, ein Diskurs über die Indikatorenauswahl und das Verhältnis von Indikatoren zu Zielen unverzichtbar. Sinnvoll wäre die Erarbeitung eines Leitfadens mit fachlichen Vorschlägen für Qualitätsstandards zur Bewertung von vor allem quantitativen Indikatoren, um Kommunen und Fördergebern einen Orientierungsrahmen zu geben. In diesem Zusammenhang sind plakative Darstellungen wertvolle Methoden, um die Kommunikation über Zielfindungsprozesse und über Ergebnisse zu erleichtern. Um der Unübersichtlichkeit durch eine detaillierte Darstellung der Einzelindikatoren zu begegnen, sind bei verschiedenen Indikatorenansätzen anschauliche Darstellungsformen für die Messergebnisse entwickelt worden. Hier finden sich bereits Beispiele von einfachen Indikatorenprofilen bis hin zur Nachhaltigkeitsampel oder einer so genannten Nachhaltigkeitsspinne, die eine Zielerreichung durch einfache Illustrierung darstellen können.24 Darüber hinaus sind Auswertungen ein wesentlicher Teil des Monitorings. Diese haben insbesondere zum Ziel, die zentralen Ergebnisse in knapper Form darzustellen und sachgerecht zu interpretieren. Die Aufgabe einer fachkundigen Ausund Bewertung sollte einer von Land und Kommunen gleichermaßen anerkannten Institution übertragen werden. In enger Kooperation mit dem Nutzergremium könnte diese ebenfalls fachlich zu begründende Empfehlungen über die Ausgestaltung von Zielvereinbarungen entwickeln.

Moderationsaufgabe und Beratung des Landes Der Rückzug aus der Detail- und Maßnahmensteuerung bedeutet auch für die Fördergeber bzw. die Fachressorts eine neue Qualität ihres Aufgabenspektrums. Gegenüber der traditionellen Genehmigungspraxis tritt die Unterstützung der Kommunen und Regionen durch Moderationsangebote, die partnerschaftliche Beratung bei der Erstellung von integrierten Entwicklungskonzepten sowie die fachliche Begleitung der Förderempfänger im Rahmen der Zielerreichungsgespräche in den Vordergrund. Eine Bündelung der Förderprogramme würde zudem eine enge Abstimmung und Kooperation zwischen den Ressorts erfordern. Dass solche partizipativen und kooperativen Prozesse zukunftsweisend und erfolgreich sind, zeigt unter anderem das Modell des Programms Stadttei-

24 Das Ampelmodell der ehemaligen Akademie für Technologiefolgeabschätzung berücksichtigt dabei auch, dass sich für einzelne Indikatoren lediglich Trendmessungen herstellen lassen, und verteilt entsprechend der im Beobachtungszeitraum vollzogenen Entwicklung nach einem speziellen Bewertungsmuster rotes, gelbes oder grünes Licht für einen Indikator (vgl. Renn/León/ Clar 2000). Zur regionalen Nachhaltigkeitsspinne vgl. Irmen/Milbert 2002. 361

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le mit besonderem Erneuerungsbedarf, das nicht nur für ein entsprechendes Bundesprogramm sondern auch für die EU-Förderung Pate stand.

Einsetzen einer koordinierenden Stelle In und für Nordrhein-Westfalen existieren schon viele, meist sehr fachspezifische Informations- und Monitoringsysteme, die die Funktion eines thematischen Moduls erfüllen können.25 Hier ist im Einzelfall zu prüfen, in welcher Art diese schon bestehenden Ansätze sukzessive mit dem Grundmodul verknüpft und sofern nötig, ausgebaut werden können. Die Zusammenarbeit auf freiwilliger Basis setzt voraus, dass sich diese für alle Akteure lohnt (win-win-Situation). Durch die Möglichkeiten der Kostenteilung, eines Zugriffs auf Daten anderer Datensysteme oder der Einbeziehung externen Sachverstands profitieren auch andere Akteure. Letztlich muss es im Sinne einer effizienten Verwendung von Ressourcen darum gehen, Doppelarbeiten zu vermeiden und Synergien zu erzeugen. Die Koordinierung der Interessen vor dem Hintergrund begrenzter Kapazitäten ist oft schwierig, aber, wie das Beispiel des Modellprojekts Gewerbeflächenmonitoring in der Region Aachen nach aktuellen Informationen zeigt, möglich. Um zu einer Koordinierung der verschiedenen Module zu kommen, müsste eine gleichermaßen von Land und Kommunen akzeptierte Koordinationsstelle eingerichtet werden, die den weiteren Implementationsprozess des Städte- und Regionalmonitoringsystems federführend koordiniert. Diese sollte zunächst einen Informationsaustausch zwischen den vorhandenen Systemen organisieren. Anschließend kann sukzessive versucht werden, Definitionen und Datenformate abzugleichen und gemeinsame Standards zu entwickeln, die eine Auswertung auf Landesebene ermöglichen.

Technische Voraussetzungen der Datenverwaltung und -nutzung Grundsätzlich wäre für den operativen Einsatz des Monitorings ein Intranet-Portal sinnvoll, über das alle Nutzer im Rahmen gestufter Zugangsmöglichkeiten Zugang zu den für sie interessanten und freigegebenen Daten und Auswertungen erhalten. Im Hinblick auf die Abgabe und Verwendung eigener Daten besteht sowohl seitens der Kommunen als auch aus Sicht anderer Fachinstitutionen und Ressorts eine besondere Sensibilität. Allerdings müsste die koordinierende Stelle nicht

25 Ferner ist damit zu rechnen, dass in einer Reihe von Politikbereichen eine rechtliche Verpflichtung zum Monitoring eingeführt wird, beispielsweise die Überwachung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme durch Monitoring nach SUP-Richtlinie. 362

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zwangsläufig auch die datenverwaltende Stelle sein. Hierfür gäbe es sowohl technisch die Möglichkeit einer dezentralen Verwaltung der Daten, so dass diese beim Datenerzeuger verbleiben, als auch andere organisatorische Lösungsmöglichkeiten. Auf Grundlage einer solchen adäquaten Vernetzung vorhandener Daten und nutzerfreundlicher Technologien könnte das Grundmodul schon in relativ kurzer Zeit in Betrieb genommen werden. Eine wichtige Voraussetzung für den baldigen Einstieg in ein landesweites Informationssystem ist die Bereitstellung einer leistungsfähigen Berichtssoftware für die gemeinsame Nutzung im Intra- und gegebenenfalls auch Internet. Für einen möglichst kurzfristigen und praktischen Einstieg in ein Monitoring bietet sich die Nutzung bereits bestehender und in der Landesverwaltung eingeführter Systeme an.26 Als kostenfreies und attraktives Angebot, ohne damit verbundene Kontrollabsichten an die Kommunen, wäre ein frühzeitiger Einstieg in ein landesweites Berichtssystem auf der Basis bereits vorhandener und leicht verfügbarer Daten ein sinnvoller Beitrag zur Entwicklung einer Berichtskultur, auf die später aufgebaut werden kann.

Verhältnismäßigkeit wahren Die in Vereinbarungen formulierten Ziele müssen realistisch sein und durch die Höhe der Fördermittel auch tatsächlich erreichbar sein. Ist die Höhe von Fördermitteln so gering, dass alleine quantitativ die Ziele nicht erreicht werden können, machen derartige Zielvereinbarungen keinen Sinn. Der Aufwand für die Zielüberprüfung, das heißt Controlling und Evaluation, muss in einem angemessenen Verhältnis zum Fördermittelaufwand stehen. Insgesamt sollte der Aufwand für Zielformulierung und -überprüfung nicht mehr als zehn Prozent der eingesetzten Gesamtfördermittel betragen. Mit weniger als fünf Prozent auszukommen wäre für die politische und öffentliche Akzeptanz eines solchen Vorgehens optimal. Insgesamt betrachtet muss eine Zielvereinbarung auch so flexibel sein, dass grundlegende Veränderungen von gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen berücksichtigt werden können, die eine Erreichung der Ziele behindern oder nicht möglich machen.

26 Folgende Systeme bieten auf ähnlicher technischer Grundlage unterschiedliche Funktionalität. Sie können ohne größeren Aufwand und relativ kurzfristig den Erfordernissen eines Monitorings in Nordrhein-Westfalen angepasst werden. Kontextindikatoren Soziale Stadt NRW, SIS - Sozioökonomisches Informationssystem des MGSFF, Kommunale Familienberichterstattung, LandesSozialberichterstattung NRW (hier Datenpool) und Informationssystem Sozialhilfedaten. 363

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Sanktionsmöglichkeiten im Rahmen der landespolitischen Steuerung Schließlich braucht es Sanktionsmöglichkeiten, um bei Nichteinhalten bzw. erreichen der Zielvereinbarungen von Landesseite reagieren zu können. Eine spätere Rückzahlung von Fördermitteln scheint hier eher unrealistisch. Man könnte ähnlich wie bei der EU-Förderung (z.B. URBAN) an die Bildung einer Reserve denken, die bei erfolgreichem Verlauf der Maßnahmen freigegeben würde. Im Hinblick auf den Leitgedanken, insbesondere tüchtige Kommunen zu fördern, könnte auch eine positive Sanktionierung in Erwägung gezogen werden, nach der besonders erfolgreich umgesetzte Konzepte in bestimmten Förderschwerpunkten prämiert werden. Auch die Schlechterstellung bei künftigen Förderungen ist bei gravierendem Nichteinhalten der Zielvereinbarung eine mögliche Sanktion. Ebenso wie es erforderlich ist, klare Fördervoraussetzungen zu definieren, sind natürlich auch sanktionierende Konsequenzen offen und nachvollziehbar auf Grundlage der Zielvereinbarungen zu begründen.

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D Szenario: Die Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen - Ein Blick zurück aus dem Jahre 2030

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Prolog Die Arbeit von Enquetekommissionen ist gekennzeichnet durch das Ziel aus der Vergangenheit zu lernen und für die Zukunft Manches „besser zu machen“. Diese Grundhaltung kann auch der Enquetekommission zur Zukunft der Städte Nordrhein-Westfalens testiert werden. Wie sich diese Zukunft aber dann tatsächlich darstellt, bleibt selbstverständlich abzuwarten. Um die Ergebnisse der Enquetekommission greifbarer und nachvollziehbarer zu machen, sind sie in Form einer Zeitreise - zumindest auszugsweise - niedergeschrieben, die sich des Rückblicks aus dem Jahres 2030 als Instrument bedient. Diese Technik hat auch in anderen Gestaltungszusammenhängen gute Dienste geleistet und nimmt nicht für sich in Anspruch, mit wissenschaftlicher Akkuratesse die Zukunft zu prognostizieren. An die Stelle von pseudorealistischer Scheingenauigkeit tritt eine von mehreren denkbaren Zukünften ohne Anspruch auf Realisierungsgarantie. Ebenso können nicht alle im Bericht aufgegriffenen Themen in der Vollständigkeit nicht alle berükksichtigt werden. Unsere Zeitreise umfasst insgesamt knapp 27 Jahre. Sie beginnt im Jahr 2004 und endet im Jahr 2030, das heißt eigentlich lassen wir sie im Jahre 2030 beginnen und wagen dann einen Rückblick auf die Jahre 2004 und folgende. Mit zunehmender zeitlicher Entfernung zum Ergebnis der Enquetekommission gibt es natürlich auch eine zunehmende Tendenz zum Augenzwinkern. Die Zeitreise in die Zukunft soll die Fantasie beflügeln und Motivation schaffen, an der dargestellten - oder vielleicht auch einer anderen persönlich als sinnvoller empfundenen - Realität zu arbeiten. 367

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Die Stationen der Zeitreise: 1.

Mittwoch, 20. März 2030 - in Essen: Eröffnung der Weltausstellung EXPO auf dem Gelände der Zeche Zollverein

2.

Freitag, 9. Juni 2006 - in Düsseldorf: Verabschiedung des Gesetzes zur kommunalen und regionalen Entwicklung in Nordrhein-Westfalen durch den nordrhein-westfälischen Landtag

3.

Samstag, 20. September 2009 - in Dortmund: Abschlussveranstaltung zur Landeswasserschau Nordrhein-Westfalen

4.

Samstag, 20. Oktober 2012 - in Bergisch-Gladbach: Kongress „Zwischenstadt oder Wachstumspol?“

5.

Christi-Himmelfahrt, 14. Mai 2015 - in Aachen: Karlspreisverleihung an die Idee des Kommunalen in Europa, verkörpert durch die Bürgermeister aus allen europäischen Ländern

6.

Donnerstag, 6. April 2018 (Nachosterwoche) - in Nordkirchen: Eröffnung des Wissenschaftskongresses „Vitale Stadt der Vielfalt“

7.

(Ascher-) Mittwoch, 17. Februar 2021 - in Bonn: Verleihung des Wachstumsawards an die Bundesstadt Bonn und das ist kein Karnevalsscherz

8.

Freitag, 28. Juni 2024 - in Gütersloh: Präsentation der durch einen Medienkonzern unterstützten Studie des Zukunftsrates Nordrhein-Westfalen zum Thema „Starke Regionen im Prozess“

9.

Donnerstag, 9. September 2027 - in Siegen: Beginn des europäischen Kongresses zur Diskussion städtischer Zukünfte in der Siegerlandhalle

Mittwoch, 20. März 2030 - in Essen: Eröffnung der Weltausstellung EXPO auf dem Gelände der Zeche Zollverein In Nordrhein-Westfalen wird nichts mehr dem Zufall überlassen und so ist natürlich auch das Datum mit Bedacht gewählt: Frühlingsanfang. Die Ministerpräsidentin - es handelt sich bei ihr um eine attraktive 46jährige Mutter dreier Kinder, die bereits eine Karriere als Vorstandschefin einer Dortmunder Hightech-Schmiede hinter sich hat - begrüßt die 30.000 Gäste aus Nah und Fern in fließendem Englisch. Hierbei verkneift sie sich aber, das vermeintliche Bonmot „Glückauf“ mit „Luck-up“ (Deutsch: Lack-ab) zu übersetzen. Sie ist die Urenkelin eines Bottroper Bergarbeiters und ihr Respekt vor der Vergangenheit der Region verbietet eine sprachliche Verballhornung des alten Bergarbeitergrußes. Die Ministerpräsidentin ist stolz, ein Land präsentieren zu können, welches zu alter wirtschaftlicher Stärke und Blüte zurückgefunden hat. Zwar gehören Kohle, Stahl und Bier 368

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als wirtschaftliche Zugpferde schon lange der Vergangenheit an, aber neue Führungsindustrien, Informationstechnologie, Mikrosystemtechnik, Medizintechnik und regenerative Energieträger haben aus Nordrhein-Westfalen ein Musterbeispiel für den Strukturwandel werden lassen, auf den selbst die angereisten Ministerpräsidentinnen aus Bayern und Baden-Württemberg mit einem gewissen Neid - aber auch mit Respekt - blicken. Natürlich freut sich die Ministerpräsidentin, dass ihr Bundesland als Gastgeberin mehrere Millionen Menschen für eine gewisse Zeit begrüßen und beherbergen wird. Auf dieses Ereignis ist seit Jahren hin gearbeitet worden. Nach der Fußballweltmeisterschaft im Jahre 2006 und den Olympischen Spielen im Jahr 2020 ist die EXPO 2030 das dritte internationale Großereignis, welches dem Land Nordrhein-Westfalen und seinen Kommunen weltweite Aufmerksamkeit und Anerkennung sichert. Das Bewerbungsverfahren um die EXPO ist spannend verlaufen. Bewerben durften sich nur Länder bzw. Regionen und Standorte, die über eine ausreichende wirtschaftliche Prosperität verfügen und darüber hinaus in exemplarischer Weise ihr Verständnis von Fortschritt, Zukunftsgestaltung und Nachhaltigkeit der Welt präsentieren können. Nordrhein-Westfalen hat den Strukturwandel nicht nur erfolgreich bewältigt, sondern es hat völlig neue und maßstabsetzende Interaktionsmuster und inhaltliche Zielsetzungen entwickelt, die weltweit durchaus als vorbildlich angesehen werden können. Hierbei spielt insbesondere die Stärkung der kommunalen und regionalen Entscheidungsebene eine zentrale Rolle. Im Ergebnis ist die Arbeitslosigkeit gesunken, die Bevölkerungszahl hingegen kontinuierlich angestiegen, völlig gegen den noch im Jahre 2004 prognostizierten Trend. Dies ist auf Zuwanderung von außen, aber auch auf eine Steigerung der Geburten zurückzuführen. Die neuen Führungsindustrien haben sich als wahre Jobmaschinen erwiesen und die Flexibilisierung der Arbeitszeiten und Arbeitsverhältnisse hat ein Übriges getan, so dass die Arbeitslosigkeit - ohne statistische Tricks - auf grandiose drei Prozent real gesenkt werden konnte. Entsprechend ist die soziale Situation im Land entspannt. Im Hinblick auf die ökologische Entwicklung sind weitere Erfolge erzielt worden. Das Münsterland ist von einer weiteren Zersiedlung genauso geschützt worden wie das Rheinland vor den Folgen des Kohlebergbaus. In der Region Ruhr ist mit dem Emscherlandschaftspark ein neuer international Beachtung findender Landschaftszusammenhang aus zweiter Hand entstanden, der die ökologische Wertigkeit der Region deutlich erhöht hat. Das Sauerland sowie das Bergische Land haben sich als bundesweite Erholungsregionen etabliert, in denen insbesondere die ökologische Dimension für den Zulauf von Touristen gesorgt hat. Die Ministerpräsidentin berichtet nicht ohne Stolz von diesem Prozess und rät dem Bundeskanzler, das nordrhein-westfälische Erfolgsmodell aus Konsens und Kooperation auch auf die gesamte Bundesrepublik zu übertragen. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf die Ermunterung sowohl durch die Frau Bundespräsidentin als auch durch die Europäische Kommission, die auf einer viel beachteten Konferenz in Siegen im Jahre 2027 das nordrhein-westfälische Modell zum europäischen Best Practice ernannt hatte. 369

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Vor allem aber wendet sich die Ministerpräsidentin an die Unternehmerschaft aus Europa und der Welt, die auch am heutigen Tage vielfältig vertreten ist. An der Spitze Lord William Gates (früher wurde er nur Bill genannt); er ist nach der Zeremonie des Ritterschlags durch König William von England unmittelbar nach Essen gereist, um neue Anlagesphären für sein IT-Imperium zu finden. Er greift dabei die alte Idee auf, seine Europazentrale in der Ruhrregion zu etablieren, weil hier die Rahmenbedingungen noch günstiger sind als in Süddeutschland. So hatte Dortmund beispielsweise weiterhin die höchste Zahl von Ausbildungsplätzen im IT-Bereich an Hochschulen und sonstigen Bildungseinrichtungen. Aber auch die asiatische Geschäftswelt war vielfältig vertreten, die ehemaligen Tigerstaaten hatten sich zu den globalen Lokomotiven der Weltwirtschaft gemausert. Die diesen Prozess tragenden Unternehmen sind deshalb bestrebt, andere Spitzenstandorte der globalen Wirtschaft für ihre Firmenstrategien zu erschließen. Die Ministerpräsidentin hebt in ihrer Begrüßungsansprache besonders hervor, dass dieser offensichtlich weltweit anerkannte Weg Nordrhein-Westfalens eine Anstrengung von Vielen war. Nicht nur Politik und Verwaltung, sondern auch Unternehmer, Bürgerschaft, Verbände, Bürgerinitiativen und Einzelpersonen haben ihre Partikularinteressen zurückgestellt und in vielfältiger Weise neue strategische Allianzen gebildet, um einzelne Projekte voranzubringen. Sie spricht in diesem Zusammenhang insbesondere das neue kommunale und regionale Selbstbewusstsein an, mit dem die Probleme und die Zukunftsperspektiven angegangen werden. Zum Abschluss ihrer Ansprache lädt die Ministerpräsidentin die Gäste ein, an den über 3.000 Veranstaltungen im gesamten Land teilzunehmen und sich von der wirtschaftlichen und kulturellen Angebotsvielfalt des Landes zu überzeugen. Die Abschlussveranstaltung wird im September 2030 mit einem großen Boots- und Schiffskorso auf den verschiedenen nordrhein-westfälischen Wasserstraßen erfolgen. Die Sternfahrten auf Rhein, Ruhr, Emscher, Lippe, Ems und dem Kanalsystem werden im Duisburger Hafen enden. Zum Schluss ihrer Ausführungen verweist die Ministerpräsidentin auf die kleinen DVD-Platinen, die an den Ausgängen erhältlich sind. Auf ihnen ist die Erfolgsgeschichte der nordrhein-westfälischen Kommunen und Regionen in Form einer Zeitreise dargestellt. Diese schildert exemplarisch einige Stationen auf dem langen Weg zum Erfolg. Begeisterter Applaus beendet die Rede und die Besucher streben zu den Klängen des Essener Bandonionorchesters den verschiedenen Festzelten entgegen, in denen die lukullischen Spezialitäten der verschiedenen Regionen angeboten werden. Während sich die Festgäste an den Köstlichkeiten erfreuen, wollen wir einmal nachlesen, was auf der DVD-Platine zusammengestellt worden ist:

9. Juni 2006 - in Düsseldorf: Auf der Tagesordnung des nordrhein-westfälischen Landtags steht die 3. Lesung des „Gesetzes zur Förderung der Städte und Regionen in Nordrhein-Westfalen“. Dieses Gesetz war das Signal zu einem neuen Miteinander zwischen Landespolitik und Kommunen sowie Regionen im Land. Der Landtag von Nordrhein-Westfalen hatte im 370

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Jahr 2004 den seinerzeitigen Bericht der Enquetekommission zur Zukunft der Städte in Nordrhein-Westfalen zunächst als zu ambitioniert empfunden und deshalb mit einer gewissen Skepsis entgegengenommen. Es wurde bemängelt, dass dem Land (Regierung und Parlament) zuwenig direkte Steuerungs- und Einflussinstrumente durch die Kommission zugeordnet worden waren. Gleichwohl - der partei- und ebenenübergreifende Konsens darüber, dass Land und Kommunen nur in einer arbeitsteiligen Kooperation die Voraussetzungen für wirtschaftlichen Erfolg sowie sozialen und ökologischen Fortschritt schaffen könnten, setzte sich letztlich bei den entscheidenden Akteuren in Land und Kommunen durch. Die kommunalen Spitzenverbände machten sich die Ergebnisse der Enquetekommission ebenso zu eigen wie Vertreter von Bürgerinitiativen und der Wirtschaft. Gewerkschaften und Industrie- und Handelskammern forderten die Einrichtungen von neuen Task-Forces, um für verschiedene Themenfelder Masterpläne für das ganze Land zu entwickeln. Hierbei sollten „echte“ Experten aus Unternehmen, Kommunen, Landesverwaltung und Wissenschaft sowie bürgerschaftlichem Engagement (Initiativen) mitwirken. Dies sollte sicherstellen, dass sachbezogene Handlungsempfehlungen und Vorschläge auf den Tisch der politischen Beschlussfassung kamen und keine letztlich ineffektiven Formelkompromisse auf Grundlage des kleinsten politischen Nenners. Integration von Expertenwissen und Versachlichung der Auseinandersetzung jenseits der Absicherung von Partikularinteressen waren die Hauptbotschaften dieses neuen Politikmodells. Inhaltliches Kernstück der Reform waren dann auch neun kommunalbezogene Task-Forces, die sich auf folgende Themen beziehen: Urbane Stadt, neue ökonomische Cluster, Mobilität, Wohnen, Soziale Stadt, neue ökologische und öffentliche Räume, Regionale Kooperation, Datenmonitoring, Infrastrukturrevision. Darüber hinaus wurden per Gesetz 15 regionale Foren eingerichtet, die zunächst einmal einen informellen Regionstypus zum Gegenstand hatten. Je nach Bewährung dieser Regionseinteilung, die erst nach Abschluss einer Untersuchung zu den nordrhein-westfälischen Verflechtungsräumen bzw. Verflechtungsregionen endgültig definiert werden sollte, stand eine abschließende Entscheidung an. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang war die Tatsache, dass man die Region Ruhr nicht als eine einheitliche Region zuschnitt, sondern der zunehmend auch politisch anerkannten Binnendifferenzierung in ein rheinisches und ein westfälisches Teilstück Rechnung trug. Die operative Steuerung dieses Prozesses wurde der Staatskanzlei angetragen, da man hierdurch die Bedeutung der Aufgabe unterstreichen wollte. Es wurde fraktions- und parteiübergreifend vereinbart, dass dem Landtag jährlich zu berichten sei. Zusätzlich wurde die Einrichtung eines neuen Landtagsausschusses unter Einbeziehung von externen Experten befürwortet, um den zugegebenermaßen komplexen Prozess zu begleiten. Die Hauptfunktion dieses Ausschusses sollte aus Sicht des Parlamentes darin liegen, die Landesverwaltung beim Abbau überholter Interventions- und Interaktionsmuster und bei der Entwicklung innovativer Instrumente zu beraten und zu unterstützen. 371

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Der nunmehr regierungsseitig vorgelegte Entwurf für das „Gesetz zur Förderung der Städte und Regionen in Nordrhein-Westfalen“ orientierte sich in seinen Grundzügen an diesen neuen Vorstellungen der Landespolitik und der sonstigen beteiligten Akteure. So verpflichtete sich das Land in diesem Gesetz ausdrücklich zur Unterstützung regionaler und kommunaler Initiativen durch die Einrichtung eines neuen Fonds jenseits der üblichen Fördersystematik, aus dem besonders innovative Ansätze gefördert werden sollen. Die Entscheidung lag bei dem neu gebildeten Ausschuss. Das Vergabeprinzip sollte dem Grundsatz „Stärken stärken“ bzw. „Tüchtige stärken“ folgen. Hierdurch sollten Spitzenleistungen der regionalen Entwicklung sichergestellt werden. Außerdem wurde in das Gemeindefördergesetz ab dem Jahr 2007 ein dezentraler Raumfonds eingefügt, welcher in einer Mischung aus Zweck- und Schlüsselzuweisung den Kommunen und Regionen erlauben sollte, eigenständig Landesmittel im Rahmen vereinbarter Ziele einzusetzen. Schnelligkeit, Flexibilität, Transparenz: Das waren die zentralen Elemente des neuen Gesetzes, um aus einem eher schwerfälligen Interventionstanker alter Bauart eine Flotte von wendigen Flaggschiffen zu den jeweiligen Themen zu entwickeln. Neue Förder- und Interaktionsmechanismen sollten in so genannten Eins-zu-Eins-Modellen erprobt werden, um sie dann später auf das gesamte Land zu übertragen. Diese Experimentierklausel war auf besonderen Wunsch der Wirtschaft in das Gesetz aufgenommen worden. Für Landesbeamte wurde in dem Gesetz eine neue Regelung eingeführt, dass diese im Wege eines Praktikums jeweils mindestens ein halbes Jahr Berufserfahrung auf der kommunalen Ebene und in einem Privatunternehmen vorweisen müssen, um in eine B-Besoldungsgruppe aufzurücken. Zudem wurde durch eine Öffnungsklausel im Landesrecht auch Vertretern aus Unternehmen und der kommunalen Ebene eine halbjährige Hospitationsoption eingeräumt. Diese Teilrotation wurde allgemein als sinnvoll erachtet, um der Tendenz zur Abkapslung und den Rückzug in Nischen zu begegnen. Durch die Einblicke in die jeweiligen Strukturen und Interaktionsmuster sowie durch die neuen persönlichen Kontakte sollte eine bessere Voraussetzung für die Kooperation von Entscheidungsträgern unterschiedlicher Bereiche geschaffen werden. Die Kernpunkte des Reformwerkes wurden mit dem Gesetz auf den Weg gebracht und es trat am 1. Juli 2006 in Kraft.

20. September 2009 - Dortmunder Hafen: Abschluss der Landeswasserschau Nordrhein-Westfalen 900 Schiffe können einen Höllenlärm veranstalten. Das stellte das ohrenbetäubende Konzert von Sirenen, Schiffsglocken und Signalhörnern eindrucksvoll unter Beweis, als sie den Startschuss für die Abschlussveranstaltung der ersten Landeswasserschau lautstark einläuteten. Über 900, fast tausend Schiffe an einem Tag - das hatte der größte europäische Kanalhafen trotz seiner 110jährigen Geschichte noch nicht erlebt. Der Hafendirektor dachte über einen Eintrag ins Guinessbuch der Rekorde nach. Gefeiert wurde der vorläufige Abschluss einer freiwilligen regionalen Initiative auf der Basis kommunaler Selbstverwaltungshoheit. 17 Städte und zwei Kreise hatten sich vor über zehn Jahren in 372

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einer bis dahin beispiellosen Weise zusammengefunden, um ihrer Region von Dorsten bis Hamm und Haltern bis Dortmund ein neues Profil als Venedig Westfalens zu geben. Auf diesen Tag hatten hunderte wenn nicht tausende Menschen in der Region über Jahre hingearbeitet. Übergreifendes und zentrales Element der Konzeption von „Fluss Stadt Land“ war und ist das Wasser. Schließlich verfügt die Region über das dichteste Wasserstraßennetz in Europa. Zusammen mit der Emscher und der Lippe bilden die Wasserstraßen das Rückgrat der Region. Kanäle und Flüsse sind nicht nur Spiegelbilder der industriellen Vergangenheit, sondern sie wurden auch zu Kristallisationspunkten für die Zukunftsgestaltung. Die Kraft des Wassers, die besonderen Qualitäten und Entwicklungspotenziale der Flüsse und Kanäle und ihre Ränder als urbane Lebensräume sollten ins Bewusstsein der Region gerückt werden. Ziel dieser Initiative war es, unter dem Motto „Wasser verbindet“, diese Qualitäten zu nutzen, um neue Aufenthalts- und Stadtqualitäten in der Region zu entwickeln. Gerade vor dem Hintergrund rückläufiger Bevölkerungszahlen im Ruhrgebiet galt es zudem, neue und attraktive Wohnmöglichkeiten in der Region zu schaffen. Doch auch der Gewerbe- und Dienstleistungssektor wurde angesprochen. Auf nicht mehr genutzten Industriestandorten sollten am Wasser ebenso attraktive wie innovative Unternehmen angesiedelt und Arbeitsplätze geschaffen werden. Die damalige Vision: Wohnen und Arbeiten am Wasser mit Freizeit- und Wassersportangeboten sowie weiteren touristischen Angeboten in attraktiver Weise verbinden. In der Auftaktpräsentation im Jahre 2003 wurden drei Themen in den Vordergrund gestellt: „Stadt ans Wasser“, „Freizeit am und auf dem Kanal“ sowie „Natur und Landschaft erleben“. Damals konnten schon eine Reihe von ambitionierten Projekten vorgestellt werden, wie etwa die Wasserstädte auf früheren Zechenstandorten wie Haus Aden in Bergkamen und Emscher-Lippe in Datteln oder auch das Neue Stadtquartier Graf Bismarck in Gelsenkirchen. Auch ehemalige Kanalhäfen wie der Preußenhafen in Lünen oder der Stadthafen Recklinghausen und der Stadthafen Dortmund wurden als Beispiele für eine Entwicklung in der Region präsentiert, die sich auf Dienstleistungen, Freizeitund Kulturwirtschaft sowie Urbanität im Zusammenhang mit Wasser ausrichtete. Im Zusammenhang mit dem Thema „Freizeit am und auf dem Kanal“ wurden vorhandene Ansätze einer freizeitorientierten und kulturtouristischen Erschließung der Kanäle aufgegriffen und konzeptionell auf die Erfordernisse der Region abgestimmt. Sowohl das Konzept zum Ausbau des Sportboottourismus in der Region als auch die Schaffung von Kanalstrandbädern und der Ausbau des Charterboottourismus dienten einer Popularisierung der Freizeitgestaltung im Kanalzusammenhang. Unter dem Motto „Natur und Landschaft erleben“ wurden schon im Nachgang zur Internationen Bauausstellung Emscherpark die besonderen Natur- und Landschaftspotenziale herausgearbeitet. Unterschiedliche Strukturen wie Industriebrachen und bäuerliche Kulturlandschaften, bewaldete Halden, Moore und Auen vereinen sich in der Region zu einem vielfältigen Landschaftsbild, welches zu erhalten und weiterzuentwickeln war. Insgesamt waren schon in der Auftaktpräsentation im Rahmen von über 200 Veranstaltungen rund 600.000 Menschen zusammengekommen und ließen sich von den Ideen für die Zukunft ihrer Region begeistern. Aufbauend auf diesem beachtlichen Anfangserfolg machte sich eine Vielzahl von Akteuren ans Werk: Wassersportvereine, Hochschulen, private Investoren, Wasser- und Schiff373

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fahrtsverwaltung, Kulturschaffende, Freizeitaktivisten, Politiker, Verbandsvertreter - sie alle arbeiteten vor Ort an Projekten weiter, setzten erste Spatenstiche, feierten gemeinsam und genossen z.B. den Sonnenuntergang am Halterner See ebenso wie am Schiffshebewerk Henrichenburg, stornierten ihren Floridaurlaub und machten stattdessen lieber eine Paddeltour auf der Lippe. Auf dem Weg zur Zwischenpräsentation im Jahr 2006 waren viele Projekte in die Verwirklichung gegangen. Der Lippe-See in Hamm genauso wie der Phoenix-See in Dortmund-Hörde. Haldenstandorte waren weiterentwickelt worden zu echten Höhepunkten der Region, die von Wassersporttouristen als willkommene Abwechslung ihrer Wasserstraßentrips gesehen wurden. Gipfelglück auf der Halde mit garantierter Fernsicht auf die Region Nummer Eins in Europa in Kombination mit Industriekultur und Bergarbeiterromantik entpuppte sich bei vielen Reiseveranstaltern als heimlicher Renner. So wurde der Tourismus in der Region zu einer ungeahnten Arbeitsplatzmaschine. Schon bei der Zwischenpräsentation im Jahre 2006 zeigte sich, dass ein völlig neues, sehr pragmatisches Akteursnetzwerk ohne großen finanziellen Einsatz Vieles ausgelöst hatte. Die private Investitionsbereitschaft war durch die Neuprofilierung der Region deutlich beflügelt worden. Ehemals unattraktive Kanalrandzonen waren neu belebt, im Zusammenhang mit der Emscherrenaturierung waren viele neue ökologie- und freizeitbezogene Potenziale entdeckt und entwickelt worden. In der ersten Landeswasserschau in Nordrhein-Westfalen sollte nun Bilanz gezogen werden. Schon heute war klar, dass diese Landeswasserschau Tradition werden würde. Sie sorgte dafür, dass das Thema Wasser auch bei der 2030 stattfindenden Weltausstellung ein zentrales Präsentationselement geworden ist. Mit der Präsentation im Jahr 2009 wurden nicht nur die zwischenzeitlich fertiggestellten neuen Wasserflächen Lippe- und Phoenix-See bewundert und genutzt, auch die renaturierten Abschnitte im Oberlauf der Emscher vornehmlich auf Dortmunder Stadtgebiet wurden von neugierigen Besuchern der emscherabwärtigen Region geradezu gestürmt. Sie konnten hier erleben, was in ihren Städten auf dem Weg nach Dinslaken noch entstehen sollte - und sie waren begeistert. In Gelsenkirchen-Bismarck waren die ersten Wohnungsneubauten fertig gestellt, in Castrop-Rauxel konnte das erste große Kanalstrandbad von tausenden Besuchern „angebadet“ werden. Der „Tag des deutschen Rudersports“, der regelmäßig im Mai stattfindet und mit dem deutschlandweit offiziell die Rudersaison eröffnet wurde, fand genauso wie das nationale Wanderrudertreffen in der Region statt. Beide Veranstaltungen zogen Ruderer aus ganz Deutschland an. Es war insbesondere dem Vorsitzenden des RC Germania Dortmund zu verdanken, dass er sich beim Deutschen Ruderverband für die Durchführung dieser beiden Veranstaltungen in der Region eingesetzt hatte. Er hatte die 75-Jahrfeier seines Vereins im Jahr 2004 für erste Kontaktaufnahmen genutzt und war nach anfänglicher Überraschung auf hohe Zustimmung bei den Verbandsfunktionären gestoßen. Rudern in dieser Form und in solch einer ehemals 374

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industriell geprägten Umgebung war eine absolute Innovation und wurde daher als mögliche motivierende Attraktion dieser traditionsreichen Veranstaltung angesehen. Die Begeisterung war so groß, dass sogar in England angefragt wurde, ob das traditionelle Ruderrennen zwischen den Universitätsachtern von Oxford und Cambridge nicht ausnahmsweise einmal in Deutschland stattfinden würde. Auch hier wurde überraschend zugestimmt, da die Engländer einmal auf dem Kontinent ausprobieren wollten, ob man nicht auch durch solch einen Traditionsbruch das Zusammenwachsen Europas fördern könnte. Bis zum 20. September 2009, dem Abschluss der Landeswasserschau, waren über drei Millionen Menschen zu den Veranstaltungen geströmt und hatten eine auch von den Medien getragene Begeisterung ausgelöst, die nur noch von dem regionalen Aufruhr übertroffen wurde, als zum gleichen Zeitpunkt Schalke 04 endlich Deutscher Meister wurde und Borussia Dortmund 09 pünktlich zum 100jährigen Vereinsjubiläum die Champions League gewonnen hatte. Insofern hatte sich das Jahr 2009 als durchaus starkes Jahr für die Region gezeigt. Die nationale Medienberichterstattung nahm dieses durchaus, wenn auch etwas widerstrebend, zur Kenntnis. Die vermeintlichen Schmuddelkinder aus der Ruhrregion hatten sich offensichtlich auf den Weg gemacht, im Vertrauen auf eigene Stärke und unter Einsatz aller Kräfte, die Zukunft zu gewinnen. Das war weder in den Redaktionen in München noch in denen in Hamburg für möglich gehalten worden. Es gab dort erste Versetzungsanträge zu den neu eingerichteten Regionalredaktionen in Recklinghausen und Dortmund. Insbesondere die Jüngeren wollten einen derart spannenden Prozess live vor Ort miterleben und davon berichten.

Samstag 20. Oktober 2012 in Bergisch Gladbach: Eröffnung des Kongresses: „Bergisch Gladbach Zwischenstadt oder Wachstumspol?“ Der kürzlich neugewählte Bürgermeister von Bergisch-Gladbach freute sich. Trotz des in unmittelbarer Nachbarschaft stattfindenden Zweitliga-Top-Spiels zwischen dem 1. FC Köln und Bayer Leverkusen waren 600 Gäste seiner Einladung gefolgt, um über das Thema „Bergisch-Gladbach Zwischenstadt oder Wachstumspol?“ zu debattieren. Er hatte sich mit diesem Thema in unterschiedlicher Weise intensivst beschäftigt und wesentlich dazu beigetragen, dass man den neuen räumlichen Entwicklungsmustern auf kommunaler Seite auch durch neue Raummodelle begegnet. Der Begriff der Zwischenstadt war von Prof. Dr. Thomas Sieverts durch eine vielbeachtete Fachpublikation Ende der 1990er Jahre in die Diskussion eingebracht worden. Schon die Interpretation seiner damaligen Ausführungen führte zu einem regen Disput in der Fachwelt. Diskutiert wurde insbesondere, ob Sieverts sich im Wesentlichen als Apologet und Vertreter der Zwischenstadt positioniert habe, oder ob er eher als ein Kritiker der vielfältigen Dezentralisierungstendenzen aufgetreten sei, die letztlich den neuen Raumtypus der Zwischenstadt hervorgebracht hatten. Verfechter des zentral-örtlichen Gliederungssystems standen den Befürwortern der „Abstimmung mit den Füßen“ unversöhnlich gegenüber. Während auf der einen Seite die Entstehung der Zwischenstadt als 375

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„Dolchstoß für die Kernstädte“ empfunden wurde, begrüßten andere Diskutanten die Hinwendung zur anthropologisch vertretbaren Dichte, für die sowohl Desmond Morris in seinem vielbeachteten Werk „Der Menschenzoo“ als auch Prof. Hanns Adrian in seiner Zeit als Frankfurter und Hannoveraner Planungsdezernent plädiert hatten. Die Diskussion kreiste aber nicht nur um Dichtewerte, sondern auch um Fragen des Finanzausgleichs, der Infrastrukturrevision, der sozialen Segregation, der regionalen Mobilitätsentwicklung und der Freirauminanspruchnahme. Zu Beginn des neuen Jahrhunderts hatte die landesseitig zu verantwortende Gebietsentwicklungsplanung ihren Steuerungsanspruch insbesondere im Rheinland weitestgehend aufgegebenen. Dies wurde seinerzeit mit der nach wie vor starken Stellung des dominierenden Oberzentrums Köln begründet. Insofern wurden Stützungsmaßnahmen für die größte Stadt des Landes als entbehrlich erachtet und es wurde im Ballungsrand bei der Bereitstellung von Wohnbauland und Gewerbeflächen eher dem Drängen der lokalen Politik und der Wirtschaftsverbände nachgegeben. Hiermit wollte man insbesondere auch die Stärkung des Rheinlands als Gesamtregion weiter voranbringen. Eine Stadt wie Bergisch Gladbach profitierte von diesem Standpunkt außerordentlich. Ihr war es gelungen, nicht nur als eine der reichsten Städte gemessen an dem Einkommen pro Einwohnerzahl in die bundesweite Statistik auf Platz zwei hinter München einzugehen, sondern sie konnte auch ganz gegen den Trend durch Zuwanderung einkommensstarker Bevölkerungsgruppen und durch die erfolgreiche Ansiedlung von zukunftsorientierten Unternehmen bis zum Jahre 2010 einen ganz erheblichen Zugewinn an Bevölkerung und Arbeitsplätzen verzeichnen. Mit anderen Worten: Bergisch-Gladbach war ein absolutes Erfolgsmodell für die kommunale Entwicklung. Kein Wunder also, dass die Bergisch-Gladbacher Kommunalpolitik und auch die Verwaltungsspitze ihre Version von Zwischenstadt als Zukunftsmodell und als Hoffnungsträger auch für andere Kommunen ansahen. In der Bevölkerung gab es zwar einzelne skeptische Tendenzen, aber abgesehen von zwei sehr hartnäckigen Bürgerinitiativen, die sich gegen die Bebauung eines für die Naherholung wichtigen Feuchtbiotops zur Wehr gesetzt hatten, war die generelle Entwicklung auf eine positive Bewertung durch die Bevölkerung gestoßen. Die Erfolgsgeschichte seiner Stadt trug der neue Bürgermeister nicht ohne Stolz im Grand-Hotel Schloss Bensberg den aufmerksamen Zuhörern vor. Er gab allerdings zu bedenken, dass die eigene Erfolgsgeschichte nicht ohne weiteres auf andere Städte zu übertragen sei und eröffnete damit auch die Debatte. Noch bevor der zwischenzeitlich emeritierte Prof. Sieverts jedoch das Wort zu seinem Festvortrag erheben konnte, meldete sich die örtlichen Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen zu Wort. Sie protestierte lautstark dagegen, dass bei der Darstellung des Bergisch-Gladbacher Erfolgsmodells die negativen Begleiterscheinungen völlig verschwiegen würden. So habe der Freiflächenanteil in der knapp über 80 Quadratkilometer großen Stadt in den letzten zehn Jahren deutliche Einbußen erlebt. Sie äußerte Kritik darüber, dass der Straßenneubau ganz erhebliche kommunale Finanzanstrengungen nach sich gezogen habe, so dass der städtische Haushalt heute in einem eher desolaten Zustand sei. Auch wurde von ihr bemängelt, dass die ehemals hervorragende Infrastrukturaus376

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stattung mit dem rasanten Bevölkerungsanstieg nicht habe Schritt halten können. Die erforderlichen Anpassungsprozesse seien nicht in der notwendigen Form vorgenommen worden. Vereinzelter Beifall aus dem Auditorium unterstützte diesen Zwischenruf. Wesentlich mehr Beifall erhielt Sabine Christiansen als Moderatorin für ihren Vorschlag, zunächst Herrn Prof. Sieverts das Wort zu geben, damit dieser in einer Reflektion seine seinerzeitigen Thesen einer aktuellen Bewertung unterziehen könne, um dann auf dieser Grundlage mit Praktikern aus den anderen Städten zu diskutieren. Sie begrüßte in diesem Zusammenhang auch den gerade eingetroffenen Minister für Landesplanung, Stadtentwicklung und Verkehr, der es sich nicht nehmen lassen wollte, bei dieser bedeutsamen Konferenz zuzuhören und mitzudiskutieren. Es handelte sich bei ihm um einen alten Bekannten des Bürgermeisters, da sie zusammen in der angesprochenen Enquetekommission gearbeitet hatten. Sieverts - sichtlich gealtert, aber immer noch mit viel Esprit ausgestattet - bedankte sich zunächst herzlich für die Einladung, aber auch für die Beiträge der Zwischenruferin. Er sei noch immer sehr an einem lebhaften und auch durchaus kontroversen Disput über die Frage der Zwischenstadt interessiert. Dies belege eindrucksvoll, dass die von ihm auf den Weg gebrachte Diskussion um die Zwischenstadt nach wie vor aktuell sei. Bevor er sich zu den qualitativen Bewertungen äußern wolle, würde er zunächst einmal einige Daten, die er frisch aus dem Monitoringsystem des Landesamtes für Datenverarbeitung und Statistik gezogen habe, auflegen. Hierin würde deutlich, dass die vom LDS schon im Jahre 2004 prognostizierte Entwicklung im Grundsatz anhalte: dass nämlich die Kreise im Einzug der Ballungsräume als Gewinner der regionalen Bevölkerungsentwikklung anzusehen seien. So hätten beispielsweise die Kreise Siegburg und Unna die höchsten Zuwächse verzeichnet durch Zuzug aus den Ballungskernen. Mit Ausnahme von Bonn, Dortmund, Bottrop, Mülheim sowie Mönchengladbach und mit Abstrichen Münster seien alle größeren Städte nach wie vor von einem ganz erheblichen Bevölkerungsverlust geprägt. Zwar sei es für die Stadt Hagen nicht so schlimm gekommen, wie seinerzeit prognostiziert, und auch Gelsenkirchen und Wuppertal hätten sich besser geschlagen, aber ihnen allen sei ein Bevölkerungsrückgang von rund acht Prozent gemein und auch die anderen Städte des Ballungskernes oder auch solitäre Verdichtungen hätten ganz erhebliche Einbußen letztlich zu verzeichnen gehabt. Prof. Sieverts nimmt das zum Anlass, sowohl Politik als auch Verwaltung und Wirtschaft in den Großstädten nachdrücklich aufzufordern, die nach wie vor offensichtlich existierende Versorgungs- ja sogar Bettlermentalität im Hinblick auf öffentliche Fördermittel abzulegen. Im Jahr 2012 müsse es angesichts der angespannten öffentlichen Haushaltslage und der nicht mehr verlängerten Strukturfondsmittel der Europäischen Kommission nun auch dem Letzten klar geworden sein, dass das Blicken auf öffentliche Mittel in den Ballungskernen im Prinzip nur den Blick auf die eigentlich notwendigen Handlungsstrategien verstelle. Zur Überraschung der Zuhörer plädierte Prof. Sieverts für einen ganz 377

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erheblichen Bürokratieabbau - diese Äußerung brachte ihm lautstarke Buh-Rufe einiger Planungsamtsleiter und von Vertretern der Umweltverbände ein - und für die Dezentralisierung von Entscheidungsprozessen. Die durch das nordrhein-westfälische Gesetz zur Förderung der Kommunen und Regionen im Jahr 2006 auf den Weg gebrachten Reformen und Innovationen seien nur halbherzig ausgestaltet und genutzt worden. Er kritisierte insbesondere, dass sich die Landesadministration bisher nicht in geeigneter Weise als Kooperationspartner der kommunalen und regionalen Ebene profiliert habe. Das wolle er insbesondere dem gerade eingetroffenen Minister für seinen Verantwortungsbereich ins Stammbuch schreiben. Der Minister nickte heftig. Sabine Christiansen dankte für diesen Vortrag und leitete über zur Nachfolgerin von Ernst Löchelt, dem legendären Bottroper Oberbürgermeister, der unter anderem in der Abwehr der Kunststadt „Glabotki“ im Rahmen der kommunalen Neugliederung Mitte der 1970er Jahre seine ersten kommunalpolitischen Sporen verdient hatte. Seine Nachfolgerin war zwischenzeitlich nach ihrer Wahl 2004 aus seinem Schatten getreten und hatte insbesondere vor dem Hintergrund der bei ihr angesiedelten Freizeitindustrie erhebliche Fortschritte in der wirtschaftlichen und haushaltsmäßigen Konsolidierung verzeichnen können. Gleichwohl trat sie auf dem Kongress als Skeptikerin des Zwischenstadtmodells auf. Zwar sei es unbestritten, dass gerade Bottrop von der Zuwanderung aus dem mittleren Ruhrgebiet erheblich profitiert habe. Doch sei dies zu Lasten der Freiraumqualitäten gegangen, die Bottrop immer als Stadt im Grünen hätten erscheinen lassen. Insbesondere in den nördlichen Stadtteilen Grafenberg und Kirchhellen seien für die Naherholung und für den Natur- bzw. Landschaftsschutz notwendige und sinnvolle Freiflächen verlorengegangen. Dies hätte wiederum eine Abwanderung aus diesen Bereichen der Stadt weiter nach Norden ins Münsterland nach sich gezogen. Es sei deutlich erkennbar, dass eine übertriebene Siedlungsflächenentwicklung auch negative Nebenwirkungen mit sich bringe. Froh sei sie, dass es neben dem Kinder- und Freizeitparadies Schloss Beck mittlerweile in einem weiteren Anlauf gelungen sei, einen Nachfolger für die Anlage Movie World der Warner Brothers zu gewinnen. Allerdings sei hier auch deutlich geworden, dass es offensichtlich auf Landesebene einer stärkeren Steuerung von Freizeit- und Entertainmentangeboten bedarf. So habe sich negativ bemerkbar gemacht, dass sowohl im mittleren als auch im östlichen und westlichen Ruhrgebiet unterschiedlichste neue Freizeitangebote geschaffen worden sind, um die Kernstädte zu sanieren. Hierbei sei aber völlig übersehen worden, dass schon vorher im Ballungsrand eine entsprechende Angebotssituation geschaffen worden sei. Insofern müsse sie hier deutlich darauf hinweisen, dass diese Einrichtungen doch durch entsprechende landespolitische Initiativen vor unbotmäßiger Konkurrenz aus den Kerngebieten und aus den Kernstädten geschützt werden müssten. Der Kongress ging bis in den Abend und wurde dann durch den Bürgermeister mit dem Appell abgeschlossen, die Diskussion aufrecht zu erhalten. Er forderte seine Bottroper Amtskollegin auf, den nächsten Kongress doch auf dem Freizeitpark in Bottrop-Kirchhellen durchzuführen. Diese sagte einen Folgekongress im Jahre 2013 zu, um die Fragen noch einmal intensiver und aus einem anderen Blickwinkel zu beleuchten. Prof. Sieverts bat um eine Einladung. 378

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Christi-Himmelfahrt 14. Mai 2015 - Krönungssaal zu Aachen: Karlspreisverleihung an die Idee des Kommunalen in Europa, verkörpert durch die Bürgermeister aus allen europäischen Ländern Der ehemalige Präsident des Europäischen Parlamentes, der Ire Pat Cox, freute sich. Endlich konnte er einmal wieder in Aachen sein. Seit der Verleihung des Karlspreises an ihn am 20. Mai 2004 im Krönungssaal des Aachener Rathauses war er nicht mehr in die alte Kaiserstadt gekommen. Nun war er also endlich wieder in Aachen, weil der internationale Karlspreis in diesem Jahr wiederum nach Europa ging. In diesem Jahr sollte im Unterschied zu 2004, als das Europäische Parlament geehrt wurde, die kommunale Ebene als wesentlicher Motor des europäischen Einigungsprozesses geehrt werden. Die Tradition der europäischen Kooperation auf kommunaler Ebene geht bis zur Hanse zurück. Sie erfuhr trotz der vielfältigen kriegerischen Auseinandersetzungen gerade in Mitteleuropa immer wieder eine Renaissance. Auch der Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) stellte in der Vergangenheit ein willkommenes Forum für den innereuropäischen Dialog dar. Doch erst mit der im Jahr 2004 vollzogenen EU-Erweiterung war die Grundlage gelegt, zwischen ost- und westeuropäischen Kommunen die Zusammenarbeit zu verbessern. Die Liste der Themen, die sowohl die Europäische Union, als auch die Kommunen beschäftigen, ist lang und vielfältig: Öffentlicher Personennahverkehr, Abfallentsorgung, Umweltschutzvorgaben, Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, Kulturprogramm etc. Die Rechtssetzungstätigkeit durch das Europäische Parlament ist für die Kommunen und die Menschen von großer Bedeutung, weil sie die Art und Weise, wie die kommunalen Dienstleistungen zu erbringen sind, erheblich verändern können. Nachdem das Europäische Parlament in der Vergangenheit in einer Reihe wichtiger Initiativen den Interessenlagen der Kommunen entgegengekommen war, hatten die Kommunen ihrerseits begonnen, die sie interessierenden Fragestellungen durch Netzwerke, wie Eurocities und Städtepartnernetzwerke, zu behandeln. Vor diesem Hintergrund entschied sich das Karlspreisdirektorium für die Verleihung an die kommunalen Praktiker aus allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Hiermit soll insbesondere gewürdigt werden, dass die Kommunen mit den Möglichkeiten, die ihnen der Verfassungsvertrag in Sachen kommunaler Selbstverwaltung und Stärkung des Subsidiaritätsprinzips einräumt, auch wirklich konstruktiv und intensiv ausgeformt haben. Wenn das Karlspreisdirektorium in der Vergangenheit in erster Linie Einzelpersonen oder Gesamteuropäische Institutionen geehrt hatte, sollte diesmal ein Gruppen-Ansatz herausgestellt werden. In der Laudatio durch den ehemaligen Karlspreis-Preisträger Bill Clinton wurde denn auch deutlich, dass offensichtlich die allgemein geltende Verwaltungsfreiheit zu sehr unterschiedlichen kommunalen Organisationsformen und Problemlösungsstrategien geführt hat. Gerade auf der kommunalen Ebene gibt es Spielräume, die interessante innovative Ansätze für die kommunale Daseinsvorsorge erlauben. Es war dann auch Bill Clinton vorbehalten, seine Bewunderung für die kommunale Gestaltungsvielfalt zu bezeugen. Unter Zuhilfenahme einer bei der Europäischen Kommission geführten Best-PracticeDatenbank zeichnete Clinton ein lebendiges Bild kommunaler Gestaltungsmöglichkeiten. 379

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Zu Beginn seiner Ausführungen erklärte er lächelnd, er werde der gegenwärtigen amerikanischen Präsidentin - seiner Frau Hillary - die im Zusammenhang mit dieser Preisverleihung gewonnenen Erkenntnisse ans Herz legen, damit vielleicht auch in den Vereinigten Staaten an der einen oder anderen Stelle die kommunale Selbstverwaltungshoheit so gestärkt werde, dass sich die Lebensbedingungen der Menschen in den Städten nicht nur aufgrund von nationalen oder bundesstaatlichen Initiativen verbessern, sondern auch aufgrund ganz konkreter kommunaler Initiativen. Sehr zum Gefallen von Pat Cox kam Clinton zunächst auf das irische Beispiel zu sprechen. Er selber sei bekanntlich irischer Herkunft und daher auch prädestiniert, hier mit seinen Ausführungen zu beginnen. So betonte er, dass die irische Erfolgsgeschichte am Rande Europas im Wesentlichen auf eine geglückte Kombination europäischer und nationalstaatlicher Rahmensetzung mit lokalen Impulsen zurückzuführen sei. Er beschrieb am Beispiel Dublins, wie hier entlang des Flusses Liffey eine Wiederbelebung ehemals gewerblich und kleinindustriell genutzter Flächen durch kulturelle Angebote und darauf aufbauende Folgenutzungen gelungen sei. Als Europäische Kulturhauptstadt in der ersten Hälfte der 1990er Jahre habe Dublin wesentliche Weichenstellungen vorgenommen und insofern auch ein gelungenes Beispiel aus öffentlicher und privater Kooperation zum Wohle des Ganzen geliefert. Clinton hob in diesem Zusammenhang auch hervor, dass die irischen Erfahrungen sehr eindrucksvoll belegten, dass man bei einer Vorwärtsstrategie neben den wirtschaftlichen auch die sozialen und ökologischen Gesichtspunkte berükksichtigen müsse. So habe ihm die ehemalige irische Präsidentin Mary Robinson sehr deutlich gemacht, dass es immer um integrierte Strategien gehen müsse, die die Menschen an der Meinungsbildung und Entscheidungsfindung beteilige. Clinton fuhr in seinem Vortrag fort, dass man im Hinblick auf die Entfaltung wirtschaftlicher Dynamik auch von den südeuropäischen Ländern lernen könne. So habe das Beispiel der iberischen Halbinsel belegt, dass es im Nachgang zu Diktaturen eine Generation benötige, bis die gesellschaftlichen Kräfte in der Lage seien, einen wirtschaftlichen Fortschritt in den verschiedenen Ebenen so erfolgreich zu gestalten, dass letztlich der gesamte Lebenszusammenhang hiervon profitiert. Nachdem Clinton das Beispiel Spaniens gestreift hatte, vertiefte er die entsprechenden portugiesischen Erfahrungen. Er bezog sich in diesem Zusammenhang auf die Folgewirkungen der EXPO Weltausstellung von 1998. Es sei gelungen, eine Stadt im Hinblick auf ihre infrastrukturelle Ausrichtung so zu optimieren, dass sie einen langfristigen wirtschaftlichen Aufschwung genommen habe. Es sei in erster Linie das Engagement der Kommunalverwaltungen gewesen - in der Regel personifiziert durch den jeweiligen Oberbürgermeister - welches deutlich zum sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt beigetragen habe. So seien heute neben dem Tourismus und dem Dienstleistungsbereich gerade in der Region Lissabon die industriellen Entwicklungs- und Produktionszusammenhänge besonders wettbewerbsfähig. 380

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Clinton verwies auf erfolgreiche private Investitionen im Nachgang zur EXPO, wie beispielsweise das Einkaufszentrum Vasco da Gama. Er hob aber gleichzeitig hervor, dass auch die Anstrengungen im Umweltschutz dazu beigetragen hätten, dass die zwischenzeitlich eingetretene Situation in keiner Weise mehr zu einer Beanstandung Anlass gäbe. Die europäischen Randstaaten seien ohnehin diejenigen, die in den letzten Jahren die dynamischste Entwicklung durchgemacht hätten, das träfe insbesondere auf die osteuropäischen Staaten zu. An erster Stelle nennt Clinton hier die baltischen „Tigerstaaten“ Litauen, Lettland und Estland, wo er die stärksten wirtschaftlichen Impulse, aber auch die stärksten Modernisierungsprozesse wahrgenommen habe. Festgemacht am Beispiel Tallin illustrierte Clinton, dass es hier zum einen gelungen sei, die historische Altstadt zu revitalisieren und im Prinzip der Bevölkerung zurückzugeben. Gleichzeitig sei aber auch eine Integration unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen in Tallin durch entsprechende Integrationsprogramme und vor dem Hintergrund der erfreulichen ökonomischen Entwicklung herbeigeführt worden. So sei insbesondere der Neubau der ehemals für russische Zuwanderer erstellten Trabantensiedlung Lasnamäe ein hervorragendes Beispiel für die Möglichkeiten durch integrierte städtebauliche Maßnahmen auch zu einer sozialen und kulturellen Integration unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen und zu einem friedlichen Neben- bzw. konstruktiven Miteinander der verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu kommen. Diese Maßnahme sei übrigens mit europäischen Fördermitteln aus dem Ziel III Programm unterstützt worden! Hiervon könnten insbesondere die zentral-europäischen Staaten noch Einiges lernen. Zum Ende seiner Ausführungen bat Clinton gemeinsam mit dem Aachener Stadtoberhaupt die 25 Vertreter von europäischen Kommunen zur Ehrung auf die Bühne. Nach diesem Festakt wurden die Gäste zu der sich anschließenden Feier in das Haus für Musik eingeladen. Dieses im Jahre 2007 eingeweihte Konzerthaus war das erste in Deutschland ausschließlich aus Stiftungsgeldern errichtete Gebäude seiner Art, das heute zudem durch eine private Stiftung betrieben wird. Hier fanden die Festgäste den geeigneten Rahmen, die unterschiedlichen kommunalen Erfahrungen aus den verschiedenen europäischen Blickwinkeln auszutauschen. In der Bewertung bestand Einigkeit: Ein Europa ohne starke Kommunen schwächt sich selbst. Insofern müssen die Anstrengungen im Sinne der kommunalen Selbstverwaltungshoheit und der erforderlichen Ressourcenausstattung der kommunalen Ebene auf allen Entscheidungsebenen aufrechterhalten werden.

Donnerstag, 6. April 2018 (Nachosterwoche) - in Nordkirchen: Eröffnung des Wissenschaftskongresses „Vitale Stadt der Vielfalt“ Es hatte als Geistesblitz angefangen: Der Gedanke, einen großen Wissenschaftskongress in Nordkirchen im Herzen des Münsterlandes durchzuführen, um das Thema „Vitale Stadt der Vielfalt“ von verschiedenen Seiten zu beleuchten. Natürlich konnte solch eine Idee nur ein Nordkirchener haben: Als mittlerweile emeritierter Professor hatte er einfach Freunde und Bekannte von früher eingeladen, um mit ihnen über den Stand der Dinge und die Lage der Nation in urbaner Hinsicht zu reflektieren. Es waren alle gekommen: 381

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sowohl die alten Mitstreiter aus dem Wissenschaftsbetrieb, Vertreter der Politik als auch des Unternehmerlagers. Selbst Prof. Dr. Karl Ganser, ehemaliger Direktor der IBA Emscherpark, war aus dem Bayerischen angereist. Insbesondere die ökonomische Seite war es gewesen, die dem Professor in seiner aktiven Lehr- und Forschungszeit besonders interessiert hatte. Und es war sehr viel in Bewegung geraten. Die großen wirtschaftlichen Produktionszusammenhänge hatten sich weitgehend aufgelöst. Weite Teile des Münsterlandes waren durch das Fegefeuer der Strukturkrise gegangen. In noch viel größerem Maße hatte sich aber die ehemals montan geprägte Wirtschaft des Ballungsraumes Rhein-Ruhr einem fundamentalen Paradigmenwechsel unterziehen müssen. Diese Prozesse hatten zu einem gemeinsamen Ergebnis geführt: Die wirtschaftliche Binnendifferenzierung hatte sich regional weitervermittelt und im Ergebnis zu einer ökonomischen Vielfalt in nie da gewesener Weise geführt. Monostrukturen, wie etwa die seinerzeitige Textilindustrie im Münsterland, die Montanindustrie in der Region Ruhr oder auch die Möbelindustrie in Ostwestfalen-Lippe gehörten weitgehend der Vergangenheit an. Die wirtschaftliche Entwicklung hatte zu einem wesentlichen Ausbau des Dienstleistungssektors, aber auch zu neuen technologischen Entwicklungen und zu neuen Führungsbranchen an den alten wirtschaftlich starken Standorten geführt. Diese Leistung war nur zu erklären durch eine Neuorientierung der Unternehmen und auch die Innovationskraft der Unternehmensführungen bzw. einer heranwachsenden neuen Generation von jungen Unternehmern. Die neue Beweglichkeit im Hinblick auf Firmengründungen und auf unternehmerische Risikobereitschaft war in dieser Form völlig unerwartet aufgetreten. Noch zu Beginn des Jahrhunderts waren wirtschaftliche Strukturen sehr stark geprägt von Sicherheitsdenken, begrenzter unternehmerischer Risikobereitschaft und von einer starken Zurückhaltung des Finanzsektors, die erforderlichen Geldmittel für die notwendigen Investitionen bereitzustellen. Hier hatte insbesondere das Programm Basel II manch wirtschaftliche Aktivität behindert. Es war der Druck des Weltmarktes, der sich auch in dem so genannten Off-Shoring in den Kommunen und Regionen des Landes Nordrhein-Westfalen bemerkbar gemacht hatte und im Ergebnis zu einer ganz erheblichen Innovationskraft geführt hatte. Der fortschreitende Abbau von niedrig qualifizierten Tätigkeiten und Arbeitsplätzen hatte letztlich die Herausforderung formuliert, neue Produkte auf dem europäischen und auf dem globalen Markt zu platzieren und auf diesem Weg Wertschöpfungsketten für die nordrhein-westfälische Wirtschaft herzustellen. Hierbei waren insbesondere die Hochschulstandorte, aber auch die betrieblichen Ausbildungskapazitäten in ihrer pragmatischen Ausrichtung hilfreich gewesen. Jedenfalls war es gelungen, in einer Reihe von Feldern wieder Geltung zu erlangen. Im Bereich der Mikrosystemtechnik sowie bei der Biomedizin und Gesundheitswirtschaft, im Feld der Energietechnik als auch bei Design und Informations- sowie Kommunikationstechnologie waren völlig neue Märkte erschlossen worden. Gemeinsam mit Partnern auch im außereuropäischen Ausland war es gelungen, in Nordrhein-Westfalen vielfältige neue Produkte zu entwickeln und von hier an den Weltmarkt zu bringen. Dieses war ein bisher nie erreichter Akt des Strukturwandels in allen Teilen des Landes. Insbesondere die Ruhrregion hatte in diesem Zusammenhang ihren Weg in die Zukunft zu definieren. 382

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Mit diesem Prozess der neuen wirtschaftlichen Vielfalt war auch die Entwicklung der Städte in unterschiedliche Richtungen verlaufen. Es war den Städten gemeinsam, dass sie über eine neue Vitalität und urbane Qualität verfügten, die selbst Optimisten in ihren kühnsten Träumen kaum zu erwarten gewagt hatten. War noch zu Beginn des neuen Jahrhunderts von Langeweile und Uniformität der Stadtzentren die Rede, so hatten sich diese durch vielfältige, veränderte Rahmenbedingungen zu Quellen neuen Lebenssinnes gewandelt. So hatte etwa die Freigabe der Ladenöffnungszeiten, aber auch die allgemeine Rückbesinnung auf Urbanität als wesentlicher Bestandteil persönlicher Lebensqualität, neue Formen des Zusammenlebens in den Städten hervorgerufen. Hiervon waren sowohl Klein- und Mittelstädte in den ballungsfernen Bereichen erfasst worden als auch die Kernstädte und die solitären Großstädte im eher ländlich geprägten Umfeld. Die fortschreitende Ausdifferenzierung von Lebensstilen und die Partikularisierung von Lebenszusammenhängen hatte im Übrigen dazu beigetragen, dass sich die Städte zunehmend als Bühne für unterschiedliche gesellschaftliche Prozesse und Selbstdarstellungszusammenhänge genutzt sahen. Auch die Zuwanderung vergangener Jahrzehnte hatte einen wesentlichen Beitrag zur Veränderung von Lebenszusammenhängen in den Städten mit sich gebracht. Ähnlich der im Zusammenhang mit der Industrialisierung Nordrhein-Westfalens erfolgten Zuwanderungen aus Osteuropa war es im Zusammenhang mit der Zuwanderung aus den Mittelmeer-Staaten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu Ansätzen für eine Parallelgesellschaft gekommen, die sich in den verschiedenen Stadtvierteln der existierenden Städte als neue Lebensgemeinschaften entwickelten. Nach der vorübergehenden Desintegration hatten sich im Laufe der Zeit - das war eine Generationenfrage - dann aber auch zunehmend Integrationsprozesse bahngebrochen. Diese hatten zu einer wesentlich bunteren und vielfältigeren Stadtgesellschaft geführt. Diese Entwicklung war nicht beschränkt auf Großstädte, sondern stellte sich in ähnlicher Weise auch bei Klein- und Mittelstädten dar.

(Ascher-) Mittwoch, 17. Februar 2021 - in Bonn: Verleihung des Wachstumsawards an die Bundesstadt Bonn und das ist kein Karnevalsscherz Feiern und Jubeln in der Bundesstadt Bonn. Nicht nur wegen des gerade zu Ende gehenden Karnevals, sondern auch wegen der erstmaligen Verleihung des so genannten Wachstumsawards an die Bundesstadt Bonn. Das hatte 1993 niemand erwartet. Depression ging um in der Stadt. Der Beschluss des Bundestages zur Verlagerung des Regierungssitzes von Bonn nach Berlin hatte tiefe Bestürzung hervorgerufen. Eine Stadtgesellschaft sah sich am Abgrund, ausgewachsene Ministerialräte fürchteten die Verelendung und sahen sich bereits mit Sammelbüchsen vor dem Beethovenhaus in der Fußgängerzone, um zum 383

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Lebensunterhalt zusätzlich beizutragen. Doch die massive Bundeshilfe und die günstigen Standortbedingungen haben aus Bonn innerhalb von einer Generation eine blühende, lebendige und von vielen beneidete Bundesstadt am Rhein werden lassen. Sie beherbergt heute nicht nur viele moderne Unternehmen, sondern sie ist gleichzeitig auch Sitz vieler internationaler Organisationen. Der Abzug der letzten Ministerialbürokratie wurde als Abschluss eines für die Stadt außerordentlich wertvollen Paradigmenwechsels gefeiert: weg von bürokratischen Strukturen, hin zu modernen technologisch orientierten Unternehmen mit entsprechenden Arbeitsplatzangeboten für hochqualifizierte Arbeitskräfte. Während Bonn in den rund 50 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg im Wesentlichen als Regierungssitz der jungen und neuen Bundesrepublik Deutschland wahrgenommen worden war, hatte die Stadt mittlerweile ein völlig gewandeltes Image. Sowohl die Lage am Rhein, als auch das Angebot attraktiver und gut bezahlter Arbeitsplätze hatte aus Bonn eine eigenständige und selbstbewusste Kommune gemacht. Sie hatte sich - zusammen mit ihrem regionalen Umland - aus dem Windschatten und der Symbiose mit dem großen Nachbarn Köln erfolgreich herausgekämpft. Selbstverständlich - und darauf machte der Laudator zu Beginn der Preisverleihung, der Präsident des Bundesmigrationsinstitutes (mit Sitz in Bonn) besonders aufmerksam ergab sich diese Spitzenposition vor dem Hintergrund der Kompensation für den Verlust des Regierungssitzes. Gleichwohl plädierte er dafür, von Bonn zu lernen und insbesondere die Mechanismen für den erfolgreichen Aufstieg genau zu studieren, um hieraus Lehren für Entwicklungsprozesse andernorts zu ziehen. Wichtig sei gewesen, dass die Bonner nach der anfänglichen Bestürzung und Depression nicht in Untätigkeit verfallen seien, sondern vielmehr neben Forderungen an die Ebenen des Bundes Kontakte zur Wirtschaft und zu internationalen Organisationen hergestellt hätten. Natürlich könne das Modell Bonn nicht eins zu eins auf andere Kommunen übertragen werden, da es hierzu spezifische Sondereinflüsse gegeben habe. Gleichwohl sei die Strukturkrise in Bonn auch vergleichbar mit Strukturkrisen andernorts, auch wenn dort andere Branchen als ein Regierungsapparat betroffen seien. Wichtig sei es, die Stärken eines Standortes bei der Weiterentwicklung herauszuarbeiten und hierbei insbesondere auf die Potenziale und Optionen eines Standortes zu setzen. Dies sei in Bonn unzweifelhaft das internationale Renommee, die internationale Bekanntheit als Regierungssitz, die günstige Lage am Rhein sowie die Einbettung in ein vielfältiges Umfeld mit dem Oberzentrum Köln im Norden und der lieblichen Landschaft des Rheintals zum Süden und Südosten hin gewesen. Darüber hinaus verfügte Bonn über hervorragende universitäre Einrichtungen mit internationaler Ausstrahlungskraft, die zusätzliche Attraktivität für die Zuwanderung, insbesondere von jungen Leuten, ausgeübt haben. Für andere Kommunen könne daraus nur die Lehre gezogen werden, die eigenen Stärken zu definieren, sich diesen bewusst zu werden und sie dann auch offensiv in die Konkurrenz mit anderen Standorten um die vorhandenen Wachstumspotenziale einzubringen. Wie so etwas gehen könne, zeige sich durchaus erfreulich an den Zweit- und Drittplazierten, dem Kreis Paderborn und der Stadt Mülheim an der Ruhr. Der zweitplazierte Kreis Paderborn hatte schon immer eine Sonderrolle als Wachstumspol in Nordrhein-Westfalen eingenommen. Hierzu hatte zweifellos die günstige verkehrliche Erschließung und Anbindung, aber auch die Ausstattung mit sozialer und kulturel384

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ler Infrastruktur sowie Bildungsinfrastruktur beigetragen. Darüber hinaus war mit Heinz Nixdorf seinerzeit ein echter Motor der wirtschaftlichen Entwicklung im Bereich der Informationstechnologie im Kreisgebiet bzw. in der Stadt Paderborn aktiv gewesen. Hieraus hatten sich vielfältige Impulse auch nach der Übernahme durch den Weltkonzern Siemens ergeben. Vor allem aber war es die günstige Bevölkerungsstruktur mit einem hohen Überhang an jungen Menschen, die sicherstellte, dass das Paderborner Land weiterhin wachsen konnte. Es war insofern im Wesentlichen die demografische Situation, die das Bevölkerungswachstum begründete. Darüber hinaus war die Region aber auch attraktiv für eine begrenzte Zuwanderung. Beides wurde durch entsprechende kommunale aber auch regionale Maßnahmen weiter entwickelt: Es gab beispielsweise in einer Reihe von Kommunen die Möglichkeit des günstigen Baulanderwerbs für junge Familien. Auch die Ausstattung mit familienfreundlicher sozialer Infrastruktur war im Kreis Paderborn von besonderer Bedeutung. Die zuständige Landrätin betonte dann auch bei der Preisverleihung, dass es ihr ein ganz persönliches Anliegen sei, in ihrem Kreis ein ausgesprochen familienfreundliches Klima zu schaffen. Hierbei sei zum einen die religiöse Prägung in ihrem Kreis hilfreich. Zugleich hätte sich das Paderborner Land als beliebte Zuzugsregion für die jüngsten Spätaussiedler aus Osteuropa etabliert. Hierzu hätten insbesondere Kontakte des Bistums beigetragen. Die Landrätin hob besonders hervor, dass es sogar gelungen sei, durch eine Steigerung der Geburtenrate einen zusätzlichen Bevölkerungszuwachs zu erzielen, der über eine Prognose von 2004 noch deutlich hinaus gegangen sei. Insofern sei man heute mit etwa 330.000 Einwohnern größer als die erstplazierte Bundesstadt Bonn. Was in Bonn durch Zuwanderung erreicht worden sei, sei im Kreis Paderborn im Wesentlichen vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung, aber auch der besonderen familienpolitischen Anstrengungen zu sehen. Es sei vor allem auch gelungen, Frauen die Vereinbarkeit von Familien- und Berufsleben durch entsprechende Angebote seitens der öffentlichen Einrichtungen und seitens der privaten Wirtschaft zu ermöglichen. So wären Kindertagesstätten nach schwedischem Vorbild in den meisten Kommunen und Unternehmen Selbstverständlichkeiten. Der Versorgungsgrad mit entsprechenden Angeboten läge bei 120 Prozent. Dies habe in einigen Diskussionen auch die Frage aufgeworfen, ob sich der Kreis Paderborn nunmehr als DDR-Nachfolgeorganisation sehe und hier real sozialistische Zielwerte anstrebe. Sie könne aber mit solch einer Polemik überhaupt nichts anfangen, schließlich sprächen die familien- und bevölkerungspolitischen Erfolge für sich. Weniger euphorisch, aber gleichwohl zufrieden, präsentiert die Oberbürgermeisterin aus Mülheim an der Ruhr ihre relative Erfolgsgeschichte: Obwohl beim Wachstumsaward als dritter Preisträger auf dem Treppchen, konnte Mülheim an der Ruhr nicht mit einem absoluten Bevölkerungszuwachs in den letzten Jahren aufwarten. Dies war insbesondere 385

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auf eine ganz erhebliche Überalterung der Bevölkerung zurückzuführen, die dazu führte, das gerade Mülheim an der Ruhr einen erheblichen Sterbeüberhang von etwa zwölf Prozent in den letzten Jahren zu verzeichnen hatte. Obwohl die Kommune eine der reicheren insbesondere der Ruhrregion ist, konnte sie mit ihren Anstrengungen keine Trendwende in dieser Frage herbeiführen. Nach wie vor hatten auch viele jüngere Menschen ihrer ehemaligen Heimatstadt den Rücken gekehrt. Hierfür waren insbesondere Mängel in der Ausbildungsinfrastruktur verantwortlich. Gerade junge Mülheimer hatte es nach Essen und Dortmund oder auch ins Rheinland gezogen, um dort zukunftsträchtige Studien- und Ausbildungsplätze zu ergattern. Insofern machte sich die Entscheidung gegen einen Hochschulstandort in Mülheim jetzt, Jahrzehnte später, negativ bemerkbar. Andererseits war Mülheim ein zunehmend in der Region akzeptierter und wahrgenommener Wohnstandort. Schon vor 15 Jahren war es in enger Kooperation mit den Nachbarkommunen Oberhausen und Essen gelungen, einen nicht unerheblichen Teil der Abwanderung aus diesen beiden Kommunen in Mülheim anzusiedeln bzw. mit einer vorausschauenden Wohnbauflächenpolitik für Mülheim zu gewinnen. Insofern war Mülheim nunmehr eine der kreisfreien Städte, die mit einem hohen Wanderungsgewinn den exorbitanten Sterbeüberhang zumindest teilweise ausgleichen konnte. Und genau dieser Mut bei der kommunalen Politikgestaltung sollte durch den diesjährigen Wachstumsaward belohnt werden. Zwar hatte es in der Jury auch Überlegungen gegeben, den Award nach Bottrop oder Dortmund zu geben, wo ebenfalls durch eine entsprechende Flächenpolitik, gepaart mit einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik ganz gegen den Trend erhebliche Zuwanderungsraten erzielt werden konnten. Doch beide Städte waren bereits bei anderen Preisverleihungen und Gelegenheiten ausgezeichnet worden, so dass man mit Mülheim an der Ruhr auch einmal eine neue Stadt mit ihrer Strategie präsentieren wollte. Die Oberbürgermeisterin ließ dann auch keinen Zweifel daran, dass Mülheim an der Ruhr weiterhin ein Standort sei, mit dem in der Region und darüber hinaus zu rechnen sei. So verwies sie darauf, dass durch das vor geraumer Zeit begonnene Projekt „Ruhrbania“ nunmehr völlig neue Qualitäten entlang der Ruhr entstanden seien. Mülheim an der Ruhr gehöre heute nicht nur zu den attraktivsten Wohnstandorten der Region, sondern habe auch im Büroflächenangebot am Fluss in der Zwischenzeit auf die Konkurrenten in der Region, namentlich Essen und Duisburg, Boden gutgemacht. Sie plädierte vor diesem Hintergrund dafür, die Visionen bei der Stadtentwicklung nicht zu kurz kommen zu lassen. Auch das Projekt „Ruhrbania“ sei zunächst in Mülheim belächelt und allenfalls als sympathisches Wortspiel eingeordnet worden. Erst als die Gebrüder Albrecht in ihrem Bekanntenkreis davon berichtet hätten, dass die Firma Aldi, aber auch die Firma Tengelmann, großen Wert darauf legen würden, dass ihr Firmensitz Mülheim an der Ruhr durch diese städtischerseits angedachten Maßnahmen ein neues Profil erhalten sollte, fanden sich relativ schnell private Investoren, die zur Mitarbeit an diesem Projekt bereit waren. Dieses wäre allerdings nie zustande gekommen, wenn nicht eine ambitionierte städtebauliche Konzeption entwickelt worden wäre.

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Freitag, 28. Juni 2024 - in Gütersloh: Präsentation der durch einen Medienkonzern unterstützten Studie des Zukunftsrates Nordrhein-Westfalen zum Thema „Starke Regionen im Prozess“ Gütersloh - von vielen als Provinz belächelt, aber Sitz eines Weltkonzerns. Dieser hatte eine Studie des Zukunftsrates Nordrhein-Westfalen finanziell unterstützt. Daher wurde die von allen mit Spannung erwartete Präsentation auch im Westfälischen durchgeführt. Der Zukunftsrat Nordrhein-Westfalen hatte sich in der Vergangenheit schon mehrfach um Zukunftsfragen gekümmert. So hatte etwa der seinerzeitige Ministerpräsident Clement Ende 2001 eine Gruppe von Bürgern aus allen Lebensbereichen aufgefordert, Zukunft zu denken. Seinerzeit war auch schon einmal über die Stärkung des Regionalen bzw. eine Stärkung der regionalen Kooperation nachgedacht worden. Die regionale Komponente, die Region als Allheilmittel der Problemlösung, ja als „Zauberwort“ zur Zukunftsbewältigung, hatte schon immer eine große Rolle in den Debatten und Überlegungen gespielt. Regionale Kooperation war gerade in Nordrhein-Westfalen nichts Neues. So hatten beispielsweise der Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk oder auch der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr sowie die Emschergenossenschaft und der Lippeverband deutlich gemacht, dass aus guten Gründen regionale Kooperation sinnvoll und effizient gestaltet werden kann. Im Hinblick auf die administrativen Abgrenzungen war immer wieder der Regionszuschnitt in Nordrhein-Westfalen diskutiert worden. Hierbei konnte man sich aber nicht auf eine regionale Zuordnung verständigen. Daran hatte auch das Gesetz zur Stärkung der Kommunen und Regionen in Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2006 nichts geändert. Vielmehr hatten sich geradezu anarchisch immer wieder neue regionale Kooperationsformen unterschiedlichster Akteure entwickelt. Dies wurde vorübergehend auf die griffige Formel „Region ist ein Prozess“ gebracht. Mittlerweile aber hatten sich so unüberschaubare regionale Kooperationsmuster entwickelt, dass sich der Ruf nach einer einheitlichen regionalen Aufteilung Nordrhein-Westfalens verstärkt hatte. Vor allem sollte auch durch eine Neugliederung der Bezirksgrenzen und durch eine Abschaffung der Landschaftsverbände und sonstiger regional tätiger Einrichtungen der Weg freigemacht werden für eine zukunftsfähige regionale Neugliederung des Landes, einhergehend mit entsprechenden Verwaltungszuordnungen durch das Land und die Kommunen. Also viel Zündstoff. Es war deshalb auch nicht überraschend, dass neben einem großen Aufgebot an Wissenschaftlern viele Praktiker in Zusammenarbeit mit Unternehmen, Verbänden und den Vertretern der Zivilgesellschaft an der Erarbeitung der Studie beteiligt waren. Dies war der ausdrückliche Wunsch der Auftraggeber gewesen. Zumindest hatte sich bei allen Beteiligten die Überzeugung durchgesetzt, dass man nur gemeinsam und in Kooperation diese drängende Zukunftsfrage der Regionalen Kooperation würde bewältigen können. Frei nach der Erkenntnis, dass gutes Beispiel Rede spare, hatten die Mitglieder des Zukunftsrates 20 Beispiele einer gelungenen regionalen Entwicklung aus dem In- und 387

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Ausland zusammengestellt. Mit der Auswahl dieser Beispiele sollte insbesondere belegt werden, dass regionale Kooperation dann besonders effektiv ist, wenn es sich bei ihr um eine strategische Allianz auf Zeit mit bestimmten Zielen und einem begrenzt zugeordneten „Instrumentenkasten“ handelt, auf den sich die relevanten Akteure zu Beginn des Prozesses im Grundsatz verständigt haben. Im Hinblick auf die Frage, wie Interessenkonflikte auch im Rahmen der regionalen Kooperation ausgeglichen bzw. begrenzt und behoben werden können, wurden ebenfalls Beispiele vorgestellt, die sich im Wesentlichen auf bewährte Klärungsmuster stützen. Insofern machte der Zukunftsrat auch deutlich, dass man bei der Entwicklung regionaler Kooperationsmodelle nicht auch juristische oder finanzielle Regelungsmechanismen völlig neu entwickeln muss, sondern auf bewährte rechtsstaatliche Prinzipien zurückgreifen kann. Auf jeden Fall sollte diese nicht in den Vordergrund der Betrachtung gestellt werden, wenn es darum geht, Probleme im regionalen Zusammenhang anzugehen. Die Diskussion dazu versperrt den Weg hin zur Lösung dieser Probleme. Aus Nordrhein-Westfalen waren gleich drei regionale Projekte in die Best-Practice-Liste gelangt: Region Ruhr 2030, Fluss Stadt Land und die Regionale Initiative Rheines Vergnügen, ein Kooperationsprojekt von Bonn bis Wesel. Diese Auswahl überraschte schon ein wenig. Sie belegt allerdings, dass sich Projekte, die zunächst aus einem informellen Zusammenhang gestartet waren, in der Zwischenzeit institutionell etabliert hatten und zu echten regionalen Größen herangewachsen sind. Dies war sowohl bei Fluss Stadt Land der Fall, als auch bei der Region Ruhr 2030, die aus dem Zusammenschluss von acht Kerngebietsstädten der Ruhrregion entstanden war. Alle drei Projekte waren zunächst als Spielwiesen für die politisch-administrativen Eliten der Region kritisch beäugt worden. Es hatte sich aber relativ schnell herausgestellt, dass sie durchaus in Kooperation mit anderen regionalen Akteuren für die Entwicklung ihrer Region wesentliche Impulse setzen konnten. Die wurden dann auch von der Bevölkerung mitgetragen und verstärkt. Insofern wurden sie als Beispiele für Initiativen aus der Mitte der Region ohne Steuerung oder Gängelung von oben gepriesen. Der Zukunftsrat präsentierte drei weitere Beispiele aus der Bundesrepublik, nämlich den Zweckverband Region Stuttgart (ZRS), das Städtenetz Kultur bestehend aus Weimar, Leipzig und Dresden, sowie die Region Großraum Hannover, die in Kürze ergänzt werden sollte um die Region Wolfsburg-Braunschweig. Allen drei Beispielen war gemeinsam, dass sie über Jahre konsequent und erfolgreich an der wirtschaftlichen Entwicklung ihrer Region gearbeitet haben. Das Kulturdreieck Weimar, Leipzig, Dresden hatte insbesondere in kulturwirtschaftlicher Hinsicht Hervorragendes geleistet. Dieser Raum gehörte mittlerweile neben der Ruhrregion zu den kulturell herausragenden Räumen in Europa, weil hier ein geradezu unglaubliches Angebot kultureller Darbietungen über das ganze Jahr erlebt werden kann. Dies hatte zu einer ganz erheblichen Förderung des Fremdenverkehrs, aber auch zur Ansied388

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lung von kulturwirtschaftlich orientierten Arbeitsplätzen beigetragen. Hierbei haben sich Weimar als Stadt der Dichter und Denker, Dresden mit der Semperoper und Leipzig mit dem Gewandhausorchester als Kristallisationspunkte für das Aufblühen einer europäischen Kulturlandschaft der besonderen Art herausgestellt. Auch der Zweckverband Region Stuttgart hatte gezeigt, das wirtschaftlich bedingte Krisen zu meistern sind, wenn alle relevanten Akteure einer Region aktiv zusammenarbeiten. Auslöser für die Bildung des Zweckverbands als Weiterentwicklung früherer regionaler Strukturen war die Krise des Daimler-Chrysler-Konzerns vor zehn Jahren. Damals war es aufgrund von Fehlentscheidungen des Managements zu einer in der Region nie für möglich gehaltenen Strukturkrise gekommen. Die Absatzzahlen gingen in den Keller. Die damit einhergehenden Konsequenzen - Arbeitsplatzabbau, Bevölkerungsverlust, Rückgang kommunaler Steuereinnahmen - gingen selbst an Nachbarkommunen wie Sindelfingen nicht spurlos vorbei. Es war diese Strukturkrise, die im Schwäbischen auch zu einem politischen Umbruch führte und der langjährigen Oppositionsführerin den Wechsel ins Amt der Regierungschefin erlaubte. Ihre Amtsvorgängerin riet ihr, von Seiten der Landesregierung die Initiative für eine bessere regionale Kooperation zu ergreifen. Die neue Ministerpräsidentin nahm den Rat dankend an und setzte sich sofort mit den Oberbürgermeistern sowie den Vorstandsetagen der zehn größten Unternehmen in der Region an einen Tisch, um Krisenmanagement zu betreiben. Im Ergebnis wurde der Zweckverband Region Stuttgart mit den Kernkompetenzen Ausbildungsförderung, Innovationsförderung und Regionalmarketing auf den Weg gebracht. In der Best-Practice-Liste des Zukunftsrates waren darüber hinaus 14 ausländische Beispiele aufgeführt und dokumentiert: Städtekooperation Kopenhagen - Malmö, Randstad in Holland, die Region Valencia, die Region Cilento in Süditalien und die Region Balaton, um nur einige Beispiele zu nennen. Allen gemeinsam war die Strategie, regionale Stärken zu erkennen und diese für die Stärkung der regionalen Kraft zu nutzen. Dabei war es sowohl um Fragen der kulturellen Entwicklung, der Integration von unterschiedlichen Volksgruppen, der Förderung des Tourismus, der Beseitigung von ökologischen Schäden, der Förderung innovativer Wirtschaftsunternehmen oder auch die Einbeziehung älterer Menschen in den gesamtgesellschaftlichen Lebenszusammenhang gegangen. Die Vorsitzende des Zukunftsrates betonte bei der Vorstellung der Studie unter anderem, dass es jetzt darum gehen müsse, die zusammengestellten Erkenntnisse möglichst schnell in praktisches Handeln für die Regionen in Nordrhein-Westfalen zu nutzen. Sie setze hierbei aber auf die gerade bekanntgegebene EXPO-Bewerbung für das Jahr 2030. Die Bewerbung um die Weltausstellung könne nur dann erfolgreich sein, wenn alle Akteure sich schnell verständigen und nach dem Grundsatz handeln: Reden ist Silber, Handeln ist Gold.

Donnerstag, 9. September 2027 - in Siegen: Beginn des europäischen Kongresses zur Diskussion städtischer Zukünfte in der Siegerlandhalle Siegen: Eine Stadt mit diesem Namen muss sich keine Sorgen machen: Sie wird immer wieder gerne besucht. Hier kann man sich einstimmen auf Wahlkämpfe, hier kann man 389

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Preisverleihungen vornehmen oder über Stärken und Zukunftsstrategien wunderbar reden. Der Name dieser Stadt ist für alle, die hierher kommen, immer wieder Programm. Siegen selbst hat davon durchaus profitiert und auch den Strukturwandel über Erwarten gut bewältigt. Es sah insbesondere nach den Einbrüchen in der Metallindustrie nicht so rosig aus, aber gerade der hohe Anteil von qualifizierten Facharbeitsarbeitskräften hat dazu beigetragen, dass sich relativ schnell neue Unternehmen am Standort angesiedelt haben, so dass man im Prinzip auch mit der osteuropäischen Konkurrenz gut mithalten konnte. Insofern war der Ort für eine europäische Konferenz über urbane Zukünfte gut gewählt. Der westfälische Regierungspräsident, seine Freunde sprachen seit seiner Berufung vor fünf Jahren nur noch vom „Kaiserreich“ Westfalen, ließ es sich deshalb natürlich nicht nehmen, die Gäste herzlich im Namen der Landesregierung zu begrüßen. Er machte allerdings deutlich, dass seine Amtszeit bald zu Ende gehe, da die Regierungsbezirke abgeschafft worden seien und nunmehr durch neue kommunal verfasste Strukturen ersetzt würden. Er selbst begrüße diesen Vorgang außerordentlich. Schließlich käme er ja auch aus der kommunalen Familie und habe immer für eine kommunal verfasste Regionalentwicklung geworben. Heute sei nun die Gelegenheit, die nordrhein-westfälischen Erfahrungen beim Anpacken von Problemen zu präsentieren. Er sei sehr stolz, dass viele der auf dieser Konferenz präsentierten Best-Practice-Beispiele aus Westfalen kämen, aber auch aus den beiden anderen Landesteilen Region Ruhr und Rheinland. Ganz besonders begrüße er aber die zahlreich angereisten Vertreter bürgerschaftlichen Engagements. Dies mache deutlich, dass im Unterschied zu früheren Konferenzen, bei denen überwiegend Wissenschaftler sowie Vertreter öffentlicher Verwaltungen angereist seien, nunmehr Europa tatsächlich bei den Menschen angekommen sei. Es sei offensichtlich gelungen, dass die Zivilgesellschaft und das bürgerschaftliche Engagement in weiten Feldern das seinerzeit administrativ bürokratisch öffentlich-rechtlich aufgestellte Handeln von Politik und Verwaltung substituiert haben. Aus früheren Alltagsexperten seien heute sehr qualifizierte Mitstreiter bei der Organisation von Stadt- und Regionalgesellschaften geworden. Was zunächst erst in kleinen Gemeinden begonnen habe, sei heute auch in Groß- und Mittelstädten gang und gäbe: die Bürger würden wesentliche Elemente der kommunalen Daseinsvorsorge selbst organisieren und dadurch einen ganz erheblichen Beitrag zum Abbau von öffentlicher Verwaltung leisten. Der Regierungspräsident hebt in seiner Begrüßungsansprache auf die Bewerbung des Landes Nordrhein-Westfalens um die EXPO Weltausstellung im Jahr 2030 ab. Das ganze Land fiebere der Entscheidung entgegen. So etwas habe er noch nicht erlebt. Er hoffe sehr, dass Nordrhein-Westfalen sich gegen die Konkurrenz aus Singapur, Sao Paulo, Kapstadt und den europäischen Mitbewerber Barcelona durchsetzen könne. Die Inhalte der nordrhein-westfälischen Bewerbung sollten auf dieser europäischen Konferenz noch einmal präsentiert werden, da sie den Weg des Landes in die europäische Zukunft sehr gut beschreiben. Er erwähnt in diesem Zusammenhang insbesondere die völlig neuen Kooperationsformen zwischen den beteiligten Akteuren. Die alten Interaktionsmuster seien durch pragmatische, ideologiefreie und erfolgsorientierte Vorgehensweisen abgelöst worden. In sei390

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ner Heimatstadt Arnsberg - demnächst Sitz des Verbandsparlamentes Westfalen - hätte beispielsweise eine völlig neue Kultur des Kümmerns dazu beigetragen, dass es zu einer sehr nachhaltigen Stadt- und Raumpolitik gekommen sei, an der alle relevanten Akteure teilnehmen. Man sei heute in Arnsberg stolz auf einen effizienten städtischen Nahverkehr, eine vorbildliche Umweltmanagementplanung und eine an Energieeffizienz und Qualität ausgerichtete Baupolitik. Das seien Themen, die ja schon durch die Kommission der Europäischen Gemeinschaften in der Mitteilung „Entwicklung einer thematischen Strategie für städtische Umwelt“ (KOM (2004) 60 endg.; Ratsdokument 6462/04) im Jahre 2004 benannt wurden. Der Regierungspräsident dankte für die Aufmerksamkeit und bat unter dem Applaus der Zuhörer Krista Pikkat, die aus Estland stammende Kommissarin für europäische Nachhaltigkeitspolitik, ans Mikrofon. Die Kommissarin - lange Jahre kulturpolitische Sprecherin bei der UNESCO und danach als Ministerin in ihrem auf Modernität und technische Effizienz getrimmten Heimatland - begrüßte das Auditorium in perfektem Deutsch und übermittelte die Grüße der gesamten Kommission, insbesondere des Kommissionsvorsitzenden Koch, der hier an der Grenze zu Hessen sicherlich kein Unbekannter sei. Sie komme gerade aus Toronto zurück, wo sie an den Beratungen für die Vergabe der Weltausstellung 2030 teilgenommen habe. Auch wenn das Ergebnis zeitgleich gerade in Toronto der Weltöffentlichkeit präsentiert würde, wolle sie natürlich die frohe Botschaft gerne auch hier in Siegen verkünden: Nordrhein-Westfalen war erfolgreich und erhält den Zuschlag für die Ausrichtung der EXPO 2030! Im Saal brach grenzenloser Jubel aus, der Regierungspräsident war ganz aus dem Häuschen, wie es ihm sonst nur von den Siegen Borussia Dortmunds gegen Bayern München vertraut war. Die Medienvertreter schickten sofort Urgent-Meldungen heraus und telefonierten mit ihren Zentralredaktionen. Erst nach 20 Minuten konnte die Kommissarin ihre Rede fortsetzen. Sie berichtete aus den Beratungen der Globaljury, die letztlich die Entscheidung zur EXPO zu treffen hatte. Gerade ihr als europäischer Nachhaltigkeitskommissarin sei es eine große Genugtuung, dass eine europäische Region bei der Bewerbung erfolgreich war. Dies sei offensichtlich darauf zurückzuführen gewesen, dass gerade in Nordrhein-Westfalen die auch aus europäischer Perspektive richtigen Schritte in der Städtepolitik und in der Regionalentwicklung gemacht worden seien. Wie schon ihr Vorredner am Beispiel Arnsberg verdeutlicht habe, sei in NordrheinWestfalen eine nachhaltige Städtepolitik auf den Weg gebracht worden. Dies habe offensichtlich auch mit den Bemühungen des Landes, speziell des nordrhein-westfälischen Landtages, zu tun. Offensichtlich hat es Nordrhein-Westfalen geschafft, im Rahmen einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Raumpolitik sowohl in Kommunen als auch in Regionen die mobilitätsbedingten Immissionen im Verkehrsbereich deutlich zu reduzieren, den städtischen 391

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Nahverkehr auf umweltfreundliche Verkehrsträger auszurichten und durch die Verknüpfung verschiedener Verkehrsträger eine hohe Mobilitätseffizienz zu erzielen. Durch die Förderung kommunaler und regionaler Umweltmanagementsysteme sei es gelungen, die Energieeffizienz an Gebäuden zu steigern, den Energieverbrauch insgesamt zu senken, die Abfallwirtschaft ökologisch effizient zu organisieren und darüber hinaus die Nutzung fossiler Brennstoffe für Heizzwecke durch eine Umstellung auf Fernwärme nahezu zu halbieren. Insbesondere bei der Stadtgestaltung sei es gelungen, kompakte Städte mit einer vielfältigen Raumstruktur und einem attraktiven Gebäudebestand zu schaffen. Viele nordrhein-westfälische Städte würden sich dem Charakter nach heute als Gartenstädte präsentieren und dabei sowohl den Freizeitansprüchen der Bewohner, als auch den stadtökologischen Erfordernissen, wie Biotopvernetzung und Freiraumschutz genügen. Insbesondere sei es aber auch gelungen, durch die Ausformung eines regionalen Architekturverständnisses eine qualitativ hochwertige Neubautätigkeit und Bestandsmodernisierung zu initiieren und so den Strukturwandel von der grauen Maus hin zu einem auch für Kalatrawa und Ingenhoven interessanten Stadtorganismus zu organisieren. Das Bauen auf der so genannten Grünen Wiese sei insbesondere in der Metropolregion Ruhr völlig zum Erliegen gekommen. Stattdessen würde Landschaft zurückgewonnen und für die qualitative Aufwertung der Wohn- und Wirtschaftstandorte erhebliche Anstrengungen unternommen. Offensichtlich sei es allen Akteuren gelungen, ihre Aktivitäten horizontal zu vernetzen und zu integrieren und darüber hinaus aber auch eine ebenenübergreifende vertikale Kooperation zugunsten der kommunalen und regionalen Entwicklung herzustellen. Dies sei in dieser Form in Europa nach ihrer Kenntnis einmalig. Der nun auch international anerkannte Prozess sei zwar von den politisch technokratischen Eliten in Politik und Verwaltung angestoßen worden, aber dann von anderen Akteuren beherzt mitgestaltet worden. Man könne heute feststellen, dass keine Kluft mehr bestehe zwischen Politik und Verwaltung auf der einen Seite und Bevölkerung, Wirtschaft, Verbänden und Bürgerinitiativen auf der anderen Seite. Es sei offensichtlich gelungen, eine nordrhein-westfälische Version der Zivilgesellschaft zu entwickeln, die auf sich entwickelnde Probleme sehr schnell eine adäquate Antwort fände. Dieses Modell der Problembewältigung und Zukunftsgestaltung wäre auch bei der Analyse mittels Nachhaltigkeitsindikatoren als eindeutiger Sieger bei der EXPO-Bewerbung hervorgegangen. Insofern freue sie sich, dass in Nordrhein-Westfalen offensichtlich das gelungen sei, was schon früher eingefordert worden war: von anderen Kommunen und anderen Ländern Erfahrungen zu übernehmen und auf den eigenen Gestaltungszusammenhang zu übertragen bzw. für den eigenen Gestaltungszusammenhang nutzbar zu machen. Wenn dies heute nun hier in Siegen durch die verschiedenen Akteure präsentiert würde, so könne dies sicherlich wiederum ein wichtiger Impuls für die europäische Nachhaltigkeitspolitik sein. Sie wolle deshalb die Veranstaltung unter das Motto „Von Siegen lernen!“ stellen.

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Das Kapitel Handlungsempfehlungen enthält einen zusammengefassten Überblick der Empfehlungen aus den Kapiteln B1 bis C4. Sie sind thematisch neu gegliedert und auf die wesentlichen Aussagen gekürzt. Da die Empfehlungen des Berichts damit zwangsläufig aus dem ursprünglichen Kontext herausgenommen werden müssen und die jeweiligen Intentionen und Begründungszusammenhänge an dieser Stelle nicht ausgeführt werden, sind die nachfolgenden Ausführungen als grobe Übersicht der Ergebnisse der Enquetekommission zu verstehen. Die im Folgenden zusammengestellten Handlungsempfehlungen sind in dieser verkürzten Form und ohne den Kontext nicht zitierfähig. Es ist zu empfehlen, jeweils auf die in den einzelnen Kapiteln ausführlicher erläuterten Darstellungen zurückzugreifen.

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B3 B4 B5 C3

Standorte der Städte und Regionen profilieren In der künftigen Standortpolitik der Städte und Regionen wird es darauf ankommen, ihre spezifischen Begabungen und komparativen Vorteile herauszubilden und sich dementsprechend im Wettbewerb der Standorte zu positionieren. Wirtschaftsförderung ist vorrangig zwar eine kommunale Aufgabe, das Land kann und sollte dennoch die Stadtregionen bei der regionalen Positionierung unterstützen. Landespolitik sollte einen übergeordneten Blick ermöglichen, Chancen und Potenziale erkennen und den wirtschaftlichen Strukturwandel begleiten. Für Kommunen, Regionen und Landespolitik sind dabei die folgenden Ansätze wesentlich:

C4

• Die Städte müssen durch lokale Stärken- und Schwächenanalysen Ansatzpunkte für mögliche Entwicklungsperspektiven, Handlungsschwerpunkte und gegebenenfalls Alleinstellungsmerkmale finden, um ihre komparativen Vorteile entwickeln und ausbauen zu können. • Zur aktiven Unterstützung können seitens des Landes in Abstimmung mit den Städten und Regionen Kompetenzfelder definiert, Kooperationen angeregt und der Wettbewerb konstruktiv begleitet werden. • Die Entwicklung von Kompetenzclustern muss bei den vorhandenen Wirtschaftsstrukturen und den bereits profilierten Stärken ansetzen. Dabei ist die Ausprägung von Monostrukturen zu verhindern. • Eine Standortprofilierung wird in der Regel regionale Kooperationen erfordern, die auf die Stärken von Stadtumlandregionen oder von funktional verflochtenen Regionen aufbaut. Diese sind im Rahmen einer strategischen Förderpolitik des Landes zu unterstützen. • Insbesondere dort, wo regionale Kooperationen sinnvoll und notwendig erscheinen, liegt es an der Landespolitik, die dafür erforderlichen verwaltungstechnischen Voraussetzungen zu schaffen, Abstimmungsprozesse zwischen den Kommunen anzuregen und sie moderierend zu unterstützen. • Um insbesondere kleinere und mittlere Städte in der Profilierung ihrer Standortpolitik beratend zu unterstützen, sollte das Land Erfahrungen aus den Städten auswerten und diese für verschiedene Stadttypen aufbereiten.

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Kommunale Wirtschaftsförderung muss im Zuge der Entwicklung hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft ganzheitlich ausgerichtet und gezielt mit der Stadtentwicklung verknüpft werden. Dabei stellen insbesondere die Förderung von technologischen Innovationspotenzialen und Wissenskulturen im Sinne einer integrierten Medien-, Kommunikations- und Stadtentwicklungspolitik wesentliche Profilierungspotenziale für eine zukunftsorientierte Entwicklungsstrategie dar. Vor diesem Hintergrund sind attraktive Wohn- und Stadtqualitäten insbesondere für innovative Branchen von Bedeutung. Mit einer wissens- und technologieorientierten Profilbildung der Städte und Regionen sind im Wesentlichen verbunden: • Hochwertige Dienstleistungen (Unternehmensberatungen, Medienwirtschaft, Finanzdienstleistungen etc.), intraregionale Netzwerke und räumliche Nähe müssen bei der Entwicklung weicher Standortfaktoren berücksichtigt werden. • Zur Förderung und (räumlichen) Bindung insbesondere von Wissensmilieus ist die Verknüpfung von attraktiven kulturellen und gastronomischen Angeboten mit neuen Beschäftigungsmöglichkeiten in innovativen Industriezweigen, Medien, Kommunikation und Hochschulen im Rahmen der Stadtentwicklung zentrale Voraussetzung. • Das Land sollte ein Konzept für eine integrierte Medien-, Kommunikations- und Stadtentwicklungspolitik entwerfen. Denkbar ist ein Städtewettbewerb zum Thema technologieorientierte Stadtentwicklungskonzepte und die Einrichtung einer internet-gestützten Datenbank von Good Practices von erfolgreichen Beispielen im Informations- und Kommunikationssektor.

B4 B5 B6

Durch integrierte Konzepte Lebens- und Stadtqualitäten entwickeln Angesichts anhaltender Abwanderungen aus den Verdichtungsräumen und zunehmender sozialer Segregationstendenzen ist eine deutliche Stärkung der Lebensqualitäten in den Städten erforderlich, die sich zudem auf eine steigende differenzierte Nachfrage einstellt. Die unterschiedlichen demografischen Entwicklungen in den Regionen erfordern die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher stadtpolitischer Entwicklungsstrategien. Dort, wo 397

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der Markt nicht selbst eine Sockelversorgung für die Zielgruppen der sozialen Wohnraumförderung sicher stellt, muss eine öffentliche Förderung erfolgen. Vor diesem Hintergrund sollten Ansätze der Stadtentwicklung, des Wohnungsbaus und der Sozialpolitik durch die Förderung integrierter Ansätze aufeinander abgestimmt und die Steuerungskompetenz stärker auf die lokale Ebene übertragen werden: • Zur Mobilisierung städtischen Baulands ist eine städtische Wohnungsmarktpolitik, gekoppelt mit einem aktiven Bodenmanagement erforderlich. Insbesondere ist ein preiswertes innerstädtisches Baulandangebot zu gewährleisten. • Je nach Situation der Teilmärkte sind dabei unterschiedliche Schwerpunktsetzungen beim Angebot von Ein- und Zweifamilienhäusern oder Geschosswohnungen erforderlich. Die Förderung insbesondere von innerstädtischem Wohneigentum ist zu forcieren, um einkommensstabile Bevölkerungsgruppen in den Städten zu halten und die städtische Gesellschaft zu stabilisieren. • Als nennenswerter Beitrag zur Innenentwicklung sind die Entwicklungspotenziale reaktivierter Brach- und Konversionsflächen für bauliche Nutzungen und ebenso zur Aufwertung des Wohnumfelds durch Freiflächen zu nutzen. Die Kommunen sollten dabei für zusätzliche Aufwendungen von Seiten des Landes unterstützt werden. Grundsätzlich sollte die vorhandene Bausubstanz auch für neue, unkonventionelle Wohn- und Arbeitsformen erschlossen werden. • Die Bevölkerungsstagnation oder -abnahme muss für eine umfassende Anpassung der Wohnungsbestände an die aktuellen Erfordernisse des Marktes und neuer Haushaltstypen genutzt werden. Bei Neubau-, aber auch bei Bestandsquartieren sollten hohe städtebauliche und architektonische Qualitäten umgesetzt werden, um attraktive Angebote für unterschiedliche Nachfragegruppen zu gewährleisten. Diese sind beispielsweise durch städtebauliche Wettbewerbe zu realisieren. • Sowohl im Bestand als auch in Neubauquartieren sollte verstärkt den Erfordernissen neuer Lebensstile und Haushaltstypen im Rahmen von milieuorientierten Entwicklungsstrategien Rechnung getragen werden. Im Hinblick auf die Alte398

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Empfehlungen an die Landespolitik

rung der Bevölkerung sind dabei unter anderem auch die unterschiedlichen Bedarfe für altengerechte Wohnungsangebote zu berücksichtigen. • Sowohl in Grund-, als auch in Ortsteil- und Stadtteilzentren sollte eine wohnortnahe Versorgung gesichert werden. Gegebenenfalls sind hier seitens der Kommunen und des Landes neue, unkonventionelle Konzepte zu entwickeln. • Hinsichtlich der Sicherheitsanforderungen im öffentlichen Raum müssen die Schnittmengen und Wechselwirkungen zwischen Polizei, Ordnungsamt und Sozialarbeit besser als bisher genutzt werden. • Die Entwicklung öffentlicher Räume sollte die Aktivität und das Leben im Straßen- und Stadtraum aufwerten. Bei der Gestaltung sind vor Ort relevante Akteure und Bewohner aktiv einzubinden. Eine Weiterentwicklung bereits bestehender Initiativen und eine Strategieplanung des Landes könnte die Aktivitäten für die Wiedergewinnung des öffentlichen Raums unterstützen.

B2 B6

Demografische Entwicklung als Chance für den Stadtumbau nutzen In der Stadtentwicklung und Stadtplanung ist ein grundlegender Paradigmenwechsel erforderlich, der angesichts der demografischen Prozesse vorrangig die Verbesserung der Lebensqualität in der Stadt zum Ziel hat. Hiermit ist eine Umorientierung vom Neubau zur Bestandsentwicklung und städtebaulichen Aufwertung verbunden. Schrumpfung ist als Chance für neue und weniger verdichtete innerstädtische Nutzungen von Wohnen und Arbeiten sowie für die Schaffung von Freiraumqualitäten zu betrachten. Der Stadtumbau bedarf einer integrierten ressortübergreifenden Planung und Förderung durch den Bund und das Land. Im Falle einer unvermeidbaren und deutlichen Bevölkerungsabnahme ist seitens der betroffenen Kommunen im Rahmen des Stadtumbaus eine Anpassung an Schrumpfungsprozesse aktiv zu gestalten: • Rückbau- und Modernisierungsmaßnahmen sind in gesamtstädtische Handlungsstrategien in Form von integrierten und auch regional abgestimmten Entwicklungskonzepten einzu399

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binden. Dabei sind sowohl die Bewohner als auch die ansässige Wohnungswirtschaft aktiv in den Umbauprozess einzubeziehen. • Je nach örtlicher Situation gilt es, Strategien des Rückbaus, der Modernisierung und Bestandsentwicklung, der Aufwertung von Wohnungsbeständen und des Wohnumfelds sinnvoll zu kombinieren. • Rückbau und punktueller Abriss sind legitime Reaktionen auf den Schrumpfungsprozess. Im Anschluss sind neben Aufwertungen des Wohnumfelds marktgerechte Neubauformen für eine Nachfrageanpassung zu empfehlen. • Der Rückbau und gegebenenfalls Abriss von Immobilien liegt in erster Linie in der Verantwortung der Wohnungswirtschaft. Damit ist eine erhebliche Aufwertung der verbleibenden Wohnungsbestände verbunden, so dass es einer grundsätzlichen öffentlichen Förderung nicht bedarf. Lediglich bei einzelnen spezifischen Problemimmobilien, die eine städtebauliche Aufwertung oder öffentliche Investitionen massiv behindern, ist eine Förderung gerechtfertigt. • Beim Abriss öffentlich geförderter Wohnungsbestände sind Möglichkeiten der Übertragung von Restbuchwerten auf andere Bestände, Tilgungsverlängerung, Zinsaussetzung oder auch Verzicht auf die Rückzahlung von Förderdarlehen zu prüfen. Zudem bedarf es einer Wertberichtigung der Bilanzen von Altimmobilien. • Öffentliche Förderung sollte vornehmlich bei den notwendigen Rahmenbedingungen für einen Stadtumbau ansetzen. Neben einer Unterstützung der Kommunen für die Erarbeitung von gesamtstädtischen Entwicklungskonzepten ist vor allem eine öffentliche Förderung für den Rückbau sowie die Anpassung der Infrastruktur, die die Städte nicht alleine bewältigen können, erforderlich.

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B5 B6 B7 C4

Gesellschaftliche Integration und Partizipation forcieren Insbesondere in den Ballungszentren ist der durch die Suburbanisierung und den Bevölkerungsrückgang zunehmenden Gefahr einer Polarisierung der Stadtgesellschaft aktiv entgegenzuwirken. Die gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft durch den Zugang zu Arbeit, Bildung, gesellschaftlicher Partizipation und Wohnen etc. ist grundsätzlich für alle Bevölkerungsgruppen zu sichern. Angesichts der Tatsache, dass die Integration zunehmend schwieriger wird und Segregationsprozessen nur schwer entgegengewirkt werden kann, sie häufig sogar unumkehrbar sind, haben für die Kommunen vorsorgende Strategien und integrierte Handlungsansätze zur Stabilisierung der Quartiere besondere Bedeutung. Bei der Erarbeitung derartiger Strategien sollten folgende Aspekte einen Rahmen bilden: • Zur Prävention weiterer sozialräumlicher, ethnischer oder demografischen Segregationsprozesse ist eine sorgfältige Beobachtung der strukturellen Veränderungen in den Quartieren erforderlich. Durch kleinräumige Sozialraumanalysen können frühzeitig Erfordernisse für Interventionen erkannt und umgesetzt werden. • Stadteilpolitik sollte sich stärker an den spezifischen Milieustrukturen in den Quartieren unter Beteiligung der entsprechenden Bevölkerungsgruppen orientieren. • Das Bund-/Länderprogramm Soziale Stadt ist fortzusetzen und weiterzuentwickeln. Dabei sind insbesondere die ebenen- und ressortübergreifenden Ansätze von Bedeutung. • In Stadtteilbüros sollten im Sinne einer Sozialraumorientierung alle Beratungs- und Hilfsangebote kommunaler und freigemeinnütziger Träger gebündelt und bürgernah aus einer Hand angeboten werden. Dabei sollten Stadtteilbüros ebenfalls als so genannte niedrigschwellige Anlaufstellen der Bürger für Beschwerden, Anregungen und vor allem des bürgerschaftlichen Engagements genutzt werden. • In sozial benachteiligten Quartieren sollten seitens der Kommunal- und Landespolitik Schulen, Kinderbetreuungs- und sonstigen Bildungseinrichtungen gezielt gefördert werden. Insbesondere Ganztagsangebote und die Sprachförderung 401

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in multiethnischen Klassenverbänden sind zentrale Ansätze, vor allem benachteiligten Kindern frühzeitig die gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Auf diese Weise sind ebenfalls Quartiere, in denen ein „Kippen“ der Sozialstrukturen droht, dauerhaft zu stabilisieren und einkommensstabile Bevölkerungsgruppen zu halten. • Möglichkeiten der Interessenwahrnehmung sowie der politischen und stadtgesellschaftlichen Partizipation von Ausländern sind auf der Grundlage von bereits vorhandenen Selbsthilfepotenzialen von Migranten in den Kommunen aktiv zu unterstützen. Eine dauerhafte Stabilisierung eines Wohnquartiers bedarf einer engen Verknüpfung von Maßnahmen der Infrastruktur und des Wohnumfelds mit der Wohnraumförderung und Modernisierung. Das Land sollte auf der Grundlage von abgestimmten Entwickklungskonzepten und Zielvereinbarungen investive und nichtinvestive Handlungsansätze für zielgruppenorientierte Wohnungsangebote integriert fördern. Aufgrund der unterschiedlichen Problemlagen sollte über den Einsatz und das Verhältnis der Instrumente im Rahmen einer budgetierten Förderung flexibel in lokaler Verantwortung entschieden werden. Die bisherigen Förderinstrumente sind dabei fortzuentwickeln: • Die Einbindung der Zuweisungen für Maßnahmen der Stadterneuerung in die regionale Budgetierung der Wohnraumfördermittel ist zu prüfen. • Subjekt- und Objektförderung sind in die regionale Budgetierung einzubinden. Um die Wahl der Instrumente auf kommunaler Ebene zu ermöglichen, ist eine Experimentierklausel im Bundeswohngeldgesetz erforderlich. • Die Ausgestaltung des Übergangs von Objektförderung zu Subjektförderung muss geprüft werden. Dabei ist die Finanzierung der Subjektförderung in Verbindung mit einer Reform des Wohngeldes sicherzustellen. • Um eine Wohnungsversorgung für die Zielgruppen der sozialen Wohnraumförderung sicherstellen, ist eine Sockelförderung in Form der Objektförderung für wirkliche Problemgruppen mit realen Marktzugangsschwierigkeiten zu erhalten. • Das bestehende Fehlbelegungsrecht muss grundsätzlich überprüft werden. 402

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Empfehlungen an die Landespolitik

• Bei Veräußerung von preisgebundenen Wohnungen ist die Mieterprivatisierung und die Förderung von Genossenschaften zu bevorzugen. • In den Kommunen ist eine verstärkte Kooperation von Wohnungswirtschaft und Kommunen in Form eines aktiven Belegungsmanagements erforderlich. Eigeninitiative von Bürgern und lokalen Akteuren als Partner der Kommunen sind aktiv zu fördern. Bürgerschaftliches Engagement kann dort helfen, wo öffentliche Aufgaben durch Private ergänzt oder sogar vollständig übernommen werden können. Als wichtiges Element, die Identifikation mit dem Gemeinwesen und der Kommune zu stärken, sind derartige Initiativen zu fördern und zu unterstützen: • Dem punktuellen Engagement von Bürgern sollte durch die Übertragung von Verantwortung mehr Aktionsraum gegeben werden, der sich zugleich zu Elementen einer Nutzerdemokratie im kommunalen Raum entwickeln kann. • Eine landes- und kommunalpolitische Förderung von integrierten Engagementkonzepten, die durch eine ressortübergreifende Optimierung der Landesprogramme ergänzt wird, ist anstelle einzelner Maßnahmen notwendig. Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern bedürfen als Pfeiler einer zukunftsorientierten Städtepolitik der besonderen Aufmerksamkeit. Zur Förderung von Kindern und Jugendlichen bzw. Familien sind folgende Schwerpunkte zu setzen: • Durch Familien-, Kinder- und Jugendberichte bzw. Sozialberichte ist die Situation der Familien in den Städten detailliert aufzuarbeiten und zu kommunizieren. • Familienbeauftragte in den kommunalen Verwaltungen sollten als Interessenvertretungen für Kinder und Jugendliche fungieren. Insgesamt ist die ämter- und ebenenübergreifende Koordination der Familienpolitik zu verbessern. • Die Etablierung einer sozialverträglichen, kinder- bzw. familienfreundlichen Planung in Städten ist anzustreben ebenso wie die Implementierung der damit zusammenhängenden Familien- und Kinderfreundlichkeitsprüfung. Betreuungsangebote für Jugendliche sind deutlich auszubauen. 403

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• Zur Familienförderung ist in den Städten die Entwicklung eines kommunalen Leitbildes zur Zukunft der Stadtgesellschaft zu empfehlen.

B8 C3 C4

Interkommunale Zusammenarbeit und regionale Kooperation stärken In einer Vielzahl von Handlungsfeldern liegt die Zukunft der Städte in der Kooperation mit den benachbarten Städten und Gemeinden. So kann eine sinnvolle Arbeitsteilung insbesondere zwischen Stadt und Umland erreicht werden, bei der nicht der eine auf Kosten des anderen Vorteile zieht, sondern ein Interessenausgleich zum Nutzen aller beteiligten Städte und ihrer Bürger erreicht wird. Sowohl freiwillige interkommunale Zusammenarbeit als auch regionale Zusammenschlüsse können zu einer Stärkung der Handlungsfähigkeit in der Region beitragen. Um Kooperationen verstärkt zu fördern sind seitens der Landespolitik die notwendigen fördertechnischen und rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, kommunale Handlungsspielräume zu erweitern sowie Abstimmungsprozesse zwischen Kommunen anzuregen und zu moderieren. Dazu zählen insbesondere: • Regionalen Kooperationsansätzen sind durch monetäre Anreize im Rahmen der Förderpolitik und/oder durch regionale Budgetierung besonders zu honorieren. • Soweit erforderlich sind gesetzliche und verwaltungstechnische Voraussetzungen für interkommunale Kompensationsabkommen und Ausgleichszahlungen zu schaffen. • Regionale Verflechtungsräume sind durch das Land als Orientierungsrahmen geeigneter Kooperationsgemeinschaften zu analysieren. Die Bildung von Kooperationen sollte jedoch im Einzelfall flexibel und in enger Abstimmung mit den Kommunen erfolgen. • Gemeinsame Interessen- und Problemlagen z.B. im Wohnungsbau, bei Gewerbeflächen, in der Verkehrsplanung oder der Kulturinfrastruktur sind als Chance für interkommunale Zusammenarbeit zu betrachten.

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Empfehlungen an die Landespolitik

• Das Land muss dort moderierend und falls erforderlich auch regelnd eingreifen, wo eine notwendige Kooperation nicht zustande kommt oder die Art der Zusammenarbeit der zu lösenden Aufgabe nicht gerecht wird.

B3 B4

Landes- und Regionalplanung fortentwickeln Die Landesplanung muss den veränderten Realitäten durch anhaltende Suburbanisierung und den damit verbundenen tendenziellen Gewichtsverlagerungen im Verhältnis von Zentren, Mittelstädten und Umlandgemeinden Rechnung tragen. Das Konzept der Zentralen Orte ist im Sinne der Nachhaltigkeit weiterzuentwickeln. Dabei gilt es, deutlicher nach den unterschiedlichen Entwicklungsperspektiven sowohl in den Ballungszentren und Mittelzentren als auch in den Umlandräumen zu differenzieren. Die sich etablierenden Räume der Zwischenstadt und ihr netzförmiges Verflechtungsraster sind als eigenständige Siedlungskategorie zu akzeptieren sowie regionalplanerisch und städtebaulich gezielt weiterzuentwickeln. Im Zuge einer landesplanerischen Neubewertung der bestehenden Zentrensystematik und Weiterentwicklung des Systems der Zentralen Orte ist vor allem zu berücksichtigen: • Bestehende Netzstrukturen sind systematisch aufzuspüren, um Erkenntnisse über ihre Bedeutung und Wirkungsmechanismen zu erhalten und ihre Auswirkungen abzuschätzen. • Es sollte eine planerische Bewertung von Netzknoten erfolgen: positiv zu bewertende Netzknoten sind durch sinnvolle Funktionsergänzungen zu bestätigen und weiterzuentwickeln, unerwünschte Entwicklungen zu begrenzen. • Die spezifische Nutzungsmischung von Netzknoten ist durch Unterteilung in ein primäres und ein sekundäres Zentrennetz in der Regionalplanung zu berücksichtigen. Dabei sind Netzknoten im Sinne der klassischen Zentralität herkömmlicher Zentren und der Einzelfallzentralität möglich. • Ein Überdenken der Zentrendarstellung in den aktuellen Landes- und Regionalplänen ist erforderlich. Regionale Aufgabenstrukturen sind zu erkennen und das Konzept der Metropolregionen neu einzubinden. Dabei können Kooperationen von Städten und Regionen als Gegengewicht zu den Metropolen wirken. 405

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• Es ist zu klären, welche landes- und regionalplanerischen Instrumente in Zukunft weiterhin notwendig sind, um Fehlentwicklungen zu verhindern oder positive Entwicklungen zu fördern. Dabei ist eine deutliche planerische Zurückhaltung erforderlich und eine Überreglementierung zu vermeiden. Kooperative Instrumente und Verfahren sind anstelle restriktiver Ansätze verstärkt anzuwenden. • Zur Internalisierung der Kosten durch Umweltbelastungen und Suburbanisierungsprozesse ist ein neues Instrumentarium zu entwickeln, das die Verursacher stärker in die Pflicht nimmt. Wo dies nicht über Marktinstrumente möglich ist, muss die Politik entscheiden. • Vor dem Hintergrund des weitgehend erreichten Raumordnungsziels gleichwertiger Lebensbedingungen bedarf es einer frühzeitigen Neudefinition der gleichwertigen Lebensbedingungen im Sinne einer ausgleichenden Strukturpolitik. Dabei ist den unterschiedlichen kommunalen und regionalen Entwicklungsperspektiven von Schrumpfung, Stagnation und Wachstum Rechnung zu tragen.

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Modernisierung einer bürgernahen Verwaltung Zukunftsfähige Kommunen brauchen moderne Strukturen und Instrumente, vor allem in Zeiten defizitärer kommunaler Haushalte. Durch die Gestaltung rechtlicher Rahmenbedingungen und Beratung kann das Land die Kommunen unterstützen. Die Ausgestaltung und Umsetzung liegt jedoch in kommunaler Verantwortung. Verwaltungsmodernisierung ist und bleibt dabei eine Daueraufgabe von Land und Kommunen. Bei ihrer Bewältigung sollten die nachfolgend dargestellten Anregungen Berücksichtigung finden: • In den Kommunen ist die Dezentralisierung von Kompetenzen bei gleichzeitiger Zusammenlegung der Fach- und Ressourcenverantwortung fortzuführen. Dabei ist eine klare Aufgabenteilung zwischen Politik und Verwaltung im Rahmen eines Kontraktmanagements erforderlich. • Die im Neuen Steuerungsmodell enthaltenen Ziele einer konsequenten Kundenorientierung im Sinne einer bürgerfreundlichen Verwaltung und eines politisch gesteuerten Dienstleistungsunternehmens der outputorientierten Kommunalver-

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Empfehlungen an die Landespolitik

waltung sind weiterzuentwickeln. Dabei sind Bürgerbüros als zentrale Servicestelle nur ein Einstieg. • Mit einer breit angelegten Aufklärung durch die Verwaltung können bestehende, meist unbegründete Ressentiments gegenüber neuen Verwaltungsstrukturen abgebaut werden. • Interkulturelle Sensibilisierung und Qualifikation ist in den Verwaltungen zu verbessern, um insbesondere bei Menschen mit Migrationshintergrund Zugangsbarrieren abzubauen. • Der Einsatz von E-Government ist eine Chance gleichsam für Bürger und Verwaltung Kommunikation direkter und effizienter zu betreiben. • Um Einspareffekte bei der Verwaltung durch die Möglichkeiten des E-Government zu forcieren und Anreize für den Bürger zu erhöhen, sollte seitens der Kommune die Internetnutzung durch reduzierte Gebührensätze honoriert werden. • Die Kommunen sollten von bestimmten gesetzlichen Bindungen durch Befreiung von Standards und Einführung von Experimentierklauseln freigestellt werden. Die Gemeindeordnung von Nordrhein-Westfalen weist bereits eine Experimentierklausel auf. Sofern und soweit konkrete Projekte im Rahmen dieser Klausel nicht realisierbar sein sollten, gilt es, gemeinsam mit den Aufsichtsbehörden kreative Lösungen zu entwickeln. • Durch interkommunale Leistungsvergleiche und Leistungswettbewerbe sind der Erfahrungsaustausch und die Verbesserung kommunaler Aufgabenwahrnehmung zu fördern. • Eine strategisch ausgerichtete Leistungstiefenpolitik sollte durch die Einbeziehung der Bürger, Nutzer kommunaler Einrichtungen und Unternehmen sowie den Einsatz von Wettbewerbselementen gestärkt werden. • Zur Förderung von Public Private Partnership sind dem öffentlichen Sektor und privaten Unternehmen Unterstützungs- und Beratungsleistungen z.B. in Form einer überregionalen Servicestelle anzubieten. 407

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B5

Informationsbasis für eine strategische Städtepolitik verbessern

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Die Komplexität der Herausforderungen, die Dezentralisierung von Entscheidungen und eine strategische Ausrichtung der Städtepolitik erfordern eine breite und abgestimmte Informationsgrundlage.

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Dabei werden in Zukunft sowohl die Betrachtung neuer regionaler Zusammenhänge als auch kleinräumiger Entwicklungen von Bedeutung sein:

C4

• Regionale und teilmarktbezogene Wohnungsmarktanalysen und Wohnungsmarktprognosen sind als Basis einer bedarfsund nachfrageorientierten Wohnraumpolitik in den Städten und Regionen unverzichtbar. • Die Datenbasis zur Segregationsentwicklung in den Städten Nordrhein-Westfalens soll verbessert werden (kleinräumiges Monitoring). • Für die Etablierung eines Städte- und Regionalmonitorings ist die Informationsbasis insbesondere auf der kommunalen Ebene zu sichern. Dabei sollte die Bereitstellung von Daten grundsätzlich freiwillig erfolgen und mit einem Förderprogrammcontrolling verknüpft werden.

Förderpolitik strategisch ausrichten

C3 C4 B6

Im Rahmen der Förderpolitik ist eine Dezentralisierung und eine damit verbundene Stärkung der kommunalen und regionalen Handlungsautonomie anzustreben. Es bedarf einer Optimierung der Landesprogramme durch eine ressortübergreifende Förderung von integrierten Gesamtkonzepten der Kommunen bzw. der Regionen. Zukunftsweisende, innovative Ansätze bei der Steuerung zwischen übergeordneter Landespolitik und der kommunalen Umsetzung sind notwendig. Hier kommt einem Städte- und Regionalmonitoring eine entscheidende strategische Informations- und Steuerungsfunktion zu. Für eine Neuausrichtung der Förderpolitik sind seitens des Landes im Überblick insbesondere folgende Schritte erforderlich: • Fördermittel sind zusammenzuführen und ressortübergreifend zu bündeln. • Eine integrierte Förderung ist durch kommunale bzw. regionale Budgets umzusetzen.

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Empfehlungen an die Landespolitik

• Eine sachgerechte Mittelzuweisung und -verwendung ist überein landesweites Monitoring- und Controllingsystem sicherzustellen. • Es ist ein Städte- und Regionalmonitoring in enger Kooperation mit den Kommunen zu erarbeiten und zu implementieren und dabei zu einem Förderprogrammcontrolling weiterzuentwickeln. • Ein Indikatorensystem und die Vereinbarung von Qualitätszielen auf der Basis integrierter Entwicklungskonzepte zwischen Land und Kommunen sollte die Grundlage für die Bereitstellung budgetierter Mittel und die Erfolgskontrolle ihrer Verwendung bilden. • Die Förderpraxis ist im Hinblick auf die budgetierte Mittelzuweisung und die dezentrale Entscheidung bei der Wahl von Instrumenten zu überprüfen. • Auf den unterschiedlichen Handlungsebenen sind bessere Förderrahmenbedingungen durch integrierte ressortübergreifende Planung und Förderung in den Bereichen Stadtentwicklung, Wohnungsbau, Verkehr, Wirtschaftsförderung und soziale Infrastruktur zu schaffen. • Vom Land gesetzte Rahmenbedingungen und landespolitische Schwerpunktsetzungen in der Förderpolitik sollten im Prinzip für alle Städte gelten und an bestimmten Problemlagen orientiert sein. Eine landespolitische Schwerpunktsetzung sollte auf eindeutigen Kriterien des Monitoringsystems basieren. Die Neuausrichtung der Förderpolitik sollte schrittweise umgesetzt werden. Dabei sollten bestehende integrierte Handlungsansätze wie Soziale Stadt oder die regionale Budgetierung der Wohnraumförderung ausgeweitet werden. Als Modellprojekt einer ressortübergreifenden Integration der Förderpolitik könnte der im Land schon modellhaft vorhandene Ansatz einer regionalen Wohnraumbudgetierung dienen. Voraussetzung für die Budgetierung der Wohnraumfördermittel sind ein im regionalen Konsens abgestimmtes Entwicklungskonzept auf Basis von regionalen Wohnungsmarktanalysen und klar abgegrenzte Wohnungsmarktregionen. Die Überprüfung der eingesetzten Mittel sollte durch Qualitätsziele erfolgen, die im Rahmen eines Förderprogrammcontrollings zu vereinbaren sind.

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II Forschungsaufträge, Expertengespräche und Exkursionen der Enquetekommission 1. Forschungsaufträge Zur Gewinnung und Vertiefung weiterer Erkenntnisse hat die Kommission für den Schlussbericht folgende Forschungsaufträge und Stellungnahmen eingeholt. Sonderauswertung „Stadtentwicklung und Migration“ Zentrum für Türkeistudien an der Universität Duisburg-Essen (ZfT) Prof. Dr. Faruk Sen, Dr. Dirk Halm Gutachten „Städtetypen in Nordrhein-Westfalen“, Deutsches Institut für Urbanistik (Difu), Berlin Prof. Dr. Dietrich Henckel, Klaus Mittag, Antje Seidel-Schulze in Kooperation mit Prof. Dr. Bernd Kolleck, Berlin Gutachten „Sozialraumanalyse - Soziale, ethnische und demografische Segregation in den nordrhein-westfälischen Städten“ Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung und Bauwesen des Landes NRW (ILS NRW), Dortmund, Ralf Zimmer-Hegmann, Christian Meyer, Katja Stößer, Evelyn Sucato in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für interdisziplinäre Ruhrgebietsforschung (ZEFIR) an der Ruhr-Universität Bochum Prof. Dr. Klaus Peter Strohmeier, Ingo Heidbrink, Volker Kersting und Prof. Dr. Hartmut Häußermann Institut für Sozialwissenschaften, Stadt- und Regionalsoziologie an der Humboldt-Universität Berlin Expertise „Aktivierung von Brachflächen als Nutzungspotenzial für eine aktive Bauland- und Freiflächenpolitik“ Arbeitsgemeinschaft Institut für Bodenmanagement (IBoMa), Dortmund und Institut für alter-native Kommunalplanung (AKOPLAN), Dortmund Gaby Boele-Keimer, Dr. Egbert Dransfeld, Ulrich Häpke, Anna Musinszki 415

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Gutachten „Strukturwandel - Städtische Entwicklungschancen und -risiken im wirtschaftlichen Strukturwandel“ Institut Arbeit und Technik (IAT), Gelsenkirchen Stefan Gärtner, Dagmar Grote Westrick, Ernst Helmstädter, PD Dr. Dieter Rehfeld Gutachten „Ausmaß und Folgen der Suburbanisierung/Stadt-UmlandWanderung in Nordrhein-Westfalen“ Empirica Qualitative Marktforschung, Stadt- und Strukturforschung, Bonn Dr. Jürgen Aring Bericht „Entwicklung der Wohnungsmärkte in den Städten NordrheinWestfalen“ Wohnungsbauförderungsanstalt (Wfa NRW), Düsseldorf Karl Hofmann, Ulrich Kraus, Rebekka Späth, Michael Wucherpfennig Ressortbericht „Zukunft der Stadt - Thesen zur Rolle der Wohnungspolitik“ Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen (MSWKS), Düsseldorf Dr. Hans-Dieter Krupinski Literaturanalyse „Public Private Partnership“ Dr. Alexander Wegener, Berlin Studie „Bedeutungswandel der Innenstädte und Nebenzentren in den Städten von Nordrhein-Westfalen“ Städtebau-Institut, Universität Stuttgart Prof. Dr. Franz Pesch, Dr.-Ing. Martin Schenk, Tilman Sperle Studie „Informations- und Kommunikationstechnologien in der Stadtentwicklung“ Deutsches Institut für Urbanistik (Difu), Berlin Holger Floeting, Antje Seidel-Schulze in Zusammenarbeit mit City & Bits GmbH, Berlin Jens Mofina 416

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Studie „Künftige Anforderungen an Wohnumfeld- und Freizeitqualitäten in den Städten von Nordrhein-Westfalen“ Hamburger Büro für Stadtforschung GbR Prof. Dr. Ingrid Breckner, Marcus Menzl in Kooperation mit Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS), Erkner Prof. Dr. Ulf Matthiesen, Bastian Lange und Büro für sozialwissenschaftliche Projekte, Aachen Dr. Katrin Hater, Lotte Jennes-Rosenthal, Saskia Siefert Studie „Öffentlicher Sektor und private Akteure in der Stadt der Zukunft“ PD Dr. Jörg Bogumil, Dr. Lars Holtkamp, Prof. em. Dr. Hellmut Wollmann Expertise „Wissenskultur und Stadt“ Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS), Erkner Kerstin Büttner, Dr. Heidi Fichter, Corinna Hölzl, Petra Jähnke, Prof. Dr. Ulf Matthiesen Gutachten „Kommunale Familienpolitik“ Fachbereich Sozialwesen der Fachhochschule Münster Prof. Dr. Margherita Zander, Dr. Berthold Dietz Literaturanalyse „E-Government in Kommunen“ Institut für Informationsmanagement, Bremen Prof. Dr. Herbert Kubicek, Dr. Martin Wind, Claas Hanken, Isabella Schicktanz Gutachten „Städte und Regionalmonitoring“ Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung und Bauwesen des Landes Nordrhein-Westfalen (ILS NRW), Dortmund Ralf Zimmer-Hegmann, Dr. Bernd Mielke, Christian Meyer, Markus Walczak in Kooperation mit Zentrum für interdisziplinäre Ruhrgebietsforschung (ZEFIR) an der Ruhr-Universität Bochum, Prof. Dr. Klaus Peter Strohmeier, Volker Kersting, Tobias Terpoorten 417

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2. Anhörungen Teilnehmer der Anhörung am 26. Juni 2001 Prof. Dr. Hans Heinrich Blotevogel, Universität Duisburg-Essen Matthias Fischer, Michael Gaedtke, Ministerium für Wirtschaft und Mittelstand, Energie und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf Dr. Herbert Kemming, Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung und Bauwesen des Landes Nordrhein-Westfalen (ILS), Dortmund Dr. Wilfried Kruse, Sozialforschungsstelle Dortmund (sfs) Monika Kuban, Städtetag Nordrhein-Westfalen, Köln Rolf-Detlev Plückhahn, Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen Prof. Dr. Axel Priebs, Geographisches Institut der Universität Kiel PD Dr. Dieter Rehfeld, Institut Arbeit und Technik (IAT), Gelsenkirchen Dr. Wolfgang Roters, Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf Dr. Hans-Ulrich Schwarzmann, Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen Dr. Wilgard Schuchardt-Müller, Ministerium für Arbeit und Soziales, Qualifikation und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf Klaus Spiekermann, Büro für Stadt- und Regionalforschung, Dortmund Teilnehmer der Anhörung am 3. Juli 2001 Prof. Dr. Wolfram Elsner, Institut für Institutionelle und Sozialökonomie an der Universität Bremen (schriftliches Statement) Dr. Albrecht Göschel, Deutsches Institut für Urbanistik (Difu), Berlin Andreas Goldberg, Zentrum für Türkeistudien (ZfT) an der Universität DuisburgEssen Prof. Dr. Hartmut Häußermann, Humboldt-Universität zu Berlin Prof. Dr. Ilse Helbrecht, Geographisches Institut der Technischen Universität München Prof. Dr. Klaus R. Kunzmann, Institut für Raum- und Umweltplanung der Universität Dortmund (IRPUD) Dr. Marga Pröhl, Bertelsmann-Stiftung Gütersloh Prof. Dr. Ulrich van Suntum, Frank Beermann, Institut für Siedlungs- und Wohnungswesen an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster 418

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Teilnehmer der Anhörung am 11. September 2001 Dr. Ortrud Kötz, Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik des Landes Nordrhein-Westfalen (LDS), Düsseldorf Prof. Dr. Wendelin Strubelt, Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR), Bonn

3. Expertengespräche Teilnehmer des Expertengesprächs zum Thema „Regionale Kooperationen“ am 27. März 2003 Eckhard Bergmann, Bundesamt für Bauwesen- und Raumordnung (BBR), Bonn Prof. Dr. Rainer Danielzyk, Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung und Bauwesen des Landes Nordrhein-Westfalen (ILS), Dortmund Jürgen Evert, Beigeordneter der Stadt Lünen Alfons Faust, Verbandsdirektor a.D., ehemals Planungsverband Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main Siegfried Frohner, Verbandsdirektor a.D., ehemals Kommunalverband Großraum Hannover Dr. Werner Heinz, Deutsches Institut für Urbanistik (DifU), Köln Prof. Dr. Martin Junkernheinrich, Fachbereich Volkswirtschaftslehre, Kommunalwirtschaft und Kommunalfinanzen, Universität Trier (schriftliches Statement) Prof. Dr. Manfred Miosga, Fakultät für Architektur, Lehrstuhl für Raumentwikklung an der Technischen Universität München Michael von der Mühlen, Stadtdirektor der Stadt Gelsenkirchen Georg Scholze, Kreisdirektor des Kreises Recklinghausen Teilnehmer des Expertengesprächs zum Thema „Regionalisierung der Wohnungspolitik“ am 26. Juni 2003 Gesine Kort-Weiher, Städtetag Nordrhein-Westfalen Hans Peter Neuhaus, Amt für Wohnungswesen der Stadt Dortmund Roswitha Sinz, Verband der Wohnungswirtschaft Rheinland Westfalen (VdW) Jürgen Veser, Institut für Stadtforschung und Strukturpolitik Klaus Wermker, Stadtplanungsbüro der Stadt Essen

Dr. Peter Wild, LMR a.D., ehemals Finanzministerium Nordrhein-Westfalen 419

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Teilnehmer des Expertengesprächs zum Thema „Öffentlicher Raum“ am 13. Oktober 2003 Udo Behrendes, Polizeipräsidium Köln Prof. Dr. Jens Dangschat, Institut für Stadt- und Regionalforschung der Technische Universität Wien Prof. Dr. Wolfgang Hecker, Fachhochschule Wiesbaden, Abteilung Frankfurt/Main Jochen Kuhn, Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung a.D. Dr. Sebastian Müller, Fakultät Raumplanung an der Universität Dortmund Prof. Dr. Walter Siebel, Institut für Soziologie, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Prof. Kunibert Wachten, Institut für Architektur, Städtebau und Landesplanung an der Rheinisch-Westfälisch-Technische Hochschule Aachen

4. Exkursionen und Informationsreisen Die Kommission hat im Zuge ihrer Arbeit folgende Städte im Rahmen von Informationsreisen und Exkursionen besucht und die nachfolgend aufgeführten Projekte besichtigt: Stadt Arnsberg Am Rande einer Klausurtagung der Kommission in Arnsberg stellte der Bürgermeister Hans-Josef Vogel der Kommission den Masterplan Arnsberg vor. Stadt Bocholt Die im Rahmen einer Exkursion besuchte Stadt Bocholt wurde den Kommissionsmitgliedern durch Bürgermeister Klaus Ehling vorgestellt. Stadtbaurat Ulrich Paßlick informierte die Mitglieder über den Masterplan Innenstadterneuerung und das in der Stadt Bocholt entwickelte Pilotprojekt eines sozial gerechten Bodenenmanagements mit einem revolvierenden Bodenfond. Stadt Bonn Bei einem Besuch der Stadt Bonn wurde die Kommission durch den Leiter des Stadtplanungsamtes, Fritz Rehsöft, über das Pilotprojekt der interkommunalen Budgetierung für den Wohnungsbau in der Region Bonn/Rhein-Sieg und Ahrweiler informiert. Dabei waren insbesondere die grundsätzlichen Erfahrungen aus der bundeslandüberschreitenden regionalen Kooperation Bonn/Rhein-Sieg/Ahrweiler von Interesse. 420

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Stadt Dortmund Die historische Entwicklung, insbesondere die Auswirkungen des wirtschaftlichen Strukturwandels der im Rahmen einer Exkursion besuchten Stadt Dortmund wurde den Kommissionsmitgliedern durch Oberbürgermeister Dr. Gerhard Langemeier erläutert. Bei einer Informationsfahrt durch die Stadt wurde die Kommission über das E-Logistic-Konzept, den e-port und über das Projekt Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf informiert. Weitere Informationsstationen waren die Nordstadt mit der Vorstellung der Ergebnisse des EU-Programms Urban II sowie das dortmund-project und die Projekte Kulturwirtschaft als Stadtentwicklungsmotor und e-commerce als Standortfaktor. Auf dem Gelände der Stadtkrone-Ost konnte die Kommission das Electronic-CommerceCenter und das IT-Center Dortmund GmbH besichtigen. Am Rande der ersten Klausurtagung der Kommission in Dortmund gab der Geschäftsführer der Stadtwerke Dortmund, Harald Heinze, einen Überblick über die Geschäftsaktivitäten der Versorgungsbetriebe. Stadt Essen Während eines Klausurtagsaufenthalts in Essen konnte die Kommission das Weltkulturerbe Zeche Zollverein besichtigen und an einer historischen Straßenbahnfahrt teilnehmen. Der Geschäftsführer der städtischen Wohnungsbaugesellschaft, Dr. Dietrich Goldmann, informierte die Kommission in einer anschließenden Sitzung über die Aktivitäten der Essener Allbau AG. Stadt Köln Im Rahmen einer Exkursion informierte sich die Kommission über die Pilotprojekte Job-Center-Köln und die Sozialberichtersattung und -planung in der Stadt Köln. Im Anschluss besichtigte sie das Konversionsprojekt Ossendorfpark, den Hagen-Campus mit dem Rechtsrheinischen Technologie- und Gründerzentrum Köln (RTZ). Weitere Informationsstationen waren der Technikhof Kalk und das Medien-Cluster in Köln-Mühlheim. Stadt Oberhausen Oberbürgermeister Burkhard Drescher informierte die Kommission über die historische Entwicklung der Stadt Oberhausen und über den gelungen ökonomischen Strukturwandel in der Ruhrgebietsstadt. Über die erfolgreichen Oberhausener Pilotprojekte Einkaufszentrum CentrO und O.vision konnte sich die Kommission vor Ort informieren. Stadt Werdohl Über die planungsrechtlich und -technisch interessante Situation des Gebietskörperschaften überschreitenden märkischen Gewerbeparks Rosmart wurde die Kommission in Werdohl durch Bürgermeister Manfred Wolf informiert. Im 421

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Rahmen der Exkursion konnte die Kommission ebenfalls den neu entwickelten

Gewerbepark Eveking besichtigen. 5. Vorträge in Kommissionssitzungen 9. April 2002 Dr. Klaus Leferinghausen, Ministerium für Arbeit, Soziales, Qualifikation und Technologie, Vorstellung des Tätigkeitsbereichs des Landesbeauftragten für Migration und Integration 3. Dezember 2002 Prof. Dr. Volker Eichener, Institut für Wohnungswesen, Immobilienwirtschaft, Stadt- und Regionalentwicklung an der Ruhr-Universität Bochum (InWIS) "Zukunft des Wohnens", Studie des VdW Rheinland-Westfalen 14. Oktober 2003 Bernd Hallenberg, vhw - Bundesverband für Wohneigentum und Stadtentwicklung e.V., Präsentation vhw-Projekt "Nachfrageorientierte Wohnungspolitik"

6. Teilnehmer an Expertengesprächen und Expertenfragungen im Rahmen von Forschungsaufträgen Bei den gutachterlichen Erarbeitungen für die Enquetekommission ist zudem das Wissen und die Erfahrungen einer Vielzahl von Experten im Rahmen von Experteninterviews, Workhops oder Befragungen etc. in die Arbeit eingeflossen. Beiträge hierzu haben geleistet: Erdogan Akpolat (Mitglied des Ausländerbeirates, Stadt Monheim), Eckhard Arens (CDU-Fraktion, sachkundiges Mitglied des Ausschusses Soziales und Gesundheit, Stadt Wuppertal), Dr. Jürgen Aring (empirica, Bonn), Herbert Asselborn (Amt für Stadtentwicklung und Statistik, Stadt Köln), Friedhelm Balke (Bezirksvorsteher für den Stadtbezirk Katernberg, Stadt Essen), Muhamat Balaban (Vorsitzender des Ausländerbeirates, Stadt Essen), Prof. Dr. Franz-Joseph Bade (Fakultät Raumplanung, Universität Dortmund), Wolf Beyer (Landesumweltamt Brandenburg, Potsdam), Dr. Ing. Jörn Birkmann (Universität Dortmund, Fakultät Raumplanung), Paul Blanke-Bartz (E-city Dortmund), Gerald Blome (Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen, Bielefeld), Dr. Horst Bölting (Ministerium für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport des Landes NordrheinWestfalen), Dr. Ferdinand Böltken (BBR, Bonn), Dr. Hermann Bömer (IRPUD, Universität Dortmund), Hermann Breuer (Amt für Stadtentwicklung und Statistik, Stadt Köln), Wilhelm Bremer (Bezirksvorsteher Gelsenkirchen-Mitte), Klaus Burmeister (Z-punkt GmbH, Essen), Prof. Dr. Bernhard Butzin (Fakultät Geowissenschaften, Universität Bochum), Johann Dieckmann (Beigeordneter für Bau- und Kultur, Stadt Hagen), Michael Fensterer (Bezirksregierung Köln), Prof. Dr. Godehard Franzen (SPD-Fraktion, Vorsitzender des Umwelt- und Stadtentwicklungsausschusses, Stadt Bielefeld), Karin Freese (Netzwerk für Bürgerbeteiligung und Partizipation, KEBE, Bielefeld), Dr. Claudia Fründ (Verwaltung, Stadt Herten), 422

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Angelika Gerlach (Schulamtsdirektorin Schulaufsichtsbezirk II, Schulamt Wuppertal), Walter Göschel (Leiter Stadtentwicklungsplanung, Stadt Bochum), Annegret Grewe (Ausländerbeauftragte der Stadt Bielefeld), Waltraud Groß (stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende und Sprecherin im Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt, Stadt Gelsenkirchen), Marion Großschopf (AGIT - Aachener Gesellschaft für Innovation und Technologietransfer Aachen), Berthold Haermeyer (Stadt Dortmund, Fachbereich Statistik und Wahlen, Stadt Dortmund), Dr. Robert Hassink (Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn), Rainer Haufler (Bezirksjugendpfleger in Jugendamt Köln - Nord), Ulrike Heuer (Schulleiterin in Köln-Ehrenfeld), Gerhard Heinzel (Schulrat für den Kreis Mettmann), Petra Heinemann (Amt für Kinderinteressen, Stadt Köln), Jochen Hemsing (Amtsleiter im Amt für Wohnungswesen, Stadt Köln), Wally Hengsberger (Vorsitzende der SPD-Ratsfraktion, Stadt Monheim), Ralf Herbrüggen (Vorstand für Soziales und Gesundheit, Stadt Gelsenkirchen), Dr. Marc Höhmann (Amt für Stadtentwicklung und Statistik, Stadt Köln), Gudrun Hock (Dezernentin Soziales und Jugend der Stadt Essen), Karl Hofmann (Wfa NRW), Markus Horstmann (Stadtverwaltung Gelsenkirchen), Arif Izgi (Vorsitzender des Ausländerbeirats, Stadt Wuppertal), Dr. Norbert Jesse (Mitarbeiter der QuinScape GmbH, Dortmund), Rolf Junker (Junker und Kruse, Dortmund), Prof. Dr. Martin Junkernheinrich (Universität Trier), Joachim Jürgens (Pro Herten), Dr. Rainer Kahnert (Büro für Gewerbeplanung und Stadtentwicklung, Dortmund), Ralf Kampmann (Beigeordneter, Stadt Unna), Dr. Wolfgang Knapp (ILS NRW, Dortmund), Olaf Katenkamp (sfs-Dortmund), Hans-Joachim Keil (Bezirksregierung Detmold), Andreas Kemper (Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Dezernat für Soziales, Stadt Bielefeld), Siegfried Kienitz (Bezirksvorsteher des Stadtbezirks Brackwede, Stadt Bielefeld), Prof. Dr. Heiderose Kilper (IES, Hannover), Toni-Werner Klauke (Bezirksregierung Arnsberg), Beate Kleibrink (Geschäftsstelle der Kinderfreunde Herten), Johannes Klemm (Leiter des Bezirksamtes Köln-Ehrenfeld), Rainer Knecht (Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Ressort Stadtentwicklung und Stadtplanung, Stadt Wuppertal), Dr. Frank Knospe (Stadt Essen, Amt für Geoinformation, Vermessung und Kataster, Stadt Essen), Prof. Dr. Klaus Kost (PCG Projekt GmbH und Ruhr-Universität Bochum), Prof. Hans-Jürgen Kottmann (Geschäftsführer ITC Dortmund), Marlene Krause (Schulrätin für den Bereich Gelsenkirchen-Süd), Dr. Stefan Kühn (Dezernent für Jugend, Soziales und Integration, Stadt Wuppertal), Prof. Dr. Klaus Kunzmann (Fakultät Raumplanung, Universität Dortmund), Dr. Utz-Ingo Küpper (Geschäftsführer Wirtschaftsförderung, Dortmund), Dirk Langer (IAT, Gelsenkirchen), Sabine Lange (KVR, Essen), Pascal Ledune (Pressesprecher Dortmund-project), Klaus Lemancyk (Schulrat beim Schulamt Essen), Hans Heinrich Lierenfeld (Bezirksvorsteher des Stadtbezirks Chorweiler, Köln), Volker Lindner (Stadtbaurat, Stadt Herten), Hermann Marx (CDU-Fraktion, Ausschuss für Stadtentwicklung und Stadtplanung, Stadt Essen), Reinhold Meier (Bezirksregierung Arnsberg), Ute Melang (Kinderbüro 423

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Essen), Dr. Bernd Mielke (ILS NRW, Dortmund), Dirk Miklikowski (Geschäftsführer der GGW, Gelsenkirchener Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft mbH), Werner Mlodzianowski (Technologie-Transfer Zentrum Bremerhaven), Wilfried Moll GWG (Gemeinnützige Wohnungsgesellschaft mbH Wuppertal), Barbara Moritz (stellvertretende Vorsitzende des Stadtentwicklungsausschusses, Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, Stadt Köln), Gregor Moss (Dezernent für Planen und Bauen, Stadt Bielefeld), Dr. Ulrich Müller (Vorsitzender der CDU-Ratsfraktion, Mitglied im Ausschuss für Bildung, Kultur und Sport, Stadt Monheim), Norbert Müller (Geschäftsführer der Bielefelder Gemeinnützigen Wohnungsgesellschaft mbH), Uwe Münch (Bezirksregierung Düsseldorf), Elke Munich (Leiterin des Fachbereichs Schule und Jugend, Stadt Herten), Prof. Dr. Hartmut Neuendorff (Universität Dortmund), Volker Nordalm (Generalbevollmächtigter der viterra Wohnen AG, Essen), Sinan Orhan (Vorsitzender des Ausländerbeirates der Stadt Gelsenkirchen), Dr. Marcus Ottersbach (Forschungsgruppe Multikulturelle Stadt, Köln), Werner Palm (Bezirksregierung Arnsberg), Alexander Pauly (Zentrum für wissenschaftliche Weiterbildung an der Universität Bielefeld, ZWW), Dr. Dieter Pauly (LDS NRW), Ton van der Pennen (Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Social and Cultural Planning Office of the Netherlands), Tana Petzinger (Institut für Raumplanung, Universität Dortmund), Sabine Pommerin (Bereichsleiterin Jugendförderung, Stadt Herten), Stefan Preuss (Department of Planning, Oxford Brookes University, United Kingdom), Dr. Günter Pruin (stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender der Stadt Gelsenkirchen), Sebastian Rabe (ILS NRW, Dortmund), Bernhard Rechmann (Kultur Ruhr, Gelsenkirchen), Klaus Reese (SPD-Fraktion, Vorsitzender des Stadtentwicklungsausschusses der Stadt Wuppertal), Peter Reise (SPD-Fraktion, stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender und Mitglied im Sozialausschuss der Stadt Essen, verstorben 11. Januar 2004), Henriette Reker (Stadträtin, Vorstand für Soziales und Gesundheit, Stadt Gelsenkirchen), Dr. Jochen Richter (Vorsitzender VDSt, Stadt Oberhausen), Viola Richter-Jürgens (Projektkoordinatorin RegioNet-OWL, Außenstelle Bielefeld), Dr. Ernst-Hasso Ritter (ehem. Präsident ARL), Harald Rohmann (Ratsmitglied UWG und ehemaliger Betriebsrat der Zeche Schlägel & Eisen, Herten), Dr. Stefan Röllinghoff (Fach- und Medienreferent in der Wirtschafts- und Beschäftigungsförderung Dortmund), Stefan Rommelfanger (Abteilungsleiter des Referats Stadtplanung für den Bereich Gelsenkirchen-Mitte und Gelsenkirchen-Süd), Günter Rose (Mitarbeiter der Viterra AG, Recklinghausen), Erwin Rothgang (Stadt Wuppertal), Klaus-M. Schlaeger (Bezirksregierung Düsseldorf), Almut Schmersahl (Leiterin Stadtplanungsamt, Stadt Lemgo), Dorothee Schneider (Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der SPD-Fraktion, Stadtplanerin, Köln), Friedhelm Schneiders (Bezirksregierung Düsseldorf), Friedhelm Schneiders (Bezirksregierung Düsseldorf), Horst Schönweitz (Büro Pesch & Partner, Herdecke), Dr. Richard Schroeder (Leiter des Wessels Hof, ehemals Leiter von ProKids, Herten), Babara Schultz (Institut für Raum- und Land424

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schaftsentwicklung, ETH Hönggerberg, Schweiz), Dr. Wilm Schulte (Einzelhandelsverband Westfalen Mitte), Erika Schulze (Forschungsgruppe Multikulturelle Stadt, Köln), Manfred Schwirske (Pro Herten), Dr. Hans-Ulrich Schwarzmann (Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf), Wolfgang Seiler (Stadtplanungsamt, Stadt Herten), Prof. Dr. Klaus Selle (Fakultät Stadtbereichsplanung, RWTH Aachen), Hans-Jürgen Serwe (Kreis Mettmann), Prof. Dr. Walter Siebel (Fakultät Human- und Gesellschaftswissenschaften, Universität Oldenburg), Ernst-Otto Sommerer (Stadt Dortmund, Fachbereich Statistik und Wahlen, Stadt Dortmund), Gerd Spiecker (Beigeordneter, Stadt Monheim), Ard Sprinkhuizen (Senior medewerker Cluster Sociaal Beleid, beim NIZW, Nederlands Instituut voor Zorg en Wilzijn), Prof. Dr. Rolf Sternberg (Fakultät Wirtschafts- und Sozialgeographie, Universität Köln), Lars Tata (Universität Dortmund), Carsten Tum (KVR, Essen), Arjen Verweij (Ministerie van Volkshuisvesting, Ruimtelijke Ordening en Milieubeheer, Niederlande), Hans Jürgen Vitenius (Bezirksvorsteher des Stadtbezirks Wuppertal-Elberfeld), Andreas Vondran (Leiter des LEG-Mieterzentrums, Berliner Viertel, Monheim), Thomas Waters (Bereich Stadtplanung und Wirtschaftsförderung, Stadt Monheim), Hans Wielpütz (Schulrat in Köln), Klaus Wermker (Abteilungsleiter des Büros für Stadtentwicklung der Stadt Essen), Günter Wevering (Amt für Stadtentwicklung und Statistik, Stadt Köln), Brunhilde Wiedemann (CDU-Fraktion, Mitglied im Sozial- und Gesundheitsausschuss, Stadt Bielefeld), Karin Wiesemann (Lehrerin in der Heinrich Böll Gesamtschule in Köln), Josef Wirges (Bezirksvorsteher Köln-Ehrenfeld), Michael Wolf (Bezirksregierung Münster), Dr. Erol Yildiz (Forschungsgruppe Multikulturelle Stadt, Köln), Dr. Klaus Zehner (Fakultät Geographie, Universität Köln), Dr. Daniel Zerweck (Amt für Stadtentwicklung, Stadt Leverkusen), Gerd Zimmermann (Schulrat, Schulamt Stadt Bielefeld), Michael Zimmermann (Fraktionsgeschäftsführer der SPD, stadtentwicklungspolitischer Sprecher, Stadt Köln), Prof. em. Peter Zlonicky (Büro für Stadtplanung und Stadtforschung München), Martin zur Nedden (Stadtbaurat, Stadt Bochum), Ernst zur Nieden (Journalist und Mitglied der Bürgerstiftung Herten)

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III Bildnachweis S. 5: Landtagspräsident Ulrich Schmidt; Bild: Landtag NRW S. 6: Kommissionsvorsitzender Hans-Peter Milles, Bild: Landtag NRW S. 15: Klausurtagung der Kommission in Arnsberg; Bild: Alexander Dahmen S. 20: Die Kommission stellt sich vor; Bild: Landtag NRW S. 29: Zwei Seiten von Dortmund; Bilder: Stefan Thabe S. 43: Senioren auf der Rheinufer promenade in Düsseldorf; Bild: Alexander Dahmen S. 49: Alterspyramide NRW 20022020-2040; Quelle: LDS NRW S. 57: Outdoor-Chillen und Senioren im Eiscafe; Bild: Florian Dohmen S. 58: Brunnen in Duisburg; Bild: Stadt Duisburg S. 63: Jugendstiltür auf Zeche Zollern – Dortmund; Bild: Landespresse- und Informationsamt NRW S. 66: Medienhafen Düsseldorf; Bild: Alexander Dahmen S. 80: Duisburg – Altindustrie bei Nacht; Bild: Landespresse- und Informationsamt NRW S. 85: Moderne Solararchitektur; Bild: Landespresse- und Informationsamt NRW S. 86: Solarmobil mit Tankstelle; Bild: Landespresse- und Informationsamt NRW S. 87: Virtuelle Realität, Bild: Landespresse- und Informationsamt NRW S. 89: Call Center; Bild: Landes-

presse- und Informationsamt NRW S. 99: Multizentrale Pendlerverflechtungen im Ruhrgebiet; Bild: Spiekermann + Wegener S. 104: Schloss Moyland; Bild: Stiftung Museum Schloss Moyland, Fotograf Maurice Dorren S. 127: Technologiepark BergischGladbach; Bild: Stadt Bergisch Gladbach S. 133: Neue Mitte Oberhausen – CentrO; Bild: Landespresse- und Informationsamt NRW S. 137: Die Altstadt in Düsseldorf; Bild: Stadt Düsseldorf S. 138: Freizeitpark Bottrop-Kirchhellen; Bild: Landespresse- und Informationsamt NRW S. 147: Brache in Dortmund; Bild: Stefan Thabe S. 151: Straßencafe in Düsseldorf; Bild: Stadt Düsseldorf S. 157: Verschiedene Ethnien in Duisburg; Bild: Florian Dohmen S. 180: CentrO Oberhausen; Bild: Landespresse- und Informationsamt NRW S. 182: Open Air Konzert; Bild: Landespresse- und Informationsamt NRW S. 188: Nixdorf-Museum – Neue Medien; Bild: Landespresse- und Informationsamt NRW S. 193: Attraktionen für die Jugend; Bild: Landespresse- und Informationsamt NRW S. 194: Aktive Kinder; Bild: Familienministerium NRW S. 208: Straßenkneipe in Düssel427

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dorf; Bild: Alexander Dahmen S. 211: Haus mit Garten in der Suburbia; Bild: Alexander Dahmen S. 213: Umbaumodell AugustMacke Haus – Bonn; Bild: Stadt Bonn S. 215: Fitnesscenter; Bild: Fitnesscompany Düsseldorf S. 217: „Legal-Illegal“ Köln-Bayenthal; Bild: Martina Werheit S. 221: Öffentlich geförderter Wohnungsbau in Meckenheim, Bild: Alexander Dahmen S. 222: Bönen Beethovenstraße; Bild: MSWKS NRW S. 243: Portobello Haus in Düsseldorf, „Segregation von oben“; Bild: Alexander Dahmen S. 244: Großwohnsiedlung in Düsseldorf-Garath; Bild: Susanne Dippel S. 248: Verdichteter Wohnraum; Bild: MSWKS NRW S. 251: Kostengünstiger moderner Wohnungsbau; Bild: WüstenrotStiftung S. 253: Moderne Reihenhauszeile; Bild: Landespresse- und Informationsamt NRW S. 255: Öffentlich geförderter Stadtumbau in Bonn-Dransdorf; Bild: Alexander Dahmen S. 257: Rückbau von Großwohnsiedlungen in Leinefelde (Thüringen); Bild: Martina Werheit S. 263: Bürgerbüro in Bergisch-Gladbach; Bild: Stadt Bergisch-Gladbach S. 265: Übung der Freiwilligen Feuerwehr; Bild: Landespresse- und Informationsamt NRW 428

S. 269: Kommunale Akteure im Ortstermin; Bild: Martina Werheit S. 277: Heimarbeitsplatz; Bild: Landespresse- und Informationsamt NRW S. 280: PPP-Projekt Philharmonie Essen in der Bauphase; Bild: Philharmonie Essen GmbH S. 283: Die Kommission in einer Sitzung; Bild: Landtag NRW S. 287: Masterplan Ruhr - eine Exkursion; Bild: Stefan Thabe S. 292: Verleihung Robert JungkPreis; Bild: Städtenetzwerk NRW S. 305: Aufgang zum Stadttor Düsseldorf; Bild: Landespresse- und Informationsamt NRW S. 308: Migranten als Zielgruppe für Immobilienverkäufe; Bild: Dirk Halm S. 310: Integriertes Handlungskonzept Bonn-Dransdorf; Bild: Alexander Dahmen S. 315: Gründer- und Technologiezentrum in Rheinbach; Bild: Alexander Dahmen S. 317: Symbiose von Alt und Neu in Köln; Bild: Martina Werheit S. 318: Stadtqualitäten; Bild: MSWKS NRW S. 322: Soziale Stabilität Dortmund Schleifenstraße; Bild: MSWKS NRW S. 325: Blick vom Rheinturm auf den Landtag; Bild: Alexander Dahmen S. 326: Budgetierte Wohnungsbauförderung in Bonn-Rhein-Sieg-Ahrweiler; Bild: Karl-Peter Brendel S. 331: Sozioökonomische Informationssysteme; Bild: Zentrum für interdisziplinäre Ruhrgebietsforschung (ZEFIR)

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S. 335: Nachhaltigkeitsspinne; Bild: Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung S. 367: Bahnhof CentrO Oberhausen; Bild: Landespresse- und Informationsamt NRW S. 369: Zeche Zollverein Schacht XII; Bild: Landespresse- und Informationsamt NRW S. 371: Landtag NRW Luftbild Plenarsaal; Bild: Alexander Dahmen S. 374: Hafenfest in Dortmund; Bild: Stefan Thabe S. 377: Luftbildaufnahme vom Schloss Bensberg; Bild: Stadt Bergisch-Gladbach S. 380: Aachener Dom; Bild: Stadt Aachen S. 383: Schloss Nordkirchen; Bild: Finanzministerium NRW S. 385: Firmengebäude T-Mobile in Bonn; Bild: Presseamt der Bundesstadt Bonn, Fotograf Michael Sondermann S. 388: Bertelsmann-Stiftung; Bild: Bertelsmann-Stiftung S. 391: Siegerlandhalle; Bild: Siegerlandhallen GmbH S. 395: Landtag NRW – Plenarsaal; Bild: Landtag NRW

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IV Stichwortverzeichnis Akteure 6, 18f, 24, 32f, 37, 65, 73ff, 94, 102, 179, 184, 186f, 189, 192ff, 197, 265, 268f, 273, 280, 291, 299f, 311, 314, 322, 338, 349, 357, 362, 372, 387ff, 401 Altersstruktur 17, 45f, 48, 51, 57ff, 70,155, 160, 164, 201, 223, 236, 306, 308 Ausländer; siehe Migranten Ballungsraum 17, 30, 71f, 125, 225, 232, 241, 299 Bauland 122, 234, 251, 252, 311 Bautätigkeit 128, 226, 227, 232, 249 Beschäftigtenentwicklung 17, 71, 115,123, 124, 311, 345 Bestandsentwicklung 15, 18, 152, 230, 243f, 248, 252, 254f, 258f, 260, 271, 274, 280, 320, 321, 330, 401, 402, 404, 408 Bevölkerungsentwicklung 31, 33, 34, 35, 40, 43, 44, 46ff, 50, 51, 57, 59f, 64, 69, 72, 77, 95, 107, 109, 115, 116, 138, 160, 222, 223, 235, 239, 245, 247f, 308, 345, 377 Bildung 15, 18, 32, 34, 51, 57, 67, 68, 69, 81, 101, 104, 130, 151, 153, 158, 178, 186, 196, 198ff, 200, 206, 209, 212, 217, 270, 283, 288, 301, 308f, 318, 322, 331, 351, 358f, 364, 389, 403, 406 Bodenmanagement 148, 252, 400 Brachflächen 58, 59, 132, 145, 146, 147, 146ff, 149, 234, 251, 259, 400 Budgetierte Förderung 244, 249, 250, 255, 256, 272, 328, 329, 330, 359, 404, 406, 411 Bürgerbeteiligung 156, 198, 208, 212, 256, 264f, 267, 270, 284, 309, 318, 297, 311, 319

Bürgerorientierung 275, 284, 408 Bürgerschaftliches Engagement 197f, 264, 266, 267f, 297, 311, 405 Controlling 198, 330, 351ff, 339, 348, 353, 363f. Cluster; siehe Kompetenzfelder Dekonzentration 25, 69, 95, 101, 103, 115, 123ff, 139, 284, 325f, 330ff, 335, 339, 349, 378, 408, 410 Dezentralisierung, der Verantwortung/Steuerung 19, 281, 282, 310, 326, 327, 328, 330, 360, 410 Dienstleistungsgesellschaft; siehe Tertiärisierung E-Government 84, 275, 276, 277, 278,285, 409 Einzelhandel; siehe Handel Entwicklungsperspektiven 5, 6, 16, 27, 35f, 39f, 55, 75, 90, 94, 114, 127, 135, 136, 145, 148, 314, 320, 325, 370, 398, 407, 408 Experimentierklausel 256, 283, 372, 404, 409 Familienpolitik; siehe auch Kinderund Jugendliche 190ff, 202, 404 Fehlbelegungsrecht 256, 404 Flächennutzungsplan, regionaler 291, 293 Förderung, integrierte/ressortübergreifende 17, 29, 51, 100f, 137, 144, 147f, 201, 249f, 256, 298, 325ff, 349ff, 358ff, 363, 378, 381, 404, 410 Freizeit- und Kulturangebot 17, 32, 70,86, 103ff, 122, 130, 133, 136ff, 140, 143, 146, 155, 176ff, 187, 205, 207ff, 213ff, 236, 253, 255, 264, 287, 295ff, 312ff, 318, 376, 378, 373ff, 378ff, 389, 406 431

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Gemeindeordnung 283, 409 Gewerbesuburbanisierung 17, 69, 95, 101, 103ff, 115, 123ff, 139, 284, 325ff, 376 Großstädte 30, 34, 36ff, 77, 83, 103ff, 111, 113, 115, 135, 156, 222, 238, 246, 248, 251, 378 Handel 15, 59, 63, 72, 78, 83ff, 115ff, 124, 136ff, 140, 144f, 181, 207, 213, 268, 289, 294ff, 318, 350 Haushaltsstruktur 223, 225, 320 Haushaltsstypen; siehe Lebensstile und Zielgruppen Hochschulen 31, 35, 66ff, 77, 82, 104, 156, 158, 176, 186, 188, 264, 320, 370f, 399 Indikatorensystem 34f, 40, 51, 125, 141, 145, 159, 160, 162, 195f, 202, 241, 251, 301, 315, 331, 330ff, 335ff, 340ff, 348ff, 357, 392, 410f. Infrastruktur, technische 65, 72, 87 Infrastruktur, soziale 18, 71, 156, 189, 198, 211, 252, 255f, 260, 266ff, 283, 297, 311, 318, 322, 371, 381, 390, 403, 405, 411 Innenstadt 34, 37, 69, 76, 80, 82f, 92ff,99, 102, 106, 108, 127, 135ff, 139ff, 180f, 188, 194, 232, 268, 376, 383, 401 Integration, soziale/ethnische 15, 158, 307, 318 Integrierte, gesamtstädtische Konzepte/Ansätze 58, 97, 197, 250, 260, 283, 289, 313f, 328f, 339, 349ff, 358, 361, 378, 399ff, 410f. Internet; siehe Informations- und Kommunikationstechnologien Interessenausgleich 292, 298, 301, 312, 328, 384, 406 Informations- und Kommunikations 432

technologien 18, 63, 73, 91ff, 275ff, 285, 341, 363, 369, 385, 409 Kernstadt 30, 103, 105, 127, 132, 134, 139, 215, 234, 241 Kinder- und Jugendliche 18, 44ff, 54, 58ff, 86, 96, 114, 122, 132, 157, 160, 185, 190ff, 202, 243, 253, 309, 347, 352, 368, 375, 403, 405 Klein- und Mittelstädte 18, 30, 38, 74, 83, 128, 232, 234, 268, 272f, 292ff, 306, 309ff, 339, 341, 356, 358, 379, 383, 390, 406 Kommunale Finanzen 6, 33, 258, 273, 281ff. Kommunale Kooperation; siehe Regionale Kooperation Kommunalverwaltung 18, 184, 262f, 265ff, 271ff, 284ff, 330, 357, 381, 408 Kompetenzfelder 31f, 34, 51ff, 65, 68, 72ff, 74f, 80, 86, 89f, 107, 289, 306, 319, 398 Kooperation; siehe auch Regionale Kooperation und Public Private Partnership 68ff, 83, 85ff, 90, 140, 143, 195, 199, 202, 211, 242, 250, 256, 268, 278, 280, 286ff, 291ff, 296ff, 301ff, 312ff, 328, 337, 350, 355, 360ff. Koordination (durch das Land) 197, 202, 277, 362f, 405 Kultur; siehe Freizeit und Kulturangebot Landes- und Regionalplanung 98ff, 135, 139ff, 226, 232ff, 292f, 407 Ländlicher Raum 30, 38, 50, 54, 77ff, 94, 101ff, 120, 143, 160, 226ff, 251, 301 Lebensstile; siehe auch Milieus 16f, 132ff, 152ff, 180, 187, 203ff, 236, 253

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Lebensqualität; siehe StadtqualitätLeistungsvergleiche 271, 283f, 409, 342 Metropolregion 17, 53, 101f, 139ff. Migranten 17, 44, 130, 138, 154, 175ff, 198ff, 231, 306ff, 350ff, 403, 409 Milieus; siehe auch Lebensstile 67ff, 84ff, 95, 156f, 186ff, 399ff. Mischung, soziale; siehe auch Integration und Soziale Stabilität 157, 177ff, 188, 212, 216, 243, 255, 308 Mischung, funktionale 95, 137, 141, 188, 407 Mittelstädte; siehe Klein- und Mittelstädte Modellprojekte 60, 144, 148, 193f, 200, 244f, 249f, 260, 273, 357, 362, 411 Moderation (durch das Land) 90, 252, 301, 314, 327ff, 361, 398, 406f. Monitoring 148, 195ff, 236, 301, 315, 326ff, 334ff, 410f. Nachhaltigkeit 16, 66, 133ff, 194f, 209, 226, 234, 310ff, 336, 340, 360f, 407 Netzstadt 17, 41, 92, 99ff, 139ff, 327, 407 Objektförderung 256, 404 Öffentlicher Raum 18, 60, 155, 179ff, 211, 213, 217, 258, 268, 319, 401 Partizipation; siehe auch Bürgerbetei ligung 200, 214f, 278, 319, 323, 361, 403f. Pendler 77, 107, 117ff, 241f, 347, 358 Preisgebundener Wohnungsbau; siehe auch Wohnraumförderung 35, 154, 209, 222, 229ff, 254f, 292, 311, 323, 330, 400, 405

Problemgruppen 18, 157f, 164, 177, 180, 185, 198f, 203f, 221, 232, 242f, 248, 256, 307, 310, 323, 404, 409 Public Private Partnership 145ff, 277ff, 312, 409 Quartiere 85, 95, 154, 158f, 176ff, 188, 197f, 242f, 254f, 270, 308f, 322f, 403f Quartiersmanagement 322f. Raumordnung; siehe Landes- und Regionalplanung Regionale Kooperation 18f, 73ff, 83, 86, 90, 92, 127, 140, 143, 201, 244ff, 250, 286ff, 304ff, 308, 312ff, 325ff, 337ff, 352, 358ff, 398f, 404ff. Regionaler Wohnungsmarkt; siehe Wohnungsmarkt, regional Regionalplanung; siehe Landes- und Regionalplanung Schrumpfende Stadt 16f, 40, 44, 55ff, 89, 108, 115, 135, 143f, 160, 178, 242, 248, 258, 321f, 401f. Segregation 17, 56, 96, 135, 153ff, 176ff, 196ff, 207, 212, 242ff, 255ff, 308, 321ff, 350ff, 399, 403, 410 Senioren 70, 86, 207f, 236ff, 253, 266, 269, 283, 322 Sicherheit 155, 182ff, 210, 269, 276, 285, 294, 309, 323, 401 Sozialarbeit 185, 255, 401 Soziale Stabilität 17, 164, 196, 255, 308, 317f, 322 Soziale Stadt 75, 128, 196f, 245, 250, 329, 341ff, 350, 403, 411 Sozialraumanalyse 156, 164ff, 176, 198f, 203ff, 352, 403 Städtebau 17f, 32, 69, 96ff, 119, 132ff,144ff, 207ff, 216, 250, 254, 433

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257ff, 305, 319ff, 328, 351, 359, 400f, 407 Städte-/Siedlungstypen 29ff, 50ff, 75ff, 85ff, 105ff, 239ff, 247, 356, 398 Stadtqualität; siehe auch Bestandsentwicklung 17, 32, 69, 72, 88, 196ff, 259, 309, 317ff, 320f, 322f, 399f, 401f. Stadtteilbüro 197f, 284, 403, 409 Stadtteile; siehe Quartiere Stadtentwicklung 5, 6, 24f, 29ff, 91, 95ff, 132, 145, 151f, 186ff, 196, 249f, 257ff, 266, 311, 319ff, 325, 343, 350, 357, 399ff. Stadterneuerung 97, 144ff, 197, 250, 261, 268, 404 Stadtgesellschaft 156, 189f, 196, 319, 403ff. Stadtplanung 210, 257ff, 401 Stadtumbau 230, 249, 257ff, 321, 401f. Stadt-Umland-Beziehung 31, 119, 128, 135, 289, 300, 398, 406 Stadtumland 17, 50, 69ff, 77f, 83f, 85f, 87, 89, 90f, 103ff, 109ff, 115ff, 119ff, 124ff, 154, 178, 222ff, 228, 233, 241ff, 248, 251f, 292, 297ff, 306, 312, 384, 398, 407 Standards 75, 145, 149, 152, 237, 255, 258, 276, 282f, 311, 321, 327, 361, 409 Standortpolitik 16f, 32, 35f, 63ff, 75, 77, 82ff, 93ff, 102, 123ff, 140ff, 186f, 203, 207, 212, 248, 290, 293f, 306f, 312ff, 315, 320, 327, 398f. Steuerung, landespolitische 100, 135, 139, 282, 324f, 326ff, 330f, 334ff, 400, 410 Strukturpolitik 17, 51, 65ff, 82f, 90, 434

143, 203, 260, 290ff, 398f, 408, 411 Strukturwandel 17, 55, 58, 66, 68ff, 75, 81, 83, 87, 90f, 104, 124, 152f, 155, 258f, 282, 289, 293, 319f, 322, 398 Subjektförderung 244, 256, 404 Suburbanisierung 17, 31, 37f, 57, 64, 69, 72, 77f, 83, 95, 100ff, 105ff, 128ff, 142f, 148, 154, 207, 211f, 222, 226, 228, 232ff, 243, 251f, 257f, 289, 322, 403, 407f. Technologiezentren; siehe auch Wirtschaftsförderung 66f, 72f, 149, 344 Telearbeit 94, 95 Tertiärisierung 30, 63, 68, 89, 123, 181, 242, 399 Typisierung 30ff, 58, 75f, 90, 105f, 113, 115, 209 Umlandgemeinden; siehe Stadtumland Verwaltungsreform 264ff, 274, 357 Wanderung, Bevölkerungs- 15, 17, 31,44, 45, 50, 56, 57, 59, 60, 77, 84, 104, 105, 108f, 121f, 128, 131f, 134, 142, 154, 156, 159, 212, 218, 221f, 226f, 235f, 243, 247f, 251f, 257, 300, 308, 323, 326, 369, 399 Wettbewerb, Städte- 16, 31, 68, 72, 75, 83f, 87, 90f, 102, 125, 265, 269, 272, 279f, 284, 289f, 294, 306f, 312f, 327, 356, 398f, 409 Wettbewerbe, städtebauliche 97, 254, 260, 319, 400, 409 Wirtschaftsstruktur 32, 34, 74, 76, 80, 86f, 89, 94, 306, 398 Wirtschaftsförderung 17, 72, 82f, 90, 203, 260, 290, 292f, 298, 399, 411 Wissenskultur 34, 36f, 39, 63, 68f, 186f, 200, 317, 319f, 399

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Wohneigentum 122, 191, 206, 225, 230, 239, 244, 246, 252f, 256, 323, 400 Wohngeld 256, 311, 404 Wohnqualität; siehe auch Stadtqualität 109, 207, 230, 234, 236, 252f, 309 Wohnraumförderung 101, 221, 231, 244f, 248f, 254f, 261, 326, 328, 350f, 358f, 400, 404, 411 Wohnumfeld 18, 59, 67, 82, 122f, 187,193, 206f, 226, 230, 236, 248, 255, 257f, 309, 318, 320f, 400, 402, 404 Wohnungsbau 35, 51, 121, 128, 142, 151, 154, 206, 209, 221f, 225f, 228f, 234, 237, 239, 243f, 246, 248f, 254f, 258, 260, 292, 311, 323, 330, 348, 350, 359, 400, 406, 411 Wohnungsbauförderung; siehe Wohnraumförderung Wohnungsmarkt 41, 56, 123, 128, 200, 209, 221f, 232, 235f, 252, 254f, 258, 307f, 323, 340, 344, 348, 350, 400 Wohnungsmarkt, regionaler 177, 206, 208, 229, 239f, 250, 258, 295, 326, 340, 410f. Wohnungswirtschaft 18, 216, 231, 243, 236, 243, 248f, 252, 254f, 259f, 308, 402, 405 Zentrale Orte 41, 99, 101, 124, 139, 143, 407 Zentren 15, 17, 34, 36f, 69, 76f, 81, 83f, 93, 95, 99f, 104f, 116f, 129, 136f, 145f, 155, 179f, 207, 232, 258 Zielgruppen; siehe auch Milieus 207f, 221, 231, 235f, 248, 251, 253f, 400, 405

Zwischenstadt 17, 30, 102f, 107f, 105f, 109ff, 115ff, 128f, 132, 140, 142, 222, 228, 233, 243, 251, 398, 407

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Ende des Jahres 2000 wurde die Enquetekommission zur Zukunft der Städte in NRW vom Landtag Nordrhein-Westfalen beauftragt, Empfehlungen zur Zukunftssicherung der nordrhein-westfälischen Städte zu erarbeiten. Sie soll aufzeigen, durch welche landespolitischen Rahmenbedingungen die urbanen Qualitäten der Städte erhalten und weiter entwickelt werden können. Mit diesem Bericht legt die Enquetekommission nun eine umfassende Bestandsaufnahme zur gegenwärtigen Situation und der künftigen Entwicklung der Städte in NordrheinWestfalen vor. Die Analysen verdeutlichen unter anderem, dass aufgrund der höchst unterschiedlichen städtischen Problemkonstellationen und regionalen Entwicklungsperspektiven in Zukunft differenziertere Strategien in der Städtepolitik erforderlich sind. Künftige Aufgabenfelder sieht die Enquetekommission in der Profilierung von regionalen Kompetenzfeldern und Wissensstandorten, einer Neuorientierung der Stadtentwicklung und Landesplanung sowie einer regionalen Ausrichtung der Wohnungspolitik, die ebenso dem zu erwartenden Bevölkerungsrückgang Rechnung trägt. Die Städte sind zunehmend Kristallisationspunkt der sozialen und ethnischen Integration. Neben einer Stärkung von Familien- und Bildungspolitik sieht die Kommission die qualitative Aufwertung und zielgruppenorientierte Erneuerung der Wohnungsbestände als besondere Herausforderung, um die Städte zu attraktiven Wohn- und Arbeitsorten für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen zu entwickeln. Ebenfalls verändert sich das Selbstverständnis der Kommune hin zu einem kooperativen Umgang mit Bürgern und kommunalen Akteuren. Zentrale Ansätze im Rahmen der Landespolitik sieht die Enquetekommission in der Stärkung von Region und Kooperation, um den Wettbewerb um Bevölkerung und Arbeitsplätze zu bewältigen und regionale Interessen ausgleichen zu können. Die Städte und Gemeinden müssen aus Sicht der Kommission mehr Autonomie erhalten und in ihrer Verantwortung gestärkt werden. Dies führt zu einer Neuorientierung der Städtepolitik auf allen verantwortlichen Handlungsebenen – bei den Kommunen, den Regionen und beim Land. Als strategisches Instrument einer flexibleren politischen Steuerung schlägt die Kommission das Konzept eines Städte- und Regionalmonitorings vor, das auf der Basis von gemeinsamen Zielvereinbarungen zwischen Kommunen und Land neue Qualitäten in der Förder- und Investitionspolitik der stadtpolitisch relevanten Handlungsbereiche ermöglicht und somit in Zukunft die vielfältigen Entwicklungsoptionen in der Städtelandschaft von Nordrhein-Westfalen berücksichtigt.

ISBN 3-8176-1130-7

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