Zeitschrift der Föderation Vinzentinischer Frauengemeinschaften

March 12, 2018 | Author: Anonymous | Category: N/A
Share Embed


Short Description

Download Zeitschrift der Föderation Vinzentinischer Frauengemeinschaften...

Description

2

Nr. April Mai Juni 2010

Zeitschrift der Föderation Vinzentinischer Frauengemeinschaften

350. TODESJAHR DES HL.VINZENZ UND DER HL. LOUISE MARIA IM LEBEN DES HL. VINZENZ UND DER HL. LOUISE Homilie bei der Föderationstagung im Kloster Frauenwörth 2009 SPIRITUAL P. ROBERT LACHENSCHMID SJ

Liebe Schwestern und Brüder, wir feiern Eucharistie heute an einem Samstag – und richten dabei unseren Blick auf Maria. Wir sind am Ende unserer diesjährigen Föderationstagung, und wir stehen auch im Jubiläumsjahr der 350-Jahr-Feier des Todes der heiligen Ordenspatrone Vinzenz von Paul und Louise von Marillac. Ich lade Sie ein, mit mir kurz zu schauen, wie Maria von Vinzenz und Louise gesehen und gekündet worden ist. Vinzenz und auch Louise hatten eine ganz innige Marienverehrung. Für Vinzenz waren vor allem drei Geheimnisse des Lebens Marias bestimmend: • die Unbefleckte Empfängnis, • die Verkündigung, • die Heimsuchung. 2

Alle drei Geheimnisse künden Maria, haben eine Beziehung zu Jesus und haben eine besondere Bedeutung für Vinzenz, seine Missionare und Schwestern – und damit auch für uns alle.

Aussage über Maria Die drei Geheimnisse betreffen Maria selbst. – Vinzenz bekennt sich zur Unbefleckten Empfängnis Marias. Dieses Geheimnis wurde zu seiner Zeit, also im 17. Jahrhundert, noch diskutiert, war also noch nicht allgemeine Glaubenslehre. Aber es gab schon seit dem 15. Jahrhundert ein Fest zu Ehren Marias als der Unbefleckten Empfängnis, und diese Verehrung geht in frühchristliche Zeit

zurück. Sie war im 17. Jahrhundert in Frankreich sehr lebendig. Für Vinzenz und Louise ist dieses Geheimnis sehr bedeutsam. Für Vinzenz besagt die Unbefleckte Empfängnis Marias ihre Bereitung durch Gott zum reinen Gefäß für die Aufnahme des Sohnes Gottes in der Menschwerdung. Vinzenz erkennt in der Unbefleckten Empfängnis ein Vorrecht, durch das klar und unfehlbar ausgedrückt wird, was Gott an »Leere« und »Reinheit«, an Demut und Keuschheit verlangt, damit ein Geschöpf ihn empfangen und sich mit ihm vereinen kann. Maria ist so begnadet, um den Sohn Gottes empfangen zu können. Und dies ist im zweiten

Geheimnis – in der Verkündigung – ausgesagt: Maria hört das Wort Gottes und erklärt sich als die Magd des Herrn: »Ich bin die Magd des Herrn, mit mir geschehe, was du gesagt hast« (Lk 1,38). Wir haben hier ihre Zustimmung zum göttlichen Ratschluss. Und das dritte Geheimnis bedeutet für Maria, dass sie zu ihrer Base geht, um zu dienen – und dabei ist sie Christusträgerin, Monstranz! Sie ist Überbringerin der Frohbotschaft. – In allen drei Geheimnissen erscheint Maria in ihrer Demut.

Bezug zu Jesus Alle diese drei marianischen Geheimnisse stehen in Beziehung zu Jesus. Vinzenz spricht von Maria immer mit

dem Hinweis auf ihren Sohn. Sie ist um seinetwillen da! Fangen wir beim zweiten Geheimnis, bei der Verkündigung, an. Maria wird von Gott durch den Engel mitgeteilt, dass sie Mutter des Sohnes Gottes werden solle. Und der Sohn Gottes wird in ihrem Schoß Mensch. Und es folgt das dritte Geheimnis: Maria geht zu ihrer Base. Sie trägt den Mensch gewordenen Sohn Gottes in ihrem Schoß – sie trägt ihn zu Elisabeth. Und das erste Geheimnis, das Geheimnis der Unbefleckten Empfängnis, liegt den beiden anderen Geheimnissen zugrunde. Maria wurde unbefleckt empfangen auf ihre Mutterschaft, auf die Menschwerdung des Sohnes Gottes hin. Und sie wurde unbefleckt empfangen durch die Verdienste

Zum Titelbild Jeder erfährt in seinem beruflichen und privaten Leben, wie Nähe und Distanz zu Menschen immer wieder neu überprüft werden müssen. Der hl. Vinzenz scheint darin eine besondere, nachahmungswürdige Begabung gehabt zu haben. Dieses Titelbild zeigt uns einiges davon.

ihres Sohnes; sie wurde vorauserlöst.

Bedeutung für uns In diesen drei Geheimnissen sieht Vinzenz eine besondere Bedeutung für sich und für seine Missionare und Schwestern – und damit auch für uns. Wahre Marienverehrung besteht für Vinzenz darin, Maria zu ehren und von ihr zu lernen und ihr in ihren Tugenden nachzueifern. Durch die Betrachtung der Unbefleckten Empfängnis Marias wird für Vinzenz vor allem die Demut als Grundhaltung des Christen erfahrbar. Durch dieses Geheimnis vernimmt Vinzenz den Appell, Gott Raum zu geben im eigenen Herzen, immer mehr leer – ich kann auch sa- 

Der hl. Vinzenz lässt den Armen ganz nahe an sich herankommen. Er hat keine Berührungsängste, wie die linke Hand zeigt. Was seine rechte Hand macht, können wir nur ahnen. Beide schauen sich an. Sie werden sich auch gegenseitig zugehört haben. Dazu sind beide stehengeblieben. Einen Vinzenz, der Barmherzigkeit nur so im Vorübergehen lebte, kann ich mir einfach nicht vorstellen. Was ich gerne wüsste? Was ging bei dieser und bei vielen anderen Begegnungen mit Menschen in seinem Herzen vor: Mit Gott und vor Gott? Das bleibt sein Geheimnis. Wie es allerdings um meine Barmherzigkeit bestellt ist, um meine zu große oder zu kleine Nähe oder Distanz mit Menschen, das weiß nur ich allein. Doch ich kann es ändern, noch heute, bei meinen Begegnungen ... SR. URSULA BITTNER

3

Geistliches Wort

LIEBE SCHWESTERN, wir stehen mitten im Jubiläumsjahr unserer verehrten Ordensheiligen, Vinzenz und Louise, da wir ihren 350. Todestag im März und September feiern können. Freude, Staunen und Dankbarkeit erfüllt uns, wenn wir Gottes wunderbares Wirken in ihrem Leben erneut erkennen dürfen. Als Einzelne und als Gemeinschaften werden wir mit besonderer Liebe und Verehrung die geistigen Spuren Louises und Vinzenz’ nachempfinden, sie verinnerlichen und in den eigenen

 gen

»frei« – zu werden von Selbstsucht und Sünde. Im Geheimnis der Verkündigung sieht Vinzenz die Lehre, wie Maria den Willen Gottes geschehen zu lassen und Christus aufzunehmen. Im Geheimnis der Heimsuchung verspürt Vinzenz die Sendung: Christus zu den anderen zu tragen – den Armen die Frohbotschaft zu künden – wie und mit Maria das Magnificat zu singen: 4

Berufungs- und Sendungsweg einfließen lassen. Jede Schwester mag dabei ihre ganz persönliche Beziehung zu den Heiligen reflektieren und in ihrem Herzen wünschen, von deren Geist der Gottes- und Nächstenliebe neu entflammt zu werden. Wie vorbildlich war das Tugendleben, das Streben nach Heiligkeit, die Demut und innere Größe der hl. Mutter Louise, ihre Tapferkeit im Ertragen der alltäglichen Mühen und Anforderungen im Armendienst wie auch in

»Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter« (Lk 1,46 f.). Liebe Schwestern und Brüder, Vinzenz hatte eine sehr innige Marienverehrung. Und diese seine Marienverehrung ist für ihn Verehrung Marias und zugleich Verehrung ihres Sohnes, unseres Herrn Je-

SR. M. BRIGITTA BUCHLER, GENERALOBERIN IN HEPPENHEIM

der Formung und Leitung der jungen Gemeinschaft. Welch großartige verwandelnde Gnade Gottes war am Priester Vinzenz am Werk! Seitdem Vinzenz erkannte: »Erbarmen ist das innerste Geheimnis Gottes«, konnte er gar nicht mehr anders

sus Christus, und letztlich Verehrung Gottes. Und diese Verehrung erfährt Vinzenz als Aufruf für sich selbst und für uns alle: wie Maria • leer und demütig zu sein; • Christus aufzunehmen; • mit Christus zu den Menschen zu gehen – den Armen die Frohbotschaft zu künden – zu dienen – Gott zu preisen!

leben, als sich – wie Jesus – in der Hingabe an die Menschen aufzuzehren. Er geht in ihre Not ein, sein Herz schlägt für die Armen und wird so dem Herzen Jesu mehr und mehr ähnlich. Viele Aussagen des hl. Vinzenz lassen uns seine Herztöne erkennen. Liebe Schwestern, vieles könnte ich hier aus den großartigen Lebensbildern Louises und Vinzenz’ anführen, die Sie aber auch kennen. Dankbar möchte ich auf die Impulse und Betrachtungen hinweisen, die uns unsere vinzentinischen Brüder, die Lazaristen, in diesem Jubiläumsjahr zuschicken. Auch das Echo, die Zweimonatszeitschrift aus Paris, deutsche Ausgabe, ist eine kostbare Fundgrube, die uns die Heiligen der vinzentinischen Familie näher bringen.

Die vielen wertvollen Beiträge unserer Zeitschrift heute begleiten uns seit vielen Jahren in vielerlei Hinsicht spirituell, theologisch, vinzentinisch und aktuell und stellen uns in bunten Facetten Vinzenz und Louise vor Augen. Als einen gewissen Auftakt zum Jubiläumsjahr muss ich die »Wallfahrt« der Generaloberinnen der Föderation im Juli 2009 nach Paris erwähnen. Es waren unvergessliche Tage in der Rue du Bac. Tage der Begegnung mit Mutter Louise, Vater Vinzenz, Schwester Katharina Labouré, dem Gnadenort der Erscheinung der Mutter Gottes in der Kapelle – und nicht zuletzt mit der Generaloberin der Töchter der christlichen Liebe, Soeur Evelyn Franc und vielen Schwestern des Mutterhauses.

Diese wundervollen Erlebnisse haben uns alle tief und nachhaltig berührt. Eine solche Fülle von Begegnungen mit Heiligem im umfassenden Sinn hat in mir erneut den Vorsatz geweckt, nicht nur für mich selbst und meine Mitschwestern, sondern auch über das Mutterhaus hinaus den hl. Vinzenz und die hl. Louise lebendig werden zu lassen. Denn die Kraft ihrer Liebe hat doch die Welt verändert – bis in unsere Zeit hinein! Liebe Schwestern, lasst uns Gott loben und danken für die großen Heiligen, die er uns als Patrone und Vorbilder für unsere Berufung als Barmherzige Schwestern geschenkt hat. Lasst uns mit neuer Freude und Hingabe, heute ihr Charisma leben und damit bezeugen: Erbarmende Liebe erobert die Welt. Schnappschuss aus dem Mutterhaus Hildesheim.

5

Schwerpunkt SR. BRIGITTA BUCHLER

Vinzenz und Louise haben den Menschen ihrer Zeit nicht nur Suppe, Medizin und äußere Hilfe gegeben. Sie haben mit liebendem Blick tiefer geschaut, die Not der Seele, der Psyche, der Gottsuche erkannt – sie sahen immer den ganzen Menschen. Wenn wir uns fragen, wie wir heute Sinn suchenden, gestressten, ruhebedürftigen Menschen dienen können, so ist dies – neben den bisherigen Diensten – zunehmend in der Weise, dass wir ihnen Gutes tun für die Seele, den Körper und den Geist. Einladen zum Auftanken, Stillewerden, Begegnung mit Gott im stillen Gebet und in den Gottesdiensten, Dienst des Zuhörens, Gesprächsangebote, Mitteilen von Lebenserfahrungen, Erleben von Gemeinschaft. Der folgende Bericht möchte davon etwas wiedergeben.

ZEIT DER STILLE Eine Titelstory in UBI BENE, Winter 2009. Text: Ute Maag. Foto: Christian Dammert.

Sich zurückziehen. Entspannung, Ruhe und Geborgenheit finden. Über Gott und die Welt reden. Oder einfach nur schweigen. Die Gründe, warum immer mehr Menschen im Kloster auf Zeit Erholung suchen, sind vielfältig. Viele Ordenshäuser machen Angebote, auch für nicht religiöse Gäste. Ein Besuch bei den Vinzentinerinnen in Heppenheim an der Bergstraße.

L

eise fällt die schwere Eingangstür ins Schloss. Schummriges Nachmittagslicht dringt durch die Buntglasscheiben der Eingangshalle. Der Lärm des 6

nahen Heppenheimer Bahnhofs bleibt draußen. Es herrscht eine Stille, die man hören kann. Man setzt sich, wartet und hört auf zu warten, bis eine freundliche Stimme plötzlich sagt: »Machen Sie doch Licht. Es ist ja so dunkel hier.« Schwester Brigitta kommt gerade von der Vesper aus der angrenzenden Kapelle, eine offene Frau mit wachen Augen und einem breiten Lachen. Die Generaloberin des Mutterhauses begrüßt den Gast auf das Herzlichste, er fühlt sich aufgenommen in diese Gemeinschaft, mit der er die nächsten Tage verbringen will.

Das Kloster der Barmherzigen Schwestern vom heiligen Vinzenz von Paul ist eines von mittlerweile rund 250 Ordenshäusern in Deutschland, die Gäste zu einem Klosterleben auf Zeit einladen. Die Angebote sind so vielfältig wie die Lebensweisen der verschiedenen Kongregationen und reichen vom Meditationskurs für ausgebrannte Manager im Kloster Andechs in Bayern bis zum Wellness-Aufenthalt im Kloster Arenberg bei Koblenz. Besonders beliebt sind Fastenkurse. Viele Klöster unterhalten Gästehäuser und nehmen Frauen, Männer und ganze Familien auf.

Selbst kontemplative, also der Welt abgewandte Orden wie Zisterzienser und Trappisten ermöglichen das MitLeben auf Zeit.

Hilfestellung bei der Suche nach Spiritualität Auch die Heppenheimer Vinzentinerinnen reagieren auf immer zahlreichere Anfragen: Sie laden Frauen ein, in ihre Lebensweise einzutauchen und am Tagesablauf teilzunehmen. »Der Bedarf an solchen Möglichkeiten steigt. Viele Menschen sind auf der Suche, nach sich selbst, nach einem Sinn, nach Spiritualität, nach Gott«, erklärt Schwester Brigitta. »Hier wollen wir in Gesprächen Hilfestellung geben.« Im Zuge der umfangreichen Sanierungsmaßnahmen am Klostergebäude entstehen derzeit zwölf Gästezimmer, direkt über der Kapelle mit Blick auf die Stadt. Sie sollen im Frühjahr bezugsfertig sein. »Schlicht, aber hell und freundlich«, will die Generaloberin sie gestalten, damit Besucherinnen, die wenige Tage, aber auch mehrere Wochen bleiben können, sich darin geborgen fühlen. Die Vinzentinerinnen sind kein völlig zurückgezogen lebender Orden – im Gegenteil. Wer das 1927 erbaute Kloster einmal umrundet, wird feststellen, dass seine Mauern keineswegs abwei-

Innenansicht der Klosterkapelle.

pflege, in Kindergärten und Waisenhäusern.«

Gestandene Frauen im Dienst am Menschen send wirken. Die Kapelle kann man von der Straße aus betreten, Heppenheimer Bürger nehmen an den Messen teil. Im Innern gibt es einen Gemeinschaftsfernseher und Tageszeitungen. Einen Kreuzgang sucht der erstaunte Gast vergebens. »Unser Kreuzgang sind die Straßen der Stadt«, erklärt Schwester Brigitta: »Wir gehen raus um zu helfen: in der Alten- und Kranken-

Die 33 Ordensdamen sind gestandene Frauen, die auf ein erfolgreiches Berufsleben im Dienst an den Menschen zurückblicken. Schwester Maria Cäcilia zum Beispiel. Sie sagt: »Ein rein kontemplativer Orden wäre nichts für mich gewesen. Ich wollte immer tätig sein und anderen helfen.« Die Vikarin und Stellvertreterin von Schwester Brigitta war elfmal in Indien und hat dort am Aufbau des  7

Ordens mitgewirkt. In ihrem Arbeitszimmer, in dem direkt unter dem Kreuz der Computer steht, glimmen Räucherstäbchen, die ihr indische Mitschwestern regelmäßig schicken. »Ich mag diesen Duft so gern«, gesteht sie lächelnd. Oder Schwester Maria Bernadette. Die Schwäbin war Schneidermeisterin, doch schon als junge Frau entschied sie sich gegen die Modeschule und für ein Leben als Ordensschwester. »Ich wollte schon als Mädchen Nonne werden«, berichtet sie, und man glaubt ihr aufs Wort, wenn sie ergänzt: »Und ich habe es keinen Tag bereut.« Nachdem sie Armut, Keuschheit und Gehorsam gelobt und die Ordenstracht übergestreift hatte, studierte sie Sozialpädagogik, war im Studentenausschuss aktiv und leitete lange Jahre das SchifferKinderheim auf dem Mannheimer Almenhof, ehe sie, nach einer weiteren Ausbildung, die letzten zwölf Berufsjahre als Krankenhausseelsorgerin in Buchen im Odenwald verbrachte. Oder Schwester Edeltraut. Die kleine Frau ist ein Energiebündel, findet Angela Merkel toll, leidet mit dem VfB Stuttgart und fertigt wunderschön gemalte Geschenkkarten. Ihr Kinderbuch Die großen Herzen kleiner Leute erschien in mehreren Auflagen, und ganz beiläufig sagt sie Sätze, die 8

sich einprägen und über die man lange nachdenken kann. »Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, stelle ich mir ein Rosenfeld vor. Mit vielen Knospen und wunderschönen, prächtigen Blüten. Aber die Dornen habe ich auch gespürt.« Oder: »Das Leben ist eine Schatztruhe voller Erinnerungen, die uns zu dem gemacht haben, was wir sind.«

Der Glockenschlag teilt den Tag ein Doch es sind nicht nur die spontanen Unterhaltungen mit den Ordensfrauen, die den Gast auftanken lassen. In Heppenheim wird nicht erwartet, dass Besucherinnen den Tagesablauf der Ordensschwestern von morgens bis abends mitleben oder dass sie das Gespräch mit ihnen suchen. Sie machen ein Angebot und freuen sich über Interesse. »Wir hatten schon Studentinnen hier, die sich auf ihr Examen vorbereitet haben und die in der Ruhe hier gut lernen konnten«, erinnert sich die Generalvikarin: »Andere Frauen suchten das seelsorgerische Gespräch und Lebenshilfe, wieder andere die Meditation.« Die Teilnahme am Klosterleben gibt vielen Menschen neue Impulse. Denn der Tagesablauf verläuft in festen Bahnen, mit der Kapellenglocke als Leitplanke.

Mönche und Nonnen sind keine Langschläfer: Bei den Vinzentinerinnen erklingt der Weckruf mit dem Sechs-UhrGeläut, Schlag Viertel vor Sieben erheben sich alle Schwestern zum Morgenlob in der Kapelle. Auch die gemeinsamen Mahlzeiten werden immer zur selben Zeit eingenommen. Fast feierlich wird die Stimmung, wenn alle Gespräche verstummen und mit dem Glockenschlag Schwester Felicitas das Tischgebet spricht. Darüber hinaus pflegt jede Ordensdame ihre eigenen Rituale – Schwester Maria Cäcilia etwa steht jeden Morgen um fünf Uhr auf und meditiert, denn »da habe ich die klarsten Gedanken«. »Aus dem Kloster kann man vieles in die Welt mitnehmen«, sagt Schwester Brigitta zum Abschied – und dafür muss man nicht einmal gläubig sein. Die benediktinische Klosterregel »Ora et labora« etwa, die mahnt, die Balance von Arbeit und Ruhezeiten zu wahren. Das Sich-Zurückziehen in die Stille, die den Schritt bremst und die Stimme senkt. Oder die klösterliche Ordnung und Aufgeräumtheit, die den Blick auf das Wesentliche lenkt. Und das Gefühl der erlebten Geborgenheit, das noch lange nachwirkt, nachdem der Besucher wieder heraus auf die Straße getreten und die schwere Eingangstür langsam ins Schloss gefallen ist.

Berichte aus Mutterund Provinzhäusern

Augsburg 150 JAHRE CHRISTLICHE KRANKENPFLEGE Barmherzige Schwestern und Diakonissen leben Ökumene. Im Rahmen des weltweiten Jubiläumsjahres zum 350. Todestag des hl. Vinzenz und der hl. Louise feierten wir in Augsburg in der Klinik Vincentinum am 14. Oktober 2009 mit großer Freude ein »kleines« Jubiläum: Wir blickten 150 Jahre zurück, auf den 9. August 1859. Das damals neue Städtische Krankenhaus in Augsburg ging in Betrieb. Genau nach den beiden großen Konfessionen getrennt, übernahmen Barmherzige Schwestern auf der katholischen Abteilung und Diakonissen auf der evangelischen Abteilung die Betreuung und Pflege der Kranken. Beide Bereiche begannen ihre Tätigkeit in ihrer jeweiligen Kapelle mit einem Gottesdienst, räumlich getrennt,

doch im tiefsten verbunden im Dienst am Menschen in der Nachfolge Jesu Christi. 150 Jahre Krankenpflege in christlichem Geist. Dies feierten wir jetzt dankbar in einem ökumenischen Gottesdienst. Sr. M. Michaela, Generaloberin der Barmherzigen Schwestern, begrüßte fast 30 Diakonissen mit ihrer Oberin, Frau Pfarrerin Christiane Ludwig. Diese und Herr Regionaldekan Hubert Ratzinger leiteten den Gottesdienst. Schwester Oberin M. Luithildis von der Klinik Vincentinum berichtete, wie es zu einem neuen Krankenhaus in Augsburg und zum Einsatz von Barmherzigen Schwestern und Diakonissen kam:

Das Krankenhauswesen lag in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts arg danieder. In der Säkularisation wurde der Dienst aus christlicher Motivation verworfen, krankenpflegende Gemeinschaften wurden vertrieben. Der Ersatz war kläglich. Für Kranke und Sterbende war meist nur mangelhaft gesorgt. So war es auch in Augsburg. Deshalb wurde der Ruf nach einem neuen Krankenhaus und nach Barmherzigen Schwestern, wie sie in München und in anderen Städten Bayerns bereits tätig waren, unüberhörbar. Der Magistrat konnte sich jedoch wegen der paritätischen Verhältnisse in Augsburg lange  9

nicht einigen. Schließlich brachte 1852 eine Stiftung über 100 000 Gulden Bewegung in die Angelegenheit. An das Geld war die Bedingung geknüpft, innerhalb von zehn Jahren Barmherzige Schwestern einzuführen und in Augsburg ein eigenes Mutterhaus zu bauen. Für die evangelischen Kranken sollten Diakonissen nach Augsburg geholt werden. Auch dafür gab es bedeutende Spenden von namhaften Bürgern. Nach langem Hin und Her entschloss sich der Augsburger Magistrat, »ein neues Krankenhaus zu bauen und so anzulegen, dass die Kranken beider Konfessionen in demselben untergebracht werden können, jedoch so voneinander getrennt, dass jeder Theil die ihm zusagende Pflege für seine Kranken ohne Einmischung des anderen Theils ausüben könne«. So steht es in einer Schrift aus dieser Zeit. So wurde zwischen 1856 und 1859 das neue Städti10

sche Krankenhaus gebaut. An einen Mittelbau mit Funktionsräumen schloss sich westlich der evangelische Teil an. Richtung Osten war der katholische Teil. Nach der feierlichen Übergabe am 9. August 1859 wurden jeweils im 1. Stock die Männer, im 2. Stock die Frauen untergebracht. Entsprechend dem damaligen Anteil der Bürger mit 2/3 katholischem und 1/3 evangelischem Bekenntnis, waren die »katholischen« Gebäudeteile größer. Seit dem Augsburger Religionsfrieden 1555 herrschte in der freien Reichsstadt Augsburg das Recht auf paritätische Besetzung und Aufteilung, das im Westfälischen Frieden 1648 bestätigt und festgeschrieben wurde. Im neuen Städtischen Krankenhaus waren außer der je eigenen Kapelle und den getrennten Krankenabteilungen auch die Küche und deren Bevorratung und die Wäscherei paritätisch getrennt. Nur das Leichenhaus

und die Sektionsräume konnten gemeinsam genutzt werden. In den folgenden Jahren erweckten Meinungsverschiedenheiten unter den Bürgern und im Magistrat den Eindruck, dass Barmherzige Schwestern und Diakonissen die Kranken unzulänglich versorgten und den Religionsfrieden störten. Diesen Verleumdungen setzten am 16. Mai 1862 die Dekane der beiden Konfessionen gemeinsam ein Ende. Sie erklärten, dass der konfessionelle Friede im Krankenhaus noch nie und von keiner Seite gestört worden sei. So war es auch. Barmherzige Schwestern und Diakonissen arbeiteten jahrzehntelang Seite an Seite aus derselben christlichen Motivation und mit ganzem Einsatz ihrer körperlichen und geistigen Kräfte zum Wohl der Kranken. Erst in den Jahren 1935 bis 1937 wurde im Städtischen Krankenhaus die »reinliche« Trennung der Konfessionen aufgehoben. Einige Jahre

später beendeten die Diakonissen dort ihren guten Dienst. Im Nationalsozialismus, in den Kriegswirren und auch danach hielten die Barmherzigen Schwestern im Städtischen Hauptkrankenhaus die Stellung. Erst als 1982 die Kranken in das neue Zentralklinikum Augsburg umzogen, beendeten auch die Barmherzigen Schwestern ihren Dienst in den Städtischen Häusern. Ungeachtet dessen gab und gibt es weiterhin das gute und menschlich angenehme Miteinander von Diakonissen und Barmherzigen Schwestern. In den beiden, von den jeweiligen Schwesterngemeinschaften errichteten und bis heute geprägten Kliniken »Diako, die Stadtklinik« und »Klinik Vincentinum«, gibt es viele Berührungs-

punkte und eine gute Zusammenarbeit. Von Anfang an nahmen beide Kliniken Kranke beider Konfessionen auf, und in beiden Kliniken werden die Patienten nicht nur fachlich sehr gut behandelt und gepflegt, sondern auch in ihren religiösen Bedürfnissen gut betreut. So war es uns ein Bedürfnis – und damit schließt sich der Kreis, an diese 150 Jahre dauernde gute Verbindung zu denken und miteinander zu feiern. Nach dem Gottesdienst waren die Diakonissen in das Refektorium der Schwestern zu Begegnung und einem kleinen Imbiss eingeladen. Groß war die Freude aneinander, und von vielen Schwestern wurde der Wunsch geäußert, dass es wieder eine solche Zusammenkunft geben möge.

und kamen aus dem Staunen nicht heraus. Dem Trompetenbaum und seinem Schöpfer, dem dieses Fest galt, wurde großes Lob und inniger Dank zuteil. Eigens kam ein Trompeter, der mit seinen Klängen die Herzen verzauberte. Unsere Sinne kamen voll auf die Rechnung: die Pracht des Baumes, mitten drinnen sogar noch ein Amselnest, die herrlichen und tiefen Gedanken und Gedichte, bestens vorgetragen von Sr. M. Purissima, Brigitte und Sr. M. Paula. Dazwischen immer wieder die melodischen Weisen des Trompeters – ein Ohrenschmaus von besonderer Art! Für das Auge waren die Tänze mit Stäben und Tüchern eine Augenweide! Danke, Sr. M. Purissima, für die wunderbare Choreografie und Einstudierung. Die Technik machte es möglich, 

Innsbruck EIN TROMPETENBAUM-FEST Alles hat gepasst. Das Wetter, das Programm, die vielen Schwestern und Gäste von außerhalb. Mit einem Wort: Es war ein sehr gelungenes Fest, so mitten im Sommer. In den Arkaden und im Gras, rund um den Brunnen, vor allem im Schatten saßen wir 11

dass die Musik und die Reden gut verstanden wurden. Was unser Haustechniker Karl zustande brachte, war ein Kunststück sondergleichen. Er stand oben unter dem Kirchturm und ließ Luftballons kunterbunt herunterschweben. Nicht nur die Kinder hatten damit ihre Gaudi, auch die Herzen aller schlugen höher. Diese feine, besinnliche Feierstunde wurde mit dem Lied Großer Gott abgerundet. Dankbar, ob der Schönheit des Erlebten, stimmten alle mit ein. Orgelklänge drangen durch das Tor ins Freie. Sr. Cäcilia hatte uns damit erfreut. Es war auch schön, zuzuschauen, wie die Kinder und einzelne Schwestern die Luftballons verteilten. Die Gesichter strahlten Glanz und Freude aus. Sr. Pia Regina dankte allen, die mitgewirkt haben und die anwesend waren. Ein besonderer Dank galt unserer Oberin Sr. M. Purissima für ihre Idee 12

und die tatkräftige Durchführung des Festes. Es hätte sich sehen lassen können für ein größeres Publikum, aber dann wäre kein Platz mehr vorhanden gewesen. Der Einladung zur Grillparty im Garten folgten sehr viele. Unser Koch Herbert setzte sich persönlich ein und stand am Grillapparat. Es schmeckte vorzüglich, und nette Gespräche kamen zustande.

Viele Hände machten der Arbeit wieder ein Ende. Das Echo war nur positiv, und alle gingen erfüllt und gestärkt an Leib und Seele nach Hause. Der Trompetenbaum wird sich auch gefreut haben, und zum Dank erblüht er noch üppiger. Was er alles zustande brachte! In den Herzen der Menschen wird das Fest noch lange widerhallen. SR. HILDEGARDIS

EIN BRIEF AUS DEM KOSOVO Dort arbeitet Sr. M. Martha Fink aus der Innsbrucker Kongregation Liebe Mitarbeiter, liebe Wohltäter! Die Zeit, die Realität eines wieder verflossenen Jahres gibt mir die Gelegenheit, meinem großen Bedürfnis, Ihnen zu danken und zu erzählen, nachzukommen. Es war ein sehr arbeitsintensives Jahr. Die Situationen und die Maßnahmen, die zu treffen waren, haben sehr oft die Grenzen des noch Möglichen erreicht. Ich darf Sie aber im selben Atemzug wissen lassen, dass Gottes Hilfe umso näher und spürbarer war. Als Werkzeug für diese Hilfe Gottes sind Sie wohl alle in verschiedenster Form ganz wesentlich mit dabei. Die Hauskrankenpflege Es werden zur Zeit 350 Patienten regelmäßig betreut – damit ist das Maß des noch zu erfüllenden Dienstes erreicht. Dieser Dienst wird stets intensiver, zunehmende Nachfragen zwingen uns, immer wieder die nicht so notwendigen Hilfen zurückzustellen. Noch fehlt uns die Finanzierungsmöglichkeit, eine vierte Pflegekraft einzustellen. Die drei Schwestern, Najqi, Hera und Fatime leisten bereits über-

dimensionale Dienste. Sie sind nicht nur Krankenschwestern, sondern für viele wie eine Mutter und Begleiterin. Sie verstehen ihren Dienst umfassend und ganzheitlich. Das Kinderprogramm mit den 41 Kindern im Alter zwischen fünf und 17 Jahren macht uns große Sorge. Die so unterschiedlichen, individuellen Bedürfnisse des je einzelnen Kindes verlangen vom Personal sehr viel Einfühlungsvermögen, Initiative, Kreativität und Geduld. Für diesen Dienst beschäftigen wir zur Zeit eine Pädagogin, eine Psychologin, einen Studenten der Universität für Erziehung, eine geprüfte Schneiderin, eine Köchin und fünf Lehr-Hilfskräfte. Mit den Kindern lernen wir gruppenweise, wie im Vorschulalter und je nach Fähigkeit des je einzelnen Kindes klassenorientiert, wobei aber bei vielen der Wissensstand von 16 Jahren dem eines 6–7-Jährigen gleichkommt. Wir geben Nachhilfe in schulischem Lernen, Computer und Nähen. Unsere Kinder im Sozial-Programm sind Kinder aus den Familien der Hauskrankenpflege-Besuche. Weil wir in der Hauskrankenpflege das Privileg haben, die Ärmsten zu berücksichtigen, können darum auch die so stark zurückgebliebenen und sozial geschädigten Kinder in unser Programm

aufgenommen werden. Ohne unsere Hilfe wären sie ohne jede Perspektive für die Zukunft, ausweglos der Kriminalität ausgeliefert. Eine besondere Sorge waren und sind die Kinder, die bereits aus der Pflichtschule entlassen bzw. das 10. Schuljahr ohne jedes Wissen der Pflichtschule erreicht haben. Da realisiert sich zu gegebener Zeit ein Angebot aus Österreich: Fr. Dr. Edith Kaslatter und Hr. Prof. Michael Engele kommen ehrenamtlich in ungefähr Halbjahresabständen, um unsere Kinder, die Eltern und wer immer Interesse hat und natürlich zugleich das Personal in Perma-Kultur zu informieren und anzulernen. Es ist dies eine ganz wesentliche Werte-Vermittlung in 

13

Bezug auf die Schöpfung. Fast alle Eltern der Kinder in unserem Programm haben eine kleine Landwirtschaft, sodass sie auf diesem Weg den Wert und ihre eigene Möglichkeiten, mehr daraus zu machen, finden können. Es dient somit dem Prinzip »Hilfe zur Selbsthilfe«. Anträge für Behandlungen im Ausland Die Ansuchen dafür waren dieses Jahr enorm hoch. Durch das so große Entgegenkommen der Barmherzigen Schwestern in WienGumpendorf wurde es möglich, dass wir drei Kinder mit Knochentumoren sowie ein Kind mit einem Knieschuss in ein orthopädisches Spital kostenlos zu einer sehr komplizierten, operativen Therapie bringen durften, ebenso ein weiteres Kind zu den Barmherzigen Schwestern im Krankenhaus Linz zur Therapie eines sehr ausgedehnten Haemangioms. Einem Vater konnte (ebenso kostenlos) im Klinikum der Kreuzschwestern in Wels durch die Koronarangiographie und die Implantation 14

eines Stent lebensrettende Maßnahmen gesetzt werden. Neben der hohen Qualität der fachspezifischen, ärztlichen Behandlung erfuhren die Kinder mit ihren Begleitpersonen, was auch menschliche Zuwendung auf einer Krankenstation bedeuten kann. Wenn auch gewissenhafte Disziplin aufgrund der medizinischen und pflegerischen Notwendigkeiten herrschte, so war doch eine familiäre, vertrauensvolle Atmosphäre gegeben. Es ist allen, die so Großes ermöglicht haben, großer Dank auszusprechen, besonders den Barmherzigen Schwestern in Wien und den Kreuzschwestern in Wels. Gott vergelte es! Unser neues Zentrum nimmt auch mehr und mehr Gestalt an, sodass, wie wir hoffen, Anfang 2010 bessere Arbeitsbedingungen gegeben sein werden. Die Arbeitsintensität und der Arbeitseinsatz sind enorm. Einige der Mitarbeiter erweisen sich schon sehr mitverantwortungsbewusst – Gott sei Dank. Dies ist sehr zukunftsverheißend ... Damit wächst in mir die Hoffnung und Zuversicht. Ich denke, wo Wege gefunden werden können, nur einem Menschen die Würde wieder zurückzugeben, ihm ein »Gesicht« zu geben, ihm eine Basis einer Lebensperspektive aufbauen zu helfen, da hat sich das Antlitz

der Erde erneuert. Ich hoffe und wünsche, dass diese unsere Dienste an den Armen, Kranken und Kindern nie versiegen werden. Solange ich um Ihre Hilfsbereitschaft und Zuwendung zu unserer Initiative wissen darf, ist mir nicht bange. Ist doch alles, was wir bis jetzt erreichen durften, nur durch Ihre Hilfe möglich geworden. Gott allein kann es Ihnen vergelten! Es fehlen mir die Worte, Ihnen gebührend zu danken. Ich wünschte: dass, wenn wir einen Kranken durch den Hausbesuch getröstet zurücklassen, wenn wir einem die eitrigen Wunden gereinigt, seine Schmerzen gelindert haben, wenn aus den Augen der Kinder, die in so erschütternden Verhältnissen ihren Alltag verbringen müssen, ein so herzliches Lachen aufleuchtet, Sie tiefster Dank und Bereicherung erreichen möge. Ich grüße Sie im Namen aller Betreuten, im Namen des Vorstandes und aller Mitarbeiter sehr herzlich und dankbar, Ihre SR. M. MARTHA

Graz/Köln »PROPHETIE UND HOFFNUNG, JETZT UND ÜBERALL« Generalversammlung der Töchter der christlichen Liebe 2009 in Paris (Aufschlussreich, wie die weltweite Gemeinschaft der TdcL ihr Generalkapitel vorbereitet und durchführt. Kkl.) Im Auftrag der Kirche und ganz im Geist des II. Vaticanums halten wir, die Töchter der christlichen Liebe vom heiligen Vinzenz von Paul, alle sechs Jahre unsere Generalversammlung ab. Folgen wir ein wenig unseren Konstitutionen und Statuten. Denn sie verweisen uns auf den Zweck und auf den Weg unserer Versammlungen: »Zweck der Versammlungen ... ist es, die Treue zum besonderen Charisma und die apostolische Lebenskraft zu überprüfen und zu fördern« (K 84 a). »Es gibt drei Arten von Versammlungen: die Haus-, die Provinz- und die Generalversammlung. Diese Versammlungen werden gemäß den approbierten Richtlinien

vorbereitet und abgehalten« (K 84 b). 1. Die Vorbereitung der Generalversammlung Zwischen den Generalversammlungen treffen sich wenigstens einmal alle Provinzoberinnen, um verschiedene praktische, rechtliche, spirituelle, ... Fragen zu behandeln und den Austausch zu pflegen. Dabei wird auch eine Liste möglicher Themen für die nächste Generalversammlung erarbeitet. Vor Beginn der Versammlungen werden von einer Arbeitsgruppe ein Terminkalender, eine Arbeitshilfe für das gewählte und von der Generaloberin mit ihrem Rat angenommene Thema sowie Fragebögen erstellt. Die Hausversammlungen senden ihre Ergebnisse an die Provinzleitung. Deren Synthese wird neben anderen Fragen und Vorschlägen in der Provinzversammlung studiert; sie legen der Generalversammlung oder dem Generalrat auch ihre Postulata oder Vorschläge vor. Bis zu einem vorgegebenen Datum müssen alle Dokumente der Provinzen im Generalat eingetroffen sein. Die Erstellung einer weltweiten Synthese wird dann einer Kommission anvertraut. Sie hat die große Verantwortung, eine gute Synthese zu erarbeiten, die die Anliegen der ganzen Genossenschaft widerspiegelt und zugleich eine unabdingbare Hilfe für eine

fruchtbringende Arbeit der Generalversammlung bedeutet. Das Thema für diese Versammlungen auf allen Ebenen lautete: »Prophetie und Hoffnung, jetzt und überall.« 2. Die Generalversammlung vom 18. Mai bis 13. Juni 2009 Eine Vorbereitungskommission studiert diese Generalsynthese und erarbeitet eine Arbeitsgrundlage, das Programm und die Arbeitsmethode für die Generalversammlung. Eine Generalversammlung umfasst alle Mitglieder von Amts wegen und von jeder Provinz, je nach deren Größe eine oder zwei Delegierte. Alle zusammen waren wir diesmal 183 Mitglieder. Der Generalsuperior und der Generaldirektor waren immer anwesend. Vor der eigentlichen Generalversammlung kamen wir zu 8-tägigen Exerzitien zusammen, um unsere Herzen zu erneuern und ganz offen zu sein für den Willen Gottes. Das war oft und oft auch die Einladung unserer Gründer, des heiligen Vinzenz von Paul und der heiligen Louise von Marillac, an unsere ersten Schwestern. Unser Generaldirektor griff im täglichen Vortrag Schwerpunkte unseres vinzentinischen Lebens auf und machte uns

Weiter auf Seite 18

15

Foto: Heidi Bittner

AUF

16

DEM WEG IN DAS HAUS GOTTES

GOTTES

SR. URSULA BITTNER

W

er in die Pfarrkirche St. Johann in Rapperswil/Schweiz eintreten möchte, muss durch diese kleine Vorhalle gehen. Sie bietet Schutz vor Regen und Schnee und Schatten bei Sonne: Eine praktische Begründung für die überdachten Säulen vor der Kirchtür. Gleichzeitig wird der Besucher auf den Kirchraum eingestimmt und die Haltung, die diesem heiligen Ort entspricht. Das Kreuz auf dem Dach erinnert daran. Einige schon oft gesprochene oder gesungene Psalmverse können eine neue Tiefe erfahren bei der Betrachtung dieses Bildes. – »Tretet mit Dank durch seine Tore. Kommt mit Lobgesang in die Vorhöfe des Tempels. Dankt ihm und preist seinen Namen« (Ps 100,4).

Was überwiegt bei mir, wenn ich in die Kirche gehe? Der hl. Vinzenz gibt einen Hinweis: »Man muss ebenso viel Zeit aufwenden, um für alle erhaltenen Gnaden zu danken, wie Gott um neue zu bitten. – »Lobet den Namen des Herrn, lobt ihn ihr Knechte des Herrn, die ihr steht im Hause des Herrn, in den Vorhöfen am Haus unseres Gottes« (Ps 135,1–2). Die Taufe hat für mich die Möglichkeit eröffnet, wie durch eine Vorhalle zu Gott zu kommen. Dort kann ich Lob und Dank und Bitte vorbringen. – »Wohl denen, die wohnen in deinem Haus, die dich allezeit loben« (Ps 84,5). Dieser Psalmvers stellt einen sehr hohen Anspruch. Gott allezeit loben fällt schwer. Es liegt an mir, Zeiten für mich

festzulegen, um sie für das Lob Gottes von allem freizuhalten. – »Ein einziger Tag in den Vorhöfen deines Heiligtums ist besser als tausend andere« (Ps 84,11). Dieser Vers macht mir die Kostbarkeit und Einmaligkeit deutlich, wie Gottesdienst und Gebetszeiten für mich werden können. Jede Kirche und jede Klosterkapelle hat auf verschiedene Weise ihren »Vorhof«: einen Vorraum und Eingangsbereich, ein Atrium, eine Statio, wo diese Psalmverse das Eintreten zum heiligen Ort bewusster machen können, auch die Erinnerung an einen dieser Psalmverse ...

17

Fortsetzung von Seite 15

wieder bewusst, wie herausfordernd das Leben in der Nachfolge Jesu ist und wie sehr unsere Sendung das Zeugnis der Freude braucht. Die Generalversammlung selbst stellt für uns die unmittelbare Vertretung der ganzen Genossenschaft dar (K 87 a) ist für uns oberste Autorität (K 87 d) für: – die Wahlen (Generaloberin, Generalassistentin, Generalrätinnen), – die Behandlung der vorgelegten Themen und Fragen, die dann in Statuten oder Dekreten zusammengefasst werden können. Während dieser Generalversammlung waren der erste, zweite und dritte Mittwoch Vorträgen gewidmet, die sich mit Prophetie aus biblischer und vinzentinischer Sicht, mit Prophetie und Zusammenarbeit und Prophetie und gemeinschaftlichem Leben beschäftigten. Die Generaloberin zeigte uns in ihrem Bericht den Weg der Genossenschaft während der letzten sechs Jahre auf, und die Generalökonomin sprach über die großen Fragen der weltweiten Armut und über die Verwaltung der Finanzen. Die Bearbeitung der vier großen Themenkreise aus der Generalsynthese erfolgte in 16 Arbeits- und Sprachgruppen. Ihre Ergebnisse wurden in einem eigenen 18

Prozess zusammengefasst und dem Plenum vorgestellt. Den Beiträgen in den Plenarsitzungen wurde viel Zeit gewidmet. Der Pfingstsonntag war ein Tag des Betens für die ganze Genossenschaft, denn er bereitete uns auf die Wahl der Generaloberin am 1. Juni 2009 vor; am 8. Juni wurden dann die zehn Generalrätinnen gewählt (für Afrika, Asien, Lateinamerika spanischer und portugiesischer Sprache, Spanien, Italien, übrige anglophone Provinzen, übrige frankophone Provinzen, »deutsche« und »slawische« Provinzen). Aus diesen wählten wir am 11. Juni die Generalassistentin. Vor dem festlichen Schlussgottesdienst mit unserem Herrn Generalsuperior stimmten wir über das Grundsatzpapier ab, aus dem der Generalrat ein ZwischenzeitDokument (2009 bis 2015) erarbeiten sollte. Natürlich durfte auch das große Familienfoto aller Teilnehmenden nicht fehlen. 3. Das ZwischenzeitDokument (2009 bis 2015) Das Dokument liegt uns im A5-Format vor. So passt es gut zu unserem Lebensbuch, den Konstitutionen und Statuten. Jede Schwester hat es inzwischen – wenn irgend möglich – in ihrer Sprache in der Hand. Sein Titel weist es deutlich als Frucht der Generalversammlung aus. Er gibt uns

die Richtung für unseren Weg in den kommenden Jahren vor: »Lassen wir uns umgestalten vom Geist, der Quelle der Prophetie und der Hoffnung.« Unter dem Titel entdecken wir das Siegel unserer Genossenschaft in seiner ältesten uns erhaltenen Gestalt. Das ist ein starker Hinweis auf unsere geistlichen Quellen, das Charisma unserer Gründer, des heiligen Vinzenz und der heiligen Louise. In einer von Flammen umgebenen Herzform wird das Kreuz sichtbar. Die Umschrift lautet: »Die Liebe Jesu, des Gekreuzigten, drängt uns« (vgl. 2 Kor 5,14). Nach einem Präsentationsschreiben unserer Generaloberin folgt eine Einleitung. Sie erinnert daran, dass während der Versammlung viel Elend und Not (Zeugnisse, Berichte, ...), aber auch viele Zeichen des Wirkens Gottes in den Menschen an unseren inneren Augen vorübergezogen sind. Das hat in unseren vinzentinisch geprägten Herzen im Licht des Heiligen Geistes Reaktionen und Wünsche ausgelöst: größere Nähe zu unserem Herrn und Gott; gemeinsam näher bei den Armen sein; neue Nöte sehen und im Geist der Zugehörigkeit zur Genossenschaft handeln. Zwei Kapitel bilden den Hauptteil: »Anrufe« und »Antworten«; es sind Appelle und Reaktionen auf die vier

Andachtsbildchen aus dem Mutterhausarchiv Augsburg.

Themen, die ähnlich schon in der Arbeitsgrundlage formuliert waren: • Auf erneuerte Weise unsere Verwurzelung in Jesus Christus, »Quelle und Vorbild aller Liebe« leben (Allgemeine Regeln I,1). • Das »gute Zusammenleben« fördern, damit es eine Prophetie der Liebe und ein Weg der Hoffnung sei (hl. Louise, Geistliches Testament, S. 823). • Dienen im »Kommen und Gehen« mit Kreativität und Klugheit, um so die Liebe Gottes für die Armen kundzutun (vgl. hl. Louise, Pfingsterleuchtung, Geistliche Schriften, S. 3).

• Unsere Zugehörigkeit zur Genossenschaft vertiefen und uns verantwortlich fühlen für die »Genossenschaft der Zukunft« (vgl. K. 59). Zu jedem Thema wurden in beiden Kapiteln 3 bis 8 wesentliche Punkte festgehalten. Sie sollen den Provinzen als Anstöße für ihre konkrete Situation, für das Erkennen neuer Nöte und möglicher Wege zu deren Abhilfe dienen. Gut ausgewählte Schriftworte begleiten die Anrufe. Als Abschluss und Ausblick führe ich hier ein Beispiel an: Beim Thema zwei lautet ein »Anruf«: »In der Konsum-

gesellschaft einen einfachen, ausgeglichenen Lebensstil pflegen, der auf die Umwelt Rücksicht nimmt (vgl. St 8d).« Unter den »Antworten« schlägt das ZwischenzeitDokument unter anderem vor: »Überprüfen wir unsere Provinzund Gemeinschaftspläne und sehen wir in ihnen vor: ... – konkrete Punkte für einen einfachen Lebensstil und eine größere Nähe zu den Armen, – entsprechendes Handeln zur Bewahrung der Ressourcen der Erde und für den Umweltschutz.« Solche Anregungen sollen uns helfen, am Puls der Zeit zu bleiben, konkrete Umsetzungen vor Ort zu diskutieren, und diese immer »unter der Führung des Heiligen Geistes« und im Geist unserer Gründer zu realisieren, damit wir in einfacher und demütiger Liebe den Armen dienen. Es kann gar nicht anders sein, als dass wir unser Mühen um den rechten Armendienst und um eine lebendige missionarische Haltung, geführt vom Wort Gottes und im Licht des Heiligen Geistes am Ende dieses Dokumentes der mütterlichen Liebe Marias, der einzigen Mutter der Genossenschaft, anvertraut haben: »Nehmen wir in Freude und Dankbarkeit die Einladung an: ›Was er euch sagt, das tut!‹« SR. CHRISTA BAUER (GRAZ), PARIS

19

Untermarchtal – Region Mbinga in Tansania SCHULBILDUNG UND MEDIZINISCHE BETREUUNG schaffen Zukunft, Licht und Hoffnung für körperbehinderte Kinder im Heim St. Loreto, Mbinga Das Kinderheim St. Loreto in Mbinga, Tansania, ist nach dem italienischen Wallfahrtsort Loreto benannt. Eine Legende berichtet, dass Engel das Haus der Heiligen Familie von Nazareth dort hingebracht hätten. Mit der Wahl des Namens »St. Loreto« verbanden unsere Schwestern beim Einzug in das Heim 1998 den Wunsch, dass Jesus Christus inmitten der körperbehinderten und armen elternlosen Kindern wohnen möge und auch dass die Tradition unserer vinzentinischen Gemeinschaft fortgesetzt wird wie vor 150 Jahren, als in Schwäbisch Gmünd St. Loreto gegründet wurde. In der kleinen Provinzstadt in Mbinga im Süden von Tansania können körperbehinderte Kinder keine Schule besuchen, weil sie allein den bis zu fünf Kilometer weiten Weg zur Schule nicht bewältigen können. Da in den Jahren nach 1990 auch gesunde Kinder wegen fehlender Schulgebäude nicht einge20

schult werden konnten und die Kinder oft mit 8 bis 9 Jahren in den Kindergärten unserer Schwestern verblieben, wollte unsere Gemeinschaft mit der Errichtung der Schulgebäude zunächst dieser Not begegnen. Es wurde die »Huruma«-Schule – die Schule der Barmherzigkeit – gegründet und heute werden in der 7-klassigen Primary School ca. 350 Schüler unterrichtet. Wie glücklich die Eltern und Kinder über diese private Schule sind, kann man sich nur vorstellen, wenn man die örtlichen Verhältnisse kennt und sieht. In den öffentlichen Schulen ist es nicht selbst-

verständlich, dass die Kinder in ordentlichen Schulbänken sitzen, Bücher haben und an die Tafel schreiben können. Auch können sich die Schüler der Huruma-Schule glücklich schätzen, dass die Fenster und Türen gut schließen und das Dach bei Regenwetter dicht ist. Wenn Lehrer und Schüler sich in diesen schlichten, einfachen Gebäuden in einer geordneten, wohltuenden Atmosphäre wohl fühlen können, dann ist das die beste Voraussetzung für gute Leistungen. Dies wird Jahr für Jahr in den überdurchschnittlich guten Abschlussprüfungen bestätigt. In der Nähe der HurumaSchule wurde von den Schwestern das Heim St. Loreto gebaut. Der Verbindungsweg ist behindertengerecht angelegt, und so ist es möglich, dass die Kinder trotz ihrer Behinderungen mit einer Gehhilfe oder mit einem Rollstuhl den Schulweg meistern und somit wie ihre Altersgenossen zur Schule gehen können, wenn sie in St. Loreto untergebracht

sind. Nicht genug wundern kann man sich, dass sowohl die gesunden wie die behinderten Kinder es ganz selbstverständlich und normal finden, dass sie gemeinsam auf einer Schulbank sitzen und von allen die gleichen schulischen Leistungen erbracht werden. Gegenseitige Rücksichtnahme und gesundes Selbstbewusstsein werden so täglich gefördert und gepflegt. Nach der Einweihung des ersten Gebäudes von St. Loreto im Jahr 2001 mit 40 Plätzen zeigte sich schon sehr bald, dass das Heim zu klein war. Daher wurde es bereits im Jahr 2003 um 40 Plätze erweitert, zumal auch elternlose arme Kinder und Straßenkinder in St. Loreto aufgenommen werden. Im Heim sind nur drei Schwestern und zwei Angestellte beschäftigt. Alle leichten Arbeiten werden von den Kindern selbst übernommen, und es ist erstaunlich, wie flink und wie geschickt sich auch die behinderten Kinder

einsetzen beim Putzen, Waschen, Bügeln, in der Tierzucht, beim Gießen des Gartens, im Speisesaal und in der Küche. Durch diese tatkräftige Mithilfe wird Personal eingespart, und die Kinder werden für das spätere Leben vorbereitet. Denn nach der Schulzeit dürfen die Kinder nicht damit rechnen, dass sie bedient werden. Sonst werden sie in der Familie als Last empfunden und auch so behandelt. Manchmal kann man den Kindern mit physiotherapeutischen Maßnahmen helfen. Eine weit wirksamere Hilfe ist jedoch, wenn Schwester Dr. Gabriele Winter z. B. bei Klumpfüßen eine Operation planen und durchführen lassen kann. Durch operative Eingriffe oder Narbenkorrekturen konnte sie schon sehr vielen Kindern helfen, dass die Behinderung beseitigt oder wesentlich erleichtert wurde. Die Kinder und die Eltern sind natürlich überglücklich, wenn auf diese Weise ein sonst bleibendes Handicap überwunden wird. Da es in Tansania keine Krankenversicherung gibt, und die Eingriffe in der über 1000 km entfernten Stadt Daressalaam durchgeführt werden müssen, ist die Planung, Organisation und Durchführung dieser Operationen nicht einfach und überdies eine sehr kostspielige Angelegenheit, die sich die Eltern der Kinder nicht leisten können.

Für viele wird der Traum vom aufrechten Gang trotz der Operationen und auch nicht mit Prothesen an Händen oder Füßen Wirklichkeit. Trotzdem sind die Kinder stets froh, dankbar und zufrieden, auch wenn sie mit manchen Schwierigkeiten klar kommen müssen. In Spiel und Tanz freuen sie sich ihres Lebens und wissen dankbar, dass sie die Liebe Gottes durch die Hilfe der Schwestern und vieler Wohltäter täglich konkret spüren dürfen. SR. JOHANNA MARIA METZGER, UNTERMARCHTAL

21

KEINE »MISSION« MEHR?

V

iele Jahre habe ich eine Zeitschrift bezogen: DIE KATHOLISCHEN MISSIONEN 2. Auf einmal wurde der Titel geändert: FORUM WELTKIRCHE. FORUM WELTKIRCHE – wieso das? Gibt es keine Mission mehr? Aber wir haben doch die Indien-Mission! Kurz gesagt: Das II. Vatikanische Konzil hat ein neues Verständnis von Mission entwickelt, genauer gesagt: das biblische Verständnis wieder entdeckt. Dem uns geläufigen Verständnis von Mission/Missionierung/Missionar haften – leider – viele Missverständnisse an; Fehlentwicklungen waren zu beklagen. Es würde zu lange dauern, dies nachzuweisen. Um von der belasteten Vorstellung von Mission wegzukommen, redet man heute gern von Evangelisierung / Neuevangelisierung; man verwendet auch den Begriff Dialog mit anderen Religionen und spricht von Inkulturation des christlichen Glaubens bei anderen Völkern. Man muss freilich

1 Sup. W. Kurzschenkel, Predigt am Weltmissionssonntag, 25. Okt. 2009. 2 Ein Organ des Internationalen Katholischen Missionswerkes, Aachen.

22

1

2 MÄRZ/APRIL 2010

auch diese neue Sichtweise erklären; aber sie trifft zu. Tatsache ist, dass Missionierung im klassischen Verständnis weithin zum Stillstand gekommen ist: Konversion von Einzelnen – ehemalige Stichworte: Bekehrung von »Ungläubigen«, »Heidenkinder kaufen«. Etwas ungeschützt lässt sich sagen: Die Zahl der Katholiken/der Christen nimmt nur durch natürliches Wachstum zu, kaum noch durch Bekehrungen. Mission als Glaubenszeugnis wird heute verstärkt geleistet als caritatives und soziales

Engagement, und zwar ohne den Hintergedanken der Konversion. Wenn Gott hierbei (oder auf andere Weise), etwas blumig formuliert, »Mutter Kirche neue Kinder schenkt«, dann ist es sein Wille, nicht unser Wollen und Vollbringen (Phil 2,13). Das gewandelte Verständnis von Mission ist auch abgerückt von der Vorstellung von Missionsgebieten. Es gibt deren nur noch wenige; sie unterstehen der Vatikanischen Kongregation DE PROPAGANDA FIDE (zur Ausbreitung des Glaubens). Überall, wo (sogenannte)

ordentliche Diözesen eingerichtet sind, hat der Status von Mission aufgehört. Dies gilt von allen Ländern, wo unsere Schwestern wirken. Viele dieser Kirchen sind jetzt selbst missionarisch tätig: Es kommt Missionspersonal aus Indien, aus Afrika, aus Korea, aus den Philippinen nach Europa und in andere Länder. Die ganze Kirche, sagt das II. Vatikanische Konzil, ist missionarisch tätig – durch Wort und Tat: Die ganze Kirche evangelisiert. Was das Christentum in

Afrika und Lateinamerika in keiner Weise; sie bezeugen den Glauben durch ihre vinzentinischen Dienste – und das ist nicht wenig. Bei der Föderationstagung 3 habe ich (im Zusammenhang mit der Zeitschrift heute) auf diese Tatsachen hingewiesen. Es ist überholt und unzutreffend, zum Beispiel von Indien-Mission zu reden. Es handelt sich dort wie in den anderen Ländern um Partnerkirchen, um unsere Schwesterkongregationen in Indien und in Korea: eigen-

Indien betrifft, so ist die Kirche in Kerala, aus der unsere Schwestern stammen, (wahrscheinlich) viel älter als die in Deutschland; die ursprünglichen Christen nennen sich ja Thomaschristen und führen ihren Ursprung auf diesen Apostel zurück. Schon aus diesem Grund kann dort nicht von Mission gesprochen werden. Seit dem 16. Jahrhundert hat dann an der Südwestküste von Indien (unsere) Lateinische Kirche missioniert – in klassischer Manier, mit zum Teil fatalen Folgen. Mission im klassischen Sinn betreiben unsere Schwestern in Indien, in Korea, in

ständige, selbstbewusste Ordensgemeinschaften – und in Tansania um die Regionen von Untermarchtal und Innsbruck/Meran, und in Peru um die Regionen der Mutterhäuser Hildesheim und Zams. Rein statistisch gesehen, liegt in diesen Ländern die Zukunft der Vinzentinischen Föderation. Und so geht es nicht mehr an, die Vertretungen dieser Mutterhäuser bei der Föderationstagung zum Rapport antreten zu lassen: »Berichte aus der Mission.« Dies ist überholtes europazentriertes Denken. Wir müssen uns da etwas anderes überlegen. Es handelt sich um die jungen Kongregatio-

nen, die mit unserer Hilfe entstanden und gewachsen sind und erwachsen geworden sind: um die Kongregationen in Übersee/in anderen Erdteilen oder, genau gesagt: um die Mutterhäuser in Suwon, in Mananthavady, um die Regionen in Tansania: Mitundu und Mbinga sowie die Regionen in Peru: Lima und Moro. Die Zeitschrift heute ist angeblich ein Bindeglied der Föderation, ist ein Kommunikationsorgan, vor allem in spiritueller Hinsicht. Aber nach Korea, Tansania, Peru gehen jeweils nur wenige Exemplare, nach Indien 40 Exemplare. Dies hat natürlich mit dem Sprachproblem zu tun. Aber muss darunter die Kommunikation leiden? – Auch in diesem Punkt müssen wir uns etwas einfallen lassen. Vielleicht kann eine Internetausgabe von heute 4 helfen. Dies waren einige Klarstellungen anlässlich des heutigen »Weltmissionssonntags«. Weiter auf Seite 26

3 Sowie bei der Sitzung der Arbeitsgemeinschaft Indienmission – Vinzentinische Partnerschaft. 4 Diese Internetausgabe kann vor Ort (in Korea, Indien, Afrika, Lateinamerika) bearbeitet werden. Hierzu können Beiträge ausgewählt und übersetzt werden, auch auszugsweise oder als Zusammenfassung. Bilder können übernommen werden. Davon lässt sich ein sogenannter Mantel anfertigen (mit zum Beispiel acht Seiten). In diesen Mantel der Föderationsausgabe können (ähnlich wie es bei manchen Kirchenzeitungen praktiziert wird) Beiträge aus der eigenen Kongregation / Region eingefügt werden.

23



Bildbetrachtung SR. M. KARIN WEBER

DER REGENBOGEN –

E

in farbenfrohes Bild, das uns vor Augen gestellt wird. Es sprüht direkt von Farbe, Licht, Leben, Kraft und Dynamik und verbreitet gleichzeitig eine stille Innigkeit, Sammlung und Ruhe. Das Bild ist reich an Symbolik und lädt ein zur Betrachtung. Einige Gedanken dazu möchte ich Ihnen vorlegen. Zunächst zu den Farben: Licht bricht sich in einem Prisma so, dass die Spektralfarben sichtbar werden. So spalten im Regenbogen kleinste Wassertröpfchen das Licht, und die Farben des Regenbogens kommen zum Leuchten. Die Schönheit seiner Farben hat die Menschen aller Zeiten zum Staunen und Bewundern gebracht, sodass im Regenbogen schon immer ein göttliches Zeichen gesehen wurde. Seine Bogenform schafft eine Brücke zwischen Himmel und Erde. So wie es in der Sintfluterzählung heißt: »Dann sprach Gott zu Noah: ›... Meinen Bogen setze ich

24

in die Wolken, er soll das Bundeszeichen sein zwischen mir und der Erde ... Das ist das Zeichen des Bundes, den ich zwischen mir und allen Wesen aus Fleisch auf der Erde geschlossen habe‹« (Gen 9). Das Licht der Herrlichkeit Gottes bricht sich in jedem Menschen, der sich in dieses Licht stellt und sich davon durchdringen lässt. Durch sie wird die Güte, Liebe und Barmherzigkeit Gottes sichtbar wie in einem Regenbogen. Auf unserem Bild spannt sich von Säule zu Säule ein Regenbogen, selbst die vier Personen sind jeweils umfangen von den Farben des Regenbogens. Wie bei Noah der Regenbogen Zeichen des Bundes war, den Gott mit ihm geschlossen hat, so ist er hier auf diesem Bild Zeichen der Erwählung, der Zuwendung, der Freundschaft Gottes. Wenn Sie das Bild genauer anschauen, sehen Sie in den Bögen zwischen den Säulen die Namen

der dargestellten Personen: ganz links Franziska von Chantal, dann Franz von Sales, Vinzenz von Paul und Louise von Marillac. Von allen vier Heiligen können wir sagen, dass sie wie ein Prisma waren für die Barmherzigkeit und Liebe Gottes. Durch sie kam Farbe, Lebendigkeit und Wärme in das Leben vieler Menschen, die im »Dunkel und Todesschatten saßen«. Woher sie die Kraft für ihr Engagement nahmen, wird auf dem Tisch vor ihnen deutlich. Brot, Fisch und Wein stehen für Jesus Christus, der sich in den eucharistischen Gaben schenkt und genau dies für uns werden will: Nahrung, Kraft, Speise, Freude. Das Herz in der Hand der hl. Franziska von Chantal deutet an, woher sie alle die Kraft zur Liebe haben, die sich im gemeinsamen Mahl am Tisch des Herrn immer neu entzündet. Der Heilige Geist in der Gestalt der Taube ist der Inspirator für die vielfältigen

SYMBOL EINER FREUNDSCHAFT

Werke, die durch Vinzenz und Louise geschaffen wurden. So konnte jeder dieser großen Heiligen SEIN Licht zu den Menschen tragen. Diese wenigen Gedanken zum Bild mögen Sie anre-

gen, selbst weiter zu denken und zu meditieren. Ich wünsche Ihnen allen, dass Sie sich ansprechen und bewegen lassen von diesem Bild!

Das Bild habe ich auf einer CD von Pater Jernej CM entdeckt, auf der viele Darstellungen von Vinzenz und Louise aus aller Welt festgehalten sind. 25

In dieser und in den folgenden Ausgaben der Zeitschrift heute werden die Länder Tansania, Indien, Peru, Korea kurz vorgestellt: die Geschichte sowie die gegenwärtige soziale und religiöse Situation; es folgen Anregungen für Dank und Fürbitte sowie ein Gebet, welches in dem betreffenden Land formuliert wurde* (Kkl.).

TANSANIA Statistik Bevölkerung: 38,3 Mio.; Staatsform: Föderative Präsidialrepublik; Sprachen: Swahili, Englisch; Alphabetisierung: Männer 78 %, Frauen 62 %; Religionen: Christen ca.40 %, Muslime ca. 30 % (95 % auf Sansibar), Sonstige ca. 30 % (indigene Religionen, Minderheit von Hindus);

Mitgliedskirchen im Ökumenischen Rat der Kirchen: Anglikanische Kirche von Tansania, Evangelisch-Lutherische Kirche in Tansania, Brüder-Unität in Tansania.

Fortsetzung von Seite 23

ferenz hat schon lange eine Unterabteilung eingerichtet: KOMMISSION WELTKIRCHE, wo unter anderem die kirchlichen Hilfswerke MISSIO, MISEREOR, ADVENIAT, RENOVABIS sowie der Missionsrat der Ordensgemeinschaften zusammengefasst sind. Ich denke, das Stichwort Weltmissionssonntag muss nicht unbedingt reflexartig den Geldbeutel öffnen; es kann auch einmal dazu dienen, das Herz zu öffnen und

Ich denke, dass man wegen der Erwartungen einer guten Kollekte noch bei dieser traditionellen Bezeichnung geblieben ist. Auch in diesem Punkt müsste man sich eigentlich etwas Neues überlegen. Die Bezeichnung FORUM WELTKIRCHE (wie der geänderte Titel der Zeitschrift DIE KATHOLISCHEN MISSIONEN lautet) weist da in die richtige Richtung. Die Deutsche Bischofskon26

* Aus: IN GOTTES HAND. GEMEINSAM BETEN FÜR DIE WELT. Gebete aus der weltweiten Ökumene, Lembeck/Bonifatius, 2008.

T

ansania liegt in Ostafrika am Indischen Ozean. Es grenzt im Süden an Mosambik, Malawi und Sambia, im Westen an die Demokratische Republik Kongo, Burundi und Ruanda und im Norden an Uganda und Kenia. Seit ungefähr dem 8. Jahrhundert errichteten arabische Händler Außenposten

für notwendiges Umdenken bereit zu machen. Der sogenannte Missionsbefehl Jesu (Mt 28,18: »... geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern ...«) hat in der Vergangenheit zu den verschiedenen Formen der klassischen Missionierung geführt. Heutzutage weisen die Zeichen der Zeit diesbezüglich in Richtung einer Metánoia: Ein neues, gewandeltes Denken und Handeln von Mission.

entlang der Küste Tansanias. Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Gebiet kolonisiert: Von den Briten, die die Insel Sansibar übernahmen, und von den Deutschen, die das Festland von Tanganjika beanspruchten. 1905 bis 1907 wurde der Maji-Maji-Aufstand brutal niedergeschlagen, 120 000 Afrikaner starben. 1918 übernahm Großbritannien die bisherige deutsche Kolonie. 1964, ein Jahr nach der Unabhängigkeit, schlossen sich Sansibar und Tanganjika zusammen und bildeten die Vereinigte Republik Tansania. Tansania wurde von einer republikanischen Einparteienregierung unter Führung von Julius Nyerere bis 1985 regiert. Der Gründer der tansanischen Variante des Sozialismus »Ujasmaa« (das Wort bedeutet auf Swahili »Familie«) verzichtete 1985 auf die Fortsetzung seiner Präsidentschaft – was bis heute in Afrika Seltenheitswert hat. Mit seinem Nachfolger erfolgte der Übergang zu marktwirtschaftlichen Verhältnissen und zu einem Mehrparteiensystem. Im Dezember 2005 konnte das Volk Präsidentschaftskandidaten aus zehn Parteien wählen – 80 Prozent entschieden sich für Jakaya M. Kikwete. Tansania ist eines der ärmsten Länder der Welt mit mehr als der Hälfte der Bevölkerung unter der Armuts-

grenze. Das HIV/AIDS-Virus ist ein wachsendes Problem, laut UNICEF waren 2005 schätzungsweise 6,5 Prozent der erwachsenen Bevölkerung infiziert oder bereits erkrankt. Hinzu kommt ein massiver Strom an Flüchtlingen aus den Nachbarländern Ruanda und Burundi aufgrund der Kriege in den 1990er-Jahren. Christliches Wirken begann in Tanganjika im 16. Jahrhundert mit der Ankunft portugiesischer römisch-katholischer Priester; bis heute sind die meisten Christen römisch-katholisch. Während des späten 18. Jahrhunderts wurden deutsche Missionsstationen errichtet und von den Herrnhutern geleitet. Heute lebt die weltweit größte Gemeinschaft von Herrnhutern in Tansania. Nach der Römisch-Katholischen Kirche ist die Evangelisch-Lutherische Kirche die nächstgrößte, gefolgt von der Anglikanischen Kirche. Es gibt auch mehrere afrikanische indigene Kirchen. Mit Hilfe des Christenrates von Tansania, der 1934 ins Leben gerufen wurde, haben sich die Kirchen stark in der sozialen und entwicklungspolitischen Arbeit des Landes integriert.

ANREGUNGEN FÜR DANK UND FÜRBITTE Wir danken für: • das Zeugnis der christlichen Kirchen und Organisationen und die Beziehung zwischen den Brüdern und Schwestern in Christus, die verschiedenen Konfessionen angehören; • die Chöre, die viele Stunden proben, um Gott zu loben; • die Gottesdienste mit freudigem Tanzen, begleitet von Trommeln und Rasseln; • die Kleinbauern, die hart arbeiten, um ihre Familien zu ernähren; • Ugali (Maismehl), Tapioka (Maniok), Reis, Chapatis (indisches Fladenbrot); • gastfreundliche Menschen, die das, was sie haben, mit Fremden aus den Nachbarländern teilen; • den Kilimandscharo und den weiten Indischen Ozean. Wir bitten um/für: • die Flüchtlinge aus benachbarten Ländern, dass sie Nahrung und Obdach finden und bald in ihre Heimat zurückkehren können; • alle, die von der Dürre betroffen sind, dass sie sauberes Trinkwasser haben  27

und ihr Getreide anpflanzen können; • Frieden unter den ethnischen Gruppen und Stämmen, dass sie zusammenarbeiten, um eine gerechte Gesellschaft zu schaffen; • die Kirchen und ihre Führer in ihrem Kampf gegen Korruption und ihren Einsatz für Demokratie und eine gute Regierung;

• alle, die an HIV und AIDS leiden, für Kinder, die durch die Pandemie verwaist sind, und für die, die sie versorgen; • alle, die in unsäglicher Armut leben, und die sich oder ihre Familien nicht ernähren können; • Erleichterung der internationalen Schuldenlast für die Menschen in Afrika.

• junge Frauen, die in die Prostitution gezwungen wurden;

GEBET AUS TANSANIA All, ihr großen Dinge, lobet Gott. KiIimandscharo und der Viktoriasee, du, großer Grabenbruch, und die Ebene der Serengeti, dicke Affenbrotbäume und schattige Mangobäume, alle Eukalyptus- und Tamarindbäume, preiset den Herrn. Lobet und rühmet ihn auf ewig. All, ihr kleinen Dinge, lobet Gott. Emsige schwarze Ameisen und springende Flöhe, zappelnde Kaulquappen und Moskitolarven, fliegende Heuschrecken und Wassertropfen, Pollenstaub und Tsetsefliegen, Hirsesamen und getrocknete Dagaa (kleine Sardinenfische), preiset den Herrn. Lobet und rühmet ihn auf ewig. 28

In der Zeitschrift heute Nr. 1/2010 schrieb P. Wiel Bellemakers: Die Zwölf des 31. Juli 1634 »Die göttliche Vorsehung hat euch Zwölf zusammengerufen«, sagt Vinzenz. In der Konferenz vom 31. Juli 1634 werden einige namentlich genannt. Jean Morin macht über einige dieser zwölf ersten Töchter der Liebe biografische Notizen. Ich möchte fast sagen, dass diese Seiten für neuernannte Ober/-innen der Vinzentinischen Kongregationen Pflichtlektüre ist. Es sind Perlen der Pädagogik und der Verwaltungswissenschaft! – Hier nun der vollständige Text, ins Deutsche übersetzt von P. Alexander Jernej CM, Graz

A

m letzten Tag des Juli 1634 gab Herr Vinzenz in einer dritten und letzten Konferenz der kleinen Gemeinschaft der Barmherzigen Schwestern die Regeln und die Anweisung zur ihrer Ausführung. Folgendes wurde bei dieser Gelegenheit aufgezeichnet: Herr Vinzenz kniete mit der ganzen Versammlung nieder, betete das VENI SANCTE und begann: Meine lieben Töchter, gestern sprach ich davon, dass Sie sich vor längerer Zeit zusammengefunden haben, um ein gemeinsames Leben zu führen. Dennoch hatten Sie bis jetzt noch keine

Vinzentinische Spiritualität

VINZENZ VON PAUL: KONFERENZ VOM 31. JULI 1634 (Coste IX, 1; Comb.1) Regeln für Ihre Lebensform. Bisher hat Gott Sie so geführt, wie er einstmals sein auserwähltes Volk geführt hatte, das von der Erschaffung an mehr als tausend Jahre lang kein Gesetz kannte. Ebenso handelte auch Unser Herr in der jungen Kirche. Solange er noch auf Erden weilte, gab es noch kein neues, geschriebenes Gesetz. Erst danach haben die Apostel die Lehren und Anordnungen Christi gesammelt. Die göttliche Vorsehung hat Sie alle Zwölf, wie mir scheint, zu dem Zweck hier zusammengeführt, damit Sie das Leben Christi ehren, das er als Mensch auf Erden geführt hat. Wie vorteilhaft ist es doch, in einer Gemeinschaft zu leben! Jedes einzelne Glied nimmt teil an dem Guten, das der ganze Leib wirkt, und empfängt durch seine Vermittlung reichere Gnaden. Unser Herr hat es uns versprochen, als

er sagte: »Wenn Ihr auch nur zu zweien in meinem Namen versammelt seid, so bin ich mitten unter Euch« (Mt 18,20). Wenn Sie aber in noch viel größerer Zahl in derselben Absicht zum Dienst Gottes vereinigt sind, dann gilt umso mehr, dass mein Vater und ich kommen und bei Ihnen Wohnung nehmen werden, wenn Sie uns lieben (Joh 14,23). Für diejenigen, die eins sind im Geiste und die in diesem Geist einander helfen, Gott die Ehre zu geben, hat der Sohn im letzten Gebet vor seinem Leiden gebetet mit den Worten: »Vater, ich bitte dich, lass sie, die du mir gegeben hast, eins sein, so wie du und ich eins sind« (Joh 17,11). Wir wollen nun sehen, liebe Töchter, auf welche Weise Sie die vierundzwanzig Stunden verbringen sollten, die den Tag ausmachen, und die Tage, die Monate und die Jahre, die Sie zur Ewigkeit führen werden. Sie müssen, soweit Sie kön-

nen, die Stunden festlegen. So wird es Ihnen ein großer Trost sein, beim Aufstehen zu denken: »Alle meine Mitschwestern, an welchem Ort sie auch seien, erheben sich jetzt zum Dienst Gottes.« Sie sollten also um fünf Uhr aufstehen, soweit die Tätigkeiten der »Charité« Ihnen ermöglichen, um zehn Uhr zur Ruhe zu gehen,denn Sie müssen sich für den Armendienst erhalten und Ihrem Leib das Notwendige zugestehen. Ihr erster Gedanke muss sich auf Gott richten. Danken Sie ihm für seinen Schutz in der Nacht, überlegen Sie, ob Sie ihn nicht beleidigt haben, danken Sie ihm oder bitten Sie ihn um Verzeihung, opfern Sie ihm alle Gedanken, die Regungen Ihres Herzens, Ihre Worte und Werke. Nehmen Sie sich vor, nichts zu tun, was ihm missfallen könnte. Und alles, was Sie über Tag tun werden, möge aus dieser ersten Aufopferung an Gott seine Kraft  29

Andachtsbildchen aus dem Mutterhausarchiv Augsburg.

schöpfen, denn – sehen Sie, meine Töchter – wenn Sie nicht alles Gott aufopfern, verlieren Sie den Lohn für Ihre Handlungen. Der hl. Paulus sagt, wie viel Sie verlieren, wenn Ihr Geist sich mit seinen ersten Gedanken anderen Dingen als Gott zuwendet. Der Teufel tut bei Ihrem Erwachen sein Möglichstes, um Ihnen andere Gedanken einzugeben. Halten Sie sich deshalb an diese heilige Übung, als gute Christinnen und wahre Barmherzige Schwestern. Wenn Sie aufgestanden und ein wenig angekleidet sind, sollten Sie als erstes niederknien, um Gott anzubeten. Was bedeutet das: Gott anbeten? Es heißt, ihm eine 30

Ehre erweisen, die niemand anderem gebührt und ihn als Ihren Schöpfer und alleinigen Herrn anerkennen. Dann bitten Sie ihn um seinen heiligen Segen und verneigen sich ein wenig, um ihn mit Andacht zu empfangen und in dem Gedanken, er möge all Ihr Denken, Reden und Handeln seiner göttlichen Majestät wohlgefällig machen und Ihnen den Willen geben, alles zur Ehre seiner allerheiligsten Liebe zu tun. Nachdem Sie sich angekleidet und Ihr Bett gemacht haben, begeben Sie sich zur Betrachtung. O meine Töchter, das ist das Herzstück der Frömmigkeit, und Sie müssen sehr bestrebt sein, sich gut daran zu gewöhnen. Nein,

fürchten Sie nicht, dass arme Dorfmädchen,unwissend, wie Sie zu sein glauben, nach dieser heiligen Übung nicht streben dürften. Gott ist so gut und hat Ihnen schon so viel Güte erwiesen, da er Sie zur Übung der Nächstenliebe berufen hat; warum – denken Sie – würde er Ihnen die Gnade verweigern, die Ihnen hilft, Ihre Betrachtung gut zu machen? Das sollen Sie niemals annehmen. Ich war heute sehr erbaut bei einem Gespräch mit einem guten Dorfmädchen, das inzwischen eine der größten Seelen ist, die ich kenne. Beginnen Sie immer alle Ihre Gebete im Gedanken an die Gegenwart Gottes, andernfalls kann es geschehen, dass ihm eine Handlung nicht wohlgefällig ist. Sehen Sie, meine Töchter, wenn wir Gott auch nicht sehen, so lehrt der Glaube uns doch seine heilige Allgegenwart, und das ist eines der Mittel, das wir uns zurechtlegen sollen, ich meine diese Gegenwart an allen Orten, die zuinnerst alle Dinge und selbst unsere Herzen durchdringt, und das ist wahrer und gewisser als zu glauben, dass wir hier alle versammelt sind, denn unsere Augen können uns täuschen, aber die Wahrheit, dass Gott allerorten zugegen ist, ist unfehlbar gewiss. Ein anderes Mittel, uns in die Gegenwart Gottes zu versetzen, ist, uns im Geiste vor das heiligste Altarsakrament

Heft 2/2010

INHALT

42. Jahrgang

Zum 350. Jubiläum des Todesjahres von Vinzenz und Louise

2

Zum Titelbild

3

Geistliches Wort: Sr. M. Brigitta Buchler, Heppenheim

4

Schwerpunkt: Zeit der Stille

6

Berichte aus Mutter- und Provinzhäusern Augsburg Innsbruck Innsbruck – Kosovo Graz/Köln

9 11 13 15

Bildmeditation

16

Untermarchtal – Mbinga

20

Keine »Mission« mehr?

22

Bildbetrachtung

24

Tansania – vorgestellt

26

Vinzentinische Spiritualität: Konferenz vom 31. Juli 1634

28

Inhaltsverzeichnis

31

Bildmeditation

32

zu begeben. Dort, meine lieben Töchter, werden wir die größten Beweise seiner Liebe empfangen. Lieben wir ihn und denken wir daran, dass er auf Erden gesagt hat: »Wenn jemand mich liebt, werden wir zu ihm kommen« (Joh 14,23). Er sprach von seinem Vater und dem Heiligen Geist; und die Seelen werden durch seine heilige Vorsehung geführt wie ein Schiff durch seinen Steuermann. Seien Sie darauf bedacht, über Ihre Betrachtung, sobald Sie es können, Rechen-

schaft zu geben. Sie werden sehen, wie viel Nutzen Ihnen das bringt. Sagen Sie einander ganz einfach Ihre Gedanken, die Gott Ihnen eingegeben hat, und halten Sie gut die Vorsätze, die Sie gefasst haben. Die selige Maria von der Menschwerdung (Madame Acarie) hat sich dieses Mittels bedient, um in der Vollkommenheit rasch voranzuschreiten. Sie gab ihrer Dienerin sorgfältig Rechenschaft. O, meine Töchter, Sie glauben nicht, wie viel Nutzen Ihnen das bringt und welche Freude Sie Gott

heute

herausgegeben im Auftrag der Föderation Vinzentinischer Frauengemeinschaften von Superior Dr. Winfried Kurzschenkel, Kanalstraße 22, 36037 Fulda, Tel.: (06 61) 2 85 -1 33, Fax: -200 /  7 06 68. E-Mail: [email protected] Erscheinungsweise vierteljährlich. Die Zeitschrift kann bezogen werden über obige Adresse. Das Jahresabonnement kostet einschließlich Versand 8,– € und wird im 1. Quartal erbeten: Mutterhaus Fulda, Sparkasse Fulda 41 026 414 (BLZ 530 501 80). Abbestellung nur zum 31. Dezember mit einmonatiger Kündigungsfrist. Korrespondentinnen in den Mutterhäusern / Provinzhäusern: Augsburg: Sr. M. Beatrix Franger Freiburg: Sr. Anna Lioba Fackler Fulda: Sr. Felizitas Renkel Heppenheim: Sr. Christine Lorey Hildesheim (mit Region in Peru): Sr. Regina Maria Lührsen Innsbruck (mit Region in Tansania): Sr. Pauline Thorer Mananthavady: Sr. Lucy Antony Manthara Meran: Sr. Klara Rabensteiner München: Wolfgang Dausch Paderborn: Sr. Ursula Bittner Straßburg: Sr. Marguerite Schwein Suwon (Korea): Sr. Katharina Cha Treviso: Sr. Lorenza Sponton Untermarchtal (mit Region in Tansania): Sr. M. Karin Weber Wien: Sr. Sigharda Leitner Zams (mit Niederlassungen in Peru): Sr. Dr. M. Gerlinde Kätzler Provinz Graz TdcL: Sr. Angela Platzer, Sr. Donata Hampel Provinz Köln TdcL: Sr. Alfonsa Richartz Gestaltung: Jürgen Weber, Limburg E-Mail: [email protected] Druck: Limburger Vereinsdruckerei GmbH, Senefelderstraße 2, 65549 Limburg

auf diese Weise bereiten. Sehen Sie, die heilige Magdalena barg in ihrem Herzen die guten Gedanken, die sie den Worten Unseres Herrn entnahm; dasselbe wird von der heiligen Jungfrau gesagt. Die guten Gedanken, die der Herr Ihnen im Gebet gibt, sind Kostbarkeiten. Fassen Sie sie sorgfältig zusammen, um sie in die Tat umzusetzen, und Sie werden das Herz Gottes erfreuen; Sie werden die Freude Gottes sein, und alle Heiligen freuen sich mit. Fortsetzung folgt 31

Text: Sr. Ursula Bittner · Foto: Heidi Bittner

Wie gut ist es, wenn sich trotz mächtiger Mauer Ausblick auftut, Durchblick zeigt und Weitblick zum Himmel weist. Es ist dann so wie bei einem Lied mit der Zusage: »Der Himmel geht über allen auf, auf alle über, über allen auf!« Das macht stark im Gottvertrauen.

View more...

Comments

Copyright © 2020 DOCSPIKE Inc.