Unterwegs in eine Welt des Verstehens. Gehörlosenbildung in
February 28, 2018 | Author: Anonymous | Category: N/A
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H HF Hamburger Historische Forschungen | Band 1
Iris Groschek
Unterwegs in eine Welt des Verstehens Gehörlosenbildung in Hamburg vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart
Hamburg University Press
Unterwegs in eine Welt des Verstehens Gehörlosenbildung in Hamburg vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart
Herausgegeben von Rainer Hering
Unterwegs in eine Welt des Verstehens Gehörlosenbildung in Hamburg vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart
Iris Groschek
Hamburg University Press Verlag der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky
Impressum
BibliografischeInformationderDeutschenNationalbibliothek DieDeutscheNationalbibliothekverzeichnetdiesePublikationinderDeutschen Nationalbibliografie;detailliertebibliografischeDatensindimInternetüber http://dnb.dnb.deabrufbar. DieOnlineVersiondieserPublikationistaufdenVerlagswebseitenfreiverfügbar (openaccess).DieDeutscheNationalbibliothekhatdieNetzpublikationarchiviert. DieseistdauerhaftaufdemArchivserverderDeutschenNationalbibliothekverfüg bar. OpenaccessüberdiefolgendenWebseiten: HamburgUniversityPress–http://hup.sub.unihamburg.de ArchivserverderDeutschenNationalbibliothek–http://deposit.dnb.de ISBN9783937816456(Printausgabe) ISSN18653294(Printausgabe) ©2008HamburgUniversityPress,VerlagderStaatsundUniversitäts bibliothekHamburgCarlvonOssietzky,Deutschland UmschlagundLogogestaltung:LilianeOser AbbildungaufdemSchutzumschlagundderBuchdecke: NaturkundeunterrichtmitOttoSchmähl1952/53(ArchivdesGehörlosenverbandes Hamburg). Produktion:ElbeWerkstättenGmbH,Hamburg,Deutschland http://www.ewgmbh.de
Inhalt
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Rainer Hering Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.1 Vorbemerkung
13
1.2 Was bedeutet Gehörlosigkeit?
14
1.3 Die Stellung Hamburgs in der Gehörlosenbildung
23
1.4 Forschungsstand, Quellenlage und Aufbau der Arbeit
25
2 Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Exkurs: Das Samuel-Heinicke-Denkmal
49
3 Die Milde Stiftung Taubstummenanstalt Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3.1 Die Anfänge unter Heinrich Wilhelm Buek
51
Exkurs: Weitere Einrichtungen für Gehörlose in Hamburg und Altona
54
3.2 Vom Dammtor zur Bürgerweide (1827–1881)
57
3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6 3.2.7
Von der Vereinsgründung bis zum ersten Schultag Unterricht in Lautsprache Neuer Schulbau und neue Lehrer Der Wandel von der kombinierten Methode zur Lautsprachmethode Schüler Anerkennung und Ausbau der Anstalt Die Taubstummenschule soll verstaatlicht werden
57 62 65 70 72 78 83
6
Inhalt
4 Die staatliche Taubstummenschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 4.1 In der Kaiserzeit (1882–1918) 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.1.5 4.1.6 4.1.7
Gebäude Schulverwaltung Körperlichen Schwächen begegnen Vorbereitung auf die Berufstätigkeit Auf der Suche nach einem neuen Direktor und neuen Lehrkräften Inspektionen und Kritik Lautsprache und Gebärden
4.2 In der Weimarer Republik (1919–1933)
87 87 88 91 92 96 99 103
108
4.2.1 Schulselbstverwaltung 4.2.2 Die Arbeit der Schulleiter
108 115
Exkurs: Anregungen der Heilpädagogischen Vereinigung
119
4.2.3 Forderungen der Gehörlosen 4.2.4 Folgen der Inflation 4.2.5 Jubiläumstagungen 1927
121 122 124
4.3 Im „Dritten Reich“ (1933–1945)
129
4.3.1 Machtwechsel und erste Veränderungen an der Taubstummenanstalt 4.3.2 Dorothea Elkan – eine jüdische Lehrerin 4.3.3 Alfred Schär – ein politisch verfolgter Lehrer
129 131 136
Exkurs: Das Phonetische Laboratorium seit seiner Gründung 1910
140
4.3.4 Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses
154
Exkurs: Gesundheitspaßarchiv
171
4.3.5 Lehrer und Schüler in NSDAP und Hitler-Jugend 4.3.6 Das Ende der Schule an der Bürgerweide
174 183
Exkurs: Schulpflicht
186
4.3.7 Kinderlandverschickung
194
4.4 Zu Gast in anderen Schulen (1945–1964) 4.4.1 Wiederaufbau der Schule 4.4.2 Die Bemühungen um den Wiederaufbau des Internats 4.4.3 Der Schulneubau – eine unendliche Geschichte
206 206 220 225
Inhalt
4.5 Die Samuel-Heinicke-Schule (1964–2000) 4.5.1 Schule im Neubau 4.5.2 Vergangenheitsbewältigung? 4.5.3 Schüleraktivitäten 4.5.4 Unterricht: Lautsprache, Gebärden und Gebärdensprache 4.5.4.1 Kurzer geschichtlicher Überblick über die pädagogische Methodik an deutschen Gehörlosenschulen Exkurs: Die Folgen des Mailänder Kongresses 4.5.4.2 Lautsprache, Lautsprachbegleitende Gebärden und Gebärden im Konsens 4.5.4.3 Der bilinguale Schulversuch 4.5.5 Schulkindergarten und Sondertagesheim 4.5.6 Der Grund- und Hauptschulzug 4.5.7 Der Realschulzug 4.5.8 Die Klassen für mehrfachbehinderte Kinder 4.5.9 Berufsschule
7
230 230 236 239 241 241 346 253 256 263 269 270 275 277
5 Die Ausbildung zum/zur „Taubstummenlehrer/lehrerin“. . . . . . . . . . . . . . 283 6 Einrichtungen für Schwerhörige und Sprachbehinderte . . . . . . . . . . . . . . . 293 6.1 Schwerhörigenschule
293
6.2 Sprachheilschulen
296
7 Gehörlose in der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 7.1 Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine 7.1.1 Bröhan, Pacher und die ersten Hamburger Gehörlosen-Vereine 7.1.2 Zeitschriften 7.1.3 Sozialdemokratische Vereine der Gehörlosen 7.1.4 Forderungen der Gehörlosen-Vereine bis in die 1920er Jahre 7.1.5 Der Dachverband Regede und die nationalsozialistische Zeit 7.1.6 Der Landesverband und seine Arbeit 7.1.7 Das Taubstummenaltenheim 7.1.8 Stiftungen für mehrfachbehinderte Gehörlose
301 301 305 307 309 315 321 327 330
8
Inhalt
7.2 Gehörlose Künstler 7.2.1 Ruth Schaumann 7.2.2 Elisabeth Seligmann 7.2.3 Franz Hartogh
333 333 336 340
8 Die Gesellschaft zur Förderung der Gehörlosen in Groß-Hamburg e. V. und das Kultur- und Freizeitzentrum für Hamburger Gehörlose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 9 Das Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser an der Universität Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 10 Gehörlosenseelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 11 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 12 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 12.1 Quellen 12.1.1 Ungedruckte Quellen 12.1.2 Interviews 12.1.3 Gedruckte Quellen
12.2 Literatur
373 373 375 376
386
13 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Abkürzungen
407
Bildnachweis
409
Personenregister
410
Über die Autorin
418
Über den Reihenherausgeber
418
Vorwort Rainer Hering
Zu r Re ih e Hamb urg er Historische Fo rschung en Die neue Reihe Hamburger Historische Forschungen umfasst Beiträge zur Hamburger und deutschen Geschichte, vornehmlich der neueren und neuestenZeit.SieistinsbesonderefürhervorragendeNachwuchswissen schaftlerinnenundwissenschaftleroffen,derenWerkesonstvielfachun veröffentlicht blieben. Gemeinsamer Bezugspunkt aller Publikationen ist Hamburg,dasheißtdieArbeitensindaneinerHamburgerHochschuleent standenoderbeschäftigensichinhaltlichmitderFreienundHansestadt HamburginVergangenheitoderGegenwart.DieReiheschaffteinForum geradefürbislangunerforschteThemen.ZugleichsinddieHamburgerHis torischenForschungen nichteinemeinzigenKonzeptverpflichtet,sondern bietenRaumfürdieVielfaltdertheoretischenundmethodischenKonzep te,Geschichtewissenschaftlichfundiert,aberdochzugleichauchfüralle historischInteressiertenverständlichdarzustellen.
Zu m v o rl i e g e n de n B a n d DerersteBandvonIrisGroschekzurGeschichtederGehörlosenbildungin Hamburgvom18.JahrhundertbisindieGegenwartistbesondersgeeignet, dieseSchriftenreihezueröffnen.DieamHistorischenSeminarderUniver sität Hamburg angenommene Dissertation zeigt in einem historischen LängsschnitteinenbislangwenigbeachtetenBereichderBildungs,Kultur undAlltagsgeschichtederFreienundHansestadtanderElbeauf. GehörlosehabenumdieAnerkennungihrereigenenSprachegekämpft– undsiehabengewonnen:DieDeutscheGebärdenspracheistseit2002als eigeneSpracheanerkannt.WelcheRolleHamburgdabeispielteundwie
10
Vorwort
HamburgzuseinerVorreiterrolleinderGehörlosenpädagogikkam,dar überberichtetdiesesBuch. EszeigtanhandderGeschichtederSamuelHeinickeSchuleundihrer Vorgänger,wieGehörloseinHamburgvondenAnfängenim18.Jahrhun dertbisheuteausgebildetwurdenundwerden.DabeiwirddieRolleHam burgs als Impulsgeber in der Entwicklung der Gehörlosenpädagogik in Deutschlanddeutlich:ImheutigenHamburgerStadtteilEppendorfhatte SamuelHeinickeMittedes18.JahrhundertsmitderAufnahmeeinerGrup pegehörloserKinderdieersteprivateSchulefürGehörloseinDeutschland gegründet.DasBuchberichtetanschaulich,wiefastsechzigJahrespäter aufInitiativeeinigerHamburgerBürgerdieMildeStiftungTaubstummen anstaltgegründetwurde,die1827ihrenLehrbetriebmiteinemgehörlosen Lehreraufnahm.SpannendistderweitereWerdegangderSchuleüberdie Verstaatlichung,dieAdaptionschulpolitischerForderungenderWeimarer RepublikunddieselektierendeRolleihrerLehrerimNationalsozialismus bishinzurAufgabederSchulselbstständigkeitderSamuelHeinickeSchule (heute Schule für Hörgeschädigte Abteilung II) im Jahr 2000. Ende des 20.JahrhundertswareswiederdieHamburgerSchule,diemitderEinfüh rungeinesbilingualenSchulzugesindergehörlosenpädagogischenLand schaft in Deutschland einen neuen Weg aufzeigte und somit an zwei Grenzmarken–demBeginndeutscherGehörlosenpädagogikundinderak tuellen bilingualen Entwicklung – prägend wirkte: Hier nahm die Laut sprachmethodeihrenAnfang,hierwurdeaberaucherstmalswiederauf dieDeutscheGebärdensprachealsUnterrichtsgegenstandzurückgegriffen. NebenderSchulewerdenweitereSelbsthilfeorganisationen,Stiftungen, VereineundInstitutevonHamburgerGehörlosenundfürHamburgerGe hörlose sowie die Lebenswege einiger bekannter Hamburger Gehörloser vorgestellt.
Dank
DievorliegendeArbeitwärenichtmöglichgewordenohnedieUnterstüt zungzahlreicherhelfenderPersonen.Herzlichdankenmöchteichallen gehörlosenund hörenden Zeitzeugen und Gesprächspartnern,dieüber sichundihreFamilie,überihreErfahrungen,ihreArbeitundGedanken AuskunftgegebenundmitDokumentenundFotosdieseArbeitermög lichthaben.StellvertretendsollhierderkürzlichverstorbeneEhrenvor sitzende des Gehörlosenverbandes, Eugen Tellschaft, genannt werden. Prof.Dr.RainerHeringundProf.Dr.AxelSchildtdankeichsehrfürdie stets freundliche und ermutigende Unterstützung meiner Dissertation. Erstgenanntem,Dr.UweSchmidtundDr.ChristianHannenmöchteich besonders für inhaltliche und lektorierende Anregungen danken. Mein DankgiltschließlichbesondersderJohannaundFritzBuchGedächtnis stiftung für die finanzielle Unterstützung dieser Veröffentlichung und HamburgUniversityPressfürdieverlegerischeBetreuung. Hamburg,imJanuar2008 IrisGroschek
1 Einleitung
1. 1 Vo rbemerku ng Gehörlos.Washeißtdas?Gehörlose.Wassagensie?Aufdenerstendeut schenKulturtagenderGehörloseninHamburgwurdeeinegrößereÖffent lichkeitaufdiemitHändensprechendenMenschenaufmerksam.Eswar hierinHamburg,dassGehörloseselbstbewusstfürdieAnerkennungihrer Sprache,derGebärdensprache,aufderStraßedemonstriertenundaufder TagunginUniversitätsräumenihreeigeneKulturpräsentierten.1Fasziniert standichamDammtorbahnhofundsahdiegebärdendenDemonstranten, wolltemehrwissenundentdecktedieimAudimaxaufgebautenSchauta felnzurGeschichtederGehörlosen.ErsteSchritteineineselbstbewusste RichtunghattedieMünchnerinGertrudMally(geb.1948)gemacht,dieauf Anregungdesseit1975inHamburgerschienenensogenannten„Blauen Gebärdenbuches“ab1977erstmalsGebärdenkurseanderVolkshochschule Münchengab.SiegründetenachdemBesuchdeserstenKongresseszur Gebärdensprachforschung,derimNovember1985inHamburgstattfand, diekritischeZeitung„Selbstbewußtwerden“,dieerstmalsGehörlosenein kritischesForumbot.2LangwierigeheißgeführteDiskussionenumdieStel lungder GebärdensprachewarendieFolge desHamburgerKongresses, dereinerRevolutiongleichkam,wurdedochhieraufwissenschaftlicher Grundlagehervorgehoben,dassdieGebärdenspracheeineeigeneSprache miteigenständigerGrammatiksei.DieHamburgerKulturtageachtJahre 1 JensHeßmann,Schongehört–unerhört.Specialzuden„1.DeutschenKulturtagenderGe hörlosen“unddem„KongreßzurZweisprachigkeitGehörloser“Hamburg14.–17.Oktober 1993,in:DasZeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheundKommunikationGehörlo ser26(1993),S.528536. 2 IngeRichter,PersönlicheGedankenzumJubiläumderZeitschrift„Selbstbewußtwerden“, 1999 (nachzulesen unter http://www.taubenschlag.de/sbw/sbw50/richter.htm, abgerufen am 15.9.2007).ZuGertrudMallysieheauchihrPorträtinderFernsehreihe„SehenstattHören“ 1106. Sendung am 6.10.2002 (nachzulesen unter http://www.taubenschlag.de/SSH/1106.htm, abgerufenam7.6.2003).InHamburgerscheintseitJanuar1986die„HamburgerGehörlosen Zeitung“(HGZ)alsKommunikationsundDiskussionsforum.
14
Einleitung
späterwarenderStartzuvielenAktionen,dieimJahr2002zumZielder AnerkennungderDeutschenGebärdenspracheführten.
1. 2 Was bedeutet Gehör losigkeit? Jahrhundertelang wurden Menschen, die nicht hören können, künstlich dummgehalten.„Taubstumme“galtenalsgeistigbehindert.Siehattenkei nerleiRechte.3 KaumeinHörenderkamaufdieIdee,dasstaubenMen schenetwasbeigebrachtwerdenkönne.„Wernichthörenundnichtspre chenkann,kannauchnichtdenken“–dieseInterpretationvonAussagen desPhilosophenAristoteles(384–322v.Chr.)ließGehörlosebisindasspäte 16.Jahrhundertals„bildungsunfähig“gelten.Vereinzeltechristlichmoti vierteMöncheinFrankreichundSpanienwiesendannmiteinzelnenSchü lernpraxisnahdasGegenteilnach.DocherstmitdenIdeenderAufklärung undderGründungmodernerStaatenwurdedieBildungallerMitglieder einesVolkesdurchAufundAusbaueinesflächendeckendenSchulsystems gefördert.IndieserZeitkamesauchzurGründungvonSchulenfürGe hörlose. Die weltweit erste Gehörlosenschule wurde 1760 durch Abbé CharlesMicheldel´Epée(1712–1789)inPariseröffnet.InDeutschlandwar esSamuelHeinicke (1727–1790),derab1769gehörloseSchülerinEppen dorfbeiHamburgunterrichteteund1778dieerstedeutscheGehörlosen schuleinLeipziggründete.ErstmalslebtenmehreregehörloseKinderund ErwachseneindiesenalsInternatkonzipiertenGehörlosenschulenzusam menundkonntensoeineeigeneKulturundSprachealsgemeinsameBasis entwickeln. DieSichtweisederHörenden,dieGehörlosezuallererstüberdenMan geleinesSinnesdefinieren,prägteallerdingsweiterhindenBlickaufgehör loseMitmenschen.DasZielderAusbildungGehörloserdurchHörendelag
3 EinerderältestenHinweiseaufdieUnmündigkeitHamburgerGehörloserfindetsichim Jahr1603:Auszugaus„derStadtHamburgGerichtsOrdnungundStatutavon1603“Part.III Tit.6„VonVormundundPflegschaften“Artikel11:„DaauchgebrechhaftigePersonengefun denwerden,alsUnsinnigeoderSinnlose,StummeundTaube,desgleichendiemitlangwieri gerKrankheitbeladenundlagerhaftsind,auchdieihreGüterunnützlichverschwenden,die sollenunsgleichfallsdurchdieMutter,oder,wenndieselbenichtmehramLeben,durchdie nächsteBlutsverwandte,beyVerlustihrererblichenAnwartung,wieobstehet,angezeiget,und ihnennachGelegenheitCuratoresundVorsorgerverordnetwerden.“
Was bedeutet Gehörlosigkeit?
15
spätestensseitdemfolgenreichenMailänderTaubstummenlehrerkongress imJahr1880imErlernen,imSprechen,imNachahmenderLautsprache: ZielwardiemöglichunauffälligeIntegration.ChristlicheBarmherzigkeit warderAntrieb.DerHauptblickgaltderBehinderungundnichtdenMög lichkeiten–dasbesseralsbeivollsinnigenMenschenausgeprägtevisuelle WissenundKönnenGehörloserwurdeunbeachtetgelassen. OhneHilfekanneineinzelnerMensch,dernichthörenkann,dieauf AkustiksetzendeWeltumihnherumnichtverstehen.GesprocheneSpra chekannnichtaufnatürlichemWegegelerntwerden.So,wiefürdenEuro päerdieSchriftzeichenderchinesischeSprachenurBildersind,sobedeu tendasSprechen,dieLaute,dieBuchstabenfürjemanden,dergehörlosist, ebenso zuallererst nur Mundbewegungen und Bilder. Das Fehlen einer akustischenWahrnehmungmachtwiederumdenErwerbunddenEinsatz dergesprochenenLautsprachezueinersehrschwerenAufgabe.Nochheu tewirddennochderEinsatzvonGebärdeninSchuleundFamilie–hierbei sindwenigerlautsprachbegleitendeGebärdenalsvielmehrdieGebärden spracheselbstgemeint–vonFachleutenmitderBegründungabgelehnt, dieswürdedenLautspracherwerbbehindernunddieSprachundAblese fähigkeiten negativ beeinflussen.4 Die so lautsprachlich durchgeführte Kommunikation bleibt allerdings oft sehr einseitig und statt Freude am Sprechen entsteht leicht eine Therapiesituation, wenn Aussprache korri giertwirdoderdasnicht(odernursehrschlecht)hörendeKindsichnicht spontanunddirektinseinernächstenUmgebungmitteilenkann.DieDeut scheGesellschaftzurFörderungderGehörlosenundSchwerhörigen(seit 2005DeutscheGesellschaftderHörgeschädigten–SelbsthilfeundFachver bändee.V.)siehteinProblemdarin,dassesdenKindernanselbstbewuss terAnerkennungfehlt,wennsichihreUmwelt(fast)reinlautsprachlichan sie wendet, was zwangsläufig zu einer asymmetrischenKommunikation führt.5DieGesellschaftkritisiertdenderzeitigpraktiziertenAnsatzderora lenFrüherziehungbereitsvordemSpracherwerbertaubterbzw.schwerhö 4
HerbertL.Breiner,LautspracheoderGebärdenfürGehörlose?DergeschichtlicheHinter grunddesProblems,in:ders.(Hg.),LautspracheoderGebärdenfürGehörlose?ZumErhaltder LautsprachmethodeundderenWeiterentwicklungbeiGehörlosen,Frankenthal1986, S.13–31, hier S. 16f.;DeutscheGesellschaftzurFörderungderGehörlosenundSchwerhörigene.V., HörgeschädigteKinder–schwerhörigeErwachsene.Kommunikationmitschwerhörigenund ertaubtenMenschen,Hamburg2000,S.23. 5
Ebd.,S.24–25.
16
Einleitung
rigerKinder,diesichaufeineoptimaleLautsprachentwicklungspeziali sierthatundalsZieleineIntegrationindiehörendeWeltdurcheinehohe Lautsprachkompetenz Gehörloser sieht. Dass diese Integration nicht so vollständigerlangtwirdwievonhörendenPädagogenerhofft,lassenAus sagen schwerhöriger und gehörloser junger Menschen erahnen, die fast durchgehend sogar familiäre Kommunikationsprobleme vor allem im „Senden“vonNachrichtenschildern,dieebensofastdurchgehendvonden hörendenElternteilennichtgesehenwurden.6 Einausschließlichaufden LautspracherwerbausgerichtetesLernenwirdheutenichtmehrfürgehör lose,alsovonGeburtannichthörendeKinder,sondernfürschwerhörige undertaubteKinderangestrebt.DiesgehtjedochauchhieroftaufKosten des Wissenserwerbs, derkommunikativenSicherheitundeinesselbstbe wusstenSozialverhaltens.7 DieGesellschaftfordertjetztineinemzweiten Schritt,nachdemdieGehörlosenschulendamitbegonnenhaben,dieGebär densprachealsvollwertigeUnterrichtsspracheanzuerkennen,auchvonden SchwerhörigenschuleneinenflexiblerenUmgangmitSpracheinsbesondere imSachunterricht.WeitereWünschegeltenderEinrichtungneuerSchulfä cher wie „Kommunikation“ und „Gebärden“ und dem Einsatz visueller KommunikationzurVerbesserungdersachlichenwiederkommunikativen Kompetenzen.8 EsgibtinDeutschlandheuterund80.000Gehörlose,9 da 6
EmilKammerer,ZurSelbstwahrnehmungderKommunikationsbehinderungbeigehörlosen KindernundJugendlichen,in:Feuchte,Herbertu.a.(Hg.),ProceedingsoftheInternational CongressonEducationoftheDeafinHamburg1980,Vol.3,Heidelberg1982,S.328–334.
7
DeutscheGesellschaftzurFörderungderGehörlosenundSchwerhörigene.V.,Hörgeschä digteKinder–schwerhörigeErwachsene,S.29.
8
Ebd.,S.32.
9
GeschätzteZahldesDeutschenGehörlosenbundesinKiellautInformationvom4.12.2003. Gehörlosigkeitistnichtmeldepflichtig.UnterschiedlichestatistischeAngabenentstehenbei unterschiedlicher Definition des Begriffes „gehörlos“. Während der Gehörlosenbund eine sprachlicheDefinitionderGehörlosigkeitnachderbevorzugtenKommunikationsformvor nimmt,nimmtdasStatistischeBundesamteinemedizinischeDefinitionvonGehörlosigkeit unterZuhilfenahmedervonHNOÄrztengemeldetenAngabenderVersorgungsämterzur GrundlageseinerZahlen.DabeiunterscheidetdasBundesamtnachGradderHörbehinde rung.DasStatistischeBundesamt,AuszugausderneuestenStatistikderSchwerbehinderten, Stand18.10.2000,nennteineZahlvon24.806deutschenGehörlosenundzusätzlich22.351ge meldetenPersonenmitTaubheitkombiniertmitBeeinträchtigungenderSprachentwicklung und entsprechenden Störungen der geistigen Entwicklung am Ende des Jahres 1999, also 47.000gehörlosenMenscheninDeutschland.WürdenauchdieSchwerhörigenmitgerechnet, dieeinenunterschiedlichenGradanHörfähigkeit–bisanTaubheitgrenzend–haben(190.499 Personen1999),kämemanaufeineAnzahlvon237.500Personen.Insgesamtwerdeninder
Was bedeutet Gehörlosigkeit?
17
vonetwa5.600Kinder,dieGehörlosenschulenbesuchen.10Alsgehörlosgel tenPersonen,dietaubgeborenwurdenoderihrGehöralsKleinkindvor demErwerbvonSpracheverlorenhabenunddamitnichtaufnatürlichem Wegsprechenlernenkönnen.GehörloseKindersindAugenmenschen,die aufdiegelungeneKontaktaufnahmemitBlickkontakt,LächelnundNach ahmungreagieren,wiejedesgesundeKind.11DakleineWirkungenaberoft unbeachtetbliebenundgehörloseKindernichtsoreagierten,wieHörende essichwünschten,weilsieaufgesprocheneWortenichtreagierenkonnten, wurden „Taubstumme“ lange Zeit als „idiotisch“ oder „dumm“ tituliert undfürgeistigbehindertgehalten.Aber:EingehörlosesKindhatdieglei cheIntelligenzwieeinhörendesKind,eshatnurnichtdieMöglichkeit, überdasinunsererGesellschaftsowichtigeVerbale,dasHörenundSpre chen, sein Bildungsniveau, seine Intelligenz zu erweiternund zu entwi ckelnwieeinhörendesKind.Hiermüssenandere,nonverbale,Kommuni kationswegegegangenwerden. EinemgehörlosenKind,sobeschreibtesdasZielderGehörlosenpäda gogik,mussderWegindiesprechendeundschreibendeGesellschafter öffnetwerden,indemihmdiegesprocheneSprachebeigebrachtunddamit dieIdeenundWeltanschauungenderHörendeneröffnetwerden.Gehörlo senpädagogenhabendieAufgabe,Abstrakteszulehren:dieLautsprache. DiesebleibttrotzallerÜbungfürGehörlosedennochkünstlich.Eingehör loses Kind lernt zwar lesen, doch ein traditionell mit der oralen Laut sprachmethodeunterrichteterGehörloserverstehtallzuoftSinnundInhalt desGelesenennurschwer,daderSprachschatzgeringeristundneueoder zusammengesetzteWortenichtohneWeitereszuentschlüsselnsind.Auch Rubrik „Sprach oder Sprechstörungen“ exakt 253.492 Personen gezählt, d. h. taube und schwerhörigeMenschensowiePersonenmitGleichgewichtsoderSprachstörungen.Gerech netwirdimAllgemeinenmiteinemGehörlosenAnteilvon0,1ProzentinBezugaufdieGe samtbevölkerung(ErnstDierksu.a.,ElterninformationNr.18,Thema:Bildungschancentrotz Hörschäden,Hamburgo.D.[ca.1979]). 10
InformationdesStatistischenBundesamtes,1993,Fachserie11,Reihe1Allgemeinbildende Schulen,12.2Sonderschulen.KlassenundSchülernachKlassentypen.ImSchuljahr2003/2004 warenesinHamburg88SchülerinnenundSchüler(BehördefürBildungundSport,Statisti scheInformation4b/2003,S.8).Auf2.000Geburtenkommt,statistischgesehen,eingehörloses bzw.hochgradigschwerhörigesKind(ArminLöwe,Gehörlose,ihreBildungundRehabilitati on,in:DeutscherBildungsrat,GutachtenundStudienderBildungskommission,Band30,Son derpädagogik2,Stuttgart1974,S.19). 11
ImFolgendenwird,wennnichtandersangegeben,ausderBroschüreInformationderGe sellschaftzurFörderungderGehörlosene.V.,Hamburg1980,zitiert.
18
Einleitung
durchdasAblesenvomMundentstehenMissverständnisse,dennWorte mitverschiedenerBedeutungundAussprachehabengleicheMundbilder (Not–Tod,eins–acht,m–b).Von30LautenderdeutschenSprachesind nurelfvondenMundbewegungenherunterscheidbar.12 TrotzguterAusbildungbleibteinnormalbegabtesgehörlosesKindauf einem niedrigeren Bildungsniveau stehen als ein hörendes Kind. Woher kommtdas?LangeZeitwurdeindersogenannten„Taubstummenpädago gik“alleininLautspracheunterrichtet,mehrWertaufdasSprechenalsauf dasWissengelegt,solautetderVorwurfderVorreitereineranderenPäd agogik, des Bilingualismus. Auch in Hamburg wurde traditionell die Gebärdenspracheabgelehnt,dadiesenichtnurdieIntegrationindieGe sellschaft behindere und Gehörlose absondere, sondern auch deren An wendungunterGehörlosen,wieesderehemaligeHamburgerSchulleiter Hermann Maeßeformulierte, „zueinernegativen seelischgeistigenHal tung“führe.13 DieseEntwicklungderAblehnungvonGebärdensprachefußteaufFor derungenSamuelHeinickes,derdenLautsprachUnterrichtfürGehörlose inDeutschlandeinführteunddamitfürdiedeutscheGehörlosenpädagogik wegweisendwurde.WährendzuAnfangdes19.Jahrhundertsallerdings nocheinekombinierteMethodeandeutschenTaubstummenanstaltenan gewandtwurde,inderGebärdenundLautsprachezumEinsatzkamen undauchgehörloseLehrkräfteandenSchulenunterrichteten,hattesich zumEndedesJahrhundertsdieoraleMethodedurchgesetzt.ErstamEnde des 20. Jahrhunderts wurde die reine Lautsprachmethode erneut tiefge hendinFragegestellt.EsentwickeltensichzweiunterschiedlicheAnsätze, derderhörgerichtetenPädagogik,dieimZugedesSinnesersatzesdurch elektrisch betriebene InnenohrProthesen, den CochleaImplantaten, bis zumHirnstammimplantatneueChanceninderhörgerichtetenFörderung sah,undderdesBilingualismus,deralsWeiterentwicklungderkombinier 12 GeübteLippenleserkönnenbeibekanntenThemenbiszu30ProzenteinesTextesablesen. AmLippenbilddeutlicherkennbarsindnurca.15ProzentderLauteindeutscherSprache (Beispieledazuz.B.:http://www.typolis.de/hear/lippenablesen.htm,abgerufenam15.9.2007). 13
HermannMaeße,DasVerhältnisvonLautundGebärdenspracheinderEntwicklungdes gehörlosenKindes(WissenschaftlicheBeiträgeausForschung,LehreundPraxiszurRehabili tationbehinderterKinderundJugendlicherXIII),VillingenSchwenningen2.Auflage1977(die Ergebnisseder1.AuflageausdemJahr1935wurdenhier40JahrespätervonMaeßeerneut überprüftundbekräftigt),S.104.
Was bedeutet Gehörlosigkeit?
19
tenMethodegesehenwerdenkann.14DieVertreterderbilingualenPädago gikwollenWissenmittelsderSprachederGehörlosengemeinschafterar beitetwissenundGehörlosenmittelsLaut(undSchrift)SpracheundGe bärdenspracheWegeinzweiWelteneröffnen. Nochheutescheintesso,alsstündensichdieVertreterderunterschied lichenpädagogischenAnsätzefastunversöhnlichgegenüber.Nochimmer hatdiereinlautsprachlicheFörderunggehörloserKindersehrvieleAnhän ger.DieinHamburgansässigeBundesgemeinschaftderElternundFreunde hörgeschädigter Kinder e. V. sieht als Ziel die Integration in die Mehr heitsgemeinschaftderHörendenundmöchtegehörloseKinderinRegel schulenaufwachsensehen.DiesemeisthörendenElternweisenaufdie einhelligeMeinungvonMedizinernhin,dieeineEntwicklungvonLaut sprachkompetenznurdurchfrüheundgezielteakustischeReizeerzielbar halten–dieHirnreifungseiimWesentlichenbereitsimfrühenKindesalter abgeschlossenunddahereinspätererErwerbderLautsprachenichtmehr möglich.15 SiefordernzurVorbereitungaufdiehörendeundlautsprachli che Gesellschaft den Erwerb und Ausbau der Lautsprache in Vor und Grundschule,währenddieGebärdensprache,wennüberhaupt,erstspäter aufeigenenWunschderKindererlerntwerdendürfe.Wennjemandgebär densprachlich gefördert werden sollte, dann höchstens die zehn Pro zentder gehörlosen Kinder, die aus verschiedenen Gründen nicht fähig sind,eineLautsprachkompetenzzuerwerben.Über90Prozentdergehör losen bzw. stark schwerhörigen Kinder, die ohne Hörhilfe keine Spra cheüberdasOhraufnehmenkönnen,solltenmitfrühzeitigermedizinischer Unterstüzung und hörpädagogischer Förderung die Lautsprache erler nen.AlleHörgeschädigtenlehrkräftesollten,stattGebärdensprachezuler nen,liebereineverbesserteAusbildungindenBereichenHören,Hörförde rung, Technik und Kommunikationspsychologie erhalten. Mit Hilfe von 14
Helmut Vogel, Gebärdensprache und Lautsprache in der Taubstummenpädagogik im 19.Jahrhundert.HistorischeDarstellungderkombiniertenMethode,Magisterarbeit,maschi nenschriftlich,Hamburg1999.
15
Prof.Dr.RainerKlinke,SinnesundNeurophysiologeanderUniversitätsklinikFrankfurt amMain,VertreterderauditivverbalenErziehungaufGrundmedizinischerMöglichkeiten derHörwiederherstellungbeschreibtdiesinseinenVeröffentlichungen,u.a.RainerKlinke/ RainerHartmann/SilviaHeid/AndrejKral,WidereineWeltohneWorte.Auchbeiangebore nerGehörlosigkeitNervenverbindungenimHörsystemarbeitsfähig–ChancenfürTherapieim Kindesalter, in: Forschung Frankfurt, Wissenschaftsmagazin der GoetheUniversität 2 (1997), S.16–27.
20
Einleitung
modernenHörhilfenundlautsprachlicherKommunikationwirdzukünftig, davonistdieBundesgemeinschaftüberzeugt,ursprünglichnichthörenden KinderndievölligeIntegrationinGesellschaftundBerufslebengelingen, wobeiinsbesonderecochleaimplantierteunddamitnichtmehrgehörlose KinderihreHoffnungsind.16 EinWandelinderBildungundAusbildunggehörloserKinderistinzwi scheninderpädagogischenLandschaftdeutlichzusehen,diereinlaut sprachlicheErziehungwirdimmermehrhinterfragt,ohneausdenAugen zuverlieren,dasseineguteSchreibundLesefähigkeitauchfürGehörlose unverzichtbarist.DerEinsatzvonGebärdenundLautspracheimUnter richtgehörloserbzw.hochgradighörgeschädigterKinderwirdzunehmend befürwortet,diebilingualeUnterrichtsundFrühfördermethodesolltesich imInteresseeinergutenAusbildungweiterdurchsetzen.17 DiezumTeilignorante,hochnäsigeoderablehnendeEinstellungderBe völkerung,aberauchderFachleutegegenüberdenGehörlosenistdasEr gebniseinerlangenEntwicklungvonUnkenntnis,Fehlinformationenund Missverständnissen,sosehenesdieBefürworterdesBilingualismus.Men schen,dienichthören,sehensichnichtalsbehindertan,siesindgehörlos. DasSelbstverständnisderjungenGehörlosenhatsichimVergleichzuden vorigenGenerationengewandelt:18JungeGehörlosesindselbstbewusstge worden,keinVergleichzumtraditionellenBilddesGehörlosenalsdankba resObjektderFürsorgehörenderMitmenschen.HeutewollenGehörlose alsMenschenmiteineranderenSprachegesehenwerden,derGebärden sprache,dieebensovollentwickeltundfähigist,komplizierteGedanken gängezuumschreiben,wiejedeanderealsvollwertiganerkannteSprache.19 16
PositionspapierderBundesgemeinschaftderElternundFreundehörgeschädigterKindere.V. zumThema„Gebärdensprache“,Hamburg1998.
17 SoentstehtauchwiedereinBedarfnachgehörlosenLehrkräftenalskompetentenGebärden sprachlernmitVorbildfunktionalsauchnachdemEinsatzvonGebärdensprachdolmetschern z.B.imUnterrichthöhererSchulklassen. 18
NoraEllenGroce,JedersprachhierGebärdensprache.ErblichbedingteGehörlosigkeitauf derInselMartha´sVineyard(InternationaleArbeitenzurGebärdenspracheundKommunika tionGehörloserBand4),Hamburg1990,S.134undS.118ff.;AnregungenzufolgenderPassa geüberjungeGehörlosewurdeneinerSchweizerFernsehreportagemitdemTitel„Einestille Welt.DasLebenjungerGehörloser“entnommen,dieam6.6.1994auf3Satausgestrahltwurde.
19
Schwedenwar1980dasersteLand,indemdieGebärdensprachezuroffiziellenLandesspra chewurde.GehörloseschwedischeKinderhabeneinRechtdarauf,indieserSprachebzw.bi lingualunterrichtetzuwerden.AuchinDeutschlandfordertenGehörlosemehrAufmerksam
Was bedeutet Gehörlosigkeit?
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Die nationalen Gebärdensprachen, so ergaben Ergebnisse linguistischer Forschungen,dieEndeder1950erJahreneinsetzten,sindähnlichkomplex undgenausoausdrucksfähigwieLautsprachen.DievisuellenGebärden sprachenhabengenausoeineeigeneGrammatik.SienutzendenKörperals SprachinstrumentmittelsGebärde,MimikundKörperhaltung.20 Aus Belehrung sollgleichberechtigteKommunikation werden.Die Ge hörlosengemeinschaft,diesichnatürlichauchüberihreSprachedefiniert, fordertdieSichtaufeinepositiveIdentität.DabeinimmtdieDeutscheGe bärdenspracheeinezentralePositionalsSpiegelderdeutschenGehörlosen kulturundtraditionein.21 PositiveIdentitätmeinthierbeidieDefinition einerGemeinschaftübereinegemeinsameSpracheunterAblehnungdes Behindertenstatus. Dies ist das linguistischpositive Menschenbild zwei sprachigerGehörloser(Lautsprache–Gebärdensprache).Aufderanderen Seitestehtdas(traditionelle)medizinischdefizitäreBilddesGehörlosenals hörbehinderterMensch.HierausergebensichunterschiedlicheForderun gen.SelbstbewussthabenGehörlosezunehmendfürdieAnerkennungih rerSprachegekämpft–mitErfolg: Zum1.Mai2002tratdasGesetzzur GleichstellungbehinderterMenschen(Bundesgleichstellungsgesetzfürbe hinderteMenschen)inKraft.NichtFürsorge,sondernBürgerrechtesollen MenschenmitBehinderungenzugestandenwerden.DieDeutscheGebär densprachewurdegesetzlichundpolitischanerkannt.22 keitundService,z.B.durchmehrUntertitelimFernsehen.1974hattesichdasZDFerstmals bereiterklärt,Untertitelzusenden,1975startetedieSendung„SehenstattHören“indenDrit tenProgrammen,abernoch1982mussten575.000UnterschriftendenFernsehanstaltenüber gebenwerden,damitdiesedieTagesschauuntertitelten(DeutscherGehörlosenBund,75Jahre DGB.Jubiläumsschriftanlässlichdes75jährigenBestehensdesDeutschenGehörlosenBundes, Kiel2002,S.21).2001warenerstzweiProzentallerSendungenderdeutschenFernsehsender durchUntertitelerschlossen(SiegmundPrillwitz,AngebotefürGehörloseimFernsehenund ihreRezeption[Themen,Thesen,TheorienBand17],Kiel2001).EineweitereForderungwaren Gebärdenspracheinblendungen während der Nachrichten (Demonstration am 23.6.1995 in Hamburg,KlagevonzweiGehörlosengegendenNDR).Erreichtwurde,dassaufPhoenixseit AusstrahlungsbeginndesSenders1997„Tagesschau“und„heutejournal“inGebärdenspra chebegleitetwerden. 20
JörgKeller,DieErforschungderGebärdensprache,in:Beecken,Anne,GrundkursDeutsche Gebärdensprache,2.durchgeseheneAuflageHamburg2002,S.77–80,hierS.78.Anmerkung zurKultur,in:Beecken,Anne,GrundkursDeutscheGebärdensprache,2.durchgeseheneAuf lageHamburg2002,S.22–24,hierS.22.
21 22
Ebd.,S.23.
GleichstellungsgesetzArtikel1§6Absatz1:„DieDeutscheGebärdenspracheistalseigen ständigeSpracheanerkannt“.
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Einleitung
GehörlosigkeitbehindertMenschen,weilsieausderalltäglichenKom munikationderhörendenMitmenschenausgeschlossensind.Sieerhalten dadurchwenigerInformationen,werdenmissverstandenundmissverste henhörendeMenschen–darausresultierteineIsoliertheit,diedurcheine engeBindunguntereinanderwettgemachtwird.DerHörendehörtbeim LesendiegedrucktenWorte,hateinenKlangimKopfundvollziehtsodas Gelesenenach.DerGehörlosesiehtdasSchriftBildundmusssichdenIn haltschwierigerschließen.DasUmwandelnderLautsprachZeicheninGe bärdensprachehilft,sichkomplexeGedankengängevorstellenzukönnen, sieschnellernachvollziehenundverstehenzukönnen.Lautspracheistfür Menschen,dienichthörenkönnen,immereinesehrferneFremdsprache. GehörloselebenineinereigenengehörlosenGemeinschaftmiteinereige nenKulturmitstarkemZusammenhalt,dieallerdingsalsebensostarrgilt wiehörendeGruppierungen.AuchsiehabenVorurteile–diesichgegen SchwerhörigeoderSpätertaubte richten,dielautsprachlicherzogenwur denundnichtperfektinderGebärdensprachesind.23 WiewurdeundwirddasThemaGehörlosigkeitinHamburgbehandelt? WiegingdieHansestadtmitgehörlosenHamburgerinnenundHambur gernum?WieentwickeltesichdieGehörlosenbildungindieserStadtund welcheRollenahmundnimmtHamburgdabeiinDeutschlandein?Um dieThesederführendenRolleHamburgsinderdeutschenGehörlosenbil dungzumanifestieren,wirdindervorliegendenhistorischenDarstellung dieGeschichtederHamburgerGehörlosenbildungaufgezeigt,diemitder EntwicklungdererstenTaubstummenanstaltDeutschlandsinden1770er Jahren beginnt und bis in die 1990er Jahre führt, als in Hamburg das deutschlandweiterstebilingualeUnterrichtsprojektfürgehörloseKinder gestartetwurde.DieseArbeitisteinBeitragzurOrganisationsundIdeen geschichtedesBildungswesens,siezeigtalltagsundsozialgeschichtliche AspekteaufundsieträgtnichtzuletztzurErhellungderGeschichtedes HamburgischenSchulundUnterrichtswesensbei.
23
ZurTheoriedereigenenKultursieheCarolPadden,TomHumphries,Gehörlose.EineKul turbringtsichzurSprache(InternationaleArbeitenzurGebärdenspracheundKommunika tionGehörloserBand16),Hamburg1991;HarlanLane,DieMaskederBarmherzigkeit.Unter drückungvonSpracheundKulturderGehörlosengemeinschaft(InternationaleArbeitenzur GebärdenspracheundKommunikationGehörloserBand26),Hamburg1994.
Die Stellung Hamburgs in der Gehörlosenbildung
23
1. 3 D ie Ste l lun g Hamburgs in der Gehörlosenbildung DieheutealsTeilderSchulefürHörgeschädigteineinemGebäudekom plexdichtamHornerKreiselbestehendeHamburgerGehörlosenschule, dieSamuelHeinickeSchule,kannaufeinelangeTraditionzurückblicken. IhreAnfängereichenbisindas18.Jahrhundertzurück,alsderKantor undSchulmeisterderEppendorferSt.Johanniskirche,SamuelHeinicke, damitbegann,gehörloseSchülerinnenundSchülerimKüsterhausinder Lautsprache zu unterrichten. Dies war die erste „Taubstummenanstalt“ Deutschlands. Heinicke wurde zumBegründerder so genannten „deut schenMethode“,dieinderAusbildungGehörloseraufdiereineLautspra chenlehresetzte.DieseMethodesetztesichab1880weltweitalsfavorisierte Ausbildungsmethode in der Gehörlosenpädagogik durch. Als Heinicke einenRufdesSächsischenKurfürstenannahmund1778mitseinenSchü lernnachLeipzigübersiedelte,umdortdieerstestaatlicheEinrichtungdie serArtzubegründen,ruhteinHamburgdieAusbildungGehörloser,bis 1823durcheineSchriftmitdemTitel„WünscheundVorschlägezurErrich tungeinerTaubstummenanstaltfürHamburgbetreffend“einerneuterAn stoß erfolgte. Verfasser war der Mediziner Dr. Heinrich Wilhelm Buek (1796–1879),derbereitsinden1820erJahrenGehörloseunterrichtethatte undmitdieserVeröffentlichungdengedanklichenGrundsteinfürdieneue HamburgerTaubstummenanstaltlegte.Diesewurdeam28.Mai1827von einerprivatenmildenStiftungalsTrägergegründet.1882wurdedieSchule verstaatlicht,währenddasangegliederteInternatdenCharaktereiner„mil denAnstalt“behielt.IhrersteseigenesGebäudebezogenSchuleundInter nat1872anderBürgerweideinHamburgBorgfelde.ImKriegwurdedas Gebäudezerstört,einNeubauwurde1964imStadtteilHornerrichtet,der obengenannteGebäudekomplexamHornerKreisel.ImJahr2000endete dieeigenständigeGeschichtederHamburgerGehörlosenschule:DieBehör defürSchule,JugendundBerufsbildungführteaufderGrundlageeiner Rechtsverordnungvom5.Juli2000dieSchulefürGehörlose,SamuelHei nickeSchule,mitderSchulefürSchwerhörigezur„SchulefürHörgeschä digte–SchulefürSchwerhörigeundSchulefürGehörlose“organisato rischzusammen. DievorliegendeArbeitisteineGesamtdarstellungderGeschichtederin stitutionalisierten Gehörlosenbildung in Hamburg. Um die Rolle Ham burgsinderEntwicklungderGehörlosenpädagogikzuverdeutlichen,wird
24
Einleitung
hiererstmaligumfassendihregeschichtlicheEntwicklungaufgezeigt.Die DarstellungbeginntmitSamuelHeinickeundzeichnetdenWegnach,der von der Milden Stiftung Taubstummenanstalt über die Gründung einer staatlichenSchulefürGehörloseundderenEntwicklungbiszurAufgabe der Selbstständigkeit im Jahr 2000 geführt hat. Neben den organisatori schen Rahmenbedingungen werden die Ausbildung verschiedener Lehr methoden sowie alltagsgeschichtliche Aspekte herangezogen. Die Arbeit verdeutlichtHamburgsüberJahrzehnteführendeStellunginderGehörlo senpädagogik,indemsieSamuelHeinickesersteschulischeUnterrichtsver suchefürGehörloseinEppendorfschildertunddarüberberichtet,wiees 1827zurGründungdererstenprivatenTaubstummenschulefürGehörlose inHamburgkam.AnHamburglassensichauchdieverschiedenenWege, die die Gehörlosenpädagogik in Deutschland nahm, besonders deutlich aufzeigen,weilHamburgzweimalanwichtigenGrenzpunktenprägenden Einflussnahm.Im18.JahrhundertwurdeindeutschenTaubstummenan staltennachderMethodeunterrichtet,dieinHamburgvonSamuelHeini ckeerstmalsimRahmeneinesInternatspraktischgetestetwordenist.Als überallinEuropagebildeteGehörloseanTaubstummenanstaltenunterrich teten,gabesauchinDeutschlandAnfangdes19.Jahrhundertsgehörlose Lehrkräfte–unddieHamburgerTaubstummenanstaltbegannihrenUnter richtmitderEinstellungeinesgehörlosenLehrers.HierinHamburgwurde aberauchraschwiederdieLautsprachmethodefavorisiert,diezumEnde des Jahrhunderts in ganz Europa zur bevorzugten Lehrmethode wurde. WährendzeitweiseandereStädtedieVorreiterrolleinderdeutschenGe hörlosenpädagogikübernahmen–wieLeipzigoderBerlininden1920er Jahrenundnach1945Dortmund–,soistHamburginden1990erJahren wiederindenBlickpunktgerückt.InderHansestadtwurdedieGehörlo senpädagogikreformiert,dieGebärdeinErziehungundBildungGehörlo seranerkannt,undeinInstitutfürdieErforschungderMuttersprache24der Gehörlosen,derGebärdensprache,errichtet.IndieserArbeitwirddarüber berichtet,welcheDurchsetzungskrafteskostete,diedeutschlandweiterste bilingualeKlassefürgehörloseKinder(deutscheLautsprache–deutsche Gebärdensprache) in Deutschland zu institutionalisieren. Nachdem jahr 24
ObwohlderTerminus„Muttersprache“nichteigentlichgilt,dennnurca.10Prozentderge hörlosenKinderhabenauchgehörloseEltern(Gesprächam20.3.1995mitProf.KlausB.Gün ther,EvelineGeorge,VerenaThielHoltzundAngelaStaabinderSamuelHeinickeSchulein HamburgHorn).
Die Stellung Hamburgs in der Gehörlosenbildung
25
hundertelangkeinehöhereBildungfürGehörloseinDeutschlandzuerrei chenwar,istesjetztGehörloseninbreiteremRahmenmöglich,anderUni versitätzustudieren,inHamburgauchGehörlosenpädagogikamFachbe reichSprachwissenschaftenmitdemZiel,Lehrkraftzuwerden.25 MitdieserDarstellung,dieauchdasWirkenderLehrkräfteunddasEr gehenderSchülerinnenundSchülerimhistorischenBezugdarstellt,sollen VerständnisundInteressefürgehörloseMenschenundihreForderungen gewecktwerden.EssollenzudemAnregungenzuweitererForschungge gebenwerden,dadievorliegendeArbeitvieleThemennuranschneiden kann.
1. 4 Fo rschungsst and , Q ue lle nla ge und Au fba u de r A rbe it WährenddasLebenSamuelHeinickesheuterechtguterforschtscheint,ist LiteraturüberdieHamburgerBildungseinrichtungen für Gehörlose und dieGeschichtederSchule,derLehrkräfte,SchülerinnenundSchülerrecht rar.UmfassendeDarstellungengibtesnicht. 1927fandzum200.GeburtstagSamuelHeinickeseineJubiläumstagung desBundesdeutscherTaubstummenlehrerinHamburgstatt.Ausdiesem AnlasswurdeneinigehistorischeAbhandlungenpubliziert,daruntereine GeschichtederHamburgerSchuleunterdemTitel„DieTaubstummenAn staltfürHamburgunddasHamburgerGebiet“,diederHamburgerTaub stummenlehrerundehemaligeSchuldirektorAlwinHeinrichsdorffverfasst hatte. Dieser hatte für die Erstellung seiner Arbeit „Jahresberichte und sonstigeUrkunden“herangezogen.26Vielederursprünglichfürpotentielle finanzkräftige Förderer der Anstalt publizierten Jahresberichte der An staltsleitung stehen auch heute noch der Forschung zur Verfügung und 25
1994studierteninHamburgsiebengehörloseStudentendasFachGehörlosenpädagogik, 1995warenesschonzehnundOlafTischmann(geb.1965),bestandalserstergehörloserGe hörlosenlehrer sein Examen. Werden für weitere studierte gehörlose Lehrkräfte Stellen an deutschenGehörlosenschulengeschaffen,wirddiesvoraussichtlichzueinererneutenReform führenunddieGebärdenspracheweitgehenderindenUnterrichtandenGehörlosenschulen durchdringen.Wiedasgeschehenkann,zeigtsichinanderenbilingualenSchulen,dieesvor wiegendindenVereinigtenStaatenundSkandinaviengibt,inderalsersteSprachedieGebär denspracheunddaraufaufbauendgeschriebeneLandessprachegelehrtwird.
26
AlwinHeinrichsdorff,DieTaubstummenAnstaltfürHamburgunddasHamburgerGebiet, Hamburg1927,Einleitungstext.
26
Einleitung
sind eine wichtige Quelle zur Schulgeschichte, während Schriftwechsel und weitere Dokumente der Amtsleitung kaum noch zu ermitteln sind. Den Teilnehmern der Tagung im Jahr 1927 wurde außerdem eine Fest schriftmitArtikelnverschiedenerAutorenausgehändigt,dieheutewert volleEinblickeindieSichtaufgehörloseundschwerhörigeKinderundEr wachsenegibt.27 MitdemInteresseander„DeafHistory“gabesEndedes20.Jahrhun dertszunehmendauchAufsätzezuhistorischenThemenmitHamburg Bezug,dieinderseit1987inHamburgherausgegebenenZeitschrift„Das Zeichen. Zeitschrift zum Thema Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser“veröffentlichtwurden.HansUweFeigeerforschtedieLebens wege einiger Schüler Heinickes,28 Studentengruppen um Renate Fischer, Professorin für GebärdensprachLinguistik und Geschichte der Gehörlo senGemeinschaftenanderUniversitätHamburg, bemühtensichumdie Wiederentdeckung der Bedeutung Hamburger Gehörloser wie John Pa cher.29InneuesterZeitsetztsicheinBerlinerVereinfürdieFörderungder GeschichtevonKulturundGebärdensprachederGehörlosenein.Vorden erstenDeutschenKulturtagenderGehörlosen1993inHamburggründete derDeutscheGehörlosenBunde.V.die„InteressengemeinschaftzurFör derungderKulturGehörloser“(IFKG).DieIFKGwurdefünfJahrespäter in „Kultur und Geschichte Gehörloser“ (KuGG) umbenannt. Die KuGG unddieseit1996aktive„DeafHistory–InteressengruppezurGeschichte Gehörloser“schlossensich2001zusammen.DieserVereinwirdvonden gehörlosenHistorikernHelmutVogel,Hamburg,undJochenMuhs,Berlin, geleitetundstelltseineForschungsergebnisseauchimInternetvor.30
27
FestgabezurSamuelHeinickeJubiläumstagungdesBundesDeutscherTaubstummenlehrer, Hamburg1927.Darinu.a.:AlwinHeinrichsdorff,GeschichtedesTaubstummenbildungswe sensinHamburg;PaulJankowski,EntwicklungundgegenwärtigerStanddesSchwerhörigen bildungswesensinHamburg;WilhelmBehrens,DieTaubstummenfürsorgeinHamburg.
28
HansUweFeige,„DenntaubstummePersonenfolgenihrenthierischenTrieben…“–Ge hörlosenBiographienausdem18.und19.Jahrhundert,Leipzig1999;ders.,SamuelHeinickes Eppendorfer„Muellersohn“,in:DasZeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheund KommunikationGehörloser48(1999),S.188–193.
29
RenateFischeru.a.,JohnE.Pacher(1842–1898)–ein„Taubstummer“ausHamburg,in:Das Zeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheundKommunikationGehörloser32(1995), S.122–133und33(1995),S.254–266.
30
http://www.kugg.de,abgerufenam2.8.2007.
Forschungsstand, Quellenlage und Aufbau der Arbeit
27
DadasgewählteThema„GehörlosenbildungimHamburg“rechtum fangreichist,wurdederSchwerpunktdieserArbeitaufdieGeschichteder institutionalisiertenBildunggelegt.AufGrundihresengenVerhältnisses zueinanderwerdenauchdieSchwerhörigenschule,dieGehörlosenvereine undanderefürdieKulturundAusbildunggehörloserHamburgerinnen undHamburgerwichtigeEinrichtungenvorgestellt.Hierzugibtesneuer dings zwei Veröffentlichungen, die sich konkret mit der Geschichte des HamburgerGehörlosenvereinswesensbeschäftigen.31 In jedem Zeitabschnitt der vorliegenden grundlegend chronologisch aufgebautenArbeitsindSchwerpunktthemenderjeweiligenZeitalseinzel neKapitelausgearbeitet. AlsHintergrundundGrundlagedientendabei nichtnurgedrucktenQuellen–dievorliegendeArbeitbasiertvorallemauf bisherunveröffentlichtenArchivalien,die vorwiegendaus demStaatsar chivHamburgstammen.AktenderSamuelHeinickeSchulesindimJahr 1943beiderAusbombungdesSchulgebäudesanderBürgerweidevollstän digvernichtetworden,sodassausUnterlagenschulischerProvenienznur aufdieZeitnach1945zurückgegriffenwerdenkonnte.DafüristdieÜber lieferung,diezurGeschichtederHamburgerGehörlosenbildungdurchdie verschiedenenJahrhunderteAuskunftgebenkann,inanderenBeständen desStaatsarchivserstaunlichvielfältig.VieledieserUnterlagenwurdenfür dieseArbeiterstmalsverwertet.32 DurchdieArchivaliendesStaatsarchivskannauchderbisherzusehr vernachlässigtegeschichtlicheAbschnittderZeitdes„DrittenReiches“er helltundzumBeispieldurchdieSchilderungendesLehrersFritzSchmidt (1892–1973),derdiegehörlosenKinderindieKinderlandverschickungbe gleitete,genaudargestelltwerden.DieErinnerungandiedurchdenStaat 31
ChristianHannen,VonderFürsorgezurBarrierefreiheit.DieHamburgerGehörlosenbewe gung1875–2005,Seedorf2006;GehörlosenverbandHamburge.V.(Hg.),75JahreGehörlosen verbandHamburg.JubiläumsFestschrift,Hamburg2005.
32
ImBestandSenatfindensichArchivalienzurGeschichtederTaubstummenanstaltundihrer LehrerzuAnfangdes20.Jahrhunderts.AlsbesondersinhaltsreicherwiesensichUnterlagen derSchulbehörde(BestandOberschulbehördeVfürdieZeitvon1873bis1933,BestandOber schulbehördeVIfürdieZeitnach1933).ÜberdieAnwendungdes„GesetzeszurVerhütung erbkrankenNachwuchses“berichtenAktenausdemErbgesundheitsgerichtunddemMedizi nalkollegium. Vigilanzberichte und gesammelte Zeitungsausschnitte der Politischen Polizei sowieSchriftstückeausPersonalaktenderSchulbehördelassenEinzelschicksaledeutlichwer den.DieVereinsgeschichteHamburgerGehörloserkannebenfallsdurchAktendesBestandes PolitischePolizeisowieausarchiviertenUnterlagenderSozialbehördenachvollzogenwerden.
28
Einleitung
verfolgtenHamburgerTaubstummenlehrkräfteAlfredSchärundDorothea Elkankonntewiederhergestelltwerden.VorallemsollandieserStellevon dengehörlosenHamburgerinnenundHamburgernberichtetwerden,die vondenNationalsozialistendiskriminiertundals„minderwertig“tituliert verfolgtwurden:Unterdeninsgesamt24.000OpferndesaufGrunddes „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“zwangssterilisierten HamburgerinnenundHamburgernfindensichauchGehörlose.Entgegen den Behauptungen damaliger Lehrkräfte waren sogar gehörlose Kinder, dieinHamburgzurSchulegingen,unterBerufungaufdiesesGesetzsteri lisiertworden. Fürden Themenkomplex der Zwangssterilisationbegann sichdieForschunginden1990erJahrenzuinteressieren.33DerGehörlosen lehrerHorstBiesold(1939–2000)warinden1980erJahrenderersteWissen schaftler,deraufdasSchicksalgehörloserDeutscherimDrittenReichhin wiesundsichfürdieRehabilitationsterilisierterGehörlosereinsetzte.Sein heute in der Hamburger Universität aufbewahrter wissenschaftlicher Nachlasswurdebishernochnichtweitergehendgeordnet.TeileseinerBib liothek wurden der Forschung als Teil der Bibliothek des Instituts für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser zur Verfü gunggestellt. NebendenUnterlagenausdemStaatsarchivkonntenmitfreundlicher UnterstützungvonEugenTellschaftundDr.ChristianHannenauchAkten ausderAltregistraturdesältestenHamburgerGehörlosenvereins,desAll gemeinenGehörlosenUnterstützungsVereins,fürdieZeitabden1930er Jahrenausgewertetwerden.DieBibliothekdesInstitutsfürDeutscheGe bärdensprache und Kommunikation Gehörloser verfügt über größere Zeitschriftenbestände.UmdieQuellenlagezuergänzen,wurdenaußer demInterviewsmitZeitzeugengeführt.IhreprivatenDokumenteundEr innerungenandieeigeneSchulzeitundanihreVäter,AussagenzurAr beitsweiseundHinweiseaufweiterführendeQuellen,FotosundLiteratur habendieseArbeitvorangebrachtundmitLebenerfüllt.
33
Vgl.HorstBiesold,KlagendeHände.BetroffenheitundSpätfolgeninbezugaufdasGesetz zurVerhütungerbkrankenNachwuchses,dargestelltamBeispielder„Taubstummen“,Solms Oberbiel1988;ChristianeRothmaler,Sterilisationennachdem„Gesetz zur Verhütungerb krankenNachwuchses“vom14.Juli1933(AbhandlungenzurGeschichtederMedizinund derNaturwissenschaftenHeft60),Husum1991;AndreasKammerbauer,Behindertenpolitik. EineChancefürHörgeschädigte?Hamburg1993.
Forschungsstand, Quellenlage und Aufbau der Arbeit
29
DiehistorischeDarstellungderEntwicklungderHamburgerTaubstum menanstaltistinihremFacettenreichtumeinBeitragzurSozialgeschichte, zurRegionalgeschichte,zurAlltagsgeschichte,aberauchzurMinderheiten geschichte.DieseArbeitmöchtedamitaucheinenBeitragzudernochjungen historischenDisziplin„DeafHistory–GeschichtederGehörlosen“liefern, welcheimJuni1991aufder„ersteninternationalenTagungzurGeschichte derGehörlosen“anderGallaudetUniversityinWashingtonD.C./USA– derweltweiteinzigenUniversitätfürGehörlose–offiziellbegründetwur de.34ZweiJahrezuvorhatteesaufdem„DeafWayFestival“inWashington D.C. bereitseinigewissenschaftlicheBeiträgezurGehörlosenkulturund geschichtegegeben.1990fandinHamburgdasersteTreffenaller„Deaf History“InteressiertenwährenddesinternationalenKongresseszur„Ge bärdenspracheinForschungundPraxis“statt.35„DeafHistory“beschäftigt sichmitderGeschichtederGehörlosen,ihrerGemeinschaftundihrerKul tur.DieseFormderGeschichtsdarstellungstelltdieSpannungenzwischen hörenderMehrheitundgehörloserMinderheitinVergangenheitundGe genwartdarundzeigtdiegesellschaftlicheSituationGehörloseralsMin derheitengeschichte.DeafHistory,sodefiniertesderBerlinerGehörlosen lehrerUlrichMöbius,„berücksichtigtalleLebensbereiche,indenensichdie GehörlosenKulturmanifestiertunddieGehörloseundihreGemeinschaft berühren“–dassindbiografischewiekulturelle,linguistischewiesoziale Gesichtspunkte,wobeiGehörloseals„kulturelleundsprachlicheMinder heit“definiertwerden.36 Dabeimussichmichfragen,inwieweitichmich alshörendeForscherinvorwiegendmitderRollederHerrschaftsstruktur Schule innerhalb der asymmetrischen Grundstruktur im Umgang der Mehrheitsgesellschaft mit der Minderheit Gehörloser beschäftige – wäh rend gehörlose Forscher die Gehörlosenkultur darstellen – und ob dies nochals„DeafHistory“definiertwerdenkann.IchkannmichdemAspekt 34
Die„zweiteinternationaleTagungzurGeschichtederGehörlosen“fanddannvom1.–4.Ok tober1994inHamburgstatt.
35
Eine Einführung zur Deaf History gibt Ulrich Möbius, Aspekte der „Deaf history“For schung,TeilI,in:DasZeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheundKommunikation GehörloserNr.22(1992),S.388–401,hierS.388.
36
Ebd.,S.389.DasBewusstwerdeneinereigenenGeschichteistidentitätsundsinnstiftend und bringt der Gehörlosengemeinschaft durch die Verknüpfung von Kultur und Sprache einenwichtigenBezugzureigenenVergangenheit(MarkZaurov,GehörloseJuden.Einedop peltekulturelleMinderheit.FrankfurtamMain2003,S.41und84f.)
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Einleitung
„History“inder„DeafHistory“naturgemäßnurannähern.Bedingtdurch diearchivischeQuellenlagewird,sosehrsichalsomeineArbeitalsBeitrag zur„DeafHistory“inderDefinitiondesHistorikersDr.GüntherListals „GeschichtedesUmgangsderhörendenMehrheitmitdergehörlosenMin derheit“sieht,37 dieGeschichtederHamburgerGehörlosenbildunginder vorliegendenArbeitausderSichtderHörendenerzählt.Siemöchteden noch in der Schilderung eine Mittlerposition einnehmen zwischen einer einseitigen„DeafHistory“,dieGehörlose,vereinfachtformuliert,als„Sub jekte“siehtundsichalsinterneGeschichteaußerhalbhörenderGeschichts schreibung darstellt, und dertraditionellen „Geschichte der Gehörlosen pädagogik“,dieaufGehörloseeherals„Objekte“schaut,unddiesebeiden SichtweiseninihrerBeziehungaufdieGeschichtegehörloserHamburger verbinden.DieEmanzipationGehörloser,ihrBemühenumAnerkennung ihrerSpracheundihrKampfgegendenOralismuskannausdenvorhande nenAktenebensoherausgelesenwerden,wiedie–ingrößererAnzahlvor handenen–MeinungenHörender.EinenGegenpolzurGeschichtsschrei bungHörenderbildenzudemInterviewsmitgehörlosenZeitzeugensowie dieUnterlagendesAllgemeinenGehörlosenUnterstützungsVereins.Da bei steht die „Oral History“ in der „Deaf History“ für „erzählende Ge schichte“undnicht„mündlicherzählteGeschichte“undstelltgeradefür InterviewsGehörlosereinwichtigesMediumdar.38 EinWortzurTerminologie:Gehörlosesindnichtstummodersprachlos, dasieeineeigeneSprachehaben,dieGebärdensprache.SoistderBegriff „taubstumm“,derauchdieDummheitimpliziert,39 heutenichtmehrge bräuchlich.InmeinerArbeittauchtdiesesprachlicheBezeichnungdennoch 37
GüntherList,ArbeitsfeldundBegriffder„Deafhistory“– einKlärungsversuch,in:Das Zeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheundKommunikationGehörloser25(1993), S.287–294,hierS.294alsAntwortaufeineGehörlosenvorbehalteneDefinitionvonDeafHis toryvonOwenWrigley,Die„Deafhistory“derHörenden;oder:StrategienzurRettungder Andersartigkeit,in:DasZeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheundKommunika tionGehörloser23(1993),S.14–19. 38 Möbius,Deafhistory,TeilI,S.397;JohnS.Schuchman,OralHistoryunddasErbederGe hörlosen,in:Fischer,Renate/Lane,Harlan(Hg.),Blickzurück.EinReaderzurGeschichtevon GehörlosengemeinschaftenundihrenGebärdensprachen(InternationaleArbeitenzurGebär denspracheundKommunikationGehörloserBand24),Hamburg1993,S.609–631. 39
ImalthochdeutschenSprachgebrauchbedeutettaub:tumb=dumm,verstockt.(Deutsches Wörterbuch,begründetvonJakobundWilhelmGrimm,bearbeitetvonMatthiasLexer,Diet richKralikundderArbeitsstelledesDeutschenWörterbuches,Band11,I.Abteilung,I.Teil, Leipzig1935,Sp.162–165).
Forschungsstand, Quellenlage und Aufbau der Arbeit
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auf: als Teil eines offiziellen Namens wie „Taubstummenanstalt“ oder „Taubstummenlehrer“oderwennvonZeitendieRedeist,inderGehörlose inderGesellschaftals„Taubstumme“galten.
2 Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg
SamuelHeinickewurdeinHamburgzumBegründerderdeutschenGehör losenpädagogik.ErentwickeltefürdenUnterrichtGehörloserdiesoge nannte„deutscheMethode“: Heinickenahm „Taubstumme“beisich auf undbrachteihnendieLautsprachebei:ErließsievomMundablesenund ließsieselbstsprechen. Am10.April1727wurdeSamuelHeinickeinNautschützbeiZschorgu la,KreisWeißenfels,inKursachsenalsSohneinerBauernfamiliegeboren. 40 ErwuchsaufdemelterlichenHofaufundbesuchtedieDorfschule.Daer begabtwarundgutlernte,schlugenderLehrerundderPastorHeinickes Vatervor,denSohnstudierenzulassen.DochderVaterlehntediesab, dennderSohnsollteBauerwerdenundspäterdenHofübernehmen.An scheinendwehrtesichHeinickeimmerwiedergegendieAutoritätdesVa ters,letztendlichgingerinfolgeeinerLiebesaffäre–esheißt,erwidersetzte sicheinervomVatergewünschtenHeirat–nachDresden,woerinden Dienst der Leibgarde des Kurfürsten Friedrich August II. von Sachsen 40
Eine ausführliche, allerdings mit Legenden und Geschichtchen geschmückte Biographie Heinickesschrieb1870HeinrichErnstStötzner.ErstütztesichdabeiaufdenNachlassHei nickesund–besondersinBezugaufHeinickesJugendzeit–aufAussagenderWitwe(Hein richErnstStötzner,SamuelHeinicke.SeinLebenundWirken,Leipzig1870).PaulundGeorg SchumannwurdenAnfangdes20.Jahrhundertszubekanntenundwissenschaftlichfundier ten HeinickeExperten: Georg und Paul Schumann, Samuel Heinicke, Leipzig 1909; dies., NeueBeiträgezurKenntnisSamuelHeinickes,Leipzig1909;dies.(Hg.),SamuelHeinickesge sammelte Schriften, Leipzig 1912 (im Folgenden: Schumann, gesammelte Schriften); Paul Schumann, Samuel Heinickes Persönlichkeit. Vortrag gehalten in der Aula der Universität Leipzigam4.Oktober1909aufder8.VersammlungdesBundesdeutscherTaubstummenlehrer, Leipzig1909;ders.,NeueBeiträgezurKenntnisSamuelHeinickes,in:BlätterfürTaubstum menbildungNr.7und8,OsterwieckHarz1926;ders.,SamuelHeinickesSendung.Festrede gehalten in der Musikhalle zu Hamburgzur Weihefeierder SamuelHeinickeJubiläumsta gung des Bundes deutscher Taubstummenlehrer, Leipzig 1927; ders., Samuel Heinicke in Hamburg,in:FestgabezurSamuelHeinickeJubiläumstagungdesBundesDeutscherTaub stummenlehrer,Hamburg1927;ders.,Festgabe.SamuelHeinickesLebenundWirken,Ham burg1969(NeuauflagederAusgabevon1927).
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Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg
(1696–1763)trat.NebenbeibildeteHeinickesichautodidaktisch–wiezuder Zeitdurchausüblich–inverschiedeneRichtungenweiter.DaesimLeibheer manchmalmonatelangkeinenSoldgab,versuchteHeinickesichalsMusi ker– erspieltemehrereStreichinstrumente–undalsLehrerfürSchreiben undMusik.SobekamerauchersteKontaktezuGehörlosen:Erunterrichtete einentaubstummenJungennachdem1692erschienenenLehrbuch„Surdus loquens“ des in Amsterdam lebenden Arztes Johannes Conrad Amman (1669–1724)inderLautsprache.41HeinickeentdeckteseineFreudeamUnter richtenundentschiedsich,Lehrerzuwerden.SeinePläne,ausdemMilitär auszuscheiden,wurdendurchdenBeginndesSiebenjährigenKrieges1756 durchkreuzt.SeinAbschiedausdemMilitärdienstwurdeHeinickeverweigert.
Abbildung 1: Samuel Heinicke
41
Stötzner,Heinicke,S.10.ZuAmmansieheExkursmiteinemgeschichtlichenÜberblicküber dieverschiedenenpädagogischenModelle.DieLegendewillesso,dassHeinicke,alserim ParkvonDresdenspazierenging,aufeineFörstersfraumitihrenzweiSöhnentraf,vondenen dereinegehörloswar.DieserhatteimSpielausVersehenseineSandburgzertretenundbe schuldigte nun seinen Bruder. Heinicke aber zeigte auf den schuldigen Jungen und sagte: „Du!“DamithabeerausdemJungendiesesWorthervorgelockt,woraufdieMutterihrenge hörlosenJungenzumUnterrichtzuHeinickegab(nach:FritzSchneider,WodurchHeinicke zum ersten TaubstummenUnterricht kam, in: Allgemeine Deutsche GehörlosenZeitschrift (OrgandesRegede,NachfolgerdererstendeutschenGehörlosenzeitung„DerTaubstummen freund“)Nr.16(FestnummerzurSamuelHeinickeJubiläumstagung)vom15.8.1927,S.80.
Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg
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DieNiederlagedessächsischenHeeresbeiPirnaimOktoberdesselbenJah resbrachte Heinicke in preußischeKriegsgefangenschaft.Daerzwangs weisezumpreußischenMilitäreingezogenwerdensollte,flohernachJena undimmatrikuliertesichanderdortigenUniversität.ErstudiertePhiloso phie,MathematikundNaturlehre.42Dochauchdortwähnteersichnichtsi cher, so dass er – inzwischen verheiratet mit Johanna Maria Elisabeth Kracht(gestorben1775)43–imSommer1758mitFrauundSohnüberAlto nanachHamburgging.HierbegegneteHeinickederEhefraudesDichters FriedrichGottliebKlopstock(1724–1803),Margarethe(genanntMeta)Klop stock,geb.Moller(1728–1758),dieHeinickeindieHamburgerGesellschaft einführte.44 Heinicke bekambaldauchinHamburgdieMöglichkeit,sich seinenLebensunterhaltdurchUnterrichtenzuverdienen.ErwarinHam burgundimbenachbartendänischenAltonaPrivatlehrerbeimehrerenFa milien und unterwies deren Kinder in Musik, Sprachen, Schreiben und Rechnen.1760wurdeHeinicke–vielleichtdurchdieVermittlungdermit ihmbekanntenFamiliedesPredigersundDichtersJohannAndreasCra mer45(1723–1788)–HauslehrerfürdieKinderdesSpekulanten(undspäte
42
NeueDeutscheBiographie,Band8,Berlin1969,S.304.
43
StaatsarchivHamburg(künftig:StAHbg),5131St.JohannisinEppendorf,CgNr.1,S.111. IhrGeburtsdatumkonntevonderHeinickeForschungnochnichtermitteltwerden(Mittei lungderBibliothekderLeipzigerSamuelHeinickeSchuleam17.8.1995;PaulSchumann,Mit teilungausdemdeutschenMuseumfürTaubstummenbildungNr.44–46,1942).
44
DiesesKapitelfolgt:PaulSchumann,SamuelHeinickeinHamburg,in:FestgabezurSa muelHeinickeJubiläumstagungdesBundesDeutscherTaubstummenlehrer,Hamburg1927, S.7–35(keineeinheitliche,fortlaufendePaginierung,daauseinzelnenFestgabenbestehend); neunterBerichtdesVerwaltungsAusschussesderam28stenMai1827gestiftetenTaubstum menSchulefürHamburgunddasHamburgerGebiet,Hamburg1847,S.27–36;HansUwe Feige,SamuelHeinickesEppendorfer„Muellersohn“,in:DasZeichen.ZeitschriftzumThema GebärdenspracheundKommunikationGehörloser48(1999),S.188–193;IrisGroschek,Samu elHeinickeinHamburg.EinebiographischeSkizze,in:Auskunft.MitteilungsblattHambur gerBibliotheken18.Jahrgang(1998)Heft4,S.345–359.DieAussageStötzners,Heinickeseiin DresdenFreimaurergewordenundwurdedurchFreimaurernachHamburgvermittelt(Stötz ner,Heinicke,S.14und17),wurdebereits1927durchPaulSchumanninFragegestellt,der keineMitgliedschaftHeinickesineinerHamburgerLogefeststellenkonnte(Schumann,Fest gabe,S.8). 45
LexikonderhamburgischenSchriftsteller,Band3,Hamburg1857,S.149;zehnterBerichtder TaubstummenSchule1850,S.7.ZuCramer:AllgemeineDeutscheBiographie,Band4,1876,S. 550ff.Schumann,Festgabe,S.8,bezweifeltdieVermittlungdurchCramer.
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Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg
rendänischenLehngrafen)HeinrichCarlSchimmelmann(1724–1782).46Zu dieserZeitlebtedieSchimmelmann’scheFamilie,diegroßeLändereienin Wandsbek verpachtete, hauptsächlich in ihrem Schloss zu Ahrensburg, aberauchinWandsbekundKopenhagen.Heinickeunterrichtetediedrei jüngstenSöhnederFamilie,waralsbegabterMusikeraußerdemMitglied derSchimmelmann’schenHauskapelleundarbeitetefürdieFamiliealsVor leserundÜbersetzer.47
Abbildung 2: Das Müllerhaus in Eppendorf
1768wurdedieStelledesKantorsderJohanniskirchezuEppendorffrei. EppendorfwareinKirchdorfbeiHamburg.ErstimDezemberjenesJahres 46
Otto Hintze, Aus der Geschichte AltEppendorfs, in: Hamburger Nachrichten vom 27.6.1926;GustavIlow,SamuelHeinicke(ohneHerkunftsangabe),in:StAHbg,Zeitungsaus schnittsammlung(künftig:ZAS)A758,SamuelHeinicke.ZurFamilieSchimmelmannsiehe ChristianDegn,DieSchimmelmannsimatlantischenDreieckshandel.GewinnundGewissen, Neumünster1974.
47
HansUweFeige,„DenntaubstummePersonenfolgenihrenthierischenTrieben…“–Ge hörlosenBiographienausdem18.und19.Jahrhundert,Leipzig1999,S.97;WalterFrahm, Klopstock,Heinicke,VoßunddieplattdeutscheSprache,in:JahrbuchdesAlstervereinse.V., Nr.37,Hamburg1958,S.55–62.
Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg
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warderOrtdurchdenGottorperVergleich–welcheraufdänischerSeite vor allem durch die Diplomatie Schimmelmanns geschlossen werden konnte–endgültigvonderholsteinischenHerrschaftPinnebergs,daszu derZeitzuDänemarkgehörte,unterdieHerrschaftHamburgsgekommen. DieKirchenhoheithattedashamburgischeSt.JohannisKloster.DurchVer mittlung des Grafen beim Landdrosten von Pinneberg wurde Heinicke zum1.Januar1769KantorinEppendorfundwardamitderletztevonDä nemarkvorgeschlageneEppendorferKüster.48 HeinickewurdeinEppen dorfKantor,OrganistundKüster–einvielesumfassendesAmt,dasauch NebentätigkeitenwiedenBierundBranntweinausschankeinschloss.Mit diesemPostenverbundenwarauchdasAmtdesSchulmeisters.Heinicke unterrichtetedieEppendorferKinderinderDorfschuleundnurkurzeZeit späterbegannermitdemUnterrichtdesgehörlosenBrudersdesdortigen Müllers–JoachimChristianSchroeder(gest.1825).49 ObwohlerdemJungennichtdasSprechen,sonderndieSpracheinihrer schriftlichen Form beibrachte, entwickelte Heinicke erste Überlegungen, dasseswichtigfürdieAnerkennungundIntegrationGehörlosersei,ihnen diegesprocheneSprachebeizubringen.ResultateseinerUnterrichtsversu chemitdemgehörlosenJungen–ersteErfahrungenhatteHeinickejabe reitsinDresdengesammelt–fassteer1773imHannoverischenMagazin als„ErklärungüberdieMöglichkeit,taubundstummgebornenPersonen abstracteBegriffebeyzubringen,undsieauchinkurzerZeitlautlesenund sprechen zu lehren“ zusammen.50 Zu der Zeit gab Heinicke noch der schriftsprachlichenMethodedenVorzugundfanddievorigenVersuche der „Entstummung“ Gehörloser „unzulänglich, weil ein Stummer ohne vorhereineschriftlicheSprachezuwissen,nichtsalseinunvernünftigespa pageyenmäßiges Geschwätze hervorbringen,vermögend ist“.51 Am Ende 48
Seit1693warendieEppendorferKüsterabwechselndvonDänemarkundHamburgvorge schlagenworden.
49
Feige, Muellersohn.DieSchulmeistermusstensichperEiddazuverpflichten,ihrKornin derEppendorferMühlemahlenzulassen.BeidieserGelegenheitwirdHeinickedengehörlo senJungenkennengelernthaben(StA6111St.Johanniskloster,873f,Schulmeistereid1751).
50
ZitatedarausbeiJoachimGessinger,Auge&Ohr.StudienzurErforschungderSpracheam Menschen1700–1850,Berlin1994,S.301f.
51
SamuelHeinicke,ErklärungüberdieMöglichkeit,taubundstummgebornenPersonenab stracteBegriffebeyzubringen,undsieauchinkurzerZeitlautlesenundsprechenzulehren, in:HannoverischesMagazin,S.1487,nach:Gessinger,Auge&Ohr,S.302.AuchderMathe matiker Johann Georg Büsch berichtet von der schriftgestützten Unterrichtsmethode Hei
38
Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg
desJahres1773konntedergehörloseJungezumSchulabschlussinder EppendorferKircheschriftlichdieKonfirmationablegen.ZuderZeitleb tenbereitsweiteregehörloseKinderbeiFamilieHeinickeimEppendorfer Küsterhaus.
Abbildung 3: Das alte Eppendorfer Schulhaus
1774wohntenfünfgehörloseSchülerinnenundSchülerbeiSamuelHeini cke,dieerimanderAlstergelegenenaltenSchulhaushinterderEppen dorferKircheunterrichtete.ImoberenStockwerkderKüsterei,demdamit erstenInternatfürGehörloseinDeutschland,gabesdreiSchlafstuben,in derdieHeinicke’scheFamiliemitdengehörlosenKindernlebte.ImErdge schossmitvierStuben,zweiKammernundderKüchewurdegekochtund unterrichtet.52BaldhobsichunterHeinickesSchülernBaronesseDorothea nickesinseinenLebenserinnerungen(JohannGeorgBüsch,Erfahrungen,5Bände,Band4: ÜberdenGangmeinesGeistesundmeinerThätigkeit,Hamburg1794,vorallemS.17–19). 52
HelmutAlter,Eppendorf.LebenundWohnenimHamburgerVorort,Hamburg1976,S.10–12. DasbaufälliggewordenealteEppendorferSchulhauswurde1890abgebrochen(3.Beiblattdes HamburgerFremdenblattsNr.162vom14.6.1895).
Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg
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vonVietinghoff(1761–1839)heraus,dieertaubteTochtereinesderreichsten MännerRußlands.53SiewarvonihrenElternausRiganachEppendorfge schicktwordenundfielhierdurchschnellesAuffassungsvermögenundIn telligenzauf.DieÖffentlichkeitverfolgtedieFortschrittediesesMädchens: InderHamburgerPresse,demAltonaerMercurius,demReichspostreuter unddemHamburgerCorrespondentenerschienenArtikelüberdiebegabte adligeSchülerinundüberdasHeinicke’scheInstitut.54AuchHeinickever öffentlichteeinigeeigeneErklärungenüberseinenUnterricht,dersichzu nehmendzueinerlautsprachlichorientiertenLehrmethodehinentwickel te.55 ErwarabernichtnurmitseinemAufsehenerregendenUnterrichten der Taubstummen inzwischen in Hamburg bekannt geworden, sondern auchmitseinereigenenLehrmethode,einer„Lautiermethode“,dieerals SchulmeisterbeidenEppendorferDorfschulkindernausprobierteundmit derergroßeLernerfolgeerzielte.56Heinickebewiesdamitnichtnurinder 53
TrotzihreradligenHerkunftistesnichteinfach,mehrüberdiegehörloseBaroninzuerfah ren,davielegenealogischeAdelsHandbüchersienichtaufführen.DiessprichtfüreinVer drängenderbehindertenTochterausdemLebenderFamilie(vgl.dazuvorallemAnm.7, HansUweFeige,GehörlosenBiographien,S.147).ÜberdieBaronessevonVietinghoffberich tetHansUweFeige,GehörlosenBiographien,S.105–120.
54
SoimReichspostreuterNr.142vom6.9.1774,Nr.22vom8.2.1775undinderNr.154vom 25.9.1776;imAltonaerMercuriusNr.155vom26.9.1776;imHamburgischenCorrespondenten Nr.22vom8.2.1775undNr.154vom25.9.1776.AmselbenTagerschieneninverschiedenen ZeitungenähnlicheArtikel.AlsBeispieleinAusschnittauseinemArtikelimReichspostreuter Nr.22vom8.2.1775:„[…],besondersaberunterscheidetsichdiejungeBaronessvonV[ieting hoff]einliebenswürdigesMädchenvon13Jahren.SieließtnichtnurgedruckteBücher,auch sogarsolche,derenInhaltihrnochunbekanntist,mitziemlicherFertigkeit,undziemlichvor nehmenTone,wieauchGeschriebenes,vonbekannterundunbekannterHand;sondernnennt auchdiemeistenSachen,dieimgemeinenLebenvorkommen,hateinenBegriffvondenTa genundWochen,vondenStunden,undvondenZahlenbis100;undsoweitistdieselbeinei nemetwa5monatlichenUnterrichtevonihremgeschicktenLehrergebrachtworden.“Auch HeinickeschriebüberseineSchülerineinenArtikelmitdemTitel„EineGelegenheitsschrift überdenUnterrichtderBaronesseDorotheavonVietinghoff“(abgedrucktin:GeorgundPaul Schumann[Hg.],SamuelHeinickesgesammelteSchriften,Leipzig1912,S.31–36).
55
Soz.B.inderHamburgischenNeuenZeitungNr.159vom6.10.1775(abgedrucktin:Schu mann,gesammelteSchriften,S.8–9).
56
Stötzner,Heinicke,S.26f.HeinickeverfuhrbeimSchreibenlernenmethodisch,erließdie Kindererstdieeinfachen,sichähnelndenBuchstabenschreiben,danndaraufaufbauenddie schwierigerenunddieGroßbuchstaben.ImÜbrigenwarHeinickekeinFreundderdeutschen Schrift,erbevorzugtezumErlernendesLesensundSchreibenslateinischeBuchstaben.Auch wandteersichschroffgegendasBuchstabierenganzerTexte,jaBücher,sowieesdamalsim Unterrichtüblichwar(Stötzner,Heinicke,S.19f.).DieLautiermethodegingvomLautwert desBuchstabensaus,nichtvomNennwert(„k“statt„ka“).Heinickeplädiertezudemfürein
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Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg
Theorie,dassermitneuenMethodeninderSchulesehrvielmehrfüreine bessereBildungdesVolkeserreichenkonnte,alsdieherkömmlichenpäd agogischenMethoden,diesichzuderZeitaufdasNachsprechenundAus wendiglernenvorallemdesKatechismusbeschränkten.Inseinenpädago gischen Aufsätzen zeigte Heinicke die bestehende Not des Schulwesens undderLehreraufundbrachtekonstruktiveKritikein.Erforderteeine UmorganisationdesSchulwesensundeinebessereAusbildungfürdieLeh rer.57AlseinVorkämpferfürdieHebungderVolksbildungdiskutierteHei nickemitdenDichternFriedrichGottliebKlopstock,derseit1770wiederin Hamburglebte,undJohannHeinrichVoß (1751–1826),dembedeutenden VerfechterderplattdeutschenSprache.58Alledreifühltensichverbunden, nichtnurdurchdiegroßenIdealederAufklärung,sondernauchdurchihr InteresseanderSprachedesVolkes.Heinickevertonteum1775dasplatt deutscheGedichtKlopstocks„DedütscheDeeren“.DessenersteFassung „VomdeutschenMädchen.Vaterlandslied“,dasKlopstock1770fürseine angeheiratete Nichte und spätere zweite Ehefrau Johanna Elisabeth von Winthem(1747–1821)geschriebenhatte,hatteHeinickeschon1770vertont undunterseinenSchülerninderDorfschulesingenlassen,„wennsierecht fleißigwaren“.59InderHamburgerZeitscheintHeinickeauchdenPhiloso phenundDichterJohannGottfriedHerder(1744–1803)kennengelerntzu haben,dersichum1770längereZeitinHamburgaufhielt.Dessen1772er schieneneVeröffentlichung„AbhandlungüberdenUrsprungderSprache“ beeinflussteundbestärkteHeinickeinseinenAnsichten.Herderwidmete Heinicke seinerseitsseinGedicht„DerDeutscheTaubstummenlehrer“,in
Lesenlernen an Hand von Ganzwörtern (Meyers Konversationslexikon, Eine Encyklopädie desallgemeinenWissens,vierteAuflage,Leipzig,1888–1889,Band10,S.717).HeinickesLese LernFibeln„nebsteinerAnweisung,dasLeseninkurzerZeit,aufdieleichtesteArtundohne buchstabirenzulernen“,die1779und1780erschienen,fandenreicheVerbreitung(abgedruckt in:Schumann,gesammelteSchriften,S.280–304). 57
AllgemeineDeutscheBiographie,Band11,Leipzig1880,S.369.HeinickesSchriftensindab gedrucktin:Schumann,gesammelteSchriften.
58
SokannteHeinickewohlauchdieDichterGottholdEphraimLessing(1729–1781,erverließ Hamburg1770)unddenmitVoßbefreundetenMatthiasClaudius(1740–1815),dervon1771 bis1775RedakteurdesvonSchimmelmannunterstützten„WandsbeckerBothen“war(Frank lin Kopitzsch, Grundzüge einer Sozialgeschichte der Aufklärung in Hamburg und Altona (BeiträgezurGeschichteHamburgsBand21),2.Auflage,Hamburg1990,S.241undS.475).
59
AngabenzuHeinickeundKlopstockin:Frahm,Klopstock,Heinicke,Voß,S.55–62.
Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg
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demerihn,„derStummgebohrnendasReichderSprachegiebt“,mitdem griechischenHelden(undErfinderderSchrift)Prometheusverglich.60 HeinickesspeziellesInteressegaltGehörlosen.VonderschriftlichenUn terweisungGehörlosermachteHeinickeinHamburgdenSchrittzurLau tiermethode,dieermitErfolgbeiseinenInternatszöglingenanwandte.Das EppendorferInstitut,indemdiegehörlosenSchülerinnenundSchülerleb tenundunterrichtetwurden,wareineSehenswürdigkeitundwurdeoft vonFremdenbesucht.61IndemHeinickemitseinemprivatenUnterrichtdie zuvor bezweifelte Bildungsfähigkeit Gehörloser aufzeigte, forderte er in der Folge deren Gleichstellung mit den Hörenden. Heinicke wies nach, dassdasfehlendeGehörkeinIndizfürfehlendeIntelligenzsei. DochseineArbeitmitdengehörlosenKindernbrachtenichtnurBeifall, imGegenteil:„Entstummen“bedeutetefüreinigegläubigeMenscheneinen EingriffindiegöttlicheWeltordnung.PastorenwetterteninHamburg von derKanzelgegendieseGottlosigkeit.BesondersderEppendorferOrtspfar rerJohannDanielGranau(1722–1793)gehörtezuHeinickeserklärtenGeg nern.62AnHeinickestörteGranaudessen„fehlendeUnterwürfigkeit“und ihnwirdgeärgerthaben,dasserundandereBewohnerEppendorfsinHei nickesmanchmalbitterbösenSchriftengegendiealteSchulerziehungund somitauchgegendiePfarrherrenalsKarikaturenvorkamen.63 Auchwird gesagt,dassGranaueinenVerwandtenaufHeinickesPostenhebenwollte unddeshalbmitderStellenbesetzungunzufriedenwar.64Gegendienegative Theologenmeinungstand–ausgerechnet–derfürseinescharfeGegner schaftgegenalles,wasinseinenAugenseinereigenenstrengorthodoxlu therischenGlaubensauffassungentgegenzuseinschien,bekannteHaupt pastorvonSt.Katharinen,JohannMelchiorGoeze(1717–1786).65Goeze,der 60
ZurBeeinflussungdurchHerdersieheSchumann,Festgabe,S.33–34;dasGedichtistabge drucktin:JohannGottfriedHerder,SämtlicheWerkeBand29,PoetischerNachlaßBand5,hg. vonCarlRedlich,BernhardSuphan,Hildesheim1968,S.565.
61
Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.7.
62
Ebd.;Stötzner,Heinicke,S.17.
63
Schumann,Festgabe,S.20f.
64
WilhelmSchwarz,EppendorfsVergangenheitinWortundBild,Hamburg1925,S.23.
65
Zur Person Goezes: Georg Reinhard Röpe, Johan Melchior Goeze, Hamburg 1860; Ko pitzsch, Politische Orthodoxie, Johan Melchior Goeze 1717–1786, in: Graf, Friedrich Wil helm(Hg.),ProfiledesneuzeitlichenProtestantismus,Band1,Gütersloh1990,S.71–85;Ernst PeterWieckenberg,JohanMelchiorGoeze(HamburgerKöpfe),Hamburg2007.ZuGoezeals
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Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg
zudieserZeitbekanntesteWiderstreitergegendieAufklärung,wares,der dieKonfirmationdertaubstummenSchülerHeinickeserlaubte.Granauda gegenwollteHeinickesSchülerJoachimChristianSchroeder,dengehörlo senBruderdesMüllers,nichtkonfirmieren.ErstaufDruckGoezes,derden Jungenkennenlernteundmitteilte,HeinickesollemitdemKindnurzu ihmkommen,wennGranaudiesennichtprüfenwolle,beugtesichGranau demWillendesHauptpastors.66Goezeselbstprüfteeinigedergehörlosen Schüler Heinickes, so wie dessen adelige Musterschülerin Baroness von Vietinghoff.67 GegnerderAufklärung:IngeStephan/HansGerdWinter(Hg.),HamburgimZeitalterder Aufklärung,Hamburg1989;Kopitzsch,SozialgeschichtederAufklärung;WilliamBoehart,Poli tikundReligion.StudienzumFragmentenstreit(Reimarus,Goeze,Lessing),Schwarzenbek1988. 66
Schwarz,Eppendorf,S.25.FürGoezegaltalleindasWortderBibelinderAuslegungMartin Luthers: Schließlich behandelte auch Jesus gehörlose Menschen, mied sie nicht, sondern machtesiegesund(Markus7,31–37undLukas7,18–23).AllerdingshatteGoezesicherauch dieMeinungMartinLuthersimKopf,derdieTaubstummheitaufdenTeufelzurückführte undderalleinJesusChristusdieMachtzuderenHeilungamJüngstenTagzuerkannte.Trotz demsorgteLutherfürdieReichungdesAbendmahlsanBehinderte,auchanGehörlose(Horst R.Flachsmeier,TaubehörenundSprachlosereden,Bensheim1977,S.16f.).Goezeselbstpredig te1768überTaubstummeundzeigtesichsachkundigüberdieAuswirkungenderTaubheit,in demerpredigte,dassGehörlosenichtinderLageseien„mitdemSchallederWorte,dieervon anderenhörete,diedazugehörigenBegriffezuverbinden,nochauchdiezudenBegriffenund Vorstellungen,dieerdurchseineRedebeyanderenhervorbringenwollte,gehörigeWorteselbst sogleichzufinden“.ErsahimweiterenVerlaufseinerPredigtkeineVeranlassung,diesesLeiden alsStrafeGottesanzusehen(J.M.GoezesPredigtenüberdieSontagsundFestEvangeliades ganzenJahres,Leipzig1768,821823,zitiertnach:DietfriedGewalt,SamuelHeinickeundJohan MelchiorGoeze,in:Hörgeschädigtenpädagogik43[1989]Heft1,S.48–51,hierS.50). 67
Stötzner,Heinicke,S.33undinverschiedenendamaligenZeitungen,soimAltonaerMercurius Nr.155vom26.9.1776:„Gesternwurde,imBeyseynIhroDurchl.derregierendenFrauHerzogin vonMecklenburgSchwerin,undandernvornehmenPersonen,dietaubundstummgeborneBa ronessevonVietinghoff,ausRiga,TochterSr.ExcellenzdesRußischKayserl.Hrn.Geheimen RathsundRitters,vonVietinghoff,nachvorhergegangenemExameninderOrdnungdesHeils, vonSr.Hochwürden,demHrn.Hauptpastor Goeze, in Hamburg,confirmirtundzum heil. Abendmahlzugelassen,WobeysieihrGlaubensbekentnißundihreBeichteinDeutscherSprache mündlichablegte.SieistseitzweyJahrenindembekanntenInstitutdasderCantorHeinickein Eppendorf,nahebeyHamburg,fürTaubgeborneerrichtethat,undworinersie,nebstandern Wissenschaften,SchreibenundSprechenlehret,unterrichtetworden.SiewirdnocheinJahr daselbstbleiben,umdieFähigkeitenihrerSeelenkräfteimmermehrzuentwickeln,undihreEr kentnißinallerleyWissenschaftenvollkommnerzumachen.“–Interessantist,dassdermitHei nickebefreundeteKlopstockseinerseitsengbefreundetwarmitJuliusGustavAlberti,demne ben GoezezweitenPastoranSt.Katharinen.AlbertiwiederumlagaufGrundverschiedener AuslegungreligiöserFragenimStreitmitGoeze.Siehedazu:Stephan/Winter,Aufklärung, S.290–296.
Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg
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Schon1775wurdeneinzelnegehörloseSchülervonreichenGönnernun terstützt.SozahlteGrafvonSchimmelmanneinemgehörlosenJungendie PensionimHauseHeinicke,unddas„HamburgischeMinisterium“trug zum Unterhalt und Unterricht eines armen Hamburger Mädchens bei.68 1776lebtensiebenausunterschiedlichenGegendenstammendeSchülerin nenundSchülerinHeinickesHaus.69
Abbildung 4: Das Küster- und Schulhaus in Eppendorf
AnfangOktober1777legteSamuelHeinickeseinAmtalsKantor,Lehrer undOrganistvonEppendorfnieder.Er,deralsLehrerundErziehereiner größerenAnzahlvongehörlosenSchülern,diegleichzeitigbeiihmwohn ten, über die Jahre eine große praktische Erfahrung in der Ausbildung Gehörloser gesammelt hatte, wollte sich fortan hauptberuflich um die Taubstummenbildungkümmern.ImselbenMonatzogHeinickemitsei neneigenenKindernunddengehörlosenSchülernundSchülerinnenindie 68 69
ReichspostreuterNr.31vom20.4.1775.GemeintistwohldasGeistlicheMinisterium.
Diesewerdennamentlichaufgezähltim„visumrepertum“vom8.10.1776,abgedrucktin: Schumann,gesammelteSchriften,S.227–229.
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Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg
BöhmkenstraßeimSt.MichaelisKirchspielnachHamburg.70 Erheiratete dortam8.Januar1778,dreiJahrenachdemTodseinererstenFrau,dieerst 20jährige Anna Catharina Elisabeth, geborene Kludt, verwitwete Morin (1757–1840),71dieSchwesterzweiergehörloserBrüder,dieHeinickeunter richtethatte.72IndiesemJahrerschienzudemHeinickeserstegrößeretheo retischeSchrift„BeobachtungenüberStummeundüberdiemenschliche Sprache“,inderHamburgerHeroldschenBuchhandlung.73 HeinickewareinKindderAufklärung;fürihnwarenVernunftund BildunghoheWerte.ErkämpfteallgemeinfüreinebessereBildungdurch eineeffektivereUnterrichtsmethodeindenVolksschulenundspeziellfür dieMöglichkeiteinerAusbildungGehörloser.SeineVorbilderwarenWil helm von Humboldt (1767–1835, „Durch Sprache zum wahren Men schen“)undHerder(„SpracherepräsentierteigenenCharakterderMen schheit“),seinCredolautete,durchSprachedieTaubstummenzu„wahren Menschenzubilden“.74GehörlosesolltennichtnurSprachesprechen,son dernsieauchdenken.DiezweigegensätzlichenMethoden,diederfran zösischeGehörlosenlehrerAbbéCharlesMicheldel´Epée undHeinicke vertraten,führtenzuerbittertenStreitigkeitenzwischendenbeidenMe thodikern,75 wobei jedoch beide als Grundlage des Sprachaufbaus eine MischungausdeiktischenGebärden undPantomimeverwendeten.Der 70
„HerrHeinickehatseineKantorstelleinEppendorfresignirt,undseinInstitutfürstumme PersonennachHamburgverlegt“(HamburgischerCorrespondentNr.180vom11.11.1777).
71
ZuHeinickesEhefrau,dienachdessenTodalsersteFrauinDeutschlandLeiterineinerGe hörlosenschulewurde(dievonHeinickegegründeteLeipzigerAnstalt)sieheJoachimWink ler,AnnaCatharinaElisabethHeinicke(1757–1840),in:Fischer,Renate/Lane,Harlan(Hg.), Lookingback,AReaderontheHistoryofDeafCommunitiesandtheirSignLanguages(Inter nationalStudiesonSignLanguageandCommunicationofthedeaf,Volume20),Hamburg 1993,S.269–288.HeinickesersteFrau,JohannaMariaElisabeth,geboreneKrachtwarbereits 1775gestorben.AusdiesererstenEhewarenfünfKinderhervorgegangen,vondeneneinesals Kindstarb. 72
Flachsmeier,Taubehören,S.51;Schumann,SamuelHeinickeinHamburg,S.29.ZumBru derCarlErnstHeinrichKluthsieheFeige,GehörlosenBiographien,S.96–104.
73
Schumann,gesammelteSchriften,S.36–84.
74
OttoKröhnert,DiesprachlicheBildungdesGehörlosen(PädagogischeStudienBand13) Weinheim1966,S.45.
75
HeinickewareinPolemikerundtathäufigrechtverbohrtseineMeinungenkund,sodasser vieleMenschendamiterschreckteundspäterderRufseinerLeipzigerTaubstummenanstalt darunterlitt(z.B.Gessinger,Auge&Ohr,S.286–300,Schriftwechselzwischendel´Epéeund HeinickesowieS.300f.undS.314).
Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg
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hauptsächlicheSprachaufbaubeidel´Epéeerfolgtedannaber,indemer LesenundSchreibenmitHilfeeinerKombinationvonFingeralphabetund Schrift üben ließ und dabei auch eine Mischung aus „natürlichen“ und künstlichen„methodischenZeichen“verwandte.Heinickedagegensahsei nenSchwerpunktimLippenlesenundderlautsprachlichenArtikulation, erstinzweiterLinieinderSchrift.76 SamuelHeinickeentwickeltesichwährendseinerUnterrichtstätigkeitin EppendorfzumvehementenVertreterderLautsprache:AuchderGehörlo semüssedieLautsprachederHörendenbeherrschen,umsichinderWelt derHörendenzurechtzufinden.ErbrauchedieLautsprache,umsichver ständigenzukönnenundumSprechendezuverstehen.DasSprechenwur dezuHeinickesZeitalsmitdemDenkenengverwandterklärt.Sowaralso nachderdamaligenVorstellungnureinsprechenderMenschalsdenkfähig zuerachten.77 UnddaeinDenkeninSchriftspracheunmöglichsei,seidie ArtikulationinihrerdoppeltenBedeutungvon„Sprechen“und„Benen nung“dieeinzigerichtigeMöglichkeit,GehörlosenSprechen,Lesenund SchreibenunddamitAbstraktionsvermögenundBildungbeizubringen.78 Am8.Oktober1776erschieninHamburgeineSchriftmitdemTitel„vi sumrepertum“,unterschriebenvondenangesehenenAltonaernDr.Philipp GabrielHensler (1733–1805),StadtphysikusvonAltona,Prof.Dr.Johann Christoph Unzer (1747– ca. 1807), Professor für Naturlehre amAltonaer GymnasiumundspäterebenfallsArztinAltonasowievondenHambur gernDr.JohannGeorgBüsch (1728–1800),ProfessorderMathematikam Akademischen Gymnasium und Dr. Johann Albert Heinrich Reimarus (1729–1814),ArztundebenfallsProfessoramGymnasium,indervoneiner „Visitation des Institutes des Herrn Heinicke in Eppendorf“ berichtet wird.79DieHerrenäußertensichangetanvomUnterricht,demsiebeiwoh nendurften.MitderZeithattesichHeinickezueinem„MeistereinerMe thodezurMittheilungderSprache“entwickelt.80DemnachbegannSamuel Heinicke seinenUnterrichtmitArtikulationsübungen,wobeierbesonders 76
Gessinger,Auge&Ohr,S.299undS.329.
77
HierundimFolgenden,wennnichtandersangegeben,nachSchumann,gesammelteSchrif ten,1.Abteilung:SamuelHeinickesSchriftenfürdieTaubstummenbildung,S.1–275.
78
Gessinger,Auge&Ohr,S.311–313.
79
VisumRepertum,1776,abgedrucktin:Schumann,gesammelteSchriften,S.227–229.
80
Ebd.,S.227.
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Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg
aufdiedeutlicheBildungderVokaleachtete–nachHeinickedieHauptträ gerderLautbildung.ErhattedabeieineausheutigemBlickwinkeleigen tümlicherscheinendeMethode,seinenSchülernVokalemittelsGeschmacks sinneinprägsamerzugestalten,indemerjedemVokaleinenGeschmack zuordnete,zumBeispielEssigfürdas„i“(iiii,sauer),Zuckerwasserfürdas „o“(oooo,lecker).81 WeiterheißtesimBerichtüberHeineckesUnterricht, dasswenigerWertaufdasSchreibenderWortegelegtwurdealsaufdas Absehen der Worte, wenn sie gesprochen werden. Dazu hatte Heinicke ModelledesLautbildungsapparatesdesMenschengefertigt,andenendie KinderdieBildungundEntstehungdereinzelnenLauteablesensollten. DerzweiteLernschrittfürdieSchülerwarderSprachunterricht,indemBe griffeentwickeltwurden.Durch unmittelbareAnschauung,durchBilder undGebärdenbrachteHeinickedenKinderndieWortebei.Allerdingsach teteerstrengdarauf,dassdiegehörlosenSchülerinnenundSchülernicht allzuoftundausschließlichuntereinandergebärdeten,denndieGebärde sollte nur Hilfsmittel sein und wurde als „geringklassig“ bewertet. Die LautsprachesollteDenkformwerden.DerLehrstoffkonnteallerdingsnur aufsNötigstebeschränktsein,dadieSchülermeistnureinekurzeZeitim Institutblieben.KeinerwarlängeralsvierJahredabei,meistblieben„seine Lehrlinge“,wieHeinickesienannte,zweibisdreiJahre.82Währenddieser ZeitwardiekleineGrupperelativabgeschlossenvonihrerUmweltundbil dete eine eigene kleine Gehörlosengemeinschaft.83 Gemeinsam wurde ge lernt,gegessenundausgegangen.KontaktezurAußenweltgabeswenige. ÜberlieferthatsichnureinjugendlichesRandalieren,alsHeinickesMagdIl sabeLandoltmiteinigender„stummenPensionairenbürgerlichenStandes“ aufdemnächtlichenNachhausewegvon„Bengelzeug“angegriffen,getreten unddieKleinenandenFüßenkopfüberhochgehobenwurden.84 HeinickeachtetebeiseinemUnterrichtamgründlichstenaufdieVer mittlungderReligion.SeinetiefeReligiositätwurdealsAntriebgenannt, 81
LautHeinickesvorerstgeheimgehaltenem„ArkanumzurGründungderVokalebeiTaub stummen“,abgedrucktinSchumann,gesammelteSchriften.Hiernach:H[einrich]Söderu.a. (Hg.),DasBlinden,IdiotenundTaubstummenbildungswesen,Norden1887,S.344.Siehe auchGessinger,Auge&Ohr,S.315f.undS.322f.
82
SamuelHeinicke,BeobachtungenüberStumme,undüberdiemenschlicheSprache.Erster Theil,Hamburg1778.EinAbdruckbefindetsichinSchumann,gesammelteSchriften,S.36–84.
83
HansUweFeige:GehörlosenBiographien,S.110.
84
StAHbg,6111St.Johanniskloster,1599e,Bl.57–60.
Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg
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sichfürgehörloseKindereinzusetzen–auchTaubstummesolltendenSeg nungenderKonfirmationteilhaftigundsomitMitgliedderchristlichen,er wachsenenLebensweltwerden.85EinandererGrundwar,denAnfeindun genentgegenzuwirken,diemeinten,dassTaubstummeredenzulehrenge gen Gottes Gesetz sei.86 1775 erschien in Hamburg in der Heroldschen BuchhandlungdasvonHeinickeentwickeltereligiösmotivierte Lehrbuch für den Unterricht Gehörloser: „Biblische Geschichte Alten Testaments, zumUnterrichttaubstummerPersonen“.Eswardaserstefür Gehörlose geschaffeneSchulbuch,87dasimkleinenOktavFormatauf31Seiteninein fachenSätzenbiblischeSzenenausdemAltenTestament–Schöpfung,Sün denfall,Vertreibung,MordanAbel,Sintflut(Sündfluth)–undinderEr weiterungauchausdemNeuenTestamentschilderte.AufdereinenSeite konntedieGeschichtegelesen,aufderanderenkonntenFragenzudenGe schichtenbeantwortetwerden.BebildertwurdedasBuchdurchzahlreiche Kupferstiche,diediebiblischenSzenenillustriertenodersogareineganze EpisodeohneWorteerzählten. ImSommer1777hatteHeinicke einGesuchanKurfürstFriedrichAu gustIII.vonSachsen(1763–1827)gerichtet,mitderBitte,seinInstitutnach LeipzigverlegenzudürfenundfürdieFührungdesselbeneinJahresgehalt ungefährinderHöheseinesKüsterGehaltesbewilligtzubekommen.Mit neunseinerZöglingeundderFamiliegingerimApril1778nachLeipzig. DieswarsicherauchFolgederständigenAnfeindungen,denensichHeini ckeinHamburgausgesetztsah.MitdemWechselnachLeipzigwarnicht nur der Hamburger Teil der Lebensgeschichte Samuel Heinickes abge schlossen,88 sondern verlor Hamburg auch für viele Jahre seine Ausbil 85
StaatlichePressestelle,150JahreGehörlosenbildung,S.12.AuchandenElementarschulen fürhörendeKinderwardieKonfirmationZielundAbschlussderschulischenAusbildung.
86
HamburgerNachrichtenNr.231,Abendausgabevom2.10.1900.Vgl.auchAnm.66.
87
Schumann,Festgabe,S.24f.EinAbdruckdiesesSchulbuchesfindetsichin:Schumann,ge sammelteSchriften,S.10–31.
88
HeinickesSohnSamuelAntonHeinicke(1788–1836)lebteseit1803inHamburg,heiratete, zeugtefünfNachkommenundstarbauchhier.AuchdieTochterWilhelmineRosine (1778– 1813)verheiratetesichnachHamburg.DiedritteVerbindungmitderHansestadtkamdurch JohannCarlHeinrichWilhelmOswaldzustande,demSohnvonJohannFriedrichOswald,der inersterEhemitHeinickesTochterJohannaCharlotte(1769–1828)verheiratetwar.Erkamals preußischerKonsulnachHamburgundgründetedieWeltfirmaW.O´Swald&Cp.undwar derStammvaterderHamburgerSenatorenfamilieO´Swald(Schumann,Festgabe,S.30;Paul Schumann,NeueBeiträgezurKenntnisSamuelHeinickes,in:BlätterfürTaubstummenbil
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Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg
dungsstättefürGehörlose,dennesfandsichnachdemWeggangHeinickes keinadäquaterNachfolgerfürdessenArbeit.DanichtalleSchülerHeini ckenachLeipzigfolgten,versuchtenandereMänner,dieAusbildungGe hörloser in Hamburg fortzuführen. Die Tochter eines Dienstmannes des HerzogsvonMecklenburgSchwerin,AnnaMariaKlockmann (geb.1763), wurdedurchdenangehendenPastorJohannGottlobBar (1747–1791)un terrichtetundimSeptember1878durchdenDiakonderSt.PetriKirche konfirmiert.89AuchdervonHeinickealsseinNachfolgervorgestellteund am3.November1777inseinAmtalsOrganist,KüsterundSchullehrer eingeführteGottfriedBenjaminSpoerk90 versuchtesichinderTaubstum menbildung,ihmwaraucheingewisserErfolgbeschieden,91dochbliebdas öffentlicheInteressemehraufHeinickeundseineLeipzigerAnstaltausge richtet,sodassInformationenüberAusbildungmöglichkeitenGehörloser inHamburglangsamverebbten. InLeipzigeröffneteHeinickeam14.April1778sein„KöniglichSächsi schesInstitutfürStummeundanderemitSprachgebrechenbehaftetePer sonen“,die,wieesaufseinemGrabsteinsteht,„ersteTaubstummenschule der Welt, die ihre Schüler sprechen lehrte“ – es war die erste staatliche SchuledieserArt.HierentwickelteersichzumführendenVertreterderdeut schenTaubstummenbildung.Erstrittsichweiterhinmitdemfranzösischen VorreiterderTaubstummenpädagogik,AbbéCharlesMicheldel´Epée,dem GründerdererstenfranzösischenTaubstummenanstalt,überdenbesseren BildungswegfürGehörlose.Heinickestandjafürdie„deutscheMethode“, den gehörlosen Kinder die Lautsprache zu lehren. Er sagte, dass „klares Denken[...]nurinarticulierten[alsogesprochenen]Wortenmöglichsei“.Er nutzteimUnterrichtgeschriebeneundgesprocheneSprache.Abbédel´Epée standdagegenfürdie„französischeMethode“derBildungsvermittlungmit HilfevonGebärdenundSchriftsprache.ErwarderMeinung,dassdieMut tersprache der Gehörlosen, die Gebärdensprache, die Sprache sei, in der Taubstummedenken.ÜbersiekönntenGehörlosedieSchriftspracheerler dungNr.7/81926,S.118;StAHb,7412GenealogischeSammlungen,1Heinicke;Deutsches GeschlechterbuchBand51(HamburgerGeschlechterbuchBand7),Görlitz1927,S.279;vgl. auchErnstHieke,ZurGeschichtedesdeutschenHandelsmitOstafrika.Dashamburgische HandelshausWm.O´Swald&Co,TeilI1831–1870,Hamburg1939). 89
NeunterBerichtderTaubstummenSchule1847,S.31–32.
90
StAHbg,6111St.Johanniskloster,543und1683.
91
HamburgischerCorrespondentNr.127vom10.8.1785.
Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg
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nen:„GebärdenundSchriftsprachesindvollständighinreichend,denTaub stummenzudenhöchstenGradenderWissenschaftzuführen“.92 SoumstrittenHeinickesAngriffegegendel´Epéeheuteinhaltlichsind undsoumstrittenauchdiePersönlichkeitHeinickesheuteist,derinseiner LeipzigerZeitalsstreitbarerZeitgenossegaltundsowohlinseinemUn terricht als auch in seinen Schriften einen polemisierenden, oft groben Tonanschlug,93sowirddochHeinickesBedeutungfürdasTaubstummenbil dungswesennichtunterschätzt:ErentwickelteeinUnterrichtsverfahrenzum ErlernenderLautsprachefürGehörlose94 undsetztediesenUnterrichtals Klassenunterrichtein;ergründetedieersteprivatedeutscheTaubstummen schuleund–1778–dieerstestaatlicheTaubstummenanstaltinLeipzig.Hei nicke,deram29.April1790inLeipzigstarb,giltalsBegründerderdeut schenGehörlosenbildung.VonderMittedes19.Jahrhundertsbisweitindie 1980erJahrebliebdieGebärdensprachetraditionellinDeutschlandsGehör losenschulen und anstalten verpönt und war nur als Begleiterscheinung zumUnterstreichendesgesprochenenWortesoderzurAnschauungerlaubt. Die„deutscheMethode“wurdedamitimZugeeineswachsendendeutschen Nationalbewusstseinsgegenübereiner„französischenMethode“favorisiert.
Exkurs: Das Samuel-Heinicke-Denkmal DerNameHeinickesbliebweltweitmitderdeutschenLautsprachmethode verknüpft.EineEhrungHeinickessollteinHamburgdurchdieErrichtung einesDenkmalserreichtwerden.Bereits1845hattederSchriftstellerLudolf Wienbarg (1802–1872)dieErrichtungeines HeinickeDenkmalsangeregt, ohneeingenügendgroßesEchozufinden.AucheinAufrufzurStiftungei nesDenkmalsimJahr1847,unteranderemdurchdieVorsteherderTaub stummenanstaltHeinrichWilhelmBuek(1796–1879)undJohannHeinrich 92
BeideZitatebei:Stötzner,Heinicke,S.XXII.
93
Gessinger,Auge&Ohr,S.301;Stötzner,Heinicke,S.21u.a.Heinickeveröffentlichtezahlrei cheStreitschriften,priesseineLautiermethode,seineLautsprachenmethodikfürGehörloseund tratalsVerteidigerderKantschenPhilosophie(ImmanuelKant [1724–1804],Autorder„Kritik derreinenVernunft“)auf(AllgemeineDeutscheBiographie,Band11,Leipzig1880,S.369).
94
SeitdemersteninternationalenTaubstummenlehrerkongressinParis1878bekanntesichdie TaubstummenlehrerweltzudieserMethode(StaatlichePressestelle,150JahreGehörlosenbil dung,S.12).
50
Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg
ChristianBehrmann (1775–1856)unddemdamaligenEppendorferPastor August Heinrich Faaß (1806–1887) blieb ohne ein Ergebnis.95 Erst 1895 konnte – auch durch Initiative der gehörlosen Hamburger John Pacher (1842–1898),PaulHirschfeldundAdalbertTomei(1851–1917)96–dasDenk malimBeiseinvonvielenGehörlosenanderEckeHeinickestraße/Ludolf straßeinEppendorfdurchdenHamburgerTaubstummenvereineingeweiht werden.DieBüstewurdedurchdengehörlosenBildhauerCarl Peter von Woedtcke (1864–1927)ausBerlingeschaffen.1969musstesieaufGrund einer Straßenverbreiterung in den Seelemannschen Park hinter die Ep pendorferSt.JohannisKircheverlegtwerden.DortstehtdasDenkmalnoch heute.
Abbildung 5: Einweihung des Samuel-Heinicke-Denkmals, 1895
95
LexikonderhamburgischenSchriftsteller,Band3,Hamburg1857,S.150.
96
MehrüberPacherundHirschfeldimKapitel3.2.5.
3 Die Milde Stiftung Taubstummenanstalt Hamburg
3. 1 D ie Anfänge unte r Heinric h Wilhelm Buek DieGeschichtevonTaubstummenanstaltundTaubstummenschuleistnicht zu trennen. Sie wurden gemeinsam aus Privatinitiative errichtet. Auch wenn die Taubstummenschule zum 1. Januar 1882 verstaatlicht wurde, währenddieAnstaltihrenStiftungscharakterbehielt,bliebenbeideHam burgerEinrichtungenengmiteinanderverbunden.
Abbildung 6: Heinrich Wilhelm Buek
1778hatteSamuelHeinickeHamburgmitseinenZöglingenverlassen,um in Leipzig noch im selben Jahr die erste staatliche Taubstummenschule Deutschlandszugründen.DamitruhtedieinstitutionalisierteTaubstum
52
Die Milde Stiftung Taubstummenanstalt Hamburg
menbildunginHamburgfast50Jahrelang,bisimMai1823eineSchriftmit demTitel„WünscheundVorschlägezurErrichtungeinerTaubstummen anstaltfürHamburgbetreffend“erschien.97VerfasserdieserSchriftwarder junge Mediziner Dr. Heinrich Wilhelm Buek (1796–1879). Dieser hatte schonimJahrzuvorindenvonGeorgLotzherausgegebenen„Originalien ausdemGebietederWahrheit,Kunst,LauneundPhantasie“fünf„Briefe überTaubstummeundTaubstummenanstalten“veröffentlicht,98 indenen ermitBegeisterungdieIdeeeinerneuzugründendenAnstaltfürTaub stummeinHamburgbeschrieb.InderneuenSchriftsetztesichderAutor nun weiter mit dem Nutzen und der Notwendigkeit einer Hamburger Taubstummenanstaltauseinander.ErberechnetedieKosten,diefürdieEr richtungeinessolchenInstituteserforderlichwärenundfügtegleicheinen konkretenPlanzurErrichtungbei.DasInstitutsollteElternersatzsein,bei ganztägigerBetreuungfürUnterrichtundErziehungdergehörlosenInter natszöglingesorgenundauchnachdemSchulabschluss„mitRatundFür sprache“zurVerfügungstehen.AlleKindersolltengleichbehandeltwerden, undauchgehörloseKinderarmerLeutesolltendieMöglichkeitbekommen, aufKostendesStaatesodereinzelnerwohltätigerSponsorendie Anstalt zubesuchen.SchondamalsschlugBuekeineeventuelleTeilungzwischen staatlicherSchuleundprivaterAnstaltvor.NebendenUnterrichtsfächern– vonZeichnenbisNaturgeschichte,vonMoralbisTechnologie–solltenden KinderndieverschiedenenWegebeigebrachtwerden,sichanderenmitzu teilenundsiezuverstehen,alsoauchdie„Zeichensprache“,dasAblesen vom Mundund die Beherrschung derLautspracheinSchriftundWort. HauptzweckdiesesInstitutssolltesein,„dieTaubstummenzumSelbstden ken,zurTätigkeitundpraktischenNutzbarkeit[zubringen],sowie[sie]zu einemmoralischenundchristlichenLebenswandelzuerziehen“.99DasIn stitutsolltedengehörlosenKinderneineHilfebiszurKonfirmationsein, 97
H[einrich]W[ilhelm]Buek,WünscheundVorschlägezurErrichtungeinerTaubstummenan staltfürHamburgbetreffend,Hamburg1823.DiesesKapitelfolgt,wennnichtandersangege ben,A[lwin]Heinrichsdorff,GeschichtedesTaubstummenbildungswesensinHamburg,in: FestgabezurSamuelHeinickeJubiläumstagungdesBundesDeutscherTaubstummenlehrer, Hamburg1927,S.5–25(keinefortlaufendePaginierung,daauseinzelnen Festgabenbeste hend)unddenverschiedenenJahresberichtenderHamburgerTaubstummenanstalt.
98
Heinrich Buek, Fünf Briefe über Taubstumme und Taubstummenanstalten, in: Georg Lotz(Hg.),OriginalienausdemGebietederWahrheit,Kunst,LauneundPhantasie,Nr.119 bis123,Hamburg1822.
99
Buek,WünscheundVorschläge,S.20.
Die Anfänge unter Heinrich Wilhelm Buek
53
aberauchdarüberhinausGehörloseninHamburgmitRatundTatzurSei testehen.BuekriefdieHamburgerzurWohltätigkeitauf. HeinrichWilhelmBuekselbsthattebereitsalsjungerArztinHamburg von1821bis1823einekleinePrivatschuleinseinerWohnungamMönken damm83betrieben,100andererelfbis14gehörloseKinderamTagfürje weilsvieroderfünfStundenunterrichtete.101 DieAnregungdazuhatteer ausdenSchriftenSamuelHeinickesgewonnen.DurchLektüre,Korrespon denzmitTaubstummenlehrernundeigeneBeobachtungbildetesichBuek eineeigene,anderPraxisgeprüfteAuffassungzumUnterrichtGehörlo ser.102DadieseUnterrichtstätigkeitfürBueknureineNebenbeschäftigung warundernebenseinerärztlichenTätigkeitimmerwenigerZeitfürden UnterrichtderKinderhatte,stellteerkurzzeitigeineHilfskraftan.Schließ lichmussteBuekaberdochausZeitmangel–seit1823arbeiteteeralsArzt andenFreimaurerkrankeninstituten–103seinUnterrichtsprojektvollständig aufgeben.SeineBildungsmaßnahmenfürGehörlosewareninHamburgbe kannt–sowurdenBuekGehörlosevorgestellt,umvonihmeinUrteilüber derenBildungsfähigkeitzuerhalten.104DaerseingroßesInteresse,dieAus bildung der gehörlosen Kinder, nicht völlig vernachlässigt sehen wollte, schrieberdenobenzitiertenAufrufandieHamburger.Erappelliertean derenMildtätigkeitundMitleid,umdie„sozialeundpatriotischeAngele 100
SpätergaberselbstdenZeitraumdesBestehensseinerPrivatschulemit1822bis1824an (zwölfter Berichtder TaubstummenSchule 1856, Nachruf auf Behrmann,S. 22). 1821bis 1823in:StAHbg,3612IIOberschulbehörde(künftig:OSB)II,B129Nr.3,Zeugnißdes Herrn Dr.H.W.Buek,VorstandesderHamburgerTaubstummenanstalt,überdieWirksam keitdesDirectorsderselben,FriedrichGlitza,namentlichindenJahren1841bis1850,27.2.1869.
101
DieseKinderkamenalsersteSchülerderTaubstummenanstalt1827wieder.
102
PrivilegiertewöchentlichegemeinnützigeNachrichtenvonundfürHamburg,Nr.188vom 19.5.1830,S.1f.
103
LexikonderhamburgischenSchriftsteller,Band1,Hamburg1851,S.432.Zudemhatteer am 10.Juni1823geheiratet(StAHbg,7412GenealogischeSammlungen,1Buek).EinenLe benslauf BueksgibtdieFreimaurerzeitungNr.113vom7.3.1879:„Gedächtnisrede“,S.899– 903.
104
StAHbg3312PolizeibehördeKriminalwesen,C1823Nr.361,Schreibenu.a.vonFriedrich LudwigHirschmannandiePolizeibehördevom20.10.1823,Bl.3:Untersuchungüberdenge hörlosenWilhelmFellnagel,umihm,„womöglichdie,solcheUnglücklichenjetzthäufigmit dembestenErfolgeertheiltwerdendeErziehungundBildungangedeihenzulassen“.Doch dies„hatsichleideralsunerreichbardargestellt,indemeinevoneinemindiesemFachebe kanntlichwohlerfahrenenhiesigenArzte,HerrnDoctorBuek,vorgenommenelängerePrü fungdesCurandenergebenhat,dassderselbe[…]allerBildungundUnterrichtsunfähigsei“.
54
Die Milde Stiftung Taubstummenanstalt Hamburg
genheit“einerStiftungfürgehörloseKinderinHamburginsLebenrufen zukönnen.105
Exkurs: Weitere Einrichtungen für Gehörlose in Hamburg und Altona BuekwarinHamburgnichtderEinzige,derumdieAufmerksamkeitvon ElterngehörloserKinderwarb.ZwischenzeitlichgabesfürGehörlosein AltonadieMöglichkeit,Unterstützungzuerhalten.Dabeischadetealler dingseineinderPressezwarhochgepriesene,letztlichaberdilettantische „HeilungsAnstaltfürTaubstumme“mehralsdasssienützte:Der„Doctor und Accoucheur“ Johann Christian Goldbeck warb für seine Geheim methode,GehörlosewiederzumHörenzubringen.Nebeneinembeschei denen Unterricht, der Gehörlose zu Aufmerksamkeit und Lippenlesen bringensollte,behandelteerseineSchülerhauptsächlichmitseinem„Spiri tusnitridulcis“(einemSalpeteräther,womitGoldbeckübrigensnichtnur Gehörlose,auch„WahnsinnigeundGelähmte“behandelte,wiedieVerwal tungderTaubstummenanstaltspäterspitzbemerkte).106 Diesführtealler dings,trotzzumTeilzweijährigerAnwendung,zukeinembesserenHören.107 InHamburgwarbauchderMedizinerDr.CarlBarriésmitdermöglichen HeilungGehörloser.Ereröffneteein„HeilInstitutfürTaubstumme“und behauptete,inBerlindurchElektrizitätundMagnetismustaubeKinderhö rendgemachtzuhaben–wasdasdortigeMinisteriumdergeistlichenund MedizinalAngelegenheitenjedochnichtbestätigenkonnte.Alssichauch inHamburgkeinErfolgeinstellte,ließersichmitseinem„InstitutfürGe hörbehandlungtaubstummerIndividuenundderengeistigeAusbildung“ inDoberannieder.108InanderenStädtenprobiertenMedizinerweitereMe thodenaus,siedurchbohrtenTrommelfelle,galvanisiertenundflößtenÖle
105
PrivilegiertewöchentlichegemeinnützigeNachrichtenvonundfürHamburg,Nr.188vom 19.5.1830,S.1f.;ebd,Nr.115vom15.5.1830,S.2.
106
SechsterBerichtderTaubstummenSchule1838,S.35.
107
DritterBerichtderTaubstummenSchule1832,S.9;siebenterBerichtderTaubstummen Schule1841,S.17f. 108
SiebenterBerichtderTaubstummenSchule1841,S.18f.
Die Anfänge unter Heinrich Wilhelm Buek
55
indietaubenOhren.DasbrachtedenGehörlosenSchmerzen,aberkeine Hilfe.109DieMedizinkonnteErtaubteundGehörlosenichthörendmachen. WesentlichmehrErfolgwareinemanderenMannbeschieden.AbOkto ber1825unterrichtetederimsechstenLebensjahrertaubteehemaligeHilfs lehreranderTaubstummenanstaltSchleswig,derAltonaer OttoFriedrich Kruse(1801–1880),fürmehrereJahreinseinerHeimatstadtGehörlosenach derElementarmethodedesSchweizerPädagogenJohannHeinrichPesta lozzi.110GeradedenGehörlosenlehrernkamdermethodischeAnsatzPesta lozzis, mit den Elementarmitteln des Unterrichts, nämlich der Zahl, der FormundderSprachezubeginnen,umdannstufenweiseweiterzugehen, sehr entgegen. Pestalozzi glaubte, in den Elementarmitteln die formalen Kategorien gefunden zu haben, den intellektuellen Erkenntnisprozess in Gangzubringen.InsbesonderederBereichderSprachbildungbotsichan, aufdie„UrleistungendesGeistes“zurückzugreifen.111Kruseunterrichtete gehörloseKindermitHilfeeinerkombiniertenMethode,dieerinSchles wigkennengelerntunddortausgebauthatte.DieseMethodeberücksichtigte imUnterrichtGebärden,LautundSchriftsprachegleichermaßen.Zweige hörloseMädchenausSt.PaulikonntenbaldinderKirchezuSt.Paulikonfir miertwerden.EinJungeausNeuhoflebtemitKruseundseinerMutterin derAltonaerWohnung,diegleichzeitigRaumfürdenUnterrichtbot. 112Ge planthatteKruseeineAusweitungseinerUnterrichtstätigkeitnachHam burg,daabermitderGründungderHamburgerTaubstummenanstaltKru
109
Ebd.,S.15–20werdendiversemedizinischeVersuchebeschrieben,GehörlosenihrGehör (wieder)zubringen.Vgl.auchArndBösenecker,ZurGeschichtederTaubstummenschulein AachenbiszuihrerZerstörungimJahre1944,Herzogenrath1990,S.8–17.
110
ErsterBerichtderTaubstummenSchule1828,S.6.ZuKrusesieheRehling,Hörgeschädigte LehrervonHörgeschädigten,HausarbeitzurPrüfungfürdasLehramtanSonderschulen,ma schinenschriftlich,Hamburg1980,S.27–43;HartmutTeuber,OttoFriedrichWilhelmKruse– EinegrossetaubePersönlichkeit,in:Selbstbewußtwerden42,München1997,S.15–25;Hel mutVogel,OttoFriedrichKruse(1801–1880).GehörloserLehrerundPublizist,TeilI,in:Das Zeichen.Zeitschriftzum Thema Gebärdensprache und KommunikationGehörloserNr.56, Juni2001,S.198–207,TeilII,in:DasZeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheund KommunikationGehörloserNr.57,September2001,S.370–376;Vogel,Taubstummenpädago gik,S.70–91.
111
WolfgangVater,BedeutungsaspektedesMailänderKongressesvon1880(http://www.ghl. ngd.bw.schule.de/info/geschichte/mailand/index.html,abgerufenam16.11.2002).
112
OttoFriedrichKruse,BilderausdemLebeneinesTaubstummen.EineAutobiographie,Al tona1877,S.95.
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Die Milde Stiftung Taubstummenanstalt Hamburg
ses Arbeitsmöglichkeiten verringert wurden, suchte er wieder eine feste Anstellung–undfandsieNeujahr1830inBremen.113 * BueksPlaneinergroßenTaubstummenanstaltschrittvoran.Mitdemim RuhestandbefindlichenvermögendenHamburgerKaufmannJohannHein rich Christian Behrmann (1775–1856)114 gewann Buek einen begeisterten Unterstützer.Behrmann,dervielgereistwar–unteranderemwarerKon sulinMalagagewesenundhattealsKaufmannlängereZeitinLondonge lebt–,hatte1822inParisdiedortigeTaubstummenanstaltkennengelernt undwardadurchangeregtworden,auchinHamburgeinesolchezuer richten.115 DiePariserTaubstummenanstaltbefandsich1822ineinerUm bruchphase.DerLeiterAbbéRochAmbroiseCucurronSicard(1742–1822, Nachfolgervondel`Epée)starbindiesemJahrundRochAmbroiseAuguste Bébian (1789–1839)erhieltdenAuftrag,einenneuenLehrplanderSchule aufzustellen.116 DieserwarvonderQualitätder„natürlichen“Gebärden sprachederGehörlosenüberzeugtundginginderAkzeptanzeinerGebär densprachenochweiteralsseineVorgängerdel´EpéeundSicard.Diebei denwarenVerfechtereinerkünstlichenGebärdensprachegewesen,diesich in der Grammatik an die französische Schriftsprache anlehnte. An der SchuletätigwarenzujederZeitauchgehörloseLehrer,1822unterrichtete dervonGeburtangehörloseJeanMassieu(1772–1846)inParis.117 BuekundBehrmannwarbeninihremFreundeskreisumSympathieund materielleMittelfürihrenPlan.1826tatensichdieGleichgesinntenzuei 113 Ebd.,S.103.KruseschriebeinigepädagogischeSchriften,wurdefürseineArbeitmitOrden geehrtunderhielt1878denEhrendoktorvonderGallaudetUniversitätfürGehörloseinWa shingtonD.C. 114 ZuBehrmannsieheu.a.NachrufimzwölftenBerichtderTaubstummenSchule1856,S.19– 29; StA Hbg, 7412 Genealogische Sammlungen, 1 Behrmann; Lexikon der hamburgischen Schriftsteller,Band1,Hamburg1851,S.206–208. 115
Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.13.
116
ZudenLeiternderfranzösischenTaubstummenanstaltsieheVogel,Taubstummenpädago gik,S.45–49;HarlanLane,MitderSeelehören.DieLebensgeschichtedestaubstummenLau rentClercundseinKampfumdieAnerkennungderGebärdensprache,München1990,S.215.
117
ZudengehörlosenLehrerninParissieheVogel,Taubstummenpädagogik,S.49–55.Über MassieusSchülerLaurentClerc(1785–1869),derfürdiegebärdenausgerichteteGehörlosenbil dunginFrankreich,USAundEnglandkämpfte,berichtetspannend:Lane,MitderSeelehö ren.
Die Anfänge unter Heinrich Wilhelm Buek
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nemUnterstützungskreiszusammen.Am29.DezemberdesJahreswandte sichdieseGruppewiederumandieÖffentlichkeit,umfürweitereUnter stützungzuwerben.DabeiwurdendieStandorteandererTaubstummen anstaltenaufgezähltundgefragt,warumHamburgkeinehabe.Zugleich wurdebereitsderandenBerlinerTaubstummenanstaltenausgebildeteDa nielHeinrichSenß (1800–1868)als ausgewählter Lehrerder zukünftigen Anstaltvorgestellt.DerselbergehörloseSenßsolltediegehörlosenKinder– ihreAnzahlinundumHamburgwurdeaufca.50geschätzt–inSchreiben, Rechnen,Zeichnen,inderGeographie,NaturundWeltgeschichte,Techno logieund–nachAnleitung„guterSchriftsteller“–Moralunterrichtenund ihnensoeineGrundbildungbeibringen.ImReligionsunterrichtsolltedie KonfessionderElternberücksichtigtwerden.Dadiemeistengehörlosen Kinder aus unvermögenden Familien stammten und deshalb ein hohes Schulgeldnichtzahlenkonnten,wurdeumSpendengebeten–fürdieAn stalt,fürSenßundfürdieKinder,diespätereinmalnichtnurunterrichtet, sondernauchbekleidetundbeköstigtwerdensollten.118
3. 2 Vo m Dammto r zu r Bü rg er weide ( 182 7– 188 1) 3.2.1
Vo n der Verein s g rü nd u ng b is z um e r s t en S c hu l t a g
Am17.Januar1827tagtezumerstenMalder„VereinzwecksGründungei nerTaubstummenanstaltfürHamburgunddasHamburgerGebiet“.Die erstenHonoratioren,diesichfüreineinstitutionalisierteAusbildungGehör loserinHamburgeinsetzten,waren–nebenBuekundJ.H.C.Behrmann– derArchidiaconiuszuSt.Petri,Dr.theol.h.c.RudolphGerhardBehrmann (1743–1827),Prof.Dr.CarlFriedrichAugustHartmann(1783–1828),Profes soramAkademischenGymnasium,Dr.jur.JohannChristianKauffmann (1791–1856),VizepräsidentdesHandelsgerichts,Dr.jur.RudolphGerhard Behrmann (1773–1858), Actuarius des Handelsgerichtes, Peter August Milberg (1785–1844),JohannesAndreasPrell (1774–1848),derApotheker ChristophChristianUlrichNoodt (1781–1867)sowiederHauptpastoran 118
Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.13–15;Privilegiertewöchentliche gemeinnützigeNachrichtenvonundfürHamburg,Nr.128vom30.5.1827,S.1,Nr.308vom 29.12.1826,S.1f.,Nr.188vom19.5.1830,S.1f.
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Die Milde Stiftung Taubstummenanstalt Hamburg
St.Michaelis,Dr.theol.h.c.AugustJacobRambach(1777–1851).Ausdie semKollegiumbildetendiezweiletztgenanntenmitdenbeidenGründern BuekundBehrmannunterVorsitzvonBuek denVerwaltungsausschuss, derzuerstfürdieErrichtungundOrganisationzuständigwarundderspä teralsVorstandsgremiumdieAnstaltleitenwürde.Buekbliebvondiesem Momentan50Jahrelang,bis1877,imVorstandderStiftungTaubstum menanstalt119 und beteiligte sich neben seiner medizinischen Berufs laufbahnstetsaktivamFortgangseinerAnstalt.DerMedizinerundBota nikerHeinrichWilhelmBuekhatte1814nachdemEndeseinerSchulzeit am Johanneumdamitbegonnen,StudienderAnatomie,Physiologieund ChirurgieimallgemeinenKrankenhauszutreiben.120NachStudienzeitund PromotionbegannerseineTätigkeitalspraktischerArztinHamburgim November1819.IndieserZeiterwachteseinInteresseanGehörlosen.Im November1833wurdeBuekzumLandphysikusbestellt,dasheißt,dasser für den Medizinaldienst–die Ansiedlung und Prüfung derWundärzte, Hebammen und Apotheker – im Hamburger Landgebiet (Geestlande, Barmbek,HammmitHorn,Walddörfer,Marschlande)undindenVorstäd tenzuständigwar.Von1851biszuseinerPensionierung1871warBuek dannalsStadtphysikustätig. InderNummer21derWöchentlichenNachrichtenwurdeeinDankdes Komitees an die bisherigen Spender veröffentlicht, man rief zu weiterer HilfeaufundbatdieElterngehörloserKinder,dieseschonfürdieAusbil dunganderHamburgerTaubstummenanstaltzumelden.121 Indernächs tenSitzungdesAusschusseswurdefestgestellt,dassbereits16Kinderan gemeldetwordenwaren.EsbeganndieSuchenachgeeignetenRäumenfür dieSchule.DiesesollteaucheinezusätzlicheWohnungbeinhalten:Fürdie HandarbeitsanleitungderMädchen,zurHaushaltsführungfürdenLehrer sowiefürdieZubereitungderMahlzeitenderkünftigenZöglingewarbe reitseinejungverwitweteFrau ausgesuchtworden.Schließlichstandam 119
FreimaurerzeitungNo.113vom7.3.1879:„Gedächtnisrede“,hierS.900.Buekstarb–als letzterderGründungsmitglieder–erstam10.2.1879,zweiJahrenachdemersichausAlters gründenausdemAnstaltsvorstandzurückgezogenhatte(DeutschesGeschlechterbuchBand 51,S.95). 120
IrisGroschek,Buek,HeinrichWilhelm,in:Kopitzsch,Franklin/Brietzke,Dirk(Hg.),Ham burgischeBiografie.Personenlexikon,Band3,Göttingen2006,S.67f.
121 DieseunddiefolgendenAngabenfolgen,wennnichtandersangegeben,denenvonHein richsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet.
Vom Dammtor zur Bürgerweide (1827–1881)
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21. März 1827 der Beschluss fest, das große Obergeschoss mit direktem AufgangvonderStraßeinRiemannsHäusernanRiemannsPlatzvordem Dammtorzumieten.DiegemietetenRäumlichkeitenerstrecktensichüber zweiStockwerke:IndenoberenZimmernlagenKücheundKammerfürdie Lehrerin,dieunterenbeidenRäumewarenfürdenUnterrichtvorgesehen. ImmerwiederwiesderVerwaltungsausschussderStiftungTaubstum menanstalt die Hamburger in Spendenaufrufen auf die „Not der Taub stummen“unddieMöglichkeitzuihrerLinderunghin:Diewöchentlichen „GemeinnützigeNachrichtenfürHamburgunddasHamburgerGebiet“ veröffentlichten1826zwei,imJahr1827sogar16ArtikelüberdieTaub stummenanstalt.Am2.Mai1827warenbereitselfMädchenundneunJun genfürdieAnstaltangemeldetworden,undeskamenersteAnfragenaus wärtigerKinder.DanielHeinrichSenß wurdefürdaserstehalbeJahrals einzigerLehrerangestellt,bekamaberdieBezeichnung„zweiterLehrer“: FürdieZukunftplantederVorstand,einenhörendenLehreralserstenLeh rereinzustellen,derdanndieLautspracheunterrichtensollte.Außerdem wurdeeinBotebeschäftigt.122 DerersteGehörlosenlehreranderHamburgerTaubstummenanstalt,Da nielHeinrichSenß,waram5.November1800inGransee(Brandenburg) taubgeborenworden.123Erhatteab1810seineAusbildungbeidemfrüher taubtenLehrerJohannKarlHabermaß(1783–1826)–demerstengehörlosen Gehörlosenlehrer Deutschlands – und dessen Direktor Ludwig Graßhoff (1770–1851) in Berlin erhalten. Zu dieser Zeit wurde am Berliner Taub stummeninstitutdieGebärdenspracheimUnterrichtgroßgeschrieben:„In derGebärdensprachehatesdieBerlinerAnstalt[...]ungemeinweitgebracht unddieAnstaltnimmtnachdieserSeitehin,dieersteStelleein“. 124Sprachbe gabte Schüler bekamen zusätzlich eine besondere Sprechförderung. Zum EndeseinerAusbildungwarSenßRepetiteurimBerlinerInstitut,eheervon 1820bis1822andasTaubstummeninstitutKentropbeiMünsterwechselte unddortbeimUnterrichtenhalf.ErgingdanachnachBerlinzurück,woer alsGeheimerKanzleiHilfsarbeiterimKultusministeriumundalsPrivat 122
J.M.B.Tohmfor(Tomfohr)arbeitetebiszuseinemTod1848imHause,seineStelleüber nahmseinSohnFerdinand(zehnterBerichtderTaubstummenSchule1850,S.71).
123
ZuDanielHeinrichSenßsieheHeinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,u.a. S.14;Vogel,Taubstummenpädagogik,S.57–58.
124
GustavWende,Dr.LudwigGraßhoff,in:BlatterfürTaubstummenbildung1915,Nr.11,S.167, nach:Vogel,Taubstummenpädagogik,S.30.
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Die Milde Stiftung Taubstummenanstalt Hamburg
lehrerarbeitete.SeinZielwares,alsGehörlosenlehreraneinerTaubstum menanstalt zu arbeiten. So begann er eine Reise durch Deutschland. In HamburgtraferEnde1826unmittelbarvorderGründungderTaubstum menanstaltein.Senß,derbeiGraßhoffdieLautsprachedeutlichzuspre chengelernthatte,bewarbsichoffiziellumdieLehrerstelleunderhieltsie. DassdieWahldeserstenLehrersaufdengehörlosenDanielHeinrich Senßfiel,warnichtungewöhnlich,hattedochBehrmanninderPariserAn staltdenUnterrichtdurchgehörloseLehrkräftealshelfendinderWissens entwicklung der gehörlosen Schüler wahrgenommen und kannte Buek auchdieLeistungdergehörlosenLehrerHabermaßundKruse.125MitKarl HabermaßverbandBueksogarseitJanuar1822eineBrieffreundschaft.Als Buekbegann,sichintensivermitderGehörlosenbildungauseinanderzuset zen,hatteerfürpraktischeTippsundzumGedankenaustauschdenbe kannten Berliner Pädagogen angeschrieben.126 Habermaß empfahl den HamburgernseinenSchülerSenß.127 Buek warüberzeugt,dieGehörlosen sollteninderSchulezuerstdieeigeneSprache,dieZeichensprache,lernen, wobeidieGemeinschafteinengroßenTeildieserArbeitübernehmenkönn te.IndiesemZusammenhangwünschteBueksicheinenKonsensfüreine deutschlandweiteeinheitlicheGebärdensprache.128InderSchulesolltedann aberdaraufaufbauenddieSchriftsprachegelehrtwerden,das„Hauptmit tel des künftigen Unterrichts“ und „der Unterhaltung mit Anderen“.129 SchriftundLautsprachesolltenZweckdeserstenUnterrichtssein,bevor derinhaltlicheUnterrichtfolgensollte.WennSenßdiedritteSäulederUn terrichtsmethodik,dasLehrendesSprechens,nichtvollständigerfüllte,so warenesandereEigenschaften,dieihnqualifizierten:Alsunerlässlichfür einenTaubstummenlehrersahesBuekan,dassdiesernichtnurErzieher, sonderndarüberhinausauch„Vater“derSchülersei,ihr„gänzlichesVer trauen“erhalteund„reicheKenntnis“ihrereigenenSprachehabe.Gehör loseHilfslehrereignetensichabernichtalsMittlerzurAußenwelt.Undda her, so war Buek überzeugt, sei die Leitung einer Taubstummenanstalt 125
DiesewerdeninBueks„WünscheundVorschläge“alsVorbildererwähnt.
126
AuszügeausdenBriefensindabgedrucktin:BeilagezumneuntenBerichtderTaubstum menSchule1847,S.157–168. 127
PrivilegiertewöchentlichegemeinnützigeNachrichtenvonundfürHamburg,Nr.188vom 19.5.1830,S.2.
128
Lotz,Nr.121,Sp.963–966,hierSp.963.
129
Ebd.,Sp.963.
Vom Dammtor zur Bürgerweide (1827–1881)
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durcheinengehörlosenLehrernichtmöglich.130AlsArztwarBuekdarüber hinaus überzeugt, dass Gehörlose Kranke seien, für die es künftig auch eineHeilunggebenkönne.131 InzwischenwarengenügendGeldundSachspendeneingegangen.Ham burgerBürger,ÄmterundPredigerdesStadtundLandgebietessahenmit InteresseundWohlwollenderEröffnungentgegen.Am28.Mai1827wares soweit:Die„TaubstummenanstaltfürHamburgunddasHamburgerGe biet“wurdeanderDammtorstraßeaufRiemannsPlatzalsprivatemilde Stiftungeröffnet.EsgabeinenLehrer–Senß–unddieWitwedesfrühver storbenenSchreibersJacobHeinrichRöhlausBremen,HenrietteRöhl,als HandarbeitslehrerinundHausmutterfürdie13MädchenundneunJun gen.132 ZudieserZeitexistierteninDeutschland15privateundstaatliche Taubstummenanstalten, davon die älteste von Heinicke 1778gegründete AnstaltinLeipzigunddieeinzigemiteinemgehörlosenGründer(1820) undLeiter –HugoFreiherrvonSchütz zuHolzhausen (1780–1847)–in Camberg;133dreiweiterewurdenimgleichenJahrwiedieHamburgerAn stalt–1827–gegründet(FrankfurtamMain,Lübeck,Bremen).134 Inden AnstalteninBerlin,SchleswigundLeipzigwurdefürdenUnterrichteine kombinierte Methode mit Lautsprachvermittlung mittels Gebärden ge nutzt.135DiemeistendeutschenInstitutewandtendagegeninderTradition SamuelHeinickesoraleLehrmethodenan. ZurEröffnungsfeieramVormittagdes28.Mai1827warendieVereins mitgliedermitihrenFrauen,diegroßenSpender,diePräsidentenderHam burgerÄmtersowiedieStadtpredigerundnatürlichdiegehörlosenKinder mit ihren Eltern zur Schule gekommen. Die Vorstandsmitglieder hatten 130
Lotz,Nr.122,Sp.973
131
Ebd.,Sp.974.
132
StAHbg,St.Gertrud,IXa11,Sterbeeinträge1826,Nr.746undHamburgerAdressbuch 1829.NochimerstenJahrdesBestehensderAnstaltkamendreiJungenunddreiMädchen dazu. 133 ZuSchützgibteseinenDokumentarspielfilmindeutscherGebärdensprachevonRenateFi scher,ClaudiaKaltenbachundAngelaStaab(SignumFilm,1994).Vgl.auch:RoselJung,Ge schichtederTaubstummenschuleinCamberg,Taunus:150JahreGehörlosenbildungane.d. ältesten Taubstummenschulen im deutschsprachigen Raum u. d. ältesten im ehemaligen Nassau,Camberg1970. 134
Söder,Blinden,IdiotenundTaubstummenbildungswesen,S.282–288.
135
Vogel,Taubstummenpädagogik,S.25–44.
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Die Milde Stiftung Taubstummenanstalt Hamburg
Schiefertafeln,SchreibpulteundTintegespendet.DerUnterrichtkonntebe ginnen, um, wie es Pastor Rambach in der Eröffnungsrede formulierte, „aus rohen, unwissenden, gesetzlosen, keine Pflichten und keinen Gott kennendenGeschöpfen[...]verständige,fühlende,sittlichvernunftvolle[...] nützlicheMitglieder“derGesellschaftzumachen.136 DerUnterrichtwolltenatürlichfinanziellbeglichenwerden.AnSchul geldzahltendieSchülerinnenundSchüler,diegenügendGeldaufbringen konnten,zuerstzwischen30und100MarkimJahr.EswurdenSpendenan genommen,umfinanziellschlechtergestelltenKinderndamitdenUnter richtzuermöglichen.ArmeHamburgerKinderkonntenkostenfreiUnter richterhalten.DieSchulstundendauertentäglichaußersonntagsvon9bis 15Uhr,wobeieseineErholungsstundevon12bis13Uhrgab,inderdie KinderimHofvordemHausspielenkonntenundtrockenesWeißbrotals Frühstückbekamen.UmSpendern,SpendenwilligenundanderenNeugie rigendieArbeitanderSchulezupräsentieren,wurdederersteundletzte SonnabendjedenMonatsalsBesuchstagvereinbart,andembiszuzwölf BesucherdieNachmittagsstundenbeobachtenkonnten.Senßunterrichtete wiegeplantSchreiben,Rechnen,Zeichnen,deutscheSprache,Briefschrei bensowieGrundkenntnisseinErdkunde,Völkerkunde,NaturundWelt geschichtesowieTechnologieundMoral.137 3. 2. 2 Un ter ri c ht i n Lau t spra ch e Der Unterricht durch Senß begann erfolgreich. Doch schon in der Aus schusssitzungdesVorstandsvom17.August1827wurdebemerkt,dasses erforderlichsei,UnterrichtimSprechenzuerteilen.DieVorstandsmitglie derhattensichzuvorintensivmitdenunterschiedlichenAnsätzeninder Gehörlosenpädagogikauseinandergesetztundbeschlossen,Sprachunter richtzuerteilen.ImerstenJahresberichtderAnstalt,derbereits1828her ausgegebenwurde,wirddiesmitdenBeobachtungendesTaubstummen lehrersDr.AntonWeidnerausMünsterbegründet,derdasSprechenund DenkeninnaheVerbindungbrachteundmitdermangelndenSprachfähig keitzuerklärenversuchte,„warumsovieleTaubstummeverwildern,nach 136
Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.21.
137
Ebd.,S.20undS.21.EinBriefdokument–einSchreibendergehörlosenCarolineLouise Schaller(geb.1796)anihren Onkel–findetsichimBestanddesJohannisklosters(StAHbg, 6111St.Johanniskloster,2196).
Vom Dammtor zur Bürgerweide (1827–1881)
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dem sie einige Jahre außerhalb der Anstalt [...] gelebt haben“ ohne die Lautsprachezusprechen.SchließlichsolltederSchulabsolventinderLage sein,sichHörenden„verständlich[zu]machenund[zu]verstehen[...],was anderedeutlichzuihmsprechen“.138 ZumgehörlosenLehrerSenß stellte derVorstanddannzum7.Februar1828–zuerstalsUnterlehrer–denerst 15jährigenFriedrichJohannHeinrichGlitza(1813–1897)ein.139Erhattebe reits an zwei Privatschulen ausgeholfen und wurde von seinem Lehrer, demseit1804anderPaßmannschenSchulelehrendenChristianLudewig Sasse,demVorstandempfohlen.GlitzaübernahmdieStundeninSchön schrift,Zeichnen,Rechnenund–vorallem–inderLautsprache.140
Abbildung 7: Friedrich Glitza
ImerstenJahresberichtderSchulewurdeGlitzasUnterrichtderLautspra chevorgestellt:141ZuerstsolltenBuchstabenundSilbenausgesprochenwer 138 Erster Bericht der TaubstummenSchule 1828, nach: Heinrichsdorff, Hamburg und das HamburgerGebiet,S.25. 139 EigentlichhießdiesermitNachnamenGlitz,erst1848,nachseinerZeitanderTaubstum menschule,änderteerseinenNameninGlitza (StAHbg,1111Senat,Senatsprotokoll1848, Band1,S.151:NamensrectificationGlitza7.4.1848). 140
ErsterBerichtderTaubstummenSchule1828,S.15.
141
Ebd.,S.16–20.
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Die Milde Stiftung Taubstummenanstalt Hamburg
den.Dazu musste der Lehrer den Schülern Laute deutlich machen: Der LehrersprachvorunddieSchülerfühltenundsahendieBewegungvon Zunge,GaumenundKehlkopf.BeidemBuchstaben„k“wurdedieZunge desSchülersmiteinemStäbchenheruntergedrückt.KonntendieBuchsta benausgesprochenwerden,wurdenersteBegriffemitHilfevonZeichen, BildernundFarbentafelnveranschaulicht.DieKinderlerntenBuchstaben undWortezuschreiben,lerntendasFingeralphabetundschließlichBegrif feundEigenschaftsworteinWortundGebärde.Worte,Handlungen,Dekli nationenundKonjugationenwurdenauswendiggelernt.Erstwurdendie sinnlichen,danndieabstraktenBegriffedurchgenommen.Schließlichkonnte mitFrageübungen,SatzbildungenundGrammatikbegonnenwerden.Mit diesen Kenntnissen konnten die Schüler Aufsätze verfassen. Zusätzlich wurden sie aufgefordert, Tagebuch zu führen, um die Sprache und das Schreibenzuüben.AusschnitteausdenTagebüchernwurdenindenJah resberichten der Taubstummenanstalt abgedruckt und erfreuten „durch ihrenichtseltendrolligenEigenthümlichkeiten“,diedurch„ihrenichtaus gemerztenMängelnundUngeschicklichkeitendenStempelderAechtheit ansichtragen.“142UnterrichtssprachewarindenhöherenKlassenalleindie Lautsprache.NurdiemoralischenErzählungen,diefüralleKindererzählt wurden,wurden,umMissverständnisseauszuschließen,mittelsGebärden vorgetragen.DerUnterrichtbegannimSommerschonum7Uhrunddau ertebis15Uhr.DieMädchenerhieltenvon12bis15UhrzusätzlichenUn terrichtindenHandarbeiten.DieErgebnissediesespraktischenUnterrichts wurdenanInteressierteverkauft,sodassdieSchülerinnenzurFinanzie rungihresAufenthaltsanderAnstaltselbstbeitrugen.AlsäußeresZeichen des Schwerpunktwechsels durch den hörenden Lehrer zur Lautsprache wies der Stundenplan der Schüler inzwischen konkret die Fächer Wort kenntnis,Satzbildung,Frageübungen,Buchstabieren,aberauchRechnen, Kalligraphie und Zeichnen auf. Zwei älteren Mädchen wurde auch das PlättenundEinlegenvonWäscheinHinblickaufihrespätermöglicheTä tigkeitbeigebracht.IndiesemerstenBerichtwurdebetont,dassalleKinder gleichbehandeltwerdenwürden,egalobsiefürdenUnterrichtbezahlten odernicht.DiePensionkostetenun350Mark,wobeidieBettstellenichtin begriffenwar,siemussteselbstmitgebrachtwerden.InderandasSchulge 142
KritischeBlätterderBörsenhalleNr.190vom17.2.1834,nach:fünfterBerichtderTaustum menSchule1836,S.20.
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bäudeangrenzendenWohnunglebtenLehrerGlitzaunddieLehrerin mit einerKostgängerin.LehrerSenßwohntemitseinemältestenSchüler,Carl ChristianMartinDiedrichs(geb.1811),derbereitsalsRepetiteurimUnter richt half, im Schulgebäude.143 Zu der Zeit waren also erst zwei Kinder ganztagsimHausuntergebracht. 3. 2 . 3 N eu e r S ch u lb a u u nd n e ue Lehre r DieAnzahlderKostgängerunterdenSchülernwuchsallerdingsschnell,so dassschonbaldKinderaußerhalbderAnstaltinPensiongegebenwerden mussten.EswarnichtgenugPlatzfürneueKostgängervorhanden,undfür den Unterricht war ein zusätzlicher Gehilfe erforderlich geworden, der ebenfallsimHausewohnensollte.DaderVorstandschonam19.Septem ber1827beschlossenhatte,wenigstenseinenSaaldazuzumieten,wurde diesVorhabenimgrößerenMaßstabnunverwirklichtunddiegesamteAn staltzum30.Mai1829indieVorstadtSt.Georgverlegt.Dortkonnteeinei genesgroßesGrundstückmitmehrerenGebäuden„imvorletztenGarten zwischenderAlsterundderKoppel“144gekauftwerden–inklusiveSpiel garten, Blumengarten und Gemüsegarten und einem Aussichtsturm auf demDacheinesderGebäude. EingetragenwurdedasGrundstückaufVorstandsmitgliedBehrmann, da die Taubstummenanstalt als nicht staatlich anerkanntes Institut kein Grundstückbesitzendurfte.ZudieserZeitwurdenbereits23Schülervon denvierLehrkräftenunterrichtet(dieLehrerGlitzaundSenß,dieLehrerin Röhl,derGehilfeHolzmann).SiebenJungenundzweiMädchenwohnten inderAnstaltundwurdenvonzweigehörlosen,gebärdendenDienstmäd chenbetreut.145DerVorstandlegtejetztauchWertaufdasTurnenimFreien– GlitzaalsaktiverTurnerundMitglieddesältestenTurnvereinsderWelt, derHamburgerTurnerschaftvon1816,146warAnregerdazuundfungierte alsVorturner.DieJungenhattensovielFreudeamTurnen,dassdieTurn 143
ErsterBerichtderTaubstummenSchule1828,S.22.
144
HamburgerAdressbuch1831,S.655.EineBeschreibungdesGrundstücksmitGarten,Hof undGebäudenfindetsichin:zweiterBerichtderTaubstummenSchule1829,S.5f. 145
CarolineGehrmann(geb.1800)undJohannaMargarethaChristineSteffens(geb.1806)wa ren aus der Werk und Armenanstalt in den Dienst der Taubstummenanstalt übergetreten (zweiter Bericht der TaubstummenSchule 1829, S. 9); sechster Bericht der Taubstummen Schule1838,S.71.
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zeiten strengreglementiertund dieTurngeräte– Stricke,Kletterstangen, ReckundBarren–nachdemEndederTurnstundewiederweggeschlossen wurden.147DieKinderliefenaufderhinterdemHausgelegenenAlsterim WinterEisundbadetendortimSommer.
Abbildung 8: Schule An der Koppel 45
Behrmann alsunbesoldeterAnstaltsdirektorermöglichtedurchsparsame HaushaltsführungeineAnzahlvonFreiplätzenfürgehörloseKindermin derbemittelterEltern.148AufdemAnstaltsgrundstückanderKoppelhatte eraucheineWohnung,die–späterausgebaut–1914zumDirektorwohn hauswurde.DortlebteBehrmannbis1856,um„seinerAnstalt“nahezu sein,indererselbstlehrendaktivwar,denKindern„moralischerbauliche ErzählungenguterSchriftsteller“vermittelteundab1836danneineeigene 146
IrisGroschek,AufklärendurchHandeln.DiekleinenRevolutionendesFriedrichGlitza (1813–1897),in:Auskunft.MitteilungsblattHamburgerBibliotheken22.Jahrgang(2002)Heft1, S.36–64.
147
ZweiterBerichtderTaubstummenSchule1829,S.10.
148
StaatlichePressestelle,150JahreGehörlosenbildung,S.5.
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KlassederanderSchulelernendenschwerhörigenKinderbildete. 149Erwar esauch,derdieJahresberichtederTaubstummenanstaltalsWerbeschriften herausgabunddieKorrespondenzenderTaubstummenanstaltführte.Im drittenBericht,derdieSchulzeitvon1830bis1831umfasste,wurdestolz festgestellt,inzwischenschon57.000MarkdurchSpendenfürdieAnstalt zurVerfügungzuhaben.FürguteKaufleutesolltesichinVorstandsaugen dieAnstaltauch„rechnen“,jederJahresberichtenthieltdaherdetaillierte AngabenzuSpenden,EinundAusgaben.Das„Unglückdertaubstummen Kinder“wurdezwar immerwiederbeschworen, aber dochauchfestge stellt,dassdiesesichspäterbestensumihreneigenenUnterhaltkümmern könnten. Der Unterricht enthielt dazu auch praktische Anleitungen. Die JungenbestellteninderSchulzeiteineneigenenKartoffelacker,während dieMädchendiezumKaufbestimmtenHandarbeitenverrichteten. SoerfolgreichdieAnstaltinderÖffentlichkeitdastand,sokonfliktreich wurdeinterngestritten.AusderLehrerKonstellation–aufdereinenSeite derselbstgehörloseSenß,aufderanderenSeitederVorstand,dersichzu nehmendfürdieLautsprachlehreaussprach–ergabensichimmerwieder Auseinandersetzungen,daSenßselbstsichfürdieGebärdenspracheund gegendieLautspracheeinsetzteunddamitaufwachsendeGegnerschaftim Vorstandtraf.DerVorstandlobteGlitza,denner„verhinderte,dassdieAn staltdemfranzösischenGebärdenkultusvölligverfiel“.150 Inzwischenwar der Vorstand von den Vorzügen der Lautsprachmethode überzeugt und wolltedieKindernachHeinickes Vorbildmitder„deutschenMethode“ lernenlassen.SokamesschonbaldzuDifferenzen,daSenßimUnterricht SchriftspracheunddasfranzösischeFingeralphabetbenutzte.Daherver ließSenßam17.Mai1830dieHamburgerAnstalt.ImHerbst1829hatteer dieKündigungeingereicht,derimfolgendenJahrderVorstandderAnstalt zustimmte.ImAprilfolgtenocheinöffentlichinderZeitungausgetragener StreitzwischenSenßundBuek überdierichtigeLehrmethode.Inseinem abschließenden Zeugnis bescheinigte der Vorstand Senß zurückhaltend undknapp,dassdieserdieSchüler„mitFleißundLiebeunterrichtethat, unddasswirmitdenwissenschaftlichenFortschrittenderselbenimallge 149 150
Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.36.
Söder,Blinden,IdiotenundTaubstummenbildungswesen,S.371ff.;StAHbg,3612IIOSB II,B129Nr.3,ZeugnißdesHerrnDr.H.W.Buek,VorstandesderHamburgerTaubstummen anstalt,überdieWirksamkeitdesDirectorsderselben,FriedrichGlitza,namentlichindenJah ren1841bis1850,27.2.1869.
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meinenwohlzufriedensind.“151SeineEntlassungerfolgte„durchsehrtrif tigeGründe“,denndurchden„tauben,höchstunverständlichsprechenden Senß“ließesichnaturgemäßkeinSprechunterrichterteilen.152 1832erhielt Senß eine Anstellung an der neu gegründeten Taubstummenanstalt von Riga153.SpäterunterrichteteermehrereJahrelanganderTaubstummenan staltinSt.Petersburg,bevorernachBerlinzurückkehrteunddortab1845 erneutimKultusministeriumarbeitete.ErschriebdorteineBiografieseines LehrersKarlHabermaß.154NachseinerPensionierungkehrteSenßinseinen GeburtsortnachGranseezurück,woer1868starb.155 GlitzawurdenachSenß´WeggangältesterLehrerundfürdenentlasse nenGehilfenCarlWilhelmPhilippHolzmann,derdieanihngestelltenEr wartungen nicht erfüllt hatte, wurde der 16jährige Peter Daniel Möller (1815–1886) eingestellt. Möller sollte derjenige in der Geschichte der HamburgerTaubstummenanstaltwerden,derdieGebärdensprache„aus rottete“156–soheißtesimRückblickausdemJahre1887wörtlich,wasdie inzwischen ausschließlich negative Wahrnehmung der Gebärde und des Fingeralphabetsunterstreicht. NebendemUnterrichtwurdedaszukunftsweisendepraktischeArbei tenausgeweitet.Ab1830erhieltendieJungenderAnstaltUnterrichtvonei nem Tischlermeister. Die Mädchen bekamen – Henriette Röhl hatte die SchuleimHerbst1830verlassen–bisMai1833vonderWitweMeiners Handarbeitsunterricht.FrauMeinershatte zuvoreineIndustrieschulege leitet,indersieErfahrungenmitdemHandarbeitsunterrichtvonMädchen gewonnenhatte.DieseArbeitwurdemitderZeitzumreinenUnterrichts gegenstandundwar,dadurchausgenügendSpendeneintrafen,nichtmehr aufNebenerwerbausgerichtet.AbMai1833kamalsHandarbeitslehrerin 151
Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.30.
152
Ebd.,S.33.
153
Diese musste mangels geeigneter Lehrkräfte nach seinem Weggang wiedergeschlossen werden(Vogel,Taubstummenpädagogik,S.58).
154
OttoFriedrichKruse,DerTaubstummeimuncultiviertenZustandenebstBlickenindasLe benmerkwürdigerTaubstummen,Bremen1832,S.126–133,nach:Vogel,Taubstummenpäd agogik,S.56.
155 OttoFriedrichKruse,ÜberTaubstumme,TaubstummenBildungundTaubstummenAn staltennebstNotizenausmeinemReisetagebuche,Schleswig1853,S.370,nach:Vogel,Taub stummenpädagogik,S.58. 156
Söder,Blinden,IdiotenundTaubstummenbildungswesen,S.373.
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dieebenfallsverwitweteCorneliaGlitz(1788–1848),dieMutterdesersten LehrersFriedrichGlitza,andieSchule.SiezogmitihrenKinderneinund ihreältesteTochterfinggleichalsweitereHilfeihrerMutter,dienebendem praktischenUnterrichtauchdie„Ökonomie“zuleitenhatte,beiderBe treuungderinderAnstaltwohnendenKinderundJugendlichenan.Im März1833fanddieersteKonfirmandenprüfungdurchPastorDr.Valentin AntonNoodt (1787–1861),demBruderdesVorstandsmitgliedsChristoph ChristianUlrichNoodt,unddamitdieersteAbschlussprüfunganderAn stalt statt. Die beiden Jungen, von denen einer schriftlich, der andere mündlichaufdieFragendesPastorsantwortete,wurdeninAnwesenheit derVorsteherderAnstaltunddarüberhinaus60Gästengeprüft.157
Abbildung 9: Fingeralphabet nach de l´Epée aus einem Leipziger Kalenderbuch
157
DerAblaufderPrüfungwirdgeschildertimviertenBerichtderTaubstummenSchule1834, S.46–55.
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3.2.4 Der Wandel vo n der kombin ier ten Met hode zur Lautsp rachmet hod e DierichtigeMethodefürdieGehörlosenpädagogikwarweiterhineinviel diskutiertes Thema. Taubstummenlehrer des deutschsprachigen Gebietes warensichdurchausnichteinig,obnurdieSchriftspracheoderobLaut undSchriftspracheHauptzielderGehörlosenausbildungseinsollte.Esgab immerwiederStimmen,diesichgegendie„deutscheMethode“desrein lautsprachlichenUnterrichtsaussprachen.Siesahen–bestärktdurcheinen fehlgeschlagenen eineinhalbjährigen rein oralen Versuch in der Berliner Anstalt1831–einezuschlechteAusbildungderGehörlosendamiteinher gehen. Diese Methode würde den Unterricht verlangsamen, zu ungenü gendenErgebnissenführenundeineminderwertigegeistigeBildungGe hörlosernachsichziehen.158AbermehrnochwurdedieGebärdensprache alsHemmniseinerLautsprachentwicklunggefürchtet,derenKenntnisin SchriftundSprachealsZielderAusbildungundderAkzeptanzinderGe sellschaftgesehenwurde.BereitsaufdemerstennationalenTaubstummen lehrerTreffen1846inEsslingensprachensichTaubstummenlehrerdafür aus,dieGebärdensprache,wennGrundkenntnissederLautsprachegelernt wordenseien, vollständigzuverbieten,außerdemdieKinderschon vor Entwicklung einer Gebärdensprache für dann mindestens zehn Jahre in AnstaltenaufzunehmenunddenKontaktzuHörendenzufördern.159 Der EntschlusszurreinenLautsprachlehrewurdemitderZeitauchfürHam burgbekräftigt.Noch1838wareine„richtigundgenaubezeichnendeGe berdensprache“inderAusbildungGehörlosernachHamburgerMeinung unerlässlichunddiejungenTaubstummenlehrersolltendieseSprache be herrschen.160MitHilfederBildungwerdeauseinem„verschlossenen,trüb sinnigen,theilnahmslosenMenschen“ein„heiterer,theilnehmender,mitt heilenderMensch“,solobteVorstandsmitgliedBehrmanndieeigeneSchule, in der die gehörlosen Schülerinnen und Schüler „mitder Schriftsprache 158
InBerlinkonntendiegehörlosenSchüler,diereinlautsprachlichunterrichtetwurden,zwar sprechenundabsehen,hattenaberselbstbeieinfachenSätzenkeininhaltlichesVerständnis überdas,wassiesagtenoderablasen.UndauchdieUnterdrückungderMimikseieineGe waltanwendunganderNatur(zehnterBerichtderTaubstummenSchule1850,Berichtüber dieersteTaubstummenlehrerVersammlunginEsslingen1846,S.30–44,hierS.43).
159
Ebd.,S.42.
160
SechsterBerichtderTaubstummenSchule1838,S.101.
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undinmanchenFällenauchmitderLautsprache“vertrautgemachtwur den.AufalleFälleaberkönntendiegehörlosenAbsolventensich„vermit telsteinerausgebildeten,ausdrucksvollenGeberdensprache“leichtmitan derenMenschenverständigenundhätteneinerundumguteGrundbildung undinnereReligiositäterhalten,dieihnenden Wegbahne„zueigenem BrodundeigenemHeerde[...]hinausindieWelt“.161Behrmann,derinei nemHausaufdemAnstaltsgeländewohnte,beobachtetedienonverbale KommunikationdergehörlosenSchülerinnenundSchülermitdeneben fallsgehörlosenDienstmädchenwährendderfreienStunden.DieseArtder KommunikationschlossjedochLehrerGlitzazumindestfürseinenUnter richtbaldaus.DennauchfürGehörlose,daschlosssichdieAnstaltdem TaubstummenlehrerE.A.Wirsel ausBührenan,seidieunmittelbareund fühlbareartikulierteSprachedasnatürlichsteUnterrichtsmittel.Gehörlose müsstenzuerstsprechenlernen,daohnedieArtikulationdiegeschriebene SpracheeinetoteSprachesei.162SobalddieLautsprachegelerntwordensei, solltedieGebärdeimUnterrichtnichtmehrangewandtwerden.Glitzaals ersterLehrerderHamburgerAnstaltweiteteseineMethodikdesLautie rensundSprechensweiteraus.Erführte,„alseinerderErsten,wennnicht derErste“eineMethodeein,beiderdieSchülerinnenundSchülergleich zeitigimSchreiben,Lesen,SprechenundAblesenÜbungerhielten–der UnterrichtalsoinLautsprachegeführtwurde.DieGebärdensprachewurde zunehmendverdrängt.GlitzasMethodefandNachahmerundbrachteder HamburgerAnstalteinenvorbildlichenRuf.163 Eine bessere Kommunikation mit anderen Taubstummenanstalten er laubte eine klarere Methodendiskussion. Schon 1834 war Direktor Behr mannnachEnglandgereist,umsichandendortigenTaubstummenanstal tenzuinformierenundeinenInformationsaustauschzwischendenAnstalten zu begründen. Zehn Jahre später, im September 1844, wurde die Ham burgerTaubstummenstaltimGegenzug von auswärtigen Taubstummen lehrern besucht.164 Darunter waren so bedeutende Persönlichkeiten wie 161
NeunterBerichtderTaubstummenSchule1847,S.13f.
162
ZwölfterBerichtderTaubstummenSchule1856,S.16.
163
StAHbg,3612IIOSBII,B129Nr.3,ZeugnißdesHerrnDr.H.W.Buek,Vorstandesder Hamburger Taubstummenanstalt, über die Wirksamkeit des Directors derselben, Friedrich Glitza,namentlichindenJahren1841bis1850,27.2.1869. 164
BerichtederBesucherüberdieHamburgerAnstaltin:Heinrichsdorff,Hamburgunddas HamburgerGebiet,S.38–40;Lane:MitderSeelehören,S.383–391.
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ProfessorLéonVaîsse (1859–1872),derspäterDirektorderPariserTaub stummenschulewurde,LewisWeld (1796–1853),LehrerundspäterLeiter dererstenamerikanischenGehörlosenschuleinHartfordundPastorGeorge E.DayvonderNewYorkerSchule,diesämtlichzumStudiumeuropäischer MethodeninverschiedeneLänderEuropasgeschicktwordenwaren.Zuvor warDr.SamuelGridleyHowe (1801–1876),LeiterdesBlindeninstitutsin Boston und Lehrer der berühmten taubstummblinden Laura Bridgman (1829–1889) in Europa gewesen, hatte ebenso Taubstummenanstalten in Deutschland besucht und nach seiner Rückkehr, beeindruckt durch die SprechKenntnissederGehörlosen,positivüberdieoralorientierteMethode berichtet.DaraufhinhattenHartfordundNewYorkebenfallsihreVertreter aufeineInformationsreisenachDeutschlandgeschickt.165 Auchwenn die BerichtedieserLehrernichtmehreinhelligpositivgehaltenwaren–obwohl ihnendieHamburgerSchulemitihrenbegabtenSchülernimLippenlesen undSprechenaufgefallenwar–,166wurdealsErgebnisderInformationsreise durchverschiedeneTaubstummenanstaltenEuropasindenamerikanischen TaubstummenschulenvonHartfordundNewYorkArtikulationsunterricht eingeführt.167AuchParissetzteunterVaîssevermehrtaufdieLautsprache– derSiegeszugdesOralismusumdieWelthattebegonnen.168 3. 2. 5 S chüler DieKinderundJugendlichen,dieanderTaubstummenanstaltAufnahme fanden, kamen mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen. Sie waren zwischenachtund20Jahrealt,manchehattenbereitsprivatoderinande renTaubstummeninstituteneineersteAusbildungerhalten,manchewaren vonGeburtangehörlos,andereinfolgevonKrankheitoderUnfällener 165 ErnstEmmery,BilderatlaszurGeschichtederTaubstummenbildungmiterläuterndemText, München1927,S.215. 166
Lane,MitderSeelehören,S.386–391.EinArgumentwar,dassdieSprachederSchülerfür Hörendeohnehinunverständlichsei,undzuvielZeitundGeldwürdefüreinenichtoptimale FähigkeitimLippenlesengeopfertwürden;AuszügeausdenfürHamburgpositivausfallen denBerichtenfindensichin:neunterBerichtderTaubstummenSchule1847,S.58–62. 167
DieserVersuchscheitertejedochausheutigerSichtletztlichundwarfürdieAusbildung derGehörloseninsgesamtnichtförderlich(Lane,MitderSeelehören,S.389ff.).
168
NurwenigeangeseheneTaubstummendirektorenändertenihreMeinung,sowieVaîsse, deramEndeseinesLebensdiereineOralmethodefürgescheiterterklärteunddiekombinierte Lehrmethodefürsinnvollererachtete(Lane,MitderSeelehören,S.476).
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taubt.169 GeradedieälterenSchülerinnenbliebennichtlangeanderAn stalt,dadieElternsiezuhausebenötigten.Soverließen1829nachnurei nemodergeradezweiJahrenSchulunterrichtbereitssiebenMädchenmit 18bzw.19JahrendieAnstalt,ohneKonfirmationunddamitohneeinen Bildungsabschlusserreichtzuhaben.ZweiweiteregehörloseFrauenblie benalsHaushaltshilfenanderAnstalt.170 DieerstenJungen,diedieAn stalt verließen, wurden Böttcher, Tagelöhner, Korbmacher und Klemp ner.171 FrühwurdenbegabteSchüleralsUnterrichtshilfenangelernt.Der erstedieserSchüler,dernochdurchLehrerSenßausgewähltwurde,war CarlChristianMartinDiedrichs.DiedrichshattemitfünfJahrenseineEl ternverlorenundwarimWaisenhaus,imKrankenhofundimWerkund Armenhausaufgewachsen,bevorereinerdererstenSchülerderneuen Taubstummenanstaltwurde.172ErwarfleißigundbesondersgutimRech nen,ZeichnenundTurnen,nichtjedochinderLautsprache.Unddader Vorstandihmdamiteine„AbneigunggegenGeistesArbeiten“attestierte, sollteernachdemWeggangseinesFürsprechersSenßschließlichzuei nemTischlerindieLehregegebenwerden.AlsDiedrichssichdagegen wehrte, wurde er im Oktober 1830 aus dem Schulleben zurück in das Werk und Armenhaus geschickt. Der 19jährige junge Mann floh aus demHaus,konntesichalleineabernichtinderStadtdurchschlagenund 169
SowirdvomSchülerJohannHeinrichWendtberichtet,erseiimAltervonachtJahrenin FolgevonmehrerenSchlägenseinesSchullehrersmiteinemdickenBuchaufdenKopfertaubt (vierterBerichtderTaubstummenSchule1834,S.10)oderauchderAnblickundVerkehrmit GehörlosenwährendderSchwangerschaftwirdvonElternalsGrundfüreintaubgeborenes Kindgesehen(sechsterBerichtderTaubstummenSchule1838,S.13).DieGründederTaub heitderHamburgerSchülerwerdenimsiebentenBerichtderTaubstummenSchule1841auf S.10aufgelistet. 170
ZweiterBerichtderTaubstummenSchule1829,S.8–9.DieNamendererstenSchülerinnen undSchülerderAnstaltfindensichimerstenBerichtderTaubstummenSchule1828,S.13f.
171 172
DritterBerichtderTaubstummenSchule1832,S.7–8.
StAHbg,3541Waisenhaus,IVCII5,S.288Nr.8und9.NachdemTodderElternwurden CarlChristianMartinundseinältererBruderJohannHeinrich am22.1.1817indasWaisen hausaufgenommen,woseitdem30.10.1816bereitsdieSchwesterundeinjüngererBruder vomanSchwindsuchterkranktenVaternachdemTodderEhefraulebten(Nr.153und154auf S.274).ZuerstwolltederVater1816diejüngstenSöhneindasWaisenhausbringen,dochwur deCarlChristianMartinaufGrundseinerTaubheitdurchdengehörlosenKommissionsrat John Pacher untersucht und nach Feststellung der Taubheit vom Waisenhaus abgewiesen (ebd.,NotizReimarusvom19.10.1816).DieWegederGeschwistertrenntensich.JohannHein richversuchte1846miteinemSchreibenandasWaisenhausseinenochlebendenjüngeren Brüderwiederzufinden(StAHbg,3541Waisenhaus,Kinderakte153/1541816).
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stimmteschließlicheinerTischlerlehrezu.1731846wareralsTischlergeselle aufSt.Paulitätig.174 AuchSchülerjüdischenGlaubenswarenunterdenerstenSchülernder HamburgerAnstalt,daschonwährendderAnstaltsplanungversprochen wurde,dieKonfessionderSchülerzuberücksichtigen,indemihnenbei spielsweiseanjüdischenFeiertagenundSamstagenfreigegebenwurde.175 Diesbedeuteteallerdingsnicht,dasssievonmoralischenoderchristlichre ligiösenErzählungenausgeschlossenwurden.VonderEröffnungderSchu lebisOktober1835besuchtederHamburgerSohneinesMusiklehrersLevi Löwenberg(geb.1820)dieSchule,eineherwilderJunge,dermitVorliebe SpäßetriebundfürdenseineLehrereineKlempnerlehrevorgesehenhat ten.DaLöwenbergabersehrgerneundgutzeichnete,wurdederJunge schließlichinder(erstennorddeutschen)LithographenanstaltvonJohann MichaelSpeckter (1764–1846)Steindrucker.176 AuchdieGeschwisterBeh rensausLüchow,diezumUnterrichtindieSchulekamen,aberbeiVer wandteninderStadtwohnten,warenjüdischenGlaubens.Dertaubgebo reneBernhardBehrens(geb.1818)hatteseineersteAusbildunginBerlin erhalten. VondortkamernachfastdreijährigemSchulbesucham4.No vember1828andieHamburgerSchule.177ErlerntehierdieSchriftsprache. DaerbeiseinenVerwandtenwohnteunddorteinepraktischeAusbildung erhieltundzudemanjüdischenFeiertagennichtundanchristlichennur seltendieSchulebesuchte,hatteerindenAugenseinerLehrernichtgenug lernenkönnen.SeineSchwesterFriederike dagegen,„einäußerstlebhaftes
173
DritterBerichtderTaubstummenSchule1832,S.6–7.
174
StAHbg,3541Waisenhaus,Kinderakte153/1541816,NotizaufSchreibenJohannHeinrich DiedrichsandasWaisenhaus14.2.1846.
175 „Versprechen,daßnämlichbeydemReligionsUnterrichtederZöglingedieConfessionih rerÄlternberücksichtigtwerdenwird“(ersterBerichtderTaubstummenSchule1828,S.20). 176
Im vierten Bericht der TaubstummenSchule 1834, S. 19–44 und im fünften Bericht der TaubstummenSchule1836,S.49–64sindausführlicheAusschnitteausLeviLöwenbergsTage buchabgedruckt.Zur LithographenanstaltvonJohann MichaelSpeckterund seinem Sohn OttosieheVeronikaBraunfels,OttoSpeckter(1807–1871).IllustratorundLithographinHam burg(VeröffentlichungendesVereinsfürHamburgischeGeschichteBand39),Hamburg1995. InderSpeckter’schenLithographischenAnstaltwarennochweiteregehörloseLehrlingetätig, beispielsweiseTheodor Kramer(geb.1820),sechsterBerichtderTaubstummenAnstalt1838, S.41.
177
AngabenzuBehrensausdemviertenBerichtderTaubstummenSchule1833,S.8.
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Kind,mitglücklichenAnlagenundeinnehmenderGesichtsbildung“178hatte einesehrguteAussprache,sodassihreGehörlosigkeitschoneinmalvon auswärtigenBesucherninFragegestelltwurde.179 SieerhieltvonMai1829 bisJuni1832inderSchuleUnterricht,währendsieineinerPensioninder Stadtwohnte.AngstvorderCholeraveranlassteihrenOnkel,sieausSchule undStadtzunehmen. HamburgwurdezudieserZeiterstmalsvongroßenCholeraEpidemien heimgesucht.SchwereAusbrüchederKrankheitforderten1832inderStadt über 1.600 Tote. Als Mediziner nahm sich der Vorstandsvorsitzende der Anstalt,Buek,diesesThemasbesondersan.ErveröffentlichteeinigeBü cherüberdieCholeraundihreAusbreitung.180AlsAnhängerdertraditio nellenMiasmalehre,diedieVerbreitungderCholeraaufAusdünstungen ausverseuchtemGrundwasserunddamitaufihreVerbreitungdurchdie Luftzurückführte,wurdeninderSchuledieTagesschülervorsorglichvom Unterrichtausgeschlossen.EswurdenRäucherapparateaufgestelltundda miteineständige„Desinfektion“derLuftdurchgeführt.DieSchüler,diein derStadtwohntenundnurzumUnterrichtindieSchulekamen,wurden fürdieDauerderEpidemiegebeten,zuHausezubleiben.DaeinigeKin der im Werk und Armenhaus wohnten, wurde der seit Gründung der Taubstummenanstalt hier lernende 21jährige Schüler Johann Heinrich Boldt(1810–1833)angewiesen,dieseeineZeitlangzuunterrichten.181 GutsprechendeundablesendeSchülerwarendasAushängeschildder Schule.DiesenwurdeFleißundBegabungzugesprochen.Rückmeldungen vonehemaligenSchülernwurdenzumBeweisdergutenArbeitgerneindie Jahresberichteaufgenommen.SoschriebJohannHeinrichWendt(geb.1813, 1833ausderSchulemitKonfirmationentlassen)anseinenehemaligenLeh rer:„[…] wäreichnichtinihrerAnstalterzogen,ichwärelebenslangein ThiergebliebenundjetztbinicheinMensch.Ichbinzwartaub, aberich kannmitallenLeutensprechenundfühlemichfrohundglücklich.“182 178
VierterBerichtderTaubstummenSchule1833,S.9.
179
Ebd.,unddritterBerichtderTaubstummenSchule1832,S.27.
180
Genanntseienu.a.HeinrichWilhelmBuek,DieVerbreitungsweisederepidemischenCho lera,mitbesondererBeziehungaufdenStreitüberdieContagiositätderselben,Halle1832; ders.,DieVerbreitungderinRußlandherrschendenCholera.ErläutertdurcheineKarteund dieGeschichtederEpidemie,Hamburg1831.
181
DritterBerichtderTaubstummenSchule1832,S.12f.
182
VierterBerichtderTaubstummenSchule1833,S.11.
76
Die Milde Stiftung Taubstummenanstalt Hamburg
Abbildung 10: Gebäude der Taubstummenanstalt in St. Georg, Zeichnung von Levi Löwenberg
Trotzdem entließen ihn zwei Meister nach Lehrbeginn, letztlich wurde WendtbeiseinemVaterbeiHannoverzurLehreaufgenommen.183Auchan deregutsprechendeSchülerwurdenherausgehoben:SozumBeispielJo hannChristianFriedrichWitt(1821–1834),einHamburgerJungeausärmli chenVerhältnissen,deralsFreischülerinderAnstaltwohnte.Erwarschon beiderEröffnungderAnstaltangemeldetworden,aberalszujungvorerst zurückgestelltworden.SchließlichkonntedersiebenjährigeJungeimJuni 1828eingeschultwerden,einJahrspäterwurdeerindasInternataufge nommen. Er war der beste Schüler im Sprechen, Lippenlesen und im schriftlichenAusdruck,schriebauchGedichteundwurdedamitvonden LehrernalsbesterSchülerinAuffassungsvermögenundGedächtniseinge stuft.184 Sein überraschenderTod schockierteSchüler und Lehrer,war er doch„derStolzseinerLehrerunddieZierdeunsererSchule.“185
183
Ebd.,S.11
184
Ebd.,S.13.
185
FünfterBerichtderTaubstummenSchule1836,S.15.
Vom Dammtor zur Bürgerweide (1827–1881)
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ZweiehemaligeSchülerkonntenalserfolgreicheKaufleuteinHamburg Karrieremachen: JohnPacher (1842–1898)undErnst AlphonsHirschfeld (1832–1858) aus Altona. Der taub geborene Sohn des Kaufmanns Carl Hirschfeld erhieltseineAusbildunginderTaubstummenanstaltvon1839 biszuseinerKonfirmationOstern1850.Deralsbescheiden,bedächtigund hilfsbereitcharakterisierteHirschfeldwarderbesteLippenleserderTaub stummenanstalt.GerühmtwurdeseineFähigkeit,beiTagesundKerzen scheinauseinerEntfernungvonbiszu30SchrittendieLippenseinesGe sprächspartnerslesenzukönnen.186 Erhatteeineraue,aberverständliche Aussprache,dieihmimKontaktmitHörendenhalf.Der18jährigekonnte auf Grund seines sehr guten Gedächtnisses mündliche Vorträge inhalts undwortgetreuschriftlichwiedergeben.ErbegannseineAusbildunginei nemDekorationsgeschäftamNeuenWallundwolltespätereineAkademie besuchen,umsichimZeichnenweiterzubilden.Erkonntesichabersehr bald mit einem Tapeziergeschäft (Hirschfeld & Lüdeking) selbstständig machen.187 Alphons´zehnJahrejüngererBruderPaul wurdeebenfallsan der Taubstummenschule unterrichtet, zusammen mit dem gleichaltrigen JohnErnestPacher,derwieerauseinerinAltonaansässigenKaufmanns familiestammte.188BeidesolltensichspäterinderGehörlosengemeinschaft mitihrenAktivitäteneinenNamenmachen.PacherwurdeimOktober1847 anderSchuleaufgenommen,nachdemerimJanuardesselbenJahresnach einerScharlacherkrankungertaubtwar.TäglichbrachtederVaterdenSohn „imCabriolet“zurAnstalt.189Pacherfielnichtbesondersauf,konntealler dingssehrgutsprechenundLippenlesen.NachseinerKonfirmation1858 erlerntePacherdiePorzellanmalereiinOttensenundbildetesichspäterals Lithographweiter.Am10.Januar1865machteersichmiteinereigenenLi thographieAnstalt,dieihrenSitzinderReichenstrasse45inderHambur 186
ZehnterBerichtderTaubstummenSchule1850,S.59;neunterBerichtderTaubstummen Schule1847,S.77.
187
FünfzehnterBerichtderTaubstummenAnstalt1859,S.13f.
188
ZuPachersieheRenateFischer/KarinWempe/SilkeLamprecht/IlkaSeeberger/JohnE. Pacher(1842–1898)–ein„Taubstummer“ausHamburg,in:DasZeichen.ZeitschriftzumThe maGebärdenspracheundKommunikationGehörloser32(1995),S.122–133und33(1995),S. 254–266;IrisGroschek,JohnPacherunddieHamburgerTaubstummenvereine,in:DasZei chen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheundKommunikationGehörloser34(1995),S. 409–411.
189
ZehnterBerichtderTaubstummenSchule1850,S.63.
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Die Milde Stiftung Taubstummenanstalt Hamburg
gerAltstadthatte,selbstständigundwurdeeinerfolgreicherUnternehmer. Ab 1874 nahm Pacher regelmäßig an Internationalen Taubstummenkon gressenteil.1875gründeteerzusammenmitanderenGehörlosen,diein derHamburgerTaubstummenanstaltausgebildetwordenwaren,denersten HamburgerTaubstummenverein.1877heirateteerdiegehörloseIdaFreiin von Münchhausen.Zwei Jahre später wurde PachersFirma Hoflieferant desDeutschenKronprinzen,1884wurdeihmderTiteleinesKommissions ratesdurchdenHerzogvonCoburgGothaverliehen.Pachervergrößerte seinenBetriebundbauteeinealskaiserlicherHoflieferantausgezeichnete LithographieFabrikimheutigenStadtteilUhlenhorstauf,damalseinVor ortvonHamburg.InderFabrikgabesdreiAbteilungen–fürLithographie, DruckereiundBuchbinderei–inderüber40Mitarbeiter,davoneinDrittel gehörlos,tätigwaren.NachdemTodseinererstenFrauheiratetePacher nochzweimal.SeineEhenbliebenkinderlos. Auch schwerhörigeKinder wurden zunehmendan der Schuleaufge nommen und bald gesondert unterrichtet.190 1837 wurden bereits sieben schwerhörige bzw. spätertaubte Schülerinnen und Schüler, die auf der VolksschuledemUnterrichtnichtmehrfolgenkonnten,unterrichtet.Die HörförderungführtebeieinigenKinderndazu,dasssienacheinigerZeitin Volksschulen eingeschult werden konnten. Manche Unterrichtsstunden wurdenvonschwerhörigenundgehörlosenKinderngemeinsambesucht. UnddurchdenAufenthaltinderAnstalt,„imUmgangmitdentaubstum menHausgenossenundZöglingen“konntenschwerhörigeKinderwieAu gusteEggers (geb.1822)alsDolmetscher„zwischenGehörbegabtenund Taubstummen“fungierenunddadurchihrSelbstbewusstseinstärken.191 3. 2. 6 Anerkennung und Ausba u der Ans t alt DieHamburgerAnstaltkonnte1841aufAntragdesVorstandesderStif tungTaubstummenanstalteineersteAnerkennungdurchdenSenaterrei chen,derderAnstaltdieGrundsteuererließ.192 Dochschon1842wurden die Einnahmen, wenn auch geringer als befürchtet, infolge des Großen HamburgerBrandes,derauchdenBesitzderSpenderderAnstalttraf,ver 190
SiebenterBerichtderTaubstummenSchule1841,S.14f.
191
Ebd.
192
StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QdNo.9Vol.1,Bl.3.
Vom Dammtor zur Bürgerweide (1827–1881)
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ringert.Am5.Mai1842warausunbekannterUrsacheinderHamburger DeichstraßeeinFeuerausgebrochen,dassichaufGrundvonTrockenheit undWindraschaufdiegesamteInnenstadtausbreitete.ErstnachvierTa genkonntederBrandgelöschtwerden.51MenschenwarenindenFlam men umgekommen, über 4.000 Wohnungen waren zerstört, so dass fast 20.000Menschenobdachlosgewordenwaren;dasRathaus,dieBank,das Archiv,diealteBörse,fastsämtlicheöffentlicheGebäudewarendurchdas Feuerzerstörtworden,ebensosiebenKirchen,darunterauchdieHauptkir chenSt.PetriundSt.Nikolai–undhättederWindnichtkurzvordenTo renSt.Georgsgedreht,sowäreauchdieTaubstummenanstalteinOpfer derFlammengeworden.193 Am 1. Oktober 1848 starb die Mutter des ersten Lehrers, Cornelia Glitz,194diedieÖkonomieunddenweiblichenHandarbeitsunterrichtgelei tethatte.IhreältesteTochterMarie(1817–ca.1882)übernahmihrAmt.So bliebdieFamiliederTaubstummenanstaltweiterverbunden,dennFried richGlitzaselbst,der1842vomVorstandzumSchuldirektorernanntwor denwar,verließdieSchuleOstern1849.ErhattedasGesichtderSchule undihrenRufdurchseineArbeitsweiseüber23Jahregeprägt.Buek als VorstandderAnstaltentließseinenerstenLehrernichtohneihmeinsehr gutesZeugniszuschreiben,indemerihnalsaußergewöhnlichenMann schildert,dengehenzulassenBueksichtlichschwerfiel:„Freilichwarsein WirkenanunsererAnstalteinsoverdienstliches,soalleunsreErwartun genübertreffendes,sosegenreiches,dasswirwohlsagendürfen,erhatsie zudemgemacht,wassiezuseinsichwohlrühmendarf,einederbesten AnstalteninDeutschland.“ÜberGlitzasArbeitunddidaktischenFähigkei tenberichtetBuek:„Schonsehrbald,nachdemihmdieLeitungderSchule übertragenwar,wussteersichvondemdurchSensseingeführtenSchlen drianderalten,aufdieZeichensprachebegründetenUnterrichtsmethode freizumachen;erführte,einerderErsten,wennnichtderErste,undjeden fallsselbständig[...]einezweckmäßigereMethodedesUnterrichts,durch gleichzeitigeUebungderZöglingeimSchreiben,Lesen,SprechenundAb sehenvomMundemitgänzlicherBeseitigungderZeichenspracheein,eine 193
ZumGroßenHamburgerBrandsiehe:ClaudiaHorbas,EsbrannteanallenEckenzugleich: Hamburg1842[anlässlichderAusstellungimMuseumfürHamburgischeGeschichtevom21. November2002–23.Februar2003],Heide2002;Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburger Gebiet,S.36f.
194
StAHbg,5127St.Michaelis,E17,Sterberegister1846–1850,S.270Nr.20.
80
Die Milde Stiftung Taubstummenanstalt Hamburg
Methode,dieseitdemauchinanderndeutschenAnstalten[...]angenom men ist, dieer aberdurchihmeigenthümliche, genialeAuffassungund praktischesGeschickzueinemGradederVervollkommnungbrachte,die ihndieglücklichstenErfolgeerzielenließundderhamb[urger]Anstaltdie allgemeinsteAnerkennung,alseinerderbesten,keinerandernnachstehen den,erwarb“.195 GlitzagründeteeinpaarJahrespäterzusammenmitsei nemBrudereineerfolgreicheeigeneprivatehöhereBürgerschule.196Glitzas StellealsersterLehrerwurdedurchdenLehrerMöller ausgefüllt.Dieser heirateteimfolgendenJahrMarieGlitz.MöllerwarfürdenUnterrichtsei nerSchülerundseineFrauMariefürdasInternatunddieHaushaltsfüh rungzuständig.197 Am25.März1856starbnach30JahrenEinsatzfürdieTaubstummenan staltAnstaltsleiterundVorstandsmitgliedDirektorJ.H.C.Behrmann,der in seinemTestamentverfügte,dieTaubstummenanstaltsolledemSenat übergebenwerden:„DaindeßnachmeinemAusscheidensichschwerlich Jemandfindendürfte,dergeneigtseynmöchte,dieDirectionderAnstalt unentgeltlichzuübernehmen[...]soerlaubeichmir,dieSorgefürdiehiesi ge TaubstummenAnstalt Einem Hochedlen und Hochweisen Rathe zu übertragen[...]“.198 DochdieserPlanscheiterteamWiderspruchderübri genVorstandsmitglieder,dieeineSupplikmitderBitteumAblehnungan denSenatrichteten. DaraufhinerklärtendieSenatorenDr.AmideCha peaurouge (1800–1860) und Dr. Carl Friedrich Petersen (1809–1892) im April1856,dassderStaatnichtgesonnensei,aufdiesesTestamenteinzuge hen.199AlswichtigerweitererSchrittwurdeam2.JulijedochdieSchuleder AnstaltdurchdenSenatanerkannt.200NachBehrmannsTodwurden–wie inanderenOrten–dieLeitungenvonSchuleundHeimzusammengelegt. AlsNachfolgerBehrmanns,derbiszuletztalsVerwalterunddamitAn staltsdirektorfungierte,wurdePeterDanielMöllerzumDirektorernannt. 195
StAHbg,3612IIOSBII,B129Nr.3,ZeugnißdesHerrnDr.H.W.Buek,Vorstandesder Hamburger Taubstummenanstalt, über die Wirksamkeit des Directors derselben, Friedrich Glitza,namentlichindenJahren1841bis1850,27.2.1869. 196
ZurFamilieGlitza,insbesondereFriedrichGlitza:Groschek,AufklärendurchHandeln.
197
ZehnterBerichtderTaubstummenSchule1850,S.71;zwölfterBerichtderTaubstummen Schule1856,S.28.
198
ZwölfterBerichtderTaubstummenSchule1856,S.25.
199
StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QdNo.9Vol.2,Bl.3.
200
ZwölfterBerichtderTaubstummenSchule1856,S.26.
Vom Dammtor zur Bürgerweide (1827–1881)
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Möller,deranderPaßmannschenSchuleseineAusbildungerhaltenhatte, hattesichaufseinbesonderesLehrfach–wiedamalsüblich–autodidak tischvorbereitet.1830hatteerimAltervon16JahrenalsHilfslehrerander erstvorkurzemgegründetenTaubstummenanstaltzuarbeitenbegonnen. BiszumMai1878warMöllerununterbrochenfürdieAnstalttätig.Auch seinältesterSohnEmil(1854–1913)wurde,nachdemerzehnJahrelangdie höhereBürgerschuleseinesOnkelsFriedrichGlitzabesuchthatte,abOs tern1870 zuerst Hilfslehrer, später festangestellter Lehrer an derTaub stummenanstalt.201SobestimmtedieFamilieGlitza/Möllerübereinenlan genZeitraumdieEntwicklungderSchule.202 NebenSpendenwarenesauchLegate,diedasVermögenderAnstalt vergrößerten.VielfinanzielleUnterstützungerhieltdieAnstaltdurchein LegatausdemTestamentdes1850gestorbenenKaufmannsJohannChris tophKausche(1794–1850).HilfsbedürftigeJugendlicheausderTaubstum menanstalterhieltenjetzteinefinanzielleStarthilfe,wennsieausderAn staltentlassenwurden.DieswareinnotwendigerSchritt,denndieKinder kamen meist aus ärmlichen Verhältnissen: 1856 wurden in der Anstalt 20Zöglingeunterrichtet,vondenennurzweidasvollePensionsundSchul geldzahlenkonnten. IndiesemJahrwurdenalsZielederAnstaltdiereligiöse,sittlichmora lischeErziehungsowieAusbildungundVerständnisderSprachegenannt, dashieß,dassdasHauptaugenmerkbeiderAusbildungderKindervoral lemaufLippenlesenundLesenundSchreibenderdeutschenLautsprache gelegtwurde.DiereligiösmoralischeGrundeinstellungsolltediegehörlo senjungenMännerdarinunterstützen,nichtauf„Wanderschaft“zugehen unddamitinArbeitslosigkeitundBetteleizuverfallen.203 Aberdassoge nannte „Entstummen“ der Taubstummen führte neben Neugier der Öf fentlichkeitauchdazu,dassGehörlosemehralsnützlicheGliederderGe 201
StAHbg,3612VOSBV,499aBand1,Bl.67ff.:BerichtDirektorHeinrichSöderanden VorstandderTaubstummenanstalt19.11.1881.
202
AuchandereTaubstummenanstaltenwurdenvonFamiliengeführt(soinKiel,vgl.Ortwin Pelc,TaubstummeinSchleswigHolsteinindererstenHälftedes19.Jahrhunderts,in:ders./ Ibs,JürgenH.:Arme,Kranke,Außenseiter.SozialeRandgruppeninScheswigHolsteinseit demMittelalter(StudienzurWirtschaftsundSozialgeschichteSchleswigHolsteinsBand36), Neumünster2005,S.199–229,hierS.206f.
203
ZehnterBerichtderTaubstummenAnstalt1857,BerichtüberdieersteLehrerversammlung derTaubstummenlehrerDeutschlands1846inEsslingen,S.30–44.
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meinschaft wahrgenommen wurden. Ihre Lehrer setzten sich dafür ein, dassderrechtlicheStatusGehörlosermodernisiertwerdensollte,dassauch sie,dasiejetztschreibenundsprechenkonnten,inihrebürgerlichenRech teeingesetztwürden.204 1858wurdemitHeinrichCarlAdolphSorger (1843–1920)alszweitem HilfslehrereinedritteLehrkraftfürdieinzwischeninvierKlassenaufge teilten20SchülerinnenundSchülereingestellt.DieHilfslehrer,dierecht jungangestelltwurden,wohnteninderAnstalt,lerntenanderpraktischen ArbeitundhattendieAufgabe,dieJungen,dieimInternatlebten,inder schulfreienZeitzubeaufsichtigen.205 DieAnstalthattenebeneinemschuldenfreienGrundstückundInventar einBarvermögenvon150.000Mark,sodassderAusbauderSchuleauchim folgendenJahrzehntfortgesetztwerdenkonnte:1866beherbergtedieAn stalt 28 Zöglinge, darunter waren auch Kinder aus SchleswigHolstein, demBremerGebiet,sogarausDänemarkundHolland.DieSchulehattesich einengutenRuferarbeitet.AufderVorstandssitzungam28.Februar1870 wurde daher ein Neubau auf staatlichem Boden Ecke Bürgerweide und WallstraßeinsAugegefasst,umdenbenötigtenPlatzfürdiewachsende SchülerzahlzuschaffenunddersteigendenöffentlichenAufmerksamkeit gerechtzuwerden.Hinzukam,dassdasalteGebäudebaufälligwurde.Se natundBürgerschaftüberließendasgewünschteGrundstückderAnstalt unentgeltlich.206 Am1.Oktober1871erhieltderBauplanderArchitekten JordanundHeimdenZuschlagunddieBevölkerungwurdeumSpenden gebeten,damitnichtdasgesamteVermögenderAnstaltindenBau in vestiert werdenmusste.Schonam28.Mai1872konntedieRichtfeierbe gangenwerden.StolzverkündetederVorstand,dassder85.000Markteure NeubausogarvollständigdurchSpenden,SammlungenunddenVerkauf desaltenGrundstückesfinanziertwerdenkonnte.AufdasBarvermögen 204
Ebd.Dieam13.Juli1831publizierteHamburgerVormundschaftsOrdnungsagtinArti kel90,dassTaubstummeauch„unterCuratezustellen“seien,alsoeinenVormundbräuchten (neunterBerichtderTaubstummenSchule1847,S.25–26).
205
SiebzehnterBerichtderTaubstummenAnstalt1862,S.11f.DasWohneninderAnstaltwar sogarVoraussetzungfürdieAnstellung;wollteeinjungerHilfslehrerheiraten,mussteerseine Stellungaufgeben.
206
StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QdNo.9Vol.3,Bl.1:VorschlagGrundstückBürgerweide, VorstandTaubstummenanstaltanSenat12.12.1870;Bl.9:ZustimmungSenat25.1.1871;Bl.10: ZustimmungBürgerschaft29.3.1871.
Vom Dammtor zur Bürgerweide (1827–1881)
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derAnstaltmusstenichtzurückgegriffenwerden.Nocheinmalwurdedas Gelände im Herbst 1871 vergrößert, um Platz für einen Spielplatz und mögliche Erweiterungen des Gebäudes zu haben.207 Das fast 3.000 qm große Anstaltsgrundstück lag in einer fast unbebauten Gegend. An der BürgerweidegabeszudieserZeitnurwenigeHäuserundkaumVerkehr. Dassolltesichallerdingsindennächsten20Jahrenändern–dieBürger weideentwickeltesichzueinerverkehrsreichenVorortstraßemitEtagen hausbebauung.208 1873fanden37SchülerinnenundSchülerinderAnstaltPlatz.DieStif tung Taubstummenanstalt drängte jetzt im zunehmenden Maße die in HamburglebendenSchülerinnenundSchülerdazu,ebensowiedieExter nendasAnstaltsinternatzunutzen.EsseifürdieAusbildungderSchüler besser,wenndieseimInternatlebtenundsomitunterständigerAnleitung stünden.DadurchwürdendieKinderschnellerlernenunddieLautsprache könnebesserausgebildetwerden.209 1874wurdenfünfweitereSchülerin nenundSchülerindieSchuleeingeschult.DurchdasgrößereHaus,dieda durchmöglichegrößereSchüleranzahl–meistKinderunvermögenderEl tern–unddiewiederumdarausresultierendeZunahmederLehrerschaft mitihrenGehältern,beganndasVermögenderAnstaltzuschmelzen. 3.2. 7 Die Ta ubstummenschule soll verstaatlicht werden ZuOstern1878wollteDirektorMöllerausAltersgründendieLeitungvon SchuleundAnstaltabgeben.DochderVorstandsahsichnichtinderLage, ihmeinPensionsgehaltzuzahlen.DerSenatwurdeumÜbernahmeder Kostenersucht,wasnachmehrmaligenVerhandlungenmitderOberschul behördeunddemSenattatsächlicherreichtwerdenkonnte.VondemZeit punktangewährtederStaat,soferneigeneMittelderAnstaltnichtausrei 207
StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QdNo.9Vol.3,Bl.12:VorstandanSenat6.6.1872;Bl.18: ZustimmungSenat5.7.1872;Bl.21:ZustimmungBürgerschaft11.9.1872.
208
GustavMarr,DieTaubstummenanstalt,in:Hamburginnaturwissenschaftlicherundmedi zinischerBeziehung,Hamburg1901,S.419–422,hierS.422.
209
HeutewirdvonSeitendererwachsenenGehörlosenwiederdasInternatslebenfavorisiert, damitdiegehörlosenKindervielvondereigenenWeltundKulturderGehörlosenmitbekom menunddamiteine„Heimat“findenkönnen–inderFolgedeswachsendenGehörlosen selbstbewusstseinswendendiesesichdamitgegendieMeinungHörender,diediestetigeIn tegrationpropagieren.
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chen sollten, den Direktoren der Taubstummenanstalt eine Pension, die sichnachdemPensionsgehaltderHauptlehreranöffentlichenVolksschu lenrichtete.210AbgelegtwurdedieAmtsbezeichnung„Direktor“.211ImMai wurdederausderTaubstummenanstaltinStadekommendeOberlehrerJo hannHeinrichSöder(1838–1916)NachfolgerdespensioniertenMöller;sein GehaltwurdenunvollständigvonderOberschulbehördebezahlt. FürkurzeZeitsollesinden1870erJahren,soberichteteDirektorSöder rückblickendimJahr1880,inHamburgeinenFortbildungskursfürjüdi scheGehörlosegegebenhaben.212DavonabgesehenwardieTaubstummen anstaltinBorgfeldedieeinzigeInstitutionfüreineSchulbildungGehörlo serinHamburg,unabhängigvonderenStandundReligion.ZumEndedes Jahres1878wurden47SchülerinnenundSchülerinderSchuleunterrichtet, zweiJahrespäterwardieaufhöchstens60ZöglingeeingerichteteAnstalt schonmit55Kindernbelegt,sodasserneuteinebaulichewiepersonelle Erweiterungnötigwurde.DieTaubstummenanstaltspürtesehrkonkretdie Folgen der dynamischen Bevölkerungsentwicklung: Die Einwohnerzahl derHansestadtHamburgwuchsindenJahrzehntenzwischenderReichs gründung 1871 und der Jahrhundertwende um fast eine halbe Million Menschenauf750.000Einwohneran.213MehrSchülerinnenundSchüleraus ganzHamburgkamenzumSchulbesuchnachBorgfelde,dasmitseinen StadthäusernunddemzunehmendenVerkehrseinursprünglichländliches Aussehenvollständigveränderthatte.AmJahresende1880warenander AnstaltnebendemDirektorundseinerFraufünfLehrer,zweiGehilfinnen undviergehörloseDienstmädchenfür61Zöglingezuständig–damitwar dieHamburgerTaubstummenanstaltzueinerdergrößerenInstitutionen fürGehörlosegeworden.ZuOsternwurde,wiejedesJahr,eineöffentliche PrüfunganderSchuleabgelegt,aufderdiespendenwilligenHamburger dieFertigkeitenderKinderimLippenlesenbewundernkonnten.Zusätz lichfandjedenDonnerstagamNachmittagzwischen13und15Uhreine 210
StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QdNo.9Vol.5Fasc.2,Bl.7;13119Pensionskassendepu tation,49,MitteilungSenatanBürgerschaftNr.18vom27.2.1878,S.125–217.
211
StAHbg,3612VOSBV,499e,AktenvermerkBl.1.
212
StA Hbg, 1111 Senat, Cl. VII Lit. Qd No. 9 Vol. 4: Söder an Medizinalrat Dr. Kraus 20.11.1880.WeiteresüberdieseKursekonntenichtermitteltwerden. 213
WernerJochmann,HandelsmetropoledesDeutschenReiches,in:Jochmann,Werner/Loo se,HansDieter,Hamburg.GeschichtederStadtundihrerBewohner,BandII:VomKaiser reichbiszurGegenwart,Hamburg1986,S.15–129,hierS.27.
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solchePräsentationstatt.214AuchhiersolltedieSpendenfreudigkeitderÖf fentlichkeitdurchErstaunenübernichtvermuteteFähigkeitenGehörloser angeregtwerden.DieHamburgerAnstaltwareinederwenigenderins gesamt98imDeutschenReichexistierendenTaubstummenanstalten,die privatorganisiertunddamitvorwiegendaufSpendengelderangewiesen waren.DieFinanzlagezwangdieAnstaltdazu,zusätzlichzurPensionauch dieBesoldungderLehrerbeimSenatzubeantragen. DadieHamburgerTaubstummenanstaltdenLehrernkeinefesteAnstel lunginAussichtstellenkonnte,wechseltendieseoftanandereSchulenmit besseren finanziellen Bedingungen. 1881 konstatierte der Vorstand, dass sichderhäufigeWechselderLehrernegativaufdieEntwicklungderZög lingeauswirkenwürde.DieAnstaltsleitungbemühtesichnunintensivdar um,dasswenigstensdieSchulestaatlichwerde,umsodenLehrerneineun befristeteAnstellungundeinfestesGehaltbietenzukönnen.Davonerhoffte sichderVorstand,dieLehreraufDauerhaltenunddamitdieAusbildung derSchülerinnenundSchülerverbessernzukönnen.ImMai1881ersuchte derVorstanddieOberschulbehörde,sichbeimSenataufGrundderfinan ziellenLagederAnstaltumeinestaatlicheÜbernahmederSchulezube mühen.215DieOberschulbehördeprüfteineinerKommissiondiefinanziel lenVerhältnissederAnstaltundkamauchzumErgebnis,dassdiedurch BeiträgevonSubscribenten,Geschenke,Legate,ZinsendesStiftungskapi talsundKostgeldererzieltenEinnahmennichtdieAusgabendeckten.An KostgeldzahltendieElternwohlhabendererZöglingejährlichmindestens 576Mark,dochselbstdieimGegensatzzudenvonderArmenanstaltge zahlten240MarkproKindüppigwirkendeSummedecktedieAusgaben proKopfnicht:DasInternatsorgtefüralleBedürfnissederKinder.Zudem kamendiemeistenInternatskinderausärmlichenVerhältnissen.Ausden EinnahmenmusstendieLehrergehälterundsämtlichersonstigerSchulbe darfgezahltwerden.DaaberimmermehrKinderandieAnstaltkamen und immer höhere Anforderungen an den Unterricht gestellt wurden, wuchsendieAusgabenüberproportional.DaszweiteArgumentwar–wie obenbereitsgeschildert–dieschlechteStellungderLehrkräfte,dieander Taubstummenanstaltkein RechtaufeineAltersversorgungerhielten. Ein 214 ElfterBerichtdesVerwaltungsAusschussesderam28stenMai1827gestiftetenTaubstum menSchulefürHamburgunddasHamburgerGebiet,Hamburg1883. 215
HierundimFolgenden:StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QdNo.9Vol.5Fasc.2,hierBl.7: MitteilungSenatanBürgerschaftvom14.10.1881.
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Die Milde Stiftung Taubstummenanstalt Hamburg
weiteresArgumentwar,dassKinderinZukunftabgewiesenwerdenmüss ten,nurweilGeldfehlte–unddiessollteunddurftenichtgeschehen,da auchgehörloseKindereinenAnspruchaufUnterrichthätten:DieSchul pflichtwarinHamburgdurchdasUnterrichtsgesetzvom11.November 1870eingeführtworden,wasdiegrößteUmwälzungfürHamburgsErzie hungspolitikbedeutete.216GeradezuradikalwardasSchulwesenderStadt geändertworden:Armenschulenwarenaufgelöst,öffentlicheSchulenwaren zuStaatsschulengeworden,eswurdedieallgemeineVolksschulegeschaf fen,dasAmtderSchulräteundderSchulkommissionenwareingerichtet und die Schulsynode zum Selbstverwaltungsorgan der fest angestellten Lehrerschaft geworden. Die Aufsicht über das gesamte Schulwesen war vonderKircheaufdenStaatübergegangen,derzudessenVerwaltungdie Oberschulbehördeeinsetzte.DieSchulpflichtwurdefestgeschrieben–al lerdingsohnedassgehörloseKinderErwähnungfanden.MitdiesemEr gebniswardieAnstaltsleitungnichtzufrieden.Sieversuchteverstärkt,in derÖffentlichkeitundnunauchbeiderOberschulbehördeaufdas Pro blemderGehörlosigkeitundaufdieWichtigkeiteinerAusbildungGehör loseraufmerksamzumachen.TatsächlichübernahmderStaatzum1.Januar 1882dieSchuleunddamitdieAnstellungderLehrkräfteohne–imHin blickaufdenWohltätigkeitssinnderHamburger–demInstitutdenCha raktereinermildenAnstaltzunehmen.NebenderprivatenTaubstummen AnstaltgabesnundiestaatlicheTaubstummenSchule.DieSchulpflicht gehörloserKinderwurdeallerdingsnichtzurgesetzlichenPflicht.
216
ManfredHeede,DieEntstehungdesVolksschulwesensinHamburg:derlangwierigeWeg vondenSchulforderungenderRevolution1848/49biszumUnterrichtsgesetzvon1870,Ham burg1982; JörgBerlin,DasUnterrichtsgesetzvon1870:VonGesetzlosigkeitzuSchulpflicht undSchulbehörde,in:HamburgmachtSchule(1990),Heft5,S.26f.
4 Die staatliche Taubstummenschule
4. 1 In de r Kaise rzeit ( 18 82– 1918) 4. 1. 1 Gebäud e MitderVerstaatlichungzum1.Januar1882übernahmdieStadtdieGe samtkostenderTaubstummenschule–einschließlichBesoldungundPen sionen–,sodassdieMildeStiftungentlastetwurdeundsieihreMittelauf ErhaltungundPflegederGebäudeundaufdieHeimerziehungverwenden konnte.217 EineErweiterungwurdemöglichundnoch imselbenJahr tat sächlichausgeführt–stattdreistandennunsiebenSchulzimmerfürdieüber 60SchulkinderzurVerfügung,dazueineTurnhalleundneueSchlafräume mitPlatzfür100Internatskinder.218FürdieSchulräumewurdemodernesIn ventarerworben:IndenKlassenstandenfürdieSchülerjetztRundtische nachdemVorbildandererTaubstummenschulen,andenenderdirekteBlick kontaktderSchülerinnenundSchüleruntereinandererleichtertwurde. 1899wardersiebzehnJahrezuvorerrichteteErweiterungsbaubereits vollausgenutzt:zumerstenMalwurdenüber100KinderinderAnstaltun terrichtet,allerdingslebtennur72vonihnenimInternat.ImKellerwaren Küche, Plättstube, Waschküche und weitere Arbeitsräume fürdie Haus wirtschaft, im Erdgeschoss die Direktorwohnräume, der Speisesaal und zweiSchlafsälefürdieMädchenuntergebracht,außerdembefandsichdort derTurnsaal,dergleichzeitigalsVersammlungsraumfürdievondenLeh rern angebotenen „Erbauungsstunden“ der erwachsenen Gehörlosen ge nutztwurde.ImerstenGeschosslagendieKlassenzimmerundweitereDi 217
StaatlichePressestelle,150JahreGehörlosenbildung,S.6.ImJahr1914übernahmderStaat auchdiePflegedesGebäudes,denndurcheinegrößereZahlvonKindernundentsprechend mehrKlassenräumenkonntedieAnstaltauchdiesesnichtmehrauseigenenMittelnleisten (StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QdNo.9Vol.5Fasc.2,Blatt15).
218 StAHbg,3612VOSBV,499L,BerichtderSchulkommissionderTaubstummenschulean dieOSB22.2.1883.
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rektorwohnräume,imzweitenGeschossgabesdreiSchlafräumefürdie Jungen,getrenntdurchdieWohnzimmerderLehrer,sowiedasHandfertig keitszimmer,dieWerkstattderJungen.219
Abbildung 11: Schulgebäude an der Bürgerweide 21
DadieSchülerzahlweiterwuchs,erhieltdieSchule1913zweineueRäume fürzweineueKlassenmitzweineuenLehrern.UmmehrZimmerimei gentlichenSchulgebäudedurchSchülerundLehrkräftenutzenzukönnen, wurdenzunehmendRäumederDirektorwohnung,diedieserohneFamilie nichtbenötigte,dazugenutzt.AlsderDirektor1915ineinneuesDirektor wohnhausimAnstaltsgartenzog,konntedieSchuledurcheinBibliotheks zimmerundeinSpielzimmerfürdiejüngstenKindererweitertwerden.220 4. 1. 2 Sc hu l ver wa l tu ng DiemeistenKinderanderHamburgerAnstaltwarenevangelischlutheri schenBekenntnisses.DieswarabernichtVoraussetzungfürdieAufnahme. 219
Marr,Taubstummenanstalt,S.419und421.
220
Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.60.
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EslebtenstetseinigejüdischeKinderinderAnstalt,diezeitweisedurch denOberrabbinerinReligionsfragengeprüftwurden. 221Auch1887wurden neben78evangelischlutherischenZöglingendreiKinderkatholischerKon fessionunddreiKinder jüdischenGlaubens anderTaubstummenschule unterrichtet.DieKinderwurdenjeweilszuOsterneinesJahresindieun tersteKlassederSchuleaufgenommen.Die84SchülernundSchülerinnen waren aufgeteilt in sieben aufsteigende Klassen und eine Parallelklasse. VondenKinderngalten63alsInterne,warenalsoInternatszöglinge,und 21alsExterne,siebekameninderAnstaltVerpflegung,schliefenabernicht dort. Ein „Bildungskurs“ von der Einschulung bis zur Schulentlassung dauerteachtJahre.DieElternderSchülerinnenundSchülerbezahltenpro Jahr240bis280MarkKostgeldundjenachVermögenslagederEltern20bis 200MarkSchulgeld.222AufderEinnahmenseitederAnstaltstanddaneben dieSummevon12.050MarkdurchLegate.
Abbildung 12: Schulklasse, um 1900
221
ElfterBerichtderTaubstummenSchule,1853,S.28.
222
Söder,Blinden,IdiotenundTaubstummenbildungswesen,S.240f.
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Eine weitere finanzielle Entlastung entstand durch die Übernahme der LehrergehälterdurchdenStaat.DieBesoldungbetrugindiesemJahr1887 fürdenDirektor4.000MarkbeifreierWohnung,fürfestangestellteLehrer 1.750Mark,steigendnachjedreiJahrenum250bisauf3.500Mark.Dies entsprachderBesoldungvonVolksschullehrernundsorgteimKollegium durchausfürUnverständnis,daTaubstummenlehrkräftealsspezialisierte LehrereinehöhereBesoldungfürangemessenhielten.NebenDirektorSö derunterrichtetenzudieserZeitsiebenLehrkräfteanderSchule.AlsHilfs kräfte beschäftigte die Anstalt einen Anstaltsboten, zwei Köche, drei Dienstmädchen, einen Anstaltsarzt und einen Anstaltsgeistlichen.223 Die HamburgerTaubstummenanstaltwarzueinergewichtigenInstitutionge worden.1889gabeszweiöffentlichePrüfungen,dievonjeweils300inter essierten Hamburgern besucht wurden. Die Hamburger bewiesen über hauptgroßesInteresse,unddieAnstaltgewannvieleFörderer,sodassin diesemJahrwiederstolzvonfinanziellenwieinhaltlichenErträgenberich tetwerdenkonnte.224DieHamburgerTaubstummenanstaltgehörtezuden bekannterenGehörlosenschulenDeutschlandsunddas,obwohlDeutsch landmit1887bereits97TaubstummenanstaltendasLandmitdenmeisten SchulenfürGehörlosewar.225 1890wurdendieStatutenderAnstaltrevidiert,davorallemdasVer hältniszwischenSchuleundAnstaltgeregeltwerdenmusste.DerVorstand solltekünftigdieSchulkommissionwählen.ZweiseinerMitgliedersollte diespezielleAufsichtüberdieAnstaltsschuleübertragenwerden.Nachei nerVereinbarung,welchebeiderÜbergabederSchuleandenStaatgetrof fenwordenwar,hatteninderSchulkommissionaußerdemnochSitzund StimmedasvonderOberschulbehördedesignierteMitgliedsowiederAn staltsdirektor.DieSchulkommissiongabderOberschulbehördeAuskünfte überLehrer,ihreAnstellungundEntlassungundüberwachtedenUnter richt.Eswurdebestätigt,dassderLeiterderAnstaltzugleichersterLehrer derSchulewar.DerDirektorsolltekünftigdurchdenVorstandgewählt undvonderOberschulbehördebestätigtwerden.226 223
Ebd.,S.240f.
224
HamburgerCorrespondentNr.244,Abendausgabevom27.5.1927,Artikel„100JahreTaub stummenanstaltHamburg“.
225
ZumVergleich:InganzEuropagabes348Anstalten(Söder,Blinden,IdiotenundTaub stummenbildungswesen,S.291). 226
StAHbg,3612VOberschulbehördeV,497a.
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4. 1. 3 Kö r p er l i ch e n S c hwä ch e n beg eg ne n HamburgmitseinerzumTeilveraltetenTrinkwasserversorgungundAb wasserentsorgungwurde1892letztesgroßesOpferderCholera.Wegender großenCholeraEpidemieimSpätsommer1892–über16.000Hamburge rinnen und Hamburger erkrankten in wenigen Wochen und über 8.000 MenschenstarbenanderKrankheit–wurdedieSchulefürsechsWochen geschlossen.227DieSchulemussteunterdenSchülernundLehrkräftenkei neOpferbeklagen,trotzdemwurdeseitdemverstärktaufdieärztlicheVer sorgungderKindergeachtet.2281898wurdeDr.FriedrichPluderAnstalts arztfürohrenkrankeKinder.ErführteeinekräftigereErnährungderKinder einundlegteWertaufSport.AufseineAnregunghinwurdenInstrumente für Hörprüfungen angeschafft. In den 1890er Jahren wurden besonders schwächlicheKinderineineFerienkoloniebeiOldesloegeschickt,wosie ihreSommerferienverbrachtenundguterholtundkräftigerindieAnstalt zurückkehrten.WährendderZeitinOldesloewohntendieKinderimHaus ihresbetreuendenLehrers.ManchmalerreichtederVorstandderAnstalt es,dasseinigederkörperlichschwächerenKinder,diehäufigaufGrund vonKrankheitenertaubtwaren,ihreFerienanderNordseeaufSyltver bringenkonnten.229 AuchderTurnunterrichtsolltedieKinderkörperlich kräftigen.Siewurdendazuangehalten,täglichinsFreiezugehenundsich dortzubewegen.EsgabesimSommertäglichangeleiteteSpieleimFreien undimWinterliefendieKinderSchlittschuh.BesondersschwacheKinder wurdenauchnochAnfangdes20.JahrhundertsinFerienkolonien–entwe derderStadtkolonieWaltershofoderderFerienkolonieStelle–unterge bracht.230 UnterschiedlichbegabteKinder,taubgeborene,nachdemSpracherwerb ertaubteKinder,KindermitHörrestenwurdengleichzeitiginderSchule unterrichtet. Es wurdenHörübungeneingeführt,um künftig vollständig taubeSchülerinnenundSchülervonKindernmitHörrestentrennenund 227
ZurCholerasieheRichardJ.Evans,TodinHamburg.Stadt,GesellschaftundPolitikinden CholeraJahren1830–1910,ReinbekbeiHamburg1991.
228
UnterdenHamburgerGehörlosenfordertedieCholeraallerdingsmindestenszwölfOpfer (Hannen, Gehörlosenbewegung, S. 7; StA Hbg, 3313 Politische Polizei, Sa 80, Hamburger FremdenblattNr.143vom21.6.1892).
229
Soz.B.1901(BerichtderTaubstummenanstalt1901/02,S.3).
230
HamburgischerCorrespondentNr.524,Morgenausgabevom15.10.1909.
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letzteresprachlichmehrfördernzukönnen.AuchimInternatwurdenKin der in verschiedene Gruppen eingeteilt. Dabei war nicht nur die unter schiedlicheHörfähigkeiteinAuswahlkriterium.1899wurdefestgelegt,da dieZahlderbettnässendenZöglingesichvermehrthatte,dassdiesege trenntvondenanderenKindernschlafensollten.231 InderNachbarschaft wurdenzudemSchlafstellenangemietet,diefürmittelloseKinder,deren AusbildungskostenvonderöffentlichenArmenpflegebestrittenwurden, bestimmtwaren.DieLogisElternbekamen1,50MarkinderWochepro Kind.DieAnstaltlieferteBettstelle,BettzeugundUnterwäschesowieKamm und Zahnbürste. Als Gegenleistung sollten die LogisEltern die Zöglinge „mitLiebeundNachsichtbehandeln“,insbesonderedieKinderanundaus kleidenundsieindieSchulebegleiten.TrotzdemwarkeineIntegrationin diePflegefamilievorgesehen:EigeneKindersolltennichtimZimmerder gehörlosen Kostkinder untergebracht werden. Die Pflegekinder sollten „sittlicherzogen“,essollteaufReinlichkeit,Ordnungund„gesittetesBetra gen“geachtetwerden;sollteeineBestrafung„notwendigwerden“,somuss tediesderAnstaltgemeldetwerden,niesollteselbstgestraftwerden.232Da– lautDirektorSöder–zehnProzentderKinderBettnässerwaren,schluger, als1901einefortlaufendeTaubstummenstatistikgeplantwurde,vor,dieses mitindieListederanzugebenden„Gebrechen“Gehörloseraufzunehmen. Außerdem wollte er eine Rubrik „Gangart“ eingerichtet wissen, da er meinte festgestellt zu haben, dass die „schlechte Gangart (stampfend, schleppend)vielmehrzumGrundzugallervölligErtaubten“gehöreundso zumHerausfindenvollständiggehörloserKinderdienenkönne.233 4. 1. 4 Vo rb ereitu ng auf d ie Berufs tät ig keit TaubstummenanstaltenwarenInternate.DiemeisteZeitdesTageswaren dieKindermitSchuleundSchulaufgabenbeschäftigt.Wieabersollteeine sinnvolleBeschäftigungnebenderSchuleaussehen?DieMädchenhatten ihr traditionelles Arbeitsgebiet im Haus, für die Jungen wurde eine Be 231
StAHbg,35110ISozialbehördeI,AK61.11,SöderanArmenanstalt6.11.1899.
232
Ebd.,BestimmungenderTaubstummenanstaltfürdieUnterbringungbettnässenderZög linge,o.D.
233 StAHbg,3523Medizinalkollegium,IIN11,DirektorHeinrichSöderundVorstandDr.Gu stavMarranSchulratMahraun10.9.1901.
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schäftigungeingeführt,diesichenganhäuslicheGegebenheitenanschlie ßenundtraditionellemRollenverhaltenRechnungtragensollte:DieMäd chenalsNachahmerinderMutterimHaushalt,dieJungenalsNachahmer desVatersbeiWerkundReparaturarbeiten.234DieKinder,diedenganzen TagnurmitdemKopfarbeiteten,solltenauchhandwerklicheTätigkeiter fahren.GeradebeigehörlosenJungenwarGeschicklichkeitgefragt,gingen dochdiemeistenvonihnennachderSchulentlassungineinenhandwerkli chenBeruf.ErnstDanckert (1855–1934),jungerLehreranderTaubstum menanstalt,propagiertedasNebeneinandervongeistigerundkörperlicher ArbeitundEntspannung.ZuAusbildungszweckenschickteHamburgzwei LehrernachLeipzig,umdendortigenHandfertigkeitsunterrichtzubeob achten.NachdemimOktober1885inHamburgKurseundWerkstattnach LeipzigerVorbildeingerichtetwordenwaren,begannauchinHamburgim Januar1886derHandfertigkeitsunterricht.Dieserwarvorallemfürden Wintergedacht,dennimSommergabeslandwirtschaftlicheAufgabenfür dieSchüler,dazuverfügtedieAnstaltübereingroßesGrundstückmitGe müseacker.AlsArbeitsvorlagenwurdenzunächstVorlagenderLeipziger Schülerwerkstatt benutzt. Es wurden Pappkästchen und Futterale ange fertigt.SpäterkamendannMotiveausdemHamburgischenMuseumfür KunstundGewerbedazu.DieKindergestaltetennachOriginalVorlagen aus Holz und Pappe eigene Arbeiten. Schlecht angefertigte Werkstücke wurdenvernichtet.SowolltedieSchuledieJungenzusauberemundakku ratemArbeitenbringen,ihren„Schönheitssinnstärken“undihnen–durch die Anschaulichkeit, dass Mühe und Sorgfalt ansprechende Ergebnisse bringen–„AchtungvorderArbeit“beibringen.DerHandfertigkeitsunter richtdientealsErziehungsfaktorundsolltezugleichdiemanuellenFähig keitenerweitern.1897gabenaußerdemeinBildhauerimModellierenund einSchneiderimAusbessernderKleiderUnterricht. 235 DerArbeitsunter richtwurdezunehmendberufsorientierter.AuchdieMädchenlerntendie verschiedenenHaushaltstätigkeitendurchdieFraudesDirektorsundeine Gehilfinkennen.1892wurdefürdieMädchenversuchsweiseUnterrichtim 234
Die Informationen zum Handfertigkeitsunterricht aus: Ernst Danckert, Der Handfertig keitsunterrichtbeiTaubstummen,in:Söder,Blinden,IdiotenundTaubstummenbildungswe sen,S.359–361.
235
Seit1887wurdeninderprivatenZuschneiderLehranstaltMüller&Sohn,diebiszurAus bombungdesGebäudesinderSchadowstraßeuntergebrachtwar,Schneiderdurchgehörlose Fachlehrkräfteausgebildet(StAHbg,3612VIOSBVI,Abl.2007/2,63).
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Stopfen,FlickenundWäschelegeneingeführt,umihnensoPraxisfürihr spätermöglichesBerufsundHausarbeitsfeldzugeben. DaskünstlerischeTalentderSchülerwurdeab1905nachder„Amerika nischenFormmethode“gelehrt:DerLehrerkneteteeinfacheFormenvorund dieSchülerzeichnetennachundphantasiertenausdeneinfachenkompli zierteFormen.DieSchülermachtenFarbtreffübungen,zeichnetenAquarelle undfertigtenZeichnungennachderNaturan.BeliebtwarenindieserZeit auchRohrarbeiten,währenddieMädchensichweiterhinmitdemtraditio nellenpraktischenHandarbeitsunterrichtbegnügenmussten.236 IneinemZeitungsberichtüberdieTaubstummenschulevom14.Dezem ber1909wurdeeineSchulstundeinderkleinsten,derachtenKlassege schildert:237 SiebenMädchenundsiebenJungensaßenimKreisumihren Lehrer,dieHändelagenwährenddesUnterrichtsgefaltetaufdenTischen, währendsiesichinderLautspracheübten.DieSchülerinnenundSchüler bekamenUnterrichtinArtikulationsowieLesenundSchreibeneinzelner Wörter. In der Abschlussklasse der Schule wurde Wert gelegt auf Reli gions,GeschichtsundLautsprachkenntnisse.ZielderAusbildungderge hörlosenHamburgerKinderwar,sieindasArbeitslebenzuintegrieren.Als EndzielsahdieTaubstummenanstaltesan,dass„genügenmuß,wenndie Zöglinge diejenige religiössittliche, geistige und sprachliche Ausbildung erlangen,welchesiedereinsterwerbsfähigmacht“.238 AusdemJahresbe richt der Anstalt lässt sich in Hinblick auf die Zukunft der Schulent lasseneneingewisserErfolgablesen,wenndieArbeitsanstellungender Jugendlichen aufgezählt werden: Ostern 1909 wurden von den schul entlassenenJungendreiSchneider,zweiSchuhmacher,dreiTischlerund einerZigarrenarbeiter.AuchdieMädchengingenindas„kleineHand werk“:EineswurdeHutstaffiererin,dreiwurdenPlätterinnenunddrei Schneiderinnen. Wenn die Schülerinnen und Schüler die Schule verlassen hatten, um einenBerufauszuüben,warendieLehrerauchweiteralsAnsprechpartner für sie da. Jeden Sonntag wurden interessierten jungen Gehörlosen zur „sittlichenFestigung“Erbauungsstundenzur„geistigenWeiterbildung“in 236
HamburgerFremdenblattNr.292vom14.12.1909,Artikel„InderHamburgerTaubstum menSchule“.
237
Ebd.
238
Jahresbericht der TaubstummenSchule 1912, nach: Heinrichsdorff, Hamburg und das HamburgerGebiet,S.59.
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derFortbildungsschuleangeboten.HiergabeseineGelegenheit,sichwie derzutreffenundKontakteaufrechtzuerhalten.AnzweiAbendeninder WochegabeszudemkostenfreienUnterrichtfürLehrlinge,die,wennsie dieseStundenbesuchten,auchdasFahrgelderstattetbekamen.Auchden schulentlassenenErwachsenenstanddieSchülerbibliothekderAnstaltwei terhinzurVerfügung,dieimJahr1909vonderOberschulbehördeum200 Bändeerweitertwordenwar.FürdieweiterefinanzielleFürsorgegabes zudieserZeitdreiUnterstützungskassen,dieschulentlasseneGehörlosein Anspruchnehmenkonnten:dasKauscheLegatsowieseit1901dieWachs muthStiftungunddieAllgemeineUnterstützungskasse.239Dieletztgenannte unterstützteschulentlasseneGehörlose,diesichinfolgevonArbeitslosigkeit oderKrankheitinsozialerNotbefanden;GelderderWachsmuthStiftung konntenbedürftigeweiblicheehemaligeZöglingederAnstaltinAnspruch nehmen.240 AllmählichsetztesichdieMeinungdurch,dassdasInternatslebendie SchülerdurchdieAbgeschlossenheitvonderalltäglichenWeltnichtgenug aufdas„wirklicheLeben“vorbereite.AuchwardasVerkehrsnetzbesser ausgebildet,sodassdieKinderausganzHamburgundderHamburger UmgebungleichterzuihrerSchulekommenkonnten,ohnediefamiliäre Bindungmissenzumüssen.Demzufolgeerhielten1910nurnoch34der 120SchülerinnenundSchülervolleVerpflegungundUnterkunftinderAn stalt.241WährenddieAnzahlderInternatszöglingegeringerwurde,wuchs die Anzahl der Tagesschüler weiter und erreichte im Jahr 1911 mit 127 SchülerinnenundSchülernihrenhöchstenStand.242 Dasmusstesichauch aufdieKlassenanzahlauswirken:1913gabeszehnKlassenanderSchule– zuOsternkonntenwiedermitdemFernzielderTrennungderKlassenstu fennach(sprachlicher)BefähigungzweiEinschulungsklassenalsParallel klassen eingerichtet werden243 – 1914 waren es schon zwölf Klassen bei dreizehnangestelltenLehrkräften.
239
HamburgerNachrichtenNr.405,2.Morgenausgabevom28.8.1909.
240
BerichtderTaubstummenAnstalt1901/02,S.4f.
241
Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.59.
242
1922warenunter95Schulkindernnur15Internatskinder(StAHbg,3518Stiftungsaufsicht, B893,Bl.282V4:BerichtderTaubstummenAnstaltfürHamburgunddasHamburgerGebiet 1919–1920). 243
StAHbg,3612VOSBV,499aBand1,Bl.110f:TaubstummenschuleanOSB5.6.1913.
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4. 1. 5 Au f d er Suche nach einem neuen Direk t or und neu en Leh rk räften Die Verringerung der Schüleranzahl in den einzelnen Schulklassen war durchdasNutzenneuerRäumenachAufgabedertraditionellenDirektor wohnungimSchulgebäudemitdemWeggangDirektorSödersmöglichge worden:1914hatteSöderangekündigt,imLaufdesJahresseinAmtausAl tersgründenniederlegenzuwollen.HeinrichSöderhattefast37Jahrelang dieAnstaltgeleitet,hattesichfürdieEinrichtungvonKursenfürstotternde SchülerundfüreineTaubstummenfortbildungsschuleeingesetztundwar GründerundlangjährigerVorsitzenderdesnordwestdeutschenTaubstum menlehrerVereinsgewesen.244
Abbildung 13: Heinrich Söder
SeinePersönlichkeithattedasGesichtderHamburgerAnstaltüberJahr zehnte geprägt. Er war ein starker Befürworter der Lautsprachmethode. StetshielterdieKinderauch„beiTisch,beidenSpielenundbeiBesuchen 244
HamburgerFremdenblattNr.234vom6.10.1898,2.Beilage,BerichtüberdieVereinsgrün dung(StAHbg,3313PolitischePolizei,S424012).
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derFremden“zulautemartikuliertenSprechenan.245SeinbesonderesAu genmerkrichteteeraufdieAuslesevonKindernmitHörresten.Erverfolg tekonsequenteineÜbernahmeschwerhörigerKinderausdenVolksschu lenindieGehörlosenschule,damitsiedortdasAbsehenvomMundlernen könnten. Eswarnichteinfach,einenNachfolgerfürSöderzufinden–wichtiger schiendieAutoritäteineskünftigenDirektors.GeradeinletzterZeithatte esKritikanderFührungderHamburgerSchulegegeben.DieBewerber– auchderanderAnstalttätigeLehrerErnstDanckerthattesichumdieStel ledesDirektorsbeworben–erschienendemAnstaltsvorstandnichtgeeig net,weshalbeineErhöhungdesDirektorengehaltserbetenwurde,„umdie Stellebegehrenswerterzumachen“.246AuchseidiesePositionhöherzube soldenalseinVolksschuldirektor,wiebishergeschehen,eherseieineBesol dungwiebeidenDirektoreneinerFortbildungsschuleangemessen.247Als Söderzum1.Oktober1914seinAmtniedergelegthatte,warnochimmer keinneuerDirektorgefundenworden.DerdienstältesteLehrerderSchule, PaulFischer(1859–1917),dersichdieletzten30JahreumdiejüngstenKin deranderTaubstummenanstaltgekümmerthatte,solltenundieVertre tungdesDirektorsübernehmen.DocherlegteeinärztlichesAttestvor,so dassdernächstältesteLehrer,ErnstDanckert,vomVorstandalsVertreter vorgeschlagen248undvonderOberschulbehördebestätigtwurde.249 Dieses Provisorium wurde zur ständigen Einrichtung, da wegen des KriegeskeinLeitergefundenwurde.ZweiJahrespäterschlugderAnstalts 245
StAHbg,6221GustavMarr,1,RedevonDr.GustavMarranlässlichdes100jährigenJubilä ums,o.D.[1927].TrotzdemwarenGebärdennieganzausgeschlossen:DirektorSöderhielt „Erbauungsstunden für die erwachsenen Taubstummen, in denen er in seiner einfachen schlichtenRedeweise,begleitetvoneinerGebärdensprache[…]ihnendasEvangeliumausleg te“.SeineFrauMarieSöder,diealsTochterdesLeitersderHildesheimerTaubstummenanstalt seitKindheitanmitGehörlosenzusammenlebte,hatteeineandereEinstellung.Siegebärdete gernemitdenKindernunddolmetschtefürsie.Siegaltals„SeeledesHauses“undbildeteau ßerdemdiegehörlosenMädcheninHandarbeitenaus(ebd.). 246 StAHbg,3612VOSBV,499e,SchulratProf.Dr.AhlburganSenatorDr.EmilMaxGott holdAugustusMumssen,PräsesderIII.SektionderOSB20.8.1914;StAHbg,6221Gustav Marr,1,SitzungsprotokolldesVorstandesderTaubstummenanstaltvom19.6.1914. 247
StAHbg,3612VOSBV,499e,Bl.6:SitzungsprotokolldesVorstandesderTaubstummen anstalt19.6.1914.
248
StAHbg,3612VOSBV,499e,Dr.GustavMarranOSB21.9.1914.
249
Ebd.,OSBanAnstalt25.9.1914.
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vorstandderOberschulbehördevor,DanckertendgültigalsDirektoreinzu stellen.250 NochwolltedieBehördenichtzustimmen,dasiegeeigneteren BewerbernnachEndedesKriegesdieMöglichkeitzueinerBewerbungge benwollte.251 NebeneinemneuenSchuldirektorwurdenaußerdemzwei neueLehrkräftegesucht.AlswichtigfüreinepositiveAuswahlwurdeers tensderFleißunddiesittlicheFührung,zweitens derBefähigungsnach weis,alsodieAblegungderPrüfungfürTaubstummenlehrer,unddrittens dasLebensalter genannt.252 DazuderZeiteinigejüngere Lehrer an der Schulelehrten,wurdennunLehrermitmehrErfahrunggesucht.MitFranz BrixundFranzWenningwurdenzweigeeigneteLehrergefunden,diezu vor an der Schwerhörigenschule tätig gewesen waren. Im Sommer 1917 fragtedannderAnstaltsvorstanderneutan,DanckertsStellungalsLeiter derSchulezuzustimmen,dadieserindenschwierigenZeitenwährenddes ErstenWeltkriegesdieinSchülerundLehrerzahlweiterwachsendeAn stalterfolgreichgeleitetundsichsomitbewährthabe.Vorallemwurdeher vorgehoben,dassernichtseinenMutverlorenhabe,obwohlerwährend derganzenZeitnichtoffiziellalsDirektorbestätigtwar. 253Nunstimmtedie OberschulbehördederWahlzu,wennDanckertauch„nichtderrichtige MannfürReformen“sei,sowiederVorsitzendederVorstandsderTaub stummenanstalt,Dr.GustavMarr(1857–1939),siegeforderthatte.254 DieExpansionderSchulewurdemitdemBeginndesErstenWeltkrieges gestoppt.DerKriegmitseinenFolgenhatteauchAuswirkungenaufdie Schule,zuerstfiel1916dassonststetsbegangeneStiftungsfestausundes musstenweitereSparmaßnahmeneingeführtwerden,anPapiermusstege spart,Metalleabgeliefertwerden.LehrkräftewurdenalsSoldateneingezo gen.AlsVertretungfürdenimKriegbefindlichenLehrerFranzWenning wurdeseineFraueingestellt,diedannauchblieb,alsihrMannzeitweise wiederzurückgekehrtwar,danochimmerqualifizierteLehrkräftefehlten: BereitsimMärz1915warenvondenelfangestelltenLehrernsechszum 250
Ebd.,Dr.MarranOSB30.3.1916.
251
Ebd.,ProtokollauszugderSektionVolksschulenderOSB25.5.1916.
252
StAHbg,3612VOSBV,499f,DirektorSöderanSchulratProf.Dr.Ahlburg.
253
Ebd.,Dr.MarranOSB12.7.1917.
254
Ebd.,OSBanAnstalt27.9.1917.DerArztDr.GustavMarrwar32JahrelangimVorstand derTaubstummenanstalt(1889–1921)tätig,ab1921bisEndeder1950erJahrewarseinSohn, Rechtsanwalt Dr. Günther Marr, Vorstandsmitglied, während der Vater Ehrenvorsitzender blieb.
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Kriegsdienst eingezogen. Ernst Danckert als Leitungsvertretung konnte wenigerZeitfürdenUnterrichtaufwenden.DiesenLehrermangelkonnten auchdiejeweilsvierLehrerinnenundHilfslehrerinnennichtausgleichen, dieindieserZeitandieSchulekamen.2551917standenvierLehrerander FrontundzweiweiterewurdenanandereStellenversetzt,imfolgenden JahreinLehrerzumPhonetischenLaboratoriumbeurlaubt,256sodassKlas senausLehrermangelzusammengelegtwerdenmussten.Erst1919gabes wiederelfKlassen–zwischendurchwareneszeitweisenurachtgewesen. DennochbliebdieLageangespannt.BisindieJahrenach1923herrschte bedingtdurchdieKriegssituationunddienachfolgendenReparationsleis tungenHolzundKohlemangel.257 4. 1. 6 Ins pekt io n en u nd K ri ti k DasJahr1900warvonöffentlicherAufmerksamkeitgegenüberderTaub stummenanstalt geprägt: Zuerst besuchten Bürgermeister Dr. Gerhard Hachmann(1838–1904)undSenatorConradHermannSchemmann(1842– 1910)mitdemArmenkollegiumdieTaubstummenanstalt.DieKinderhatten zu diesem Anlass ihre Handarbeiten ausgestellt und die Besucher be obachtetendenUnterricht.Vom30.Septemberbis4.Oktobertagtedannin HamburgdievonauswärtigenLehrkräftengutbesuchte5.Bundesversamm lungdeutscherTaubstummenlehrer.DieseVersammlungfandalledreiJah re in wechselnden Städten statt. Vorträge erläuterten die Stellung der SchriftspracheimTaubstummenunterricht,wobeiineinerDiskussiondie meistenLehrkräftefüreineBevorzugungdesSprechensvotierten.Neben denallgemeinenVorträgengabesauchNebenversammlungenderpreußi schenundderkatholischenTaubstummenlehrer.258 DerZusammenhaltderTaubstummenlehrkräftederverschiedenenAn staltenwargroß.DieBerufsvereinigungenwareninSektionenzumBeispiel 255
StAHbg,3612VOSBV,499f,Bl.62:Notizvom13.3.1915undBl.63:Protokollausder OberschulbehördeSektionfürVolksschulwesen13.3.1915.
256
ÜberdasPhonetischeLaboratoriumunddenTaubstummenlehrerSchär,derandiesesIn stitutzeitweisebeurlaubtwurde,berichtetKapitel4.3. 257 258
Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.62.
ZurBundesversammlungsieheStAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.RfNr.29Vol.42.AmRan dedesFachprogrammsbesichtigtendieLehrkräftewahlweisedieHamburgerTaubstummen anstalt,denFriedhofOhlsdorfoderdieWerftvonBlohm+Voss.
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Die staatliche Taubstummenschule
für katholische oder nordwestdeutsche Taubstummenlehrer unterteilt. DazugabesverschiedeneTreffenundKongresse.Esbestandeingroßes Austauschbedürfnis,umgemeinsameInteressenzufördernundumnach „HebungundStärkungdesEinzelnenzustreben“,wieesderHamburger LehrerHeinrichBergmann(1876–1945)ausdrückte.259 Dieser nahm noch eine weitere Möglichkeit des Zusammenarbeitens undderFortbildungwahr:LehrerBergmannfuhrimJuni1906aufeineBil dungsreise, die ihn zu den Taubstummenanstalten Königsberg, Danzig, MarienburgundSchneidemühl/Pommernführte.ImNachtragzuseinem 42seitigenBerichtüberdieseAnstaltengingerkritischmitdereigenen Schuleum.ErverglichsiemitdenbesuchtenSchulenundformulierteeini geVerbesserungsvorschläge:ZumBeispielwardieZahlderSchulversäum nisse von Lehrkräften und Schülern in Hamburg sehr groß, so dassdie Schulentlassenen–spätestensmit16JahrenverließendieSchülerinnenund Schüler die Anstalt – nicht alle Klassen durchlaufen und somit die Ab schlussklassenichterreichthatten.EinGesetzzuzwangsweisemAnstaltsbe suchwäreseinerMeinungnachnotwendig,wieesanderedeutscheLänder bereits formuliert hatten.260 Zudem waren besonders die unteren Schul klasseninHamburgüberfüllt.MehralszehnKindersaßenindenKlas sen,sodasseineindividuelleFörderungsowieAusbauderSprechund AblesefähigkeitenEinzelnerkaummöglichwar.AnanderenSchulengab esbereitsaundbKlassen:Kinder,die„besserlernten“undsprachbe gabterwaren,wurdengesondertunterrichtetundgefördert.ImGegen zugwurdenallerdingssehrschwachbefähigteKinder–inderPraxiswa rendasmeistsolchegehörlosenKinder,diedieLautsprachenichtoder nichtschnellund ausreichend genugerlernten– als „bildungsunfähig“ entlassen. EinweitererKritikpunktbetrafdasInternat.Andenvonihmwährend seiner Informationsreise besuchten Anstalten hatte Bergmann erfahren, dassdieKinderbesondere,wohnlicheingerichteteWohnundArbeitsräu mehatten.InHamburgmusstendieSchülerinnenundSchülerauchnach EndederUnterrichtszeitihreHausaufgabenmachenundihrefreieZeitim Klassenzimmerverbringen.WurdenindenbesuchtenAnstaltenextraAuf 259
StAHbg,3612VOSBV,508bBand1,BerichtmitzusätzlichenAnlagenvonBergmann überdieReise.
260
SowieSachsenWeimar.ZurSchulpflichtdenExkursinKapitel4.3.
In der Kaiserzeit (1882–1918)
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seherinnenundAufseherfürdieNachmittagsstundeneingestellt,hattenin HamburgdieLehrkräfteabwechselndauchdienachmittäglicheAufsicht überdieInternatskinder.DerletzteKritikpunktgaltschließlichderBesol dung: Sämtliche anderen Lehrkräfte an Taubstummenschulen bekamen wegenihrerbesonderenfachlichenMehrausbildungundderaufwändige renArbeitsleistungeinbedeutendhöheresGehaltalsVolksschullehrer,nur in Hamburg war das Endgehalt eines Taubstummenlehrers das eines Volksschullehrers. DerBerichtdesLehrersbliebersteinmalunkommentiert,wennauchei nigeseinerKritikpunkte,wiedieBesoldungoderStellungderLehrkräfte, durchdenAnstaltsvorstandaufgenommenundmitderBitteumÄnderung andieBehördeweitergegebenwurde.WeitereReisenführtenHamburger Lehrer 1912 in die Taubstummenanstalten in Nürnberg, Schwäbisch Gmünd und Straßburg, 1913 nach Leipzig, München, Nürnberg, Zürich undWürzburg.261 1912warenweitereKlageninbaulicherundhygienischerHinsichtbei derOberschulbehördelautgeworden.DaseinstfreiliegendeGrundstück laginzwischengenaunebeneinemBahndamm,aufdemdreiBahnlinien mitstündlich50bis60Zügenverkehrten.AufderanderenSeitedesGe bäudesgabesaufderBürgerweidelebhaftenStraßenverkehr,derenLärm undErschütterungen,soargumentiertendieLehrkräfte,beidergenauen WahrnehmungderSprachestörten.AußerdemwarendieUnterrichtsräume für die gewachsene Schülerschaft zu klein und es fehlten Spiel und Be schäftigungsräume, so dass sich die Kinder auch an Nachmittagen und Sonntagen in den Klassenzimmern beschäftigen mussten. Es fehlte an Schränken, die Ofenheizung rauchte und staubte, die Schulbänke waren nicht größenverstellbar und die hygienischen Einrichtungen entsprachen nichtmehrderNorm.ZudemgabesfürPausenundNachmittagefürdie KinderaußerdererlaubtentäglichenStundeimDirektorgartenkeineeigene GrünflächeaufdemGelände.262 EswurdenaberauchmethodischeKlagen laut. DieöffentlichenPrüfungenstellteneine„eingedrillteSchaustellung“ 261 BerichtdesLehrersWilhelmHenzüberseineReiseimJuli1912in:StAHbg,3612VOSBV, 508bBand1;31seitigerBerichtvonderReiseDr.MarrsimHerbst1913,in:StAHbg,3523 Medizinalkollegium,IIN11,Bl.69. 262
StAHbg,3612VOSBV,499b,BerichtvonGeneralkonsulTheodorFriedrichKempffbe treffend die Taubstummenanstalt, vorgetragen in der Oberschulbehörde Sektion III am 28.11.1912,Bl.3–19,hierBl.11–15.
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Die staatliche Taubstummenschule
in Lautsprache dar und entsprächen nicht dem tatsächlichen Leistungs standderSchülerinnenundSchüler.263 AußerdemwurdenGerüchtelaut, dassinderHamburgerSchuledieGebärdeingrößeremUmfangeange wandtwerdenwürdealsananderenAnstalten.DaauchdieälterenSchüler untereinander gebärdeten, schloss der Verfasser dieser Kritik auf einen MangelimUnterrichtsbetriebderHamburgerSchule.264 Dazugabeszu nehmend Kritik der Lehrkräfte an der Schulleitung. Insgesamt war die Harmoniegestört.DaraufhinbesichtigteundinspiziertedieBehördedie Taubstummenschule.BeidieserGelegenheitsollteauchfestgestelltwerden, inwieweitdieneuerdingsvonderBehördeinsLebengerufenenSonder klassenfürschwerhörigeKinderschärfervonderSonderklassefürSchwer hörigeinderTaubstummenanstaltabgegrenztwerdenkönnten.265
Abbildung 14: Schulklasse mit ihren Lehrern Franz Brix und Dora Ahlers, verheiratete Mutz, 1913
263
Ebd.,S.16.
264
Ebd.,S.16.
265
Ebd.,Bl.20:ProtokollauszugOberschulbehördeSektionVolksschulwesenvom28.11.1912.
In der Kaiserzeit (1882–1918)
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Der Revisionsbericht sparte nicht an Kritik und griff die Unterrichtsme thodeunddamitDirektorSöderdirektan,wassowohlSöderalsauchder AnstaltsvorstandalseineinkompetenteKränkungempfanden.266 Konkret wurdekritisiert,dasseszuvieleundzuunterschiedlichbegabteKinderin denjeweiligenKlassengab.IneinerSchulklassewarensiebenbissechzehn Kinder–zuviele,umintensivSpracheeinübenzukönnen.Außerdemsaßen injederKlassezwischengehörlosenKindernauchKindermitHörresten– diese unterschiedlichen Voraussetzungen konnten zu keinem gemeinsa menSprachaufbauführen.ImUnterrichtfehltenanschaulicheTafelnund Instrumente,zumTeilsaßderLehrermitdemRückenzumFenster,was das Absehen fast unmöglich machte. Der aktuelle Lehrplan war dreißig Jahrealt.UmgangssprachlicheAusdrückewurdenwieVokabelngelernt, nichterklärt,undmehrereLehrkräftewandtenfürdenGeschmackderRe visoren zu viele Gebärden an.267 Dazu merkte die Schulkommission der Taubstummenanstaltan,dassdieOberschulbehördesichzuvorauchnicht umdieSchulegekümmerthabeunddiesesomitnichtdieKompetenzbe sitze,negativzuurteilen.SokönnedemLehrer–undnichtetwadenauf dasSehenangewiesenenSchulkindern–nichtzugemutetwerden,immer gegendasLichtzusehenundeswürdenichtdieGebärdensprache,sondern „AktionundMimik“imUnterrichtangewandt.268ImEndeffektließmandie moniertenVerhältnisseaufsichberuhen,esändertesichalsonichts.269 4. 1. 7 La ut sp rache und Gebä rd en 1891flackerteeinalterStreitauf:DieschulentlassenenGehörlosen,dieim BerufslebenstandenundFamiliengegründethatten,drängtendarauf,an derSchuledieGebärdensprachewiedereinzuführenunddenUnterrichtin Gebärdensprachezuführen.SpätestensseitdemMailänderKongress,auf demdieLautsprachevondenhörendenGehörlosenlehrernalsdiefavori 266
Ebd., Bl. 56–62: Sitzungsprotokoll der Schulkommission der Taubstummenanstalt vom 22.2.1913.
267
Ebd.,Bl.42–49:BerichtübereineRevisionderSchulederTaubstummenanstaltinHamburg vonSchulinspektorHansFricke vom16.1.1913mitBemerkungenvonSchulratProf.Dr.Au gustAhlburgvom21.1.1913. 268
Ebd., Bl. 56–62: Sitzungsprotokoll der Schulkommission der Taubstummenanstalt vom 22.2.1913.
269
Ebd.,Bl.87:ProtokollauszugOberschulbehördeSektionVolksschulwesenvom27.11.1913.
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Die staatliche Taubstummenschule
sierteMethodefürTaubstummenanstaltengenanntwurde,wardieGebär deausdenSchulenmehrundmehrverschwunden.AuchinHamburgwar esinSchuleundInternatverbotenzugebärden,selbstdieAngehörigender KinderwurdeninderHausordnungderHamburgerTaubstummenanstalt von1879gebeten,„imVerkehrmitdenKindernsichderGeberdensprache möglichstzuenthaltenundsichnurderLautsprachezubedienen“. 270Auf einer Versammlung des „Taubstummenvereins von Altona und Umge gend“am26.Oktober1891gabdergehörloseJohnErnestPacher–erhatte sicheineeigeneFirma,eineLithographischeFabrik,aufgebautundsichals wohlhabenderMannmitdemTitelKommissionsrat1882dasHamburger Bürgerrechterworben–bekannt,er„wünscheeineMassenpetitionzwecks WiedereinführungderGeberdenundZeichenspracheinallenTaubstum menanstalten Deutschlands,verbunden mit derLautsprache“.271 Tatsäch lichwurdeausgehendvonderHamburgerAnregungeineaufdemTaub stummenkongressinHannoverzuPfingsten1892beschlossene272 Petition andendeutschenKaisergerichtet.DieserichtetesichgegendieEntfernung derGebärdenspracheausdemUnterrichtderGehörlosenundgegendie Anwendung „scharfer Disziplinarmittel“ zum Erlernen der Lautsprache. DiePetitionwarvonmehrals800GehörlosenausfastallendeutschenLän dern–alleinfast100ausHamburgundAltona–unterschriebenworden.273 Der Streit um die Anwendung der Gebärdensprache erfasste das ganze Land.EsgabTaubstummenlehrkräftewieGehörlose,diesichseit1889zu nehmendgegendenalleinigenGebrauchderLautsprachebeimUnterricht GehörlosergewandtunddamitgegendenTrendgeäußerthatten.FürAuf regunginderLehrerschafthattezusätzlichderBreslauerTaubstummen lehrer Johann Heidsiek (1855–1942) gesorgt, der sich in einer Broschüre „EinNothschreiderTaubstummen“fürdieseundihreeigeneSpracheein setzte.274HeidsiekwarderprominenteGegnerdespurenOralismus.275Da 270
StAHbg,3612VOSBV,499aBand1,Bl.73–79:Hausordnungvom30.3.1879.
271
StA Hbg, 3313 Politische Polizei, Sa 80, Hamburgischer Correspondent Nr. 755 vom 27.10.1891.
272
Ebd.,HamburgischerCorrespondentNr.429vom20.6.1892.
273
Ebd.,HamburgerFremdenblattBeiblattVIderNr.7vom9.1.1892.
274
Ebd.,HamburgerFremdenblattNr.286vom7.12.1892.
275
ZuHeidsieksieheRehling,HörgeschädigteLehrer,S.50–55;JochenMuhs,JohannHeid siek.EinerderletztengroßenVorkämpferfürgebärdensprachlicheErziehungGehörloseran Taubstummenanstalten(1855–1942).VortragausdenKulturtagenderGehörloseninDresden
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er die aus seiner Sicht grausamen Vorgehensweisen der Taubstummen lehrerbeimLehrenderLautspracheangeprangerthatte,wurdeHeidsiekin einen Prozess wegen Beleidigung verwickelt.276 Hamburger Gehörlose sandtenHeidsiekdaraufhinGeldalsUnterstützung.277 DochwederHin weiseaufdieUndurchführbarkeiteinerreinoralenMethodenochdieAn regungzurRückkehrzueinerkombiniertenMethodehatteErfolg.DieUm kehrzurGebärdensprachekonntenichtdurchgesetztwerden.DerKaiser antwortete durch seinen Unterrichtsminister am 17. September 1892 ne gativ,dass„keineVeranlassung[...][zu]einerÄnderung“bestehe.278Auch dieHamburgerSchulelehntedieseVorschlägeabundhieltanderLaut sprachenlehrefest.DieSchuleführtestattdessenmoderneakustischeMe thodenein,wieneueHörrohre,HörschläucheundandereHörapparate. DerMethodenstreitsetztesichJahrumJahrfort:1901beriefsichder Vorstand darauf, dass die Angehörigen der gehörlosen Kinder auf der Lautsprachebestünden.DaherorientiertesichdasLehrverfahrenweiterhin anderHeinicke’schenLautsprachmethode,der„DeutschenMethode“,ob wohlsichauch1910wiederStimmenstarkmachten,diedenaltenStreit zwischenihrundder„französischen“Methodeanfachten.Diesmalwurde dieZeichenspracheunddasFingeralphabetvonOhrenärztenprotegiert.279 Die Schule hielt dagegen, dass die Angehörigen der gehörlosen Schüler selbsteine mangelhafte Lautsprache der Zeichensprache vorziehen wür den.Außerdemwürdedie„Zeichensprache“,dieuneinheitlichwarundin jederRegion,jajedemGehörlosenKreiszueigenenGebärdenschöpfungen geführthabe,zuvielenMissverständnissenführen.DieLautsprachewürde viel schneller zum Kommunikationsziel leiten.280 Ein weiteres Argument 1998(DeafHistoryHeft1),Berlin1998;ders.,JohannHeidsiek(1855–1942)–Wegbereiterdes Bilingualismus,in:DasZeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheundKommunika tionGehörloser13(1999),S.11–17. 276
StAHbg,3313PolitischePolizei,Sa80,HamburgerFremdenblattNr.286vom7.12.1892, BerlinerVolkszeitungNr.238vom11.10.1892.
277
Ebd.,HamburgerFremdenblattNr.286vom7.12.1892.
278
Ebd.,BerlinerVolkszeitungNr.238vom11.10.1892.
279
Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.58.
280
Diesändertesicherst60Jahrespäter,alseinArbeitskreisunterLeitungderTaubstummenlehrer HellmuthStarckeundGünterMaischdas„HandbuchderGebärden“(daserstesogenannte„blaue Buch“)mit5000Begriffszeichenauf480Seitenherausgaben,welcheszurVereinheitlichungder bislangregionalstarkabweichendenGebärdenzeichenfürNorddeutschlandbeitrug(in:Informa tionderGesellschaftzurFörderungderGehörloseninGroßHamburge.V.,Hamburg1980,S.21).
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der Anstaltsleitung war, dass selbst die Gehörlosen untereinander laut sprachlicheUnterhaltungenführten,auchwenndiestonlosundinVerbin dungmitderZeichensprachegeschehe.281 ImmerhingabdieSchulleitung zu,dasseineLautsprachezumbesserenVerständnisdurch„Mimikund Aktion“unterstütztwerdensolle.282DassauchKindermitHörrestenindie Taubstummenschulegingen,wurde1910alsweiteresArgumentgenannt, stetsdieLautsprachevorzuziehen,dasiedieseleichterlernten.
Abbildung 15: Gebärde für Verein
ZurbesserenFörderungvonKindernmitHörrestenwurdeninHamburg 1911zweiKlassennurfürschwerhörigeKindereingerichtet.Schon1836 hatteesanderTaubstummenanstaltsovieleschwerhörigeKindergegeben, dasssieineinereigenenKlasse,getrenntvondengehörlosenKindern,un 281
Tatsächlichist die Gebärdensprache keine „reine Sprache der Hände“, da auch Mimik, Mundbild,dieLagederGebärdeimRaumundweitereStilmittelzurSprachegehören.
282
HamburgerNachrichtenNr.494,Abendausgabevom21.10.1910.
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terrichtetwerdenkonnten.283EinJahrspäterwarenvonsiebendortunter richteten schwerhörigen Kindern drei soweit gefördert worden, dass sie nachkurzerZeitaufeineallgemeinbildendeSchulewechselnkonnten.Mit der Gründung der Schwerhörigenschule 1913 nahm die Taubstummen schuledievonGeburtangehörlosenodervordemSpracherwerbertaubten Kinderauf,dienichtüberakustischeSignalelernenkonnten.Kinder,die nachdemSpracherwerbertaubtwarenoderHörrestehatten,wurdenindie Schwerhörigenschuleeingeschult.LehrerindenerstenSchwerhörigenklas senwurdennebenWilhelmFehling(1882–1961)dieauchanderHambur gerGehörlosenschulebereitslehrendenTaubstummenlehrerJürgenRahn und Louis Satow (1880–1968).284 Mit der Einrichtung von „Schulen für Sprachkranke“konnteschließlichjedesHamburgerKindseinerSprachbe hinderunggerechtunterrichtetundgefördertwerden. DasLernen des Lippenlesens sowie das Sprechen blieb an der Taub stummenschuleoberstesGebot.InihremJahresberichtüberdasSchuljahr 1911/12 wurde erneut betont, dass die „Zeichensprache“ im Unterricht nichtgebrauchtwürde.Dochkonntesie,dadieGebärdenspracheimUm gangderGehörlosenuntereinandernatürlichesAusdrucksmittelwar,nicht wievoneinigenSeitengewünscht„ausgerottet“werden:1912äußertesich DirektorSödergegenAngriffedesLehrersLouisSatow,inderSchulebe nütztenalleKinderdieZeichensprache,sodassdieauchanderSchuleler nendenschwerhörigenundspätertaubtenKinder„vertaubstummen“wür den,dassdieTaubstummendiesüberalluntersichtunwürdenundselbst schwere Strafen, wie das Umhüllen bzw. Zusammenbinden der Hände, nichtsnützenwürde.285DirektorSöderargumentierte,dassvieledergehör losen Kinderzu Hause mitihrengehörlosen erwachsenen Geschwistern 283
LautHeinrichWitthöftgabesdenSonderunterrichtfürSchwerhörigeanderHamburger TaubstummenanstaltdurchJ.H.C.Behrmannvon1835bis1841(StAHbg,3612VIOSBVI, 404,Witthöft,DerTaubstummenlehreralsSchwerhörigenlehrer,o.D.[ca.1958].
284
AuchandereLehrkräfte,dieanderTaubstummenschuletätigwaren,lehrtenzusätzlichan derSchwerhörigenschule:DorotheaElkan,PaulJankowskiundWilhelmBehrens. 285
SokönnedieSchulenichtsdagegentun,außerdieSchülernichtzubeachten,solangesie mitderGebärdekommunizierenwürden.LouisSatow,HamburgsSchulenfürGehörleiden de,in:PädagogischeReformNr.39vom25.9.1912und1.BeilagezurNr.40derPädagogi schenReformvom2.10.1912,in:StAHbg,6221GustavMarr,1;AntwortvonGustavMarrin der2.BeilagezurNr.43derPädagogischenReformvom23.10.1912undHeinrichSöderinder 1.BeilagezurNr.44derPädagogischenReformvom30.10.1912,in:StAHbg,35110ISozial behördeI,AK61.11.
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oderElternaufdieseWeisekommunizierten,sodass„dieZeichensprache beiunserenSchülerngänzlichauszurotten[...]schondeshalbdurchausun möglich“sei.UndalsesAngriffegegendieSchulegab,diesewürdedie Gebärdezusehrakzeptieren,wehrtesichdieSchulesogleich.Mimikund GestikbeidenLehrernzukritisieren,wieesdieKommissionzurRevision derTaubstummenschulegetanhatte,seinichtangemessen,dadiesealsEr satzzurModulationundBetonungderSprachedienten.DasAusschließen derGebärden,sobemerkteSöderschließlichsogarrichtigweiter,seiauch keinursprünglichesKriteriumderdeutschenMethodik.286 Dennochwar dieGebärdensprachezudieserZeitandenDeutschenTaubstummenan staltenalsUnterrichtsmittelundsprachedeutlichunerwünscht.
4. 2 In de r Weimare r Republik (1919–19 33) 4. 2. 1 S chuls elbs tver waltung 1921 wurde in Hamburgs Schulen die Selbstverwaltung auf Grund des „GesetzesüberdieSelbstverwaltungderSchulen“vom12.April1920ein geführt:HamburghatteinderMitbestimmungvonLehrernundElternan denSchulenunterdeutschenStädteneinenbesonderenStand.Schondurch das „Gesetz betreffend das Unterrichtswesen“ vom 11. November 1870, durchdasdasöffentlicheSchulweseninHamburggeschaffenwurde,wur denichtnurdieSchulpflichtgesetzlichverankert,sondernhattendiefest angestelltenLehrerdurchdieSchulsynodeaucheingewissesMitsprache rechterhalten.287 NachdemEndedesErstenWeltkriegesgründetesichnachKielerVor bildam6.November1918einArbeiterundSoldatenrat,derdieRegierung Hamburgsübernahm.DieLehrerschaft,insbesonderedieGesellschaftder FreundedesvaterländischenSchulundErziehungswesens,diegrößteHam
286
StAHbg,3612VOSBV,499b,Bl.63–72:DirektorSöderanSchulratProf.Dr.Ahlburgvom 15.3.1913,hierinsbesondereBl.66.
287 ZurSelbstverwaltungderSchulensieheHansPeterdeLorent,SchuleohneVorgesetzte. ZurGeschichtederSelbstverwaltungderHamburgerSchulenvon1870bis1986,Hamburg 1992;UweSchmidt,AktivfürdasGymnasium.HamburgsGymnasienunddieBerufsvertre tungihrerLehrerinnenundLehrervon1870bisheute,Hamburg1999.
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burgerLehrervereinigung,wählteeinenLehrerratundstelltevierHaupt forderungenfüreineSchulreformauf:DieSchaffungeinesReichsschulge setzes,dieEinführungderEinheitsschule,dieSelbstverwaltungderSchulen unter Beteiligung der Eltern sowie Glaubens und Gewissensfreiheit für Lehrer und Schüler.288 Auf der Grundlage dieser Forderungen wurden zahlreicheVeränderungeneingeleitet–unteranderemwurdederbisdahin obligatorischeReligionsunterricht(vorerst)abgeschafft.DieTeilnahmewar nunfreiwillig.289Am28.April1919tratdas„GesetzbetreffenddieWahlder Schulleiter“inKraft.DieSchulleitungwurdebiszum2.Mai,alsoinnerhalb dernächstenTage,vomLehrerkollegiumgewählt,dieAmtsperiodesollte zunächstinterimistischbis1920dauern.DieStellungdesSchulleiterswar nichtmehrdieeinesdienstlichenVorgesetzten,sondernnurnochdieeines „primusinterpares“,einesVorsitzendenderSchule. DasprovisorischeGesetzvon1919wurdeam12.April1920durchdas „GesetzüberdieSelbstverwaltungderSchulen“abgelöst,dasam1.Mai 1920Krafttrat.290Eslegtefest,dassjederausdemKollegiumgewähltefest angestellteLehrerbzw.jedeLehrerinzumSchulleiterbzw.zurSchulleiterin gewähltwerdenkonnte,umdannaufdreiJahrediesesEhrenamtauszu führenundsichdanachwiederals„einfacherLehrer“indasKollegium einzureihen.DasbisherigeAmtdesRektorswurdeabgeschafft,undauch dieDirektorenhöhererSchulenwurdenzuSchulleitern.DerElternrat,der ausneunVertreternderElternschaftunddreiMitgliederndesKollegiums– darunterdieSchulleitung–bestand,berietüberalleFragendesSchullebens undsorgtefürdieAusführungderBeschlüsse.ElternratundLehrerkolle gium, dasauchMitspracherechtbeiden Lehrerstellenbesetzungenerhielt, verwaltetengemeinsamdieSchule.291ErstdieNationalsozialistenersetzten 1933dieSelbstverwaltungdurchdas„Führerprinzip“undbeschnittenwieder die Aufgaben der schulischen Gremien, die, sofern sie nicht ganz abge 288
DeLorent,SchuleohneVorgesetzte,S.71;ausführlicherSchmidt,Gymnasium,S.111–132, insbesondereS.111–117.
289
AnderGehörlosenschulewurdeerfürdie,dieihnwünschten,alsPrivatunterrichtweiterer teilt. Zum Religionsunterricht siehe Rainer Hering, Vom Seminar zur Universität: die Reli gionslehrerausbildunginHamburgzwischenKaiserreichundBundesrepublik,Hamburg1997.
290 291
AmtsblattNr.79vom13.4.1920,S.517.
DeLorent,SchuleohneVorgesetzte,S.88undS.130.DieUnzufriedenheitderSchulleiter mitihrerSituation,dieeinebeständigeundeffektiveArbeitandenselbstverwaltetenSchulen inihrenAugennichtmöglichmachte,beschreibtSchmidt,Gymnasium,u.a.S.185f.
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schafftwurden,nurnoch„beratendeFunktion“fürdievonderLandesun terrichtsbehörde bestellten Schulleiter hatten.292 Nach 1945 wurde ange sichtsverändertergesellschaftspolitischerVerhältnissedieSelbstverwaltung nichtwiederinderForm,diesieinderWeimarerRepublikinnehatte,auf gegriffen.DasSchulverwaltungsgesetzvon1956legalisiertedieseit1945 geübtePraxisderErnennungdesSchulleitersdurchdieSchulbehördeun terMitwirkungderLehrerkonferenz.Von1973bis1986wurdeaufGrund desSchulverfassungsgesetzesderSchulleiterdurchdieausLehrkräften,El ternundSchülerndrittelparitätischzusammengesetzteSchulkonferenzge wählt,seitdemgiltaufneuergesetzlicherGrundlagewiederdieRegelung von1956.293 DasSelbstverwaltungsgesetzvon1920saheinezuerarbeitendeSonder form der Selbstverwaltung für die Sonderschulen vor, die dann für die SchulederTaubstummenanstalteinJahrspäternacheinigenSchwierigkei tenvorgelegtwerdenkonnte.Schwierigkeitengabes,weilzuvordieZukunft derSchulegeklärtwerdenmusste.EslagenzweiweitergehendeAnträgeder Taubstummenanstaltvor:ZumeinenwurdedievölligeÜbernahmedurch denStaat,zumanderendieZusammenlegungmitderSchwerhörigenschu lederOberschulbehördezurPrüfungvorgelegt.294 Schließlichkonntesich aufeineSonderformderSelbstverwaltungfürdieGehörlosenschulegeei nigt werden. Ein wichtiger Unterschied zur Selbstverwaltung anderer SchulenwardieWahleinesSchulleitersnacheinereinjährigenProbezeit alsDirektoraufLebenszeit.295 DieAufgabendesElternratesderGehörlosenschulerichtetensichinZu sammenarbeitmitderSchulleitungvorallemaufdieLösungvonRaum 292
DeLorent,SchuleohneVorgesetzte,S.147;Schmidt,Gymnasium,S.350–356.
293
DeLorentvertritteineuneingeschränktpositiveSichtaufdieSelbstverwaltung(HansPeter deLorent,ZurGeschichtederSelbstverwaltunginHamburgerSchulen,in:ders./Ullrich,Vol ker[Hg.],DerTraumvonderfreienSchule.SchuleundSchulpolitikinderWeimarerRepu blik [Hamburger Schriftenreihe zur Schul und Unterrichtsgeschichte Band 1], Hamburg 1988, S. 97–117, hier vor allem S. 116 und ders., Schule ohne Vorgesetzte), mit der sich Schmidt,Gymnasium,u.a.S.516–528kritischauseinandersetzt. 294
3612VOSBV,499d,Bl.37:ProtokollauszugzweiteSektionderOberschulbehördevom 30.4.1921.
295
StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Mappe35„Schulpolitisches“(Ab lieferungsverzeichnis), Fachgruppe Sonderschulen Arbeitskreis der Lehrer an Gehörlosen Schwerhörigen,Sprachheil,BlindenundSehschwachenschulenanGewerkschaftfürErzie hungundWissenschaft13.2.1956.
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problemenunddieLehrerversorgung.296 DasSchulverfassungsgesetzvom 12.April1973führtedannauchfürdieGehörlosenschulealsNeuerungdie Schulkonferenzein,inderalleanderSchulevertretenenGruppen–Eltern, Lehrkräfte,SchülerinnenundSchüler–vertretenwarenunddieProbleme derSchulediskutierten.ThemadererstenSitzungdergemeinsamenKon ferenzderGehörlosenschulewarendieneueHausordnung,aberauchak tuelleProblemedesSchullebens.BesondersdieSchülerinnenundSchüler machten von ihrem neuen Mitspracherecht sehr engagiert Gebrauch.297 1986 schließlich wurde die Rolle des Lehrerkollegiums, der Eltern und Schülervertreter bei der Mitwirkung an der Schulleiterwahl im neuen HamburgerSchulverfassungsgesetzdahingehendverändert,dassdieschuli schenGremieninabgestufterFormanderSchulleiterfindungmitwirkten.298 DochzurückindasJahr1920,indemdieSelbstverwaltungzumAlltag wurde.DieTaubstummenschulewolltenichtunbesehendieSelbstverwal tung,wiesiefürdieVolksschulenvorgesehenwar,übernehmen.ImUnter schiedzudenVolksschulenhattedieSchulgemeindederGehörlosenschule mehrdenCharaktereinesSchulvereins.DieSchulgemeindebestandaus SchülerinnenundSchülern,Eltern,Lehrkräften,Anstaltsvorstand,Freun denderAnstaltundEhemaligen.DieSchulentlassenensolltenauchweiter hindurchdieAnstaltbetreutundberatenwerden.Insbesonderewarendie Lehrer besorgt, dass Gehörlose sonst durch politische Parteien „gelenkt und gedrängt“ werden und mit diesen „falsche Freunde“ finden könn ten.299 Die Zusammenarbeit zwischen staatlicher Schule und dem nicht staatlichenGremium,ausdemheraussieursprünglicheinmalhervorge gangenwar,demAnstaltsvorstand,warengundweiterhinwichtigfürdie optimaleErreichungdergestecktengemeinsamenZiele–dieFörderung gehörloserHamburgerinnenundHamburger.ImMai1919begannendie 296
Erstnach1975wandeltesichdieHauptaufgabedesElternratszurEingliederungentlasse ner Schülerinnen und Schüler in berufsbegleitenden Unterricht und Hilfe bei der Ausbil dungsplatzsuche(StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Mappe13[Ablie ferungsverzeichnis],InformationenderSchulleitung,Nr.1März1975). 297
Ebd.
298
DeLorent,SchuleohneVorgesetzte,S.11;sieheauchSchmidt,AktivfürdasGymnasium.
299
Konferenzbeschlussvom14.10.1919(StAHbg,3612VOSBV,499d,Bl.12:Heinrichsdorff fürdasKollegiumderTaubstummenschuleanSchulratProf.Dr.KarlUmlauf,Vorsitzender derSchulkommissionderTaubstummenanstalt17.12.1919).DieBesorgnisserichtetensichof fensichtlichgegenMitgliedervonSPDundKPD.
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Die staatliche Taubstummenschule
DiskussionenanderSchuleumdieSelbstverwaltung.AufeinerVersamm lungderElternlehntendieseesausKompetenzgründenab,sichinUnter richtsangelegenheiten einzumischen,300 das Lehrerkollegium sollte in sei nen Beschlüssen nur der Oberschulbehörde gegenüber verantwortlich sein.301 Die Lehrerkonferenz beschloss, den Schulleiter durch das Kolle giumunddenneuenAnstaltsvorstandvonderSchulgemeindewählenzu lassen.DieneuzuwählendeSchulgemeindesolltesichzugleichenTeilen ausEltern,LehrkräftenundStiftungsvertreternzusammensetzen.DieAus dehnungderSelbstverwaltungaufdiegehörlosenSchülerinnenundSchü ler,sowieesdasSelbstverwaltungsgesetzfüröffentlicheSchulenvorsah, warnachMeinungderLehrkräfteinihremFallnichtmöglich.Der„Sinn fürGemeinschaftsleben“solltenichtinaktiverMitsprachegeschultwer den,sondernsolltenuralsTeildesLehrplansundderSchulordnungange botenundvermitteltwerden–wiegenaudasaussehensollte,wurdenicht geklärt.302 EineWahlfandvorerstnichtstatt.DasverurteiltedieBehörde. Am 10. Mai 1920 teilte die Oberschulbehörde dem Lehrerkollegium der Taubstummenschulemit,dasssiedieSelbstverwaltung„durchbesondere VerordnungtunlichstimSinnediesesGesetzes“zuregelnhabe. 303ImMärz 1920hattederErsteVorsitzendedesAnstaltsvorstands,Dr.GustavMarr,in einemBriefdemzuständigenSchulratmitgeteilt,dassdieSelbstverwaltung der Schule der Taubstummenanstalt„nicht mehr zu umgehen“ sei.304 Es wurdedurchdieBehördedieStreichungderStelleeinesDirektorsunddie NeuwahleinesSchulleitersangeordnet,dochderVorstandderAnstaltund dasLehrerkollegiumderSchulebestandendarauf,dieStelleeinesDirek torszuerhalten.DessenbisherigevielfältigenAufgabenwurdenineinem Schreiben an die Oberschulbehörde vom September 1921 breitgefächert aufgezählt:305VerwaltungdesInternats,LeitungderSchuleundfürsorgeri scheTätigkeitenwiedieVermittlungvonLehrstellenoderalsVermittlerder RechteGehörloser,zumBeispielvorGericht,außerdemdieAusbildungvon FachlehrernundFortbildungdererwachsenenGehörlosen,aberauchGehör 300
Ebd.,Bl.13f.:Elternversammlungam27.5.1919.
301
Ebd.,Bl.14:Konferenzbeschluss22.10.1919.
302
Ebd.,Bl.15:Konferenzbeschluss14.10.1919.
303
Nach§41,Absatz2desGesetzes(Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.62).
304
StAHbg,3612VOSBV,499d,Bl.22f.:MarranSchulrat18.3.1920.
305
Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.62ff.
In der Weimarer Republik (1919–1933)
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losenseelsorgesowieÖffentlichkeitsarbeit.Diesallessolltetraditionellinei nerPersonzusammenlaufen,dereinesaufLebenszeitgewähltenDirektors. Das Votum der Lehrkräfte für die Selbstverwaltung der Gehörlosen schule sah keine Beteiligung Gehörloser vor. Dagegen legten Gehörlose undderHamburgerSchulbeiraterfolgreichEinspruchein.AufVeranlas sung der verschiedenen Taubstummenorganisationen Hamburgs setzte sichderVorstanddesSchulbeiratsgemeinsammitVertreterndieserOrga nisationenmitderStellungdesElternratsanderTaubstummenschuleaus einander.ErgebniswardieForderung,dassdemElternratauchGehörlose angehörensollten–insgesamtsolltenvierElternvertreter,vierGehörlose, drei Lehrkräfte und ein Vorstandsmitglied der Taubstummenanstalt den Elternratbilden.DerTeilnahmeGehörloserandenVerhandlungendesEl ternratsmaßderSchulbeirathöchsteBedeutungbei,„weilniemandsichso indieSeelederTaubstummenhineinversetzenkönne,wiedieTaubstum menselbst“.306 DiegehörlosenVertreter–mindestens30JahrealteHam burger–solltenvonderSektionderTaubstummenderSPD307 unddem TaubstummenUnterstützungsverein vorgeschlagen werden. Diese Wahl solltedieOberschulbehördebestätigen.SogeschahesauchbeiderBildung einesvorläufigenElternratsam24.September1921.308DieElternschaftge hörloserSchulkinderdagegensahesnichtein,gehörlosenErwachsenen, diekeingehörlosesKindinderSchulehatten,einenSitzimElternratein zuräumen.309 SchließlichlegtederAusschussfürdieSelbstverwaltungder Sonderschulen,derausSonderschullehrern,demLandesschulratunddem zuständigenStaatsratbestand,einstimmigfest,dasszweiGehörloseMit gliederdesElternratswerdensollten.310 NachBeendigungdieserintensivenVerhandlungenwurdeam25.De zember 1921 die „Verordnung über die Selbstverwaltung der Taubstum
306
StAHbg,3612VOSBV,499d,Bl.33:SchulbeiratanOSB2.3.1921.
307
DieSPDwardieeinzigePartei,dieeinesolcheSondersektionfürGehörloseanbot.
308
StAHbg,3612VOSBV,499d,Bl.62:SchulleiterHeinrichMutzanOSBam26.9.1921.Der Allgemeine Taubstummen UnterstützungsVereinentsandte Boris Tomei undPaul Stolzen berg,dieSPDSektiondieTaubstummenRichardW.Bartosch (1883–1953)undJohannGan desbergenindenElternrat.
309 310
Ebd.,Bl.73:ResolutiondesElternabendsvom19.10.1921.
Ebd.,Bl.75:ProtokolldesAusschussesfürdieSelbstverwaltungderSonderschulenam 27.10.1921.
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Die staatliche Taubstummenschule
menschule“erlassen.311 Vorgesehenwar,dassderzugründendeElternrat aus dem Schulleiter, zwei von der Lehrerschaft gewählten Lehrkräften, sechs von der Elternschaft gewählten Müttern oder Vätern gehörloser Schüler,einemdurchdenVorstandgewähltenVorstandsvertreterundzwei von den Gehörlosen Hamburgs gewählten Gehörlosen bestehen sollte. WahlberechtigtfürdiegehörlosenVertreterimElternratwareninHam burg wohnende Gehörlose, die das 20. Lebensjahr vollendet hatten und nachweisenkonnten,ihreAusbildungineinerTaubstummenschuleerhal tenzuhaben.WählbarwarenalleGehörlosenüber30Jahre,diemindestens seiteinemJahrinHamburgansässigseinmussten.312
Abbildung 16: Wanderabteilung des Hamburger Gehörlosen-Sportvereins, 1920er Jahre
311
VerordnungüberdieSelbstverwaltungderTaubstummenschulevom22.12.1921(Hambur gischesGesetzundVerordnungsblattNr.155vom25.12.1921,S.702). 312
StAHbg,3612VOSBV,499d,Bl.88.
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DochauchdiesertheoretischeErfolgdesMitspracherechtsGehörloserin schulischenFragenwurdedurchdiePraxiszunichtegemacht.DreiJahre später,am6.August 1924gabeseineProtestveranstaltungerwachsener Gehörloser,dieempörtwaren,dassesinzweiJahreninsgesamtnurdrei Elternratssitzungengegebenhatte.DadieGehörlosennurzweiSitzeimEl ternrat hatten, hatten sie nicht die Möglichkeit, Elternratssitzungen von sichauseinzuberufen.DringendgewünschteThemen,wieeinReferatüber die „Zeichensprache als Hilfssprache zur Lautsprache“, wurden immer wiederverschleppt.313DemWunschaufhäufigeresZusammenkommendes ElternrateswurdevonSeitenderSchulenichtentsprochen.314 DurchdieSelbstverwaltungwurdedasBandzwischenAnstaltundSchu legelockert.DieneuenSatzungenbesagten,dassbeidesichjetztgegenseitig ergänzensollten.EsmusstenDirektoratundSchulleitungnichtzwingendin einerHandliegen. Der Schulleiter sollte aus den fest angestellten Taub stummenlehrernHamburgsgewähltwerden.DasAmteines(Anstalts)Di rektorswurdevorerstnichtabgeschafft,allerdingswurdedieStellenicht wiederbesetzt.DasInternatwurdeseitdemvoneinemTaubstummenlehrer imNebenamtverwaltet.1923wurdeoffiziellaufdieDirektorenstellever zichtetunddieseimHaushaltsplanindieeinesTaubstummenlehrersum gewandelt.315 Erst1936wurdenAnstaltsundSchulleitunginderPerson PaulJankowskisaufGrundwirtschaftlicherVorteilewiedervereint.316 4. 2.2 Die Arbeit der Schulleiter ZumSchulleiterwurde1921derTaubstummenlehrerHeinrichMutz(1865– 1946) gewählt.317 Ein Jahr später, 1922, übernahm Alwin Heinrichsdorff (1878–1955)seinAmt.Bis1924warenesschwierigeJahre,indenenPerso 313
StAHbg,3612VOSBV,499d,AbschriftBriefanElternratvom7.8.1924,unterschriebenu. a.vonBoris Tomei alserstemVorsitzendendesAllgemeinenTaubstummenUnterstützungs Vereins,CarlKarnap,VorstandderSPDSektionderTaubstummen,undHermannRiecken berg.
314
Ebd.,NotizvonStaatsratBuehlvom2.4.1925undProtokollauszugSenat15.4.1925.
315
StAHbg,3612VOSBV,499e,PräsesderOSBEmilKrauseanSenatskommissionfürdie Verwaltungsreform25.7.1923.Bestätigungam1.8.1923. 316
StAHbg,3612VOSBV,498aBand2,Bl.9:PräsesderLandesunterrichtsbehördeKarlWitt anStaatsamt27.11.1935,GenehmigungdurchdasStaatsamtBl.13:StaatsamtanLandesunter richtsbehörde10.1.1936.
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nalaufGrundstrengerSparmaßnahmenabgebautwerdenmusste.318Den nochwartrotzderwirtschaftlichschwerenLage–derVorstandderAnstalt konntesichnurnochumdasInternatkümmern–1920dieersteKlassenrei senachSyltveranstaltetworden.41KinderreistenunterBegleitungder LehrerDoraAhlers,FritzSchmidtundWilhelmBehrensfürvierWochenin dieFerienkolonieVogelkoje.319IndenfolgendenJahrenkonntendieKinder Reisen nach SchleswigHolstein(Niendorf/Ostsee),Mecklenburg(Ostsee bad Graal) und nach Dänemark (als Gäste der Dänenhilfe in den Taub stummenanstaltenzuKopenhagenundFredericia)unternehmen.320
Abbildung 17: Schulkindverschickung, um 1925 317
ErwurdeimApril1922durchVorstandswahlzumInternatsleiterunderhieltab1.April 1923freieWohnunginderAnstalt(BerichtderTaubstummenAnstalt1920/26,S.3).
318
ÜberdieUmsetzungderPersonalabbauverordnungsieheUweSchmidt,Rechte,Pflichten, Allgemeinwohl. Hamburger Organisationen der Beamten und Staatsangestellten bis 1933, Bonn1997,S.194–200. 319
StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A1375,Bl.62.
320
StAHbg,3612VOSBV,508bBand2,S.2f.:BerichtderTaubstummenAnstaltfürdieJah re1920/26.
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MitdenVerschickungenwolltedieSchulleitungderAnfälligkeitderKin derfürTuberkuloseentgegenwirken,zumalsiedurchdieKriegszeitauch unterernährtwaren.UmdieseNötezulindern,wurden1921nocheinmal 66KindermitihrenLehrernnachSyltverschickt.321Außerdemwurdedie allgemeineSchulspeisungeingeführt,die1920durchdieQuäkerspeisung abgelöstwurde.322AuchhieltderFortschrittinFormvonelektrischerBe leuchtung statt der altenGasanlage (1923) und Zentralheizung statt Ka chelöfen(1929)EinzugindieAnstalt.323 ZwischenderSchwerhörigenschuleundderTaubstummenschulegabes zuBeginnderWeimarerRepublikDifferenzen:BeiderletztenBesetzung derStelledesDirektorsanderTaubstummenanstaltwurdendiesem,ver bundenmiteinerGehaltszulage,AufsichtsrechteüberdieSchwerhörigen schulezugebilligt,diedieserzwardefactoniewahrnahm,dochbedeutete dieseRegelungindenAugenderSchwerhörigenschuleeinestarkeBevor mundung.324 DieSchwerhörigenschulebestandaufihrerSelbstständigkeit undpochtedarauf,dassauchsiedem„GesetzfürdieSelbstverwaltungder Schulen“unterliege.BeidernächstenBesetzungdesDirektorpostensder Taubstummenanstalt sollten diesem darum keine Befugnisse über die Schwerhörigenschule mehr übertragen werden. Die Behörde zeigte sich einverstanden,abereinJahrspäter,imJanuar1921,beantragtedasLehrer kollegiumderTaubstummenschulemitErfolgbeiderOberschulbehörde die Bildung eines Ausschusses, der die Frage prüfen sollte, ob Taub stummenundSchwerhörigenschulenichtzuvereinenwären. 325Daraufhin sandtedieSchwerhörigenschuleeinensiebenseitigenBriefmitGegenargu mentenandieBehörde,inderdieSchulesichheftiggegendie„unlogische Beweisführung“ für eine Zusammenlegung mit der Taubstummenschule wehrte326.Tatsächlichlagenwederpädagogische –dieKompetenzender beiden Schulen waren klar getrennt – noch finanzielle Gründe vor, die 321
DieSylterReisenindasFerienheimVogelkojesieheebd.
322
StAHbg,35110ISozialbehördeI,AK61.11,WilhelmBehrensanPräsidentderAllgemei nenArmenanstalt,OskarMartini,5.5.1921. 323
StAHbg,3612VOSBV,499L,GenehmigungderelektrischenBeleuchtungdurchdieBür gerschaft26.8.1922undBehrens anOSB5.5.1930(EinbauZentralheizung).ZurElektrischen Anlagesieheauch:StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QdNr.9Vol.5Fasc.13.
324
StAHbg,3612VOSBV,499d,Bl.15a:SchulleiterWilliBeskeanOSB17.1.1920.
325
Ebd.,Bl.28a–e:LehrkörperderTaubstummenschuleanOSB22.1.1921.
326
Ebd.,Bl.33a–g:SchwerhörigenschuleanOSB24.3.1921.
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Die staatliche Taubstummenschule
stichhaltigfüreineZusammenlegungsprechenkonnten.KeinesderGebäu dehätteeingespartwerdenkönnen,daeinGebäudealleinzukleinwäre. DifferenzenzwischendenbeidenSchulformengabesschonzuvor.Be reitsAnfang1911hattensichderdamaligeDirektorderTaubstummenan stalt,Söder,undderVorsitzendedesVorstandes,Dr.GustavMarr,gegen einevonWilhelmFehlinginseinerDenkschriftvom2.Mai1910geforderte selbstständigeSchwerhörigenschule–letztlicherfolglos–zuwehrenver sucht.DieTaubstummenanstaltwollteeigeneSonderklassenfürschwerhö rigeVolksschülereinrichtenunddamitdasMonopolaufdieBildunghör geschädigterKinderausHamburgbehalten.Söder wargegeneineeigene SchulefürschwerhörigeKinder eingestellt, erwollte starkschwerhörige undspätertaubteKinderlieberweiterhinandereigenenSchuleunterande remimLippenlesenunterrichten,sodassderUnterrichtHörgeschädigter ineinerHandbliebe.SchülermitHörresten,soVorstandsmitgliedDr.Marr, seienaußerdemanderGehörlosenschulezurLeitungundBelehrungder Mitschülernotwendig.327UmdieKompetenzenendgültigabzuklären,wur den1921RegelnfürdieAufnahmederKinderandieSchwerhörigenbzw. Taubstummenschuleentwickelt.328 DieTaubstummenschulenahmdiege hörlosen Kinder auf, die Schwerhörigenschule die spätertaubten und schwerhörigenKinder.ErstimMai1922wurdeendgültigvonderOber schulbehörde festgelegt, dass jede Schule ihre Selbstständigkeit behalten solle.AusPlatzgründen–nichtausmethodischenErwägungenheraus– gabesauchweiterhindieSchwerhörigenunddieTaubstummenschule.329 DieDifferenzenzwischendenbeidenSchulenwurdenausgeräumtundes bildetesichsogareinepädagogischeArbeitsgemeinschaftzwischenbeiden 327 StAHbg,6221GustavMarr,1,MarranSchulrat14.2.1911;GustavMarr,SchulärztlicheUn tersuchungen in den Volksschulen im Schuljahre 1908–1909, in: Hamburger ÄrzteCor respondenzNr.48(1909),S.505–507,hierS.506.EinePrüfunganHamburgerVolksschulen hatteergeben,dass903KinderdiegeflüsterteLehrerstimmenichtausdreiMeterEntfernung und211Kindersiegarnichthörenkonnten.„DerDirektorderTaubstummenanstaltmachte michvollerFreudeaufdieseZahlenaufmerksam,ersahschonimGeistediese1.100Kinder, weilsiedemUnterrichtinderVolksschulenichtfolgenkönnten,indieTaubstummenanstalt einziehen und trug sich schon mit Plänen für den gesonderten Unterricht von Schwer hörigen“. 328
StAHbg,3612VOSBV,499d,Bl.42.
329
StAHbg,3612VOSBV,499c,Bl.100:BerichtdesvonderBürgerschaftam22.2.1922nie dergelegtenAusschusseszurPrüfungdesAntragsbetreffendUnterbringungderSchwerhöri genschuleinderTaubstummenanstalt,Nr.68.
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Lehrkörpern.330DabeihatteesschonzuvoreineZusammenarbeitderSon derschullehrerHamburgsgegeben:
E x k u r s : A n r e g u n g e n d e r H e i l p ä d a g o g i s c h e n Ve r e i n i g u n g ImOktober1919warderKindergartenderTaubstummenanstalt,dervon schwerhörigen und gehörlosen Kindern besuchtwurde,offiziell eröffnet worden.GeleitetwurdeerzunächstvonderKindergärtnerin,spätervon einemausgebildetenTaubstummenlehrer.AnregungenzudiesemKinder gartenundzuanderenEinrichtungenfürVorschulkinderanverschiedenen Hamburger Sonderschulen gab die 1919 gegründete „Heilpädagogische Vereinigung“.DieswareinZusammenschlussderLehrkräftederSchwer hörigenschule, der Taubstummenschule, der Blindenschule, der Sonder klassenfürsprachkrankeKindersowiederSchulederAlsterdorferAnstalten. IhrZielwares,dieInteressenderSchülerwahrzunehmen,mitBehörden zusammenzuarbeitensowieEltern,ÄrzteundLehrerzuberaten.Sietra tenauchfürdieEinrichtungeiner„SchulefürSchwachsinnige“ein 331und kämpftenfüreineumfassendeRegelungderAusbildungzur Gehörlosen undSprachheillehrkraft.DieVereinigungwolltedieAufmerksamkeitder Lehrer,Ärzte,ElternundderBevölkerungaufdieSonderschulenlenken undwurdedurchauswahrgenommen.SokonntederAusschuss,in den jededergenanntenSchuleneinenVertretersandte,1919denArbeiterund SoldatenratinFragenderSonderschulenexklusivinformierenundberaten. VonderTaubstummenanstaltwaresAlwinHeinrichsdorff,derimAus schuss die Interessen der Taubstummenschule vertrat. Er setzte sich für einenSchulzwangfürGehörlosesowiefüreineFortbildungsschulefürge hörloseMädchenein.332 *
330
StAHbg,3612VOSBV,499d,Bl.97:OSBanSenat29.5.1922.
331
StAHbg,3612VOSBV,499f,HeinrichsdorffanOSB5.2.1919.
332
BlätterfürTaubstummenbildungNr.5vom1.3.1919,S.70f.,in:StAHbg,3612VOSBV, 508bBand1,Bl.114–121.
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Die staatliche Taubstummenschule
1925wurdeWilhelmBehrens(1880–1977)zumSchulleitergewählt.Inder FolgezeitwechseltenerundRichardJustsichalsstellvertretendeSchullei terundalsSchulleiterab.Behrenshatteangeregt,Ausbildernvongehörlo senLehrlingeneinePrämiefürihrezusätzlichenMühenzuzahlen,wenn derLehrlingausgelernthätte,wiediesschonseit1817inPreußenderFall sei.333DieSuchenachAusbildungsstellenwar–geradeinZeitengroßerAr beitslosigkeit–nervenaufreibendundallzuofterfolglos.Häufignahmen jungeLeuteohneRücksichtaufdieGüteeinerLehrstellediesean.DieLeh rerderTaubstummenschulebesuchtenihreSchulabgängeraufWunschan deren Arbeitsplätzen, um bei Problemen helfend eingreifen zu können. Meistermeinten,nichtgenugZeitfürdiegehörlosenAuszubildendenzu haben,oderhattenFurchtvoreventuellenmateriellenSchädendurchman gelhafteArbeitaufGrundvonMissverständnissen.Behrens,derwegensei nerseit1921bestehendenMitarbeitinderAltersundErwerbsbeschränk tenfürsorge der Wohlfahrtsbehörde gute Kontakte zur Behörde hatte,334 schrieb, dass gerade „Taubstumme den Ansporn durch eine Lehrstelle bräuchten,dennsiekönntenvielesleistenundmüsstennichtzwangsweise einFallfürdieWohlfahrtwerden“.ZuerstäußertesichdasWohlfahrt samteherzurückhaltend335aufBehrens´Vorschlag,docheinemVermerk vom20.Juni istzuentnehmen,dassdieMeister,diegehörloseLehrlinge ausgebildethatten,beiderGewerbekammereinenAntragaufGewährung einerGeldprämiestellenkonnten,diedannandasWohlfahrtsamtweiter geleitetwerdenmusste.150MarksolltendieMeisterfürnichtbeiihnen wohnendegehörloseLehrlingebekommen,300MarkbeiLehrlingenmit KostundLogis.336VorsitzenderundSyndikusderGewerbekammerzeigten sichdazubereit,337undsoerschienam27.August1925eineNotizimHam burgischenCorrespondenten,338dassabsofortGeldprämienfürdasAusler nengehörloserLehrlingegewährtwürden.Dochbiszum18.Oktober1926 warkeinAntragaufPrämiengewährungbeimAmteingegangen.ImGe 333
StAHbg,35110ISozialbehördeI,AK60.14,BriefvonBehrensandasWohlfahrtsamtvom 10.5.1925.
334
StAHbg,22111StaatskommissarfürdieEntnazifizierungundKategorisierung,Ed4097.
335
StAHbg,35110ISozialbehördeI,AK60.14,1.StellungnahmedesWohlfahrtsamtesvom 6.6.1925vonFrl.Armack.
336
Ebd.,Vermerkvom20.6.1925.
337
Ebd.,GewerbekammerandasWohlfahrtsamtvom8.8.1925.
338
HamburgischerCorrespondentNr.398vom27.8.1925.
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genteilfandsichfüreinenJungenimSchuhmacherhandwerküberhaupt keineLehrstellemehr.Behrens,inzwischenSchulleiter,schlugeineErhö hungderPrämievor,diedasAmtdenMeisternmonatlichzahlensollte.339 DieAnregungwurdeaufgegriffenundendlichgingenbis1940zahlreiche AnträgeaufGewährungdieserBeihilfeein.Zuletztwurdedieseallerdings nurbeiBedürftigkeitderLehrlingegewährt,dennschon1929hattesichder Arbeitsmarkt in Hamburg trotz der weltweiten Wirtschaftskrise – diese wirktesichaufHamburgerstumeinJahrverzögertaus–verändertundal lenJugendlichen,dieihreSchulausbildungbeendethatten,konntenLehr stellenvermitteltwerden.340 4. 2. 3 Ford er ung en der G ehörlos en Nachdem bereits 1919 heftige Vorwürfe gegen Lehrer der Hamburger Schule durch Vertreter des Hamburger „Wohlfahrtsausschuß für Taub stumme“ geäußert worden waren – den Lehrkräften wurden pauschal „sittliche Verfehlungen“ und „Mißhandlungen“ der gehörlosen Schüler vorgeworfen,341 gabes1922inhaltlicheDiskussionenumdenUnterricht. ErneutgingesdabeiumdieGebärdeundihrenWertfürdieErziehung. WiederwarenesdieGehörlosenselbst,diezumerstenMalmitNachdruck aufderXI.VersammlungdesBundesdeutscherTaubstummenlehrerihre Forderungenvorbrachten.ImZentrumstanddieEinführungundNutzung derGebärde.WeiterwünschtenGehörlosedieErrichtungeinerHöheren SchuleundeinerHochschulabteilungfürGehörlose,dieAusbildungund ZulassunggehörloserLehrersowiedieBildungvonBeirätenvonGehör losen an Taubstummenanstalten, die als Verbindung zwischen Schule underwachsenenGehörlosendienensollten.342AuchHamburgerGehörlo seunterstütztendieseForderungen.WährendeinigenAnliegenprinzipiell zugestimmtwurde,lehntediegesamteVersammlungder(hörenden)Ge 339
StAHbg,35110ISozialbehördeI,AK60.14,BehrensandasWohlfahrtsamtvom22.10.1927.
340
ZurWirtschaftskriseinHamburgsieheUrsulaBüttner,HamburginderStaatsundWirt schaftskrise1928–1931(HamburgerBeiträgezurSozialundWirtschaftsgeschichteBand16), Hamburg1982. 341 342
StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QdNr.433Vol.1.
StAHbg,3612VOSBV,508bBand1,Bl.159–167:BerichtdesTaubstummenlehrersAlfred Schär überdieXI.VersammlungdesBundesdeutscherTaubstummenlehrerinHildesheim Juni1922.
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Die staatliche Taubstummenschule
hörlosenlehrkräftedieForderungnachgehörlosenLehrkräftenundnach einemBeiratab.Zwarschiendie„reineLautsprachmethode“denLehrern realitätsfern, aber die Gebärdensprachegalt immernoch als„Affenspra che“undwarihrerAnsichtnachnichtfähig,alsUnterrichtsmitteleinge setztzuwerden.ImmerhinvertratenHamburgerLehreraufderVersamm lungdieMeinung,dass„Taubstummen,derenRatundMeinungmanfür beachtenswerthält,auchStimmegebenmuss“.Hamburghatteschonzu vorzweigehörlosenErwachsenenPlätzeimElternratderTaubstummen schule eingeräumt, was nicht auf große Gegenliebe der Versammelten stieß.Anscheinendwaresnochimmerso,dassdieHörendensichüberdie Gehörlosenstellten,ihnen„Bildung“gebenwollten,ohnesieselbstalsPer sonernstzunehmen.HarlanLane(geb.1938),amerikanischerPsychologe und Gebärdensprachforscher, vergleicht die hörenden „Wohltäter“ wie Ärzte und Taubstummenlehrer mit „Kolonialisten“, die den „Eingebore nen“,denGehörlosen,dieKulturderHörendenaufdrückenwollen,ohne RücksichtaufdieeigeneWelt,aufdasbesondereKönnenderGehörlosen. Gehörlose solltenhörend werden,sollten sprechen, nicht gebärden. Ihre AnpassungstandanersterStelle,eswurdenuraufdenMangelgeachtet, nichtaufdas„Mehr“,wiezumBeispieldasvisuelleKönnen.343 4. 2. 4 Fo lg en d er Inflation Es gab in den 1920er Jahren an der Gehörlosenschule in zehn Klassen 98Schüler und Schülerinnen, dazu kamen die Kindergartenkinder.344 Es gabjetztauch„a“und„b“Klassen,indenendieSchülerinnenundSchü lernachihremKönnendifferenziertwurden.BesserbegabteKinderkonn tenihrenAbschlussinkürzererZeitbekommen.TrotzzunehmenderSchü lerzahlenverarmtedieTaubstummenanstaltimLaufederZeitdurchdie Geldentwertungzusehends.DasAnstaltsvermögenwarinFolgevonKrieg, RevolutionundInflationmehrundmehrzusammengeschmolzen.Ehema ligeFördererhattenkeinGeldmehrfürdieTaubstummenanstaltübrig,so dassderStaatunterstützendeingreifenmusste,umdasInternathaltenzu 343
Vgl.HarlanLane,DieMaskederBarmherzigkeit(InternationaleArbeitenzurGebärden spracheundKommunikationGehörloserBand26),Hamburg1994.
344
HierundimFolgenden,wennnichtandersangegeben,nach:StAHbg,3612VOSBV,508b Band2,BerichtderTaubstummenAnstalt1920/26.
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können.1924warderFortbestanddesInternatsernsthaftinFragegestellt, denndieAnstaltbekamkeinenstaatlichenZuschussmehr,sodassneue Mittelaufgebrachtwerdenmussten.JederfreieRaumwurdevermietet,um GeldausMieteinnahmenzuerhalten.AuchDirektorwohnhausundSpeise saalkonntenaufWunschgemietetwerden.SowurdedergroßeSpeisesaal voneinerKaufmannsfirmaalsLagerraumzweckentfremdetundzweiwei tereZimmerdesHauptgebäudesvonFirmenalsVerwaltungsbürogenutzt.345
Abbildung 18: Taubstummenanstalt Bürgerweide
GezielteSammlungenkonntendiefinanziellenSchwierigkeitennurkurz fristigverbessern.1925startetedieAnstalteinengroßenSpendenaufruf– ohnebefriedigendeResonanzausderBevölkerung.DieprivateAnstaltbe rechnete schließlich auch für die von der Schule genutzten Räume der OberschulbehördeeineMietentschädigung.PrivateSpendenunddieEin 345
Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.71.
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sammlung der Jahresbeiträge unterblieben, weil viele Hamburger in KriegsfolgeausgeschiedenwarenunddurchdieGeldentwertungihrErtrag zu gering war. Erst im Herbst 1925 wurden die privaten Sammlungen wiederaufgenommen.IndiesemJahrwarenvierLehrkräfteausdemKol legiumausgeschiedenunddieStellen–auchdafürfehltedasGeld–nicht wiederbesetztworden.346UmdiefinanziellenProblemeindenGriffzube kommen,wurdeauchimZusammenhangmitderVorbereitungeinerZu sammenarbeitzwischenLübeckundHamburgübereinegemeinsameNut zungderGefängnisse–vorallemderStrecknitzerIrrenanstalt–überlegt, obnichtauchdieTaubstummenanstalt gemeinsamvondenHansestädten HamburgundLübeckbetriebenwerdenkönnte.347ÖffentlicheMittelkönn tendamiteffektivergenutztwerden,dadieHamburgerAnstaltnieganz ausgelastetwarunddieLübeckerAnstaltnurcirca20Schülerinnenund Schülerbeherbergte.DurcheineZusammenlegungwürdeLübeckdieKos teneinerAnstaltundzweierLehrergehältersparenundkönntedanndie Hamburger Anstalt bezuschussen. Noch günstiger, so überlegte man in Hamburg, wäre eine Zusammenlegung auch mit der Bremer Taubstum menanstalt, was die Hamburger befürworteten.348 Obwohl ein Lübecker AusschussdieHamburgerSchulebesuchteunddenPlänennichtgrund sätzlichnegativentgegenstand,kamdieseZusammenlegungnichtzustan de.DerGrundwarenBedenkenderLübeckerElternschaft,diesichgegen eineVerlegungihrerKindernachHamburgäußerten,dasiediesenichtso weitweggebenwollten.349 4. 2. 5 Jub ilä umstag ungen 1927 Erst als im Juni 1927 die SamuelHeinickeJubiläumstagung des Bundes deutscherTaubstummenlehrerinHamburguntergroßemAufwandstatt fand,kamdieTaubstummenanstaltwiederindasBewusstseinderÖffent lichkeit:Zum200.GeburtstagSamuelHeinickesludderBunddeutscher TaubstummenlehrerzuPfingstenzueinem„KongressfürTaubstummen 346
Ebd.,S.67.
347
StAHbg,3612VOSBV,944Nr.1,RechnungsamtanOSB23.10.1928.
348
Ebd.,MarrundBehrensanOberschulbehörde11.1.1929.
349
Ebd.,OSBLübeckanOSBHamburg21.10.1929.Endeder1930erJahrewurdendieLü beckerKlassendochnochaufgelöst,sieheS.190.
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PädagogikundverwandteGebiete“TeilnehmerausdemInundAusland indieHansestadtein.350Über500Gäste,unteranderemausRussland,Un garn,AmerikaundSkandinavien,folgtenderEinladung.DerSenatnahm NotizvonderTagung,bewilligteeinenZuschussundschickteVertreterin einenEhrenausschuss.BürgermeisterDr.CarlPetersenübernahmdenEh renvorsitz.MehrereAufsätzewurdenalsFestgabeverteiltundeinedurch den gehörlosen Hamburger Bildhauer Willi Köhler modellierte Plakette von SamuelHeinicke konntevondenKongressteilnehmernundinteres siertenHamburgernerworbenwerden.351
Abbildung 19: Feierstunde am Heinicke-Denkmal, 1927
AlsProgrammwarennebeneinerFeieramSamuelHeinickeDenkmalmit Gesang, Kranzniederlegung und Ansprachen und einem Senatsempfang im Rathaus hauptsächlich Vorträge zu Fragen des modernen Taubstum menunterrichts und über den Begründer des deutschen Gehörlosenbil dungswesens,SamuelHeinicke,geplant.EsgabaußerdemeineWeihestun 350 351
ZurTagungsieheStAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.RfNo.42b.
Vgl.auchFotodesSchauundWerbeturnensinderSporthallederTaubstummenanstaltauf S.133.
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de,zuderauchderHeinickeExperteDr.PaulSchumann (1870–1943)aus LeipzigeineFestredehielt,dieinErinnerunganHeinickeerstinderSt.Jo hannisKirchezuEppendorfstattfindensollte,dannaberindieMusikhalle verlegtwurde.NatürlichfehltenStadtundHafenrundfahrtebensowenig wieeinBesuchaufHelgoland.352ZusätzlichgabesimMuseumfürKunst undGewerbeeineAusstellungmitdemTitel„BildungundFürsorgeder Taubstummen,SchwerhörigenundSprachgeschädigten“,zuderauchdie Schülerinnen und Schüler der Taubstummenanstalt Bastel, Werk und Handarbeitenbeigetragenhatten.353 NichtnurdieTaubstummenlehrerfeierten,auchdieGehörlosenvereine erinnerten sich an Heinicke. Die in zweijähriger Arbeit vorbereitete Sa muelHeinickeJubiläumswoche im August wurde von den Hamburger Vereinen organisiert, mindestens 1.300 Gäste kamen nicht nur aus dem DeutschenReich,siewarenauchausFrankreich,Dänemark,derSchweiz, Schweden, der Tschechoslowakei und anderen Ländern in die Stadt ge reist.354 Sie besuchten Theateraufführungen, sahen eine Ausstellung mit WerkengehörloserKünstlerinderKunsthalle,wirktenanSportveranstal tungenmitundschifftensichnachHelgolandein.355AufderKünstleraus stellungwurdenauchWerkevonHamburgergehörlosenKünstlerngezeigt: Die Bildhauer Willi Köhler (Werkkunst Niederelbe) und Elisabeth Selig mann (1893–1947) und die Maler Fritz Pfitzenmaier und Franz Hartogh (1889–1960)356 stelltenKunstwerkeaus.AuchdieHamburgerGehörlosen veranstalteteneinenDankgottesdienst,derzunächstfüralleKonfessionen geltensollte.AufWunschderkatholischenGehörlosenfeiertendiesealler dings ihre Messe in der St. Antoniuskirche in Eppendorf, während der evangelischeGottesdienstwiegeplantinderEppendorferSt.Johanniskir 352
StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.RfNo.42b,WilhelmBehrens fürdenFinanzausschuss undAlwinHeinrichsdorfffürdenOrtsausschussanSenat20.1.1927.
353
Ausstellungskatalog:AusstellungfürBildungundFürsorgederTaubstummen,Schwerhö rigenundSprachgeschädigtenimMuseumfürKunstundGewerbe,Hamburg1927.
354
DiePariserGehörlosenzeitung„LaGazettedessourdsmuets“No.141,September1927be richtetinihremArtikel„JubilédeHeinicke“von2.500Teilnehmern.Geplantwarenursprüng lich„nur“800Teilnehmer(StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.RfNr.29Vol.42c).
355
EugenTellschaft,Festschriftzum100jährigenJubiläumdesAllgemeinenGehörlosenUnter stützungsvereinszuHamburgvon1891e.V.,Hamburg1991,S.23.
356
LaGazettedessourdsmuetsNo.141,September1927;AllgemeineDeutscheGehörlosen ZeitschriftNr.16vom15.August1927,S.83.ÜberdenLebenswegeinigerKünstlerwirdin Kapitel7.2berichtet.
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che,indereinstHeinickealsKüstertätigwar,stattfand.357Weiterereligiöse Veranstaltungenfolgtennicht.DafürwurdeeineHuldigungsfeieramHei nickeDenkmalorganisiert,anderVertreterverschiedenerGehörlosenVer eine inihrenVereinsfarben mitihren Fahnen teilnahmen.Weiter gab es einen Festakt im Conventgarten und eine Sportveranstaltung. Letzterer wurdegrößereAufmerksamkeitzuteil,dasiezuMeisterschaftskämpfenim FußballundinderLeichtathletik–imHammerPark–sowiezueinem BundeswettschwimmenderGehörlosenausgeweitetwurde.Daesanden Sporttagenjedochregnete,wurdenEinnahmendurchZuschaueringerin geremMaßealserwarteteingenommen.SchließlichwurdeeineKonferenz, an der führende Gehörlosenvertreter (Reichsverband der Gehörlosen Deutschlands „Regede“) zusammen mit einigen Anstaltsdirektoren und TaubstummenlehrernaneinemTischsaßen,organisiert.358
Abbildung 20: Kongress der Gehörlosenvereine in der Heinicke-Jubiläumswoche, 1927
357
DarüberberichtetedieMagdeburgerDTSZ(DeutscheTaubstummenSportZeitung)Nr.14 vom15.7.1927,S.77.
358
VeranstaltungslistesieheStAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.RfNo.29Vol.42c,Hauptaus schuss der SamuelHeinickeJubiläumswoche, Boris Tomei und Fritz Scheibe an den Senat 14.6.1927.
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Durch die Größe der Veranstaltungen und dadurch, dass weitaus mehr Teilnehmer als erwartet nach Hamburg kamen, hatten die Veranstalter einenfinanziellenVerlusterlitten,densiedurchSenatshilfeauszugleichen versuchten.DochderSenathattebereitsvorabeinenGeldbetrag–wenn aucheinengeringerenalsgewünscht–zurVerfügunggestelltsowiezwei EhrenwanderpreisefürSportlergestiftet.359Mehrkonnteundwollteerfür dieGehörlosennichttun,zumaldieTaubstummenlehrererstkurzzuvorin Hamburggetagthatten.DasFeierjahr1927wurdeaußerdemam16.Mai 1927zueinemEhemaligentreffenimRahmender100JahrFeierderAnstalt genutzt.360StolzsahdieSchulezudemineinerFeierstundeaufdaszurück, wassiein100Jahrengeleistethatteundnannteihre„manchmalmühselige Arbeit […] ein Liebeswerk am Nächsten“.361 Das Ziel der Schule, „den TaubstummendeshamburgerGebietesdieMöglichkeit[zu]geben,mitih renMitmenschenineinerallgemeinverständlichenSprachezuverkehren“ undsie„durchdieLautsprachegeistigso[zu]fördern,dasssieandenBil dungsgüternunseresVolkesteilnehmen, undzueinerselbständigenLe bensstellunggelangen“,warnichtunangefochtenunddochkonntedieMe thodik „gegen die eigenen Wünsche der erwachsenen Taubstummen“ durchgesetztwerden.EinErfolgder„konsequentenBefreiungvondenFes selnderGebärdensprache“zeigesichimgeistigenFortschrittGehörloser, deranhandeinergrammatischrichtigenVerwendungderSchriftsprachein denGehörlosenzeitschriftenzuerkennensei–sohabeesbereitsDirektor SöderalsbeharrlicherVertreterderLautsprachezufriedenfestgestellt.362 EineweitereTaubstummenlehrertagungfandinHamburgimOktober 1932statt–derVereinnordwestdeutscherTaubstummenlehrerhatteals Hauptthema seinerTagung„DertaubstummeMensch“gewählt.Alwin Heinrichsdorff berichtete über die „eigentümlichen Fehler und Schwä chen“ Gehörloser, die dennoch „gleichermaßen Achtung und Liebe als Volksgenossen zu beanspruchen“ hätten. Lehrer Schmidt präsentierte stolzdenneuenexperimentellennaturwissenschaftlichenUnterricht,der auseinemreinenAnschauungsunterrichthervorgegangenwar.EinPhy 359
StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.RfNo.29Vol.42c.
360
StA Hbg, 35110 I Sozialbehörde I, AK 61.11, Behrens an Senator Paul Neumann vom 16.5.1927.
361
StAHbg,6221GustavMarr,1,RedevonDr.GustavMarranlässlichdes100jährigenJubi läums,o.D.[1927].
362
Ebd.
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sikraum mitSchülerübungstischenwardurchdieLandesschulbehördefi nanziertunddurcheigeneWerkarbeitenderLehrerundSchülerausgestat tetworden.363
Abbildung 21: Lehrer Fritz Schmidt im Chemieunterricht, 1938/39
4. 3 Im „D ritte n Reich“ (1933–194 5) 4. 3.1 Machtwechsel und erst e Verä nderungen an der Ta ubstummena ns ta lt NachdemAdolfHitleram30.Januar1933durchReichspräsidentPaulvon HindenburgzumReichskanzlerberufenwordenwar,bekamdieunterseiner FührungstehendeNationalsozialistischeDeutscheArbeiterpartei(NSDAP)
363
HamburgerLehrerzeitungNr.42/43(1932),S.524.
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mit ihrem Koalitionspartner364 bei der Reichstagswahl am 5. März 1933 51,9Prozent Stimmen und errichtete fortan zielstrebig einen totalitären Staat,indemsiediedemokratischenStrukturenundInstitutionderWeima rerRepublikentwederbeseitigteodersiemitdemZielderMachtsicherung der NSDAP umbaute. In Hamburg erhielten die Nationalsozialisten 46,8Prozent der Stimmen und übernahmen auch hier mit der Unter stützungbürgerlicherKoalitionspartnerdieRegierungderStadt.365 Dieam15.September1935verabschiedetensogenannten„Nürnberger Rassengesetze“,das„GesetzzumSchutzedesdeutschenBlutesundder deutschenEhre“unddas„Reichsbürgergesetz“,366diedieDiskriminierung jüdischerMitbürgergesetzlichlegitimierten,ließenauchdieVorstandsmit gliederderTaubstummenanstaltdieStiftungsstatutendenverändertenGe gebenheitenanpassen:Dr.Marrwünschte,dieSatzungen„abzuändern,um sie mit den heute geltenden Anschauungen in Einklang zu bringen“.367 DemzufolgebeschlossderVorstandam3.Dezember1935dieAufnahme gehörloserHamburgerKinderkünftigwiefolgtzureglementieren:„Die [...]TaubstummenanstaltverfolgtdenZweck,taubstummenKindernari scher Abstammung Aufnahme und Erziehung zu gewähren“.368 Dieser „Arierparagraph“derTaubstummenanstaltersetztedieSatzungvon1923, inderderZweckderAnstaltnochlautete,„bildungsfähigentaubstummen KindernausdemhamburgischenStaatsgebietohneUnterschiedderKon fessionAufnahmeundErziehungzugewähren“.369EinehemaligerSchüler derHamburgerTaubstummenanstalterinnertsichanzweijüdischeKinder, einemMädchenundeinenJungen,diezuAnfangdes„DrittenReiches“ nochindieHamburgerSchulegingenundderenweiteresSchicksalunbe kanntist.370
364 Dieswardieausder Deutschnationalen VolksparteiunddemStahlhelmBundhervorge gangeneKampffrontSchwarzWeißRotmitdemdeutschnationalenParteivorsitzendenAlfred Hugenberg. 365
WernerJohe,DieunFreieStadt:Hamburg1933–1945,Hamburg1987,S.7.
366
ReichsgesetzblattI(RGBlI),1935,S.1146f.
367
StAHbg,3518Stiftungsaufsicht,B893,Bl.I5:Dr.MarranGesundheitsundFürsorgebe hördeam22.11.1935. 368
Ebd.,Bl.I14:Satzungvom3.12.1935.
369
Ebd.,Bl.I4:Statutenvom6.1.1923.DieSatzungvon1935wurdeerstam11.6.1952wieder geändert(ebd.,Bl.I16:Satzungvom11.6.1952).
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4 . 3. 2 D o ro t h ea E lkan – e in e j üd is ch e Leh re ri n EinedererstenMaßnahmenderneuenMachthaberinDeutschlandwardie GleichschaltungdesöffentlichenLebens.Am7.April1933wurdedas„Ge setz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ erlassen.371 Beamte konntennunaus„rassischen“oderpolitischenGründenoderausGründen der„VereinfachungderVerwaltung“entlassenoderindenerzwungenen Ruhestandversetztwerden.FürjüdischeLehrkräftehießdas,dasssiedie Schuleverlassenmussten,andersiebishergelehrthatten.AucheineLeh rerinanderHamburgerTaubstummenschulewurdedurchdiesesGesetz erfasst–DorotheaElkanwurdealsJüdinausihremAmtundihrerHeimat vertrieben.Daswasihrwiderfuhr,hatexemplarischenCharakter.
Abbildung 22: Klassenfoto mit den Lehrkräften Dorothea Elkan und Alfred Schär, 1930
370
Biesold,KlagendeHände,S.208.DieNamenderbeidenjüdischenKinderundihrweiteres Schicksalkonntennochnichtgeklärtwerden.AufdemDeafHistoryKongressinBerlin2006 wurdeeinInterviewdesVereinsDovenshoahausAmsterdammiteinemgehörlosenjüdischen Niederländergezeigt,deralsJungeausHamburggeflüchtetwar.LeiderkonntedieseSpur nichtweiterverfolgtwerden.
371
RGBlI,1933,S.175–177.
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DorotheaJacobineElkanwurdeam17.September1895inHamburgals TochterjüdischerElterngeborenundimevangelischenGlaubenaufgezo gen.372DieFamiliezognachKassel,woDorothea,genanntThea,verschie deneprivateSchulenbesuchte.IhrAbiturbestandsieamprivatenOberly zeuminBonn.DaElkanLehrerinwerdenwollte,besuchtesiefüreinJahr dasOberlyzeumderevangelischen Gemeindevon Köln. 1915 erhieltsie dasZeugnisderLehrbefähigungfürLyzeen.NacherstenErfahrungenals LehreringingDorotheaElkan 1917nach FrankfurtamMainundunter richteteanderdortigenTaubstummenanstalt.1920,beideElternteilewaren nichtmehramLeben,kehrtesiedanninihreHeimatstadtzurück.Schon 1919hattesiesichanderHamburgerSprachheilschule,überderenArbeits methodensieeinigeArtikelgelesenhatte,beworben.AndieseSchulewur de sie dann auch versetzt. Doch Dorothea Elkan wollte mehr erreichen. NachihrerFestanstellungversuchtesie–zusammenmitihrerKolleginKä theLambert –ab1924immerwieder,dasSchulkollegiumundvorallem dieOberschulbehördedavonzuüberzeugen,dasssienachBerlingeschickt werde,umdortdieFortbildungzurTaubstummenlehrerinabsolvierenzu können.DasienichtgenugGeldverdiente,umfürdiezweijährigeAusbil dungselbstetwassparenzukönnen,warsiedaraufangewiesen,indieser ZeitausHamburgfinanziellunterstütztzuwerden.UmimVorwegeein wenigGeldzusammenzubekommen,unterrichtetesienebenbeischwierige und als„nicht schulfähig“ bezeichnete Jungen.Siebesuchte nebenihrer LehrtätigkeitVorlesungenanderHamburgerUniversitätundhoffte,mit densoerworbenenKenntnissenihrBerlinerStudiumverkürzenzukön nen.NachdreiJahrenwurdediezweijährigeAusbildunginBerlingeneh migt:Am1.Mai1927begannDorotheaElkan ihrStudiuminBerlinNeu kölln. Durch den Einsatz des Hamburger Staatsrats der Finanzbehörde, Dr.Leo Lippmann (1881–1943),dersichbeimzuständigenSenatorfürsie engagierthatte,erhieltsiedafüreineStudienbeihilfe.373 NachdemsieihrePrüfunginBerlinerfolgreichbestandenhatte,kehrte DorotheaElkannachHamburgzurück.Zum1.Mai1929wurdesieandie 372
Sie selbst trug 1920ineinem Fragebogen anlässlich der Einstellung in denHamburger Schuldienst„evangelisch“unterReligionszugehörigkeitein.DieAngabenzuDorotheaElkan stammen–wennnichtgesondertangegeben–ausihrerPersonalakte:StAHbg,3613Schul wesenPersonalakten,A1343.
373
StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A1343,Bl.58:OSBanElkan14.7.1927.Lipp mann,ebenfallsJude,nahmsich1943beibevorstehenderDeportationdasLeben.
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Taubstummenschuleversetzt,anderauchschonihreehemaligeKollegin KätheLambert zurFörderungderKindergartenkinderangestelltworden war. Dorothea Elkan übernahm eine eigene Klasse und gab außerdem Schwimm und Turnunterricht.374 Sie war Anhängerin des frühestmögli chenErlernensderSchriftspracheundgaberfolgreichArtikulationsunter richt.VonihremDirektor,PaulJankowski (1881–1963),wurdesiealseine „geschätzteLehrkraftmitgroßerHingabe“bezeichnet.375
Abbildung 23: Schau- und Werbeturnen in der Sporthalle der Taubstummenanstalt am 3.4.1932
Und dochwährte ihreArbeitanderSchulenichtlange.Als„Volljüdin“ wurdeDorotheaElkanimJuli1933durchdennationalsozialistischenPrä sesderLandesunterrichtsbehörde,KarlWitt(1885–1969).376mitgeteilt,dass 374
StAHbg,3612VOSBV,507,Bl.78:ElkanandieOSB12.9.1929.
375
StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A1343,Bl.63:ElkananLandesunterrichtsbehör de1.2.1934,ZusatzvonJankowski2.2.1934. 376
ZuKarlWittvgl.AnnettBüttner/IrisGroschek,JüdischeSchülerund„völkischeLehrer“ in Hamburg nach 1918, in: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte, Band 85 (1999),S.101–126,besondersS.123–126.
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sie„aufGrund§3desReichsgesetzeszurWiederherstellungdesBerufs beamtentums“ – unter Beibehaltung von Pensionsbezügen – aus dem Staatsdienstentlassensei.DorotheaElkan nahmdieEntscheidungnicht widerspruchsloshin.SiereichteeinGesuchumWiederanstellungbeider Landesunterrichtsbehördeein,dennschließlichhabesiesichpolitischniebe tätigtundkäme„denBelangen,diedieneueStaatsordnungandieSchule stellte,willignach“.377WeiterführtesieindemBittschreibenumBelassung imDienstaus,dasssieanscheinenddieeinzigejüdischeTaubstummenleh rerin in ganz Deutschland sei, die auf Grund dieses Gesetzes entlassen wordensei.Esgäbealso,undhiernahmsiedienationalsozialistischenAr gumente auf, im Taubstummenlehrerberuf keine „Überfremdung durch Nichtarier“;desWeiterenseiihreFamilieväterlicherundmütterlicherseits schonseitJahrhunderteninDeutschlandundsieselbstwürdeinZukunft dieKinderimSinnederRegierungerziehen.378 DieAbsagedesSchulrats kamprompt.KätheLambertübernahmDorotheaElkansUnterrichtinder Hauptschule.379 ZweiJahrespäter,1935,zogDorotheaElkanausHamburgfort.Siehatte eineAnstellungander IsraelitischenTaubstummenanstalt inBerlinWei ßenseeerhalten,380inderenGebäudesieaucheineWohnungbekam.Lange nochbliebsieinDeutschlandunderlebtedieimmeraggressiverwerdende Diskriminierung.Sieentschiedsicherst1938zurEmigrationundversuch te,eineGenehmigungzurAuswanderungzuerhalten.IndiesemJahrwar 377 StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A1343,Bl.63:ElkanandieLandesunterrichtsbe hörde1.2.1934,StellungnahmevonJankowski2.2.1934. 378
Ebd.,Bl.63:ElkanandieLandesunterrichtsbehörde1.2.1934.
379
StAHbg,3612VOSBV,499aBand2,Bl.3:EdensanRegierungsratDr.HorstHollburgam 26.1.1934. 380
Zöglingeder1873gegründeten„IsraelitischenTaubstummenanstalt“inBerlinwarenauf GrundihrerGehörlosigkeitundihresGlaubensdoppeltverfolgt,undeswurdesehrschwer, sichereLänderzufinden,diesolcheKinderaufnehmenwollten.1940musstendieletztenKin derundLehrkräftedasAnstaltsgebäudeverlassen,1942wurdedieSchuleverbotenundim SeptemberdesselbenJahreswurdendienochanwesendenLehrkräfteundKinderindasKon zentrationslagerTheresienstadtdeportiert.ZurGeschichtederSchulevgl.VeraBendt/Ni colaGalliner(Hg.),ÖffnedeineHandfürdieStummen.DieGeschichtederIsraelitischen TaubstummenanstaltBerlinWeißensee1873bis1942,Berlin1993;HorstBiesold,Jüdische TaubstummenerziehunginDeutschland–dargestelltanderGeschichteder„Israelitischen TaubstummenanstaltfürDeutschlandzuBerlinWeißensee“,in:SieglindEllgerRüttgardt(Hg.), Verloren und UnVergessen. Jüdische Heilpädagogik in Deutschland, Weinheim 1996, S.239–259.
Im „Dritten Reich“ (1933–1945)
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ihr Vorgesetzter, der Leiter der Israelitischen Taubstummenanstalt, Felix Reich (1885–1964),indasKonzentrationslagerSachsenhausenverschleppt worden.AlserEndeDezemberwiederzurückkam,warteteDorothea El kan nichtweiterdieGenehmigungab,sondernzogimJanuar1939nach London.381VondortberichtetesiederHamburgerKulturundSchulbehör de von ihren Lebensumständen: Sie erhielt keine Arbeit und wohnte reihumbeiBekannten.Siebat umWeiterzahlungihresPensionsgehaltes aufeinSonderkonto.DieswurdedurchdenOberfinanzpräsidentengeneh migt,solangesieLebensbescheinigungeneinreichte.Abdem1.Juli1940 wurdendieVersorgungsbezügenichtmehrgezahlt.1941wurdediesper Gesetzbestätigt:LautParagraphzehnder11.VerordnungzumReichsbür gergesetzvom25.November1941wurdejüdischenDeutschen,dieimAus landwohnten,diedeutscheStaatsbürgerschaftentzogen.Siekonntenkein Geld mehr aus Deutschland beziehen.382 Dorothea Elkan unterrichtete dannstundenweiseanderjüdischenTaubstummenanstaltinLondonund an anderen englischen Taubstummenschulen. Sie erteilte dort Artikula tionsunterrichtunderzieltedamit–sogabsiespäteran–beidenKindern guteErfolge.383 1947nahmsie,daihrdiedeutscheStaatsbürgerschaftper 11.VerordnungzumReichsbürgergesetzvom25.November1941(„Ausbür gerungsgesetz“)entzogenwordenwar,diebritischeStaatsbürgerschaftan.384 Nach Kriegsende sandte Dorothea Elkan ihre Wiedergutmachungsan trägeausAustraliennachHamburg.SeitMärz1949lebtesiedortundun 381
LondonwarauchimAugust1939ZielvonFelixReich,SohndesGründersderBerlinerIs raelitischen Taubstummenschule, der die zehn jüngsten Schüler der Anstalt dorthin retten konnte (Informationsblatt „Openyour hand for the dumb“ zurAusstellung der Jüdischen VolkshochschuleBerlinunddesJüdischenMuseumsBerlinwährendder2.Internationalen Tagung zur Geschichte der Gehörlosen in Hamburg im September 1994, Douglas D. Bahl forschtüberdasweitereSchicksaldiesergehörlosenKinder,vgl.seinenVortragaufdemDeaf HistoryKongressinBerlin2006,voraussichtlichesErscheinendesTagungsbandesEnde2007). Er erhieltsogar vombritischen Unterrichtsministerium dieErlaubnis, die übrigen Schüler, LehrerundAngestelltenderIsraelitischenTaubstummenanstaltnachGroßbritannienzuho len.DochdieserPlanscheiterteamAusbruchdesKrieges. 382 RGBlI,1941,S.722–724,hierS.724.Vgl.hierzuauchdieAktevonElkanimBestandOberfi nanzpräsident:StAHbg,31415Oberfinanzpräsident,FVg8880. 383
TheaElkan,TaubstummenbildungimStaateVictoria,in:NeueBlätterfürTaubstummenbil dung.Nr.1+2.Oktober/November1950,S.31. 384
StAHbg,13111Personalamt,1203,AntragaufWiedergutmachungnationalsozialistischen Unrechts für die im Ausland lebenden Angehörigen des öffentlichen Dienstes, London 13.9.1951.
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terrichteteinGeelong,Victoria,einem45MeilenvonMelbourneentfernt gelegenen Ort,viergehörloseKindernach derdeutschen,alsoderlaut sprachbezogenenMethode,diesiegelernthatteunddiesieindieLänder brachte,indiesieemigrierenmusste.385ImSommer1950unterrichteteDo rotheaElkanprivatanderdortigenTaubstummenschule.386 Nachdemsie 1951wiederzurücknachEnglandgezogenwar,reistesieviel,sowohlin EnglandalsauchinDeutschland.Am20.August1957kamsiewiederin ihrealteHeimatstadtHamburg.HiererhieltsievonderStadtimZugeder WiedergutmachungeinRuhegehalt.IhreUmzüge,ihrKampfumdenLe bensunterhalthattenKraftgekostetundsomusstesiesichamEndeihres Lebens in eine „Heil und Pflegeanstalt für nerven und gemütskranke Frauen“aufdemLandbeiSchleswigbegeben.DorotheaElkan starbam 18.September1975,einenTagnachihrem80.Geburtstag. 4. 3. 3 A l fred Sc h ä r – e in p o l it i s ch v e r fo lg t e r Lehre r Als Dorothea Elkan die Hamburger Taubstummenschule 1933 verlassen musste,unterrichtetedortnocheinweitererLehrer,dervondernationalso zialistischenLandesunterrichtsbehördemitMisstrauenbeobachtetwurde. DieserMannwarlängstetabliertesMitglieddesKollegiums,erentwickelte neue Formen des Sprechunterrichts, war von seinen Kollegen als guter Lehrer anerkannt und beeindruckte später die Eltern seiner Schüler mit VorträgenzurnationalsozialistischenWeltanschauung.Undtrotzdemmuss tedieserMannimKonzentrationslagerFuhlsbüttelsterben,weileralsSo zialdemokrateineanderepolitischeMeinunghatteunddamitderStaats feindschaftverdächtigtwurde. AlfredConradFriedrichSchär wurdeam5.August1887inHamburg alsSohneinesSchneidermeistersgeboren.387 ErbesuchtedieVolksschule und im Anschluss daran das Seminar für Volksschullehrer am Stein hauerdamm.BereitsalsSeminaristundvorAblegungseinererstenLehrer 385
Elkan,Taubstummenbildung,S.29f.
386
FritzSchmidt,DieStellungdesHandalphabetsunterdenSprachmittelnderGehörlosen schule,in:NeueBlätterfürTaubstummenbildung.Nr.9/10.Juni/Juli1950,S.287.
387 DieAngabenzuAlfredSchärundseinerArbeitwurden,wennnichtandersangegeben,sei nerPersonalakteentnommen(StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A879).DesWeite rendankeichbesondersErikaFinkfürihreBereitschaft,mirpersönlicheErinnerungenanih renVatermitzuteilen(Gesprächeam2.3.2001,14.6.2001und11.4.2002).
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prüfunghospitierteeranderHamburgerTaubstummenschule.Mitderso gewonnenenLehrerfahrungmitGehörlosenwurdeer,alsanderSchuleein neuerHilfslehrergesuchtwurde,dortzum1.April1908eingestellt.388Schär bildete sich konstant weiter. Er belegte Zusatzkurse und begleitete die Schüler im Rahmen eines Schüleraustauschprogramms nach Frankreich. 1911bestanderdiezweiteLehrerprüfungundam15.Juni1912legteerin Hildesheim–HamburghattenochkeinePrüfungskommission–diePrü fungfürTaubstummenlehrerab.Am1.Oktober1912wurdeSchär verbe amtetundübernahmdiefesteStelledesinPensiongehendenEmilMöller (1854–1913)anderSchulederHamburgerTaubstummenanstalt.Erwurde Klassenlehrerfürdie13KinderderdrittenKlasse.389 Bei einer Inspektion durch den Schulinspektor wurden zuerst noch MängelamUnterrichtdesjungenLehrersfestgestellt.DieSchülersaßen nichtimKreis,sodasssieMundbewegungenderanderenKindernichtge nügendverfolgenkonnten.AmSachkundeunterricht–eswurde„derFuchs“ durchgenommen–wurdekritisiert,dassSchärnureinzelneSätzeerzähle ohnekausalenZusammenhangundohneaufdieEigentümlichkeitendie sesTiereseinzugehen.390 SchwerpunktdesUnterrichts,denSchäranderSchulevorfand,wardas Sprechen und derLautspracherwerb –auchinSachkunde.Hierfand er sichmitseinererlerntenUnterrichtsmethodeimKonsensmitderSchullei tung.AberesgabzudieserZeitdochStimmen,diefüreinenandersgestal tetenunddamitinihrenAugeneffektiverenSachkundeunterrichtplädier ten:EhemaligeSchüler,dieinzwischenimBerufslebenstanden,versuchten mehrfachanihreraltenSchuledurchzusetzen,dassSachunterrichtinGe bärdensprache gehalten werde.391 So könnten sich die Kinder sehr viel mehrWissenaneignen,MissverständnissevermiedenundVerständnisfra 388
ZumselbenDatumwurdeauchFritzSchmidtingleicherStellungeingestellt,derspäterdie KinderindieKinderlandverschickungbegleiteteundnachEndedesZweitenWeltkriegsDi rektorderHamburgerSchulewurde. 389
StAHbg,3612VOSBV,499b,Bl.36–39,ProtokolldererstenSitzungderKommissionzur PrüfungderVerhältnissederSchulederTaubstummenanstalt19.12.1912.
390
Ebd.,Bl.42–49,BerichtübereineRevisionderSchulederTaubstummenAnstaltvonSchul inspektorHansFricke16.1.1913.
391
DieGebärden,diedieLehrerimUnterrichteinsetzten,bliebennurHilfsmittelundsollten zumEndederSchulzeitnichtmehrverwendetwerden.AuchSchärkonntesichmitHilfeder GebärdemitGehörlosenunterhalten(GesprächmitErikaFinkam14.6.2001).
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genleichterbeantwortetwerden.DochdieSchulleitung,diediehörende Elternschafthintersichwusste,bestandnachjederdieserAnregungener neutaufderLautsprachmethode:DieGebärdensprachebliebvollständig ausgeklammert.ImGegenteil,HändevongebärdendenSchülernwurden alsStrafeumhülltoderzusammengebunden.392 Im Unterricht blieb die Gebärdensprache der Gehörlosen verboten. Lieber wurden neue akustische Methoden eingeführt, neue Hörrohre, HörschläucheundandereApparate.AuchSchär wareinAnhängerder apparatunterstützten Lautsprachmethode. Anfang des Jahres 1913 be gannerseinelangjährigeTätigkeitamPhonetischenLaboratorium.Hier wurdenineinerspeziellenAbteilungdieneuestenApparate,diederHör hilfedienten,getestetundverbessertsowiedieSprechweisegehörloser Menschenwissenschaftlichuntersucht.ZuBeginndesJahres1913machte SchärRöntgenaufnahmenvonGehörlosen,umsoihreArtikulationsweise darzustellen.HauptsächlichuntersuchteeraberimAuftragdesLaborato riumsleitersDr.GiulioPanconcelliCalzia(1878–1966)die„Vitalkraft“der SchüleranderTaubstummenanstalt–ermaßdieLungenkapazitätgehör loserKinder.SchärgelangtezudemSchluss,dassdieKinderinHamburg entgegen der Meinung der Taubstummenlehrer, die Atmung würde durchdasÜbenderLautspracheverbessertwerden,ehereineschlechtere Atmunghättenalszuvor.ObwohlDirektorHeinrichSöder nichtbeson dersvielvonSchärsUntersuchungenhieltundmeinte,dasssoeinjunger Lehrer sich eher in derLehrpraxis üben solle, weitete Schär seine For schungenimAuftragdesPhonetischenLaboratoriumsmitBilligungder Oberschulbehörde auf die Taubstummenanstalten in Lübeck, Ludwigs lust und Braunschweig aus. Als Schär dort keine Verschlechterung der Atmung feststellen konnte, führte er das Hamburger Ergebnis auf die Überanstrengung der Kinder zurück – in Hamburg hatten die Schüler 30Wochenstunden Unterricht, in Braunschweig nur 18. Der Unterricht sollte effektiver mit reduzierter Stundenzahl durchführbar sein. Diesen ErgebnissenmochtenOberschulbehördeundDirektorSöderjedochnicht zustimmen–schließlichseienHamburgerKinderGroßstadtkinder,diege
392 BerichtvonSchuldirektorHeinrichSöderinder1.BeilagezurNr.44der„Pädagogischen Reform“vom30.10.1912,in:StAHbg,35110ISozialbehördeI,AK61.11.
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nerelleineschlechtereGesundheithätten– undversagtenSchäreineAus weitungseinerForschungenaufdiesemGebiet.393
Abbildung 24: Alfred Schär als Soldat im Ersten Weltkrieg
VonJuni1915 bis Dezember1918warSchär–zuletzt alsLeutnantund Kompanieführer–Soldat.DiedortgemachtenErfahrungenließenihnzum Kriegsgegnerwerden.NachderRückkehrlegteerdieKriegsreifeprüfung abundschriebsichimNovember1919fürachtSemesteranderneuge gründetenHamburgischenUniversitätein. Schär,derseineSchülernachdersogenanntenLindnerschenSchreib LeseMethode unterrichtete, in der diverse Apparate zur Veranschauli chung von Sprachbewegungen zum Einsatz kamen, forschte auch nach Kriegsende neben seiner Unterrichtstätigkeit am Phonetischen Laborato 393
StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A879,Bl.25f.:SöderanSchulratProf.Dr.Ahl burg23.8.1913,undBl.30:SöderanSchulratProf.Dr.Ahlburgam6.3.1914.
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rium.HierarbeiteteeranderVerbesserungderbestehendenGerätezum ErlernenderLautsprache.
Exkurs: Das Phonetische Laboratorium seit seiner Gründung 1910 DasPhonetischeLaboratoriumwar1910alsAbteilungdesSeminarsfür AfrikanischeSprachengegründetworden. 394 HierwurdenGesanglehrer genauso fortgebildet wie interessierte Sprachheillehrer oder angehende MissionareundKolonialbeamte.395 1919wurdedieEinrichtungvonder Universitätübernommenundzueinerselbstständigenwissenschaftlichen Einrichtung der Philosophischen Fakultät, seit 1960 unter dem Namen PhonetischesInstitut.Endeder1960erJahrewurdedasInstututinfolge derUmwandlungderFakultäteninFachbereichedemFachbereichSprach wissenschaftenzugeordnet.DieArbeitdesFachesPhonetikinHamburg orientiertesichvonAnbeginnandenSchwerpunktenSprachen 396 sowie DiagnostikundTherapievonSprechundSprachstörungen,alsoaufdie SonderpädagogischePhonetikhin.397SchonimErstenWeltkriegwareine Sprachstationgegründetworden,dieorganischeundfunktionelleSprach
394 ZumSeminarfürAfrikanischeSprachensieheHilkeMeyerBahlburg/EkkehardWolff, AfrikanischeSpracheninForschungundLehre–75JahreAfrikanistikinHamburg(1909– 1984)(HamburgerBeiträgezurWissenschaftsgeschichteBand1)Hamburg,Berlin1986;Lud wigGerhardt,DasSeminarfürAfrikanischeSprachen,in:Krause,Eckart/Huber,Ludwig/ Fischer,Holger(Hg.),Hochschulalltagim„DrittenReich“.DieHamburgerUniversität1933– 1945(HamburgerBeiträgezurWissenschaftsgeschichteBand3),Teil2,Hamburg,Berlin1991, S.827–843. 395
StAHbg,ZASA585PhonetischesLaboratorium,ErwinWaiblinger,UnserphonetischesLa boratorium,in:NeueHamburgerZeitungNr.536vom14.11.1911. 396
WährendderKolonialgedankenachdemErstenWeltkriegetwasmehrindenHintergrund trat,hießes1937wieder,dass„dieErforschungderafrikanischenSpracheneinesderhaupt sächlichenAnwendungsgebietederexperimentellenPhonetik“sei,um„dieVölkerunserer Kolonienverstehenzulernen“(StAHbg,ZASA585PhonetischesLaboratorium,OttovonEs sen, Sprachen werden mit Apparaten studiert, in: Hamburger Anzeiger Nr. 247 vom 22.10.1937).
397
JoachimM.H.Neppert,PhonetikverlierteinenweiterenfachlichenSproß,in:Unihh,Nr.3 (Juli1994)S.38.
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störungenvonSoldatenuntersuchensollte.398 DieseStationwurdespäter zueineramtlichenStimmundSprechberatungsstelleerweitert.Hamburg hatte mit seinem Phonetischen Laboratorium rasch Ansehen im In und Auslandgefunden,undsofandauchderersteinternationaleKongressfür experimentellePhonetikimApril1914inHamburgstatt.399 GiulioPanconcelliCalziawarseit1910AssistentamPhonetischenLabo ratoriumundwurde1919dessenLeiter.1921/22wurdeerzumProfessor fürPhonetikundzumDirektordesLaboratoriumsernannt,dererbis1949 blieb.UnterihmwardiePhonetikeinreinexperimentellesFach,400under waresauch,derLehrerinnenundLehrerderTaubstummenanstaltundder SchwerhörigenschuleindasLaboratoriumholte,401umdieunterrichtsprak tischeKomponenteseinerForschungennichtausdenAugenzuverlieren. 1913begannunterLeitungGiulioPanconcelliCalziaseinegemeinsameAr beitsgruppevonLehrkräftenderSchwerhörigenundderTaubstummen schulemitForschungenüberdieSprechweisevonGehörlosen.402 DurchdenBeginndesErstenWeltkriegesruhtendieArbeitenderLehr kräfteamPhonetischenLaboratoriumundwurdenerst1920wiederauf genommen:KätheLambert führteAtmungsuntersuchungendurch,eine Arbeitsgruppe um Alwin Heinrichsdorff (von 1922 bis 1924 Leiter der Taubstummenschule),DoraHarnack,DoraAhlers,PaulJankowski(Schul leitervon1930bis1945),FritzSchmidt(Schulleitervon1945bis1957)und 398
FriedrichHartmann,derab1933SchulleiterderSchwerhörigenschulewurde,unterrichtete dieimErstenWeltkriegertaubtenSoldaten(StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A452, Bl.45).
399
StAHbg,ZASA585PhonetischesLaboratorium,AusdemPhonetischenLaboratoriumdes SeminarsfürKolonialspracheninHamburg,in:HamburgerFremdenblattNr.92am21.4.1914.
400 Esgabschon1914allerleiApparate,diederErforschungderSprachedienensollten,so nutzte man Röntgenstrahlen zur Durchleuchtung des Kehlkopfes, „Kymographione“ zur NachweisungvonKehlkopfschwingungenund„Stimmübertragungsapparate“,dieSchwin gungenderStimmeaufzuzeichnenvermochten(StAHbg,ZASA585PhonetischesLaborato rium,HamburgerFremdenblattNr.92vom21.4.1914). 401
Sountersuchte1922dieGesangspädagoginClaraHoffmanninZusammenarbeitmitdem PhonetischenLaboratorium,obesmöglichsei,SchwerhörigenGesangsunterrichtzuerteilen. DaspositiveErgebnisführtezurEinführungvonMusikunterrichtinderSchwerhörigenschule (StAHbg,6221FamilieLandahl,46,ManuskriptzurAnspracheanläßlichdes50jährigenBe stehensderHamburgerSonderschulefürSchwerhörigeam11.3.1961,Bl.8).
402
AngabenüberdieArbeitvonHamburgerTaubstummenlehrernamInstitut:GiulioPancon celliCalzia,UeberdieBedeutungdesPhonetischenLaboratoriumszuHamburginderEnt wicklungdesBildungswesensfürTaubstummeundSchwerhörige,in:Festgabe1927,o.P.
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AlfredSchär untersuchtebis1921dasAblesendergesprochenenSprache von den Lippen mit Hilfe von Filmaufnahmen. Eine erweiterte Arbeits gruppestellte1922ihreForschungsergebnisseüberdieMöglichkeit,Sprache inihrerKlangfarbe,Dauer,StärkeundHöhedurchdenTastsinnfestzustel len,vor.Schär,derinfastallenArbeitsgruppenmitarbeiteteundvonPan concelliCalziasehrgeschätztundgefördertwurde,übernahmaußerdem UntersuchungenüberdieFrage,obderRundfunkfürgehörlosenpädagogi scheZweckeeinsetzbarsei–seinediesverneinendenErgebnissestellteer 1925vor.WeitereUntersuchungenbetrafendenWertvonPhonogrammen oderdieMonotonieinderSprachederGehörlosen.403 AmLaboratoriumtätigwarauchderjungeSprachheillehrerAdolfLam beck(1887–1952).404Lambecksolltevon1935bis1950diezweiteHambur gerSprachheilschuleleiten,dienachdemZweitenWeltkriegmitderGe hörlosenschuleimselben Gebäude in der Karolinenstraße untergebracht war.1945,bevorderneueSchulleiterFritzSchmidt mitdenKindernaus derKinderlandverschickungzurückkehrte,leiteteLambeckdaherauchdie Gehörlosenschule. Er war einer der einflussreichen Pädagogen, die sich von der „nationalen Aufbruchsstimmung“ des „Dritten Reiches“ hatten mitreißenlassen.Soforderteer–ganzimSinnedesnationalsozialistischen Erbgesundheitsgesetzes–dieSterilisationvon„Erbkranken“.Erhattever schiedenepolitischeÄmterinne,unteranderemwarerGaufachschaftslei ter derNSDAP imBereich Sonderschulen imGauamt für Erzieher des NationalsozialistischenLehrerbundes undsomitauchfürdieTaubstum menschule der zugleich professionelle und politische Ansprechpartner. Lambeck gründete1934dieFachzeitschrift„DiedeutscheSonderschule“, diealsZielhatte,dienationalsozialistischeWeltanschauunginderSonder schularbeitzuverankernunddiesauchdurchspezielleSchulungenund Fortbildungsveranstaltungen für Lehrkräfte zu erreichen versuchte. Die Zeitungsollteder„volksbiologischen,bevölkerungspolitischenundrassen hygienen Aufgabe der Sonderschulen und deren Mitwirkpflicht an der DurchführungdesGesetzeszurVerhütungerbkrankenNachwuchses“die nen.405Mitteder1920erJahrehatteernochseinesprachheilkundlichenUn tersuchungenamPhonetischenLaboratoriumunddamitmitderfachwis 403
Ebd.
404
ZuLambecksiehedessenVeröffentlichungenimAnhangsowieIngeK.KrämerKiliç:Adolf Lambeck–einstrammerNaziundverdienterLeitereinerHamburgerSprachheilschulebis 1950?In:Behindertenpädagogik39(2000),S.421–442.
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senschaftlichen Arbeit unter humanistischen Gesichtspunkten begonnen. EruntersuchtestotterndeKinderunddrehteFilmevonsprachbehinderten, gehörlosenundschwerhörigenKindernimVergleichmitHilfs,Volksund Realgymnasiumsschülern,dieerbeiKasperlevorführungenmitderKame rabeobachtete.SeineErgebnissewurden1927veröffentlicht. DasPhonetischeLaboratoriumwarinden1920erbis1940erJahrenTrä gerdesAufbaustudiumsderHörundSprachbehindertenlehrkräfteund auchspäterwaresanderAusbildungvonSonderpädagogenderFachrich tungen Gehörlosen, Schwerhörigen, und Sprachbehindertenpädagogik beteiligt.1994wurdederBereichdersonderpädagogischanwendungsori entiertenPädagogikausdemInstitutderallgemeinenPhonetikherausge löst und dem Institut für Behindertenpädagogik am Fachbereich Erzie hungswissenschaft zugeordnet.406 2001 wurde das Institut für Phonetik, AllgemeineSprachwissenschaftundIndogermanistikmitderSprachlehr forschungdesaufgelösten ZentralenFremdspracheninstitutsals„Institut fürAllgemeineundAngewandteSprachwissenschaft,AbteilungfürPhone tik, Allgemeine Sprachwissenschaft und Indogermanistik“ zusammenge fasst.ȱSeineGerätesammlungwurdezuBeginndesJahres2006andieTech nischeUniversitätDresdenabgegeben.407 * AnfangsbliebdasKollegiumderGehörlosenschule Schärswissenschaftli chenUntersuchungengegenübereherskeptisch.408 1921,alsderDirektor desPhonetischenLaboratoriumseinenAssistentenfürneueUntersuchun genüberdieFrage,inwieweitdasGefühlfürdieWahrnehmungvonStim menschwingungeninBetrachtkäme,suchte,schlugdasLehrerkollegium vonsichausAlfredSchärvor.ErwurdedannfürdieTätigkeitinder„Ex perimentellenPhonetik“zunächstaufsiebenMonatevonderLehrtätigkeit
405
KarlTornow,GeschichtederZeitschrift„DiedeutscheSonderschule“,in:DiedeutscheSon derschule1937,Nr.6,S.436–438. 406
Neppert,Phonetik.
407
Klaus Mauersberger, Dresdner retten Hamburger Sammlung, in: Dresdner Universi tätsJournal“vom20.6.2006.
408
Soschickte dasKollegiumandereLehrkräftezuVersammlungendesBundesdeutscher TaubstummenlehrerodernachLeipzig,umdievonSchärbevorzugteLindnerscheSchreib LeseMethodevorOrtzustudieren.
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befreit.409EinGrunddafürwarsicherauchdiepositiveMeinung,dieEltern und Elternrat überdieGrundlagenforschung hatten.Siewünschten sich durch modernere Apparate eine Verbesserung der Sprechfähigkeit ihrer Kinder.Dahersetztensiesichdafürein,dassSchärauchweiterhindurch ForschungderPraxisdienenkonnte.410Ab2.Oktober1922wurdeerbisauf weiteres, also unbefristet, beurlaubt, um am Phonetischen Laboratorium arbeitenzukönnen.
Abbildung 25: Schulklasse mit Lehrerin Dora Harnack, 1922
SchärsahseineLehrerkollegenkritisch.Erbemängelte,dassdieKräfteder TaubstummenlehrerallzusehrvondenewigenStreitereienzwischenLaut 409
WeitereAngabenvonSchärüberdieExperimentellePhonetikin:StAHbg,3613Schulwe senPersonalakten,A879,Schär,PhonetischesLaboratorium,andieOSB23.9.1921.
410
Am17.9.1921fandeinVortragmitanschließenderDiskussionimPhonetischenLaborato riumstatt,andemvieleElternteilnahmenundsichvonderArbeitamLaborüberzeugenlie ßen,ebd.Bl.52:Notiz17.9.1921undBl.50:HeinrichMutzimAuftragdesElternratesandie OSB26.11.1921.
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undGebärdensprachvertreternaufgezehrtwürdenundsodieGrundlagen forschungschonbeinahetraditionellvernachlässigtwerde.SowürdenHil fenundAnschauungsmittelüberdieBildungderSprachlaute,Atembewe gungen,derganzeUnterrichtinArtikulationundmechanischemSprechen nochimmermitveraltetenGerätenundnachveraltetenMethodengelehrt. DieexperimentellePhonetik,andererarbeite,seiaufdenTaubstummen unterrichtausgerichtetundsomitkeinereintheoretischeWissenschaft.Im Gegenteil:Sieseidazuda,wissenschaftlichgesicherteUnterlagenfürden ArtikulationsunterrichtzuschaffenundAnschauungsmittelfürdenersten Sprechunterrichtzuentwickeln.411 Schärs GrundlagenforschungamPhonetischenLaboratoriumhattedie Erneuerung des schulischen Artikulationsunterrichts zum Ziel. Alle Un tersuchungs und Aufnahmeapparate des Laboratoriums sollten in An schauungsmittelfürdenSprechunterrichtumgewandeltwerden.Diedamals neuesteTechnikwurdevondenMitarbeiterndesLaboratoriumsherangezo gen:„Phonogramme“und„Kinematographen“,umdieAblesemöglichkei tenzukontrollieren,„Atmungsspiegel“fürdieBewegungderAtmungsmus kulatur, das „Trommelphonoskop“ für das Erkennen von Stimmhaftigkeit bzw. Stimmlosigkeit, das „Strobilion“ für verschiedene Tonhöhen. Das letztgenannteGerätwurdeimPhonetischenLaboratoriumzueinerunge wöhnlichenFarborgelausgebaut,dieGasflammenunterverschiedenstar kenDrucksetzteunddamitLauteveranschaulichte.DaserhoffteErgebnis sollte im Unterricht der Monotonie im Sprechen der Gehörlosen begeg nen.412 SchärveröffentlichteüberseineUntersuchungendiverseArtikelin Fachzeitschriften.Erst1925warerwiederanderTaubstummenschuleals Lehrertätig.413 AlfredSchärhatte1918dieostpreußischeGutsbesitzerstochterAntonie Ludwig(1894–1965)geheiratet.DemEhepaarwurden1919dieTochterEri kaund1920derSohnDietergeboren.1927/28bautesichdieFamilieein Haus in HamburgVolksdorf. Die daraus resultierenden finanziellen SchwierigkeitensolltendurchUntervermietungvonZimmernaufgefangen werden.DiesjedochunddieTatsache,dassSchärvonEnde1922(bzw.An 411
Ebd.,Bl.46:SchärandieOSB23.9.1921.
412
Ebd.,SchärandieOSB23.9.1921.
413
Ebd.,Bl.64:KrankmeldungderSchule,während1923dieKrankenmeldungnochvomLa boratoriumandieOSBgeschicktwurde(Bl.62).
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fang1923)bisApril1932derSPDangehörthatteundzuBeginnder1930er JahredieSPDinderVolksdorferGemeindeversammlungvertrat,414machte ihnindenAugensomanchesNationalsozialisten„kommunistischerUm triebe“verdächtig.Konkrethießdas,dassSchärundseindieandereHälfte des Doppelhauses bewohnender Nachbar, ebenfalls Lehrer und ehemals mit einer Jüdin verheiratet, spätestens seit 1934 der „Staatsschädigung“ verdächtigtwurden.415DerGrundwar,dassmisstrauischeNSDAPMitglie derbeobachtethatten,dassSchärnochnachEintretenderDunkelheitBe suchvon„mitRucksackbewaffnetenRadfahrern“bekamundseineFenster mitVorhängenverhängtwaren.AusdiesenBeobachtungenschlossensie auf kommunistische Versammlungen.416 Die NSDAP nahm Schär daher weiter„unterdieLupe“underfuhrso,dassersichanscheinendstetsher absetzendüberdieStaatsparteiäußerteunddesWeiterenPapierverbren ne,vondemdiePolizeibehördevermutete,esseisicherlich„kommunisti sches Propagandamaterial“.417 Doch eine Hausdurchsuchung am 13. Au gust1934ergabnichtsBelastendes. Schärgaban,seineFamiliebekommevielBesuch,dasiezuderZeitfünf meiststudentischeUntermieter habe,einerderStudenten entwickeleim KellerfotografischeAufnahmen–tatsächlichhatteSchärdorteineigenes kleinesFotolabor418–undbeidenPapierverbrennungenimHofhandelees sich einfach um Altpapier. Er habe sich seit der „nationalen Erhebung“ nichtmehrpolitischbetätigt.419 Doch es blieb nicht bei der einen Hausdurchsuchung. Immerhin war SchäreinMann,dergerne„großeReden“schwangunddabeinichtimmer diplomatischvorging.DerKriegsgegnerSchärwardavonüberzeugt,dass 414
Ebd,Bl.93:RückseitedesFragebogenszurDurchführungdes„GesetzeszurWiederherstel lungdesBerufsbeamtentums“;AngabevonDr.HolgerMartenslautVerhörProtokollvom 11.2.1937; Anträge von „Schär und Genossen“ in der Gemeindeversammlung: StA Hbg, 4161/1LandherrenschaftenHauptregistratur,XXVIIB426Band7,ProtokollderGemeinde vertretersitzungz.B.vom11.3.1931und11.2.1932. 415
SieheauchStAHbg,13111Personalamt,1494.
416
StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A879,AbschriftFerdinandNatskov,Ortsgrup penleiterderNSDAPVolksdorf,andieStaatspolizei9.8.1934. 417
Ebd.,AbschriftdesBerichtsvonHartmann,PolizeipostenVolksdorf,andiePolizeibehörde 11.8.1934.
418
SchreibenvonErikaFinkvom15.8.2001.
419
StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A879,AbschriftderAussageSchärsausdemTa gebuchderStaatspolizei13.8.1934.
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derWegHitlersnurimKriegendenkönne.420SchonimAugustdesfolgen denJahresgingenMeldungenverschiedenerNSDAPParteimitgliederbei derLandesunterrichtsbehördeundbeimNationalsozialistischenLehrerbund ein,dieAlfredSchär denunzierten.Sowurdedavonberichtet,Schärhabe bereits1934jüdischeKinderfüreineZeitinPensiongehabt(eswarenKin derausderVorschulevonCläreLehmann,anderSchärsEhefrauvon1930 bis1934tätigwar)421und1935TeileseinesHausesaneinejüdischeFamilie untervermietet. Es wurde als „starke Zumutung“ dargestellt, dass Schär „ausgerechnet“einejüdischeFamilieaufnehmenmussteundanscheinend keinenAnstoßdarannehme,„mitJudenunmittelbareHausgemeinschaft zupflegen“.Manhieltesfür„höchstbedenklich“,dasseinsolcher„Volks genosse“deutscheKindererziehe.Sowurdebeiihmeine„demStaatevoll ständiggleichgültiggegenüberstehendeHaltung“diagnostiziertundvor geschlagen,Schär strafweiseaneineandereSchulezuversetzen.422 Nach barnmokiertensich,dasses„unmöglichsei,dasseinLehrer,derseinBrot beimnationalsozialistischenStaatverdient,eineJudenfamilieaufnehmen kann,[...]umsomehr,daHerrSchärvor1933alsMitgliedderSPDauch dem Volksdorfer Gemeinderat angehörte“.423 Die Nachbarn in Volksdorf beraumteneineöffentlicheKundgebungein,aufdenenunteranderemeine RedeüberdasThema„DerJudealsFeindderVolksgemeinschaft“gehalten undSchärheftigangegriffenwurde.424 DieVolksdorferwarenallgemein sehreifrig,gegenSchär„mitallerSchärfe“vorzugehen,der„allenBestre 420
GesprächmitErikaFinkam14.6.2001inHamburg.DiedarausresultierendenBeschimp fungendurchNachbarn(„wennSieimKZwären,würdeichIhnendieHammelbeinelang ziehn“)sindSchärsTochternochheutepräsent.
421
StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A879,SchärandieLandesunterrichtsbehörde 27.8.1935.CläreLehmann(1874–1942)leiteteseit1917einegemischteprivateVorschuleinih remHausHeilwigstraße46,die1932116KinderalsVorbereitungfürdieSextaderhöheren Schulenunterrichtete.AlsJüdindurftesieallerdingsbaldnurnochjüdischeKinderunterrich ten,ihreSchulewurde1937zueinerjüdischenGrundschule.1939wurdedieSchulegeschlos sen(StAHbg,3612IIOSBII,B192Nr.1undNr.5).CläreLehmannnahmsich,alsdieDepor tationbevorstand,am6.1.1942zusammenmitihrerSchwesterdasLeben. 422
StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A879,H.Millahn,stellvertretenderOrtsgrup penleiter der NSDAP Volksdorf an Karl Witt, Präsident der Landesunterrichtsbehörde, 13.8.1935.
423 Ebd.,BriefeinesNachbarnanAugustKaphengst,KreisamtsleiterdesNationalsozialisti schenLehrerbundes(NSLB)Walddörfer,11.7.1935. 424 Ebd.,OttoGrefe,OrtsgruppenleiterNSLBVolksdorf,anWilhelmGrubert,Kreisamtsleiter NSLBHamburgLandherren,16.8.1935.
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bungenvonParteiundStaatinunerhörterWeiseHohnspricht“. 425 Sogar dieTatsache,dasszweiNachbarn,jüdischeÄrzte,ihreAutosvorseinem Hausabgestellthatten,wurdeihmangelastet.426 AlfredSchär erhielteine Vorladung vor der Landesunterrichtsbehörde, wo ihm deutlich gemacht wurde,dasser,wennernocheinmalauffälligwerdenwürde,„nichtsoein fachdavonkommenwürde“..427
Abbildung 26: Familie Schär auf der Terrasse ihres Volksdorfer Hauses, circa 1928
SolltendieNachbarndochetwasgeahnthaben?Tatsächlichstecktemehr hinter all diesen Anfeindungen über die „staatsfeindliche“ Haltung des Lehrers.AlfredSchärgehörtedemsozialistischenHamburgerWiderstand 425 Ebd., Grubert, Kreisamtsleiter NSLB, an die Gauamtsleitung des Amtes für Erzieher 21.8.1935. 426
Ebd.
427
Ebd.,OberschulratAlbertMansfeldandieOrtsgruppeWalddörferVolksdorfderNSDAP undandenSchulleiterderTaubstummenanstalt,Jankowski,6.9.1935.
Im „Dritten Reich“ (1933–1945)
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gegendieNationalsozialistenan.Schär,dervor1933politischinderSPD organisiertwar,beteiligtesichnachdernationalsozialistischenMachtüber tragungandenillegalenAktionendesverbotenenInternationalenSozialis tischenKampfbundes(ISK).DieserwarimDezember1925vonAnhängern des den linken Flügel der SPD unterstützenden Internationalen Jugend bundes(IJB)gegründetworden,diekurzzuvorvonderSPDhörenmuss ten,dasseineMitgliedschaftimIJBundzugleichderSPDnichtvereinbar sei.DerISKwareineselbstständigePartei,diefürihrZiel,die„Verwirkli chungderausbeutungsfreienGesellschaft“kämpfte.428 NachdemVerbot desISKarbeitetenderenMitgliederillegalinOrtsgruppen,diesich„Unab hängigeSozialistischeGewerkschaftsGruppen“nannten,weiter.DerISK sahsichselbstalsaktive,aberelitäreWiderstandsgruppean,dieihreMit gliederauchfürdenEinsatzineinernachnationalsozialistischenRegierung ausbildeten.WährendVoruntersuchungenzueinemProzessamHanseati schenOberlandesgerichtgegenMitgliederdesKampfbundes,dem„Prozeß Kalbitzer undGenossen“,429 fürdendieillegalenTätigkeitendesISKvon Ende1933bisEnde1936dokumentiertwurden–politischeSchulungen, Flugblätterherstellung,WerbungvonMitgliedern„ohneRücksichtaufPar teizugehörigkeit“–erfasstedieBeobachtungauchden„ISKFunktionär“ AlfredSchär.430 EinandererHamburger„ISKFunktionär“warder1933 428
UrselHochmuth/GertrudMeyer,StreiflichterausdemHamburgerWiderstand1933–45, FrankfurtamMain1969,S.144.DerISKhattedieGefahrdesFaschismuskommensehenund imJuli1932zueinemZusammengehenvonSPDundKPDfürdienächsteWahlaufgerufen. ZumHamburgerISKsieheauchAndreasKlaus,GewaltundWiderstandinHamburgNord währendderNSZeit,Hamburg1986,S.89–94;WalterTormin,VerfolgungundWiderstand vonHamburgerSozialdemokratinnenundSozialdemokraten1933–1945,in:SPDLandesorga nisationHamburg(Hg.),FürFreiheitundDemokratie.HamburgerSozialdemokratinnenund SozialdemokrateninVerfolgungundWiderstand1933–1945,Hamburg2003,S.10–22.Zum ISKallgemeinsieheWernerLink,DieGeschichtedesInternationalenJugendBundes(IJB)und desInternationalenSozialistischenKampfBundes(ISK).EinBeitragzurGeschichtederArbei terbewegunginderWeimarerRepublikund imDrittenReich,MeisenheimamGlan1964. HierwirdSchärineinerFußnoteaufS.215erwähnt.
429
HellmutKalbitzer(1913–2006),1945MitbegründerderSPDundderGewerkschaftinHam burg).DasUrteilgegendieAngeklagten,dasimam13.2.1937stattfindendenProzessverkün detwurde,lauteteaufGefängnis,bzw.ZuchthauszubiszuzweiJahren(Hochmuth/Meyer, S.150).Vgl.HellmutKalbitzer,WiderstehenoderMitmachen.EigensinnigeAnsichtenund sehrpersönlicheErinnerungen,Hamburg1987.
430
Hochmuth/Meyer,S.149.AuchdasGedenkbuchfürdieOpferdesKonzentrationslagers FuhlsbüttelverzeichnetSchär–fälschlicherweiseunterdemNamenAlfonsFriedrichSchär– als politischen Gefangenen, der dem ISK und somit dem organisierten antifaschistischen
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entlasseneLehrerCurtBär (1901–1981),dersichinseinenMemoirenan AlfredSchärerinnert.431SchärwaranwirtschaftspolitischenFrageninteres siertundengagiertesichinden1920erJahreninderBodenreformBewe gung,überdieerauchüberKontakteinHolland,EnglandundDänemark verfügte.432SchärinitiiertedieimSinnederfreiheitlichenJugendbewegung gestalteteundnachgenossenschaftlichenPrinzipienorganisiertebodenre formerische Nachbarschaftssiedlung Buchenkamp in HamburgVolksdorf undgaltdortals„PragmatikerundOrganisator“derGemeinschaft.433Man hatte im fast ländlichen Gebiet gemeinsam Häuser gebaut, feierte und diskutiertegemeinsam,hatteeinengemeinsamenSpielplatz,einengemein schaftlichenBrunnenundeineebensogemeinschaftlicheAbwasserentsor gung.4341932verfassteSchäreineStudie,indererdieGrundstücksverkäufe desSenatskritisierte.435 SeinInteresseanderTheoriederfreiensozialisti schenMarktwirtschaftführteihndannzuKontaktenmitdemISK.Gemein sammitCurtBärschrieberkritischeWirtschaftsartikelfürdieISKZeitung „DerFunke“.436ErleiteteaußerdemeinenwirtschaftspolitischenArbeitskreis vonMitgliedernundFreundendesISK,derinderillegalenZeitnach 1933 alsmonatlicherInformationstreffgenutztwurde.437HamburgwarEndeder WeimarerRepublikmitbiszudreißigMitgliederneineHochburgdesISK. Widerstandangehörte(KZGedenkstätteNeuengamme[Hg.],GedenkbuchKolaFu.Fürdie Opfer aus dem Konzentrationslager, Gestapogefängnis und KZAußenlager Fuhlsbüttel, Hamburg1987,S.36f.). 431 CurtBär,VonGöttingenüberOslebnachGodesberg.PolitischeErinnerungeneinesHam burgerPädagogen1919–1945,2.ergänzteAuflage,Hamburg1981,S.56–57,S.84undS.104. 432
Ebd.undGesprächmitErikaFinkam14.6.2001inHamburg.
433
StAHbg,13111Personalamt,1494,HelmutHertlinganWiedergutmachungsausschussam 30.9.1951,Bl3;LeserbriefvonProf.JürgenMoltmannin:MarktWalddörfer,Alstertal,Meien dorfNr.34(2006),S.2.DiefreideutscheJugendbewegungtrafsich1913aufdemhohenMeiß nerbeiKassel,wodiesogenannteMeißnerFormelentstand:„DieFreideutscheJugendwill auseigenerBestimmung,voreigenerVerantwortung,mitinnererWahrhaftigkeitihrLeben gestalten.“DasVerbindendeinderJugendbewegungwareingemeinsamesLebensgefühlund einegemeinsamegeistigeHaltung (FritzBorinski,WernerMilch,Jugendbewegung.DieGe schichtederdeutschenJugendbewegung1896–1933,FrankfurtamMain1982,S.35). 434
Ursula Pietsch, Vortrag in der Außenstelle Torhaus der Gedenkstätte Fuhlsbüttel am 28.2.2006. 435
Ende1932veröffentlichteSchäreinekritischeAnalysemitdemTitel„DieGrundstückspoli tikderFreienundHansestadtHamburgseit1924“. 436
Bär,S.56.
437
Ebd.,S.57und84.
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ImSeptember1934wurdedievegetarischeGaststätteüberdenAlsterarka den–dasHamburgerRathausmitseinernationalsozialistischenRegierung stetsimBlick–vonISKMitgliedernzumBroterwerbsowiealskonspirativer Treffpunkteröffnet.438HierhingingauchAlfredSchärzuVersammlungen. DochnochwardieseTätigkeitSchärsnichtnachaußengedrungen,noch gingSchärinderÖffentlichkeitseinerTätigkeitanderGehörlosenschule nach.UndinseinemEngagementgingersogarüberdasUnterrichtenhin aus.Er,dersichimmerfürseinegehörlosenSchülereingesetzthatte,wur de seit September 1934 als Dolmetscher vor das Erbgesundheitsgericht vorgeladen.EsgingumdiepersönlicheVernehmungvonErbkrankenim Sinnedes„GesetzeszurVerhütungerbkrankenNachwuchses“(GzVeN),439 was für die Betroffenen bei Feststellung eines angeblich angeborenen HörschadensmeistZwangssterilisationbedeutete.DerDolmetscherwur deaufgefordert,alleihmbekanntentaubenBlutsverwandtenzunennen. EswurdevonSeitendesGerichtsdieTaubstummenanstaltdaraufhinge wiesen,alsDolmetscherstetseinenLehrerzunehmen,derauchmitden FamilienverhältnissendesVorgeladenenvertrautwar.440 Insgesamt23mal mussteSchärvorGerichtalsDolmetscherfürGehörloseerscheinen–auch fürseineehemaligenSchüler.UmfürdieAkzeptanzdesGesetzesinder betroffenenBevölkerungzusorgen,wurdenzudemvorElterngehörloser KindergezieltVorträgeüberSinnundNutzendesGzVeNgehalten:so auchvomLehrerihrerKinder,AlfredSchär,aufElternabendenderGe hörlosenschuleam4.Dezember1934441undam21.Februar1935.442 Schärschiensich–zumindestwurdeesvonaußensowahrgenommen– mitdenpolitischenVerhältnissenzuarrangieren.AnderSchulehatteer einedurchausangesehenePositionerlangt,erwaraußerdemMitgliedim 438
KarlDitt,SozialdemokratenimWiderstand.HamburginderAnfangsphasedesDritten Reiches,Hamburg1984,S.95–99. 439
StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A879,Bl.94:ErbgesundheitsgerichtanLandes unterrichtsbehörde1.9.1934mitAntwort6.9.1934.
440
Ebd.,Bl.95:ErbgesundheitsgerichtanLandesunterrichtsbehörde24.9.1934.
441
StAHbg,35110ISozialbehördeI,AK61.11,Einladung26.11.1934undStAHbg,3612V OSB V, 499 a Band 2, Zeitungsausschnitt „Aus der Hamburgischen Taubstummenschule“ HamburgerAnzeigerNr.284vom5.12.1934.
442
Archiv des Allgemeinen Gehörlosen UnterstützungsVereins, Hefter mit Protokollen der AmtswalterSitzungenderOrtsgruppeHamburgdesReichsverbandsderGehörlosenDeutsch landse.V.,Protokollder2.Sitzungam31.1.1935,Punkt7.
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„ArbeitskreisderLehrerandenSchulenfürGehörundSprachgeschädigte“ geworden,der1935unterLeitungAdolfLambecks eine neuePrüfungs ordnung für Taubstummen, Schwerhörigen und Sprachheillehrer ent warf.443KünftigwarSchäralsPrüferfürdasFachTaubstummenkundevor gesehen.444 DochwardieRuhetrügerisch.ImJuli1936beantragteAlfredSchär,des senInteressefürWirtschaftsfragenihnschonindieISKgeführthatte,beider Landesunterrichtsbehörde,zueinerKonferenzüber„Grundwertbesteuerung undFreihandel“nachLondonfahrenzudürfen.OberschulratAlbertMans feld(1901–1995),dersichschon1935mitVorwürfengegenSchärbefassthat te,lehntedessenAntragab,weilerihn„nichtfüreinengeeignetenVertreter deutscherBelangeimAusland“hielt.445 DaraufhinbatSchärdieLandesun terrichtsbehördeumErlaubnis,seinenalsVortraggeplantenKonferenzbei tragineinerenglischenFachzeitschriftveröffentlichenzudürfen.Dochnoch währendinderBehördedarüberBeratungenliefen,wurdeSchärzum11.Fe bruar1937vonderGeheimenStaatspolizei(Gestapo)zueinerVernehmung geladen.ImAnschlussanseineVernehmungwurdeSchärin„Schutzhaft“ genommenundamfolgendenTagindasKonzentrationslagerFuhlsbüttel gebracht.DieAnklagelauteteaufBeihilfezumHochverrat.446 CurtBärschriebspäterinseinenMemoiren,dasserwährendeinerVer nehmungdurchdieGestapodieFrageverneinte,obHellmutKalbitzerille galtätigsei,abervondessenTeilnahmeanSchärsWirtschaftStudienkreis 443
ErwarebenfallsimAusschussdesHeilpädagogischenVereinstätig,dersichfürdieBelan gederGehörlosenwieauchfürdieRegelungderTaubstummenlehrerausbildungeinsetzte. AuchwurdeSchär1936vonderFachgruppefürTaubstummen,SchwerhörigenundSprach heillehrerdesNSLB,GauHamburg,beauftragt,Literaturüberdiedamalsdiskutierte„Metho dederHörerweckung“nachdemBudapesterPädagogenGustavBarczizusammelnundlau fenddarüberzuberichten(StAHbg,3612VIOSBVI,709,Bl.4ff.).
444 StAHbg,3612VIOSBVI,1730,Bl.20:DurchführungderPrüfungfürLehreranTaubstum men,SchwerhörigenundSprachheilschulen,AnlagezumSchreibenKarlWitt,Präsidentder Landesunterrichtsbehörde,andenReichsundPreußischenMinisterfürWissenschaft,Erzie hungundVolksbildung9.9.1936. 445
StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A879,VermerkvonMansfeld6.8.1936.Albert MansfeldwarnichtnurOberschulratfürdasVolksschulwesen,erwarauchalsGauhauptstel lenleiterimGauamtfürErzieherimNSLBzuständigfürOrganisationundPersonal(Hambur gischesLehrerverzeichnis1938–1939,S.202).
446
StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A879,VermerkeinerMitteilungderGeheimen StaatspolizeianOberschulratMansfeld9.2.1937undVermerk vonKunstmann,Mitarbeiter derSchulbehörde,12.2.1937.
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erzählte, in dem Glauben, dass dieses unverdächtig sei. Damit aber, so meinteBärspäter,„habeichleiderungeschickterweisezweiRandpersonen derillegalenISKArbeitinsSchußfeldderGestapogebracht:AlfredSchär wurdeinHaftgenommen;wahrscheinlichlagausseinenvielfältigenan derweitigenVerbindungenschonetwasBelastendesgegenihnvor“.447Tat sächlichhatteeinandererMitarbeiterdesISKimMai1936einGeständnis überdieTätigkeitdesISKabgelegtundsoeinereichsweiteVerhaftungsak tionausgelöst,diebiszumHerbst1937andauerte.448 LautMitteilungderGestaposollsichAlfredSchärzweiTagenachseiner VerhaftungundeinenTag,nachdemernachFuhlsbüttelgebrachtworden war,am13.Februar1937morgenszwischeneinundzweiUhrinseiner Zelleerhängthaben.449 SeineLeichedurftevonseinerFamilienichtmehr gesehen werden, die Feststellung der Todesursache durch den Hausarzt wurdenichtgestattet.ZuSchärsBestattungkamensovieleMenschenin dasKrematorium,dassdieSicherheitsbeamtendengrößtenSaalzurVerfü gungstellenmussten.RedenunddasZeigenvonFahnenjeglicherArtwur deverboten,dieKondolenzlistendurchdieGestapoeinbehalten.ZuHause inVolksdorfhattedieTochterdasGefühl,dasskaumjemandmitderFami lieredete.ImfolgendenJahrzogdieFamilieausVolksdorffort.450 SchärsSchicksalbliebinderunmittelbarenNachkriegszeitanderSchule unvergessen:ImSeptember1948wurdevonderSchulbehördeeine„Feier fürdieOpferdesNazismus“vorgesehen,dieauchanderGehörlosenschu lestattfand.AufderanallenSchulenverteiltennamentlichenListederOpfer waraufVeranlassungdesSchulleitersFritzSchmidtauchderNameseines Kollegennachgetragenworden.451 ImRahmender„MotivgruppeWider stand gegen den Nationalsozialismus“ wurde am 21. August 1964 eine Straße in HamburgLohbrügge nach ihm benannt und am 29. Juli 2006
447
Bär,S.104.
448
Klaus,GewaltundWiderstand,S.92undLink,IJB,S.213–215.
449
StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A879,GeheimeStaatspolizeiandieSchulbehör de16.2.1937.
450
Gespräche mit Erika Fink am 14.6.2001 und 2.3.2001, Schreiben von Erika Fink vom 3.3.2001.
451
StAHbg,36210/3 SamuelHeinickeSchule,Mappe 15 (Ablieferungsverzeichnis) Lehrer konferenzen1948–1952,Konferenzvom21.9.1948.
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wurdevorseinemWohnhausamWulfsdorferWeg79einStolpersteinin ErinnerunganAlfredSchärverlegt.452
Abbildung 27: Stolperstein für Alfred Schär
4. 3 . 4 D a s Ges e t z zu r Ver hüt u ng erb k ra nke n Na chw u chs es Am14.Juli1933wurdevomdeutschenReichstagdas„GesetzzurVerhü tungerbkrankenNachwuchses“verabschiedet.453DiesbedeutetedieKlassi fizierungderMenschenin„minderwertig“und„hochwertig“.Menschen, die nach den Kriterien des Regimes als „erbkrank“ galten, wurden als „fortpflanzungsunwert“gekennzeichnetunddurftenauchohneihrEinver 452 StolpersteinfürAlfredSchär,in:MarktWalddörfer,Alstertal,MeiendorfNr.32(2006).Mit kleinen Messingplatten, in die Namen und Daten von ermordeten Mitbürgern eingraviert sind,erinnertderKünstlerGunterDemnig seit1996andieOpferdesNationalsozialismus. ÜberdieAktion„Stolpersteine“siehehttp://www.stolpersteine.de. 453 DiesemKapitelliegenderzeitgenössischeTextvonKurtHolm,VerhütungerbkrankenNach wuchses.DieDurchsetzungdesGesetzesinHamburg(HamburgimDrittenReich,Heft8), Hamburg1936,sowiedieArbeitenvonChristianeRothmaler,Sterilisationennachdem„Ge setz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ vom 14. Juli 1933 (Abhandlungen zur Ge schichtederMedizinundderNaturwissenschaftenHeft60)Husum1991undHorstBie sold,KlagendeHände.BetroffenheitundSpätfolgeninbezugaufdasGesetzzurVerhütung erbkrankenNachwuchses,dargestelltamBeispielder„Taubstummen“,SolmsOberbiel1988, zugrunde.–VordemGzVeNwurdebereitsdaswegweisendediskriminierende„Gesetzzur FörderungderEheschließungen“verabschiedet(RGBlI,1933,S.323),dasdieVergabevonEhe standsdarlehennuranzwei„körperlichundgeistiggesunde“Menschengewährte.
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ständnissterilisiertwerden.LetztendlichbedeutetediesesGesetznichtsan deres als „Vernichtung lebensunwerten Lebens“454, zuerst als „Ver hinderungunwertenLebens“.455VondiesemGesetzwarenauchGehörlose betroffen.456 DieNationalsozialistenwarenbekanntlichnichtdieErfinderdesRasse gedankens.DieAkzeptanzeugenischenGedankenguts457wardurchschon längerbestehendeDiskussionenrechtgroß.458 DieErgebnissefachwissen schaftlicherForschungendesBiologenGregorMendel(1822–1884)überdie VererbungbeiPflanzenunddieEvolutionstheoriedesenglischenNaturfor schersCharlesRobertDarwin(1809–1882)über„DieEntstehungderArten durchnatürlicheZuchtwahloderDieErhaltungderbegünstigtenRassen imKampfeumsDasein“(imJahr1859erschienen),warenverallgemeinert undvon„Sozialdarwinisten“aufdenMenschenübertragenworden.459 Einervonihnen,derArztAlfredPloetz(1860–1940),prägtezumersten MaldenBegriff„Rassenhygiene“(1895)undgründete1904dieZeitschrift „ArchivfürRassenkundeundGesellschaftsbiologie“und1905die„Gesell schaftfürRassenhygiene“.4601903schriebeinVertreterdesSozialdarwinis 454
Euthanasie,griechisch:„schönerTod“.
455
§1desGzVeNlautete:„Wererbkrankist,kann[…]unfruchtbargemacht[…]werden, wennnachdenErfahrungenderärztlichenWissenschaftmitgroßerWahrscheinlichkeitzuer wartenist,daßseineNachkommenanschwerenkörperlichenodergeistigenErbschädenlei denwerden“(RGBlI,1933Nr.86,S.529–531)Das1935erschieneneGesetzzurÄnderungdes GzVeNging dannauchaufSchwangerschaftsunterbrechungenein,diebisindensechsten Schwangerschaftsmonaterfolgendurften(RGBlI,1935,Nr.65,S.196,§10a[2]). 456
§2desGzVeN:„ErbkrankimSinnediesesGesetzesist,weraneinerderfolgendenKrank heitenleidet[…]7.erblicherTaubheit[…]“(RGBlI,1933,Nr.86,S.529).
457
Eugenik,griechisch:Wohlgestaltung,Gutschaffung,inderPraxisverstandenals„Rassen hygiene“.
458
IndenVereinigtenStaatenwaresderPhysikerAlexanderGrahamBell (1847–1922),der sichgegenVerheiratungvonGehörlosenunddamitdagegenaussprach,dassGehörloseKin derzeugen.Erwaresauch,derdieOralmethodeindenUSAverbreitete. 459
EineZusammenfassungdesSozialdarwinismus,dergeradezudieStellungeinernaturwis senschaftlichenErsatzreligioneinnehmenkonnte,sieheHansUlrichWehler,DeutscheGesell schaftsgeschichte,Band3:Vonder„DeutschenDoppelrevolution“biszumBeginndesErsten Weltkrieges1849–1914,München1995,S.1081–1083;ders.,DeutscheGesellschaftsgeschichte Band4:VomBeginndesErstenWeltkriegsbiszurGründungderbeidendeutschenStaaten 1914–1949,München2003,S.665;PeterWeingart/JürgenKoll/KurtBayertz,Rasse,Blutund Gene,FrankfurtamMain1988,S.117ff.
460
Biesold,KlagendeHände,S.10.PloetzwollteeineneueGesellschaftundfandvieleAnhän gerunterdenGroßkapitalisten,diesolcheIdeenfördertenundsozudergesellschaftlichen
156
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mus, derArzt Wilhelm Schallmeyer (1857–1919), einen Aufsatz, welcher „dieVererbungundAusleseinihrersoziologischenundwissenschaftlichen Bedeutung“thematisierte.461 Schallmeyer undPloetz geltensomitalsBe gründerderdeutschen„Rassenhygiene“.1920erschiendasBuchdesJuris tenKarlBindingunddesArztesAlfredHoche:„DieFreigabederVernich tunglebensunwertenLebens“,dassichzueinemStandardwerkentwickeln sollte.IndiesemBuchmaßtensichdieAutorenan,überdenTodvonMen schenentscheidenzukönnen,die„fürdieGesellschaftdauerndallenWert verloren[haben]“.462 SiewareninihrerForderungnacheinergesetzlichen Regelungder„TötungvonNebenmenschen“463dietheoretischenVorreiter fürdiepraktischenAusführungenderNationalsozialisten. In der Weimarer Republik forderten Ärzte im Zuge der eugenischen Diskussion wiederholt eine gesetzliche Regelung der Geburtenkontrolle „Minderwertiger“. Auch Gehörlosigkeit gehörte zu den unerwünschten Krankheiten,diedurchdieSterilisationBetroffenerverhindertwerdensoll te.DerHeidelbergerTaubstummenlehrerGeorgNeuertfragtesich1923,ob Gehörloseheiratensollten,undverneintedieses.464ImselbenJahrübergab derZwickauerArztDr.GustavBoeters(1869–1942)dersächsischenRegie rung einen Entwurf zu einem Sterilisierungsgesetz („Lex Zwickau“). Er warbmassivfürdiesenEntwurfundwecktedamiterstmalsineinerbreite renÖffentlichkeitgroßesInteressefürdiesesThema.465Erfordertedie„Un fruchtbarmachung“„geistigundsittlichMinderwertiger“undbezoghier
Akzeptanzder„Rassenhygiene“beitrugen(ebd.,S.173f.).ZuPloetz:WernerDoeleke,Alfred Ploetz(1860–1940).SozialdarwinistundGesellschaftsbiologe,FrankfurtamMain1975. 461
ErwarGewinnereinesvondemIndustriellenFriedrichAlfredKrupp(1854–1902)imJahr 1900veranstaltetenPreisausschreibens„überdieAnwendungvonErkenntnissenderAbstam mungsundErblichkeitslehreaufdiesozialeFrage“(ebd.,S.173). 462
KarlBinding/AlfredHoche,DieFreigabederVernichtunglebensunwertenLebens.Ihr MaßundihreForm,Leipzig1920,S.27und51. 463
Ebd.,S.5und32.AlsMaßstabfürdenWerteinesMenschenwurden„dasFehlenirgend welcher produktiverLeistungen“ (Beispiel:„Epileptiker,Idioten,Geisteskranke“)und „das FehlendesSelbstbewußtseines“,dasdengeistigBehinderten„tiefunteninderTierreihewie derfinden[lässt]“(ebd.,S.57)gesetzt. 464
G[eorg]Neuert,BerufundFortbildungderTaubstummeninBaden,in:BlätterfürTaub stummenbildung1923,Nr.5.
465 Biesold,KlagendeHände,S.12f.ZudiesemZeitpunktwarBoetersbereitsaktivdabei,„un fruchtbarmachendeOperationen“an„geistigMinderwertigen“durchzuführen(ebd.).
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auch gehörlose Menschenein.466 Die Fragenach HeiratundSterilisation Gehörloser fasste der Heidelberger Taubstummenlehrer August Abend zwarnurals„Empfehlung“auf,dochaucherplädierte–indersonderpäd agogischen Fachzeitschrift „Blätter für Taubstummenbildung“ – bereits 1925füreine„Unfruchtbarmachung“.Diesesei„[...]dortzuverantworten, woeinMenschalsMitglieddesVolkesnichtmehrzuleistenvermag,als seine eigenen Nahrungs, Erziehungs und Ausbildungskosten ausma chen.“467 DerToninBezugaufeugenischeFragenwurdeab1932inderLehrer schaftraschschärfer,ArtikelzumThema„UnfruchtbarmachungvonMin derwertigen“inZeitschriftenwieden„BlätternzurTaubstummenbildung“ mehrten sich und Stimmen, die protestierend eingriffen, verstummten rechtschnell.468DerHamburgerTaubstummenlehrerAlwinHeinrichsdorff wandtejedochein,dassderGebrechlichedieNotderZeitvieleherspüre undihrvieltrostloserausgesetztsei.Errief1932zumehrMenschlichkeit aufundwarntevorForderungenwiesiedie„LexZwickau“formulierte und vor Plädoyers für das „Recht auf Vernichtung lebensunwerten Lebens“.SolcheMeinungenwürdeninZeitenderNotanKraftgewinnen undzurVerpflichtungderVernichtungwerden.469WieRechterdamithat te,solltesichleidernurallzubaldzeigen.
466 PaulSchumann,Die„LexZwickau“unddieTaubstummen,in:BlätterfürTaubstummen bildung1926,Nr.14,S.225–230.–1925legtedasSächsischeLandesgesundheitsamteinenGe setzentwurfvor,derzwarvonBoetersals„nichtweitgenuggehend“bekämpftwurde,aber 1926demReichstagzurVerhandlungvorgelegtwurde. 467
AugustAbend,WassagtdieRassenhygienedemTaubstummenlehrer?in:BlätterfürTaub stummenbildung1925,Nr.7,S.104–112.BereitsfürdieVorreiterBindingundHochewarder KostenfaktormitbestimmendfürdieBeurteilung„lebensunwertenLebens“(Binding/Hoche, Vernichtung,S.54und57).
468
LehrerMittelstaedtausBerlinriefnoch1932dazuauf,dasstaubstummeElternihr„heili gesRecht,dasRechtderKindererziehung“ bewahrensollten(BlätterfürTaubstummenbil dung1933,Nr.8,S.123–125).EinArtikelimHamburgerFremdenblattvom1.7.1934wollte „mitaltenVorurteilenaufräumen“underinnertedaran,dassvererbteTaubheitnurseltenvor käme,sodassmandenmeistenGehörlosenalsonichtdasRechtaufGlückundFamiliestrei tigmachenkönneunddass90ProzentallerGehörloseninderLageseien,sichinihrener wähltenBerufenselbstihrenUnterhaltzuverdienen. 469
AlwinHeinrichsdorff,DertaubstummeMensch,in:BlätterfürTaubstummenbildung1932, Nr.22,S.330–336.
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VielekritischeStimmenvertratennach1933inderÖffentlichkeiteine obrigkeitskonformeMeinung.DreiBeispielekönnendiesverdeutlichen.470 DerTaubstummenlehrerHansHildverurteilte1932inseinemBuch„Son derpädagogikundJugendfürsorgeimAbwehrkampf“nochdiePraxis,die UnwirtschaftlichkeitvonSonderschulennachzuweisen.ErtratfürdieBe schulungallerBehindertenein,nichtnurfürdieBeschulungeiner„nicht erbkrankenAuslese“undverurteilte„dieTendenzeneinerradikalenRas senaufartung,soweitGehörloseinFragekommen“. 1933riefHans Hild danndieSchulendazuauf,ihregehörlosenSchüler„zumdeutschenMen schenzuerziehen“,sodassdiese„mitallihrenKräftenihremVaterlande undihrem Volke dienen“ und meinte zum Thema „Rassenpflege“, dass eine „gesetzliche Ausscheidung [...] von kaum 5% aller Tauben“ wegen „biologischerMinderwertigkeit“durchauszuverantwortensei.471Auchder LeipzigerTaubstummenlehrerPaulSchumannlehntezunächstradikaleLö sungenwiedieSterilisationab.472 1933schrieberjedoch,dass„noch1932 dieTaubstummenlehrerVerwahrunggegenÄußerungenderEugenikäu ßernmussten,währendsiejetztmitinnererZustimmungihreForderungen wiederholendürften“.ErforderteseineBerufskollegendazuauf,demneu en Gesetz innerlich und überzeugt zuzustimmen.473 Auch Dr. Otto Schmähl,DirektorderTaubstummenanstaltzuBreslau–undnach1945Leh reranderHamburgerGehörlosenschule–hattesichnoch1930geweigert, „die Taubgeborenen in einer Reihe mit Geisteskranken, Idioten, Epilepti kern,Trunksüchtigenzunennen,wiemandasimmerwiederbeobachten kann“.UndauchSchmähläußertesichnachdemnationalsozialistischen Regierungswechseldahingehend,dassGehörlose,wiealleBehinderten,in derGemeinschaftunerwünschtseien,unddassvonnunanzwecksbesse 470
DiedreiBeispielewurdenentnommenausBiesold,KlagendeHände,S.17–19sowieBritta Brunhöver,DieErbgesundheitsgesetzgebungim„DrittenReich“undihreAuswirkungenauf Hörgeschädigte,ExamensarbeitimFachSchwerhörigenpädagogik,LehramtSonderschulen, maschinenschriftlich,Hamburg1986,S.47–52.
471
Hans Hild, Sinn undAufgabe der Taubstummenschule im neuen Staate, in: Blätter für Taubstummenbildung1933,Nr.16,S.233–240.
472
SoauchinseinemschongenanntenArtikelüberdieLexZwickau,indemersichdagegen wehrte,Taubstumme,auchwennsietaubgeborenwordenwaren,alsminderwertigaufzufas sen(PaulSchumann,Die„LexZwickau“unddieTaubstummen,in:BlätterfürTaubstummen bildungNr.14,S.225–230).
473
PaulSchumann,DasGzVeNundseineBegründung,in:BlätterfürTaubstummenbildung 1933,Nr.17,S.249–254.
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rerDurchführungdesGzVeNeineengeZusammenarbeitzwischenTaub stummenlehrerundArztnotwendigsei.474 Die Paragraphen drei und zwölf des GzVeN legten fest, dass die als „Unfruchtbarmachung“,umschriebeneSterilisationauchderArztoderder Anstaltsleiterbeantragenkönneunddass,wenndasErbgesundheitsgericht dieUnfruchtbarmachungvon„Erbkranken“beschlossenhatte,derBetrof feneselbstauchgegenseinenWillensterilisiertwerdenkönne.475Alserb krankgaltendamalsfastallealsangeborendiagnostiziertenHörschäden, denneswarzuderZeitnichtmöglich,erblicheHörschädenfestzustellen.476 „EinDrittelderTaubstummen“,sowurdegelehrt,seierbkrankundwür densomitunterdasGzVeNfallen.477 DieNotwendigkeitdesGzVeNwurdemitderüberdemIndividuumste hendenGemeinschaft,demVolk,begründet,dasvor„Entartung“zuschüt zenunddessen„Erbgesundheit“zusichernsei.Nurdie„Besten“solltensich fortpflanzenundsodasdeutsche,als„nordischarisch“bezeichneteVolkals Eliteherauskristallisieren,dasdieMachthätte,überdieWeltzuherrschen. ObinGesetzeskommentaren,pseudowissenschaftlichenArbeitenoderSchul büchern:MeistwurdegegendieBehindertenargumentiert,dassderenBe treuungzukostenintensivseiunddiesdie„gesundeGesellschaft“mitder Zeitzusehrschädigenwürde.478Zum„erschreckendenStammderMinder wertigen“wurdenauchGehörlosegezählt.479AlsBeispielhierzuseieineRe 474
OttoSchmähl,DerdeutscheGehörlose,Festschriftanläßlichdes2.DeutschenGehörlosen tagesinBreslau1937.Nach:Biesold,KlagendeHände,S.18.Schmählwurde1937Mitarbeiter des„RassenpolitischenAmtes“,dannbis1961VorsitzenderdesBundesDeutscherTaubstum menlehrer(XX.TagungdesBundesDeutscherTaubstummenlehrerzuDortmund,Berichterstat tetvomgeschäftsführendenAusschußdesBundesDeutscherTaubstummenlehrer,Dortmund 1961).
475
RGBlI,1933,S.530,§12.
476
Brunhöver,Erbgesundheitsgesetzgebung,S.37.
477
StAHbg,3625/2SozialpädagogischesInstitut,Abl.2000/1,AbschlussarbeiteinerSchwes ternschülerin,dieVolkspflegerinwerdenwollte,zumThema„DieBedeutungderbesichtigten geschlossenen,offenenundhalboffnenFürsorgeeinrichtungenfürdenEinzelnenunddieGe meinschaft“,1943.
478 ÜberKostenargumentationsieheu.a.auchAnahidS.Rickmann,„Rassenpflegeimvölki schenStaat“.VomVerhältnisderRassenhygienezurnationalsozialistischenPolitik,Disserta tion,Bonn2002(auchalselektronischePublikationderDeutschenNationalbibliothekFrank furtamMain),S.99f. 479
ZitatvonGeorgBonne in:ÜberEugenikundEuthanasieimLichtdernationalsozialisti schenEthik,in:Ethik,11(1934/35),S.127–132,hierS.127,zitiertnachebd.,S.263.
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Abbildung 28: Reichsgesetzblatt vom 25. Juli 1933
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chenaufgabeauseinemzeitgenössischenSchulbuchzitiert:480„EinGehörlo serkostetineinerTaubstummenanstaltjedenTagetwa4RM.Rechneaus: a)WievielkosteterineinemJahre?b)InachtSchuljahren?c)Wievielunge fähr hat die Gemeinde für eben beschriebene Sippe schon ausgegeben? d)WashättedieGemeindedafürmachenkönnen?[...]“. DeutlichwirddieöffentlicheSichtaufGehörloseauchausAlbertFriehes 1934erschienenemBuch„WasmussderNationalsozialistvonderVererbung wissen?“,ausdemfolgendePassagestammt:„Der8jährigeUnterrichtvon Taubstummenkostetrund20000RM[...]füreinengesundenVolksschüler abernur1000RM[...]SinddasnichtgeradezuirrsinnigeZahlen?“481 AnallenSchulenwarenRassenkundeundErblehrePflicht.DenKin dernwurdeinden SchulfächernBiologie,Geschichte oder Mathematik erläutert, warum es „minderwertige“ Menschen gäbe und wie diese „Kranken“den„Gesunden“schadeten.DiemeistenSonderschulenver wendetendiegleichenRechenbücherwiedieVolksschulen,undsomussten auch sie die Rechenaufgabe lösen: „Auf Kosten der Bezirks und Lan desfürsorgeverbändewaren1936untergebrachtinAnstaltenfürGeistes krankeu.s.w.:209032,inBlinden,TaubstummenundKrüppelanstalten: 37628. Die Zahl der Verpflegungstage 1936 für beide betrug 60530575. a)BerechnedieGesamtzahlderGeisteskranken,Blinden,Taubstummen undKrüppel!b)NimmdietäglichenLebenshaltungskostenmit4,5RM an!WiehochistdanndieJahresausgabederBezirksundLandesfürsor geverbände?“DieVergleichevonFamiliengipfelteinderFrage:„Welche GefahrbestehtfürunserVolk?“482 SosolltedengehörlosenKindernihre eigene Minderwertigkeit verdeutlicht werden. Zur Verhinderung von ProtestengegenihreHerabsetzungalsminderwertiggingderLehrerauf dieVererbungslehreerstinHinblickaufdiePflanzenweltein,umdann überdiesenUmwegzudengeistigbehindertenKindernzukommen.Er führteBeispielefürschwergeistigbehinderteKinderanundbrachteso diegehörlosenKinderdazu,die„schwachsinnigen“Kinderzubedauern undeinzusehen,dass„einsolchesLebeninderTatwertlosseiundesbes
480
Karl Tornow / Herbert Weinert, Erbe und Schicksal. Von geschädigten Menschen, Erb krankheitenundderenBekämpfung,Berlin1942,S.122.
481 482
Zitatnach:Brunhöver,Erbgesundheitsgesetzgebung,S.34.
Siegfriedt,RechenbuchfürVolksschulen,HeftVII,7.und8.Schuljahr(nach:Brunhöver, Erbgesundheitsgesetzgebung,S.69).
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ser wäre, sie wären erst gar nicht geboren“.483 Ziel des Unterrichts, so führtederimSinnedesGzVeNeifrigeDresdnerTaubstummen(ober)leh rerHerbertWeinertaus,seibeiSonderschülerndieEinsichtundsomit der Verzicht auf Nachwuchs. „Die Gehörgeschädigten wissen, dass es trotz ihrer Leistungen besser wäre, wenn es keine taubstummen und schwerhörigenMenschengäbe“.484DiegehörlosenKindermüsstenzuder Erkenntnisgelangen,dass„wiralsVolk“zusammengehörtenundjeder einzelneseinenEinsatzdurchdasVerzichtenaufNachwuchszeigenmüs se.Eswurde,soauchvomReichsreferentfürTaubstummenweseninder Reichsfachschaft V (Sonderschulen) des Nationalsozialistischen Lehrer bundes (NSLB) und späteren Hamburger Schulleiter Hermann Maeße, immerwiederandie„Opferbereitschaft“appelliert.485 DerUnterrichtan der Hamburger Gehörlosenschule, so formulierte Schulleiter Jankowski Ende1943rückundvorwärtsblickend(einegeregelteSchularbeitwarin folgederZerstörungdesSchulgebäudesinzwischennichtmehrmöglich), habe „das Hineinwachsen der Gehörlosen in die nationalsozialistische Volksgemeinschaft“ zum Ziel.486 Dabei wurde die „Erziehung zur Ge meinschaft“großgeschrieben.„GewöhnunganDisziplinundKamerad schaft“, „Einführung der Schüler in das Geschehen der Gegenwart [...] unddermonatlicheSchulappell[...]vertiefenindenSchülerndasGefühl derZugehörigkeitzurgroßenVolksgemeinschaft.“DadasErziehungsziel der Taubstummenschule nun lautete, die Gehörlosen zum Verständnis undzur„VerantwortungfürBestandundAufartungdesdeutschenVol kes“zubringen,487wareswohlunvermeidlich,dassesGehörlosegab,die 483 „MehralseinmalsagtwohlsolcheinunglücklicherMensch:Ichbindochvölligüberflüs sig, bin mir und anderen nur eine Last, Es wäre besser, ich […] wäre niemals geboren worden“ (angebliche Aussage eines Körperbehinderten, aus: Tornow / Weinert, Erbe und Schicksal,S.54). 484
Zitiertnach:Tornow/Weinert,ErbeundSchicksal,S.131.
485
HermannMaeße,BetrachtungenzumGzVeN,in:DiedeutscheSonderschule1935,Heft2/3, S.162[HermannMaeßewirdzehnJahrenachKriegsendedieHamburgerGehörlosenschule leiten]undErichWittke,Erbgesundheitsgesetz–StrukturwandelderSonderpädagogik,in: DiedeutscheSonderschule1936,Heft7,S.498.MehrzuHermannMaeßeimKapitelübersei neZeitalsSchulleiterderSamuelHeinickeSchulebis1966. 486 HierundimFolgenden:StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Mappe 16(Ablieferungsliste),Bl.11–13:JankowskianSchulverwaltung7.11.1943. 487 FritzSchürmann[TaubstummenlehrerinSoest],ErbbiologischerUnterrichtinderTaub stummenschule,in:DiedeutscheSonderschule1935,Heft2/3,S.166.
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sichinfolgedersogerichtetenErziehungmitnationalsozialistischemGe dankengutidentifizierten.Sieschauten,bedingtdurchdieimUnterricht behandelte Vererbungslehre488,beeinflusstdurchVorträge489 undAusstel lungen490,aufgeistigbehinderteMenschenunddie„Asozialen“herab,sie wolltensichabgrenzenundargumentiertenselbstimNSJargon.Alsder ReichsbundesleiterdesReichsverbandsderGehörlosen,FritzAlbreghs,in einerGaststätteimUBahnhofDehnhaidedas„OpferderUnfruchtbarma chung“als„selbstverständlicheErfüllungdervölkischenPflichten“schil derte,waren300interessierteGehörlosewährenddes„mitreißendenVor trags“inLautundGebärdensprachedabei.491SeinerArgumentationwollten sichmanchenichtverschließen,ließensichinihrerMeinungbeeinflussen und versuchten, den Beweis zu erbringen, dass Gehörlose nicht zu den „Minderwertigen“, den „Asozialen“ und „schwer Erbkranken“ gehörten unddasssieebensolcheLeistungenwieHörendevollbringenkönnten.So warenGehörloseauchinderHitlerjugend(HJ)organisiert.Esgabsogar spezielleSAFormationenderGehörlosenmitfast300MitgliedernimJahr
488
Ein1933erschienenerMinisterialerlassbesagte,dassjederSchülerbereitsbeiEntlassung Ostern1933eineEinführunginRassenkunde,Vererbungslehre,FamilienkundeundBevölke rungspolitikerhaltenhabensollte.DiessollteauchfürdieGehörlosenschulengelten,umdie „VerantwortungdesEinzelnengegenüberdemVolk“verständlichzumachen(FritzSchür mann,ErbbiologischerUnterrichtinderTaubstummenschule,in:DiedeutscheSonderschule 1935,Heft2/3,S.163–166).TaubstummenlehrerwurdenaufihreneuenUnterrichtsthemenbei Lehrerschulungeneingeschworen,soz.B.beiderLehrerschulungimFachschaftslagerinBir kenwerderimJanuar1935oderbeiderArbeitstagungderReichsfachgruppederTaubstum menlehrerunterLeitungvonMaeßeimselbenJahr(DiedeutscheSonderschule1935,Heft2/3, S.247ff.undS.262).
489
WeinerthieltVorträge,„umbeiGehörlosendieBedenkengegendieSterilisationzubeseiti gen“(DiedeutscheSonderschule1938,BerichtüberdierassenhygienischeBetreuungGehör geschädigterinSachsen,nach:Brunhöver,Erbgesundheitsgesetzgebung,S.59)undhieltvor alleminHamburgVorträge(Brunhöver,Erbgesundheitsgesetzgebung,S.62).Nacheigener AussagehatteWeinertab1930systematischunddavorschongelegentlichinverschiedenen KlassenderSchwerhörigenschule(SchwerhörigkeitwarkeineKrankheitimSinnedesGzVeN) Erbgesundheitslehreerteilt(DiedeutscheSonderschule1934,HeftIX,BerichtevonWeinert: „ErfahrungenmitderSterilisation“und„WelcheAufgabestelltdasSterilisationsgesetzder Sonderschule?“,hierS.660).
490
Am4.Februar1935fandeineAusstellungvonSchülernundLehrerninHamburgzum Thema„ErbgutinFamilie,RasseundVolk“statt(StAHbg,35110ISozialbehörde1,GF00.11, Bl.14). 491
StA Hbg, 3526 Gesundheitsbehörde, 1271 Band 1, Bericht vom 23.2.1939 über die Ver sammlungfürdieGesundheitsverwaltung.
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1933.492DieseSAFormationwurdeallerdingsEnde1933durchdenStabs chef der Sturmabteilung (SA), Ernst Röhm (1887–1934), aufgelöst.493 Es mussandieserStellenatürlichauchgesagtwerden,dassgehörloseMen schen,dieplötzlichals„erbkrank“oder„geistigminderwertig“bezeichnet wurdenundsomitvomGzVeNbetroffenwaren,sichinvielenFällengegen dieseHerabsetzungundgegendieSterilisationimRahmenihrerMöglich keitengewehrthaben.TrotzderExistenzeinesErbgesundheitsobergerich tesalsEinspruchsbehördeerhieltensiejedochnieeineChance,daeine einmalgefällteEntscheidungdemGehörlosenanhafteteundalskaumzu widerlegengalt.494 WiewurdendieLehreraufihreAufgabenvorbereitet?Erziehersahen sichimnationalsozialistischenStaat–wieesderHamburgerAdolfLam beckausdrückte–im„Kampf[...]umErhaltungwertvollenErbgutesund umdieFernhaltunggeschädigtenErbgutesausdenErblinienunseresVol kes“.495 DerEinsatzfürSonderschülermusstesichnachdenWortenvon Taubstummenlehrern„lohnen“,deshalbsollte„nurdasBrauchbareunter diesenKindernherangebildetundindieVolksgemeinschafteingegliedert werden“.496Die„SicherungdesgesundenLebensinderErziehunggesun der,einsatzbereiterundleistungsfähigerMenschen“sollteSinnderErzie hungsein,damitdieZöglinge„keineswegsinderFürsorge[landen],son derninderDeutschenArbeitsfront“.497 DasZielderErziehunghattesich geändert.HermannMaeße formulierte,dassderTaubstummenlehrer,der 492
Jochen Muhs, Deaf People as Eyewitnesses of National Socialism, in: Ryan, Donna F. / Schuchman,JohnS.,DeafPeopleinHitler´sEurope,Washington2002,S.78–97,hierS.84.
493
StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Akte„VereinNordwestdeutscher Taubstummenlehrer“, Rundschreiben Nr. 10 der Reichsfachgruppe Taubstummenlehrer im NSLBvom24.11.1933,unterNr.16.MehrzurGehörlosenHitlerjugendimKapitel4.3.5.
494
ZumKomplexdesWiderstandessieheBiesold,KlagendeHände;ChristianGanssmüller, DieErbgesundheitspolitik desDrittenReiches.Planung,DurchführungundDurchsetzung, Köln,Wien1987.
495 AdolfLambeck,Erster„RassenpolitischerSchulungskursus“derFachschaftV(Sonderschu len),in:HamburgerLehrerzeitung1936,Nr.46,S.427;vgl.auchHorstBiesold,TeacherColla borators,in:Ryan/Schuchman,DeafPeopleinHitler´sEurope,Washington2002,S.121–166. 496
Wulff,DieReichsleitungderFachschaftV(Sonderschulen)besuchtHamburg,in:Hambur ger Lehrerzeitung 1937, Nr. 46, S. 508, und ohne Angabe des Verfassers, Rassenpolitische GrundsätzeindenSonderschulen,in:HamburgerLehrerzeitung1937,Nr.17/18,S.187.
497
BeideZitatevomGehörlosenlehrerPaulRuckau,ReichsfachschaftsleiterV(Sonderschulen) undLeiterdes„ReferatsfürnegativeAusleseundSonderschulfragenimRassenpolitischen Amt“,in:Wulff,Reichsleitung,S.508.
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zuvorAnwaltderTaubstummengewesensei,sichjetztzumAnwaltdes deutschenVolkeswandelnsolle,seineinderVergangenheitgepflegte„Er ziehungshaltungdesIndividualismusundLiberalismus“ablegenunddie „ArbeitamGanzen“sehenundGemeinnutzvorEigennutzstellenmüs se.498MitdemGzVeNhattederStaatletztlichein„Verschwindenderteuren Taubstummenanstalten durch Verminderung der Taubheit“ im Sinn.499 „Sonderschulen“wurdenjetztals„auslesendevölkischeInstitute“gesehen, die der „Erneuerung des Volkes“ dienten.500 Diese Auslese zu treffen, ÜberzeugungsarbeitimHinblickaufeineSterilisationbeiElternundBe troffenenzuleisten,dazuwurdederLehrergebraucht.501Damitalle„Erb kranken“erfasstwerdenkonnten,wurde–unteranderemvonHermann Maeße–gefordert,dassauchLehrkräfteAnträgeaufSterilisationstellen könnten.502 DieLehrkräfteerhieltenbesondereSchulungen,damitsiesich„freima chen“konntenvonalten„liberalistischen,einseitighumanitärenAnschau ungen“.503 Das Rassenpolitische Amt der NSDAP bot „rassenpolitische Schulungskurse“an.1936trafensichalleVertreterderFachschaftV(Son derschulen)imNSLBbeiBerlin.504HamburgerLehrkräftehieltendortVor trägeüber„Erbkrankheiten undMaßnahmenzurVerhütungerbkranken 498
HermannMaeße,NationalsozialismusundArbeitanTaubstummen,in:BlätterfürTaub stummenbildung1933,Nr.11,S.169–171.
499
FranzWegwitz,HistorischesundBesinnliches,in:NeueBlätterfürTaubstummenbildung Nr.1+2,Oktober/November1950,S.25.MehrzumGzVeNsieheimentsprechendenKapitel.
500
BlätterfürTaubstummenbildung1933,Nr.11,S.509.
501
DieElternderHamburgergehörlosenKinderbekamenVorträgeüberSinnundNutzendes GzVeN, z. B. während eines Elternabends der Taubstummenschule von Alfred Schär am 4.12.1934 und am 21.2.1935 (StA Hbg, 35110 I Sozialbehörde I,AK 61.11, Einladung vom 26.11.1934;StAHbg,3612VOSBV,499aBand2,ZeitungsausschnitteausdemHamburger AnzeigerNr.284vom5.12.1934;ArchivdesAllgemeinenGehörlosenUnterstützungsVereins, ProtokolledesOrtsbundsAltonadesReichsverbandesderGehörlosenDeutschlandse.V.,Pro tokollder2.Sitzungam31.1.1935). 502
HermannMaeße,BetrachtungenzumGzVeN,in:DiedeutscheSonderschule1935,Heft2/3, S.158–163,hierS.162. 503 504
Ebd.,S.161.
Das„einigendeBand“derFachschaft,inderTaubstummen,Blinden,undHilfsschullehrer zusammengeschlossenwaren,war„diegemeinsameAufgabedesRettensundErhaltens,aber auchdesAusmerzensunddiegesteigerteVerantwortung,dieausdenErziehungsaufgabenan diesemdefektenSchülermaterialdemGanzengegenübererwächst“(AdolfLambeck,Jahresbe richtderFachschaftV(Sonderschulen),in:DiedeutscheSonderschule1935,Nr.6,S.66–67).
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Nachwuchses“,„BegriffderBrauchbarkeit“oder„DasGutachten“.505 Gut besucht wurden auch die als Fortbildung dienenden „Fachschaftslager“. Hierwurden–zumBeispielimOktober1934undimJanuar1935imBran denburgischenBirkenwerder–dieLehrerderFachschaftV(Sonderschu len)imNSLBineinemmilitärischgeführtenZeltlageruntergebracht,um „aus nationalsozialistischer Weltanschauung und Gesinnung heraus die Einheit unserer Fachschaft durch kameradschaftliches Zusammenleben praktischzuverwirklichen“.506AmLehrgang1935nahmenauchdieHam burgerSchulleiterAdolfLambeck(SchulefürSprachkranke)undPaulJan kowski (Gehörlosenschule, GaubundesPropagandist im Gaubund 9 des NSLB,Hamburg,)aktivteil,507indemsieFachgruppenreferatehielten.Jan kowskis Vortrag über „praktische Erfahrungen bei der Mitarbeit an der DurchführungdesGzVeN“solltezeigen,„wienotwendigundwichtig“die MitarbeitderSchulleiterundLehreranderDurchführungdiesesGesetzes sei.508Erfand,wieesheißt,„wärmsteZustimmungundAnerkennungder Reichsleitung“.509 DieserVortragsowiedievielenAufforderungenvordemErbgesund heitsgerichtwievordemErbgesundheitsobergerichtalsDolmetscherzu erscheinen,510 die sich in mehreren Personalakten von Hamburger Taub stummenlehrern finden, die während der nationalsozialistischen Herr schaftanderHamburgerGehörlosenschuleunterrichteten,erlaubenden Schluss,dasszumindestzusammengearbeitet,eventuellsogarsogenannte „Erbkranke“vonSeitenderSchuleandenAmtsarztundsomitandasGe richt gemeldet wurden. Sie handelten damit gesetzesgemäß. Nach Para graphdreidesGzVeNhattenAnstaltsleiterbeiSchülernundSchutzbefoh 505
Lambeck,RassenpolitischerSchulungskurs,S.426–427.
506
DiedeutscheSonderschule1935,Heft2/3,S.256.
507
Biesold,KlagendeHände,S.102.
508
DiedeutscheSonderschule1935,Heft2/3,S.264.
509
Lambeck,JahresberichtFachschaftV,S.66–67.
510
MitderVerordnungüberdieBildungeinesErbgesundheitsundeinesErbgesundheits obergerichtesvom14.12.1933wurdenauchfürdasHamburgischeStaatsgebietdieseGerichte gebildetunddemAmtsgerichtangegliedert(HGVBl1933,S.545).DieGerichtenahmenihre Tätigkeitam15.2.1934auf.DasErbgesundheitsobergerichtwarbisApril1937fürHamburg, Bremen und Lübeck zuständig, dann kamen anstelle von Lübeck Altona, Harburg und Wandsbekdazu.DieArbeit,überAnträgeauf„Unfruchtbarmachung“zuentscheiden,führten dieGerichtevon1934bis1944durch(Tätigkeitseinstellung:RGBlI,1944,S.330).
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lenenüber14Jahrendas„RechtaufMeldung“.511Dassdiesgeschah,istun bestritten:BeieinerdeutschlandweitenBefragungvon1.160gehörlosenOp ferndesGzVeNinden1980erJahrengaben402an,durchdieSchuleange zeigtwordenzusein,247berichteten,vorErreichendes17.Lebensjahres zwangssterilisiertwordenzusein,355wurdendurchGewaltmaßnahmenin dasKrankenhauseingeliefert,25warenpersönlichvonihrenLehrernzur Sterilisationgebrachtworden.512DadieSterilisationabdemelftenLebensjahr durchgeführt werden durfte, waren auch gehörlose Kinder, die noch zur Schulegingen,vondemGesetzbetroffen.Hamburg,sovermeldeteSchullei terPaulJankowski,verschiebedieSterilisationbeierfolgterEntscheidung desErbgesundheitsgerichtesaufdieZeitnachderSchulentlassung.513
Abbildung 29: Schulleiter Paul Jankowski
Doch diese Aussage war falsch. Dass gehörlose Schüler der Hamburger Taubstummenschule sterilisiert wurden, kann beispielhaft anhand einer 511
SieheauchArtikel6nach§12,Absatz5derVerordnungzurAusführungdesGzVeNvom 5.12.1933(RGBlI,1933,Nr.138,S.1021f.).
512 HorstBiesold,DeutscheGehörlosenpädagogikimFaschismus,in:Kobi,Emil/Bürli,Alois/ Broch,E.(Hg.),ZumVerhältnisvonPädagogikundSonderpädagogik.Referateder20.Ar beitstagungindeutschsprachigenLänderninBasel,Luzern1984,S.247–253,hierS.251f. 513
PaulJankowski,DieMitarbeitdesTaubstummenlehrersbeiderDurchführungdesGesetzes zurVerhütungerbkrankenNachwuchses,in:NSLBHamburg,Gehörgeschädigteundsprach gestörteKinder,1939,S.36.
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dreiJahrezuvorgegendenWillenderMuttererfolgtenSterilisationeines HamburgerSchulkindesbewiesenwerden.514 DerAmtsphysikusvonBer gedorf,Prof.Dr.AlbertBohne (1878–1951),leitenderOberarztamAllge meinenKrankenhausBergedorfbis1947,stelltedenAntragaufSterilisa tioneinesseinerPatienten.DieserJunge,13JahrealtundsehrguterSchüler der Hamburger Taubstummenanstalt,warvonGeburtantaub.Undob wohleskeineweiterenhörgeschädigtenVerwandtenübermehrereGenera tionen gab, wurde in einem Gutachten des Allgemeinen Krankenhauses Barmbekfestgestellt,dassderJungeerbkrankundals„manifesterTräger derrecessivenErbanlage“ausgemachtsei.515EskamzurVerhandlungvor demErbgesundheitsgericht,beidemdieMuttersichgegendieSterilisation wehrte,„weilichmirspäterVorwürfeersparenwill“.516Sieglaubteankei nevererbteKrankheit.ZurBeschlussfassungwurdenärztlicheGutachten, die„Sippentafel“des„Gesundheitspaßarchivs“undderSchülerbogenhin zugezogenunddannbeschlossen,derJungemüsseauchgegendenWillen derErziehungsberechtigten„unfruchtbargemacht“werden,„umdieschwe renGefahrenzuverhüten,dieihmselbst,seinerFamilieundderVolksge samtheit durch erbkranken Nachwuchs drohen.“517 Eine Reise fort aus HamburgkonntedieSterilisationjedochnurverschieben.EineletzteBitte besagte,derSohnmögemitseinemFreundzusammenimKrankenhaus operiertwerden.518 ImSeptember1936wurdederJungeimAllgemeinen KrankenhausSt.Georg„mitErfolgunfruchtbargemacht“.519
514
StAHbg,35211GesundheitsämterErbgesundheitsakten,GesundheitsamtBergedorf,Vor gang1247/36.DieMeldungvonHilfsschülernausdenSchulengeschahzuderZeitohnehin (vgl.KirstenKnaack,DieHilfsschuleimNationalsozialismus.EineStudiezurGeschichteder Hamburger Hilfsschule. Examensarbeit, maschinenschriftlich, Hamburg 2001); StA Hbg, 36210/1 Hilfsschule CarstenRehderStraße enthält Auflistungen des Schülerbögenaustau scheszwischenderehemaligenHilfsschuleAltonaunddemErbgesundheitsgericht. 515
StAHbg,35211GesundheitsämterErbgesundheitsakten,GesundheitsamtBergedorf,Vor gang1247/36,Bl.8:GutachtenAllgemeinesKrankenhaus(AK)Barmbekvom14.3.1936. 516
Ebd.,Bl.12:VerhandlungvordemErbgesundheitsgerichtam15.6.1936.
517
Ebd.,Bl.13BeschlussdesErbgesundheitsgerichtsvom15.6.1936.
518
EinweitererHinweisaufeinengehörlosenJungen,deranscheinendmitderDiagnose„erb krank“sterilisiertwurde(ebd.,SchreibenderMutterandasGesundheitsamtam30.7.1936). 519
Ebd.,ÄrztlicherBerichtdesAKSt.Georg7.10.1936.DasAKSt.Georgwareinesvonvier 1936inHamburgfürdieDurchführungderSterilisationenzuständigenKrankenhäusern(StA Hbg,35110ISozialbehördeI,GF00.23Band1).
Im „Dritten Reich“ (1933–1945)
169
Hamburgs Vorreiterrolle bei Sterilisationen hatte sich schon 1925 ge zeigt,alsderSenatzurHauptversammlungder„DeutschenGesellschaft fürVererbungswissenschaft“eingeladenhatte.Verwaltungsbeamte,Lehr kräfte, Fürsorgerinnen und Juristen wurden während dieser Tagung zu Fragender„UnfruchtbarmachungMinderwertiger“geschult.520LautStatis tikstandHamburgim„DrittenReich“inBezugaufdieAnzahlderSterili sationenanderSpitzedesReiches.521Wiekonntedasgeschehen?Feststeht, dassHamburginBezugaufSterilisationals„Mustergau“galt:DieHam burgerSchulverwaltungverließsichnichtalleinauffreiwilligeundärztli cheMeldungen(zumBeispielderSchulärzte)522 von„erbkranken“Perso nen,sondernuntersuchtevonsichausSchulaktenundKrankengeschichten verschiedenerAnstaltenundentwickelteSchulgesundheitsbögen.523 Ham burggabdieerste„RichtliniezurErblehreundRassenkunde“anVolks schulenherausundgabsiedenHilfsundSonderschulenzurKenntnis.524 HamburgerließdieerstegesetzlicheLegitimationvonZwangsmaßnahmen 520
Friedemann Pfäfflin, Zwangssterilisation in Hamburg. Ein Überblick, in: Ebbinghaus, Angelika/KaupenHaas,Heidrun/Roth,KarlHeinz(Hg.),HeilenundVernichtenimMuster gau Hamburg.GesundheitsundSozialpolitikimDrittenReich,Hamburg1984,S.26–29, hierS.26.InHamburgfandennochanderegroßeVeranstaltungenstatt:ImJuni1939tagtedie Gaufachgruppe der Lehrer an Gehörlosen, Schwerhörigen und Sprachheilschulen und gleichzeitigluddiedeutscheGesellschaftfürStimmundSprachheilkunde nachHamburg ein. 521 Holm,VerhütungerbkrankenNachwuchses,S.19wirdvon61Prozentangeblichfreiwilllig gestellterSterilisationsanträgeinHamburggesprochen(vondenVormündernoderdenBe troffenen) – zum Vergleich: In Bremen waren es zu der Zeit „erst“ 10 Prozent (Pfäfflin, Zwangssterilisation,in:Ebbinghaus,Mustergau,S.27).IndenHamburgerNachrichtenNr. 164vom18.6.1936wirdunterderÜberschrift„Hamburgsollerbgesundwerden“alsVorbild eine18jährigeGehörlosegenannt,diesichgegendenWillenihrerElternsterilisierenließ, „umnichttaubstummeKindergebärenzumüssen“. 522 AlsBeispielStAHbg,3523Medizinalkollegium,IK27aBand6,SchularztdesBezirkesXII andieGesundheitsundFürsorgebehörde17.4.1934. 523 WeinertregtediekarteimäßigeErfassungallerErbkrankendurcherbbiologischeFragebö gen anTaubstummenschulenan.DieGesundheitsbehördesollteAktenderSonderschüler anlegen, aus denen „voraussichtliche Verwendungsfähigkeit“ und „Erblichkeitsverhältnis“ hervor gehensollte (Diedeutsche Sonderschule 1936,S.495,nach: Brunhöver,Erbgesund heitsgesetzgebung,S.44).Ein„reichseinheitlicher“PersonalbogenfürSchüleranGehörlosen schulenwurde1943geschaffen.NeuwarenjetztRubrikenwie„Sippentafeln“mit„Erbsche ma“,eswurdeRaumgelassenfürdieEintragungvon„MaßnahmenzurDurchführungdes GzVeN“undfürBeurteilungendesSchülersdurchLehrer,HJFührer,Arbeitsamtetc.(StA Hbg, 3526 Gesundheitsbehörde, 1271 Band 1, Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung undVolksbildunganUnterrichtsverwaltungen15.2.1943).
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Die staatliche Taubstummenschule
zurSterilisationundAbtreibung.525Hamburgwaresauch,dasinHinblick auf35.000bis40.000„erbminderwertige“BewohnerderStadtdieErfas sung und Durchführung der Sterilisationsaktion forcierte, da mit einer „überdurchschnittlichen Vermehrung der Schwachsinnigen“ gerechnet wurdeunddieHansestadtbefürchtete,die„EntartungdesVolkes“nicht mehrrechtzeitigaufhaltenzukönnen.DahersetztesichderHamburger Senat 1933 eine Frist von fünf Jahren zur Bewältigung der „negativen Auslese“.526 „Aufklärung der Bevölkerung“ fand in Presse, Schulen, auf FortbildungslehrgängenundAusstellungenstatt.527DerLeiterdesimSep tember1933indenRäumenderGesundheitsbehördeerrichteten„Aufklä rungsamtesfür Rassefragen“, Prof.Dr.med. Wilhelm (Willy) Holzmann (1878–1949),528wolltemiteinem„Dreimonatsplan“dieHamburgerdurch Massenvorträge, Anstaltsführungen, Rundfunk, Presse, Filmstreifen in WochenschauenundAnregungzurFamilienforschungaufdiebevorstehen den Rasse und Vererbungsgesetze „innerlich einstellen“:529 Er ließ den Leitsatzdrucken,dass„dasMitleidmitdemNächstenzumVerbrechenam
524
StAHbg,3612VIOSBVI,633,RundschreibenderLandesunterrichtsbehördevom15.De zember1933.DasReichzogerstam15.Januar1935nach(StAHbg,3612VIOSBVI,635Anla gezumRundschreibenvom24.August1935betreffendVererbungslehreundRassenkundeim UnterrichtdesReichsundPreußischenMinistersfürWissenschaft,KunstundVolksbildung analleVolksundhöherenSchulen). 525
Brunhöver,Erbgesundheitsgesetzgebung,S.29.Bereits1934hatteHamburgfast40ange ordneteSchwangerschaftsabbrüche(ebd.,S.27).DasGzVeNwurdeam26.Juni1935durch Zusatzdes§10 adahingehendgeändert,dassderSchwangerschaftsabbruchbisEndedes 6.Schwangerschaftsmonatserlaubtwurde(RGBlI,1935,S.773).
526
Pfäfflin,Zwangssterilisation,in:Ebbinghaus,Mustergau,S.27.
527
Ausstellung„ErbgutundFamilie,RasseundVolk“inHamburgmitErgebnissenvonLeh rerundSchülerarbeitenimFebruar1935;ArbeitstagungderRichter,ÄrzteundFürsorgerim HörsaaldesHamburgerUntersuchungsgefängnissesimDezember1934,u.a.mitdenVor tragsthemen„TierzüchterundMenschenzüchter“und„Schwachsinn,Beschränktheit,Dumm heit“;ÜberzeugungsarbeitaufmehrerenVorträgendesAmtesfürVolksgesundheitfürdieBe völkerung(alleBeispielevonPfäfflin,Zwangssterilisation,in:Ebbinghaus,Mustergau,S.27).
528
Holzmann war kurzzuvornochalsProzessgegnerder Oberschulbehörde während des ProzesseswegendesTragenspolitischerAbzeichendurchSchülerinderÖffentlichkeitaufge treten.DieRollendesseit1923inderNSDAPaktivenHolzmanninHamburgwarendiedes „Ärzteführers“(VorsitzenderderHamburgerÄrztekammer),GauamtsleiterdesRassepoliti schenAmtesderNSDAP,späterLeiterdesGauamtesfürVolksgesundheitderNSDAP.Zu Holzmannvgl.Krause/Huber/Fischer,Hochschulalltag,S.1181,S.1326–1331undS.1382.
529
HamburgerNachrichtenNr.404vom16.9.1933.
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Zukünftigen“führenwürde530.HamburgbegannalsersteStadtmitderEr richtungeines„Gesundheitspaßarchives“(GPA),nochbevordieGesund heitsämterperGesetzdieErfüllungderErbundRassepflegezugewiesen bekamen.531
Exkurs: Gesundheitspaßarchiv DasunterderLeitungdesPhysikusKurtHolm(geb.1900)stehendeHam burgerGesundheitspaßarchivwarder„umfassendsteVersuch,diegesund heitlicheLagederBevölkerungdurchdasSammelnallermöglichenBelege ausGesundheitsundSozialwesen,Justiz,PolizeiundMilitäraufzuzeich nenunddieseindenDienstdernationalsozialistischenErbundRassepfle gezustellen“.532 Die Hamburger Behördenbeschränkten sich nicht aufdasBearbeiten eingehender Anzeigen, sondern suchten von sich aus systematisch nach potentiellen„Erbkranken“.ImMärz1934beganndasGesundheitsamtmit derErfassungallerHamburgerEinwohner,dieinirgendeinerWeise–obin gerichtlicher,pädagogischer,fürsorgerischerodersonstigerArt–durchdas Gesundheitswesenbeurteiltwordenwaren.533DasZielwardieLeistungs 530
HamburgerTageblattNr.251vom14.10.1933.
531
GesetzüberdieVereinheitlichungdesGesundheitswesensvom3.7.1934(RGBlI,1934,S.531– 532,hier§3[1]I.DasGesetztratam1.4.1935inKraft).ZuvorhattederAnthropologeund spätere Direktor des Rassenbiologischen Instituts, Walter Scheidt (1895–1976), auf Privat initiativehinbis1932bereits250.000MenschenaufBegabungundBelastunghinkatalogisiert (KarlHeinzRoth,ErbbiologischeBestandsaufnahme–einAspekt„ausmerzender“Erfassung vorderEntfesselungdesZweitenWeltkriegs,in:ders.[Hg.],ErfassungzurVernichtung,Ber lin1984,S.57–100,hierS.58f.). 532
WilhelmThiele,DasGesundheitspaßarchiv(GPA)unddieErbbestandsaufnahme(REK)inHam burg,maschinenschriftlich,Hamburg1988,S.2(StAHbg,7311Handschriftensammlung,1851).
533
StAHbg,1132InnereVerwaltung,AII7,SchreibenInnereVerwaltunganReichsinnenmi nisteriumvom25.10.1934(nach:Thiele,GPA,S.4).Esgabschonvon1902bis1923aufAnre gung des Bundes Deutscher Taubstummenlehrer einheitliche und fortlaufende „Taubstum menStatistiken“imDeutschenReich,indenenvonSeitenderSchuleundderÄrztediefür dieTaubstummenanstalteninFragekommendenSchülerinnenundSchülergezähltwurden, sowieüberdasWerdenderKinderBögen,dieaufGrunddieserStatistikenangelegtwurden. DiesebekamendieOberschulbehördeunddasMedizinalamtzurKenntnis(StAHbg,3612V OSBV,121cBand2,AnlagezumSchreibenSenatanSöder23.8.1901undSchreibenUmlauf anSenatsreferenten25.10.1922).
172
Die staatliche Taubstummenschule
ermittlung nach „volksgesundheitlichen und rassischen Gesichts punkten“.534DieHamburgerBehördenkooperiertenengmitdemErbge sundheitsgericht–dasGerichtteiltealleEntscheidungenundUrteiledem Gesundheitspaßarchiv mit.535 Im Juni 1935 hatte das Archiv in Zu sammenarbeit mit den Behörden, mit Richtern, Lehrern und Lehrherren, schon 300.000 „erbgesundheitlich bedeutsame“, darunter auch gehörlose Hamburger auf Karteikarten und Gesundheitspässen erfasst.536 Erst jetzt musstenaufAnordnungdesReichesdieanderenLändernachziehenundin denGesundheitsämternBeratungsstellenfürErbundRassepflegeeinrichten. Mitte1938hatteHamburgdurchErschließungvonimmermehrQuellen– HilfsundSonderschulbögen,TrinkeraktenundweiterenGerichtsurteilen– eineMillionHamburgererfasst.„KarteienbesondererBeobachtungsgebiete“ wurdeneingeführt,inderErbkrankheitengesonderterfasstwurdenundso denErbgesundheitsgerichtenimmerneuesMateriallieferten.537 Auf Anordnung des Reichs und Preußischen Ministers des Inneren vom1.April1938wurdeeine„Reichseinheitskartei“geschaffen.Infolge dessen sollte das Hamburger Gesundheitspaßarchiv aufgelöst werden.538 Dochdieswurdefür„zuwertvoll“erachtetunddaheraufAnregungdes LeitersdesGesundheitsamtesIIindiezentraleWohnortkarteiderReichs einheitskarteiübernommen.539ZusätzlichzurErfassungvoneinzelnenBür gern,überdie„Negatives“imSinnederNationalsozialistenbekanntge wordenwar,wurden„Sippenregistraturen“eingerichtetalsSammelstellen des„gesamtenErbundRassepflegerischenMaterials“.540DietotaleErfas
534
K[urt]Holm,VereinfachungdesärztlichenUntersuchungsverfahrensundSammlungder Ergebnisse,in:ÄrztlicheMitteilungen1935,S.112ff.(nach:Thiele,GPA,S.4).
535
Thiele,GPA,S.4f.
536
Ebd.,S.7.GesundheitspässewarenUmschlägemitSchriftstückenzurGesundheiteiner Person: Atteste, Krankenakten, Schulgesundheitsbögen, Hilfs und Sonderschulbögen usw. (ebd.,S.5f.);StAHbg,35110ISozialbehördeI,GF00.21,EinladungzumVortragvonHolm vonderGesundheitsundFürsorgebehörde17.6.1935. 537
Thiele,GPA,S.8.
538
Ebd.,S.9.
539
DieReichseinheitskarteiwaraufgeteiltindiezentraleGeburtsortkarteiunddieebenfalls zentralbeimHauptgesundheitsamtgeführteWohnortkartei.DanebengabesWohnortund SippenregistraturenindenBezirksgesundheitsämtern(ebd.,S.9f.).
540
Ebd.,S.10f.
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sungwarsomöglichgeworden,dieunteranderemdemErbgesundheitsge richtzur„Urteilsfindung“verhalf.541 Insgesamtwurdenzwischen1934und1945,legitimiertdurchdasGzVeN, circa360.000MenschenimDeutschenReichsterilisiert,542 davoninHam burgüber24.200.543Reichsweitwurdenzwischen15.000und16.000Gehör losesterilisiert.544JahrzehntelanghatdieBundesrepublikDeutschlanddie seMenschennichtalsVerfolgtedesNSRegimesanerkannt,sieerhielten keineWiedergutmachung.Erst1980erklärteHamburgdasGzVeNfürun gültig,undnurhiergabesfürzwangssterilisierteMenschendieMöglich keit, beim Amtsgericht einen Antrag auf Aufhebung der Beschlüsse des Erbgesundheitsgerichtszustellen.545UndnurinBerlinwurden–seitdem 1.Januar1993–Zwangssterilisiertealspolitisch,rassischundreligiösVer folgte anerkannt und konnten eine Grundrente beantragen. Im übrigen DeutschlandkönnenZwangssterilisierteeineeinmaligeZahlungbzw.seit 1990einegeringeGrundrentebeantragen,aufdieallerdingskeinAnspruch besteht.546 Bis 1998 hatten die Entschädigungsbehörden aller Länder mit derBegründung,eshabeeineVerhandlungvordemErbgesundheitsgericht stattgefundenunddieSterilisationGehörloserfalledamitnichtunterdas Bundesentschädigungsgesetz,Urteile,dieaufGrunddesGzVeNerlassen wurden,nichtfürungültigerklärt.ErstmitdemGesetzzurAufhebungna 541
1943verbrannteeinDrittelderzentralenKarteiwährendeinesBombenangriffs;allerdings wurdederWiederaufbauderKarteimitvordringlicherWichtigkeitraschvorgenommen,so dass die Gesamtkartei wieder bis zum Ende des nationalsozialistischen Regimes bestand. Nach1945duldetediebritischeMilitärregierungdieFortführungderReichseinheitskartei,seit 1946wirdsieals„ärztlicheSuchkartei“inHamburgweitergeführt.Einschränkendmussge sagtwerden,dassdieüber25JahrealtenFällejeweilsvernichtetwerden,sodassheutedasur sprünglicheGesundheitspaßarchivnichtmehrexistiert.InderheutigenKarteidürfenkeine sogenanntenrassepolitischenAussagengemachtwerden(ebd.,S.26).
542
Rothmaler,Sterilisationen,S.7;Ganssmüller,Erbgesundheitspolitik,S.45;Wehler,Deut scheGesellschaftsgeschichte,Band4,S.671. 543
Pfäfflin,Zwangssterilisation,in:Ebbinghaus,Mustergau,S.28.DazumüssenfürHamburg 500Kastrationenund800Zwangsabtreibungendazugezähltwerden(Knaack,Hilfsschule,S.47).
544
HorstBiesold,SterilisationenimHitlerReich,in:Hörgeschädigtenpädagogik,38.Jahrgang (1984),S.115.
545 546
Rothmaler,Sterilisationen,S.7.
DeutscheArbeitsgemeinschaftfürevangelischeGehörlosenseelsorge,DieZwangssterilisati onvonGehörlosennachdemErbgesundheitsgesetzunddieStellungnahmenderEvangeli schenGehörlosenseelsorgesowieevangelischerKirchenimDrittenReichundnach1945.In formationen,Materialien,1993,S.5.
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tionalsozialistischerUnrechtsurteileinderStrafrechtspflegeundvonSteri lisationsentscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte vom 28. Mai1998wurdensämtlichenationalsozialistischeUnrechtsurteileaufgeho ben und damit die Aufhebung nationalsozialistischer Urteile bundesein heitlichgeregelt.BundestagundBundesratstelltenübereinstimmendfest, dass Zwangssterilisationen nach dem GzVeN nationalsozialistisches Un rechtsind.547AlleinnationalsozialistischerZeiterlassenenSterilisationsent scheidungenderGerichtewurdenjetztaufgehoben. Auch der Bund Deutscher Taubstummenlehrer (heute Berufsverband DeutscherHörgeschädigtenpädagogen) haterstam9.Mai1997während seiner Bundesversammlung unter Vorsitz der Hamburger Bundesvorsit zenden,ChristianeHartmannBörner(geb.1947)indersogenannten„Hei delbergerErklärung“seinBedauernüberdieMitwirkungseinerMitglieder an rassehygienischen Maßnahmen des Nationalsozialismus ausgedrückt undsichbeibetroffenenGehörlosenentschuldigt.548 * 4. 3. 5 Leh re r u nd S ch ü le r in N S DA P un d H it l e r-Juge nd InwelchemMaßedieLehrkräftederHamburgerTaubstummenschuletat sächlichimUnterrichtaufdienationalsozialistischenLehreneingegangen sind,kannnichtsichergesagtwerden.DerHamburgerHeinrichWitthöft (1902–1991)wurdevon1935bis1937zumTaubstummen,Schwerhörigen, undSprachheillehrerausgebildet.549ErwareinerderelfLehrer,diediesen Lehrgangnachdervon1935bis1938geltendenspeziellenHamburgerAus bildungsordnungabsolvierten.550 IndiesemRahmenkamerauchandie Taubstummenschule. Seinen Beruf übte Witthöft dann hauptsächlich an 547 BlickpunktBundestagNr.1(1998),S.21;Bundesgesetzblatt1998Teil1Nr.58,S.2501;Späte KorrekturdesUnrechts.DerBundestagbeschließtdieumfassendeAufhebungvonNSUrtei len,in:DasZeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheundKommunikationGehörlo ser46(1998),S.542. 548
Hörgeschädigtenpädagogik,Nr.5(1997),S.331.
549
HeinrichWitthöftwarvon1945bis1965LeiterderSchwerhörigenschule.AlleAngabenvon Witthöftnach:Brunhöver,Erbgesundheitsgesetzgebung,S.75ff. 550 DieHamburgerbekamenfüreineÜbergangszeiteineAusnahmeregelung,sodassihreSon derpädagogennichtdiereichseinheitlicheAusbildunginBerlinabsolvierenmussten.
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derSchwerhörigenschuleaus.Ermeinteineineminden1980erJahrenge führten Interview,551 dass, auch wenn der Nationalsozialistische Lehrer bundHamburgsdieSchulungderLehrerin„RassenkundeundErblehre“ fürnotwendigerachtethabe,552diesesThemaimUnterrichtnichtbehandelt wordensei.ImKollegiumderSchwerhörigenschulehabeeskaumüber zeugteNationalsozialistengegeben,wenngleiches„Parteigenossen“gab, sowiedenDirektorunddieFührerinderBDMGruppe.Nureinwirklich überzeugternationalsozialistischerLehrerseiimdortigenLehrkörperge wesen–erhabeschonvor1933anderTaubstummenschuledienationalso zialistischeFlaggegehisstundseiinfolgedessenandieSchwerhörigenschu lestrafversetztworden.553 ObsichdieseAngabeaufdieVersetzungvonWilhelmBehrensbezieht? Nachweisbarist,dassdieserLehreralseinzigerindiesemZeitraumvonder Taubstummen an die Schwerhörigenschule versetzt worden ist. Wilhelm BehrenswarunteranderemvonJanuar1937bisAugust1940Ortsgruppen SchulungsleiterinderOrtsgruppeHirschgrabendesKreises5derNSDAP undauchderpolitischeLeiterderzwölfgehörlosenNSDAPMitgliederin Hamburg.ImSeptember1940übernahmerdieStelledesKreishauptstel lenleitersimSchulungsamtseinesKreises.554 InderEntnazifizierungsakte von Wilhelm Behrens wird der „FlaggenVorgang“ anders überliefert: NacheigenerAussagewurdeBehrenszum25.August1934vonderGehör losenschuleandieSchwerhörigenschuleversetzt,weilereszugelassenhat te,dassinseinerSchuleschwarzweißrotgeflaggtwurde.555WeitereAnga benüberdiesenVorgangkonntennichtermitteltwerden.Behrens’1945auf GrundseinernationalsozialistischenVergangenheiterfolgteEntlassungaus demStaatsdienstwurdeerst1948ineinePensionierungumgewandelt.Als BegründungfüreinegewünschteRücknahmeseinerEntlassunghatteer zuvorgenannt,dasseresabgelehnthabe,alsDolmetscherbeiVerhandlun
551
Brunhöver,Erbgesundheitsgesetzgebung,S.75–77.
552
Ebd.,S.63.
553
Ebd.,S.76.
554
StAHbg,21111StaatskommissarfürdieEntnazifizierungundKategorisierung,Ed4097.
555
AnderSchwerhörigenschulewurdeerstellvertretenderSchulleiter(HamburgischesLeh rerverzeichnis1935/36).
176
Die staatliche Taubstummenschule
genüberdasGzVeNzuübersetzen.Deswegenseiausdemvonihmgelei tetenTaubstummenaltenheimniemandsterilisiertworden.556
Abbildung 30: Schulklasse mit den Lehrkräften Fritz Schmidt, Alfred Schär, Käthe Reinmann, Dorothea Elkan und Paul Jankowski, 1932
AuchhörgeschädigteJugendlichewurdenindasDeutscheJungvolkund dieHitlerJugend(HJ)aufgenommen.NachdemzuOstern1934versucht wordenwar,dieGehörlosenallgemeinindieHJeinzugliedern,wurdeim September 1934 durch den Stabsführer der Reichsjugendführung Hart mannLauterbacher (1909–1988)angeordnet, eineneigenenBannfürGe hörlosezugründen(„BannG“),557 demimFebruar1936einSchwerhöri 556
StAHbg,21111StaatskommissarfürdieEntnazifizierungundKategorisierung,Ed4097. DasTaubstummenaltenheimimVolksdorfleiteteBehrensbiszuseinemTod.
557
WilhelmBandholt,„UnseregehörgeschädigteJugendinderHJ“,in:NSLB,Gehörgeschä digteundsprachgestörteSchulkinder,S.55.Vgl.hierzu:LotharScharf,GehörloseinderHit lerjugendundTaubstummenanstaltBayreuth,Berlin2004,S.15.LotharScharfkonntebeisei
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genbann(UnterbannVI)zugeordnetwurde.DamitändertesichderName in„BannderGehörgeschädigten“.558
Abbildung 31: Bann G beim Flaggehissen
DieSchwerhörigenwareneineselbstständigeOrganisationinnerhalbdes BannesG,dersichinseinenUntergliederungenüberganzDeutschland erstreckte.5591937hatteHeinrichWitthöft„befehlsgemäß“dieHJderHam burgerSchwerhörigenschulegegründet,inderesnachseinenAngabenkeine SchulungimnationalsozialistischenSinnegegebenhabensoll.Eswurden Heimatabende veranstaltetund Sportgetrieben. 1939,als GehörlosenHJ undSchwerhörigenHJzusammengelegtwurden,hatteWitthöftseineAuf gabe,dieBetreuungderhörgeschädigtenHJMitglieder,niedergelegt.Zu diesemZeitpunkthattederBannGschonmehrals4.000Mitglieder. 560Ge nerRechercheüberdieGeschichtedesBannesGauffamiliäreUnterlagenzurückgreifen.Vgl. besondersdieumfassendeStudievonMalinBüttner:Nichtminderwertig,sondernmindersin nig…DerBannGfürGehörgeschädigteinderHitlerJugend(EuropäischeHochschulschrif tenReiheXLBand90),FrankfurtamMain2005. 558
DiedeutscheSonderschule1935,Heft12,S.987.
559
KurtLeichsenring(JungzugführerDresden),DieEingliederungderSchwerhörigenindie HJ,in:DiedeutscheSonderschule1936,Heft3,S.222f.
560
DiefolgendenAngabenzurGehörlosenHJsindentnommenaus:Bandholt,HJ,S.55ff.
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gliedertwurdeerinmehrere„Stämme“,diewiederumin„Gefolgschaften“ unterteiltwaren;sogehörteHamburgunterderLeitungdesBraunschweiger „Obergefolgschaftsführers“WilhelmHeitefußzum„StammII(Nord)“.Auch dieUntergliederungderHJfürZehnbisVierzehnjährigein„Jungvolk“und „Jungmädel“gabesinderGehörlosenHJ.InderGeschäftsstelledesBannes GinLiegnitzwurdenalleMitgliederdesBannesineinerKarteierfasst.561 NichtalleSchülerinnenundSchülerderHamburgerGehörlosenschule warenMitglieddernationalsozialistischenJugendorganisation:IndieGe hörlosenHJkonntennurdiegehörlosenJugendlicheneintreten,dienicht „geistigminderwertig,charakterlichungeeignetoderkörperlichstarkbe hindert“ waren.562 Behinderte sollten anfangs zudem generell eine gelbe ArmbindemitdreigroßenschwarzenPunktentragen–dieseSchutzarm bindemusstebeispielsweisezurUnterscheidungmitderhörendenHJin manchen Gegenden am linken unteren Ärmel der HJUniform getragen werden.GehörloselehntendieseBindeab,dasiesichdiskriminiertund mit„Geisteskranken“aufeineStufegestelltfühlten–undsoversuchtensie dasZeichenzuverdecken,indemsieihrenlinkenArmhinterdemRücken verstecktenoderdieÄrmelhoch krempelten,damitmandasAbzeichen nichtmehrsehenkonnte.563BestehenbliebalsTeilderUniformeinbeson dersSchulterstückmiteinem„G“für„Gehörlos“zurUnterscheidungdes BannesGmitderhörendenHJ. In Hamburgwaren neben den gehörlosenKindernund Jugendlichen circa60schwerhörigeJugendlicheimBannGorganisiert.Etwa25Mädchen undJungen,diegeringerschwerhörigwaren,leistetenihren„Dienst“inder hörendenHJ.DerDienstimBannGähnelte–bisaufdasSingenundauf denKriegvorbereitendeGeländeübungen564–demderhörendenHJ.Mitder hörendenHJwurdengemeinsameAufmärscheundsportlicheWettkämpfe 561
ArtikelvonHeinrichEisermannin:DiedeutscheSonderschule1935,Heft2/3,S.181.
562
Bandholt,HJ,S.56.DerFührerdesBannesG,HeinrichEisermann (geb.1885),Taubstum menoberlehrerinLiegnitz,abDezember1937DirektorderTaubstummenanstaltTilsit,äußerte sich,dassbSchülerundKörperbehindertenichtindieHJgehörten,dasiespäter„dochinir gendeinemFürsorgeheimenden“würden(DiedeutscheSonderschule1935,Heft2/3,S.179).
563
BerichtübereineSonderausstellungüberGehörloseimDrittenReichimGehörlosenzen trumFrankfurt:BrigitteBeutel,GehörloseimDrittenReich,in:DeutscheGehörlosenzeitung ohneNr.(2006),S.131–137,hierS.134(abgerufenunterhttp://www.kugg.de/download/Aus stellung3Reich_DGZ.pdfam20.3.2007),sieheauchBerichtübereineInformationsveranstal tungüberGehörloseimDrittenReichimBerufskolleginEssen,in:DeutscheGehörlosenzei tung4(2007),S.99–104.
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durchgeführtodergemeinsamfürdasWinterhilfswerkgesammelt.Einmal imJahrwurden„Lager“von150bis200Jugendlichenveranstaltet–1938 fuhrendieHamburgerindieLüneburgerHeide.DieJungenwohntenzu sammenmiteinemhörenden„Führer“inZelten,währenddieMädchenin Jugendherbergenübernachteten.Zu„Führern“wurdendieTaubstummenleh rerundlehrerinnen,„Unterführer“warenhörendeJugendliche,dievonder HJüberwiesenwurden,aberauchschwerhörigeodergehörloseJugendliche.
Abbildung 32: Wilhelm Bandholt
TaubstummenlehrerWilhelmBandholt(1900–1944)leitetedenJungzugder Hamburger Gehörlosenschule. Bandholt war seit 1920 an verschiedenen Hamburger Schulen als Volksschullehrer tätig. Seit 1936 hatte er an der SprachheilschuleRostockerStraßeunterrichtet.MitAblegungderPrüfung fürdasLehramtanTaubstummen,SchwerhörigenundSprachheilschulen 564 AndereGruppenmissachtetendieseVorschriftausdenBannbestimmungenundlernten ebensoGeländeundKartenkunde,andereGruppensolltennationalsozialistischeLiedermit sprechenkönnen (Interviewsmit gehörlosen ehemaligen Mitgliedern des Bannes G in der Sendung„SehenstattHören“vom16.Juni2005).
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am30.Juni1938wurdeerzumMitglieddesKollegiumsderGehörlosen schule.565 Ertratam1.Mai1938indieNSDAPeinundwurdedreiTage später,am4.Mai1938,zumFührerdesJungzugsimUnterbannIINord desBannG.566Erhoffte,dassseineTätigkeitinderGehörlosenHJihmzu einerraschenBeförderungzumTaubstummenOberlehrerhelfenwürde.567 DieseHoffnungerfülltesichallerdingsnicht. Sinn dieser Organisation der Gehörlosen, insbesondere der jährlichen Fahrten, war – so äußerte sich Wilhelm Bandholt – „sich abzuhärten in SpielundSportundfroheStundeninGemeinschaftzuverleben“.Ersah „eineJugendheran[wachsen],diezwarnichtwieihrehörendenKamera denspäterüberallvolleinsatzfähigsind,dieaber,aufdenrichtigenPlatz gestellt, im starken Bewußtsein ihres Deutschtums ihren Mann stehen wird“.568 DerGehörlosenBannderHJsollte„denneuenTypdestauben deutschenMenschen“formen.569DiereichsweiteZeitschrift„Derdeutsche Gehörlose“unterLeitungHeinrichSiepmanns,die1942ihrenTitelin„Der Gehörlose in der deutschen Volksgemeinschaft“ umformulierte, um die „VerbundenheitderGehörlosenmitdergroßenVolksgemeinschaft“darzu stellen,570jubelte:„inderSchulederHitlerjugendschmilztderalteliberalis tischeTypderGehörlosen,derimmerundüberallSonderrechteforderte [...],derseinMißtrauengegendenHörendeninsKrankhaftesteigerte,der ohneVerständnisfürseinenKräfteeinsatzinungeeigneteBerufedrängte“. Meinungsäußerungen von Gehörlosen waren nicht wichtig, die Rolle derHörendenalsführendüberdienichthörendenMitmenschenwarer neutgefestigtworden.AuchdieGehörlosenHJwurdealsCharakterfor mungfürjungeDeutschegesehen,die„dietaubenJungenzueinemharten
565
DerLebenslaufWilhelmBandholtswurdeanhandvonOriginalurkundenvonseinemSohn HartmutBandholtzusammengestellt,demichfürdieZurverfügungstellungseinerInforma tionenherzlichdanke.
566
SchulungsundEinsatzausweisderNSDAPvonWilhelmBandholt,OriginalimBesitzvon HartmutBandholt.
567
SchreibenvonWilhelmBandholtanseineElternam10.7.1938ausdemFreizeitlagerder GehörlosenHJbeiOertze,OriginalimBesitzvonHartmutBandholt.
568
Bandholt,HJ,S.58.
569
DerGehörloseinderdeutschenVolksgemeinschaftNr.3vom7.2.1942,S.42.
570
DerGehörloseinderdeutschenVolksgemeinschaft(Nr.unleserlich)vom20.4.1942.Der BannGgabzudemeineeigene,amtlichgenehmigteHJZeitungnamens„DieQuelle“heraus.
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Geschlecht“erzieht.571DasErziehungszieleinerGehörlosenHJwurde1937 mit„WeckendesWillenszumHeroismus“bezeichnet.Diessollteunteran deremineinemhohenArbeitseinsatzgipfelnunddieGehörlosenzu„frei willigen“ Sterilisationen bringen.572 Dies setzte auch eine Schulung der FührerdesBannesGvoraus.EinsolcherLehrgangfandimOktober1935in Berlinstatt.573UmdieganzeschulentlasseneJugendzuerfassen,wurdeau ßerdemmitderJugendabteilungdesRegede(ReichsverbandderGehörlo senDeutschlands)zusammengearbeitet.574
Abbildung 33: Der Gehörlose in der deutschen Volksgemeinschaft, 1942
571
DerGehörloseinderdeutschenVolksgemeinschaftNr.3vom7.2.1942,S.42.
572
Wulff,Reichsleitung,S.508.
573
DiedeutscheSonderschule1935,Heft11,S.882–887.GeschultwurdenFührerderHJwie desBDM. 574
Ebd.,S.883.
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Die staatliche Taubstummenschule
Abbildung 34: Gaubundestag in Lüneburg 1937, in Uniform Fritz Albreghs
FürdieLehrkräfteandenTaubstummenschulenhattesichmitBeginnder nationalsozialistischen Regierung einiges geändert. Der seit 1894 als Be rufsorganisationbestehende„BundDeutscherTaubstummenlehrer“wurde zuPfingsten1933„gleichgeschaltet“undinden„Nationalsozialistischen Lehrerbund“(NSLB)eingegliedert.DasOrgandesBundes,die„Blätterfür Taubstummenbildung“erschientrotzProtestenderLehrerschaftfortanals BeilagederZeitschriftderReichsfachschaftV(Sonderschulen)„Diedeut scheSonderschule“.575AdolfLambeckwarMitbegründerdieserZeitschrift. NebenkleinerenNeuigkeiten,wiederStreichungdesangeblichjüdischen VornamensvonHeinicke,576 kamenauchgrößereVeränderungenaufdie Lehrerzu.SowurdedieAusbildungderTaubstummenlehrerneugeregelt: 1935erschieninHamburgeineneueAusbildungsundPrüfungsordnung 575
FranzWegwitz,HistorischesundBesinnliches,in:NeueBlätterfürTaubstummenbildung Nr.1+2,Oktober/November1950,S.23;StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGe hörlose, Mappe 5 „Bund deutscher Taubstummenlehrer Schriftverkehr“ (Ablieferungsver zeichnis),Sitzungsberichtvom8.10.1933GaufachleiterTaubstummenlehrerimNSLB.
576
Ebd.,S.24.
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fürLehreranGehörlosen,SchwerhörigenundSprachheilschulen,diedie AusbildunginderTheorieandieUniversitätunddiePraxisandieSchulen verlegte.Währendvor1933dieLehrerundErzieheranAnstaltenin30ver schiedenenVerbändenorganisiertwaren,gabesjetztdenallumfassenden Nationalsozialistischen Lehrerbund, dessen „Fachschaft V“ in vier Fach gruppenunterteiltwar.HierwarendieLehreranSchulenfürTaubstumme, Schwerhörige und Sprachkranke, die Lehrer an Schulen für Blinde und Sehschwache,LehreranHilfsschulenundinderviertenFachgruppeLeh rer an Anstalten (aufgezählt wurden „Krüppelschulen“, Waisenhäuser, Heilerziehungs,StrafundFürsorgeanstalten)zusammengefasst.577 EineAnordnungzurreichsweiteinheitlichenBenennungderTaubstum menundBlindenschulenließdieSchulederHamburgerTaubstummenan stalt1938zur„Gehörlosenschule“werden.578EineAnordnungderUmbe nennung der Schwerhörigenschule in „Schule für Gehörgeschädigte“ wurde dagegen zurückgezogen mit der Begründung, dass sich dieser NamenichtimReichdurchgesetzthabe.579 4. 3.6 Das Ende der Schule an der Bürg er weide DastraditionsreicheSchulgebäudeanderBürgerweideinHamburgBorg feldewarschon1935fürdieZweckederFürsorgeundderSchuleunzu länglich geworden.580 Das alt und düster erscheinende Haus wurde als staatlicheSchule(Taubstummenschule)undalsprivatesInternat(Stiftung Taubstummenanstalt)genutzt.ZumSpielenhattendieKindernurdenHof undkeineNatur.DerzumInternatgehörigeObstgartendurfte,daerdem Direktorgehörte,vondenKindernnichtbetretenwerden.DieBeschwer denbeiderSchulbehördehäuftensich.DieElternderKinderklagtenüber baulicheMängeldesGebäudesundüberSchwierigkeitenbeiderZusam menarbeitmitdembereits70jährigenInternatsleiterHeinrichMutz,der 577
DiedeutscheSonderschule1935,Heft2/3,S.426.
578
StAHbg,3612VIOSBVI,4826,Bl.41:RundschreibendesReichsundPreußischesMinis teriumfürWissenschaft,ErziehungundVolksbildungvom19.5.1938undBl.42:Schreibender Schulverwaltungvom9.6.1938. 579
Ebd.,Bl.54und55,SchreibenvonOberschulratMansfeldvom26.5.1939undNotizenvom 30.10.1939.
580
StAHbg,35110ISozialbehördeI,AK61.11,Vermerkvom10.5.1935.
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Die staatliche Taubstummenschule
dieseStellungnochüberseinePensionierungalsLehrkrafthinausinnehat te.SeineFrauDora,diebis1922selbstalsLehrerinanderSchulegewirkt hatte,bemühtesichfastalleineumdieKinder.SogargegenFrauGrösch ner,dielangjährigeLeiterindesKindergartens,wurdenBedenkenerhoben. IndenAugenderElternundLehrkräftegabeszumlautsprachlichenErzie hungsansatz keinerlei Alternative. Und die Kindergartenleiterin war schwerhörig,schienalsofürdiesprachlicheFörderungderKinderunge eignet.EineBesprechungzwischendenverschiedenenBehörden,Vereinen und der Taubstummenanstalt sollte Klarheit bringen, doch im Ergebnis blieballesbeimAlten:DieBehördensahenkeineMöglichkeitzuräußeren SanierungdesGebäudes,derHofschienfürSchulkinderausreichendge nugunddenInternatskindernmüssteeineSandkisteimGartendesAn staltsleitersgenügen.581AlleinderKindergartenleiterin,diedortschonseit 1914arbeitete,wurdenunaufeinmalattestiert,dasssie„eigentlichnicht geeignet“sei,dieSprachederKleinkinderpflegenzukönnen.582Ende1935 ändertesichdochnochetwas.SchulleiterJankowski wurdeaufBestreben desVorstandsinPersonalunionAnstaltsundSchulleiter.Somitwareine SituationwievordemSelbstverwaltungsgesetzderSchuleneingetreten.In ternatundSchulearbeitetenjetztwiederuntereinergemeinsamenLeitung zusammen.583 1937feiertedieTaubstummenanstaltihr110jährigesJubiläum.Dieser StiftungstagwurdemiteinemAusflugder81KinderundihrerLehrkräfte indenAltonaerVolksparkbegangen.EineweitereFeierwurdevonderRe gierungsparteiwenigergerngesehen.1938wurdediechristlicheGestaltung derWeihnachtsfeierdurchdenOrtsgruppenschulungsleiterderNSDAPbe anstandet.584 Neben der Schule gab es in dieser Zeit weitere Einrich tungen für gehörlose Kinder und Jugendliche im Gebäude der Taub 581
Ebd.,Vermerkvom17.5.1935.
582
Ebd.,GesundheitsundFürsorgebehördeanVorstandderTaubstummenanstalt4.6.1935.
583
StAHbg,3612VIOSBVI,2537,Bl.3:VermerkRegierungsdirektorDr.R.Flemmingvom 11.11.1935undBl.9:PräsesderLandesunterrichtsbehörde,KarlWitt,anStaatsamt27.11.1935. 1936wurdedieBezeichnungvonDirektorinAnstaltsleitergeändert.JankowskiwarinPerso nalunionAnstaltsundSchulleitergeworden.FürdieÜbernahmebeiderPostenbekamener undseineFamiliefreieWohnunginderAnstalt,ebensofreieFeuerung,Beleuchtung,Wäsche, BeköstigungundhattendieHausangestelltenderAnstaltalsHaushaltshilfenzuihrerVerfü gung(ebd.,Bl.9:PräsesderLandesunterrichtsbehörde,KarlWitt,anStaatsamt27.11.1935). 584
StA Hbg, 3613 SchulwesenPersonalakten, A 1225, Fragebogen der Militärregierung an PaulJankowski,13.9.1945.
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stummenanstalt:denKindergartenfürgehörloseKinderabvierJahren, denKindertageshort,unddie„FortbildungsschulefürTaubstumme“bis zum18.Lebensjahr,dieuntergroßenAnstrengungenaufrechtgehalten wurde.585
Abbildung 35: Die Taubstummenanstalt an der Bürgerweide
DieseitvielenJahreninihrerKonstellationvonstaatlicherSchuleundpri vater Anstalt arbeitende Hamburger Gehörloseneinrichtung musste sich weitere Änderungen ihrer Organisation gefallen lassen. Wie beschrieben hattedieSchuleschonvielvonihrerStruktur,diesievor1933hatte,verlo ren:DieLehrzielehattensichverändert,LehrpläneundSatzungenwaren geändertworden,dieSchülersolltenmehralsObjekteunterdemNützlich keitsaspektbetrachtetwerden,washieß,dassnichtjedesKindgefördert werden sollte. Lehrkräfte waren in neuen zentralisierten Einheiten und Bündenorganisiert.1938wurdedernochheutegültigeTerminus„Sonder 585
MehrdazuimKapitel4.5.9Berufsschule.
186
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schule“fürheilpädagogischeSchulartenimReichsschulpflichtgesetzfest geschrieben.586 Im Reichsschulpflichtgesetz wurde ebenfalls die Pflicht zum BesuchderSonderschulenundsomitauchdieSchulpflichtfürge hörloseKinderfürganzDeutschlandfestgelegt.DieSonderschulpflichtin HamburgwarineinemRundschreibenderOberschulbehördeuntergleich zeitiger Führung eines Personalbogens – der später zum Hilfsmittel zur DurchführungdesGzVeNmissbrauchtwurde–bereits1922festgeschrie benworden.587
Exkurs: Schulpflicht DenerstenSchulzwangfürgehörloseKinderführte1805inFolgederöf fentlichenAufmerksamkeitzumThemaGehörlosigkeitderdänischeKönig ChristianVII. inseinenHerzogtümernSchleswigundHolsteinein.588 Er galtfürgehörlose,„bildungsfähige“KinderabdemsiebtenLebensjahr,die in der Taubstummenanstalt des Landes kostenfrei verpflegt und betreut wurden.MitdemInkrafttretendiesesGesetzesstiegdieAnzahlderinder 1799eröffnetenKielerAnstaltbetreutenKindervon13auf35.589Erst60Jah re später, 1873, folgte als nächstes deutsches Land SachsenWeimar. In Hamburg wurde die Schulpflicht an allgemeinbildenden Schulen durch das Unterrichtsgesetz vom 11. November 1870 eingeführt. Ein Beschu lungszwangfürgehörloseKinderwurdeimGesetzallerdingsnichtfestge legt.590DerdurchdieHamburgerTaubstummenanstaltgeradeAnfangdes 586
Reichsschulpflichtgesetzvom6.7.1938(RGBlI,1938,S.799–801,§6,Absatz1).
587
StefanRomey,Der(un)aufhaltsameAufstiegderEugenikimSonderschulwesen,in:deLo rent,HansPeter/Ullrich,Volker,DerTraumvonderfreienSchule.SchuleundSchulpolitikin der Weimarer Republik (Hamburger Schriftenreihe zur Schul und Unterrichtsgeschichte Band1),Hamburg1988,S.315–329,hierS.317. 588
Kröhnert,SprachlicheBildung,S.61.
589
ArnoBlau,150JahreTaubstummenbildunginSchleswigHolstein,Schleswig1955,S.7–12 und16–19. 590 StAHbg,3612VOSBV,859b,Bl.5VermerkSchulratProf.Dr.G.Dillingvom20.11.1906;§56: „Kinder,welchewegenKränklichkeit,SchwächedesKörpersoderGeistesdieSchulezubesu chenverhindertsind,könnenvonErfüllungderBestimmungüberdieSchulpflichtigkeitent bundenwerden“(nach:AdolphMicolci,DasUnterrichtswesendesHamburgischenStaates. EineSammlungdergeltendenGesetze,VerordnungenundsonstigenBestimmungenüberdas UnterrichtsweseninHamburg,Hamburg1884,S.24f.).
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20.JahrhundertsgeforderteSchulzwangwarvonderSchulbehördenicht gewollt,dademelterlichenErziehungsrechtkeinezwangsweiseUnterbrin gung in Anstalten entgegenstehen sollte.591 In den neuen Unterrichtsge setzentwürfen der Schulsynode (1899) und der Oberschulbehörde (1900) wurdengehörloseKinderwiedernichterwähnt,obwohldieAnstaltsichin denletzten20JahrenintensivfürdiegrößereBeachtungihreZöglingeein gesetzthatte.592 BürgerschaftundBehördewurdenerneutumEinführung derSchulpflichtfürGehörlosegebeten.Daam1.April1912inPreußen dasGesetzbetreffenddieBeschulungblinderundtaubstummerKinder vom 7.bis15.LebensjahrinKrafttrat,593 wurdeindiesemJahrauchin HamburgeinweitererVorstoßindieserRichtunggewagt.Gefordertwurde einegesetzlicheRegelungderSchulpflichtfürgehörloseKinderbiszum Endedes15.Lebensjahres,auchfürKinderausHamburgsLandgebieten– dochdieEingabeführtewiederzukeinemErgebnis,da,alsdieAnstaltih renAntrageinbrachte,schonalleVorarbeitenseitensderBehördenfürdas Unterrichtsgesetzabgeschlossenwaren.594MitderEinführungdergesetzli chenSchulpflichtinPreußen,dieeineEinschulungfürgehörloseKinder einJahrspäteralsbeivollsinnigenKindernvorsah,wurdenfünfzuvorun beschulte gehörlose Kinder aus dem Hamburger Landgebiet auf Kosten derArmenverwaltungdesAmtesRitzebüttelindieHamburgerTaubstum menanstalt eingeschult.595 Die Diskussion um die Einführung der Schul pflichtfürgehörloseKinderinHamburgruhteauchinderFolgenicht. DochdasgeltendeSchulgesetzwurdevondenBehördenalsgenügendan 591
StAHbg,3612VOSBV,859b,mehrereAnträge,u.a.Bl.6:SöderanSchulratProf.Dr.G. Dilling10.11.1906undBl.6c:DanckertanOSB22.10.1919;BerichtSchulinspektorHansFricke vom18.11.1912.
592
StAHbg,35110ISozialbehördeI,AK61.11,BerichtvonSöderinder1.BeilagezurNr.44 der„PädagogischenReform“vom30.10.1912.
593
GesetzbetreffenddieBeschulungblinderundtaubstummerKindernebstAusführungsan weisungen,Berlin1912.
594
StAHbg,3612VOSBV,499aBand1,Bl.107f.:ProtokollSitzungSchulkommissionder Taubstummenanstalt5.9.1912.DieimTexterwähntenEntwürfewurden1903vonSenatund Bürgerschaftabgelehnt,bis1918dienächsteÄnderungdesUnterrichtsgesetzeserfolgte(Wer nerKantwill,NeuereGeschichtedeshamburgischenSchulrechts.UnterbesondererBerück sichtigungdesEinheitsschulgedankens[EuropäischeHochschulschriftenReiheIIBand1716], FrankfurtamMain1995,S.131ff.). 595 StAHbg,3612VOSBV,859b,GustavHollburgvonderOSBAbteilungIVanSyndikus Dr.WilhelmAdolfAlfredAlbertBuehlam7.5.1913.
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gesehen,KinderdenpassendenSonderschulenzuzuführen,596 wobeinoch inden1920erJahreneinSchulzwang„vorsichtig“ausgeübtwerdensoll te.597 Eine weitere Verordnung vom 17.April 1924 stellte fest, dass eine SchulpflichtfürtaubstummeKindervomsiebtenbis15.Lebensjahrgelte.598 Wennauchschon1919dieallgemeineSchulpflichtinArtikel145der WeimarerVerfassungfestgeschriebenwordenwar,599hattedasReichsschul pflichtgesetzeinelängerfristigeWirkung.Hierwurde1938nebenderallge meinenSchulpflichtebenfallsdiePflichtzumBesuchderSonderschulen undsomitauchdieSchulpflichtfürgehörloseKinderfürganzDeutschland festgelegt.600SiebegannimAltervonsiebenJahren(einJahrspäteralsfür andereKinder),dauerteachtJahreundkonntebisumdreiJahreverlängert werden. * ReichsweitePlanungenzurVereinheitlichungdesGehörlosenschulwesens wurden1938intensiviert.DieSchülerinnenundSchülersolltennachdem WillenderregierendenBehördeninwenigengrößerenAnstaltenunterge brachtwerden.601DieshätteeinenochbessereKontrolleüberdieGehörlo senermöglicht.EineReduzierungderSchulensolltemöglichwerden,da die Regierung mit einem weiteren Zurückgehen der Schülerzahlen aus „Gründenteilsvolksbiologischen,teilsgesundheitspflegerischenundsa
596 §54bestimmte,dassElternverpflichtetseien,ihreKinder„nichtohnedennothwendigen Unterrichtzulassen“(nach:Micolci,Unterrichtswesen,S.24f.). 597
StAHbg,3612VOSBV,859b,Bl.10:ProtokollUnterrichtsgesetzkommission3.4.1922.
598
StAHbg,3526Gesundheitsbehörde,1271Band1,SchulratDr.Jeiler,HandbuchdesVolks schulwesens,1928.
599
WalterLandé,DieSchuleinderReichsverfassung,Berlin1929,S.160–162.
600
Reichsschulpflichtgesetzvom6.7.1938(RGBlI,1938,S.799–801,§6,Absatz1).Hiertaucht zumerstenMalderTerminus„körperlichbehindert“ineinemGesetzestextauf.DerBegriff „geistigundkörperlichbehinderteKinder“wurdealsSammelbegrifffürKindergewählt,die nichtdiefürden„SchulbesucherforderlichegeistigeundkörperlicheReife“besaßen.Auch dieMöglichkeitderzwangsweisenUnterbringunginAnstaltenwurdein§7gesetzlichveran kert.ImReichsschulgesetz1939wurdezudemdieBeschulungsundFürsorgepflichtallerLän derverankert(R.Brenke,AdolfLambeck,in:NeueBlätterfürTaubstummenbildungNr.1+2, Oktober/November1950,S.44f.). 601
StAHbg,3617StaatsverwaltungSchulundHochschulabteilung,4020–12(Unterakteb), ReichsministerdesInnernanReichsstatthalterKaufmanninHamburg19.8.1938.
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nitärvorbeugenderArt“rechnete.602 Hamburg,dessenSchülerzahlunter anderem auch auf Grund des GroßHamburgGesetzes durchaus keine rückläufigeTendenzaufweisenkonnte,hoffteindiesemZusammenhang darauf,einediesergroßenAnstaltenzuwerden.Schonseitlangemkonnte jedes Jahr eine neue Aufnahmeklasse gebildet werden. Nun schlug die SchulverwaltunginHamburgvor,dassdieHamburgerTaubstummenan staltfürdasgesamteNiederelbegebietzuständigseinsolle,alsofürMeck lenburg,SchleswigHolstein,GroßHamburg,BremenundNordhannover, bisetwaDömitzanderElbe.603DerVorschlag,einegroßeAnstaltfürganz Norddeutschlandzubilden,fandauchanderswoGefallen.DieTaubstum menschuleLudwigslustschlugeinenZweckverbandfürdieAnstaltenvon Hamburg,StettinundLudwigslustvor.604AuchKielmeldeteInteressean. EinegrößereAnzahlvonGehörlosenließeeinebessereKlassengliederung nachLeistungsstandderSchülerinnenundSchülervornehmen,sodassje desKindbessergefördertunddamitleichterindasspätereErwerbsleben eingegliedertwerdenkönne.VorhandeneLehrwerkstättenundSchulungs einrichtungen sowie spezielle Meisterkurse für handwerkliche Berufe könnten bei größerer Frequentierung ausgebaut, Sonderwerkstätten für nichterwerbsfähigeJugendlichezumBeispielinderLandwirtschafteinge richtet werden. Auch der GehörlosenBann der Hitlerjugend (Bann G) könntezentralisiertwerden.FürHamburgsprachendieschonvorhande nenEinrichtungen,diverseWerkstätten,diehierdurchgeführteFrüherzie hung,unddieZusammenarbeitmitderSchwerhörigenschule.605Dochder leiPlänesetztensichletztendlichnichtdurch.EineEntscheidungwurde 602
StAHbg,3612VIOSBVI,2531,RundschreibendesReichsundPreußischenMinistersfür Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an die Unterrichtsverwaltungen der Länder 24.2.1937.SenatorWilhelmvonAllwörden dagegenteiltedemReichsundPreußischenMi nisterdesInnernmit,dasswohl–trotzdeshiergemeintenGzVeN–keinRückgangderSchü lerzahlenzuerwartensei,deshalbauchindernächstenZeitzwischen80und90Schülerzu beherbergenseien,daHamburgalsGroßstadteinegroßeAnziehungskraftausübeundsosich dieZahlderTaubstummendurchZuzug„immerwiederauffüllenwerde“(StAHbg,3617 StaatsverwaltungSchulundHochschulabteilung,402012(Unterakteb),vonAllwördenan denMinisterdesInnern8.9.1937).
603
StAHbg,3617StaatsverwaltungSchulundHochschulabteilung,4020–12(Unterakteb), Schulverwaltung Karl Witt an Staatsverwaltung Schul und Hochschulabteilung 4.10.1938. NacheinemBerichtvonJankowskivom29.9.1938(in:StAHbg,3612VIOSBVI,706,Bl.8–13).
604
StAHbg,3617StaatsverwaltungSchulundHochschulabteilung,402012(Unterakteb), Mecklenburgisches Staatsministerium, Abteilung Medizinalangelegenheiten, Dr. Bergholter, anReichsundPreußischenMinisterdesInnern12.8.1937.
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immerwiedervertagt,1939aufunbestimmteZeit„nachBeendigungdes Krieges“.606DasGroßHamburgGesetz,das1937/1938dieehemalspreußi schenOrteHarburgWilhelmsburg,WandsbekundAltonasowie27weite reKreisgemeindenindasStadtgebieteingliederte,brachtederHamburger GehörlosenschuleeinegrößereAnzahlgehörloserSchülerinnenundSchü ler.DiesewarenvorwiegendalsBewohnerehemalszuSchleswigHolstein gehörigerStadtteilezuvorinderSchleswigerTaubstummenanstalteinge schultgewesen.AlleinkleinereSchulenwurdentatsächlichaufgelöstund dieKinderundLehrkräfteangrößereAnstaltenverteilt.AuchHamburg bekamgehörloseSchülerundmitErnstHansen (1879–1969)einenLehrer eineraufgelöstenLübeckerSchwerhörigenundTaubstummenklasse.607 DieSchulewarnunsogroßgeworden,dassRäumeinanderenSchulge bäudenangemietetwurden,zuerstinderehemaligenAufbauschuleinder FelixDahnStraße.DortwurdenKlassenderGehörlosenwiederSprach heilschuleuntergebracht.Zum16.April1942musstediesesProvisorium wiederaufgegebenwerden,dadieSchulbehördedortdienotwendigge wordenezweiteLehrerbildungsanstaltHamburgseinrichtenwollte.608 Da vieleLehreralsSoldatenandieFrontgeschicktenwurden,mussterasch Lehrerersatzausgebildetwerden.AlsAusweichschulefürdasSchulgebäu de an der FelixDahnStraße wurde der Gehörlosenschule von Schulrat DietrichOssenbrügge(1878–1956)diejüdischeSchuleinderKarolinenstra ßegenannt,609diezudemZeitpunktnochvon100SchülernundSchülerin nen der ehemaligen TalmudToraSchule und der Mädchenschule der deutschisraelitischenGemeinde besucht wurde.610 Die Schulverwaltung erwarbdasSchulinventaram6.Juni1942unddasGebäudeanderKaroli 605
Ebd.,SenatsdirektorDr.SchultzanReichsministerdesInnern13.7.1939undSchulverwal tungKarlWittanStaatsverwaltungSchulundHochschulabteilung4.10.1938.
606
StAHbg,3612VIOSBVI,706,Bl.57:Notizvom14.12.1939.NachEndedesKriegeswurde konstatiert,dass„beidergegenwärtigen[…]Lage[…]eskeinenSinn[habe],dieseAngele genheitweiterzubetreiben“(Ebd.,Notiz5.5.1947).
607
AngabenzuLübeckundHansenin:StAHamburg,3613SchulwesenPersonalakten,A939.
608
StAHbg,3612VIOSBVI,202Band91,SchulratOssenbrügge anGestapo28.3.1942.Zur Lehrerbildungsanstalt siehe Ulrike Gutzmann, Von der Hochschule für Lehrerbildung zur Lehrerbildungsanstalt:dieNeuregelungderVolksschullehrerausbildunginderZeitdesNa tionalsozialismus und ihre Umsetzung in SchleswigHolstein und Hamburg (Schriften des Bundesarchivs55),Düsseldorf2000,zumStandortFelixDahnStraßesiehebesondersS.628– 632. 609
Ebd.
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nenstraßeam18.Dezember1942vonderJüdischenGemeinde 611undquar tiertedieSchülerderGehörlosenschulenachihrerRückkehrausderKin derlandverschickungkomplettdortein,dadaseigeneSchulgebäudeander BürgerweideimJuli1943währendeinesbritischenLuftangriffestotalzer störtwordenwar.612 EinenplastischenBerichtüberdieseZerstörunghat SchulleiterJankowskinurwenigeTagenachderZerstörungverfasst.613Zu derZeitbefandersichnacheinem„Zusammenbruchaufgrundkörperli cherundseelischerÜberanstrengung“beiseinemSchwageraufdemLand. Jankowski,derdieBrandschutzwacheimSchulgebäudeübernommenhat te, begann seinen Bericht mit der Feststellung, dass Anstalt und Schule währenddesgroßenFliegerangriffsinderNachtvom27.aufden28.Juli 1943totalzerstörtwordenwaren.Nichtskonntegerettetwerden,weder dasInventarnochdieBibliothekoderdasArchiv.AlsderFeuersturmbe
610 WörtlichwirdindemBriefgesagt,dassden400„deutschblütigen“KindernderVorzugvor „100Judenkindern“gegebenwerdenmüsse,auchwennerstere„nur“Sonderschülerseien. DerjüdischenSchulewurdenerstAusweichräumeinderVolksschuleAltonaerStraße58an geboten,dochdasAngebotwurdenachProtestenderAltonaerSchulleitung,„dieswürdedie innereRuhedesSchullebensanderAltonaerStraßegefährden“,zurückgezogen(BriefSchul leiterinLangeanSchulratPreuße2.4.1942).Nachdemgeschimpftwurde,dass„dieJudense hensollten,wiesieihreKinderselbstunterbringen“(BriefSchulratErnstPreusse anOber schulratFriedrichKöhne7.4.1942),wurdeerwogen,derjüdischenSchuleeinNebengebäude der„ehemaligenHochschulefürLehrerbildung,welcheszurZeitvoneinemSHDTrupp[Si cherheitsundHilfsdiensttrupp,Luftschutzpolizei]genutztwerde“(dieswardasGebäude derehemaligenTalmudToraSchule),zuüberlassen(SchreibenderSchulverwaltungandas ZentralbürodesReichsstatthalters20.4.1942).Dochbevordiesgeschehenkonnte,ordneteder Reichsstatthalteram29.4.1942an,dassjüdischeKindergenerellnichtmehrunterrichtetwer dendürften(BriefeinesSSGruppenführersandieGestapo;alleSchriftwechselin:StAHbg, 3612VIOSBVI,202Band91).KinderundLehrkräftederjüdischenSchule,dienichtrechtzei tig emigriert waren, wurden im Konzentrationslager ermordet (zur Mädchenschule der deutschisraelitischenGemeindeinderKarolinenstraßesieheUrsulaRandt,Carolinenstraße 35.GeschichtederMädchenschule derDeutschIsraelitischenGemeindeinHamburg1884– 1942[VorträgeundAufsätze,Heft26],Hamburg1984). 611
StAHbg,3612VIOSBVI,202Band91,SchulratOssenbrüggeandieKämmerei6.6.1942.
612
DieStraßeBürgerweidewurdeinderNachtvom27.aufden28.Juli1943infolgeeines GroßangriffesaufHamburgausderLuftvölligzerstört(OskarWeber,DasEndedesHauses Mittelstraße 32, in: Renate HauschildThiessen, Die Hamburger Katastrophe vom Sommer 1943inAugenzeugenberichten[VeröffentlichungendesVereinsfürHamburgischeGeschichte Band38],Hamburg1993,S.68). 613 StA Hbg, 3613 SchulwesenPersonalakten, A 1225, Jankowski an Schulverwaltung 10.8.1943.
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gann,614wurdendurchdengewaltigenDruckdesOrkanssämtlicheFenster mitihrenFassungenausderMauergerissen,TürenausdemRahmenge brochenundSchränkeumgeworfenunddurcheinandergeschleudert.Das Chaoswarschonperfekt,alsdasHausnochnichtbrannte.NochhoffteJan kowski,dadasGebäudenichtdirektvonBrandbombengetroffenwar,die SchulemitHilfeseinerFrau,demLehrerErnstHansen,derzusammenmit ihmWachehatte,undeinpaarMännern,dieerausdemöffentlichenLuft schutzraumdesHausesgeholthatte,zuretten.Manverteiltesichaufdie oberenStockwerkeundlöschteFlugfeuer,rissbrennendeVorhängeundVer dunklungenherunterundstellteWasserundSandzurBekämpfungvon einzelnenBrandherdeninalleZimmer.DochalldieseMaßnahmensollten nichtsnützen.DasFeuerimGebäudeentstanddurchFunkenflug,dervon dreiSeitenherkam,denndieStraßeBürgerweidebranntebereits,ebenso dasMarienkrankenhausinderAlfredstraßeundderSchuppendesstädti schenHolzlagerplatzesamSteinhauerdamm.DerOrkanbliesdieFunkenin dasGebäudeundsämtlicheRäumedesoberstenStockwerkesfingengleich zeitigzubrennenan.RaschbreitetesichdasFeuerauchaufdasersteStock werkaus,undnundachtemannurnochdaran,dieInternatskinderundAn gestelltenderAnstaltausdemLuftschutzkellerzubringen,ehedieAusgänge durchbrennendeTrümmerverstopftseinwürden. AuchErnstHansen hatineinemBriefdieRettungsversuchebeschrie ben.615Der64jährigeLehrerführtedienochinderAnstaltwohnendenKin der über den Schulhof und die Bürgerweide und versuchte, den freien Platz vor der Erlöserkirche zu erreichen. Als die durch das Feuermeer flüchtendeGruppezueinerBrückekam,wirbeltesieeingewaltigerWind stoßdurcheinander.NurmitMüheerreichtenalledenKirchplatz,vonwo auseskeinWeitergehenmehrgab,dennrundumsahmannichtsmehrals Feuer.EssammeltensicheinigeFlüchtlingeaufdemPlatz.Umsieherum Sturm,QualmundFunkenregen.AusaufdemPlatzliegendenPlattenfür einenBarackenbauwurdeeinSchutzschildgegendieFunkengebaut.Aber auchdieKirchegingimFeueraufunddieMenschenwarendamitbeschäf tigt,sichgegenseitigdieFunkenanderKleidungabzuklopfen.FünfStun denlanglagendieKinderundErwachsenenhinterdenBarrikadenundan 614 ZumPhänomendesFeuersturmssieheHansBrunswig,FeuersturmüberHamburg,Stutt gart1978. 615
StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A939,AbschrifteinesBriefes,denHansenam 11.August1943seinemKollegenWilhelmBandholtgeschriebenhatte.
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derEisenbahnböschung.AlsderWindnachließunddasFeuerabsackte, kämpftesichHansenmitdenKindernandieAlsterdurch,umdortKüh lungzusuchen.
Abbildung 36: Das zerstörte Schulgebäude an der Bürgerweide
InzwischenwarenzweiLöschzügezurSchulegekommen,konnten aber aufGrundvonWassermangelnichthelfen,dasFeuerzubekämpfen.Als dieKinderinSicherheitschienen,konntenJankowski undseineFraumit HilfeeinigerObdachloser,dieschonwährenddeserstenAngriffesaufdie StadteinenTagzuvorimHauseZufluchtgesuchthatten,durchmehrere StundenArbeitdasDirektorwohnhausretten.DieMühewarallerdingsver gebens,dennwährendderLuftangriffedernächstenNachtwurdeauchdie sesGebäudezerstört.AufAnordnungderOrtsgruppenleitungderNSDAP verließendieJankowskismitdenInternatszöglingennocham28.JuliHam burg. Die Evakuierung führte die Kinder nach Lüneburg. Von dort aus wurdendreiKinderimHamburgerKinderheimuntergebrachtundwur defüreinenschonschulentlassenenZöglingeineBleibeaufdemLand gefunden.616 616 StA Hbg, 3613 SchulwesenPersonalakten, A 1225, Jankowski an Schulverwaltung 10.8.1943.
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4. 3. 7 Kin d erla ndvers c hic ku ng SchonvordemZweitenWeltkrieggabeseineVerschickungvonStadtkin dernzuErholungszweckenaufsLand,dievonderseit1915bestehenden Reichszentrale„LandaufenthaltfürStadtkinder“durchgeführtwurde.Seit 1933 war die Organisation der NSVolkswohlfahrt(NSV) angegliedert617. MeistwurdendieKinderinKinderheimeundFamilienpflegestellenver schickt. Doch als sich im Herbst 1940 die Luftangriffe auf Deutschland mehrten–vorallemBerlinundHamburgwarenzunächstbetroffen–sand teReichsleiterMartinBormannam27.September1940einRundschreiben andieoberstenReichsundParteistellenmitdemInhalt,dass„derFührer“ die erweiterte Kinderlandverschickung (KLV) angeordnet habe.618 In der FolgewurdenhunderttausendevondurchLuftangriffegefährdetenStadt kinderninsichereländlicheGebieteverschickt.619 InHamburgwurdeOberstudienratHeinrichSahrhage(1892–1969)von derAlbrechtThaerSchule,derübergroßeErfahrungeninderHamburger Schullandheimbewegungverfügte,KLVInspekteurdesNSLBundspäter KLVSchulbeauftragter.NacheinemAufrufinPresseundRundfunkwur denindennächstenWochen80.000HamburgerKindervonihrenEltern fürdiezuerstaufeinhalbesJahrbegrenzteVerschickunggemeldet.620Die AnmeldungzurKinderlandverschickungwarfreiwillig,abergeradeinder Anfangszeitsehrbeliebt,weildieElternwederfürdieVerschickungihrer KindernochfürdieUnterbringungindenLagernoderbeiPflegefamilien, wederfürdasEssennochfürdenUnterrichtetwaszahlenmussten.Später, alssichdieZahlderLuftangriffeaufStädtehäufte,warendieElternfroh darüber,dassdieKinderinsicherenländlichenGebietenuntergebracht 617
AllgemeineAngabenzurHamburgerKinderlandverschickungsieheStAHbg,3612VIOSB VI,1547,BerichtvonHeinrichSahrhage,ehemaligerKLVSchulinspekteurundOrganisator derKLVfürHamburg,DieErweiterteKinderlandverschickunginHamburg.Geschichteihrer EntwicklungundDurchführungwährenddesKrieges1939/45,Hamburgo.D.[ca.1946]. 618
ClausLarass,DerZugderKinder,München1983,S.8und25ff.;GerhardKock,„DerFüh rersorgtfürunsereKinder…“DieKinderlandverschickungimZweitenWeltkrieg,Paderborn 1997,S.76–81,insbesondereS.77undAbdruckdesRundschreibensS.353.
619
Insgesamtwurdenüber2MillionenKinderverschickt(Kock,Kinderlandverschickung, S.143).
620
StAHbg,3612VIOSBVI,1547,Bl.1:BerichtvonSahrhage.Insgesamtwurdenweitüber 100.000Kinderverschickt(StAHbg,3612VI,OSBVI,1546,Bl.33:RundschreibenSahrhage 8.6.1945).
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waren.621KeinenMonatnachdemderRunderlassmitdemAufrufzurer weiterten Kinderlandverschickung bekannt gegeben worden war, fuhr am10.Oktober1940derersteZugmitHamburgerKindernRichtungBay reuthundSachsenvomHauptbahnhofab.622 ZweiMonatespäterfuhrauchdieGehörlosenschuleindieKinderland verschickung,623 nachdemfestgestelltwordenwar,dassgehörloseKinder ebenfalls ein Recht auf Verschickung hätten.624 Am Freitagmorgen, den 7.Dezember,fuhrderZugmitder29köpfigenKindergruppeundihren BegleiternvomAltonaerBahnhofabundamfrühenMorgendesnächsten TageskamderZuginWienaufdemOstbahnhofan. 625ZielderHamburger wardasHeimKaltenleutgebenimWienerwald,seit1938einFerienund ErholungsheimfürgehörloseWienerKinder.EinspeziellesHeimzufinden wurdenötig,daeinigeGemeindeninBayernundSachsensichgeweigert hatten,HilfsoderSonderschulkinderaufzunehmen.626 Bis1942kamendieverschicktenKinderderGehörlosenschuleHamburg immerindiesesKLVLagerimWienerwald.DiesiebegleitendenLehrkräf te wurden vom Schulleiter im Einvernehmen mit dem Schulwalter des NSLB bestimmt.627 Lagerleiter für Kaltenleutgeben wurde zuerst Lehrer 621
Larass,ZugderKinder,S.53.TrotzdemgingendieMeldezahlennachdenGroßangriffen zurück, wurden tendenziell weniger Kinder über die KLV verschickt. Im Oktober waren 14.300HamburgerKinderinderKLV,95.000aberanderweitigverschickt,davon42.000von denElternaufumliegendeGemeindenverteilt(Kock,Kinderlandverschickung,S.257f.). 622
Larass,ZugderKinder,S.52.
623
AngabenzurKLVderGehörlosenschulein:StAHbg,36110KLV,84.
624
StAHbg,36110KLV,2,LeiterderHauptstelleWohlfahrtspflegeundJugendhilfeimAmt fürVolkswohlfahrtGöttschanNSLB16.11.1940.ImerstenErlassdesReichsministersfürWis senschaft,ErziehungundVolksbildungvom2.10.1940betreffenddieKLVhießesnoch,dass dieVerschickungbisaufweiteresaufKinderallgemeinbildenderSchulenbeschränktsei(StA Hbg,3617StaatsverwaltungSchulundHochschulabteilung,400230/0).SelbstüberKinder derSprachheilschulewurdegesagt:„TatsächlichgehörensieindennormalenGangderder Verschickungnichthinein,dawirimmerersteinbesondersLagerfürsiebeschaffenmüssen“. (StAHbg,36110KLV,47,AbschrifteinesSchreibensSahrhageanKreiswalterNSLBG.Lipke am29.9.1942). 625
36110KLV,84,EinsatzstabderKLVGauHamburginWien,ClausHartlef,Inspekteurder NSLBGauHamburginWienandieGauwaltungdesNSLBinHamburg29.11.1940;Sahrhage anHartlef3.12.1940.
626 627
StAHbg,36110KLV,2.
StAHbg,3612VIOSBVI,1547,BerichtSahrhage,Anlage6:RundschreibenSenatorKarl Witt vonderSchulverwaltungandieLeitungenderVolksschulen24.10.1940.Diesoausge wähltenLehrerwarendazuverpflichtet,dieihnenzugedachteAufgabezuübernehmen.
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WilhelmBandholt,dermitseinerFrauMathilde undseinenKindernden erstenZugderKinderbegleitete.EhefrauenvonLehrernwurdenals„La gerhelferinnen“eingesetzt.SiedurftenihreMännerbegleiten,wennsiedie Wirtschaftsführung,ReinigungundInstandhaltungderWäschederKinder übernahmen.628Bandholtwurde,daeralsSpielleiterbeieinerniederdeut schenTheatergruppe,der„StormarnerSpeeldeel“,gebrauchtwurde,durch denHamburgerTaubstummenlehrerFritzSchmidt(1892–1973)abgelöst.629 Am31.Januar1941begleitetedieserdieKinderdasersteMalundbliebmit ihnenbiszuihrerendgültigenRückkehrimAugust1945zusammen.630 BisDezembergingenfasttäglichZügemitHamburgerKindernindie vierHamburger„Aufnahmegaue“ab.Inden„Aufnahmegau“dergehörlo senKindernachWienfuhreninsgesamtneunZügemit4.670Kindern.Die weitausmeistenHamburgerKinderwurdenaberindie„BayrischeOst mark“verschickt:58Zügemitinsgesamt29.475Kindernfuhren1941indie GegendumBayreuth.631 BeieinerInspektiondesKLVHeimesimWienerwald,welchedurchden NSLBam15.Juni1942durchgeführtwurde,632stelltederKontrolleurfest, dassesdenKinderninKaltenleutgebensehrgutgingeunddassihreLern bereitschaftinderVerschickungvielgrößerseialszuHause.Sosahdie KLVLeitstellekeinenGrundfürihreRückkehrnachHamburg,dieSchul leiterPaulJankowskibeantragthatte.GezähltwurdeninWien29Kinder. SiekehrtenerstAnfangSeptember1942nachHamburgzurück.
628
StAHbg,36110KLV,53a,DienststelleKLVMünchen,SchulbeauftragterWiegankanSchu linspektorKLVHamburg,Sahrhage10.6.1943.AuchBandholtsNachfolgerFritzSchmidtwur devonseinerFrauNellyindieKinderlandverschickungbegleitet. 629
StAHbg,36110KLV,84,AufzählungderInhaltederFerngesprächevonHartlefmitSahr hageam22.1.1941undam27.1.1941. 630
StAHbg,36110KLV,21,LehrerbogenfürFritzSchmidtmitAngabeseinerDienstzeitenfür dieKLV(31.1.19415.9.1942KaltenleutgebenbeiWien,14.6.1943–15.8.1945NiddenundCranz inOstpreußen,WaldkirchenundNeidberginBayern).
631
DievierAufnahmegauewarenSachsen,München/Oberbayern,„BayrischeOstmark“um BayreuthundWien.Insgesamtwurden50.917KinderalleinindenerstenzweiMonatender KLVverschickt(StAHbg,3612VIOSBVI,1547,Anlage8desBerichtesvonSahrhage:Sit zungsprotokollderGauhauptstellenleiter,FachschaftsleiterundKreiswalterdesNSLB,Gau waltungHamburg13.12.1940).
632
StAHbg,36110KLV,84,BerichtüberdieInspektionsfahrtHamburgWienBerchtesgaden HamburgdesParteigenossenHartlef26.6.1942.
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Abbildung 37: Kinderferienheim Kaltenleutgeben bei Wien
DieKinderlandverschickungnahmmitderZeitimmermehrdenCharakter einerEvakuierunggroßenStilsan.DieVerschickungenwarenoffiziellauf sechsMonatebegrenzt,dochrichtetedieKLVLeitstellesichmitderDauer derVerschickungennachderLuftsicherheitindenStädten.MancheKlas senbliebendannlängeralseinJahrvonzuHausefort.NachdemdieKin derderGehörlosenschulezeitweisewiedervollzähliginHamburgwaren, begann1943inderVorahnunggroßerLuftangriffeaufHamburgdieAk tionderVerschickungkompletterKlassenverbände,undimJuni1943ging es für 52 der 74 Schüler und Schülerinnen der Hamburger Gehörlo senschulenachOstpreußen.ImVorwegehatteesDiskussionengegeben, welchederKinderdieReisemitmachendurften.Somussten22Kinderaus Krankheitsgründen, weil sie Bettnässer waren oder aus nicht näher be schriebenen„sonstigenGründen“zuHausebleiben.633 633
StAHbg,36110KLV,51,SchulleiterJankowskianSahrhage7.6.1943.Allgemeinsolltenzu AnfangderKLVnurKinderverschicktwerden,dieaufGrundihresBetragens(„Lügen,Wi
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Die Kinder wurden klassenweise mit den eigenen Lehrkräften ver schickt, damit ein geregelter Unterricht im Lager gewährleistet war. In HamburgzurückgebliebeneRestklassenderGehörlosenschulehattenzu vormangelsanwesenderLehrkräfteunterUnterrichtsausfallgelitten.Daes nichtmöglichwar,verschiedeneKlassenmitunterschiedlichenLeistungs ständenzusammenzufassenundesauchnichtmöglichwar,diegehörlosen KinderinNachbarschulenzuschicken,sowieesmitanderenRestklassen von Volks und Höheren Schulen geschah, hatten die Kinder durch die NichtbeschulungihreKenntnissederLautsprache,diesiesonsttäglichin der Schule übten, zum Teilwieder verlernt, undihr„geistiger Entwick lungsstand“warnachDafürhaltenihresSchulleitersgesunken, 634 sodass Nachhilfenötiggewordenwar.Daraushattemangelernt, ausschließlich solcheKlassenbeiderVerschickungsauswahlfürdieerneuteKLVzumel den,beidenennurgeringeRestklassenzurückblieben.Jankowski trafim EndeffektdieAuswahlfürdieKinderlandverschickung.Dieswurdevon SeitenderLehrerkritisiert.SobeschwertesichAlwinHeinrichsdorff dar über,dassdieInternatskinderbenachteiligtwerdenwürden.DochJankow skibehieltdienachseinerBeurteilunginihrenLeistungenzurückgebliebe nenKlassen2bis4zurückundfasstedierestlichenKinderderKlassen5 bis7ineinerKlassezusammen–nichtohnezubetonen,dassdiezurück bleibendenKinderbeidernächstenVerschickungimJanuar1944berück sichtigtwerdenwürden–undmeldetediemeistenSchülerundSchülerin nenderKlassen1,5,6und7,insgesamt34MädchenundJungen,fürdie nächsteKinderlandverschickungnachOstpreußen.635 ImJuni1943kamendieseKindermitihrenvierBegleitern,DoraHar nack,AlwinHeinrichsdorff sowieFritz undNellySchmidt überKönigs bergmitdemZugnachNiddenandieKurischeNehrunginOstpreußen. 636 DererstekurzeBerichtnachHamburgbesagte,dassdieGegenddortsehr schönundauchdieVerpflegunggutsei.AlleinderprimitiveZustanddes derspenstigkeit“) oder negativen Eigenschaften („Bettnässen, Unsauberkeit“) keine „Belas tungderLagergemeinschaftdarstellten“.DochnachdemJuli1943,alsHamburgunterLuft angriffenmassivzuleidenhatte,wurdenalleKinderverschickt,umsieausderGefahrenzone zubringen(StAHbg,3612VIOSBVI,1546,JürgenFrüchtenicht,SchulinspekteurBayreuth 6.4.1944). 634
StAHbg,36110KLV,51,SchulleiterJankowskianSahrhage7.6.1943.
635
Ebd.
636
Ebd.,SahrhageanIdeler,KLVInspekteurfürOstpreußen4.6.1943.
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Lagers,einerehemaligenJugendherberge,wurdebemängelt.637 MitteJuni sandteSchmidtdanneinelängereBeschreibungdesLagerszurKLVLei tungnachHamburg,dieeinengutenEindruckdavongibt,wiesichdasLe ben im Lager abspielte:638 Die zweigeschossige Herberge lag auf einem „schmutzigsandigen“GrundstückdirektanderHauptstraßeinderNähe desHafens.ImErdgeschossdesHausesbefandensichdieWirtschaftsräu me,einegeschlosseneVeranda,welcheimSommeralsSpeiseraumgenutzt wurde,dreiSchlafräumemitinsgesamt36Betten,einWaschraumundder Tagesraum,vondemzweiTreppenindenerstenStockführten.Dortwaren dannsechsweitereSchlafräume,vondenendreivondenLehrerngenutzt wurden.DieTagesräumewurdenalshellundfreundlichbeschrieben,doch gabesamHauseinigeszubemängeln:SowarendieRäumenichtfürden Winterausgerüstet,alleinderTagesraumwarbeheizbar.DieSchlafräume warenmithölzernenDoppelbettenausgestattet,diekeineMatratzenhat ten.DieKinderschliefenaufaltenStrohsäcken,derenFüllungbereitsstau bigundzermürbtwar.ZudemwurdekeineBettwäschegeliefert.Jeweils zweioderdreiKinderteiltensicheinenSpindfürdieKleidung.Auchdie sanitärenVerhältnissewarenmehralsmangelhaft:DieWasserleitungim Hausfunktioniertenicht,wodurchdieKindergezwungenwaren,dasWas servoneinerPumpevomHofzuholen,derenKolbenzudemundichtwar. DieWaschräumebesaßennureinpaarWaschschüsseln.DadieAusgüsse nichtbenutzbarwaren,schüttetendieKinderdasbenutzteWasserkurzer handausdemFenster.AußerdemwarendieToiletten–GrubenohneDes infektionsmöglichkeit–35MeterentferntvomHausunddieWegedorthin nichtbefestigt.Schmidtbeschreibt,dass„unglücklicherweise“oftundichte Marmeladeeimer im Haus die Nachttöpfe ersetzten. So war es schwer, HausundKindersauberzuhalten,zumaleswederFeudelnochordentli cheBesenoderFußmattengab.AlsletzteserläuterteSchmidtdienichtvor handeneärztlicheVersorgung.EsgabkeineMedikamenteundkeinenVer bandsstoff–dernächsteArztlebteim30KilometerentferntenNachbarort. AllesinallemhieltSchmidtdieNiddenerJugendherbergefüreinKLVLa gernichtgeeignet.
637
Ebd.,SchmidtanSahrhage19.6.1943.
638
StAHbg,36110KLV,50,SchmidtanSahrhage,eingegangen21.6.1943.
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Abbildung 38: Schülerinnen mit Nelly Schmidt in der Kinderlandverschickung in Nidden, 1943
InderFolgezeitgabesimmerwiederKompetenzstreitigkeitenzwischen HamburgunddenostpreußischenKLVInspekteuren.Hamburgkümmerte sichumseineKinder,dochdieswurdevonOstpreußenalsEinmischung empfunden.639 Die Hamburger, die sich über die Qualität der Lager be schwertenoderdarüber,dassostpreußischeWehrmeldeämter„sehrscharf“ seienundLehrerständigGefahrliefen,eingezogenzuwerden, 640 wurden alsüberheblicherachtet.DieseStreitigkeitenspieltensichnichtnuraufder Verwaltungsebeneab,auchvorOrtspürtendieHamburger,dasssienicht sorechtwillkommenwaren.SosahsichSchmidtschonimJuliveranlasst, 639
StAHbg,36110KLV,51,Mandel,MitarbeiterderHamburgerDienststelleKLV,dereineIn formationsreisedurchOstpreußenmachte,anSahrhage16.12.1944,sowieSahrhageanIdeler 28.6.1943,IdeleranSahrhage1.7.1943.Sahrhagehatte–andersalsinanderenStädten–Gau beauftragtedesNSLBein,dieKontaktzwischenHamburgerKLVDienststellenundlokalen Organisationsgremienherstellten(Kock,Kinderlandverschickung,S.258).
640
StAHbg,36110KLV,51,SahrhageanSchulverwaltung21.6.1943.
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privatanSahrhagezuschreiben–jederamtlichedirekteSchriftverkehrmit derKLVLeitunginHamburgwareigentlichuntersagt,mansolltemitden Dienststellen vor Ort kommunizieren – und sich über die Gebiets beauftragtenderKLVinOstpreußenzubeschweren.641Schmidtbezeichne tedenfürseinLagerzuständigenOberbannführerThiesalsgrobundun freundlich.DerLehrererwartete„eineBerücksichtigungderberechtigten WünscheundeineanständigeBehandlung“,dochThieswürdekeineeige nen Meinungen dulden. Zur Illustration für dessen groben Ton legte SchmidtseinemBriefeinNachrichtenblattderKLVGebietOstpreußenbei, indemThiesdarlegte,esseiihm„unverständlich,dass[er]daraufhinwei senmuss“,dassLagerundLagerleiterbedingungslosdemGebietsbeauf tragenunterstelltseien.ThiesschimpfteindemBlattdasVerhalteneiniger Lager,dienochnichtihreLagerschilderangebrachthatten,als„interesselos undunkameradschaftlich“.Er,Thies,sei„nichtdazuda,jedenEinzelnen mitderNaseaufdieDingezustoßen“.642 MitteJunibesuchteimAuftragderGebietsführungderKLVHamburg Gebietsführer Burmeister mit einer Schriftleiterin des Hamburger Frem denblattesfüreinenStimmungsbericht20KLVLagerimGebietOstpreu ßen.ImGesprächmitThieswurdedeutlich,dassjenermeinte,dieKLVsei vielzuschnellnachOstpreußengekommenundmanseinichtvorbereitet gewesen.SoerklärtensichBeschwerdenüberMängelandenLagern,die nichtnurausNiddenHamburgerreichten.Burmeister besuchteauchdas Lager der Gehörlosenschule.643 Er fand die Gegend um das Lager sehr schönundfreutesichanderBadegelegenheit,ersahaberauchein,dass dasLagersehrprimitivunddieRäumedarinverwohntseien.DerVersuch, HandwerkerfürdieArbeitandenLagerhäusernheranzuziehen,scheiterte, dadiesenurfürdieWehrmachtarbeiteten.Burmeisterbesuchteauchdas katholischeKlosterinCranzanderSamlandküste,inwelchesdiegehörlo senKinderalsnächsteskommensollten.DiesesLagerwurdeals„wunder bar“bezeichnet,nurdreiMinutenentferntvomStrandmiteiner–imGe gensatzzuanderenLagern–nettenundfreundlichenUnterbringung. EineVerlegungderGehörlosenschulewurdebaldnötig,dennindem fürdenWinternichtausgerichtetenLagerinNiddenkonntendieHambur 641
Ebd.,SchmidtanSahrhage22.7.1943.
642
Ebd.,NachrichtenblattKLVGebietOstpreußen,Folge1/43,9.7.1943.
643
Ebd.,InspektionsberichtvonNSGebietsführerBurmeister1.7.1943.
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Die staatliche Taubstummenschule
gernichtbleiben.AucheineRückkehrnachHamburgschiennichtwün schenswert, denn inzwischen hatte die englische Luftwaffe im Juli 1943 schwereLuftangriffegegenHamburggeflogen.ZehntausendevonHam burgernwarenindenBombennächtenumsLebengekommen,ganzeStadt viertelwarenniedergebrannt.AuchdasGebäudederTaubstummenanstalt anderBürgerweidewarzerstörtworden. NachdemSchmidtimJuliSahrhageunddieGebietsführunginKönigs berg erneut auf die üblen Missstände im Heim hingewiesen hatte und KreisleiterundKreisamtsleiterderNSVMemelzurBesichtigunginNid den waren und trotzdem keine Änderung der Umstände herbeigeführt werdenkonnte,batSchmidtimSeptemberdringendumeineVerlegung aufdasFestland,„weileshierbaldungemütlichwird“.644Sokamendiein zwischen34Kinder645 –nachdemsichPläne,dieKindernachDanzigzu bringen,zerschlagenhatten–imSeptembernachCranzimKreisSamland in das von katholischen Nonnen geführte Lager „Heim der Grauen Schwestern“.IndennächstenTagenwurdennoch20weitereKindererwar tet,dieausdemzerstörtenHamburgaufswenigerdurchLuftangriffege fährdeteLandgebrachtwerdensollten.646 KönigsbergundUmgebungerschieninzwischenaufGrundderKriegs lage–dierussischeArmeeerobertedievonDeutschenbesetztenGebiete wiederzurück–nichtmehrderrichtigeVerschickungsortzusein.DieEl terndernachOstpreußengebrachtenKindererhielteneinenRundbrief,in demeshieß,dass„aufgrundderSchwierigkeitenindenKLVLagernOst preußen“sichdieDienststelleKLVderNSDAP,GauleitungHamburg,ent schlossen hatte, „die Kinder in das Gau Bayreuth zu überführen.“647 So wurdenalsodieKinder,derenüblicheRückführungnachHalbjahresfrist wegenderZerstörungeninHamburgnichtmehrmöglichwar,weiternach Westenverlegt.ErstimNovembererfuhrdasLagerinCranzvondiesen 644
Ebd.,SchmidtanSahrhage13.9.1943.
645
EinMädchenwarvondenElternabgeholtworden,weildieFamilienachLeipzigumzog, undzweineueMädchenwarendazugekommen.EineskamausdemInternatderGehörlo senschuleundeinesausKönigsberg,wohinderenMutterausHamburggezogenwar.Diedor tigeGehörlosenschulewarvölligüberfüllt,weshalbdieMutterdasKindnachCranzgeschickt hatte. 646
StAHbg,36110KLV,50,SchmidtanSahrhage20.9.1943.
647
StA Hbg, 36110 KLV, 51, Elternbrief der NSDAP, Gaubeauftragter der KLV Bahrs 18.10.1943.
Im „Dritten Reich“ (1933–1945)
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Plänen.Schmidtzeigtesichnichtangetan,dennKinderundBetreuerfühl tensichinCranzsehrwohl.Schmidt erfuhrvonderKLVDienststellein KönigsbergwederdenGrundderVerlegungnocheineneueAdresseim GauBayreuth,indiemanverlegtwerdensollte.648 Am14.November1943beganndiegroßeRückführungsämtlicherHam burger Kindern aus Ostpreußen nach Bayreuth. Mit dem Transport am 25.NovemberwurdeauchdasLagerCranzderGehörlosenschulemitih ren Lehrern und 35 Kindern verlegt. Mit einem Sonderzug kamen die Hamburgeram26.November1943inInsterburgbeiRegensburgan.Nach widersprüchlichenInformationenüberdasZielderLagerverlegungkamen KinderundLehrerschließlichnachHaidmühle.649 DernächsteBerichtüberdieKinderlandverschickungderGehörlosen schuledatiertdannausdemJahr1945.SchmidthatteeinenSchlussbericht fürdieSchulverwaltunginHamburgverfasst,indemerdieletztenMonate inderKinderlandverschickungbeschrieb.ErbezeichnetedieseletztenMo natealsschwerundverantwortungsvoll,dennesgabkeinenNachrichten verkehrundkeineUnterstützungausHamburg.DieGruppewarinden letztenTagendesKriegesaufsichalleingestellt.650ImApril1945lebtendie HamburgerKinderinWaldkirchen,GauBayreuth,ineinerBauernschulein sehrbeengtenVerhältnissen–nebenden35KindernausHamburgwaren dortnoch55KinderausdemdeutschenWaisenhausvonPressburg(Bratis lava)mituntergebracht.KreisleiterundKreisverwaltungsführerinderKLV BayreuthwollteninderBauernschulePlatzfürFlüchtlingeausdemOsten schaffenundversuchten,dieHamburgerKinderineinanderesLagermit nochbeengterenVerhältnissenundunzureichendenVerpflegungsmöglich keitenumzuquartieren.Schmidt konntediesdurchGesprächeerfolgreich verhindern,musstedannaberam24.AprildochdasLagerkurzfristigräu menundmitdenKindernteilweisezuFußbeihörbarnäherrückender amerikanischer Front in das 22 Kilometer entfernte Neidberg im Kreis Wolfsteinumsiedeln.IndieBauernschulekamenindeskeineFlüchtlinge, sondern150KindereinerEssenerOberschule. 648
Ebd.,SchmidtanSahrhage6.11.1943.
649
Ebd.,TelegrammSahrhage anSchmidt 18.11.1943undIdeler anSahrhage,eingegangen 20.11.1943. 650
ZudieserZeitwarennochca.5000HamburgerKinderinBayreutherLagernundebenso vieleHamburgerKinderinBayreutherPflegefamilienuntergebracht(StAHbg,3612VIOSB VI,1546,Bl.33:RundschreibenSahrhage8.6.1945).
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Die staatliche Taubstummenschule
Abbildung 39: KLV-Lager der Hamburger Gehörlosenschule, die Bauernschule Waldkirchen
DiefolgendeZeitwurdesehrschwerfürdieKinder.InNeidbergwarendie Hamburgerim„KlosterderTöchterdesallerheiligstenHeilands“unterge bracht.DieNonnen,nichtdarüberinformiert,nochzusätzlichfremdeKin derundihreBegleiteraufnehmenzumüssen,warennichtbegeistertvon dieserSituationundließenihreUnzufriedenheitmitderungewolltenLage die Hamburger deutlich spüren. Die Klosterschwestern versorgten sich selbstmitNahrungsmitteln,gabenabernurseltenetwasvondemselbstge zogenenGemüseab,sodassdieKinderhungerten.Schmidtbeschriebdie Nonnenalsunfreundlich,jafastgehässig.WennsieetwasvonihrenVorrä tenabgaben,dannnurgegenGeld.DieKinderwarenfürsienurunbeque meGäste.WeiteWegemusstengegangenwerden,umsichLebensmittelzu beschaffen,oftbisindas44KilometerentferntgelegeneWaldkirch.Zudem funktioniertenwederBahnnochTelefonundkeinePostsorgtefürNach richtenausdenFamilienderKinder.651 651
StA Hbg, 36110 KLV, 64 Band 2, Schlussbericht des KLVLagers der Gehörlosenschule HamburginderBauernschuleWaldkirchenundKlosterNeidberg,Schmidt anSchulverwal tung,DienststelleUmquartierung(KLV)o.D.[ca.August1945].
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NachderdeutschenKapitulationunddemEndedesKriegesimMai 1945wolltenLehrerundKinderendlichwiedernachHause.Dochauchdie BehördenwarendemLagernichtwohlgesonnen.DasLandratsamtgabkein GeldmehrfürdenUnterhaltdesLagersundriet,dieKinderzuFußnach HamburginMarschzusetzen.652ErstnachmehrerendringendenBesuchen Schmidts erhielt er das zuvor beschlagnahmte Geld zur Lebensmit telbeschaffungzurück.ZweiElternpaare,dienachBayernevakuiertwor denwaren,kamen,umihreKinderabzuholen.Auchdie„Mädelführerin nen“(BDMMädchen,diealsLagermannschaftsführerinnendieSchülerlager begleiteten)machtensichaufdenWegnachHause.Dann,amFreitag,den 10.August,kameinBus,umdieKinderineinerfünfeinhalbtägigenReise nachHausezurückzubringen.653 SchmidtzognachAbschlussderKinderlandverschickungtrotzdemeine positiveBilanzdieserVerschickungsjahre.654AuchdieEltern,soSchmidtin einem „einige Gedanken zum Abschluss der KLV“ betitelten Bericht an SahrhagevomDezember1945,hättendieVerschickung,trotzallerSorgen, die sie sich in den letzten Monaten, als die Verbindung abriss, machen mussten, nicht bedauert. Hervorgehoben wurde die „erzieherliche Wir kungdesLageraufenthalts,diejetzt,nachlängeremAufenthaltimEltern haus wieder nachlässt: Fügsamkeit, Gehorsam, gutes Benehmen, Ord nungsliebe,GewöhnunganArbeit“.655 TatsächlichwarendieKinderwäh rendderVerschickung,dieeinemintensivenInternatsverhältnisglich,stets unterAufsichtundinihrerSprachentwicklungnachRückkehrnachHam burgdendortzurückgebliebenenKindernnichtnurdiezweiJahreder Verschickung,sondernfastvierJahreinVersprachlichungundUmgangs sprachevoraus.GelobtwurdevonSchmidtauch,dassdasLagerinschuli 652
TatsächlichgabesvieleLagerundeinzelneHamburgerKinder,auchausBayreuth,diesich aufeineabenteuerlicheOdysseeeinließenunddenFußmarschnachHausewagten(StAHbg, 361.2VIOSBVI,1547,Bl.19).Siehedazuauch:Larass,DerZugderKinder;inRomanform: FrankBaer,DieMagermilchbande,Hamburg1979. 653
StAHbg,3612VIOSBVI,BerichtTransportleiterFriedrichPellavom17.8.1945.
654
IneinerBeurteilungvonSahrhagefürFritzSchmidt(StAHbg,36110KLV,21,Lehrerbogen vonFritzSchmidt)hießes:„SchmidthatjahrelangdenverschicktenTeilderHamburgerGe hörlosenschulevorzüglichgeleitetundmitUnterstützungseinerEhefrauundwenigenleider rechtältlichenFachlehrerndieschwierigenKinderbetreutundunterrichtet.Erbewiesrestlose HingabeanseineAufgabe,vielGeschickundEnergie,besondersauchwährendderKriegs ereignisse,BesatzungszeitundwirtschaftlichenSchwierigkeiteninBayern.“ 655
StAHbg,3612VIOSBVI,1548,SchmidtanSahrhage16.12.1945.
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schenBelangendemHamburgerKLVInspekteurfürBayern,JürgenFrüch tenicht, unterstellt waren, und nicht, wie eigentlich vorgeschrieben, der BayrischenRegierung,sodasssiesich„stetsalsHamburger“fühlten.656
4. 4 Zu G a st i n a nde re n S c hu le n ( 19 45 – 19 6 4 ) 4.4. 1 Wiedera ufbau der Schule DievölligeZerstörungdeseigenenSchulgebäudesbedeutetedasvorläufi geEndederHamburgerGehörlosenschule,derKriegmachteeinengeord netenUnterrichtunmöglich.NachseinemEndewurdendie„Parteigenos sen“derNSDAPausihrenÄmternentfernt.657Jankowskimusste,daerim Mai1933derNSDAPbeigetretenwarundverschiedeneParteistellungen innegehabt hatte – so war er GaubundesPropagandist im Gaubund 9 HamburgundGausachbearbeiterfürGehörlosenbetreuunginderNSV– seineStellungalsSchulleiterabgeben,658bliebaberweiterhinalsLehrerund imVorstandderStiftungTaubstummenanstaltfürdieHamburgerSchule tätig.DieerstenSchulen,diemitGenehmigungderbritischenMilitärregie rungwiedereröffnetwerdendurften,warendieUnterstufenderGrund schulenunddieSchulenfürimLernenbehinderteKinder–auchdieGe hörlosenschule659.BisderfürdieSchulleitungvorgeseheneFritzSchmidt ausderKinderlandverschickungkam,führtevorübergehendderLeiterder im selben Gebäude an der Karolinenstraße untergebrachten Sprachheil schule,AdolfLambeck,auchdieGehörlosenschule.660 656
Ebd.Sahrhage hatte,andersalsesinanderenStädtenorganisiertwurde,KLVGaubeauf tragtedesNSLBalsKontaktpartnerzwischenHamburgunddenlokalenKLVOrganisationen eingerichtet(Kock,Kinderlandverschickung,S.258).
657
GrundlegendzudiesemKapitel:StaatlichePressestelle,150JahreGehörlosenbildung.
658
StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A1225,LeiterderSchulverwaltunganJankow ski24.7.1945.Pensioniertwurdeer–alsDirektor–nachVollendungseines65.Lebensjahres am30.4.1946(ebd.,SchulratGustavSchmidtanJankowski25.3.1946).
659
StAHbg,3612VIOSBVI,370,Militärregierung(Comd.609L/RMil.Gov.Det.)anBürger meister19.5.1945.
660
StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A1225,BerichtSchulratGustavSchmidtanSe natorLandahl,PräsesderSchulverwaltung,betreffendJankowski9.8.1945.ÜberJankowski wirddortgesagt,dasser„nieeinAnregerundFördererderTaubstummenbildunggewesen“
Zu Gast in anderen Schulen (1945–1964)
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DerersteSchultagam27.August1945begannfür67gemeldeteKinder, davon20,dienichtinHamburgwohnten,infünfKlassen.AufGrunddes unterschiedlichen Entwicklungsstandes wurden die Schülerinnen und SchülernichtnachAlter,sondernnachlautsprachlichemKönneninKlassen eingestuft.661 Es hatte sich im Schulleben viel geändert. Das alte Schul gebäudewarbisaufdieKellerräume,dieanausgebombteHamburgerver mietetwordenwaren,662 zerstörtworden.NurfünfLehrkräftewarenwie der anwesend. Vier Lehrer waren pensioniert,663 zwei Lehrer waren zur Wehrmachteinberufenwordenunddortgefallen(FritzBartels undWil helmBandholt)undeineLehrerinwarmitdemvonrussischenUBooten versenktenFlüchtlingsschiff,der„WilhelmGustloff“,untergegangen(Ella Catter).UndesgabLehrer,dienichtmehrkommenkonnten,weilsie–wie beschrieben–zuOpferndesNationalsozialismuswurden,entwederweil sieals„nichtarisch“klassifiziert(DorotheaElkan)oderweilihnen„mar xistischeUmtriebe“nachgesagtwordenwaren(AlfredSchär). DirektorindieserZeitdesWiederaufbauswurde–zuerstbis1947kom missarisch–FritzSchmidt,664derdieKinderwährendderZeitinderKin derlandverschickungbetreuthatte.ErhattebeiElternundLehrerneinen sei.ErhabesichderalsNebenbeschäftigungzugelassenenLeitungdesInternatsmehrgewid metalsderSchule.SeinDesinteressezeigtesichauchdarin,dasserKinderindieKLVbeglei tethatte,mitdemgleichenZugaberwiederzurückfuhr,ohnedasLagergesehenzuhaben oderdieKinderzumLagerstandortbegleitetzuhaben(Pehle,LeiterdesAmtesfürVolks wohlfahrtderNSDAP,anSahrhage13.12.1944).–ZuLambeckseierwähnt,dasserspätestens seit1938GaufachschaftsleiterfürSonderschulenimGauamtfürErzieher(NSLB)derNSDAP undinden1940erJahreninderSchulverwaltungtätigwar(StAHbg,3613SchulwesenPerso nalakten,A1225;HamburgischesLehrerverzeichnisvon1938/39).ZuLambecksStellungzum NSStaatvgl.auchseineÄußerungenzumGzVeNimKapitel4.3.4undS.142. 661
StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Mappe5„BunddeutscherTaub stummenlehrerSchriftverkehr“(Ablieferungsverzeichnis),FritzSchmidtanGehörlosenschule Essen25.11.1945.EsunterrichtetendieLehrerJankowski,Schmidt undMartens (letztererab Oktober1945)sowiedieLehrerinnenHarnack(geb.1889)undReinmann(geb.1894).Diekin derlandverschicktenSchülerinnenundSchülerwarendenandereninderSprachfähigkeitweit voraus,dasielängerundintensiverunterrichtetwordenwaren(StAHbg,36210/3Samuel HeinickeSchule für Gehörlose, Protokollbuch 1945–1948 (Ablieferungsverzeichnis Nr. 15), S.2:Lehrerkonferenzvom23.8.1945). 662
StAHbg,3518Stiftungsaufsicht,B893,Vermerkvom11.2.1948.
663
SchmidtgibtalsGründederPensionierungKrankheitbzw.ErreichungderAltersgrenzean (StAHbg,362–10/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Protokollbuch1945–1948(Abliefe rungsverzeichnisNr.15),S.2:Lehrerkonferenzvom23.8.1945).
664
StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A1375.
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gutenRuf,hattegrundlegendeSchriftenundVorträgezumnaturwissen schaftlichenUnterrichtgehörloserSchülerpubliziert–seineumfangreiche Lehrmittelsammlungwurde1943zerstört–undberiefimJuli1946dieerste ZusammenkunftvondeutschenTaubstummenlehrkräftennachdemKrieg inHamburgein.ErwarderjüngsteLehreranderSchuleundhattetrotz demeinelangeBerufserfahrung.SoschienerdergeeigneteMannfürdie Schulleitungzusein. Die erste Notunterkunft fanden Kinder und Lehrkräfte im Gebäude derSprachheilschuleKarolinenstraße35.IndiesemGebäudewarbis1939 dieMädchenschulederdeutschisraelitischenGemeindeundvon1939bis 1942 die zwangsweise vereinigte jüdische Schule für Jungen undMäd chenzuHausegewesen.665DiebritischeMilitärregierungüberprüftezum SchulstartsämtlicheSchulen,inwieweitnochnationalsozialistischeTen denzenzuspürenseienundoballenAnweisungenderMilitärregierung Folgegeleistetwürde.DerBerichtanlässlicheinersolchenRevisionder SchulederTaubstummenanstaltimFebruar1946gibteinBildvonden Lebens und Unterrichtsverhältnissen nach Ende des Krieges.666 Das SchulhauswurdetrotzderwinterlichenKältenichtgeheizt,sodassdie KinderderSprachheilschuleundderGehörlosenschulenurzweimalin derWocheindieSchulekamen,umsichHausaufgabenabzuholenund dieerledigtenAufgabenkorrigierenzulassen.EinregelmäßigerSchulbe suchwarnichtmöglich.G.M.Ellis,dieimAuftragderbritischenMilitär regierungdieRevisiondurchführte,warzuerstbeiderSprachheilschule zuBesuch,fragtenachOrganisation,SchwierigkeitenbeiderBelieferung mitUnterrichtsmaterialundnachwelchemPlanGeschichtsunterrichtge gebenwerde.SieüberzeugtesichvomschlechtenZustanddesGebäudes undsagteihreHilfebeiReparaturarbeitenzu.Konkretbemängeltesie, dass kein Fensterglas vorhanden war, sich aber die Wandbilder hinter Glasbefänden.AußerdemsahsieesalsLuxusan,dassdieMütterder Kinder beider Schulen bei den zweimal wöchentlich stattfindenden SchultagenineinemeigenenRaumaufihreKinderwarteten.Lambeckals Leiter der Sprachheilschule konnte Ellis von der Notwendigkeit dieser Einrichtung überzeugen, denn schließlich könne die Schule die Mütter 665
Vgl.dasKapitel4.3.6überdasEndederSchuleanderBürgerweide.
666
StAHbg,3612VIOSBVI,16,BerichtderSprachheilschuleandieSchulverwaltungüber eineRevisionderSchuleKarolinenstraße35durchG.M.EllisvonderbritischenMilitärregie rungvom8.2.1946.
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nichtimWinterfürzweiStundenaufdieStraßeschicken.Ellishattekei neweiterenBeanstandungen.EineWochespäterbesuchtesieindemsel benGebäudedieGehörlosenschule667 undbefragteeineStundelangdie anwesenden Lehrkräfte über Anzahl der Schüler, der Klassen, welche Lehrerunterrichteten,wiederLehrplanausseheundobdieVersorgung mitLehrmittelngesichertsei.AnschließendbesuchtesieeinigeKlassen undsahsichdenArtikulationsunterrichtdesehemaligenSchulleitersJan kowski an.Sie ließsichdavonüberzeugen,dassBücher,diefürVolks schülergeschriebenwordenwaren,nurbedingtfürdenUnterrichtgehör loserKinderbrauchbarseien.Dadasalte,fürgehörloseSchülergeschriebene SchulbuchvonderbritischenMilitärregierungnochnichtwiederfürden Unterrichtgenehmigtwar,668musstendieSchülerimprovisieren.Siebas teltensich,wieinderFrühzeitderSchule,ihreFibelnselbst.Künftigsoll tederUnterrichtbeibesserenWitterungsbedingungentäglichvon10bis 15Uhrstattfinden–andereZeitenwarenwegenderVerkehrssperrenicht möglich.SchulleiterSchmidt,dersichmitdemVorstandseitdenersten TagendesUnterrichtsdafüreingesetzthatte,dasInternatwiederaufle benzulassen,versuchteauchEllis davonzuüberzeugen,dassesdrin genderforderlichsei,eineigenes,genügendgroßesGebäudefürSchule undAnstaltzuerhalten.Erargumentierte,dassdieauswärtigengehörlo senKinderschonseitfastdreiJahrenunbeschultseien,dafürsiekeine Unterbringung in Hamburg möglich sei. Ellis versprach auch hier ihre Hilfe.Weitererfuhrsie,dassdieTurnhallevermietetwarundsomitfür denTurnunterrichtnichtgenutztwerdenkonnte.BeigutemWetterturn tendieKinderaufdemHof.ZuderZeitbekamennurzehnProzentder SchülerinnenundSchülerinderSchuleihrMittagessen.Normalitätwar längstnochnichteingekehrt.FürSchülerinnenundSchüler,dieOstern 1946 ihre Schulpflicht beendet hatten, wurde mit Rücksicht auf die 667 Ebd.,BerichtdesSchulleitersderGehörlosenschuleanSchulratGustavSchmidtüberden InspektionsbesuchvonEllisvom14.2.1946. 668
Das„ReichslesebuchfürGehörlosenschulen“war1938eingeführtworden(StAHbg,3617 StaatsverwaltungSchulundHochschulabteilung,402323).Am23.5.1945hattedieSchulbe hördeverfügt,dassalleLehrbücherunterVerschlusszunehmenseien,bevoram30.7.1945aus BüchereienundLehrmittelsammlungenderSchulennationalsozialistischeVeröffentlichungen entferntwurden(StAHbg,36210/2SprachheilschuleZitzewitzstraße,BerichtüberdieTagung derVertreterderSchulenfürGehörundSprachgeschädigteinderbritischenZoneDeutsch landsvom18.und19.7.1945inHamburg,VortragvonDr.SchmählüberLehrbücher,Lernbü cher,Fachbücherei,S.8).
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schlechteArbeitsmarktlageunddievielenUnterrichtsausfälleeinneuntes Schuljahrangeordnet.669 AuchdiereligiöseErziehungderKinderwurdebaldwiederaufgenom men.VordemKrieghattenErzieherundPastorenim„Reichsverbandder Taubstummenseelsorge“zusammengearbeitet,nunwarderVerbandauf gelöst,undeinPastorbetreutediegehörlosenMenschenallein.6701928leb tencirca1.000GehörloseinHamburg,diereligiösbetreutwurden,also SeelsorgeundspezielleGottesdiensteerhielten.DieZahlderGehörlosen, diePastorFriedrichWapenhensch(1893–1962)nachdemKriegkirchlichzu versorgenhatte,waraufetwa500gesunken–200davonwarenihmder Anschrift nach bekannt.671 Pastor Wapenhensch predigte in Lautsprache undGebärdenundversuchte,inderWahlseinerWorteundinderSatzstel lungsichauchderAuffassungsgabederjenigenseinerGemeindemitglieder anzupassen, die die Lautsprache nur unzureichend beherrschten. Die Konfirmandenkonntenab1946direktanderSchulewährendderSchul zeit unterrichtet werden. Doch auch in der Zeit der Kinderlandverschi ckungwarendieHamburgerKindernichtohnereligiöseBelehrunggeblie ben:WährendderZeitderVerschickunghatteLehrerHeinrichsdorff den KindernReligionsunterrichtgegeben.672 Diezweitenotdürftige,wennauchräumlichgrößereUnterkunftfan dendiegehörlosenKinderab24.April1946inderVolksschuleAnger straße3133.WiederwurdedieSchulevoneinemVertreterderMilitärre gierungbesucht.673 EsfehltedenSchülernnochimmeranLehrbüchern, auchÜbungshefteundBuntstiftegabesnicht.Das1888erbauteGebäude der neuen Unterkunft hatte zwar die Bombenangriffe des Jahres 1943 669
StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Mappe5„BunddeutscherTaub stummenlehrerSchriftverkehr“(Ablieferungsverzeichnis),SchmidtanalleLeitungenderGe hörlosenschulendesbritischenBesatzungsgebietes9.2.1946.
670
DieAngabenzumThemaReligionstammenaus:StAHbg,36210/2SprachheilschuleZitze witzstraße,BerichtüberdieTagungderVertreterderSchulenfürGehörundSprachgeschä digteinderbritischenZoneDeutschlandsvom18.und19.7.1945inHamburg,Vortragvon PastorWapenhensch,Bl.14. 671
Ebd.,ZahlenvonJuli1946.
672
StAHbg,36210/2SprachheilschuleZitzewitzstraße,BerichtüberdieTagungderVertreter der Schulen für Gehör und Sprachgeschädigte in der britischen Zone Deutschlands vom 18.und19.7.1946inHamburg,Bl.14f.:VortragvonPastorWapenhensch.
673
ÜberdieZeitinderAngerstraßesieheStAHbg,3612VIOSBVI,24Band2,Inspektionsbe richtvonM.R.CameronimAuftragderMilitärregierunganSchulratSchmidtvom22.6.1946.
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überstanden,waraber–wiedasvorigeinderKarolinenstraße–ineinem schlechten baulichen Zustand: Das Dach war undicht und im oberen StockwerkwarenvieleReparaturennötig,umeinengeregeltenUnterricht durchführenzukönnen.EsfehltenzumBeispielTürklinken,meistsogar dieganzeTür.AuchwennzuderZeitzweidersechsanderSchuleunter richtenden Lehrer im Schulgebäude wohnten, war dennoch an die ge planteWiedereinrichtungdesSchülerheimsnichtzudenken.Alleindie regelmäßige Stromversorgung war ermöglicht worden. Im April 1946 wurden61KinderinsechsKlassenunterrichtet.SeitdemEinzugindas VolksschulgebäudekonntenwenigstensalleKinderanderSchulspeisung teilnehmen,sodassdieGesundheitderSchülerinnenundSchülersichge besserthatte.
Abbildung 40: Hamburger Schüler der Gehörlosenschule mit Essgeschirr, um 1947
DieInspektionbemängeltenurnochdasdürftigeSchuhwerkderKinder. TurnunterrichtkonnteinzwischenzweimalinderWochegegebenwer den. Übungen wurden in der Klasse oder auf dem Hof geturnt, denn
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auchhierwardieSporthalledurcheineFirmabelegt.Währenddesnor malenUnterrichtssaßendieKinderwiegewohntimKreis,umsojeden ansehenzukönnen,deretwassagte.DieLehrkräftewurdendurchden Inspektoralssehrgeduldigundfähigbezeichnet,Spurennationalsozia listischenGedankengutskonntennichtausgemachtwerden. ImAugust1946wurdeimZugederVerlegungderGewerbeschulen, dieauchdasSchulgebäudeinderAngerstraßebeanspruchten,einUm zugderGehörlosenschuleindasErdgeschossunddenerstenStockder VolksschuleBurgstraße33notwendig.674DieSchulestimmtediesemUm zugnurunterderBedingungzu,dassdasWirtschaftsamt,welcheszuder Zeit noch die Erdgeschossräume der Schule an der Burgstraße bean spruchte, am 1.August ausziehen würde. Doch die Räumung erfolgte, nachdemdieGehörlosenschuleindieBurgstraßeumgezogenwar,weder am 1. August noch zum zweiten Räumungstermin, dem 3. Oktober. Schulleiter und Elternrat beschwerten sich bei der Schulverwaltung,675 dennanstattdiedringendnotwendigeErweiterungderSchuledurchden Umzugzuerreichen,hattensichdieVerhältnisseimGegenteileherver schlechtert.IndemBeschwerdebriefwurdedieNotwendigkeitdesEinbe ziehensdernochvomWirtschaftsamtbelegtenRäumeindenSchulbetrieb derGehörlosenschulemitdemgroßenPlatzmangelbegründet.Gehörlo senschulklassenbrauchteneinfachmehrFläche,dawenigerKinderinei nerKlasseunterrichtetwerdenkonnten.676
674
DieAngabenzurSchuleinderBurgstraßein:StAHbg,3612VIOSBVI,187Band5.
675
Ebd.,SchulleiterSchmidt undfürdenElternratJohannesReise andieSchulverwaltung 23.4.1947. 676 SechsKlassenderGehörlosenschulemusstenimWinter1946/47inderSprachheilschule RostockerStraße62untergebrachtwerden(StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchule,Map pe 15 [Ablieferungsverzeichnis] Lehrerkonferenzen 1945–1948, Konferenzen vom 15.1.1947 und18.1.1947).
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Abbildung 41: Gehörlose Schüler auf dem Schulhof der Schule Burgstraße (hier Eingang Ritterstraße), 1950
NeueRäumeseiendringendnotwendig,auchdamiteinSchülerheimfür dienun15schulpflichtigengehörlosenKinderausHamburgsUmlander bautwerdenkönne.EinSchichtunterrichtbeijetztschonsiebenKlassen sei auf Grund weiter Schulwege und nachkriegsbedingter Verkehrsver hältnisse–88ProzentderGebäudeimUmfeldgaltenalsvölligzerstört und zwölf Prozent als „schwer beschädigt“677 – nicht möglich. In der 677
Brunswig,Feuersturm,S.404.DiegroßenLuftangriffeaufHamburgimJuli1943trafenvor allemdieGegendumHamm,BorgfeldeundHammerbrook.DiesebevölkerungsdichteGe gendwareinArbeiterviertel,indemindenNächtendesgroßenBombardementsdurchdie englischeAirForceüber40.000Menschenumkamen.ZudiesemThemenkomplexsiehe:Hau schildThiessen,Katastrophe.IndiesemBuchschilderteinAugenzeuge(OskarWeber,Das EndedesHausesMittelstraße32,in:ebd.,S.63–69),dassdieganzeGegendnurausTrümmern
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Die staatliche Taubstummenschule
VolksschuleBurgstraßewurdezudieserZeitauchnocheineHilfsschule beherbergt,undaufdemSchulhofstanden30Wellblechund16Nissen hütten,indenenausgebombteHamburgerinnenundHamburgerwohn ten.ZahlreicheMenschenhattensichinderehemaligenTurnhalleoderin anderenSchulräumeneineWohnunggeschaffen.Sodringendeineigenes Gebäudegebrauchtwurde,begannendocherstimApril1956erstekon krete Verhandlungen über einen Neubau für die Gehörlosenschule in Wandsbek,dessenersterBauabschnitt1964–zweiJahrzehntenachder ZerstörungdeseigenenGebäudes–eingeweihtwurde. NachdemnochimFebruar1947dieSchulewegenKohlenmangelsge schlossenwerdenmusste,678normalisiertensichdieVerhältnissebald.Von 1948 bis 1950 ging die Entwicklung der Schule – trotz aller vor allem räumlichenProbleme–mitgroßenSchrittenvoran:Dasallgemeineneun teSchuljahrwurde–gleichzeitigmitdenanderenHamburgerSchulen– eingeführtundVersuchsklassenfürmehrfachbehindertegehörloseKin der wurden eingerichtet. Durch das Schulgesetz vom 25. Oktober 1949 wurdefestgelegt,dassbehinderteKinder,dieindenNormalschulennicht genuggefördertwerdenkonnten,Sonderunterrichtbekommensollten.679 InderFolgestiegdieAnzahlderSchülerinnenundSchüleranderGehör losenschule.1951wurdeauchderKindergartenalsEinrichtungderJu gendbehördewiedereröffnetunddiepraktischeAusbildungdesLehrer nachwuchsesanderSchuleübernommen.DieStudierenden,dieander Hamburger Universität das wissenschaftliche Studium aufnahmen, um späterGehörlosenlehrkräftezuwerden,kamenausallenTeilenderBun desrepublik und wurden an der Gehörlosenschule in die Praxis einge führt.
bestandund„alleindiegroßeSchuleBurgstraßeeinigermaßenheil“ausdemTrümmerfeld ragte. 678
StAHbg,36210/3 SamuelHeinickeSchule, Mappe 15 (Ablieferungsverzeichnis) Lehrer konferenzen1945–1947,Konferenzvom12.2.1947.
679
HansDuus,DieHamburgerSonderschulen,in:JohannesWulff,Gehörlose,schwerhörige undsprachkrankeSchülerinHamburg.EhrengabederSchulbehördederFreienundHanse stadtHamburgfürdieTeilnehmerderGemeinschaftstagungfürallgemeineundangewandte Phonetikanläßlichdes50jährigenBestehensdesPhonetischenLaboratoriums,Hamburg1960, S.8–10,hierS.8.
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Abbildung 42: Naturkundeunterricht mit Otto Schmähl, 1952/53
In den folgenden Jahren erlangte die Schulesomanche öffentlicheAuf merksamkeit.1952übertrugdasNDRFernsehenliveAusschnitteauseiner ArtikulationsstundesowiedasPantomimenundSchattenspiel„Maxund Moritz“.FürdieWeihnachtsfeier1959,dieinderVolksschuleAngerstraße veranstaltetwurde,zogenKinderundErwachsenederSchuleineiner„Lei terkarawane“durchdieStraßenvonderBurgstraßezurAngerstraßemitall denzumFestnötigenKostümenundRequisiten.IndiesemJahrzehntgab es einige Weiterentwicklungen: 1955 richtete die Hamburger Volkshoch schule Sonderkurse für Gehörlose ein, die im Gebäude der Gehörlosen schulestattfanden:KurseüberDeutscheSprache,Rechtswesen,ErsteHilfe undVerkehrserziehungzumErwerbdesFührerscheinswurdenHambur gerGehörlosenangeboten.DieseKursewarensehrbeliebtundinderRegel überfüllt,sodasseinzelneKursegeteiltwerdenmussten.Fürdas–bisda hineingeschränkte–Recht,amStraßenverkehralsAutoundMotorradfah rerteilzunehmen,musstenGehörlosekämpfen.UmdieÖffentlichkeitzu informieren,wurde1956der„HamburgerGehörlosenMotorclub“gegrün det–wienötigdieswar,zeigteineZeitungskampagneausdemJahr1960, dieeinGesetzforderte,welchesGehörlose„zuihrereigenenSicherheit,zur
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allgemeinenSicherheitvomSteuerfernhalten“sollte.680 AlsProtestgegen diesenArtikelkameszueinerdererstenDemonstrationenvonGehörlosen überhaupt.681 InderSchuleBurgstraßewurdeimFebruar1960eineGehörlosenbüche reieingerichtet,dieallerdingsnurbisEnde1961bestand.682Esgab1960an derGehörlosenschule13Klassenmit115Schülern.WeitereNeuerungen ließendieBedeutungderSchulewachsen,sowiedieEinrichtungeinesfrei willigen10.Schuljahres:InHamburgkonntemitderBegabtenförderung begonnenwerden.NeunausgewählteSchülerinnenundSchülerausden Volksschulklassen7und8wurdenmitdemZieldesErwerbsderMittleren ReifeinklusiveErlernenderFremdspracheEnglischausgewähltundinder AufbauklasseA7zusammengefasst.HamburghattedamitdiezweiteSchu leinderBundesrepublik,andergehörloseSchülerinnenundSchülerihren Realschulabschlusserwerbenkonnten.KlassenlehrerwurdeHellmuthStar cke.683BegabtegehörloseKinderausallenBundesländernkamenjetztnach Hamburg,umhierihrenAbschlusszumachenundumsoaufneueBerufe alsdiefürGehörlosebisdahintypischenHandwerksberufehinzuarbei ten.684AusdieserRealschulklassebildetesichaucheineLaienspielgruppe, dieerfolgreichTheaterstückeinszenierteundaufführte–fürHörendemit Simultanübersetzern.DieGruppegestalteteFeiern,tratimFernsehenauf undspieltejedesJahrbeiderWeihnachtsfeierderMitgliederderHambur gischenStaatsoper,derenTheaterfundusihnenfürihreAufführungenzur Verfügungstand.EineehemaligeBallettmeisterinderStaatsopergabder GruppeHinweisefürihrSpiel.DieMitgliederdieserLaientheatergruppe trateninnorddeutschenStädtenmitGastspielenaufundwurdensorecht bekannt.EinebreiteÖffentlichkeitwurdeangesprochenundsodasVer ständnisfürGehörlosegeweckt.AberauchdiefinanzielleSeitekamnicht zukurz:DurchSpendeninfolgederöffentlichenAufmerksamkeitwurde derBaudesGehörlosenKulturzentrumsmitgefördert.685 680
Kampagneder„BildamSonntag“.ZitiertnachHannen,Gehörlosenbewegung,S.108.
681
Ebd.,S.109.
682
StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Mappe6(Ablieferungsverzeich nis),HamburgerÖffentlicheBücherhallenanMaeße24.2.1960undNotizvom23.12.1961.
683
Erwurde1969Schulleiter.
684
HamburgerAbendblattvom26.5.1977.
685
ZumKulturzentrumsieheKapitel8dieserArbeit.DasTheaterspielenwarstetseinebeson dereHerausforderung.ZuallenZeitengabesgehörloseSchauspielgruppen.Seit1990gibtes
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NachderEinrichtungeines10.SchuljahresimJahr1960wurdedreiJah respäteraucheinefreiwillige11.FörderklassefürBegabteanderSchule fürGehörloseeingerichtet.686InErwartungeinerAufbauschulefürGehör losewar1959einElternkontaktzwischenHamburgundSchleswigentstan den,dem1961auchHildesheimbeitrat.DieerstegroßeTagungderEltern vertreter norddeutscher Taubstummenanstalten und Gehörlosenschulen fandimNovember1961inHamburgstatt,aufderdieElterndenoffiziellen Zusammenschlussproklamierten.687 DieseArbeitsgemeinschaftunterFüh rungdesHamburgerElternratvertretersDr.HerbertFeuchte (1914–1996) setztesichfürihregehörlosenKinderein,indemsiezumBeispielGesprä chemitFernsehvertreternüberGehörlosenschulfernsehenführte.688 Inder HauptsachewolltesiedieSchuleninallenBereichenunterstützenundbei Problemenhelfen.BalddehntesichdieseArbeitsgemeinschaftbundesweit aus.TagungeninformiertenundunterrichtetenEltern,zumBeispielüber denWertderFrüherfassungundförderung.AuchÄrzteundLehrerschaft beteiligtensichandenVersammlungen.Da90ProzentderElterngehörlo serKinderselbsthörendsind,warendieseVeranstaltungen,wieauchdie derErzieherundLehrkräfte,aufdenOralismushinausgerichtet.Undso sehrsie„immernurdasBeste“fürihreKinderundSchützlingewollten,so wurdedochübersehen,dasssichinzwischeneineeigeneWeltderGehörlo senentwickelte,eineeigeneKultur,indergehörloseKinderselbstbewusst undfreierwerdenkonnten.Langewurdedasverdrängt.Eswurdenicht mit Gehörlosen,sondern über siegesprochen.AusdruckfindetdieseEin inHamburgdas„VisuelleTheaterHamburg“,dasTheaterstückeoderGedichteinGebärden sprachebzw.einerbesonderenpoetischenGebärdensprachevorträgt. 686
StAHbg,3612VIOSBVI,2986Band1,SchulratskonferenzNr.14vom19.7.1963,Schulrat HansDuus.
687
StAHbg,3612VIOSBVI,709,Bl.99f.:BerichtvonHellmuthStarckeüberdieTagungder Elternvertreteram26.und27.Mai1962inOsnabrück.
688
OberstudienratDr.HerbertFeuchte,VatereinesgehörlosenKindes,widmetesichmitviel EngagementdenGehörlosen,warVorstandsundhäufigauchGründungsmitgliedinregiona lenundüberregionalenElternvertretungenundGesellschaftenzurUnterstützungGehörloser (imVorstandderStiftungTaubstummenanstalt,derFamilieMadjeraStiftung,derGesellschaft zurFörderungderGehörloseninHamburg,derdeutschenGesellschaftzurFörderungder HörSprachGeschädigten,diealsMitgliedauchdieArbeitsgemeinschaftderElternvertreter DeutscherTaubstummenanstaltenundGehörlosenschulenhatte).Feuchtewarrichtungswei sendfürdieHamburgerGehörlosenfürsorge.UnteranderemwarerauchMitbegründerdes KulturundFreizeitzentrumsfürGehörloseundhattedenVorsitzimStiftungsverbundmehr fachbehinderterGehörloser,SchwerhörigerundTaubblinder.
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stellungineinemEigenlobderLeiterindesBremerKindergartens,dieauf derElterntagung1963ihre„gebärdenfreieErziehung“betonte.Schondie KindergartenkinderwurdenmitHilfeelektrischerHörgeräteunddesmög lichstfrühenÜbensdesAbsehensalleinindasErlernenderLautsprache eingeführt,währendGebärdenweitgehendausgeklammertblieben.689 Bereitsinden1950erJahrenmischtensichmehrundmehrFachärztefür HalsNasenOhrenMedizin in das Leben der Gehörlosen. Durch techni scheWeiterentwicklungwurdenHörgeräteunddamitdiegenaueDiagno se des Schwerhörigengrades auch für die Gehörlosenpädagogik immer wichtiger.1950hattenbereitsHNOÄrztederGesundheitsbehördeeinen Vorschlag zur Errichtung eines Zentralinstitutes für Gehörlosenberatung vorgelegt.DiesessolltezurRegistrierung,Beratung,Funktionsprüfungdes Gehörs mitDiagnose und Empfehlungen für Maßnahmen dienen.690 Die Hörgeräteanpassung vor allem bei Schwerhörigen hatte seit Einrichtung derSchwerhörigenschuleindenHändendesdortigenDirektorsgelegen, ab 1920 wurde sieAngelegenheit des Bundes der Schwerhörigen, bevor 1938dieSozialbehördemitderEinrichtungeinerGehörbehindertenfürsor gedieseAufgabeübernahm.DieÄrztedesUniversitätskrankenhausesEp pendorfwurdenzurBegutachtunghinzugezogen.691Diesehieltenesnicht fürrichtig,dieimmerwichtigerwerdendeHörgeräteberatungderSozialbe hördezuüberlassen.692 SowurdeaufDrängenderÄrzteschaftdieBera tungsstellederSozialbehördeab1.Januar1951umeinemonatlicheärztli cheSprechstundeerweitert,dieeinHNOFacharztehrenamtlichübernahm und die bald auf eine wöchentliche Tätigkeit ausgeweitet wurde.693 Das Bundessozialhilfegesetzvom30.Juni1961untermauertedieForderungen derÄrzte.Esbestimmte,dassauchBlinde,Seh,HörundSprachbehinderte unterdiesesGesetzfielen,welcheszuvornurdenKörperbehindertenzuge dachtwar.694 EsmussteeinezentraleBeratungsundBetreuungsstellege 689
StAHbg,3612VIOSBVI,709,Bl.131.
690
StAHbg,3526Gesundheitsbehörde,1271Band1,PrivatdozentDr.HansE.Zangemeister anGesundheitsbehörde10.7.1950. 691
Ebd.,Sozialbehörde,ArbeitsfürsorgeanGesundheitsbehörde31.7.1950.
692
Ebd.,Dr.FriedrichBödecker,derspäterdasEhrenamtderberatendenärztlichenSprech stundederSozialbehördeübernahm,anGesundheitsbehörde16.2.1951.
693
Ebd.,NotizEdithRöder,OberinspektorinderGesundheitsbehörde,8.3.1951.
694
StAHbg,3526Gesundheitsbehörde,1270Band1,SozialbehördeLandesfürsorgeamtan Gesundheitsbehörde24.7.1961.
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schaffenwerden,wiesieesfürdieKörperbehindertenbereitsindeneinzel nenGesundheitsämterngab.AlsvertrauensärztlicheDienststellefürMen schen mit Hörbehinderung wurde die HNOKlinik des Allgemeinen KrankenhausesSt.Georgeingeschaltet.695Am15.Mai1963nahmdanndie „BeratungsstellefürBlinde,Seh,HörundSprachbehinderte“unterder LeitungdesKinderarztesDr.HellmutKellner ihreTätigkeitauf.696 Dieser sahdasZielseinerBeratungsstelleimErfassenderKinderdurchFürsorge rinneninderKleinkindberatungundinderZuführungdieserKindermit ihrenElternzurBeratungsstelle.Esfolgte„sodannfroheZusammenarbeit dersonderpädagogischen,fachärztlichen,kinderärztlichen,fürsorgerischen und verwaltungstechnischen Maßnahmen zum Wohle jedes behinderten Kindes“.697EineErfassunggehörloserKinderwarinderVergangenheitbe reits1911durchdasGesetzzurBeschulungblinderundtaubstummerKin derpraktiziertworden.698Ärzte,Pfarrer,FürsorgerinnenundLehrerwaren zur Auflistung gehörloser Kinder vorgesehen. Durch Verordnung vom 17.April1924wurdedannauchinHamburgdieSchulpflichtfürgehörlose Kindervom7.bis15.Lebensjahreingeführt.AllegehörlosenKinderwur dendamalsjedesJahrzueinemfestenTermingemeldet.699 DasErfassen undMeldenwurdewiederalseinesderZielederneuenBeratungsstelle festgehalten.DieseneueBeratungsstellewarfürKindergedacht,während dieschonvorherexistierende„BetreuungsstellefürBlindeundTaubstum me“ in der Sozialbehörde eher Anlaufstelle für Erwachsene war. 700 1961 wurdedanneineGesamtverkabelungderKinderdurchelektroakustische Hilfsmittelgeprüft.ZumerstenMalbekameineganzeKlassederHambur ger Gehörlosenschule, auch die volltauben Kinder, kollektiv Einzelhör 695
Ebd.,NiederschriftderBesprechungvonVertreternderGesundheits,Sozial,Schulund Jugendbehörde6.12.1961.
696
Ab1.9.1964übernahmseineStelleeineFachärztinfürPsychiatrie.
697
StAHbg,3526Gesundheitsbehörde,1270Band2,Bl.15:ReferatDr.KellnerausAnlassder Arbeitstagung der Arbeitsgemeinschaft für Sprachheilpädagogik über die Arbeit der Bera tungsstelle27.11.1963.
698
GesetzbetreffenddieBeschulungblinderundtaubstummerKindernebstAusführungsan weisungen,Berlin1912.
699
StAHbg,3526Gesundheitsbehörde,1271Band1,SchulratDr.Jeiler,HandbuchdesVolks schulwesens,1928.
700 DieGehörlosenschuleunddieBeratungsstelleunterstütztensichgegenseitiginihrerAr beit.
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apparate.AußerdemwurdeeineVerstärkeranlageindenKlassenraumein gebaut.AnsonstenwurdedieHörerziehungvonKindernmitHörrestenin Sondergruppen durchgeführt, während Kinder ohne Hörreste während dieserZeitSprach(Sprech)stundenerhielten.701 4. 4. 2 D ie Bem ühu ng en u m den Wied era u fba u des Int e rnats Die ersten Bemühungen des Vorstands der ehemaligen Milden Stiftung Taubstummenanstalt um die Wiedererrichtung eines eigenen Schulbaus mitInternatdatierenindasJahr1949.Am10.November1949saßendie VorsitzendenderStiftungmitVertreternderWiederaufbaukasse,derFi nanzbehörde,derJugendfürsorgebehördeunddesDeutschenHilfswerks zusammen,umdasweitereVorgehenzubesprechen.702KonkreteBeschlüs sekonntennochnichtgefasstwerden,aberfürdieZukunftwurdeeinIn ternatmitzweiSchlafräumenfürdieKinderderGehörlosenschulevorge sehen. Vorausgegangen war ein Brief des Vorsitzenden derStiftung, Dr. GüntherMarr,dernacheinemEntwurfdesehemaligenSchulleitersJan kowski einSchreibenandieSozialbehördegeschickthatte,indemerdie SituationdergehörlosenSchülerschilderteunddieBehördeumUnterstüt zungbat.703MarrbeschriebindiesemBriefdasEndedesaltenInternats,in dem1943zuletzt32Kindergelebthatten.AngegliedertwardortderTages hortmit15bis20SchülernfürKinderberufstätigerEltern.NachderZer störungvonSchuleundAnstaltwurdeversucht,diegehörlosenKinder außerhalbHamburgszuunterrichten,dochwardiesemUnternehmenkein Erfolgbeschieden,dawederinHamburg,nochinHamburgsUmgebungge eigneteRäumegefundenwurden.SowurdedasInternat1943geschlossen. AuchnachKriegsende,alsdieSchuleihreArbeitwiederaufgenommen hatte,kamennichtalleKinderzumUnterricht,davieleFamilien,dieaus 701
StAHbg,3612VIOSBVI,Abl.1981/2,699,BerichtüberBesprechunginderSozialbehörde vom5.6.1995überGehörlosenundSchwerhörigenFragen19.6.1961.ImNeubauhatte1964 jedeKlasseelektroakustischeHöranlagen.
702 HierundimFolgenden:StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Map pe9(Ablieferungsverzeichnis),Taubstummenanstalt,Kinderheim,hier:Aktennotizo.D. 703
Ebd.,MarranSozialbehördevom26.10.1949undEntwurfvonJankowskivom21.7.1949. Jankowskiwar,nachdemer1945ausseinemAmtentlassenwordenwar,nochbiszuseinem ausGesundheitsgründenerfolgtenAustrittimNovember1956Vorstandsmitgliedderehema ligenStiftung.
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gebombtwaren,nunamStadtrandlebtenunddieKinderdenweitenWeg zurSchulescheuten.EinInternatwurdealsbesteLösungangesehen,um denKinderndenSchulbesuchwiederzuermöglichen.AuseigenenMitteln ein Internat aufzubauen, war der Stiftung Taubstummenanstalt jedoch nicht möglich –nichtzuletztdurchdie Währungsreform1948 besaß sie keinVermögenmehr.DieSozialbehördewurdeumUnterstützunggebeten. SiestanddieserIdeenichtabgeneigtgegenüberunderwartetevonderStif tungVorschlägefürdenStandortdesInternatsundPlänefürdenWieder aufbau. Da das ehemalige Direktorenwohnhaus in seinen Grundmauern noch stand, hoffte der Vorstand der Anstalt, es als Internat wieder her richten zu können; das Bauordnungsamt hatte gegen diesen Plan keine grundsätzlichenBedenken.704 DochdieÜberlegungenzogensichhin:DerEntwurffüreinenWieder aufbaukosteteGeld,dasdieAnstaltnichthatte.Am8.Mai1950drohtedie SozialbehördemitderAuflösungderStiftungTaubstummenanstalt,würde nichtbaldeinPlanvorgelegtwerden.705 NunerhieltdieStiftungvonder DeutschenHilfsgemeinschafteineBeihilfe,sodasseinKostenvoranschlag einesArchitektenfürdenUmbaudesaltenDirektorenwohnhausesinein Heimfür25bis30Internatskindereingeholtwerdenkonnte. 706BeiderSo zialbehördewurdeeinZuschussfüreinengenauerenBauplanbeantragt. DochdannmussteMarrausderZeitungerfahren,dassdieBaubehördedie Räumung und Bergung der Trümmer auf dem ehemaligen Gelände der Taubstummenanstalt durchführenwollte.707 Auch die stehen gebliebenen TeiledesGebäudes,diezurWiederverwertungvorgesehenwaren,sollten abgerissenwerden.ErneutwurdeeineBesprechungmitsämtlichenzustän digenBehördennötig.EineweitereLösungwurdeinAugenscheingenom men:ImneueinzurichtendenHeimderJugendbehördeamHornerWeg sollte abApril 1952 Platz für zehn bis fünfzehn gehörlose Kinder über gangsweiseeingerichtetwerden.708
704
Ebd.,MarranDeutscheHilfsgemeinschaftvom5.5.1950.
705
Ebd.,SozialbehördeanMarr8.5.1950.
706
Ebd.,DeutscheHilfsgemeinschaftanMarr26.5.1950.
707
AmtlicherAnzeigerNr.179vom2.10.1950.
708
StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Mappe9(Ablieferungsverzeich nis),Taubstummenanstalt,Kinderheim,Dr.KäthePetersen,OberregierungsrätinderSozialbe hörde(Landesfürsorgeamt),anMarr27.12.1951.
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InzwischenwurdedieTaubstummenanstaltindenJahren1948bis1952 immer wieder ermahnt, Grundsteuern für das brachliegende Trümmer grundstückanderBürgerweidezuzahlen,wozusieabernichtinderLage war.DerVorstand wollte eine endgültigeLösungabwarten,konnte sich wederzurRäumungnochzumVerkaufentschließen.EinneuerPlanwur deerarbeitet:DieGehörlosenschulesollteausihremBesucherdaseininder SchuleBurgstraßeerlöstwerdenundeineigenesSchulhauserhalten,wo dannauchdasInternatPlatzfindensollte.DasalteBürgerweidengrund stücksolltemiteinemGebäudefürdieSozialverwaltungbebautwerden. DieIdeewar,dassdieStadtaufSteuernundAbgabenfürdasGrundstück verzichtete,dafüraberderAnstaltdasGeländesamtdaraufbefindlichen Ruinenübertrug.709WenndieSchuleeinenNeubaubekäme,könntedasIn ternat auf demselben Grundstück liegen, und traditionelle Verhältnisse könntenwiederrealisiertwerden.DochauchjetztstocktendiePlanungen fürdenSchulneubauimmerwieder.NachdemfürdasinBaubefindliche HeimamHornerWegdieUnterbringungvongehörlosenKindernzuge sagtwordenwar,betrachtetedieBehördedieInternatsfragealsgelöst.Bei einemNeubauderGehörlosenschulesolltegegebenenfallserneutüberdie Wiedereinrichtungberatenwerden.710 DochderVorstandderAnstaltgabsichdamitnichtzufrieden:ImMärz desfolgendenJahresfandenwiederGesprächestatt,indenenMarrandie 17gehörlosenKindererinnerte,diezuderZeitaußerhalbHamburgswoh nen mussten. Die Behördenvertreter verwiesen ihrerseits auf die freien PlätzeimKinderheimHornerWeg,dienichtgenutztwurden,unterande rem,weil–lautAussagederKinderheimleiterin–dieElternihregehörlo senKindernichtineinHeimgebenwollten.SowurdeamEndederBespre chungabermalseinInternatsbauinAussichtgenommen–soferndieSchule einneuesGebäudebekommensollte.711WiedervergingMonatumMonat, dochindenBehördenschiensichnichtszurühren. 712Erst1957setztenkon kreteÜberlegungenfürdieErrichtungeinesSchulneubausein–ohneBe rücksichtigung des Internats. Sofort schickten Vorstand, Lehrer und El 709
Ebd.,NotizübereineBesprechungzwischenPetersenundMarr2.1.1952.
710
Ebd.,SenatorGerhardNeuenkirch(Sozialbehörde)anMarr15.1.1952.
711
Ebd.,Notizvom5.3.1953übereineBesprechungMarrsmitDr.KäthePetersenundOber inspektorHansMüllervonderSozialbehörde.
712
Ebd.,PetersenanSchulbehörde10.3.1953,AktennotizüberBesprechungPetersen,Müller undMarram6.12.1954.
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ternratderSchuleeinenBriefandieJugendunddieSozialbehörde,der dieFolgendesFehlenseinesInternatesschilderte:Kinderwürdeninande reBundesländerumgeschultoderdieSchulpflichtnichterfülltwerden.713 DiesmalkonntensichdieverschiedenenBehördennichteinigen:Während SozialundSchulbehördederMeinungwaren,dasseinInternatfürgehör loseSchülerinnenundSchülernotwendigsei,meldetedieJugendbehörde BedenkenwegendesUmfangsdesVorhabensan.714 DieAnstalt,diesich aufAnregungderSozialbehördedemDeutschenParitätischenWohlfahrts verbandangeschlossenhatte,715 umsounteranderemdurchdessenVer mittlungGelderausMittelnderGemeinschaftshilfezuerhalten,konnte finanzielleUnterstützungbeidenPlanungenanbieten.716Leiderwarweder genugGeldfürdieErrichtungdesInternatsvorhandennocheingeeigneter BauplatzfürdengemeinsamenNeubaukomplexvonInternatundSchule. AberaufeinmaldrängtendieBehörden:SchulundJugendbehördewoll ten eine Entscheidung, ob die Anstalt die Bewirtschaftung übernehmen werde.DasBauvorhabensolltenunstraffdurchgezogenwerden.DieJu gendbehördehattesichfüreinenmodernenNeubaufür30bis40Kinder entschlossenundwolltedieLeitung„erstklassigausgebildetemPersonal“ übergebenundsoeinDeutschlandweitesBeispielfürmoderneInternatser ziehungwerden.717 DerVorstandderAnstaltmussteeingestehen,dassdieMittelzurEin richtungundErhaltungeinesHeimes,erstrechteinesmodernenAnsprü chengenügendenHeimesmithöherenKostenaufGrundkleinererGruppen, mehrErzieherinnenundbesterAusrüstung,fehlten.BereitsimSeptember 1951hattedieVereinigungstädtischerKinderundJugendheime inenger ZusammenarbeitmitderSchulbehördeinderGehörlosenschuleBurgstra ßeeinkleinesTagesheimmit16Plätzenfürgehörlosevorschulpflichtige Kindereingerichtet.13schulpflichtigeKinder,dieausverschiedenenGrün denineinVollheimeingewiesenwerdenmussten,wurdenimKinderheim HornerWeguntergebracht.DiesePlätzewurden1956fürdieallgemeine 713
Ebd.,Briefvom31.1.1955.
714
Ebd.,AktennotizüberBesprechungPetersen,SchmidtundMarram23.4.1955.
715
Ebd., Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband an Marr 6.4.1955 und Antwort vom 7.5.1955. 716
Ebd.,AktennotizüberBesprechungPetersen,SchmidtundMarram23.4.1955.
717
Ebd.,AktennotizvonMarro.D.[ca.August1955].
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Einweisungbenötigtundmusstendaherzurückgegebenwerden.Diege hörlosenKindersolltenfürdie„normaleKinderheimbelegung“Platzma chen,alsowurdedas„ProjektInternat“wiederzurSprachegebracht,und derVorstandderAnstalterklärtezwardiegrundsätzlicheBereitschaftfür dieihrangetrageneTrägerschaft,mussteaberwiederauffehlendeGeld mittelhinweisen.718 DiezuerststürmischvorangetriebenenPlanungenfürdenNeubauder Schuleverzögertensichweiter.NochimJuli1957beschwertesichderEl ternratunterdemVorsitzDr.HerbertFeuchtes,dasswederdieaufdemfür denSchulbauvorgesehenGeländebefindlichenBewohnergekündigtnoch dasWohnungsamtwegenderenneuenUnterbringunggefragtwordenwar. DerElternratwargegendenBauinAbschnitten,umVerzögerungenzu vermeiden.719 AlsosolltendieInternatsplanungenzurückgestellt,undder Schulneubauumsoschnellervorangetriebenwerden.ImSeptember1957 fertigtederArchitektderSchule,WilliHöppl,eineBauskizzefürdasHeim an,720 dochwarzudiesemZeitpunktnichteinmaldieRäumungdesBau geländes erfolgt.721 Während der Schulneubau in der Folgezeit trotz der schlechten Behördenkommunikation verwirklicht wurde, war der Inter natsbauanGeldmangelundfehlenderZusammenarbeitgescheitert. DennochwurdederGedankeandieEinrichtungeinesInternatsfürGe hörloselangenichtfallengelassen:1966warendieRaumverhältnissewiedie sanitärenEinrichtungenimSondertagesheimungenügend.DieKinderwa renaufmehrereEinrichtungenverteilt:21gehörloseKinderwareninvier verschiedenenHeimen,16nochnicht,zweiprivatundneunauswärtigun tergebracht:DieBeschulungallerKinderwarnichtgesichert. 722Daherwurde 1969dasInternatalsdritterBauabschnittdesSchulkomplexesgeplant.723 DreiJahrespäter,1972,wurdeeinInternatsbauvomLehrkörperderSa muelHeinickeSchule als nicht mehr notwendig angesehen. Diese neue 718
Ebd.,JugendbehördeanParitätischenWohlfahrtsverband17.10.1956undMarranParitäti schenWohlfahrtsverband17.11.1956. 719
Ebd.,AktennotizüberElternratssitzungam1.7.1957.
720
Ebd.,SchulleiterSchmidtanMarr17.9.1957.
721
Ebd.,Dr.Feuchte(Elternratsvorsitzender)anMarr26.9.1957.
722
StA Hbg, 3612 VI OSB VI, Abl. 1981/2, 699, Maeße an Schulbehörde, Bauabteilung 6.12.1965;SondertagesheimanOberschulratFrank10.3.1966. 723
Hier werden Taubstumme zu lebenstüchtigen Menschen, in: Die Welt Nr. 136 vom 30.6.1964.
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Einstellunggründetesichdarauf,dassauswärtigeKinderpädagogischund finanziellbesserinKleinheimenmitFamiliencharakterundinPflegefami lien untergebracht werden sollten. Die Anzahl auswärtiger gehörloser Kinderhattesichdazuseit1967stetsverringert,dadiesonstaufHam burgangewiesenenRealschülerinnenundschülerinzwischendieAuswahl zwischenmehrerenGehörlosenRealschulzügeninDeutschlandhatten. Die GesellschaftzurFörderungderGehörloseninHamburgunddieFamilie MadjeraStiftungplantenErweiterungenvonInternatsplätzendurchEin richtungneuerKleinheime.724 ImJanuar1981begrüßtederFachkreisder Gehörlosenlehrer in der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW)einenReferentenentwurfzurSchulentwicklungsplanung,derein malmehrankündigte,dieHamburgerGehörlosenschuleineineGanztags schuleumzuwandeln.725Dasistbisheutenochnichtgeschehen. 4 . 4. 3 D er S ch u ln e u b a u – e in e un en d li c h e G es ch i cht e SeitdasalteGebäudeanderBürgerweidezerstörtwordenwar,bemühte sichdieSchuleumeineigenesGebäude.Dochwurdesiestattdessen–wie geschildert–inverschiedenenVolksschulgebäudenuntergebrachtundlitt ständigunterRaumnot.ImFolgendenwirdderlangeWegzumeigenen Gebäudenachgezeichnet. 1956begannendieerstenkonkreterenVerhandlungenmitdenBehörden umeineneigenenSchulbau.ZuerstbatOberschulratWilhelmDresseldas LandesplanungsamtumZuweisungeinerFlächefürdenSchulneubauin derNähederSchuleBurgstraße,alsoinHammNord,wodieGehörlosen schuleseit1946ihrenPlatzgefundenhatte.DadasBezirksamtHamburg MittekeinengeeignetenPlatzzurVerfügungstellenkonnte,wurdedie SuchenacheinempassendenBaugeländeaufdenBezirkWandsbekausge weitet.726ZweiFlächenkameninBetracht,wovonderPlatzanderHinrich senstraße,derzuerstfürdenNeubaufavorisiertwurde,schließlichalszu 724 StAHbg,3612VIOSBVI,Abl.1981/2,700,Bl.4:SchulleitunganBehördefürSchule,Ju gendundBerufsbildung10.3.1972. 725
StA Hbg, 36210/3 SamuelHeinickeSchule für Gehörlose, Mappe 25 (Ablieferungsver zeichnis),Diverses,StellungnahmedesFachkreisesderGehörlosenlehrer(GEW)zumReferen tenentwurfzurSchulentwicklungsplanung,Januar1981,Bl.1. 726
StAHbg,3612VIOSBVI,202Band65,OberschulratWilhelmDresselanLandesplanungs amtderBaubehörde2.2.1956.
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klein für einen zu der Zeit noch in Planung befindlichen Komplex von Schulneubau,InternatundKinderheimerkanntwurde.727Alsoentschieden sichdieBehördenfüreinGebietanderHammerStraßeinWandsbek.Die seswarmitbehelfsmäßigzuWohnraumausgebautenSchreberlaubenbe baut.DernördlicheTeildesGeländesgehörtebereitsderStadt,dersüdli cheTeilsolltedenBesitzernabgekauftwerden.DasGeländeschiengenug PlatzzubietenfürSchuleundInternat,unddasnördlichderEisenbahn streckegelegenenochmitNissenhüttenbebauteGeländedesehemaligen EilbekerSportplatzeskönnespätereineFußwegverbindungerhaltenund alsSchulsportplatzausgebautwerden.728 AuchLehrkräfteundElternder SchulesowiederVorstandderStiftungTaubstummenanstalthieltenden PlatzanderHammerStraßefürgeeignet.729 SielobtendieVerkehrslage, denneineSchule,dieKinderausdemgesamtenStadtgebietunterrichtet, mussentwederzentralgelegenodergutmitBusundBahnerreichbarsein. ZuderZeithattedasGrundstückAnschlussandieStraßenbahn,Busund SBahn,lagabertrotzdemineinerdamalsnochruhigenGegend.Begrenzt wurdedasGebietdurcheinVillengebiet,KleingärtenunddieGüterumge hungsbahn.AuchdieGrundstücksgröße,zuderZeitnochmit2,8haange geben, bot Platz für künftige Erweiterungsbauten, wie einem Lehrlings heimodereinerweiterführendenSchule,undkonntedamitgemeinsamen PlanungenmitbenachbartenBundesländerndienlichsein.Lehrkräfteund Elternrat baten Oberschulrat Dressel, der die Abteilung Schulbau der Schulbehördeleitete,umeinezügigeDurchführungvonPlanungundBau, da die Schülerzahl der Gehörlosenschule sich seit 1945 verdoppelt habe undderPlatzinderVolksschuleBurgstraßeknappgewordensei,sodass zumTeilschoninSchichtunterrichtgelehrtundLehrerundHausmeister zimmer als Klassenräume genutzt werden mussten. Da das Grundstück Hammer Straße noch mit festen Gebäuden sowie Behelfsheimen bebaut war,wurdeumeinemöglichstschnelleKündigungundRäumunggebeten. DieStadtplanungsabteilungdesBezirksbauamtesstimmtedemPlanzu, dasLandesfürsorgeamtderSozialbehördeebenso,legteaberdieletzteEnt 727
Ebd.,DresselanJugendundSozialbehörde1.6.1956undBauratFriedrichMey,Bezirks bauamtStadtplanung,anBaubehörde,Landesplanungsamt27.6.1956.
728 Ebd., Oberbaurat des Bezirksbauamtes Wandsbek, Theodor Schüler, an Schulbehörde 24.2.1956. 729
HierundimFolgenden:ebd.,LehrkörperundElternratderGehörlosenschuleanSchulbe hörde25.4.1956.
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227
scheidungindieHändederJugendbehörde.Dieseaberkonntedenange strebten Platz für den Neubau nicht gutheißen, da der Schulweg für busfahrendeKindertagesheimkinder–dienächsteHaltestellelag1.000mwei ter–zuweitsei,außerdemseidieHammerStraßealskünftigerAutobahn zubringerbaldzustarkbefahren.ErstnachdemderElternratdasGelände besichtigthatte,einewesentlichkürzereEntfernungzuBushaltestelle,Stra ßenundSBahnerrechnethatte,undnocheinmaldiegünstigenVerhält nissefüreinenSchulbaulobte730undauchdieGesamtElternschaftaufihrer Vollversammlungam25.Juni1956einstimmigfürdiezügigeVerwirkli chungdesBauvorhabensvotierte,731erhobauchdieJugendbehördekeinen Einspruch mehr.732 Daraufhin beantragte die Schulbehörde im Juli 1956 beimBezirksliegenschaftsamtWandsbekdenAnkaufdereinenTeilfläche und Freimachung des Kleingartengeländes733 und der Architekt Willi HöpplwurdemitderPlanungdesSchulneubausbeauftragt.734 EinJahrverstrich.EinElternratsbeauftragtererkundigtesichnachdem StandderPlanungenunderfuhrdabei,dassdenSiedlernaufdemGelände anderHammerStraßeimmernochnichtgekündigtsei.735DasLandespla nungsamtberichteteaufAnfrage,dassaufdemausgewähltenGeländeauf GrundgeänderterVerkehrsplanungenkeineSchulemehrerrichtetwerden könne.736 OberbauratFriedrichMey schlugeinneuesGeländenordöstlich der Horner Rennbahn vor. Oberschulrat Dressel antwortete, dass dieser PlatzbereitsfüreinenVolksschulbauvorgesehensei.737Trotzdembeharrte Meydarauf,dieKleingärtnernichtkündigenzukönnen,dadiePlanungen
730
Ebd.,FeuchteanSchulbehörde27.6.1956.
731
Ebd.,ResolutionderElternschaftvom25.7.1956.
732
Ebd., Leitender Regierungsdirektor der Jugendbehörde, Gottlieb Raloff, an Feuchte 7.7.1956.
733
Ebd.,DresselanBezirksliegenschaftamt25.7.1956.
734
Ebd.,SchulbehördeanBezirksamtWandsbek,Stadtplanungsabteilung,20.9.1956.Aufei nemtechnischenGutachtenvom31.7.1956(ebd.)fragteinehandschriftlicheRandnotiz:„Ist Jugendheim,Internatusw.dabeiberücksichtigt?“AnscheinendkonnteschonzudiesemZeit punktnichtmehrmiteinemInternatsbaugerechnetwerden,daderRaumbedarffüreinsol chesProjektnichtgedecktwurde. 735
Ebd.,SchulleiterDr.HermannMaeßeanDressel21.6.1957.
736
Ebd.,Vermerkevom19.7.1957und22.7.1957.
737
Ebd.,SchwarzmayranDressel24.7.1957.
228
Die staatliche Taubstummenschule
sichgeänderthätten.738DresselschriebnunandasTiefbauamtundberich tetevondenbereitseineinhalbJahredauerndenPlanungenfürdieGehör losenschuleanderHammerstraße,vondemnahezufertigenEntwurfdes Architektenunddavon,dassderBaueigentlichinKürze–imFrühjahr 1958–begonnenwerdensollteundnundasGeländeaufGrundderneu geplantenStraßenführungzukleinfüreineSchulewerdenwürdeundso diePlänezuscheiterndrohten.739 InmehrerenBesprechungenkonntedas BezirksliegenschaftsamtWandsbekdavonüberzeugtwerden,dasSchulge ländeweiterandieGüterumgehungsbahnzusetzen.740 DerElternratwarwütend.EsherrschtenseinerMeinungnachunhaltbare SchulverhältnisseanderGehörlosenschuleinderBurgstraße–esgabauf GrundfehlenderundzukleinerRäumekeineHörerziehung,Werkunter richt fand im Keller statt, die Turnhalle war nur für drei Stunden wö chentlichbenutzbar,KriegsschädenamBaumachteneineReiheImprovisa tionennötig.741DazukamdieunklareLagedesBauvorhabens.DerElternrat dergemeinsamimSchulgebäudeuntergebrachtenVolksschuleBurgstraße fasste bereits Protestversammlungen und Warnstreiks ins Auge, konnte aber vom Elternrat der Gehörlosenschule zurückgehalten werden, der einenAusschusszurKlärungderoffenenFrageneinsetzte. 742Ergebniswar eineElternversammlungam10.Oktober1957,diediePressedaraufauf merksammachte,dassderSchulebereitsseitachtJahreneinNeubauver sprochenseiunddiezuständigenBehördendasNeubauprojektstetsver zögerten.743EinSchulstreikkonntenurdurcheinenTrickderSchulleitung abgewendetwerden,diedenSchulkindernfürdiesenTagfreigab. ImJanuar1958hieltdasLandesplanungsamtdasHammerGeländefür einenSchulbaunochimmerfürungeeignet.744 WiederwurdenneueFlä chenvorgeschlagen,diewiedersämtlichanderweitigverplantwaren.Nach 738
Ebd.,VermerkSchwarzmayrvom24.7.1957.
739
Ebd.,DresselanBaudirektorHermannPeschges,Tiefbauamt2.8.1957.
740
Ebd., Besprechung am 6.8.1957; Bezirksliegenschaftsamt Wandsbek an Schulbehörde 14.8.1957;DresselanBezirksliegenschaftamt5.9.1957. 741
StAHbg,3612VIOSBVI,Abl.1981/2,699,MaeßeanDressel29.5.1957.
742
StAHbg,3612VIOSBVI,202Band65,BriefvonFeuchteanalleEltern17.8.1957.
743
HamburgerAbendblattNr.246vom22.10.1957;HamburgerMorgenpostvom18.10.1957 und23.10.1957. 744
StAHbg,3612VIOSBVI,202Band65,DresselanBezirksliegenschaftsamt9.1.1958,Notiz betreffendLandesplanungsamt.
Zu Gast in anderen Schulen (1945–1964)
229
einemBriefdesElternrates,deraufsiebenSeitendieGeschichtederSchul neubauplanungenzusammenfasste,sagteSenatorHeinrichLandahl(1895– 1971)alleUnterstützungzu.745Nungingesvoran.DasLandesplanungsamt teiltedemLiegenschaftsamtzwarnochseineerheblichenBedenkenmit,bat aber trotzdem darum, das Grundstück zur Verfügung zu stellen. Ober schulrat Dressel schrieb an das Bezirksliegenschaftsamt und bat um die Kündigung der Kleingärtner, und Architekt Höppl bat das Landespla nungsamt um einen verbindlichen Lageplan, in dem festgelegt wurde, dassdernördlicheTeildesGrundstücksinWandsbek,dasursprünglich fürdasInternatvorgesehenwar,nunzurAnlegungder Stadtautobahn dienensollte.746 Im Juli 1958 wurde den Kleingärtnern gekündigt, die Räumung und ÜberweisungdesGrundstückskonntevorgenommenwerden.DerBausollte nunimFrühjahr1960begonnenwerden.DieGrundsteinlegungverzögerte sich,alsnochweitereSchwierigkeiten,unteranderemmitdenKleingärtnern, die ihre Gärten nicht hergeben wollten, auftauchten. Im September 1960 wurde dann doch noch ein Schulstreik von den Eltern beschlossen und durchgeführt,denninderSchuleBurgstraßewarnichtnurkeinPlatz,auch diebaulichenZuständewarenunerträglich,sowarzumBeispieldasDach undicht.747 DieSchuldamNeubaudebakelwurdeinZeitungsartikelnnicht nur den Behörden, sondern auch dem Architekten gegeben, der Termine nichteinhaltenunddasProjektimmerwiederverzögernwürde.748 Am23.September1961wurdeschließlichnachjahrelangenBemühungen umeinenNeubaudurchSenatorHeinrichLandahl derGrundsteinfürdas neueSchulgebäudeanderHammerStraßegelegt, 749am3.Oktober1962fand dasRichtfeststatt.InzwischenwardieSchulsituationinderSchuleBurgstraße nochbeengtergeworden,denndasGebäudebeherbergtenundreiSchulen unddazudenGehörlosenkindergartensowiedieGehörlosenberufsschule. DerGehörlosenschulemitfünfzehnKlassenstandennursiebenKlassenzim
745
Ebd.,FeuchteanLandahl14.4.1958;LandahlanFeuchte19.4.1958.
746
Ebd., Landesplanungsamt anLiegenschaft 15.4.1958; Dressel an Bezirksliegenschaftsamt 22.4.1958;ArchitektWilliHöpplanLandesplanungsamt3.6.1958.
747
HamburgerAbendblattvom29.6.1960.
748
HamburgerMorgenpostvom14.9.1960;HamburgerEchovom14.9.1960.
749
StAHbg,3612VIOSBVI,202Band65,DresselanOberschulratHansDuus15.9.1961.
230
Die staatliche Taubstummenschule
merzurVerfügung.750 FürdasEndedesJahres1963wurdefestzugesagt, dassdieerstenKlassenindieneueSchuleeinziehenkönnten.751
Abbildung 43: Eine Schulklasse vor dem Schulhof an der Burgstraße im Juni 1964
4. 5 D ie S amu e l- He inic k e-Sch ule ( 1 96 4–2 00 0 ) 4. 5. 1 Sc hu l e i m Neu ba u Am1.April1964warderNeubaubezugsfertig.DerersteBauabschnittwar mitzwölfKlassenräumenfertiggestelltworden.EndlichwardieMöglich keitgegeben,dieGehörlosenschuledenErfordernissenentsprechendaus zubauen. Es wurden Fachräume für Werken, Physik/Chemie sowie ein Hörerziehungsraumeingerichtet,undinjedemKlassenraumwurdeeine Höranlage aufgestellt, wodurch eine individuelle Hörerziehung in allen Klassenmöglichwurde.DurchdiejetztzurVerfügungstehendenRäume konnteauchdieAnzahlderVolkshochschulkursefürGehörloseerweitert werden.ZunächstzogenzwölfKlassenindasneueSchulgebäudeum,vier verbliebenimVolksschulgebäudeanderBurgstraße.Am30.Juni1964wur 750
Ebd.,MaeßeanSchulbehörde29.11.1962.
751
Ebd.,DresselanGehörlosenschule12.9.1963.
Die Samuel-Heinicke-Schule (1964–2000)
231
dedieneueSchule,dienachdemVorschlagvonElternratundLehrerkolle giumdenNamenvonSamuelHeinickeerhielt,752feierlicheingeweiht.Die FestansprachehieltSenatorDr.WilhelmDrexelius. DochdieweiterenBautenließenaufsichwarten:1967verzögertesich derBeginndeszweitenBauabschnitteserheblich,sodassesnötigwurde, aufdemSchulgeländezweiBarackenaufzustellen,indienundieander BurgstraßeverbliebenenvierKlasseninihreneuealteSchulezogen.Am 14.Februar1968konntedasRichtfestdeszweitenBauabschnittsaufdem Schulgeländestattfinden.SeineEinweihungimSeptember1969brachteder Schule eine Aula mit Bühne und einen Filmvorführraum. 1969 wurden auchdie1962eingerichtetenPflegestellenfürauswärtigeSchüler,dieauf GrunddesfehlendenInternatsnichtgemeinsamwohnenkonnten,erwei tert.ZuOstern1969wurdenerstmalsSchulbussedurchdieSchulbehörde eingesetzt,umKindernausganzHamburgdenSchulwegzuerleichtern. EineweitereSchulwegserleichterungwarmitderEinführungder5Tage Wochezum1.April1970erreicht,überdiebereits1960diskutiertunddie seit1968vondenElterngefordertwordenwar.753
Abbildung 44: Artikulationsunterricht mit Lehrer Georg Männich an der Samuel-Heinicke-Schule, 1976 752 753
StAHbg,3612VIOSBVI,Abl.1981/2,699,MaeßeanSchulbehörde3.7.1961.
StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Mappe40„Elternrat“(Abliefe rungsverzeichnis).
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Die staatliche Taubstummenschule
1977wurdenanderSchule25Klassenmitinsgesamt186Schülerinnenund Schülern–nichtmehralsachtKinderineinerKlassengemeinschaft–vonin zwischen40LehrerinnenundLehrernunterrichtet.DieLehrkräftebemühten sich,neueTendenzenwiedenEinsatz„manuellerKommunikationsmittel“ mitundnebenderlautsprachlichenBildungzuberücksichtigen. DieSamuelHeinickeSchuleverfügtenebenderSchulemitRealschul zugauchübereineBeratungsstellefürEltern,einenSchulkindergarten,ein SondertagesheimfürgehörloseKleinkinderundKlassenfürmehrfachbe hindertegehörloseKinder.DanebengabeseinenaktivenSchulverein,zu demdieElterngehörloserSchulkinder,LehrkräfteundehemaligenSchüle rinnenundSchülergehörten.InderSchulvereinsSatzungvom20.Oktober 1977nanntederVereinalsseinenZweckdieFörderungderErziehungder Schuljugend.SeinZielwarunteranderem,dieBelangederSchulezuför dern,indemgemeinschaftlicheUnternehmungenorganisiertoderBeschaf fungenfürdenUnterrichtfinanziertwurden754.DasZielderSchule,diebe rufliche und soziale Rehabilitation Gehörloser zu erreichen, wollte die SchuleimMiteinandervonKindern,ElternundLehrernerreichen.Dader RealschulzugdamalsimnorddeutschenGebieteinzigartigwar,besuchten Kinder aus SchleswigHolstein, Niedersachsen, Bremen und Berlin die WandsbekerSchule.17ProzentderSchülerkamen1977nichtausHam burg,siewarenzumeistinHamburgerPflegefamilienuntergebracht.In dieserZeitgabesbedingtdurch eineRötelnepidemiebeiSchwangeren besondersvieletaubgeboreneKinder.SoentstandtrotzdergroßenRäum lichkeitenwiedereineRaumundLehrerknappheitanderSchule.Weiter hinklagtedieSchuleüberVermittlungsproblemederausgebildetenSchü ler,denndieGehörlosenschuletrafdieLehrstellenknappheitdieserZeit besondersstark.755 Gebautwurdestets:Seit1.August1972hattedieSchuleeineigenesGe bäudefürihrenSchulkindergarteninFormzweierSchulpavillonsaufdem erweiterten Schulgelände. 1974 war die Genehmigung zum Bau einer Schulkücheerteiltworden.DasiebishernurimKelleruntergebrachtwar, wurdegeplant,diesegemeinsameEinrichtungvonGehörlosenundSprach
754
StA Hbg, 36210/3 SamuelHeinicke Schule für Gehörlose, Mappe 24 (Ablieferungsver zeichnis),SatzungdesSchulvereinsvom20.10.1977.
755
HamburgerAbendblattvom17.5.,26.5.und20.6.1977.
Die Samuel-Heinicke-Schule (1964–2000)
233
heilschule ab 1976 auszubauen.756 Nun also schien wieder ein Erweite rungsbaunotwendiggewordenzusein.AnfangderachtzigerJahrewur dendiePlanungenaufgenommen,dochsolltenwiederJahrevergehen,bis derNeubaustand.ManhattezuBeginnnochmiteineranderenSchüler strukturgerechnet,miteinergrößerenSchülerzahlundimVergleichdazu wenigerKlassenfürMehrfachbehinderte.WährendnochzehnJahrezuvor über250SchülerundSchülerinnendieSchulebesuchten,waren1994nur noch99KinderindenverschiedenenSchulklassenanderGehörlosenschu le,757darunterkaumnochauswärtigeKinder,denndiegroßenGehörlosen schulenindernorddeutschenUmgebung–SchleswigundBremen–hatten ihre eigenen Realschulklassen eingerichtet, so dass die begabten Kinder nichtmehraufdieHamburgerSchuleangewiesenwaren.Inzwischengab esalsowenigerKinder,undauchdieam1.April1965ursprünglichinden RäumenderGehörlosenschuleeingerichteteHörundHörgeräteberatung, die „Pädoaudiologische Beratungsstelle“,758 war als gemeinsame Bera tungsstelle von Schwerhörigenschule und Gehörlosenschule an der SchwerhörigenschuleimSchultzweguntergebrachtworden.Diesgeschah, als unterAnregung des inHamburg errichteten Zentrums für Deutsche Gebärdensprache begonnen wurde, an der SamuelHeinickeSchule die Deutsche Gebärdensprache einzuführen. Daraufhin hatten beratende HNOÄrzteselbstElterngehörloserundvölligertaubterKindergeraten, diesezurSchwerhörigenschulezuschicken,damitdieKindernichtmitder GebärdenspracheinBerührungkämen.Befürchtetwurde,dassdasErler 756
StA Hbg, 36210/3 SamuelHeinickeSchule für Gehörlose, Mappe 13 (Ablieferungsver zeichnis),InformationenderSchulleitung,Nr.1,März1975.1977allerdingswardieseKüche immernochnichtgebautundsowurdeweiterinder1972ineinemehemaligenUmkleide raum eingerichteten provisorischen Küche unterrichtet (StA Hbg, 3612 VI OSB VI, Abl. 1995/1,1126). 757
ImSchuljahr2006/2007warenes71gehörloseSchülerinnenundSchülerinsiebenRegel klassen,zweiKleinklassenundvierKlassenmitErziehern(BehördefürBildungundSport, HamburgerSchulstatistikimÜberblick,S.12)
758
ZwischenzeitlichgabesanbeidenSchulenBeratungsstellenfürdieFrüherziehung.Erstin den1990erJahrengingdieBeratungvölligandieSchwerhörigenschuleüber.DieerstePä doaudiologischeBeratungsstellewar1959inHeidelbergeingerichtetworden.Hierwurde,vor EinführungdesBerufsbildeseinesHörgeräteakustikers,sowohldiepädagogischeKinderau diometriealsauchdieHörgeräteversorgungfürKinderdurchgeführt.Seit2002werdenalle hörgeschädigtenHamburger Kinder indenBeratungsstellenerfasst (Michaela Neuberger / UteJung,ZusammenfassungderBasisliteraturzumThema:„PädagogischeAudiologie–Hö renlernen“,Seminararbeit,maschinenschriftlich,Heidelberg2003).
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Die staatliche Taubstummenschule
nendieserSprachezueinerKommunikationsbarrierezwischengehörlosen Kindern und hörenden Eltern führen würde.759 Die Beratungsstelle der SchwerhörigenschulewarauchvonElterngehörloserKinderzunehmend frequentiertworden,sodassvonSeitenderSchulenüberlegtwordenwar, die Frühförderung von Schwerhörigenschule und Gehörlosenschule zu sammenzulegen.DiegemeinsamepädoaudiologischeBeratungsstellewur deausPlatzgründeninderSchwerhörigenschuleeingerichtet.Zwischenzeit lichwarsieinderSamuelHeinickeSchulezufinden,bevorsiewiederder Schwerhörigenschuleangegliedertwurde. DorthinwendensichElternmit kleinen Kindern, die einen diagnostizierten Hörschäden haben – circa 60bis70KinderimJahr.EinfrühesErkennenderGrößedesHörschadens seifürdiegezieltefrühzeitigeFörderungunddamitfürdieEntwicklung desKindessehrwichtig.SchoneingehörgeschädigterSäuglingkönnemit entsprechendenHörgerätenfrühlautsprachlichgefördertwerden.Jefrüher einhörgerichteterAnsatzangewandtwerdenkönne,umsogrößerseidie Wahrscheinlichkeit,dassdasKindnochHörresteentwickelnkönne.760 In dersehrfrühenKindheitsinddieNeuronen,diedieHörnervenverbinden, nocherweiterungsfähig,sodassderKörpereineseigentlichtaubenKlein kindes–soerklärtendieÄrzteundPädagogen–durchausfähigsei,fehlende Hörverbindungenherzustellen.DerSchulleiterderSamuelHeinickeSchule, GeorgMännich(geb.1931),warausgehendvonVersuchenmitspeziellfür Säuglingeangefertigten Hörgerätendavonüberzeugt,dassHörnervenso weitwiederhergestelltwerdenkönnten,dasseigentlichtaubeKindersogar ineineRegelschuleeingeschultwerdenkönnten.761 1994war der Schulneubauinallen Bauabschnitten fertiggestellt.Die SchulehatteeinenneuenarchitektonischmodernenFachraumtrakterhal 759
Eltern,sodiebittereErkenntnisdergehörlosenSozialpädagoginAngelaStaab,wolltenihre taubenKinderzuhörendenKindernmachen(GesprächmitAngelaStaabam20.3.1995).
760
Inden1930erJahrensorgteeineMethodedesUngarnGustavBarczi(1890–1964),dertaube KleinkinderangeblichzumHörenbrachte,fürAufsehen.Ermeinte,dassTaubheitdurchStö rungderHirnrindezuständekäme,dienurimHörenungeübtsei.AlfredSchär berichtete darüberinderHamburgerLehrerzeitungNr.35(1937),S.363–367.Währenddernationalso zialistischenVerfolgungwarBarcziaufanderemGebieterfolgreich:ErrettetejüdischeKinder durchAufnahme und Verstecken in seinerBudapester Taubstummenanstalt (ArminLöwe, DerBeitragjüdischerFachleuteundLaienzurErziehungundBildunghörgeschädigterKin derinEuropaundNordamerika.EinhistorischerÜberblickvom18.bisins20.Jahrhundert, Frankentalo.D.[1995]). 761
GesprächmitSchulleiterGeorgMännicham10.10.1994.
Die Samuel-Heinicke-Schule (1964–2000)
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ten.HiergabesnungroßzügigeFachräumefürPhysikundInformatik– fürletzteremitComputernmitbedienungsfreundlichergraphischerBild schirmgestaltung, im Gegensatzzusämtlichen anderenSchulen,die mit denüblichenDOSRechnernarbeiteten–,undesgabneueRäume,diefür dieDurchführungvonHörtestsundHörgeräteanpassunggenutztwerden sollten.DergroßzügigundmoderngestalteteSchulkomplexanderHam merStraßehattesich–wieineinerInformationsbroschürederSchulevon 1987gewünscht–zueinemZentrumfürschulischeBildungdergehörlosen KinderundJugendlichenimGroßraumHamburgentwickelt.Nichtnurdie SchulemitGrundstufe,Beobachtungsstufe,Klassenfürmehrfachbehinderte Kinder,HauptschulundRealschulzugwarenindenBautenuntergebracht, auchBerufsschulklassen,vorübergehenddieRäumefürdiepädoaudiologi sche Beratungsstelle und das Sonderkindertagesheim des Amtes für Ju gend.762 DiegrößteVeränderunginderOrganisationderSamuelHeinickeSchu lewurdemitdemSchuljahr2000/2001vollzogen.Zum1.August2000wur denmitVerordnungvom5.Juli2000dieSchulefürSchwerhörigeunddie SchulefürGehörlosezur„SchulefürHörgeschädigte“organisatorischzu sammengeführt.DieSamuelHeinickeSchulewurdezurAbteilungIIder SchulefürSchwerhörigeundGehörlose,indersowohllautalsauchgebär densprachlicherUnterrichterteiltwird.763DieZusammenlegungderbeiden SchulenwurdeinsbesonderevonSeitenderSchwerhörigenschuleungern gesehen. ElternvonschwerhörigenKindernbefürchteten,dassderzuer wartende erhöhte Einsatz von Gebärden in gemeinsamen Unterrichts stundenmitgehörlosenKinderndieEntwicklungderSpracheihrerKinder gefährdenkönne.EineinderFolgegeführteKlagegegendieZusammenle gungführtezueinerRückweisungdurchdasOberverwaltungsgericht.Das Gerichtführteaus,dassdiejeweiligenFörderschwerpunktebeiderSchular tenzurGenügebeachtetwordenseien,dassesAbteilungenfürlautsprach lichenUnterricht(Schwerhörige),gebärdenbegleitetenlautsprachlichenso 762 763
SamuelHeinickeSchule,Informationsbroschürevon1987,Rückseite.
DrucksacheNr.17/794derHamburgerBürgerschaftvom7.5.2002.Die„SchulefürHörge schädigte–SchulefürSchwerhörigeundSchulefürGehörlose“gliedertsichindreiAbteilungen: derAbteilungfürlautsprachlichenUnterricht(Schwerhörige),derAbteilungfürgebärdenbe gleitetenlautsprachlichen,sowiebilingualenUnterricht(GehörlosesowieHörgeschädigtemit weiteren Behinderungen) und der Abteilung für Frühförderung, pädagogische Audiologie undambulanteFörderung.
236
Die staatliche Taubstummenschule
wie bilingualen Unterricht (Gehörlose) weiterhin getrennt voneinander gäbe.DieswürdeeinedifferenzierteFörderungweiterhingewährleisten.764 4. 5. 2 Vergang enheitsb ewä lti gung? Am1.Oktober1966verließDirektorDr.HermannMaeßedieSchule,dieer seit1957geleitethatte.IndieserZeithatteerdenNeubauderSchuleinitiiert und sich für die Einrichtung eines Realschulzuges stark gemacht. Maeße gingalsStudienleiterandasPädagogischeInstitutderUniversitätHam burg.WährendseinerSchulleitungwarHermannMaeßeunumstritten,ob wohlseinenationalsozialistischeVergangenheitdurchausbekanntwar.765 MaeßesRolleinderZeitdesNationalsozialismus,alsBefürworterdesGe setzeszurVerhütungerbkrankenNachwuchses,alsReichsfachgruppenlei terderFachschaftV(Sonderschulen)desNSLBfüreinJahrbisEnde1935 (Leitspruch: „Nichts für uns, alles für Deutschland! Adolf Hitler die Treue!“)undaktiverVerfechterderIdealederNationalsozialistenwurde erstinden1980erJahrenaufarbeitendbehandelt.766 HermannMaeße wurdeam9.Februar1905inPareyanderElbebei Genthin in der Mittelmark als Sohn des Schiffseigners Hermann Maeße undseinerFrauKlarageboren.767ErbesuchtedieVolksschuleinParey,Lü beckundHamburg.Seit1919wurdeerinGenthinalsLehrerausgebildet. ImMärz1925bestanderdieVolksschullehrerprüfung.SeitOktober1925 unterrichteteerfürzweiJahreeingehörgeschädigtesKindinLetschin(Oder 764
PressestellederVerwaltungsgerichteamHamburgischenOberverwaltungsgericht,Presse mitteilungvom25.4.2002,Entscheidung1Bf389/01und390/01.
765
GesprächmitdemErfurterGehörlosenlehrerHorstThorwartham4.Juli2000.Dieserwar ab1949vorwiegendanderSprachheilschuleKarolinenstraße/Zitzewitzstraße,aberauchein halbesJahrlanganderGehörlosenschuletätig. 766
Biesold,KlagendeHände,S.16,100,104,124–127;WolfgangSchinmeyer,DieTaubstum menlehrerinNSLBunddieFolgennachdemKrieg–KarriereeinesPädagogen,Posterbeitrag währendder2.InternationalenTagungzurGeschichtederGehörlosenimOktober1994in Hamburg;PeterPape/StefanRomey,Einer,dergleichsamäußerlichmitmachte,umzuretten, waszurettenwar?(AnmerkungenzuHermannMaeße),in:Lehberger,Reiner/deLorent, HansPeter,DieFahnehoch,SchulpolitikundSchulalltaginHamburguntermHakenkreuz, Hamburg1986,S.250–255,insbesondereS.252. 767 AngabenzumLebenslaufMaeßesstammenausseinerPersonalakte,diesichunterderSi gnatur3222anderUniversitätHamburgbefindet,undaus:AlexanderHesse,DieProfessoren undDozentenderpreußischenPädagogischenAkademien(1926–1933)undHochschulenfür Lehrerbildung(1933–1941),Weinheim1995,S.488–489.
Die Samuel-Heinicke-Schule (1964–2000)
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bruch)aufWunschvondessenEltern,1926kameinzweitesgehörlosesKind dazu.AbApril1927lehrteeralsSchulamtsbewerberanderVolksschule PareyundanderHeilerziehungsundSchulabteilungderLandesheilan staltUchtspringebeiStendal(Altmark)„schwachsinnige,psychopathische undepileptische“Kinder,wobeiseinbesonderesInteressederErteilungdes Sprachheilunterrichtsgalt.768NachdemerdiezweiteLehrerprüfungimJuni 1928bestandenhatte,begannMaeße imApril1929inBerlineinsechsse mestrigesStudiumderPsychologie,Philosophie,PsychiatrieundPädagogik. ImJuni1930bestanderdieRealgymnasiumsReifeprüfungamProvinzial schulkollegium BerlinBrandenburg und nahm am Ausbildungslehrgang fürTaubstummenlehrerteil.DiePrüfungfürTaubstummenlehrerlegteer an der TaubstummenlehrerBildungsanstalt in BerlinNeukölln im März 1931ab.ImAnschlusslehrteMaeßevonOstern1931bisJuni1935ander StaatlichenTaubstummenanstaltinBerlinNeukölln.Unterbrochenwurde seineLehrtätigkeitdurchzweiStudiensemesteranderLudwigsUniversi tätGießen.Hierwurdeeram19.März1935zumDr.phil.promoviertmit einerArbeitüber„DasVerhältnisvonLautundGebärdenspracheinder EntwicklungdestaubstummenKindes“.Maeße heiratete1933inStendal GertrudBuchholz,mitdererzweiKinderbekam. Am1.Mai1933tratMaeßeindieNSDAPunddieSAein.ErwarabDe zember 1933 zuerst kommissarischer Fachgruppenleiter für Lehrer an SprachundGehörgeschädigtenschulenundseitHerbst1934Reichsrefe rentfürTaubstummenweseninderReichsfachschaftV(Sonderschulen)im NSLB,769bevorerzum1.Juli1935alsDozentfürGrundschulmethodikan dieHochschulefürLehrerbildunginLauenburg(Pommern)berufenwur de.770DieseStellebehielterbis1945.NebenbeiunterhieltereineBeratungs undÜbungsstellefürSprachundHörgeschädigte.Maeße setztesichöf fentlichfürdieSterilisation„erbkrankerGehörloser“ein.Von1941bis1945 warerStudienratanderLehrerbildungsanstaltLauenburg.Seit1.August 1939dienteMaeßealsUnteroffizier,zuletztalsOberleutnantderReservein derArtillerie.Seit1.September1940warMaeße alsKriegsverwaltungsrat 768
UniversitätHamburg,PersonalakteDr.Maeße,AbschriftdesZeugnissesdesDirektorsder Landesheilanstaltvom12.4.1929.
769 770
Maeßewarseit1932MitgliedimNSLB.
DamitwechselteerimNSLBvomReichsfachgruppenleiterzumReichsfachschaftsreferen ten (vgl. Die Deutsche Sonderschule. Zeitschrift der Reichsfachschaft V Sonderschulen im NSLB1936,Nr.1,S.4und5).
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Die staatliche Taubstummenschule
fürEignungsuntersuchungensowiebiszurAuflösungderLuftwaffenund HeerespsychologiealsErgänzungsPersonalgutachterzumWehrkreiskom mandoHamburgversetzt.VonApril1945bisJuni1947warMaeßeinfran zösischerKriegsgefangenschaft.SeinerstesAmtnachEndedesnationalso zialistischenRegimesübteHermannMaeßeabMai1948alsKonrektorund abNovember1950RektoranderKanntorHelmkeSchuleinRotenburgan derWümmeaus,bevoreram1.April1954alsLehreranderGehörlosen schule Hamburg eingestellt wurde. Dort wurde er mit Wirkung vom 1.April1957zumDirektorgewählt.Vom1.Oktober1966biszuseinem EintrittindenRuhestandwarMaeßeStudienleiteramPädagogischenInsti tutderUniversitätHamburg.
Abbildung 45: Hermann Maeße mit der Einschulungsklasse, April 1954
ObwohlMaeßesAussagen zurStellung Gehörloser in dernationalsozia listischen Ideologie und seine Rolle als Amtsträger im „Dritten Reich“ durchaus auch in Hamburgbekannt waren, erhieltMaeße hier die Mög lichkeit,seineStellunginderGehörlosenpädagogikauszubauen,zuerstals
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LeiterderHamburgerGehörlosenschule,dannalsStudienleiteramPädago gischen Institut. Die Lehrkräfte wussten von der Vergangenheit Maeßes, ohnediesezuthematisierenodergarsichmitihrauseinanderzusetzen. 4 .5 . 3 S c h ül e ra kt iv it ät e n 1979initiiertederLehrerunddamaligeGEWVorsitzendederAbteilung Sonderschulen,PeterPape (geb.1945),eineSchülerzeitung.771 Esentstand der„HammerReport“,dervondenSchülerinnenundSchülernderSamu elHeinickeSchuleherausgegebenwurde.DieBerichteinderSchülerzei tungwurdenimmermutiger,undschonabderdrittenAusgabezeigtesich das wachsende Selbstbewusstsein der Redakteurinnen und Redakteure, dennsieäußertensichzunehmendauchkritischgegenüberUnterrichtund MethodikundforderteneinegrößereAkzeptanzderGebärdensprache.Sie verlangtenmehrWissen,dennesgingzuvielZeitmitdemErlernendes Sprechens der Lautsprache verloren, die dann im fachlichen Unterricht fehlte.772KritischäußertensichdieSchülerinnenundSchülerüberdasGe bärdensprachverbotwährendderAbschlussfeierimDezember1981.773Spä tereAusgabenwurdenmitBeispielenfürGebärdenausderDeutschenGe bärdensprache (DGS) illustriert.774 Die Gebärden wurden an der Schule zwar nichtimmer gerne gesehen, schließlich aber auch nichtvöllig ver bannt.Sogabes1985amNachmittagallgemeineGebärdenkurseinlaut sprachbegleitenden Gebärden (LBG) und DGS. In diesem Jahr fand in HamburgderersteKongressfürGebärdensprachestatt,aufdemdaserste Malklardargestelltwurde,dassdieDeutscheGebärdenspracheeinunab hängigesvollentwickelteslinguistischesSystemsei,genausowiediedeut scheLautsprache.775GehörlosefordertenzunehmendselbstbewusstdieAn 771
PeterPapeistheute(2007)alsOberschulratinderBehördefürBildungundSportunteran deremzuständigfürdieSchulaufsichtundBeratungderspeziellenSonderschulen.
772
HammerReportNr.4,Februar1981,S.3f.
773
HammerReportNr.6,Dezember1981,S.15.
774
AbAusgabeNr.11,Oktober1983.
775
GertrudMally,DerlangeWegzumSelbstbewußtseinGehörloserinDeutschland,in:Fi scher,Renate/Lane,Harlan(Hg.),Blickzurück.EinReaderzurGeschichtevonGehörlosen gemeinschaftenundihrenGebärdensprachen(InternationaleArbeitenzurGebärdensprache undKommunikationGehörloserBand24),Hamburg1993,S.211–237.Aufder25.Bundesver sammlungderTaubstummenlehrerschaftimMai1976wardieGebärdeanerkanntworden.Im
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erkennungderGebärdenspracheundderenNutzungimUnterricht.Die Lautsprachvertreter wehrten sich und organisierten einen Monat später einen„KongresszumErhaltderLautsprachMethodeundderenWeiter entwicklungbeiGehörlosen“,aufdemsiesichdagegenaussprachen,Kin derzurGebärdensprachbenutzungzuermutigen.DerSüdenDeutschlands schiensichindieserEntwicklungeineszunehmendenSelbstbewusstseins der Gehörlosengemeinschaft zurückzuhalten, während im Norden ver mehrtkontroversdiskutiertwurde.InHamburgbegann1987aufInitiative vonProf.Dr.SiegmundPrillwitz(geb.1942)vonderUniversitätHamburg dieErforschungderGebärdenspracheunddieerstepraktischeUmsetzung dergewonnenenErkenntnisse.WährendBayernsMinisterfürArbeitund Sozialesnoch1987einenBerichtherausbrachte,indemer„Taubstummeals emotionalverarmt“bezeichnete,776 da„SpracheundEmotioneinsseien“, gründetesich am11.MaidesselbenJahresin Hamburg das Zentrum für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser, das mit hö rendenundgehörlosenMitarbeiterinnenundMitarbeiternbesetztwurde.777 DasZentrumbegann,dievisuelleSprachederGehörlosenzuerforschen,Bü cherundZeitschriftenzumThemafürTheoretikerundPraktikerzuveröf fentlichen,ebensoBücherundVideosinGebärdensprachefürgehörloseKin dersowieGehörlosezuLinguistenauszubilden.Gehörlosekonntenjetztmit HilfevonGebärdensprachdolmetschernanderHamburgerUniversitätstu dieren:DieerstenviergehörlosenStudentenbegannenimHerbst1987an derUniversitätHamburgihrStudiumderPsychologieundPädagogik.778 DieBemühungenumdieGebärdensprachebliebenanderSchulenicht unbeachtet,auchwenndieLehrerschaftsichzunächstdagegensträubte, ihrvielRaumzugewähren.AuchandereSprachenfandenmitgrößerwer September1982wardasersteTreffenvon–fastnurhörenden–Lehrkräften,dieinGebärden sprachelehrten,vorausgegangen. 776
Mally,in:Fischer/Lane,Blickzurück,S.229.
777
SiegmundPrillwitz,ZurGründungdesüberregionalenZentrumsfürDeutscheGebärden sprache und Kommunikation Gehörloser der Universität Hamburg, in: Das Zeichen. Zeit schriftzumThemaGebärdenspracheundKommunikationGehörloser1(1987),S.9–12.
778 SiegmundPrillwitz,ZurEinrichtungvonStudienschwerpunktenfürHörgeschädigteanbun desdeutschenHochschulen,in:DasZeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheundKom munikationGehörloser3(1988),S.60–61.ErfahrungsberichtederStudierenden:ChristophHeesch (u.a.),ZurStudiensituationgehörloserStudentInnenanderUniversitätHamburg,in:DasZeichen. ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheundKommunikationGehörloser4(1988),S.33–42.Vgl. auchdasKapitel9:„DasInstitutfürDeutscheGebärdenspracheundKommunikationGehörloser“.
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denderAusländerzahlanderSchuleihrenEinzug.Sogabes1987fürdie türkischenSchülerFörderunterrichtinihrerHeimatsprache.IndiesemJahr wurde auch der Schüleraustausch zwischen den Gehörlosenschulen in WarschauundinHamburgzueinerständigenEinrichtung.DasersteMal warenSchülerinnenundSchülerausHamburgimSeptemberundOktober 1984zuBesuchinPolengewesen,derGegenbesuchWarschauerKinderer folgteimMai/Juni1985.779 ImFrühjahr1993hattederElternkreishörgeschädigterKindereinKon zeptfürein„HamburgerZentrumfürHörgeschädigte(Zentrumfürhörge richtete Früherkennung)“ vorgelegt, welches in der Öffentlichkeit einige Beachtungerhielt.DaraufhinersuchteeineKommissionvonAbgeordneten der Bürgerschaft den Senat um Stellungnahme, welche Angebote in der hörgerichtetenFrühförderunginHamburggemachtwerdenwürden,wie dieseAngeboteangenommenwürdenoderobeinebessereVernetzungder bisherigenAngebotenützlichseinkönnte.ManbatdenSenatumPrüfung, inwieweiteinZentrumfürhörgerichteteFrüherkennungeffektiverarbeiten könnteundobeinesolcheEinrichtungnötig,nützlichundmachbarsein würde.780 DieserElternkreislehnteinderFolgejeglicheGebärdenanwen dunganderSchuleabundsetztesichfüreinengrößerenEinsatzvonhör gerichtetenFördermöglichkeitenfürihreKinderein. 4. 5. 4 Unt er richt : Lauts p ra che, Geb ärden und Gebä rd enspra che 4 . 5 . 4 . 1 K u r ze r g e s c h i c ht l i c h e r Ü b e r b l i c k ü b e r d i e p ä d a g o g i s c h e Methodik an deutschen Gehörlosenschulen
Im Mittelalter wurden Gehörlose als „sprachlose“ Menschen angesehen undnichtbesondersbeachtet.781DerUnterrichtvonKindernwarSacheder 779 StA Hbg, 36210/3 SamuelHeinickeSchule für Gehörlose, Mappe 12 (Ablieferungsver zeichnis),SchulleiterGünterCors(geb.1924)anLandesschulratWolfgangNeckel29.1.1987. 780 781
DrucksacheNr.15/2740derHamburgerBürgerschaft.
GrundlegendfürdasfolgendeKapitel:OttoKröhnert,DiesprachlicheBildungdesGehör losen(PädagogischeStudienBand13)Weinheim1966;HarlanLane,DieMaskederBarmher zigkeit(InternationaleArbeitenzurGebärdenspracheundKommunikationGehörloserBand 26),Hamburg1994;ders.,MitderSeelehören.DieLebensgeschichtedestaubstummenLau rentClercundseinKampfumAnerkennungderGebärdensprache,München1988;Annette Leonhardt,EinführungindieHörgeschädigtenpädagogik,Stuttgart2002.
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KircheundauchbehinderteKinderkamenoftinKlöster,wosiemehrver wahrtalsunterrichtetwurden.ErstRenaissanceundAufklärungszeitent decktendieIndividualitätdeseinzelnenMenschen;derUnterrichtanden Schulenwurdeverweltlicht.DeritalienischeMathematiker,Philosophund ArztHieronymusCardanus (1501–1576)erkanntediegrundsätzlicheBil dungsfähigkeit Gehörloser und legte erstmals dar, dass Gehörlose auch ohneLautsprachelesenunddenkenlernenkönnen.Einenerstenschriftli chen NachweisdesUnterrichtsGehörloserinLautsprachefindetsichin Spanien:DerspanischeMönchPedroPoncedeLeon(1520–1584)unterrich tetedreigehörloseSöhneeinesspanischenAdeligeninderLautsprache, damitdiesealsmündigeBürgeranerkanntwurdenunddamitdasErbeih resVatersantretenkonnten.FrühereBildungsversuchehattensichaufein facheGebärdenoderdieSchrifteinfacherLautsprachebeschränkt.Ponce deLeonundauchManuelRamirezdeCarrion(1578–1652)verbanden,so wirdauseinerspäterenschriftlichenAbfassungdeutlich,inihremUnter richtalleAnsätze:SielehrtendasHandalphabet,782dieSchrift,dieGebärde unddasSprechen.DerenglischeArztundSchriftstellerJohnBulwer(1614– 1684)entwickelteim17.JahrhundertdienachPoncesHeimatlandbenannte „spanischeMethode“weiter,indemerfeststellte,dassGehörlosenichtnur dasSprechen,sondernauchdasAblesendesgesprochenenWortesvonden Lippenerlernenkönnen.JohnBulwerwardererste,dersichfürdieGrün dungeinerSchulefürGehörloseaussprach.783 ErstellteebensoTheorien zum gebärdensprachlichen Unterricht auf.784 Dies verwirklichte dann im größerenMaßeAbbéCharlesMicheldel´Epée,derseinInstitut1771inPa riseröffnete.785 ErwareinAnhängerDescartes,derfüreinenDualismus vonSpracheundZeicheneintrat,undRousseaus,derdieErziehungnatur 782
DasspanischeFingeralphabet,dasdieGrundlagefürvieleweitereHandalphabetewurde, hatseineWurzelnimIrandes16.Jahrhunderts,eswurdevondenMaurenausdemMittleren OsteninsnördlicheAfrikamitgenommenundvondortnachSpanien„exportiert“(Vortrag vonRouzbehGharemanaufdemDeafHistoryInternationalKongressinParisam2.7.2003,Berichte dazu:http://gibzeit.de/aktuell/wie_wissen.htm,abgerufenam15.9.2007undhttp://kugg.de/down load/DHI_Kongress_Bericht.pdf,abgerufenam15.9.2007). 783
ZuPonceundBulwersieheauchHansWerner,GeschichtedesTaubstummenproblemsbis ins17.Jahrhundert,Jena1932.
784 GüntherList,TaubstummeundGebärdensprache.RegistergeschichtenimÜbergangzur Moderne,in:List,Gudula/ders.(Hg.),Quersprachigkeit.ZumtranskulturellenRegisterge brauchinLautundGebärdensprachen(Tertiärsprachen.DreiundMehrsprachigkeitBand5), Tübingen2001,S.163–185.
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gemäßgestalten,alsodieAnforderungenaufdieKräfteundFähigkeiten desSchülersabstimmenwollte.Del´EpéenutzteSchriftundGebärden sprache sowie ein kompliziertes System künstlicher Zeichen, um seinen SchülernBildungzuvermitteln.786GebärdenundSchriftsprachewarenda beikompatibelunddieeineSprachewurdealsÜbersetzerinderanderen genutzt.Del´EpéesSchülerAbbéRocheAmbroiseCucurronSicard(1742– 1822)erweitertediesenUnterrichtdurchdieSchriftinsofern,alsdassdie Schülerlernten,dieSchriftsprachedirektzubenutzenundGedankenauch schriftlichfestzuhaltenundsomitschriftlichmitHörendenkommunizieren zukönnen.DasErgebniswardiesogenannte„französischeMethode“,sie vereintedenGebärdensprachunterrichtdel´EpéesunddenSchriftsprach unterrichtSicards. Zur gleichenZeitentwickelte sich in den deutschsprachigenLändern eingänzlichandererAnsatz,umGehörloseschulischzubilden,diesoge nannte „deutsche Methode“, wobei Samuel Heinicke nicht der Erfinder, wohlaberderjenigewar,derdieseMethodegegendieumgebendenLänder durchsetzte.787 HeinickewolltedieSchüler „durchArtikulationen in den SprechorganenzumDenkenbringen“.788VorausgegangenwarendieVersu chedesArztesJohannesConradAmman (1669–1724),derentdeckte,dass Kehlkopfvibrationenabgefühltwerdenkönnen.DurchTasten,Fühlenund AnschauungbrachteerGehörlosenSprechenundAblesenbei.Erkehrte praktischzudenerstenVersuchender„spanischenMethode“zurück,er weitertesieundwurdedamitzumWegbereiterder„deutschenMethode“. MitHilfenwieTasten,FühlenunddemAbsehspiegelwollteauchHeinicke Sprache anschaulich machen und gehörlosen Schülern das „Denken in Lautsprache“beibringen.DochwurdedieseMethodeunterdenNachfol gernAmmansundHeinickesmitderZeitmehrzueinem„Lautsprechen“ 785
Kröhnert,SprachlicheBildung,S.29–37.Zudel`Epéevgl.auchKapitel2überSamuelHei nicke.
786
Gessinger,Auge&Ohr,S.283f.undS.291f.
787
SporadischeVersuche,GehörloseinDeutschlandzuunterrichten,erfolgtenim18.Jahrhun dertdurchTheologenwiedenLüneburgerPastorGeorgRaphel (1673–1740),OttoBenjamin Lasius(gest.1779)ausBurgdorfoderJohannLudwigFerdinandArnoldi(1737–1783)ausGie ßen(vgl.PaulSchumann,GeschichtedesTaubstummenwesensvomdeutschenStandpunkte ausdargestellt,herausgegebenvonderReichsfachschaftVSonderschulenimNSLB,Frankfurt amMain1940,S.111–117). 788
Kröhnert,SprachlicheBildung,S.39–54,hier:S.52f.
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statteiner„Lautsprache“,einemAuswendiglernendesSprechens,stattei nemDenkeninSprache.DochzuerstwaresHeinicke, der,wiebeschrie ben,1778dieerstedeutscheTaubstummenanstaltgründete,diesichander durchihnweiterentwickeltenLautsprachmethodeorientierte. BisPestalozzis ElementarmethodesichauchinderGründungvonSe minartaubstummenanstalten auswirkte, wurde die „deutsche Methode“ immermehrzurückgedrängt.MitPestalozzi(„durchErziehungeinbesse resLeben“)kamderElementarunterrichtzumTragen,eswurdebuchsta biert.FürdieTaubstummenanstaltenhießdas,dasszunächstdieTechnik desLesens,Schreibens,SprechensundAblesens(Laute,SilbenundBuch staben)gelehrtwurde,bevordanndie„geistigeSeitederSprache“,also WörterinihrerBedeutunggeklärtwurden.ErstimdrittenSchrittwurden GrammatikundAnwendungerläutert.DieseMethodedesElementarunter richtesbliebbisMittedes19.JahrhundertsfürdenVolksschulunterricht wieauchfürdenTaubstummenunterrichtwirksam.Siewandtesichinder AuslegungderhörendenTaubstummenlehrergegendieGebärdeunddas Fingeralphabet. EsfolgteeinePhase,indernebenderoraleneinekombinierteLehrme thodeeingesetztwurde,führendwarendieSchuleninLeipzigundBerlin, anderauchgehörloseLehrerunterrichteten.789 TheoretischwardieLaut sprache Unterrichtsmethode, praktisch wurde im Unterricht der ersten Hälftedes19.JahrhundertseinNebeneinandervonGebärdensprache,Fin geralphabet,SchriftundLautsprachegenutzt.790 Den deutschen Taubstummenunterricht reformierte Friedrich Moritz Hill(1805–1874).Erwarab183044JahrelanganderTaubstummenanstalt inWeißenfelstätig.SeineneueIdeewar,dieSprachedesgehörlosenKin des,ähnlichwiedieSprachentwicklungbeimhörendenKind,„organisch zuentwickeln“.791 SosolltenvonAnfanganWorteundBildergekoppelt werden:ZuerstwurdenWorteausdemLebensraumdergehörlosenSchü lergelernt.AusFragenunddemtäglicherlebtenGeschehensolltesichmit derZeiteinimmergrößererSprachschatzergeben.DieEntwicklungsah alsodenWegvor,AnschauungundSprechenzukoppeln,dannfolgteder 789
JohannesKarth(Hg.),DasTaubstummenbildungswesenimXIX.Jahrhundertindenwich tigstenStaatenEuropas.EinÜberblicküberseineEntwickelung,Breslau1902,S.86. 790
Ebd.,S.87.
791
Kröhnert,SprachlicheBildung,S.75.
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erweiterte Anschauungs und Sachunterricht bis hin zu abstrakten The men:792Nachdemmateriellen(materialem)Sprachunterrichtsolltederfor melle(formale)Unterrichtfolgen.DabeiwandteHillauchnatürlicheGe bärdenan,warnteaberdavor,diesezurDenkformwerdenzulassen. 793Mit MoritzHillundseinenweitgestreutenTheorieschriftenzum„empirischen Sprachunterricht“hattedieoraleMethodeihrenDurchbruch. Nachdem die inhaltliche Seite der Sprache betont wurde, entwickelte sicheinedoppelgleisigeLautsprachMethodik,diediematerialeunddie formaleSeitederSpracheindenLernprozessdesSprachaufbauseinbezog. AlsBeispielseiderTaubstummenlehrerJohannesVatter (1842–1916)aus Frankfurt am Main genannt, der das Prinzip der unmittelbaren Laut sprachassoziationförderte.ErließSachundSprachunterrichtzusammen fließen,gleichzeitigsolltendietechnischen,begrifflichenundformalenSei tenderSprachanbahnunggefördertwerden.VatterwarbisinshoheAlter ein energischer Vertreter der gebärdenfreien Lautsprachmethode, 794 der die Gebärde als „Krebsschaden“ des Taubstummenbildungswesens be zeichnete.795 Die„Verallgemeinerungsbestrebung“nachPestalozzi,diezwischen1820 und1860eineIntegrationGehörloserindieallgemeinbildendenSchulen Hörenderforderte,unddavonausging,dasszuerstdieTechnikendesLe sens,SchreibensundSprechensgelerntwerdensollte,eheandenwirkli chenInhaltvonSpracheeingegangenwerdensollte,zielteaufeinetechnik orientierte„orale“AusbildungGehörloserundhattesicheuropaweit ver breitet und durchgesetzt. Die immer weiter ausgearbeitete „deutsche Methode“wurdeschließlichinternationalalswichtigstegehörlosenpäd agogischeMethodeanerkannt:AufdenfolgenreichenTaubstummenleh 792
Ebd.,S.77.
793
Ebd.,S.81.
794
Berichtüberdie9.BundesversammlungdeutscherTaubstummenlehrerinWürzburgdurch LouisSatow:HamburgsSchulenfürGehörleidende,in:1.BeilagezurNr.40derPädagogi schenReformvom2.10.1912,in:StAHbg,6221GustavMarr,1;PaulSchumann,Geschichte des Taubstummenwesens vom deutschen Standpunkte aus dargestellt, herausgegeben von derReichsfachschaftVSonderschulenimNSLB,FrankfurtamMain1940,S.387–397.(Anmer kung:IndiesemWerkwurdenallesogenannten„Nichtarier“miteinemSternimTextge kennzeichnet,GehörlosemitdemBuchstabenTfürTaubstummeabgekürzt). 795
JohannesVatter,DiedeutscheSpracheundihremethodischpraktischeBehandlunginder Taubstummenschule,FrankfurtamMain1881,S.14,zitiertnach:Breiner,Lautspracheoder Gebärden,S.16.
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rerkongresseninParis1878undvoralleminMailand1880setztesichdas Heinicke’schePrinzip,denGehörlosendurchArtikulationzu„entstum men“unddurchSprechenzumDenkenzubringen,durch.Aufden er wähnten Kongressen wurde durch Mehrheitsbeschluss der anwesenden hörendenTaubstummenlehrkräftefestgesetzt,dassdieserlautsprachliche Ansatzvorder„Zeichensprache“derVorzugzugebensei.796InderFolge tratendie„Oralisten“aufderganzenWeltihrenSiegeszugan,wasvor allemindenVereinigtenStaatenvonAmerika,wodie„französischeMe thode“zuvormehrheitlichfürdenUnterrichtGehörlosergenutztwurde, starkeVeränderungenbewirkte.Gehörlosewurdenauchdortwiederzu „ObjektenderErziehung“:ÜberallinderWeltverlorengehörloseLehrer ihreArbeit.
Exkurs: Die Folgen des Mailänder Kongresses Welche Situation bestand zur Zeit des Mailänder Kongresses? Heinicke hatte seine von Amman übernommene „deutsche Methode“ gegen die ÜberzeugungderumgebendenLänderdurchgesetzt.797Dochhattesichmit der zunehmenden Bildung ein Selbstbewusstsein der Gehörlosen entwi ckelt,dassichinFrankreichdurchÜbernahmevonLehrerstellenundda mitverbundenerAnwendungverschiedensterMethoden–vomFingeral phabetüberGebärdenzurLautsprache–imUnterrichtauswirkte.Auch HeinickesSchwiegersohnErnstAdolphEschke (1766–1811)hattesichge geneinereinoraleLehrmethodeausgesprochenunddieAnwendungder GebärdenspracheineinerkombiniertenMethodeinseinerBerlinerAnstalt durchgesetzt.Sein Nachfolger LudwigGraßhoff bewertetediekünftigen TaubstummenlehrerauchanhandihrerGebärdensprachkenntnis.798InBer linundinLeipzig,wodiekombinierteLehrmethodeangewandtwurde, wurdennebendenhörendenauchgehörloseLehrkräfteausgebildet.Euro 796
Kröhnert,SprachlicheBildung,S.51.DieErgebnissedesMailänderKongresses,diezur VeränderungderSchulpolitikhinzuroralenMethodeaufderganzenWeltführten,wurden voneinerVersammlunggefällt,aufderdieBefürworterdergebärdensprachlichenMethode unddiegehörlosenLehrerkeineStimmebekamen. 797
HierundimFolgendennachKarth,Taubstummenbildungswesen,S.84–160.
798
Karth,Taubstummenbildungswesen,S.86.
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paweitwarenGehörlosedurchausbisindasspäte19.JahrhundertalsLehr kräfteodersogarSchulgründeranderEntwicklungderGehörlosenschulen unddemAusbauderGehörlosengemeinschaftenbeteiligtundlehrtenna türlichauchihreundinihrerSprache,derGebärdensprache.1848entstand danninBerlinaufInitiativedesgehörlosenBerlinersEduardFürstenberg dererstedeutscheTaubstummenverein.Gehörlosetrafensichseit1873auf Taubstummenkongressen und jährlich auf speziellen Kirchentagen. Hier konnten Erfahrungen ausgetauscht und Meinungen gebildet werden – auchkritische.799 MittedesJahrhundertshattenBemühungenhörenderdeutscherTaub stummenlehrerwieFriedrichMoritzHilleinerreinenLautsprachmethode durcheuropaweiteKontaktedenWeggeebnet.800Dieszeigtesichauchauf dem internationalen Mailänder Kongress, der vom 6. bis 11. September 1880stattfandundaufdemsich255TaubstummenlehrkräfteausallerWelt, darunterdreigehörloseLehrer,dienuralsBeobachterzugelassenwaren, trafen.AlsErgebnisdesKongresseswurde–mitGegenstimmenausden USAundSchweden–folgendeResolutionveröffentlicht:„InderÜberzeu gungderunbestrittenenÜberlegenheitderLautsprachegegenüberderGe bärdensprache,insofernjenedieTaubstummendemVerkehrmitderhö rendenWeltwiedergibtundihneneintieferesEindringenindenGeistder Spracheermöglicht,erklärtderKongreß:daßdieAnwendungderLaut sprachebeidemUnterrichtundinderErziehungderTaubstummender Gebärdensprachevorzuziehensei.“801 GegnerdieserResolutionhobendie vernachlässigte geistige Bildung hervor, dass der reine Lautsprachunter richtbeitatsächlichGehörlosenkeinenErfolghabenkönne,unddassder MethodenstreitZügenationalerBestrebungenhabe.DochdieResolution wolltedurchgesetztwerdenundwurdedurchgesetzt,selbstinFrankreich wurdenSprechübungenzurRegel.802VoralleminDeutschland,wozuvor derAusschlussderGebärdeauchnurvereinzeltverlangtwurde,wurde dieMethodikderGehörlosenbildungstarkeingeschränkt,hierwurdedie 799 ThomasWorseck,DiedeutscheGehörlosenbewegungvon1848bis1945,in:Hamburger GehörlosenZeitung4(2003),S.4–7. 800
Ebd.,S.104–115und420.
801
EdmundTreibel,DerzweiteinternationaleTaubstummenlehrerKongressinMailand,Ber lin1881.Dr.TreibelundseinLehrerkollegeDr.HartmannwarendiedeutschenVertreterauf demKongress(Schumann,GeschichtedesTaubstummenwesens,S.407). 802
Lane,MitderSeelehören,S.467.
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reineLautsprachmethoderaschzureinziganerkanntenBildungsmethode erhoben.803NurwenigeJahrespäterhattesicheuropaweitdieLautsprach methode durchgesetzt. Gehörlose Lehrer wurden entlassen. Der erste Allgemeine Deutsche TaubstummenlehrerKongress in Berlin, der am 26.September1884stattfand,804berichtete,dassin96deutschenTaubstum menanstaltennachderreinenLautsprachmethodegelehrtwerde.Der„Sieg überdieGebärde“wurdeauchalsSiegüberdenKriegsgegnerFrankreich gesehen:„DieGebärdeziehtsichnacheinemhundertjährigenKampfim mer mehr zurück. [...] Ein Rückschritt ist nicht mehr möglich [...] Doch müssenwirunsbewußtwerden,daßwirnochvielzuarbeitenhaben,um demdeutschenNamenEhrezumachen.Siewissen,welcheMüheunser Kanzlerhat,denSiegvonSedanzuerhalten.DenMailänderSiegzube haupten,erfordertvonunsnocheineRiesenarbeit“.805DiedeutscheGehör losenschuleentwickeltesichzueiner„Sprechschule“,diedasSprechenin denMittelpunktstellteunddabeiInhalteaberauchdieSchriftsprachever nachlässigte.GeradezuverkrampftführteesandeutschenTaubstummen schulenzueinerÜberspitzungderLautsprachmethode.DerAusschlussder GebärdewurdeallgemeindurchgeführtundzumKriteriumdergesamten Methode.806 * DiePädagogikbliebabernatürlichnichtstehen.Anfangdes20.Jahrhun dertswurdenneueWegegegangen,denndieklassischeLautsprachmetho debrachtenichtdieerwünschtenErgebnisseinderLautsprachkompetenz. GehörlosebliebennachwievortrotzderunmittelbarenLautsprachassozia tion„Sprachkrüppel“.807 NunwurdenGebärde,SchriftundMundHand System808alsEinstiegindieSprachegenutzt(das„imitativePrinzip“).Der 803
Schumann,GeschichtedesTaubstummenwesens,S.409–414,hierS.411.
804
Die erste Taubstummenlehrerversammlung, auf der Pädagogen aus Nord und Süd deutschlandsowiederSchweizzusammenkamen,fand1846statt.NacheinerFolgetagung 1847wurdenüberregionaleTreffenerstwieder1884aufgenommen(ebd.,S.632f.). 805
Ebd.,S.409.
806
Ebd.,S.410f.
807
Kröhnert,SprachlicheBildung,S.178.
808
MundHandSystemmeint,dassmitderLautgewinnungzugleicheineGesteeingeübtund fortanbeimLesenmitgezeigtwird(UlrichBleidick,LesenlernenuntererschwertenBedingun gen,3.AuflageEssen1972,S.121)
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Unterschiedzuralten„französischenMethode“lagdarin,dassdieLehrer eineZeichensprachealsSprungbrettzurSprache,zumAblesenundSpre chen,nutzten.DieReformpädagogenerstrebtendanneinen„naturgemä ßenUnterricht“:DiesprachlicheEntwicklungeineshörendenKindeswurde zugrundegelegt–auchdasgehörloseKindsollteindieSprache„hinein wachsen“.DerUnterrichtsollte„mutterschulgemäß,ganzheitlichunder lebnisbetont“seinmitdemZiel,nichtdasSprechenzu„lernen“,sondern sichdieSprache„anzueignen“unddenSinnzuerfassen. 809DiesenPädago genwaresnichtwichtig,obderUnterrichtmitdemAblesen,demSchrift bildoderdemMundHandSystemanfing.Siewarenesauch,diezurFrüh förderungaufriefenundKindergärtenerrichteten. Die nächste Methode des Lautsprachorientierten Unterrichts war die „neueSachlichkeit“,dienichtdenstarren„verbundenenSachundSprech unterricht“nacheinemder„VäterderLautsprache“,JohannesVatterwoll te,auchnichteinenUnterricht,deralleinvondenEreignissendesAugen blickslebte,wobeidieSpontaneitätwichtigerwaralsdieGrammatik.Diese Methodesahsichinder„goldenenMitte“.DerAnfangsunterrichtwurde stattmitLautenmitderErfassungdes„Sinnganzen“gestartet.DerUnter richtumfasstedie„natürlichenGebärden“,SchriftundMundHandSys tem,umimZieldieLautsprachezuerreichen.WichtigwarderVorschlag derGehörlosenlehrkräfte,ihreSchülerüberdieSchulehinauszufördern undBeratungsstellen,KindergärtenundBerufsschuleneinzurichten. 810Die neueSachlichkeitzeigtesichkonkretimallgemeinenLehrplanfürdieGe hörlosenschulen,der1929entwickeltwurdeunddersichfürdieindividu elleLehrerentscheidungaussprach.DemLehrerwurdenichtvorgegeben, obervonEinzellauten,SilbenoderdemSprachganzenimSprachunterricht fürGehörloseausgehensolle.811DennochwareineumfassendegeistigeBil dungauchindieserMethodiknuramRandegewünscht.Konkretsollteder Unterricht„nichtsunmöglicheswollen,nichtdieganzeSprachedenGehör losenerschließen,sondernsichaufdieElementarsprachebeschränken.Die GehörlosenschulehatnichtdasselbeZielwieSchulenfürVollsinnige“.812 809
Kröhnert,SprachlicheBildung,S.180.
810
Ebd.,S.169f.
811
Ebd.,S.174.
812
Ebd., S.181. DieheutigePädagogikmitderMöglichkeitdesRealschul,Gymnasialund StudienabschlussesfürGehörlosesiehtihrZielzumindestfüreinenelitärenTeilderGehörlo sensowohlineinerhöherenBildungalsauchinderIntegrationindiehörendeWelt.
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Die staatliche Taubstummenschule
Abbildung 46: Artikulationsklasse: Sprechen und Lesen mit Lehrerin Käthe Reinmann, 1938
InsgesamtgabesumdieJahrhundertwendebisindie1920erJahrehinein eineFülleanmethodischenAnregungen.NachdemEndedes„DrittenRei ches“ und deren behinderungsverneinenden Ideenundlebensverachten den Ausführungen, folgte der zweite „unterrichtstheoretische pädagogi scheSchub“.813 DieReformMethodewurdedifferenziert,undMethodikersuchtennach wissenschaftlichenBegründungen.VierProblemebeschäftigtendenGehör losenlehrer in der Nachkriegszeit: die Hörerziehung, der ganzheitliche Sprachunterricht,dievorschulischeErziehungunddieFrage,obundwie weitdieLautspracheinein„anderesMedium“fürGehörlosezuüberfüh rensei.Nach1945kamesallerdingszukeinemBruchinderUnterrichts methodik: InderGehörlosenpädagogiksetztesich dieHörbewegungan die Spitze. Jeder Hörrestsollte vor demHintergrund vorangeschrittener technischerMöglichkeitenausgenutztundfürdieSpracherziehungnutz bargemachtwerden.TechnischeVerbesserungenundneuartigeIdeenwar tenbisheutemitimmerneuenErgebnissenauf.Dieakustischapparativen 813
Kröhnert,SprachlicheBildung,S.211–213.
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Möglichkeitenwurdenundwerdenstetigvermehrt.814Dashörgeschädigte Kindsolltemöglichstfrüherfasstwerden,umlautsprachlicheTendenzen entwickelnundentfaltenzukönnen;undschonvordemKindergartensoll te die Früherziehung im Familienkreis einsetzen. Angestrebt wurde ein „ganzheitlicher“ Sprachunterricht, mit Sprache sollte das hörgeschädigte Kindfrühundandauerndkonfrontiertwerden.Wennauchdieklassische „Tastfühlstruktur“,in der TönedurchVibrationenundAnschauung er fahrbargemachtwurden,alsnichteffektivzurückgestuftwurde,versuch ten Pädagogenweiterhin,dieSpracheineinensichtbarenbzw.fühlbaren Ansatzumzusetzen. AndenSchulengabesinden1970erund1980erJahrenimWesentlichen zwei lautsprachliche pädagogische Verfahren, angewandt wurde die „ganzheitlicheMethode“(dienachdemKriegdieBrüderArturundErwin KernausHeidelbergentwickelthatten),diedieSprachvermittlungvordie Artikulationsarbeit setzte, sowie die „aufbauende Methode“ nach einer IdeevonClemensSchuyausEuskirchen,diedieSprachinhalteerstvermit telte,wenndieartikulatorischeVoraussetzunggegebenwar.DochdieVer meidung der Gebärdensprache und der „systematische Sprachaufbau“ Schuyswarennichtgeeignet,GrundproblemederoralenMethodezulösen– GrundklassenkonntenbeispielsweisenurimImperativsprechen,Teileder Sprachewurdenweggelassen,„weil“wurdeinderdritten,„obwohl“in der zehnten Klasse gelehrt. Doch wie brauchbar ist das Weglassen von SprachteilenfürdiePraxis?SofunktioniertSprachenicht.815Durchdieim mer bessereFrüherziehung–immer mehrElternfördertengezieltunter fachlicherAnleitungihregehörlosenKleinkinder–setztesichdieMethode durch,dieerstdieSprachinhaltevermittelt.816VorbilderbliebendasSchrift 814
ErwähntwerdensollteandieserStelledasCochleaImplantat.DiesesisteinkünstlichesIn nenohr,dasvorallemgehörlosenKinderneingepflanztwird.DiesesImplantathatsowohlin nerealsauchäußerlicheBestandteileundführtübereinMikrofonSchallwellenzuElektroden, dieelektromagnetischeFelderaufbauen,diedieNervenzellenimOhrstimulieren.DieseNer venreizewerdenvondemfürdasHörenzuständigenTeildesGehirnsalsLautmustergedeu tet.DieserLautallerdingsistnurschwerzudeutenundzulokalisieren,sodassderNutzen desImplantatsvorallemvonGegnernderoralenMethodeangezweifeltwird.Siehedazu: Lane,MaskederBarmherzigkeit,KapitelVII,S.259–302. 815
VortragvonKlausB.GüntheraufdemDeafHistoryKongressinBerlin2006,derTagungs banderscheintvoraussichtlichEnde2007.
816
ArminLöwe,Gehörlose,ihreBildungundRehabilitation,in:DeutscherBildungsrat,Gutach tenundStudienderBildungskommission,Band30,Sonderpädagogik2,Stuttgart1974,S.96.
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bild (Kindergarten), das Mundbild (Früherziehung), die Tastfühlstruktur (zum Beispiel Worte in die Hand gesprochen) und die Tasthörstruktur (Restgehörausnutzen,verschiedeneoptischeundvibrativeHilfen). ImGegensatzzuden1960erJahrenwurdeabMitteder1970erJahredie Meinunglaut,dassdieZielsetzungderBildungsarbeitfürgehörloseKin derdieVermittlungdesgleichenWissenswiederhörendenKindersein müsste,817wobeidasSpätzielweiterhindieIntegrationblieb,umGehörlose nichtineinerisoliertenGemeinschaftzubelassen. 818KlausB.Günther(geb. 1944)nenntesdieoffeneKrisedesOralismus,alssichEhemalige,Eltern undSchülergemeinsamfürdieAnnahmederDeutschenGebärdensprache indenSchulenstarkmachten.819 Abden1970erJahrenentwickeltensichschließlichinderGehörlosen pädagogikdreiMethodiken,dieteilweiseheutenochaktuellsind,vonde nendererste,dieErziehungzurSubkultur,einengänzlichneuenAnsatz bot.DiesprachlicheKommunikationsolltesichdemKindanpassen,nicht dasKinddenvonderGesellschaftvorgegebenenKommunikationsnormen. DieDGSsolltealseigenständigeSpracheinSchulewieGesellschaftaner kanntwerdenundgehörlosenKindersolltenaufgezeigtwerden,wiesiein diesereigenenSpracheselbstbewusstundausgeglichenihrLebenineigener Kulturlebenkönnen.820 DerzweiteAnsatzbliebaufeinemtraditionellen WegderErziehungzurNormalität.DasgehörloseKindsolltezurTeilnah me an der hörenden Welt erzogen werden.Dies sollte durch Früherzie hung,Hörerziehung(deren–technische–Möglichkeitenbisheutenoch langenichtausgeschöpftsind)undIntegrationerreichtwerden.Schließlich gibtesdenmittlerenWeg:dieErziehungzurTeilnahmeamLebenderHö rendenundderGehörlosen.Gehörlose,soheißtes,sollteneineHeimatin dergehörlosenGesellschaftfinden,abersichauchmitdenHörendengut verständigenkönnen.UmIntegrationzuerreichen,wirdnichtmehrauf dasDefizitBehinderter,sondernaufdieGemeinsamkeitengeachtet–der vierteBerichtüberdieLagederBehindertenunddieEntwicklungderRe habilitation des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung von 1998 schreibt fest, dass „begriffliche Abgrenzungen nicht als […] Aus 817
Ebd.,S.124.
818
Ebd.,S.141ff.mitBeispielenausanderenLändern.
819
VortragvonKlausB.GüntheraufdemDeafHistoryKongressinBerlin2006.
820
HierzusieheauchKapitel9zumZentrumfürGebärdensprache.
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grenzungen von Menschen mit Behinderungen wirken dürfen, sondern – nachvorrangigerBetrachtungihrerFähigkeiten–alsHinweisaufihre individuellen Probleme und Chancen […]“, um eine „größtmögliche SelbstverwirklichungdurchpersönlicheAutonomiebeimöglichstumfas sendersozialerIntegrationinFamilie,GemeindeundGesellschaft“zuer reichen – Selbstbestimmung statt aufgezwungener Fremdbestimmung.821 GehörlosealsPartner–solltedanichtauchzurSelbstbestimmungdieAk zeptanzdereigenenSprachegehören? 4 . 5 . 4 . 2 L a u t s p ra c h e , L a u t s p ra c h b e g l e i t e n d e G e b ä rd e n u n d G e b ä rd e n i m Ko n s e n s
Den konsensfähigen, einzig richtigen pädagogischen Ansatz gab es nie. AuchanderHamburgerGehörlosenschulewurdenunterschiedlicheMe thodikenvonverschiedenenLehrkräftenfavorisiert.Gemeinsamwarihnen alleindasZiel,ihrenSchülerndieLautsprachesoweitwiemöglichbeizu bringen. In den 1960er Jahren wurde zum Beispiel der ganzheitliche SprachaufbauvondenHamburgerLehrkräftenbevorzugt,dervonsprach licheinfachenWörternausging.822DieseZeitwargeprägtdurcheineHör erziehung, die in „Vielhöreranlagen“ und angepassten Einzelhörgeräten auchinHamburgihrentechnischenAusdruckfand. Dochwurdeauchangefangen,überverschiedeneGebärdensystemezu diskutieren,diezuvorjederLehrerfürsichentworfenundimUnterricht angewandthatte,umverständlichererklärenzukönnen.1967wurdeinei nerLehrerkonferenzbeschlossen,dasFingeralphabetalszusätzlicheHilfe erstinderAnwendungananderenSchulenzubeobachten,eheesspäter auch in Hamburg gebraucht wurde.823 Ab 1970 wurde verstärkt das phonembestimmteManualsystemalsVereinheitlichungderLautgebärden erprobt.ImfolgendenJahrwurdevomdamaligenHamburgerSchulleiter Hellmuth Starcke, der daserste vereinheitlichende „HandbuchderGe bärden“,dassogenannte„BlaueBuch“zusammenmitseinemKollegen 821
FranzB.Wember,BildungundErziehung beiBehinderung.Grundfragen einer wissen schaftlichenDisziplinimWandel,in:Leonhardt,Annette/ders.,GrundfragenderSozialpäd agogik.Bildung,Erziehung,Behinderung.EinHandbuch,Weinheim,Basel,Berlin2003,S.14.
822
StAHbg,36210/3 SamuelHeinickeSchule,Mappe 15 (Ablieferungsverzeichnis) Lehrer konferenzen1969–1974,Konferenzvom23.1.1970.
823
Ebd.,Lehrerkonferenzen1966–1969,Konferenzvom26.5.1967.
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GünterMaisch(geb.1941) entwickelte,denKollegenanderSchuleein Gebärdensprachkurs angeboten.824 Es war nicht selbstverständlich, dass Gehörlosenlehrkräfte in ihrer Ausbildung die Gebärdensprache kennen lernten.1978wurdeschließlichüber„strukturierteGebärden“,alsolaut sprachbegleitendenGebärden(LBG)diskutiert,indenenMaischKursefür ElternundKollegengab.825 InzwischenhabensichandeutschenGehörlosenschulenzweikonkur rierendepädagogischeAnsätzedurchgesetzt:InderZeit,als–indenVerei nigtenStaatenabMittedersechzigerJahre,inDeutschlandabMitteder 1980erJahre–dieBedeutungderGebärdensprachefürdieErziehung,Ent wicklungunddasLebenderGehörlosendurchForschungsergebnissever deutlichtundindenSchuleneingesetztwurde,entwickeltesichauchdie hörtechnischeBewegungraschweiterunderbrachteneueErgebnisse.Da beideVerfahrensichinderEntwicklungbefindenundbeideHoffnungen aufein„mehr“wecken,stehensichdiebeidenLagergeradezuverfeindet gegenüber,weiljederdieeigeneMethodealsdie„einzigwahre“ansieht. AberscheintdieklassischeLautsprachmethodenichtanihreGrenzen gestoßenzusein?DieMethode,GebärdenspracheabzulehnenunddenUn terricht für Gehörlose allein in gesprochener Sprache durchzuführen, brachtenichtdenErfolg,dendieVerfechterderoralenMethodebehauptet hatten.SelbstdieAnhängerdeslautsprachlichenPrinzipsräumenein,dass vielegehörloseKinderdadurch,dasssiedieLautsprachenichtrichtigbe herrschenlernen,durchdasBildungsrasterfallen.LediglichbeieinemVier telderGehörlosen,dieinderoralenMethodeunterrichtetwerden,istdiese Methodesoerfolgreich,dassdieseeineinigermaßenintegriertesLebenin derhörendenGemeinschaftbietet.Dochdiemeistengehörlosenoralunter richtetenKinderhabenesschwer:SiewerdennieeinvollständigesMit gliedderhörendenGemeinschaftwerden,abersiewerdenauchnieein deutigesMitgliedderGehörlosengemeinschaftwerden,dasiewederdie Lautsprache noch die Gebärdensprache befriedigend beherrschen. Es ist Zeitumzudenken,sagendieGehörlosen. DurchdieForschungsarbeitdesInstitutesfürDeutscheGebärdenspra cheundKommunikationGehörloser,daserstmalsdieSprachederdeut schenGehörlosenwissenschaftlichuntersuchteundversuchte,dieregional 824
Ebd.,Lehrerkonferenzen1969–1974,Konferenzvom18.2.1971.
825
Ebd.,Lehrerkonferenzen1975–1981,Konferenzvom26.1.1978.
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unterschiedlichenFormenderDeutschenGebärdensprache(DGS)zueiner „Hochsprache“ zu vereinen– sowie die verschiedenen mittelalterlichen deutschenMundarteneinstzueinerkünstlichenSprache„Hochdeutsch“ zusammengefasstwurden–erlebtedieDGSeineArtReform.DasInstitut setztesichdafürein,dassausgehendvonderDGS,diealsMuttersprache derGehörlosenbezeichnetwird,ohnedasssieesimNamenssinnewirklich ist,dieFremdspracheDeutschandenSchulenerlerntwird.Unterrichtsoll tealsoinDGSgehaltenwerden.ZuerststräubtesichdieHamburgerSchule gegen solche Reformen, denn man befürchtete, dass Gehörlose dadurch nochweiterindieIsolationgetrieben,dieLautsprachenochwenigerernst nehmen und weniger mit der Umwelt kommunizieren würden. Zudem gibteskeineanwendungsfreundlicheVerschriftlichungderDGS,826sodass geradederSachunterrichtaufDGSalleininderUnterrichtssituationge lehrtwerdenkönnte,ohnedassdieMöglichkeiteinesschriftlichenFixie rensbestehenwürde. TrotzdemfandenGebärdenwieGebärdenspracheEingangindieSchu len,daesohnesienichtmehrmöglichschien,zielorientiertaufhöherem Niveauzuunterrichten.1980gabeseineEmpfehlungderKultusminister konferenz,dassGebärdenzumVerdeutlichenderLautspracheerwünscht seien,allerdingsdachtedieKonferenzdabeinichtandieGebärdensprache, sondernan„Lautgebärden,phonemundgraphenbestimmtemanuelleZei chen“ und andere „Ersatzgebärden“827 Die Richtlinien der Hamburger SchulefürGehörlosewurdenerst1986dahingehendverändert,dassdie Gebärden positiver beurteilt wurden. Der Satz „Die Gehörlosengebärde wirdimUnterrichtnichtverwandt“wurdedurch„alleZeichensystemeha benderLautsprachbildungzudienen,dasgiltauchfürdenEinsatzvon Gebärden,dieimUnterrichtverwendetwerdenkönnen“ersetzt. 828DieDis kussionumdieMethodikverschärftesichmitGründungdes„Zentrums 826
AmInstitutfürDeutscheGebärdenspracheundKommunikationGehörloserwurdeunter demTitel„HamNoSys“einNotationssystemfürGebärdensprachenentwickelt(„Hamburg Notation System for Sign Languages“). Siehe auch: Chrissostomos Papaspyrou, Gebärden sprache und universelle Sprachtheorie. Vergleichende generativtransformationelle Inter pretationvonGebärdenundLautsprachesowieEntwurfeinerGebärdenschrift(Internatio naleArbeitenzurGebärdenspracheundKommunikationGehörloserBand8),Hamburg1990. InzwischenhatdasInstitutverschiedeneGebärdenFachlexikaherausgegeben,diesinnvoller weiseauchalsmultimedialeCDserhältlichsind.
827 StAHbg,3612VIOSBVI,Abl.1995/1,5058,Schreiben2.10.1985undNotizvonOberschul ratJürgenvonMelle7.10.1985.
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fürDeutscheGebärdenspracheundKommunikationGehörloser“imMai 1987undführtedazu,dasssichdieGegnerbeiderLager–hierdie„Laut sprachler“,dortdie„Gebärdensprachler“–unversöhnlichgegenüberstan denundvorDiffamierungenallerArtnichtzurückschreckten.Dajedoch derKindergartenunddasZentrumzusammenarbeiten,kamüberdiesen UmwegdieDGSauchandieSamuelHeinickeSchule.Seit1993gabesnun an der Schule eine bilinguale Versuchsklasse. Dieser Versuch war zu nächstaufsechsJahreangelegtundsollteherausfinden,obdieKinder,die zweisprachigaufwachsen,ebensooderbesserlernenundsichentwickeln können. 4.5.4.3 Der bilinguale Schulversuch
In der SamuelHeinickeSchule wurde bis 1993der hörgerichtete Ansatz bevorzugt,829dasKindalsoindieLageversetzt,durchdasBeherrschender Lautsprache,durchLippenlesen,HilfedurchspeziellangepassteHörgeräte, durchdieFähigkeitzumLesen,SchreibenundSprechenderLautsprache, Hörende zu verstehen und mit ihnen zu kommunizieren. Ziel des Un terrichtswar,dassdiegehörlosenKindersichinderhörendenWeltzurecht finden,sieverstehenunddarinlebenkönnten,mithindieIntegrationder hörbehindertenKinderindiehörendeGemeinschaft.Deshalbwurdevon derSchuledieFrühförderungschonimSäuglingsalterangesetzt,dieTen denz,bereitsSäuglingenHörgeräteanzupassenundsomitdieHörnerven zuneuenVerbindungenanzuregen,begrüßt. UnterrichtfindetindenNormklassenderGehörlosenschuleinderdeut schenLautspracheinVerbindungmitderlautsprachbegleitendenGebärde (LBG) statt. Diese Gebärden folgen der Satzstruktur der gesprochenen Sprache.FürjedesgesprocheneWortgibteseineGebärde.DieseGebärden entsprechennichtderKommunikation,diedieGehörlosenuntereinander gebrauchen.DieDeutscheGebärdensprache(DGS)isteineeigeneSprache miteigenerStruktur,diesichnichtanderdeutschenLautspracheorientiert. ImAugust1993starteteanderSamuelHeinickeSchuleeinfürDeutsch landbiszudiesemZeitpunkteinzigartigerModellversuch:Eswurdenach 828
StAHbg,3612VIOSBVI,Abl.1995/1,5058,SchulleiterGünterCorsanBehördefürSchule, JugendundBerufsbildung26.6.1986.
829
Dies betonte der damalige Schulleiter Georg Männich noch in einem Interview am 10.10.1994.
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dänischem Vorbild eine bilinguale Versuchsklasse eingerichtet, die den SchülernUnterrichtsinhalteinundüberLautspracheundinundüberGe bärdensprachevermittelt.830 Bereits1977hatteFritzHelmutWisch(geb.1943),LehreranderSamuel HeinickeSchuleundselbstVatereinesgehörlosenKindes,dieFrüherzie hunggehörloserKinderinHamburgübernommen.831ErwarfürdieEltern beratungzuständig,botGebärdenkursefürElternanundsahseinZielin derdoppeltenIntegrationdergehörlosenKinder–einmalindieGehörlo senwelt,einmalindieWeltderHörenden–,inderVerbesserungderfami liären Kommunikation und in der Akzeptanz des Kindes.832 Ende der 1970erJahrewurdenaufseineInitiativehinnebendieLautundSchrift spracheauchdasFingeralphabetunddielautsprachbegleitendenGebärden (LBG)indieFrüherziehungaufgenommen.ImOktober1990wurdenim KindergartenfürGehörlose,demSonderkindertagesheim,zusätzlichzwei gehörloseErzieherinneneingestellt.DaswareingroßerSchritt,dennzuvor waren in derAusbildunggehörloserKinderin Hamburg allein hörende PädagoginnenundPädagogenbeschäftigtgewesen,833daderKindergarten, inHinblickaufdiespätereEinschulungandieSamuelHeinickeSchule,be reitsdieBasisfürdieErwerbungderLautsprachelegensollte. MitdengehörlosenErzieherinnengabesjetztauchAnsprechpartnerder Kinder,dieinDGS kommuniziertenund nicht nurinLautspracheoder LBG.AlsdieElternderKindergartenkinderdaraufhineineschnelleregeis tigeEntwicklungihrerKinderfeststellten–siewurdenlebhafter,aufge weckterundlerntenmehr–organisiertenzehnElternpaareimMärz1991 einTreffenmitdemschwerhörigenSoziologenKlausB.Günther,seitdem 830
DiesesKapitelschildertdenWerdegangdesSchulversuchs,wennnichtandersangegeben, durchInformationenaus:KarinWempe,Hamburg,DerlangeWegzumSchulversuch,in:Das Zeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheundKommunikationGehörloser24(1993), S. 204–211; KlausB. Günther, Bilingualer Unterricht mit gehörlosen Grundschülern. Zwi schenberichtzumHamburgerbilingualenSchulversuch,Hamburg1999.
831
FritzHelmutWisch,LautspracheUNDGebärdensprache.DieWendezurZweisprachigkeit in Erziehung und Bildung Gehörloser (Internationale Arbeiten zur Gebärdensprache und KommunikationGehörloserBand17),Hamburg1990,S.218f. 832 833
Ebd.,S.220f.
WolfgangSchmidt waralsgehörloserSozialpädagogeelfJahrevorhereingestelltworden undhatte„sozialfürsorgerischeAufgaben“übernommen,dieaußerhalbdesUnterrichtensla gen(StAHbg,3612VIOSBVI,Abl.1995/1,Az.5346,VermerkvonOberschulratJürgenWurst 21.9.1979).
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Wintersemester1990/91ProfessorfürGehörlosenpädagogikamInstitutfür BehindertenpädagogikdesFachbereichsErziehungswissenschaftderUni versität Hamburg. Mit dem habilitierten Grundschulpädagogen bespra chensieihrenWunschnachEinbeziehungderDGSfürihreKinderauchim kommendenSchulunterricht.DaraufhinwurdeeinbilingualesUnterrichts konzeptentwickelt.DieSchulleitungwurdedarüberinformiert,standdie sen Wünschen anfangs aber ablehnend gegenüber. Es folgten drei Jahre heftiger Kontroversen der Gegner und Befürworter einer zweisprachigen AusbildungdergehörlosenKinder.Am12.November1991wurdevonder ElterngruppezusammenmitProfessorGünthersUnterrichtsentwurfeinoffi ziellerAntragaufDurchführungeinesbilingualenSchulversuchszumSchul jahr1992/93andieBehördefürSchule,JugendundBerufsbildunggestellt, dervomDeutschenGehörlosenBundunddem Elternverband Deutscher Gehörlosenschulenunterstütztwurde.DaraufhinerfolgteinderBehördeein Gespräch der Elternvertreter mit Oberschulrat Jürgen Wurst (geb.1937), SchulleiterGeorgMännichunddemPräsidentendesDeutschenGehörlo senBundes,demJuristenundPädagogenDr.UlrichHase(geb.1955). EinProblemlagdarin,dasseszuderZeitnochkeinefertigausgebilde tengehörlosenLehrkräftegabundsichOberschulratJürgenWurst gegen dieEinstellungberufsfremderGehörloseraussprach.Trotzdemlehntener undauchdiezuständigeSenatorinRosemarieRaab (geb.1946)denzwei sprachigenSchulversuchnichtvölligab,imGegensatzzuSchulleiterMän nich.DiesersahindenAugenderElternvertreterunteranderem„denRuf seinerSchulegefährdet“,834vorwiegendaberdieGefahr,dassdurchdieGe bärdensprachedasErlernenderLautsprachebedrohtsei.Erbefürchtete, dassdieohnehinsehreigeneGemeinschaftderGehörlosennochweiterin dieIsolationgetriebenwerdenwürde.835ZudemliefanderSchuleseiteini genJahrenderVersuch,intensiverLBGimUnterrichtzunutzen.Diesen Versuch wollte er nicht gefährden und meinte, dass dieser methodische AnsatzzuEndegeführtundausgewertetwerdenmüsse,bevordieSchule sichneuenVersuchsprojektenzuwendenkönne,unddassdieDGSnoch nichtgenugerforschtsei,alsdassmansieschonalsUnterrichtsmittelein setzenkönne.836DieBehördenvertreteraber,diesichschondurchdieEin stellungvongehörlosenErzieherinnenamSondertagesheimfürdieGebär 834
ElternvertreteranSenatorinRaab18.1.1992,nach:Wempe,Schulversuch,S.205.
835
InterviewmitGeorgMännicham10.10.1994.
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denspracheausgesprochenhatten,ließendurcheinSchreibenandieSchule wissen,dassdiese„gehalten[sei],inihrerpädagogischenArbeitauchder deutschenGebärdenspracheRaumzugebenundinsbesondereaufdieVor erfahrungenausdervorschulischenErziehungRücksichtzunehmen“.837 DieFolgenwarengravierend:DieElternundLehrerschaftspaltetesich inzweiLager.Dieeinen,zudenenauchSchulleiterMännichgehörte,spra chensichvehementgegenDGSinderSchuleausundwolltendieGebär densprachenuraußerhalbdesUnterrichtseinsetzen,dieanderensahenin derEinführungvonDGSindieSchuleeineErweiterungundVerbesserung des Schulunterrichts. Die erste daraufhin einberufene Lehrerkonferenz stimmtenochmehrheitlichgegeneinenUnterrichtinDGSabdemSchul jahr1992/93.TrotzdemwardasKollegiumbereit,einbilingualesKonzept mitzuentwickeln.838AufeinerSchulkonferenzimApril1993wurdeeinem bilingualenSchulversuchgrundsätzlichzugestimmt.Inzwischenhattedas ZentrumfürDeutscheGebärdenspracheundKommunikationGehörloser unterVorsitzvonProfessorSiegmundPrillwitzihreUnterstützungfürden SchulversuchzugesagtundeineArbeitsgruppezudiesemThemagebildet, indernebenVertreternmehrererteilweisebundesweiter Verbändeauch LehrkräftederSamuelHeinickeSchulesaßen.839 DasgrößteProblemdesSchulversuchsbliebweiterhin,dasskeineaus gebildetengehörlosenLehrkräftezurVerfügungstanden.Zwarwurdeeine gehörloseKandidatingefunden,diedasZentrumfürDeutscheGebärden sprachevorgeschlagenhatte,JuttaSchwarz(geb.1946), dochdurftesiein dermittlerweileeingerichtetenerstenKlassevonSusannaTollgreef(geb. 1957) lediglich hospitieren, bevor die Schulbehörde die Beteiligung von FrauSchwarzamUnterrichtzusagte.DerBeginndesSchulversuchsver zögertesich,undesbegannenernstlicheAuseinandersetzungen,esgab Verbandsaustritte und kleinere Demonstrationen – der Streit zwischen Lautsprach und Gebärdensprachanhängern wurde öffentlich. Inzwi schenbeschäftigtesichauchdieBürgerschaftmitdenDurchführungsbedin gungendesSchulversuchs.AufeinerPressekonferenzstelltendieVersuchs 836
GeorgMännich,IstbilingualerUnterrichtinderEinschulungsklassederSamuelHeinicke Schulemöglich?In:DasZeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheundKommunika tionGehörloser20(1992),S.192–193,hier:S.192.
837
SchulbehördeanSchulleitung14.1.1992;nach:Wempe,Schulversuch,S.205.
838
Männich,BilingualerUnterricht,S.192.
839
Wempe,Schulversuch,S.211.
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gegner ihreArgumentedar,woraufhindieHamburgerZeitungenArtikel drucktenmitTitelzeilenwie„FührtGebärdenspracheKinderindieIsola tion?“oder„CDUFDPGALunisonogegenSchulversuch“.DieElternder Kinder,dieindiebilingualeKlassesollten,warenbeiderPressekonferenz nichteingeladen.840
Abbildung 47: Demonstration für die gehörlose Lehrassistentin Jutta Schwarz an der Gehörlosenschule, 1994
AllemUnbillzumTrotzwurdederAntragandieSchulbehördeaufEinfüh rungdesSchulversuchsabSommer1993mitEinbeziehungGehörloserauf derLehrerkonferenzam14.AprilundderSchulkonferenzam15.Aprilbe schlossen. Im Frühsommer 1993 genehmigte die Behörde den Schulver such,derdannimAugustohnefinanzielleUnterstützungbegann.Zwar wurdedasKonzeptderZweisprachigkeitnichtvölligumgesetzt,aberim merhinbekamendieerstenbeidenKlassendesSchulversuchsjevierStun denUnterrichtüberDGSundvierSachunterrichtsstundeninDGSzuge 840
Ebd.,S.210f.
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sagt.KlassenlehrerinnenwarenhörendePädagoginnen,alsLehrassistentin fungiertein beidenGrundschulklassendie gehörloseJuttaSchwarz.Der Unterrichtsahpraktischsoaus,dassbeideLehrerinnenanwesendwaren, diehörendeKraftdielautundschriftsprachbezogenenAspektedesSach unterrichtsunddenDeutschunterrichtdurchführte,währenddiegehörlose Kraft die DGSAnteile im bilingualen Sachunterricht sowie den reinen DGSUnterrichtübernahm.841 DerUnterschieddesHamburgerVersuchesgegenüberskandinavischen bilingualenProjektenmitgehörlosenSchulkindern842wardiedoppelteUn terrichtssprache:DiehörendeLehrerinunddiegehörlosePädagoginarbei tetenin einemDrittel des Gesamtunterrichtsgemeinsam inderKlasse. DanebengabesUnterrichtinDGSundinderHörSprachErziehung.Kon kretwarimerstenSchulversuchsjahrderzweisprachigeUnterrichtinden Gesamtunterricht,dasheißtSchriftspracherwerbundSachunterricht,einge bunden.GebärdensprachefungiertealsGrundsprache,dochlerntendieKin der,zwischenDGS,LBG,SchriftspracheundFingeralphabetzuwechseln. Nach einem Jahr zogen die beiden Klassenlehrerinnen der Schulver suchsklasseneineBilanz:843DieKinderseiensehraufgewecktundkommu niziertenundhinterfragtenviel.TrotzdemkämedieLautsprachenichtzu kurz,dieKinderseienmotiviert,auchdieseSprachezuerlernen,zumBei spielumBücherlesenzukönnen.Lautbzw.Schriftspracheseiimmernoch dasZiel,dochdasZwischenmenschliche,dasErklärende,geschäheinGe bärdensprache. ImGegensatz zuanderen bilingualen Kursen wurde bei diesemSchulversuchzwischendenSprachenscharfgetrennt.DieKinder solltendeutscheSchriftspracheundDeutscheGebärdenspracheverstehen lernen und sich wirklich zweisprachig ausdrücken können. Inzwischen hattesichauchaußerschulischetwasgetan,einkontinuierlicherDGSKurs fürdieElternderSchülerinnenundSchülerderbilingualenKlassewarein 841
EvelineGeorge,ZumzweisprachigenSchulversuchanderHamburgerGehörlosenschule, in:DasZeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheundKommunikationGehörloser25 (1993),S.342.EinEinblickindieUnterrichtsarbeitfindetsichinderSendung„SehenstattHö ren“Nr.973vom10.10.1999 (http://www.taubenschlag.de/SSH/1010.htm,abgerufen imDe zember1999).
842
InSkandinavienwardieGebärdenspracheUnterrichtssprache,währenddieLautsprache zumUnterrichtsfachwurde,wobeiderSchwerpunkthierbeiaufderSchriftlichkeitlag.
843
VerenaThielHoltz/SusannaTollgreef,DerbilingualeSchulversuchanderHamburgerGe hörlosenschule,in:dfgsforum,HalbjahreszeitschriftdesDeutschenFachverbandesfürGehör losenundSchwerhörigenpädagogik,Nr.2,1994,S.116–120.
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gerichtetworden.AuchkonntennebendenKlassenlehrerinneneinezweite gehörlose Lehrassistentin mit 13 Wochenstunden (inklusive Vorberei tungsundEinzelförderstunden)undstundenweisenochweitereGehör losenlehrerinnenfürMathematik,SportoderHör/Sprecherziehungein gestelltwerden.844 SeitdemSchuljahr1994/95hattendieKlassenzusätzlicheinegehörlose Sozialpädagogin,AngelaStaab(geb.1964),alsvolleLehrkraft,diedieKin derinDGSunterrichtete.AlsIdentifikationspersonwurdesieVorbildund ersteAnsprechpartnerinfürdieKinder,klärteauchAlltagsfragen,erzählte ausderTraditionderGehörlosenundbrachteihnensospielerischdieBe herrschungderDGSbei.845 Schon der Zwischenbericht des Hamburger Versuches aus dem Jahr 1999 wurde positiv aufgenommen.846 Der niedersächsische Landtag be schloss,dasHamburgerBilingualismusmodellrichtungweisendfürnieder sächsischeSchuleneinzuführen.TatsächlichwaresaberBerlin,inderals nächsteStadtinDeutschlandimSchuljahr2001/2002einebilingualeKlasse eingerichtetwurde.ImBerlinerLandesgleichberechtigungsgesetz,dasam 29.April1999verabschiedetwurde,wurdezudemdieAnerkennungder Gebärdensprachefestgeschrieben.Seit2005habengehörloseBerlinerKin dereinenRechtsanspruchaufDGSimUnterricht.847 DerAbschlussberichtdesHamburgerSchulversuchszeigte,dassdiebi lingualeKlasseinihremWisseneinerSchwerhörigenklassegleichzustellen war.848DieswareingroßerErfolg,dennimselbenTestschnittendiegehör losenKinderderoralenKlassevorallemimTextverständnisklarunterle 844
KlausB. Günther / Eveline George, Zum Stand des Bilingualen Schulversuches an der HamburgerGehörlosenschule,in:DasZeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheund KommunikationGehörloser30(1994),S.474–477.
845
InformationsveranstaltungzumbilingualenSchulversucham2.3.1995imPädagogischen InstitutderUniversitätHamburg.WährendderDiskussionsrundekameswiederzuheftigen AuseinandersetzungenzwischendenGegnerndesSchulversuchsunddenBefürwortern,die sichvorallemgegendenAngriffwehren,dassdieKinder,diebilingualunterrichtetwerden, keineLautsprachelernenwürden.HiersollteklarunterschiedenwerdenzwischenLautspra cheundSchriftsprache.NichtdasperfekteSprechen,sonderndasperfekteBeherrschender DGSundderdeutschenSchriftsprachesollteZielsein.EinblickindenUnterrichtgibtauch derArtikelvonRafaelPilsczek,DenLöwenjagen,in:DieWocheNr.17vom21.4.1995. 846
KlausB.Günther,BilingualerUnterrichtmitgehörlosenGrundschülern.Zwischenbericht zumHamburgerbilingualenSchulversuch,Hamburg1999.
847
Folge1134derSendung„SehenstattHören“am26.5.2003,http://www.taubenschlag.de/ ssh/1134.htm,abgerufenam15.9.2007.
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genab.LehrerundElternwarenüberzeugtvomErfolgderganzheitlichen FörderungihrergehörlosenKinder,dieeinweitgehendfürGrundschüler normalesUnterrichtsangebotinallenschulischenLernundLeistungsbe reichenrealisierthatten,dazueinealtersgemäßeBildungundKommunika tionsentwicklung.849DasErgebniswarsopositiv–vierderzehngehörlosen KinderwechseltenaufdiegymnasialeKollegstufefürHörgeschädigtein Essen,diegesamteKlasseschnittbeidenHamburgerVergleichsarbeiten mithörendenVergleichsklassenungewöhnlichgutab–,850dassdieLehrer konferenzderHamburgerGehörlosenschulebeschloss,dassdasbilinguale ModellzumRegelmodellgemachtwerdensollte.851 4. 5. 5 Sc hu lkinde rga r t en u nd Son der ta g es hei m MitderEinrichtungeineseigenenSpielzimmersimJahr1915undderAn stellungeinerFröbelKindergärtnerinfürdiejüngstengehörlosenKinder wurdedasFundamentfüreinenKindergarteninderTaubstummenanstalt geschaffen.Gemeinsamwurdegespielt,aberauchschonmitderSprachför derungbegonnen,umdenjüngstengehörlosenKinderndenWegaufdie Taubstummenschulezuerleichtern.ImJanuar1919wurdedieOberschul behördevomLehrkörperderTaubstummenschuleundvonderHeilpäd agogischenVereinigunggebeten,offizielleinenKindergartenfürgehörlose Kindereinrichtenzukönnen,umdieseschulreifzumachen,Sprachrestezu pflegenundumeinSprachfundamentschaffenzukönnen,welchesden ÜbergangaufdieSchuleerleichternsollte.852 DieseAnregungwurdevom zuständigenSchulratsofortaufgenommenundnochimOktoberdesselben Jahresverwirklicht.853DieKinderwurdenzunächstdurcheineKindergärt
848
KlausB.Günther,BilingualeErziehungalsFörderkonzeptfürgehörloseSchülerInnen.Ab schlussberichtzumHamburgerBilingualenSchulversuch,Hamburg2004.
849
Günther,Zwischenbericht,S.177und179.
850
VortragvonKlausB.GüntheraufdemDeafHistoryKongressinBerlin2006.
851
Folge 1134 der Sendung „Sehen statt Hören“ am 26.5.2003, http://www.taubenschlag.de/ ssh/1134.htm,abgerufenam15.9.2007.
852 853
StAHbg,3612VOSBV,499g,DanckertanSchulratProf.Dr.KarlUmlauf20.1.1919.
Ebd.,SchulratUmlaufanDanckert31.1.1919undStAHbg,3612VOSBV,499f,Danckert anSchulratUmlauf2.3.1920.
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nerin,späterauchdurcheinenGehörlosenlehrerlautsprachlichgefördert undindenSchulbetriebeingewöhnt.854
Abbildung 48: Kindergartenkinder und untere Schulklassen mit Alfred Schär, Käthe Reinmann, Franz Brix und Wilhelm Behrens, circa 1926
DieersteKindergarteneinrichtunghattenochSchwierigkeiten,genügend Kinderzusammenzubekommen.ErstMitteder1920erJahrekonnteder Schulkindergarten,derenErzieherinnendurchdieSchulbehördeeingestellt wurden,sichetablieren.855
854
Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.62.
855
StA Hbg, 3612 V OSB V, 499 a Band 2, laut Vermerk von Oberschulrat Götze vom 18.11.1922warderKindergartenbereitsgeschlossenworden,lautJahresberichtderAnstalt ausdemJahr1926/27lebtedieserdannwiederauf.
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Abbildung 49: Kindergartengruppe mit Kindergärtnerin Agathe Günther (rechts), 1951
NachdemdieFrühbetreuungvongehörlosenKindern1943durchdieZer störungderSchuleundsomitauchdesersteninHamburgbestehenden KindergartensfürgehörloseKinderzwangsweisegeruhthatte,wurdeim August 1951 der Gehörlosenschule wieder ein Kindergarten angeglie dert.856 ObwohldiesereineVorstufezurSchulewar,wurdeer–wiealle anderenHamburgerKindergärten–alsEinrichtungderJugendbehörde unterstellt.EineJugendleiterinundeineKindergärtnerinbetreutendieKin der.FürdieälterenKindergartenkinder,diebaldzurSchulekommensoll ten,kamjedenTagfüreineStundeeineLehrkraftausderGehörlosenschu le,umsiegesondertdurchsprachlicheÜbungenaufdenSchulunterricht vorzubereiten.1960wurden20KinderimKindergartenbetreut,wosiewei terhinnichtnurspielenundsozialeKontakteknüpfensollten,sondernauch „sprachlicheÜbungenineinerlockerenAtmosphäre“vermitteltbekamen. 856
EingerichtetwurdedasHamburgerSonderkindertagesheimdurchAgatheGünther(geb. 1907).FolgendeAngabenzumKindergartensindentnommen:AgatheGünther,Sprachanbil dungimGehörlosenKindergarten,in:Wulff,Schüler,S.91–95.
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DieKinderwurdendaraufvorbereitet,SprachevomMundablesenzu können:EinZielderErzieherinnenwar,dieKinderzu„optischerAufmerk samkeit“zubringen.UmLippenlesenzukönnen,isteinegroßeKonzentra tionsundKombinationsfähigkeitnötig–unddennochkönnen,dasseihier bemerkt,vondendeutschenLautennurcirca15ProzentamLippenbilder kanntwerden.857DendarausresultierendenLückentextkönnenHörgeschä digtenurdurchvielErfahrungauffüllen–aufdieseWeisekönnenbiszu30 ProzenteinesTextesvondenLippenabgelesenwerden. Demgehörlosen Kindsollteinden1960erJahrenschonimKindergartenalterdurch„sprech technischeLockerungs,AtemundBlasübungen“dieeigeneStimmebe wusstgemachtwerden.JedesKindlegteseineeigeneFibelan,inderder individuelle Wortschatz bebildert dargestellt wurde. Der Kindergarten wolltesoeineSprechfreudigkeiterreichenunddieKindervondergewohn ten Verständigung durch die Gebärde abbringen. Kinder mit Hörresten wurdengesondertgefördert. SolangederKindergarteninderSchuleBurgstraßeuntergebrachtwar, herrschteRaumnot.Ende1965wareineErweiterungdesKindergartensun umgänglich geworden. Es mussten sechs Kinder zurückgestellt werden, denn viele so genannte „ConterganKinder“ waren auch hörgeschädigt undkamenjetztindasKindergartenalter.858IndiesemJahrwurdeauchein Gehörlosenlehrereingestellt,deralsFrühspracherzieherzuden(hörenden) ElterngehörloserKindernachHausekam.1969zogdasSondertagesheim schließlichineinen Holzpavillon auf dasGeländederSamuelHeinicke Schule. Somit war das Sonderkindertagesheim wieder mit der Schule räumlichvereint.859Ab1.August1972erhieltderSchulkindergarteneinei genesfestesGebäudeinFormzweierSchulpavillonsaufdemerweiterten 857
EineinteressanteWebseitevonderschwerhörigenIngridAdlkoferverdeutlichtdieÄhn lichkeitvonMundbildernundthematisiertmultimedialdieBedeutungeinerHörschädigung: http://www.typolis.de/hear/hear.htm(abgerufenam15.9.2007).
858
StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchule,Mappe26(Ablieferungsverzeichnis),Protokoll einerSitzungvonElternratsvertretern,ElfriedeBlasius(Kindergarten)undFrauSplieht(Ver einigungHamburgerKindertagesheimeundKindergärten)am17.12.1965.InHamburgund Umgebungwurden39,inganzDeutschlandca.800durchdasinderSchwangerschaftdurch dieMuttereingenommeneMedikamentContergankörperundhörgeschädigte Kinderge zählt(ebd.,ReferatWalterEckelaufdem1.InternationalenKongreßderElternhörgeschädig terKinderinKöln19.6.1965).
859
StAHbg,3612VIOSBVI,Abl.1995/1,1126,SchulleiterHelmutStühmeyeranBehördefür Schule,JugendundBerufsbildung24.4.1974.
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GeländederSchuleinWandsbek.IndiesenzweitenKindergartenkamendie schulpflichtigen, vom Schulbesuch zurückgestellten Kinder ab sechs Jah ren,860währenddiekleinenKinderdasSonderkindertagesheimbesuchten. DieElternderKinderfandenimKindergartenzudemHilfeundRatbei erzieherischenundanderenpraktischenFragen.DasvomAmtfürSchule betreuteSonderkindertagesheim,welchesvoneinerSozialpädagogingelei tetwird,istorganisatorischnichtderSamuelHeinickeSchuleangegliedert. DieErzieherinnenhabendieAufgabe,diedreibissechsjährigenKinderzu sozialisierenunddieSprachanbahnungzufördern.VorallemdieSozialisa tionderKinderistdemKindergartenwichtig:EingehörlosesKindsollein einerhörendenWeltnichtzumAußenseiterwerden,weilesdiesozialen Rollennichtdurchschaue,wennessichalleinaufdiesprechendePerson konzentriere.Dasheißt,dassdasKindnuretwasmitbekomme,wennesdi rektangesprochenwerde.DasganzeUmfeldbleibeihmfremd.Schlechte SprachbeherrschungführedirektzufalschodernichtverstandenenInhal tenundInformationen.ZudemhabenKindermitHörbehinderungdiverse SchwierigkeitenmitderAussprache–sieredenzulaut,zuleise,nichtbe tont.SowerdensievonunwissendenHörendennichtverstandenundnur zuoftfürgeistigbehindertgehalten.SchließlichmussdieLautsprachewie eineFremdsprachemitallihrenVokabelngelerntwerden,sieistkeinNe benprodukt wie bei aufwachsenden hörenden Kindern. Schwerhörigkeit oderTaubheitgehörtdamitzudenverstecktenBehinderungen.Einsolches Kindfälltnichtsofortauf.OftwerdenhörbehinderteKinderinUnkenntnis ihrerwahrenBehinderungalslernoderkonzentrationsschwachodergar alsverhaltensgestörtbezeichnet.SowaresderFrühförderungstetswichtig, dassderwahreGrundeinesVerhaltenserkanntwird.DiePädoaudiologi scheBeratungsstellearbeiteteengmitHNOÄrzten,Mütterberatungsstel len und Gesundheitsämtern zusammen, so dass gehörlose Kinder mög lichstfrüherkanntundsogleichbetontlautsprachlichgefördertwurden, zumBeispielmitHörgerätenfürSäuglinge. Dassogenannte„HamburgerModell“, indemnochnichtschulreife, aberschulpflichtigeKinderimSchulkindergartenuntergebrachtunddort ihrenMöglichkeitenentsprechenddurchErzieherinnenundLehrkräfteder Schulegefördertwurden,sodassderspätereKlassenlehrerunddieKinder 860 BerichtvonHelmutStühmeyer,DieSamuelHeinickeSchuleinHamburg.EineSchulefür Gehörloseheute,in:HammerReport,SondernummerzumRathausfestJuni1980,S.10f.
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sichaneinandergewöhnenkonnten,existiertebisAnfangder1980erJahre. Dannliefesaus,daesnichtmehrgenugKindergab,dienichtdirekteinge schult werden konnten.861 So eine Vorklasse wurde in späteren Jahren durchausvonderSchulleitungwiederfürsinnvollerachtet–dochwardie Zusammenarbeit mit dem Sondertagesheim trotz der räumlichen Nähe zeitweisenichtsehreng862–denndortwurde,wiebeschrieben,dieGebär densprachefrüheralsanderSchulewiedereingesetzt.Heutewerdendie KinderimSonderkindertagesheiminZusammenarbeitmitdemZentrum fürDeutscheGebärdenspracheinderDGSunterrichtet,undsofindeteine FrühförderunginHinblickaufSprachanbahnungundinHinblickaufdie EinschulungnichtmehrindemMaßewiefrüherstatt.EineweitereEin richtungzurBeratungvonElterngehörloserKinderhatHamburgmitdem „BeratungszentrumSehen,Hören,Bewegen,Sprechen“,derTeilderBehörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz ist. Eine El ternberatungfindetauchinderAbteilungIIIderSchulefürHörgeschädigte, „Frühförderung, pädagogische Audiologie, Unterstützung Hörgeschä digterinallgemeinenSchulen“,dieräumlichinderehemaligenSchwerhö rigenschuleuntergebrachtist,statt. InderKindertagesstätte,inderheutezwölfgehörloseund20hörende KinderimKindergartenalterbetreutwerden,lernenhörgeschädigteKin der,derenElternsichzumTeilerstsehrspätmitderendgültigenDiagnose „Taubheit“ arrangiert hatten, zu kommunizieren: Hier lernen sie laut sprachbegleitendeGebärdenundDeutscheGebärdensprache.Diegehörlo sen Mitarbeiterinnen gebärden, die hörenden Mitarbeiterinnen sprechen LautspracheundunterstützendiesedurchbegleitendeGebärden863.Dabei könntedurchfrühenEinsatzvonlautsprachbegleitendenGebärden–be reitsimerstenLebensjahr–einefürbeideSeitenanregendeKommunika tionzwischenElternundKindbeginnen.
861
StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Ordner47„Elternarbeit“(Ablie ferungsverzeichnis),ProtokollElternratvom10.6.1982.
862
GesprächmitSchulleiterGeorgMännicham10.10.1994.
863
SandraWilsdorf,RedenkostetKraft,in:tazhamburgvom4.1.2000,S.23.
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4. 5. 6 D er Gr un d - und Haup ts ch u lz ug IndenvierJahrenderGrundschulelernengehörloseKinderindenNorm klassenderSamuelHeinickeSchuledieSprachederHörendenkennen.864 DieSprachemusswieeineFremdsprachegelerntwerden,jedesWortmuss inseinerBedeutungerläutertwerden.Indenklassischlautsprachlichorien tiertenKlassenwirdeinemanderenAnsatzalsinderbilingualenKlassege folgt: Integration wird gefordert. Um integriert zu werden, um mit den meisten Menschen in der Umgebung kommunizieren zu können, muss auchderGehörlosedieLautsprachebeherrschen,dennnurwenigHören dekennenkommunikativeHilfsmittelwieFingeralphabet,Gebärdeoder lautsprachbegleitende Gebärde. Also muss das Kind lernen, sich selbst sprachlichäußernzukönnenunddemGesprächspartnerdieWorte„von denLippen“abzulesen,wennesnichtnurinderisoliertenGemeinschaft derGehörlosenlebenwill.ErstmussdasKinddieGrundlagenderübli chenKommunikationbeherrschen,sodiePädagogen,eheesSachthemen imUnterrichtfolgenkann.InderSchulewirdjederHörrestdurchHörge räteverstärkt.Dabeiwerden in dieGehörlosenschule nursolche Kinder eingeschult,dieselbstmitHörgeräteinegesprocheneUnterhaltungnicht verstehen,dasHörgeräthatsomitnurunterstützendeWirkung.Auchder Schall,derdurchdieSpracheentsteht,wirdgenutztundinVibrationen umgesetzt,umsodenKindernzuhelfenundWortefühlbarzumachen. Mit Hilfe verschiedener optischer und technischer Hilfsmittel sollen ge sprocheneWortekontrollierbarerunderkennbarerwerden.InderGrund schule muss jedes Wort inhaltlich erklärt werden, denn lautsprachliche WortefürDingederUmweltsindzuerstnichtgefördertengehörlosenKin dernnichtbekannt.Diesheißtauch,dasseingelesenerTextnichtunbe dingt verstanden ist, wenn die lautsprachliche Bezeichnung der Worte nichtgelerntwordenist.DieerstenKlassenderSchulesollenalsoden„na türlichenSpracherwerbnachahmen“,eheinhaltlicherUnterrichtgegeben werdenkann.SolerntdasKindWorte,InhalteundSatzstrukturenkennen. AuchUmgangssprachewirdhierWortfürWorterlernt –mitdemZiel, einensprechendenHörendenzuverstehen.DiegesamtenerstensechsJah 864
DiefolgendenKapitelüberdieHaupt,RealundBerufsschuleanderSamuelHeinicke Schulefolgen,wennnichtandersangegeben,Dierks/Fester/Männich/Fahs,Bildungschan cen.ZumbilingualenSchulzugvgl.Kapitel4.5.4.3.
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re(vierJahreGrundschule,zweiJahreBeobachtungsstufe)anderGehörlo senschulewidmensichdieserGrundlage.IndenerstenvierJahreninder Grundschule,inderSprachaufbau,AbsehenundSprechenmitHilfeder lautsprachbegleitendenGebärdengelehrtwird,desWeiterenLesen,Schrei ben,RechnenundderersteSachunterrichtgegebenwird,wirddieKlasse inderHauptsachevoneinemeinzigenKlassenlehrerunterrichtet.Indiesen JahrenmachendieKinderauchklassenweiseKuren,ehesieindieBeob achtungsstufekommen.HierwirdderSprachaufbaugefestigt,undMathe matik sowie von Fachlehrkräften Sachkunde unterrichtet. In der 7. bis 9.KlassederHauptschulehabendieSchülerundSchülerinnenKernunter richt,diedenInhaltendesHauptschulabschlussesentsprechen.DesWeite ren können sie aus verschiedenen Wahl und Wahlpflichtkursen weitere Unterrichtsfächerwählen.MeistwirdzumErreichendesAbschlussesnoch einfreiwilliges10.Schuljahrbenötigt,welcheszuOstern1961erstmalsein gerichtetwurde.WährendderSchulzeitabsolvierendieJugendlichenPrak tikazurBerufsfindung.HeutewirdzudemderbilingualeAnsatzabKlas se1eingesetzt. 4. 5. 7 Der Rea ls chulz ug InHamburgwurde–wieberichtet–1960mitderBegabtenförderungbe gonnen,alsneunSchülerinnenundSchülerausdenVolksschulklassen7 und8ausgewähltwurdenundindieneueAufbauklasseA7kamen.Die zweite Aufbauklasse wurde 1962 eingerichtet. Diesmal waren nicht nur SchülerinnenundSchülerausHamburg,sondernbereitsausdemganzen Bundesgebietdabei.InderFolgezeitwurdejedesJahreineMittelschulklas seeingerichtet,diesichjeweilsausSchülerinnenundSchülernausBerlin, Bremen,Hamburg,NiedersachsenundSchleswigHolsteinzusammensetz te.865 1965konntengehörloseSchulabsolventenvordemDezernentender SchulbehördedieerstemündlichePrüfungfürdieMittlereReifeablegen. DerenErgebnissewarensogut,dassderRealschulzug(R7bisR10)abOs tern1965zueinerfestenEinrichtungwurde.Hamburghattedamitnach Dortmund die zweite Gehörlosenschule in der Bundesrepublik, die ihre SchülerinnenundSchülerbiszurMittlerenReifeführte.DieseEinrichtung konntebisheute,obwohlesinzwischenanmehrerennorddeutschenGe 865
EmpfehlungderKultusministerKonferenzvom5.10.1973.
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hörlosenschulenRealschulzügegibt,erhaltenbleiben.InderEingangsklas se,derR7,wirdalsFremdspracheEnglischaufgenommen.DieRichtlinien fürdenUnterrichtfolgendenenderRealschulederHörenden.Auchhier gibtesheuteeinfreiwilliges11.und12.Schuljahr,undeswerdenmehrere dreibisvierwöchigeBerufspraktikadurchgeführt. AnregungenzurErrichtungeinesMittelschulzugesgabinden1950er JahrendieArbeitsgemeinschaftderDeutschenLandesfürsorgeverbände.866 DieGehörlosenschulenwarensicheinig,dassauchgehörloseKinderdas Recht auf eine höhere Bildung hätten. Allerdings hielten viele Schul direktorendasAbiturfürGehörlosenichterreichbar,denMittelschulab schluss machbar.867 Die norddeutschen Schulen wollten in dieser Frage zusammenarbeiten.AufAnregungHamburgsgründetensieeineInteres sengemeinschaft,wobeiHamburgalsZentralefungierensollte.Wenndie Hamburger Gehörlosenschuleeinen Neubauerhielte, wolltenNiedersach sen, SchleswigHolstein,HamburgundBremenihrebegabtengehörlosen Schüler alljährlich zur Bildung einer Mittelschulklasse nach Hamburg schicken.868 DieIdeezuhöhererBildungfürGehörlosewarnichtneu.DerPreußi scheMinisterfürWissenschaft,ErziehungundVolksbildunghattebereits ineinemErlassvom30.August1923AnregungendesBundesDeutscher TaubstummenlehrerundderGehörlosenverbändeaufgenommenunddie seunterdemMotto„WeiterbildungbesondersbegabterTaubstummer“an dieProvinzialschulkollegienweitergegeben.869EineMittelschulklassesollte versuchsweiseeingerichtetwerden,indiedieLänder–unterGarantieder 866
StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Mappe28„Mittelschulzug“(Ab lieferungsverzeichnis), Direktor der Landesgehörlosenschule Schleswig, Gustav Heidbrede, an Landeswohlfahrtsamt SchleswigHolstein 4.10.1957; und ebd., Maeße an Schulbehörde 4.12.1958,Bl.1.
867
Ebd.;SchulleiterMaeßegehörtezunächstzudenen,diezweifelten.ErrietalsSprecherdes LehrkörpersderHamburgerGehörlosenschulevonderGründungeinerhöherenSchuleab (ebd.,MaeßeanSozialbehörde18.11.1957).
868
Ebd., Wilhelm Heitefuß, Direktor der Niedersächsischen Taubstummenanstalt Braun schweiganMaeße2.1.1958undHeidbredeanMaeße2.12.1957.
869
HierundimFolgendennachdemBerichtHeidbredesin:StAHbg,36210/3SamuelHei nickeSchulefürGehörlose,Mappe28„Mittelschulzug“(Ablieferungsverzeichnis),Heidbrede anLandeswohlfahrtsamtSchleswigHolstein4.10.1957;GeorgRammel,Untersuchungenüber dieBegabtenförderungbeiTaubstummen,in:XX.TagungdesBundesDeutscherTaubstum menlehrer zu Dortmund, Bericht erstattet vom geschäftsführenden Ausschuß des Bundes DeutscherTaubstummenlehrer,Dortmund1961,S.160–168.
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Pflegekosten – geeignete Schüler schickten, die bereits eine mindestens sechsjährigeAusbildunghintersich,undnochvierJahreSchulunterrichtin Berlinvorsichhatten.DieserVersuchsolltezeigen,obeinesolcheSchule fürbegabteGehörlosesichlohnenwürde.Ostern1927wurdedieersteAuf bauklasse in der staatlichen Taubstummenanstalt BerlinNeukölln eröff net.870 Aus Hamburg waren keine Schüler dabei. Ostern 1928 kam eine zweiteKlassehinzu.1931konntenschließlichvonzehnSchülernderersten AufbauklassesiebendiemittlereReifeerwerben,einJahrspäterbestanden dreivonfünfSchülernderzweitenKlassediePrüfung.ObwohlbeideAb schlussprüfungenindenLeistungsergebnissengenausogutwarenwiedie derhörendenSchüler,wurdenkeineweiterenKlasseneingerichtet.Eska menausdenSchulendereinzelnenLänderzuwenigeMeldungengeeigne terSchüler.DerPreußischeMinisterwarzwarweiterbereitzueinerdauer haften Einrichtung, sollte „ein dauerndes Bedürfnis vorhanden sein“,871 doch nicht zuletzt wegen der angespannten wirtschaftlichen und politi schenLagederZeitwurdedieMittelschulideenichtweitergeführt.Erstin den1950erJahrenkamen–wieobenberichtet–ausNorddeutschlandwie derAnregungenfüreinengemeinsamenMittelschulzug.DieElternräteder Gehörlosenschulen wurden eingeschaltet, warben für die höhere Aus bildungGehörloserundnahmenKontaktzuinteressiertenElternauf. 872 ZuvorhattederElternratderHamburgerGehörlosenschuleaufeinerge meinsamenSitzungmitdenKlassenelternvertreternam27.November1958 einstimmigdenSchulleiterbeauftragt,beiderSchulbehördedieEinrich tungeinesMittelschulzugeszubeantragen,wasdieseraucham4.Dezember 1958mitderBitteumbaldigeVerhandlungsaufnahmemitdenumliegenden norddeutschenLänderntat.873 AußerdemstellteDirektorMaeße durchdie neugegründeteGesellschaftzurFörderungderGehörloseninHamburgmit EinverständnisdesLandesschulratsErnstMatthewes(1901–1983)andenDi rektor der Niedersächsischen Landestaubstummenanstalt Osnabrück, Wil helmSchnegelsberg,inseinerFunktionalsstellvertretenderVorsitzenderdes „RehaAusschusses“ des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung einenAntrag,dassHamburgalspassendeStadtfürdiezuerrichtendeüber 870
Erlassvom11.3.1927,nach:Heidbrede,ebd.
871
Erlassvom2.6.1930,nach:Heidbrede,ebd.
872
Ebd.,u.a.RundschreibendesHamburgerElternrats30.12.1957und6.3.1958.
873
Ebd.,MaeßeanSchulbehörde4.12.1958,Bl.2.
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regionaleMittelschulefürGehörloseberücksichtigtwerde.874 Diese„Reha Ausschuss“genannteArbeitsgemeinschaftprüftedieMöglichkeitenundBe dürfnissefürhöhereSchulenfürGehörlose.Maeße konntebeiderEinrich tungeinesRealschulzugesaufseineArbeitinBerlinzurückgreifen.Erwar bereitsanderBerlinerTaubstummenanstalttätig,alsdortderVersuchmitei ner höheren Klasse durchgeführt wurde.875 Die dort gemachte Erfahrung zeigteMaeße,dassdasEinzugsgebietzueinerEinrichtungfürhöhereBil dungGehörlosergroßseinmusste,daeswenigesoweitgefördertegehörlo seSchülerinnenundSchülergab,diedasKlassenzielerreichenkönnten,dass andererseitsKlassensehrwohlmitEnglischalsFremdsprachezurMittel schulreifegeführtwerdenkönnten.InzwischenwarinDortmundeinerster MittelschulzugfürNordrheinWestfalenimAufbau,alsBesprechungenun teranderemmitdemLandeswohlfahrtsamtSchleswigHolsteinzurErrich tungdererstenBegabtenförderklasse(Aufbauklasse7)inZusammenarbeit mitderSchleswigerTaubstummenanstaltzuOstern1960inHamburgführ ten.876DainderHansestadtkeinInternatsbaubestand,wurdenfürdieaus wärtigenKindersechsPlätzeimKinderheimHornerWegbereitgestellt, spätermusstendieKinderinverschiedenenHeimenuntergebrachtwer den.877 JedesJahrwurdennunKinderindieBegabtenklasseaufgenommen.Am Ende stand für die Schülerinnen und Schüler die Mittelschulprüfung.878 Englisch war kein Pflichtfach, da es sowohl den „vollen Mittelschulab schluss“mitFremdsprachegab,aberaucheinTeilabschlussmöglichwar. 874
Ebd.,MaeßeanSchnegelsberg12.1.1959.
875
Ebd.,MaeßeanSozialbehörde,Arbeitsfürsorge,o.D.[ca.Ende1958].
876
Ebd.,RundbriefvonMaeßeandienorddeutschenTaubstummenanstalten18.1.1960.Die SchwerhörigenschulehatteseitOstern1957einenMittelschulzugimAufbau. 877 Ebd.,RundschreibenMaeßeandienorddeutschenTaubstummenanstalten18.1.1960;ebd., Maeße anTaubstummenOberlehrerFerdinandSattler inNürnberg28.10.1965.1967wurden dieMädchenimWohnheimdesevangelischenLandesverbandesfürdieweiblicheJugend,die JungenimRauhenHausuntergebracht(ebd.,Mappe31„Mittelschule“[Ablieferungsverzeich nis],HildegardHiort,UnterbringungvonauswärtigenRealschülernderHamburgerSamuel HeinickeSchule12.10.1967). 878
NichtjedesLandsaheinePrüfungalsnotwendigan,soführtedieLandesgehörlosenschule inDortmunddieAbschlussprüfungnur„auspsychologischenGründen“durch.IndenAb schlusszeugnissenstandderVermerk:„HatdasZielderAufbauabteilungerreicht,esistdem derRealschulealsgleichwertiganzusehen“(ebd.,Mappe28„Mittelschulzug“[Ablieferungs verzeichnis], Dr. Schmähl, Direktor der Landesgehörlosenschule Dortmund, an Maeße 24.9.1963).
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IndiesemFallwarderMittelschulabschlussnurindengewähltenFächern erlangt.879 Unterrichtssprache war allein die Lautsprache, so wurde der Sachunterricht „auf das Wesentliche“ beschränkt, da Lehrkräfte davon überzeugtwaren,dass„derSprachaufundausbauimVordergrundste henmuss“.880
Abbildung 50: Abschlussprüfung der ersten Realschulklasse an der Hamburger Gehörlosenschule, März 1965
DendreiSchülerinnenundsechsSchülernder11.AufbauklasseinHam burgwurde1965vomDezernentenderSchulbehördediemündlichePrü 879
Ebd.,MaeßeanBayerischesStaatsministeriumfürUnterrichtundKultus26.11.1965,Bl.2.
880
Ebd.,Bl.1.DerfürdieErrichtungeinerBayrischenMittelschulefürGehörlosebeauftragte LehrerFerdinandSattlerhatteausdenUSAgehört,dassdortmehrereKommunikationsmit tel,vorallemaberdieGebärdeimUnterrichteingesetztwerdeunddamitsehrhilfreichzur Wissensvermittlungbeitrug.Erwolltenunwissen,wasHamburgvondieserMethodehielt (ebd.,SattleranMaeße 9.11.1965).IneinerAntwortandasBayerischeStaatsministeriumfür UnterrichtundKultusvom26.11.1965warbMaeßedeutlichfürdieLautsprache.
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fungfürdieMittlereReifeabgenommen.SechsvonihnenhattenEnglisch alsWahlfachgenommen.DiemündlichenundschriftlichenPrüfungener brachteneinsogutesErgebnis,dassdieSchuledieGenehmigungerhielt, abOsterneinenRealschulzug(R7bisR10)einzurichten. HamburgergehörloseKinder,dieeinegymnasialeOberstufebesuchen möchten,habenheutedieseMöglichkeitaufderKollegstufeanderBerufs fachschuleinEssen.InDeutschlandgibtesnurnochinMünchenundin WaldkirchStegen,einemInternatamRhein,dieMöglichkeitzumAbitur.881 4 . 5. 8 D ie K la s s e n fü r m e h r fac hb eh i nd er t e K i nd er IndieGehörlosenschulewerdenauchschulpflichtigeKindereingeschult, die neben ihrer Hörbehinderung noch andere Behinderungen haben, so werdenhiergeistigoderkörperbehinderte,blindeoder„verhaltensauffäl lige“ Kinder unterrichtet.882 Die Hörbehinderung, davon war auch der Schulleiter in den 1990er Jahren, Georg Männich, überzeugt, sei unter mehrfachbehindertenKinderndiegrößteEinschränkung,dennohneMög lichkeit der Kommunikation könne mit diesen Kindern nicht gearbeitet werden, können sie sich weder verständigen noch verstehen. Um diese Kinderrichtigfördernzukönnen,musserstdiegrundlegendeMöglichkeit zur Kommunikation an der Gehörlosenschule hergestellt werden. Die SchulefindetauchheutebeiKindern,derenHörbehinderungnichtunbe dingtfeststeht,einenWegderKommunikation.Sieerreicht,dassdasKind entwederanfängtzusprechen–oderzugebärden.SomitwirdanderSchu leeineersteKommunikationsundBildungsmaßnahmegeschaffen. Endeder1980erJahrenhäuftensichdieKlassenfürmehrfachbehinderte Kinder im Vergleich zur gesamten Schülerschaft der SamuelHeinicke Schule:1983gabesanderSchuleneunRealschulklassen,14Grundund HauptschulklassenunddreiKlassenfürmehrfachbehinderteKinder.Zehn JahrespätersahdieRelationandersaus:Esgab1993/94fünfRealschulklas sen,elfGrundundHauptschulklassenundsiebenSonderklassen.Gründe fürdieseVerlagerungderSchulklassensindeinigezunennen.Anfangs 881
SchwerhörigeJugendlichehabenesindieserHinsichtleichter,denninHamburgbesteht fürsiedieMöglichkeit,amLohmühlenGymnasiumeineIntegrationsklassebiszumAbiturzu besuchen.
882
InformationenzudiesemKapitelvonSchulleiterGeorgMännich(Gesprächam10.10.1994).
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Die staatliche Taubstummenschule
erhieltvorallemderRealschulzugeinenregenZulaufanSchülernaus dem Hamburger Umland. Dann richteten Gehörlosenschulen vermehrt eigeneRealschulklassenein,sodassjedesKindimeigenenLandgeför dertwerdenkonnte.ZudemistdiemedizinischeMöglichkeit,starkbe hinderteKindernachderGeburtzubetreuenundso imGegensatzzu früherenZeitendasLebendesKindeszuretten,verbessertworden.So kameszumehrAnmeldungenmehrfachbehinderterKinder.DieSchüler strukturanderSamuelHeinickeSchulehattesichmitderZeitverändert: 1994 gab es insgesamt 99 Kinder an der Schule. Von diesen besuchten 29SchülerinnenundSchülersechsRealschulklassen,41Kindergingenin neunGrundundHauptschulklassenund29mehrfachbehinderteKinder wurdeninsiebenspeziellenKlassengefördert.AuchdasBewusstseinder ElternhattesichmitderZeitverändert.Währendfrühermehrfachbehin derteKinderlieberineinemHeimuntergebrachtwurden,lebeninzwi schenvieleKinderbisindasErwachsenenalterbeidenEltern.Hierver suchenStiftungen,Gemeinschaftswohnungeneinzurichtenundandere ArbeitsundFörderstättenzuschaffen,umbehindertenMenscheneine Möglichkeitzuschaffen,ihreigenesLebenzulebenunddenElterndie Sorge nehmen, was mit ihren (dann erwachsenen) Kindern geschieht, wennsieeinmalnichtmehrfürsiesorgenkönnen. Inden1990erJahrenkamenauchwiederKinderindieGehörlosenschu le,dieüberlangeJahrehindurcheinfachnichtpräsentwaren,weilbeiih neneinegeistigeBehinderungdiagnostiziertundsieinAnstaltenunterge brachtwurden–wiezumBeispieldiehörstummenKinder.Diesekönnen zwarhören,sprechenabernicht.UmauchmitdiesenKinderneineKom munikationsbasisaufbauenzukönnen,wurdenauchsieindieGehörlosen schuleeingeschult. TaubstummblindeKinder aus demdeutschsprachigen Raum wurden, wenn das Geld dazu ausreichte, traditionell in das Oberlinhaus in No wawes,einemVorortvonPotsdam,gegeben.Seit1887wurdentaubstumm blinde Personen imdortigen Diakonissenmutterhaus soweit unterrichtet, dasssiebedingterwerbstätigseinkonnten.AbJuli1906gabesinNowawes das erste deutsche Taubstummenblindenheim nach schwedischem und amerikanischemVorbild.HamburgschickteaberkeineKinderdorthin.883 883
EinKindausAltonaallerdingskamnachNowawes(3.und4.JahresberichtdesdeutschenTaub stummblindenheimszuNowawes,1910,in:StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.RfNo.311Vol.2).
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1908lebtenzweigehörlosestarkschwachsichtigeKinderinderHamburger Blindenanstalt.884Nach1945hattenTaubblindeimwestlichenTeilDeutsch landsnurvon1951bis1961dieMöglichkeitzurAusbildunginderStutt garter Nikolauspflege. Während im Ostteil Deutschlands das Heim in Nowawesweiterbestand,gabeslangeZeitkeinesolcheEinrichtungim Westen Deutschlands mehr. Erst nach Einrichtung des Sonderheims für taubblindeundblindeKinderinTensbüttel,KreisDithmarschen,konnten taubblindeKinder,diezusätzlichgeistigeBehinderungenhatten,dortUn terkunftundAusbildungerhalten.TaubblindeSchülerinnenundSchüler besuchenheutediefürganzDeutschlandzuständigestaatlichanerkannte privateSchulefürTaubblindeinHannover. 4. 5. 9 Beru fssc h ul e
Abbildung 51: Die Berufsfortbildungsschüler mit Lehrer Fritz Schmidt, circa 1923
Schon 1893 wurde an der Taubstummenanstalt eine freiwillige Fortbil dungsschulefürschulentlasseneGehörlosegegründet.885AnzweiAbenden inderWochekamendieJungenfürjezweiStundenindieSchuleunder 884
StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit,RfNo.311Vol.1,Dr.OttoJosephLohse,Direktordesöffent lichenArmenwesens, an Senator Heinrich Alfred Michahelles, Präses des Armenkollegiums, 30.5.1908.
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Die staatliche Taubstummenschule
hieltendortUnterrichtinSprachübung,AufsatzmitgeschäftlichemInhalt, RechnenundBuchführung.1913wurdedieseFortbildungseinrichtungver staatlicht.886 Siebekam1921eineMädchenabteilungundbildetedieBasis füreinespätereGehörlosenberufsschule. DiegehörlosenLehrlinge,dienochderSchulpflichtunterlagen,beka men zusammen mit den hörenden Lehrlingen an den entsprechenden FachgewerbeschulenUnterrichtinZeichnenoderGewerbekunde,während derUnterrichtinDeutsch,RechnenoderBürgerkundevondenLehrernin derTaubstummenanstaltgegebenwurde.887 1932wardieWeiterführungderFortbildungsschulemitderAnsetzung allgemeinerSparmaßnahmenungewissgeworden.DiefünfanderFortbil dungsschulelehrendenLehrkräftearbeitetenseit1931unentgeltlichweiter, damitdiegehörlosenBerufsschülerinnenundschülernichtandiestaatli chenFortbildungsschulengehenmussten,wosiedemUnterrichtnichtfol genkonnten.DieLehrkräftewurdendurchdenAnstaltsvorstandmiteiner kleinenGeldsummeentschädigt.DieskonnteabernurvonkurzerDauersein. Die Lehrerschaft forderte die gesetzliche Anerkennung der Fortbil dungsschule,dieschonvordergesetzlichenRegelungdesFortbildungs schulwesensgegründetwordenwar.888AuchimSchuljahr1932wurdekein regelmäßiger Fortbildungsunterricht an der Gehörlosenschule durch die Landesschulbehördeeingerichtet,stattdessenwurdevonderBehördemit geteilt,dassdieGehörlosen„mitdemUnterrichtindenBerufsundFach
885
StaatlichePressestelle,150JahreGehörlosenbildung,S.76;BerichtderTaubstummenAn stalt1895/96,S.2.
886
ImGesetzüberdieFortbildungsschulpflichtvom18.7.1913(AmtsblattderFreienundHan sestadtHamburgNr.110,1913,S.449–452)wurdedieallgemeineFortbildungsschulpflichtfür alleschulentlassenenmännlichenPersonenunter18Jahrenfestgelegt.DasGesetztratinTei lenam1.1.1914inKraft(JürgenBrühns,ErziehungderUngelerntenimSpannungsfeldgesell schaftlicherInteressen.ZurEntstehungundEntwicklungderallgemeinenFortbildungsschule inHamburg1900bis1923,Hausarbeitzur1.StaatsexamensprüfungfürdasLehramtanGym nasien,maschinenschriftlich,Hamburg1982,S.55).DasNachfolgegesetzwurdeam20.10.1919 erlassenundweitetedieseSchulpflichtaufalleschulentlassenenJugendlichenfürdieDauer vondreiJahrennachEndederSchulpflicht,beiLehrverhältnisdarüberhinausbiszudessen Beendigungaus(AmtsblattNr.259,1919,S.1802–1804).Am31.5.1920wurdedieersteallge meineHamburgerFortbildungsschuleeröffnet. 887
So1928(StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A1375).
888
StAHbg,3612VIOSBVI,2342,WilhelmBehrens anLandesschulbehörde20.1.1932und TaubstummenschuleanSenatorKrause,PräsesderLandesschulbehörde,20.5.1932.
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schulen fürlieb nehmen [sollten]“.889 Obwohl Elternrat, Lehrerschaft und Anstaltsvorstand„schwereBedenken“dagegenhatten,geschahesso.Die SchulenmusstensichaufdieneuenSchülerinnenundSchülereinstellen,so wiedieGewerbeschuleGVIIfürTischler,MalerundTapezierer,diedie GehörlosenzuerstnuramFachzeichnenteilnehmenließundsiespätermit HilfevonLehrbüchernschriftlichunterrichtete.890
Abbildung 52: Unterricht in der Mädchenfortbildungsschule, 1938
DieMädchenanderStaatlichenallgemeinenBerufsschulefürdieweibliche JugenderhieltennurpraktischenUnterrichtundwurden,soweitdieZeit reichte,weiternebenbeivondenTaubstummenlehrkräftenanderGehörlo senschuleunterrichtet.891ImJanuar1933erklärtensichdieGehörlosenlehr kräfteaufGrunddieserschlechtenLagebereit,auchbeistarkherabge setzterVergütung,diezuerstdurchderAnstaltgezahltwurde,weiterwie zuvorUnterrichtfürdieSchulentlassenenzugeben,Bedingungsolltedie
889
Ebd.,LandesschulbehördeanTaubstummenschule12.4.1932.
890
Ebd.,NotizSchulleiterJohannGrünbergGVII,27.6.1932.
891
Ebd.,SchulleiterinEllaWinkelmannanLandesschulbehörde24.6.1932.
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staatliche Anerkennung dieser Kurse sein.892 Mitverminderter Gruppen zahl,dashießwenigerKursenmitmehrTeilnehmern,erteiltedamitdie FortbildungsschuleweiterdenUnterricht,wasderAnstaltalsMaßnahme der Taubstummenfürsorge galt, der Hauptaufgabe der mildtätigen Stif tung.893 Inden1960erJahrenetabliertensichSammelklassenfürgehörloseLehr lingeeinigerBerufszweige.ImWinterhalbjahr1963/64gabeseinesolche SammelklassefürgehörloseTechnischeZeichnerundDreher,dieteilweise UnterrichtgemeinsammitdenhörendenLehrlingen,teilweiseSonderun terrichtdurchLehrkräftederGehörlosenschuleerhielten.894Die33männli chen und elf weiblichen berufsschulpflichtigen Gehörlosen in Hamburg wurden 1965 vorwiegend in eigenen Berufsschulklassen an der Samuel HeinickeSchuleunterrichtet, es gabmehreregehörloseBerufsschüleran der Gewerbeschule für Kraftfahrzeug und Flugzeugtechnik und an der GewerbeschulefürMechanikundElektrotechnik,diezuKleinklassenzu sammengefasst wurden.895 In diesem Jahr wurde durch die Anregung Hamburgs die Einrichtung zentraler Gehörlosenberufsschulen diskutiert, aberwegender„GefahrzustarkerIsoliertheit“schließlichnurdieEinrich tunggehörloserBerufsschulklassenverwandterBerufeinBerufsschulenfür Hörendeangestrebt.896AbHerbst1967gabesdanninHamburgdenersten zentralisiertenBerufsfachschulunterrichtineinerreinenGehörlosenklasse fürDreherundimTextilgewerbe.897DochbliebinderFolgedieBerufsaus bildungSachedereinzelnenLänder.VomAngebotHamburgsaufEinrich tungeinerbundesweitenbesonderenAusbildungfürgehörloseJugendli cheanderStaatlichenBerufsfachschulefürTechnischesZeichnenwurde 892
Ebd.,Jankowski anLandesschulbehörde18.10.1932undTaubstummenanstaltanBehörde 24.5.1933.
893
HamburgerTageblattNr.147vom3.6.1937.
894
StAHbg,3624/6GewerbeschuleKraftfahrzeugtechnik,Abl.2002/1,MappeGehörlose.
895
SowurdenJungarbeiter,alsoberufsschulpflichtigeJugendlicheohneLehrvertrag,ander SamuelHeinickeSchuleunterrichtet.DieSchulewaraußerdemfüralleallgemeinbildenden FächerderLehrlingezuständig(StAHbg,3612VIOSBVI,2539,Bl.13f.:Schulbehördean KMK17.9.1965). 896
Ebd.,Bl.14.
897
Ebd.,HermannWegbrod (GesellschaftzurFörderungderGehörlosen)anLandesschulrat Ernst Matthewes, o. D., eingegangen am 10.1.1967 und Notiz Oberschulrat Rellensmann 14.3.1968.
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keinGebrauchgemacht,auchnichtvonspeziellenKursenfürGewerbe lehrkräfteinGehörlosenpädagogik.898 VielederLehrer,dieanderTaubstummenschuletätigwaren,unterrich tetenauchanderBerufsschule.AndennachBerufszweigenaufgeteilten berufsbildendenSchulenHamburgsgabenGehörlosenlehrervierWochen stunden allgemeinbildenden Unterricht, während der mindestens zwei WochenstundenumfassendeberufsbezogeneSonderunterrichtindenBe rufsschulen von den dortigen Gewerbeschullehrkräften abgehalten wur de.899 TrotzdemempfahlHamburgweiterhineineZentralberufsschulezu mindestfürdasnorddeutscheGebiet,fürdiedieHansestadtderrichtige Ortsei.DaaberdieumliegendenLänderdieseAktionnichtfinanziellun terstütztenundzudemeigeneEinrichtungennichtverlierenwollten,wur deeinesolcheZentralisierungnichtrealisiert.900 1979konntenRealundHauptschüler,diekeineLehrstellebekamen,in den Berufsbildungswerken in Husum, Nürnberg oder München oder in den Berufsfachschulen in Hamburg, Heidelberg oder Essen eineAusbil dungerhalten.DiesePlätzevermitteltedieBundesanstaltfürArbeit.Das ArbeitsamtübernahmdieKosten.901 InHamburgwurdederBerufsschul unterrichtsogeregelt,dassJugendlichemiteinemAusbildungsvertragan denBerufsschulenfürHörendeoderanderRheinischWestfälischenBe rufsschulefürHörgeschädigteinEssenBlockunterrichterhielten.Jugendli che mit einemArbeitsvertragerhielten allgemeinbildendenUnterrichtin denBerufsschulklassenderSamuelHeinickeSchule.ImJahr2000wurde esdurchdengezieltenEinsatzvonGebärdensprachdolmetschernmöglich, auchinHamburggehörlosenJugendlichenBerufsschulunterrichtandenje weilszuständigenberuflichenSchulenanzubieten.902
898
StAHbg,3612VIOSBVI,6101,Ergebnisprotokollüberdie4.SitzungdesArbeitsausschusses „NeuordnungdesBerufsschulunterrichtsfürGehörloseinNordDeutschland“am1.12.1969in Hamburg.HamburgwarauchIdeenundGastgeberdererstenKonferenzdiesesAusschus ses. 899
StAHbg,3612VIOSBVI,Abl.1995/1,1126,Aufstellungvom15.10.1973.
900
Ebd.undVermerkvom16.2.1972.
901
Dierks/Fester/Männich/Fahs,Bildungschancen,unpaginiert.
902
Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg, 16. Wahlperiode, 65. Sitzung vom 19.1.2000,BerichtdesSPDAbgeordnetenWilliWitte,S.3215.
5 Die Ausbildung zum/zur „Taubstummenlehrer/lehrerin“
DieersteamtlicheRegelungzurAusbildungvonTaubstummenlehrkräften erschienineinemErlassvom20.Dezember1811inPreußen.903 Ab1812 wurdenAkademikeranderBerlinerKöniglichenAnstaltzumTaubstum menunterrichtausgebildet,umihrWissendanninanderen,neuaufzubau endenTaubstummenanstaltenanwendenzukönnen.ProminenteBeispiele sind Dr. Anton Weidner (Münster) und Dr. Karl Ferdinand Neumann (1788–1833,Königsberg).Von1822anwarenauchSeminarabiturientenin BerlinzurAusbildungzugelassen.Seitdem14.Mai1828bildetendiedrei HauptanstalteninBerlin,KönigsbergundMünsterinzweiJahrenTaub stummenlehreraus,dienunihrerseitsSeminaristenzuTaubstummenleh rernweiterbildensollten.904Von1828bis1832wurdenaufdieseArt33Se minarlehrerausgebildet.DieseFortbildungskursedientenderAnregungzu eigenerWeiterarbeit,diedannselbstständigzuerfolgenhatte.1831führte PreußendieTaubstummenlehrerprüfungfür dieLehrerein,dienichtin Berlin,KönigsbergoderMünsterausgebildetwurden.MitdemJahr1836 gabesinBrandenburgauch„Sechswochenkurse“fürVolksschullehrer,die nachBeendigungdiesesKursesalsTaubstummenlehrergalten. Neben den hörenden Taubstummenlehrern gab es gerade in der An fangszeit der Gehörlosenbildung selbstverständlich auch im Deutschen ReichgehörloseLehrer,wiedieschonvorgestelltenLehrerSenß,Kruseund Habermaß, den Entwickler der „Methodischen Bildertafeln“ zum Un terrichtGehörloserCarlHeinrichWilke(18001876)oderdenSchulgründer FreiherrHugovonSchütz.905
903
HierundimFolgenden,wennnichtandersangegeben,nach:Schumann,Geschichtedes Taubstummenwesens,S.642–653.ZuPreußensieheJanetteBrauer,ZwischenBildungsauftrag undStandesinteresse.EinebildungshistorischeStudieüberdieInstitutionalisierungderTaub stummenbildung und die Professionalisierung der Taubstummenlehrer in Preußen 1788– 1911,Berlin2001.
904
Vogel,Taubstummenpädagogik,S.31.
284
Die Ausbildung zum/zur „Taubstummenlehrer/lehrerin“
HamburgbildetedeneigenenLehrerbedarfselbstaus.AmSeminarvor gebildete Volksschullehrer wurden für ihre Tätigkeit in der Gehörlosen schuledirektinderpraktischenArbeitmitdengehörlosenKinderngeschult. DieForderungnachwissenschaftlicherAusbildungderLehrerwurdeje doch immer dringender, je komplexer der Unterricht und je größer die Taubstummenanstaltenwurden.1878erschienreichsweiteineneuePrü fungsordnungfürLehrer und VorsteheranTaubstummenanstalten, die besagte,dassTaubstummenlehrernurnochnachAblegungderTaubstum menlehrerprüfunglehrendurften.DieAusbildungdazuwurdeandenein zelnenSchulenbelassen,dieAusbildungderVorsteheraberinBerlinzentra lisiert.Seit1887warenauchLehrerinnenzurTaubstummenlehrerprüfung zugelassen.DieAusführungderRegelungenfürdieLehrerbildungblieb dabeistetsLändersache.Am1.April1912tratdanndiepreußischePrü fungsordnungfürLehrerundLehrerinnenanTaubstummenanstaltenvom 20.Dezember1911inKraft.906ZurPrüfungwurdennurnochsolcheLehr kräfte zugelassen, die einen zweijährigen theoretischen und praktischen AusbildungskursanderKöniglichenTaubstummenanstaltinBerlinabsol vierthatten.SomitentfieldiebisherinHamburgbestehendeMöglichkeit, alsHilfslehreraneinerTaubstummenanstaltangestelltzuwerden,sichdie TheorieselbstanzueignenunddanndiePrüfunginBerlinabzulegen.Auch inHamburggaltdieRegel,dassLehrkräftenurdannfestangestelltwur den,wennsiediePrüfungfürdenVolksschuldienstunddieErweiterungs prüfungfürTaubstummenlehrkräfteaneinerdeutschenAnstaltabgelegt hatten.DieHamburgerAnwärtermusstenihrePrüfunginBerlinablegen, daHamburgselbstkeinePrüfungskommissionhatte.NungabeszweiMög lichkeiten: Hamburg könnte eine eigene Prüfungskommission einrichten undsomitdenLehramtsanwärternauchdieMöglichkeiteinertheoreti schen und praktischen Ausbildung mit Hilfe des Allgemeinen Vorle sungswesenseinräumen,oderdasAngebotBerlinsannehmen,Hamburger angehendeTaubstummenlehrkräfteinzweiJahrenohnezusätzlicheKosten auszubilden.907HamburgentschiedsichfürdiezweiteMöglichkeit,wobei währendderAusbildungdenAnwärternihrGehaltalsHilfslehrerweiter 905
Rehling,HörgeschädigteLehrer;Vogel,Taubstummenpädagogik;NachrufaufCarlHein richWilke,in:DerTaubstummenfreundNr.3vom8.2.1876.
906
StAHbg,3612VOSBV,498aBand1,Protokollder2.SitzungderKommissionzurPrü fungderVerhältnissederSchulederTaubstummenanstalt[…]am15.4.1913.
907
Ebd.,SchulratProf.Dr.AhlburganSenatssyndikusDr.Buehl10.9.1913.
Die Ausbildung zum/zur „Taubstummenlehrer/lehrerin“
285
gezahltwurde.DochschonbaldmehrtensichdieEingabenandieBehörde, diefüreineEinrichtungvonAusbildungskurseninZusammenarbeitmit demPhonetischenLaboratoriumundmitdemKolonialinstitutsowiefür eineEinsetzungeinerPrüfungskommissioninderHansestadtplädierten:908 DieBerlinerAusbildungwar,daReisekostenundAufenthaltnichtbezahlt wurden,teuerundbedeuteteeinenZeitverlust.EinegrundlegendeÄnde rungerfolgteabererstnachdemErstenWeltkrieg:DasBedürfnisnachjun genLehrkräftenwar–auchinFolgedesKriegesdurchdasFehlenvonLeh rern,diegefallenoderdienstunfähiggewordenwaren–rechtgroß.909 EineerstePrüfungsordnungfürSprachheillehrkräftewurde1919vom LeiterderVolksschulefürSprachkranke,WilhelmCarrie(geb.1865),bei derOberschulbehördeeingereicht.910ErfordertefürdieZulassungderfest angestelltenLehrerinnenundLehrerzurPrüfungeinemindestenseinjähri ge Tätigkeit an der Sprachheilschule und den Besuch heilpädagogischer Vorlesungen. Auch die Heilpädagogische Vereinigung erarbeitete einen Entwurf, der für Lehrerinnen und Lehrer an Schulen für gehör und sprachleidendeKindergeltensollteundnachMaßgabeeinesBeschlusses derIX.BundesversammlungdeutscherTaubstummenlehrervomSeptem ber1919einedreijährigeAusbildunginTheorieundPraxisvorsah.911Neu andieserKonzeptionwar,dassdieVereinigungWertdarauflegte,dassdie angehenden Taubstummenlehrkräfte „Kenntnis der Gebärde und ihre[r] BedeutungfürdiegeistigeundsprachlicheEntwicklungderMenschheit überhaupt und des gehörleidenden Kindes im besonderen“ erhielten.912 SchließlicheinigtensichdieHeilpädagogischeVereinigungundderVerein nordwestdeutscher Taubstummenlehrer auf die Forderung nach einer zweijährigenAusbildung an denspeziellen Schulenund ein mindestens achtsemestrigesUniversitätsstudium.913DieOberschulbehördeerfragtezu nächst die Ausbildungsvorschriften anderer Länder.914 1921 wurde dann 908 StAHbg,3612VOSBV,498aBand1,Bl.10f.:ErnstDanckert,DirektorderHamburger Schule,anOSBSektionIII18.2.1915. 909
Ebd.,Bl.17:DanckertanSchulratProf.Dr.KarlUmlauf12.6.1917.
910
Ebd.,Bl.20:CarrieanOSBSektionIII16.9.1919.
911
Ebd.,Bl.26ff.:AlfredSchärundPaulJankowskiimAuftragderHeilpädagogischenVerei nigunganOSB30.11.1920.
912
Ebd.,Bl.29.
913
Ebd.,Bl.43d:Ausschusssitzungsprotokoll25.5.1921,Anlage.Bl.43g:EntwurfStudienplan.
914
Ebd.,Bl.58:RundschreibenOSB8.9.1921.
286
Die Ausbildung zum/zur „Taubstummenlehrer/lehrerin“
dieersteSonderprüfungfürSprachheillehrkräfteabgehalten,915derenAble gung1923unterbrochenwurde,alseineReformderLehrerbildungimall gemeinen diskutiert wurde und die Behörde diese Ergebnisse abwarten wollte.916AuchkonntendieLehrkräfteVorlesungenanderUniversitätbe suchen,dochdieseunddieHeilpädagogischePrüfungwurdennuralsAn rechnungaufdiekünftigePrüfungsanforderunggewertet.917DieSchaffung einerPrüfungsordnungwurdeimmerdringendernotwendig,abererstam 16.Februar1928nachAusarbeitungeinereigensdazuinderOberschulbe hördeeingesetztenKommissionerlassen.BereitsimMärzlegtendieersten fünfSprachheillehrerdiesePrüfungab.918 Nun wurde auch eine Regelung für die Taubstummenlehrerprüfung notwendig.WiederergriffdieHeilpädagogischeVereinigungdieInitiative undbat1930dieOberschulbehörde,dieKommission,dieschonzurAuf stellung einer Prüfungsordnung für Sprachheillehrer zusammengetreten war,dafürerneuteinzusetzen.AnliegendsandtemaneinenAusbildungs entwurffürTaubstummenundSprachheillehrkräfte,dereinmindestens zweijährigesHochschulstudiummitVorlesungenundÜbungeninPhiloso phie und Psychologie, Phonetik, Anatomie und in Stimmbildung und SprecherziehungsowiewöchentlichachtStunden schulpraktischeÜbun genandenentsprechendenSonderschulenvorsah.919 1932wurdenkeine neuenKursefürSprachheillehrermehreingerichtet,daesnachMeinung derBehördeschonzuvieleSonderlehrkräftegab.920 DochschoneinJahr späterwendetesichdasBlatt:1933wardurchPensionierungundEntlas sung–zumBeispieldurchdas„GesetzzurWiederherstellungdesBerufs beamtentums“ – ein Mangel an Lehrkräften an den Taubstummen, 915
Ebd.,Bl.42:ProtokollauszugOSB30.4.1921.
916
Ebd.,Bl.97:ProtokollauszugOSB22.12.1927.
917
Ebd.,Bl.93ff.:TheodorHinzpeterfürHeilpädagogischeVereinigunganOSB20.9.1927.
918
DieVerlegungderVolksschullehrerausbildungandieUniversitätsollteeineGrundausbil dungfüralleSonderschullehrkräftesein.WilliBeske vonderSchwerhörigenschuleforderte fürdieTaubstummen,SchwerhörigenundSprachheillehrkräfteeineviersemestrigeZusatz ausbildung (StA Hbg, 36210/3 SamuelHeinicke Schule für Gehörlose, Ordner 3 (Abliefe rungsverzeichnis) „Korrespondenzen“, Willi Beske, Die Neuordnung unserer Berufsausbil dung,o.D.). 919
StAHbg,3612VOSBV,498aBand2,Bl.7ff.:HeilpädagogischeVereinigunganOSB 6.1.1930.
920
Ebd.,Bl.40:AusschnittausderSchulrätekonferenz8.2.1932.
Die Ausbildung zum/zur „Taubstummenlehrer/lehrerin“
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Schwerhörigen und Sprachheilschulen auch in Hamburg eingetreten.921 ZudemstandenweitereAbgängebevor,dennvieleLehrkräftederTaub stummenundSchwerhörigenschulestandenbereitskurzvordemPensio nierungsalter.EsmussteadäquaterErsatzfürdieausscheidendenKollegen bereitgestelltwerden. DadieArbeitslosigkeitunterdenHamburgerJunglehrerngroßwar,ent schiedsichdieLandesunterrichtsbehördedazu,diefreiwerdendenStellen mitHamburgerLehrkräftenzubesetzen.DazumussteHamburgselbstdie dafür notwendigen Fachlehrkräfte ausbilden. Während die Sprachheil lehrer seit 1928 eine amtliche Prüfungsordnung hatten, fehlte es für die AusbildungvonLehrkräftenanTaubstummenundSchwerhörigenschulen noch immerannötigenEinrichtungen,obwohldieAusbildungsordnung derSprachheillehrerbereitsdieZusammenarbeitzwischendeneinzelnen Bereichenvoraussetzte.Seit1919gabesBestrebungendahingehend,dass derLehrernachwuchsdieserdreiFachrichtungendiegleicheAusbildung durchlaufen sollte. Schließlich gebrauchten die verwandten Schularten ähnlichemethodischeMittel.DiezuständigeBehördelegtewiederholtVor schlägezurVereinheitlichungvor.EinWunsch,derbereitsseitEndeder 1920erJahregeäußertwurde,wardieVerlegungderAusbildungandie Universität. Eine gründliche praktische Ausbildung sollte mit Unterstüt zungderwissenschaftlichenEinrichtungenderUniversitätvollendetwer den.DazuderZeitnochkeinLehrermangelbestand,begnügtemansich abervorerstmitderRegelungderAusbildungzumSprachheillehrer. 1933 brauchte Hamburg jedoch speziell ausgebildete Lehrkräfte und wollte dazu Hamburger Junglehrer fortbilden. Die Landesunterrichtsbe hörde wandte sich zuerst an die Gaufachgruppe für Taubstummen, Schwerhörigen und Sprachheillehrer des Nationalsozialistischen Lehrer bundes(NSLB),damitdieseeinenEntwurffüreineneuePrüfungsordnung vorlege,undstelltedreiBedingungen:DerEntwurfsollte„1.demGeist unddenAufgabendesneuenStaates[...]entsprechen,2.derZersplitterung imSchulwesendurchZusammenfassungartverwandterSchulartenentge genarbeiten,3.dieMöglichkeitschaffen,denSonderschullehrervielseitiger
921
DiefolgendenAusführungennach:StAHbg,36210/2Sprachheilschule Zitzewitzstraße, Ordner„Ausbildung“,LandesunterrichtsbehördeandenReichsundPreußischenMinister für Wissenschaft,Erziehung und Volksbildung am 26.8.1936 mit derBitte,die Hamburger Ausbildungsregelungzubelassen.
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Die Ausbildung zum/zur „Taubstummenlehrer/lehrerin“
zuverwendenundihndamitvorderIsolierung[...]bewahren“.922 Sowie imNSLBdieLehrerdieserSchulartenineinerGruppezusammengefasst waren,sosolltendieLehrerauchimSchulwesenalseinheitlicheGruppe miteinheitlicherAusbildungbehandeltwerden.Der„ArbeitskreisderLeh rerandenSchulenfürGehörundSprachgeschädigtederFachschaftSon derschulenimNSLBGauHamburg“,zudemunteranderemAdolfLam beckalsLeiter,sowiePaulJankowski,HeinrichMöhring,PaulThomsund AlfredSchärgehörten,setztesichdasersteMalam19.Januar1934zusam men923undarbeiteteeinenEntwurfaus.DabeistütztensiesichaufdieVor arbeiten der Heilpädagogischen Vereinigung, die unter der Leitung von TheodorHinzpeter(18831952)bereits1930Richtlinienerarbeitethatte.Der soinZusammenarbeitdesNSLBundderBehördeentstandeneEntwurf wurdebereitsam1.April1934 vorläufiginKraft gesetzt.EinJahrlang wurde diese Ausbildung ausprobiert und daran Verbesserungen vorge nommen.DertheoretischeTeilderAusbildungzumGehörlosen,Schwer hörigenundSprachheillehrerwurdeandieUniversitätverlegt,dieprakti sche Ausbildung erhielten die zukünftigen Taubstummenlehrer ein Jahr langanderGehörlosenschuleundjeeinhalbesJahrandenanderenbeiden Schularten.Am27.März1935wurdedieAusbildungsordnungmitGeneh migungdesHamburgerReichstatthaltersKarlKaufmann(1900–1969)end gültiginKraftgesetzt.924BewerbenkonntensichfürdieseAusbildungpäd agogisch erfahrene junge Menschen mit abgeschlossener Lehrerbildung, diedannanderPhilosophischenundderMedizinischenFakultätderUni versitätundandenSchulenunterderAnleitungvonerfahrenenFachlehrern ausgebildetwurden.SiewarenhauptamtlichandenjeweiligenSchulenmit 18Wochenstundenangestellt.DaallgemeineKenntnissevorausgesetztwur den(genanntwurdenhierRassenhygieneundVererbungslehre),925 wurden hauptsächlichSprachphilosophie,Phonetik,Aufbau deszentralenNerven systems, Bildungsarbeit an gehör undsprachgeschädigten Kindern und anderessonderpädagogischesWissenvermittelt.926 922
Ebd.,Bl.2.
923
Ebd.,Protokollder1.SitzungdesArbeitskreisesam19.1.1934inderTaubstummenanstalt.
924
HamburgerGesetzundVerordnungsblatt1935Nr.19vom31.3.1935,S.78–80.
925
StA Hbg, 36210/2 Sprachheilschule Zitzewitzstraße, Ordner Ausbildung, Landesunter richtsbehörde an den Reichs und Preußischen Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildungam26.8.1936,Bl.3. 926
HamburgerGesetzundVerordnungsblatt1935,Nr.19vom31.3.1935,§7,S.79.
Die Ausbildung zum/zur „Taubstummenlehrer/lehrerin“
289
Als am 12. Juni 1936 ein Erlass die Ausbildung dieser Sonderlehrer reichseinheitlichregelte,kamenvondenHamburgerSonderschulpädago genProteste,dieihrekostengünstigeundspeziellaufdieHamburgerSi tuationzugeschnittenePrüfungsordnungnichtaufgebenwollten.Aufdie ZusammenarbeitzwischenTheoretikernundPraktikern,wiesieschonseit langemamPhonetischenLaboratoriumpraktiziertwurde,warmanstolz. DainHamburgbeiVeröffentlichungderreichseinheitlichenAusbildungs ordnungbereitseinLehrerdieHamburgerPrüfungbestandenhatte,zwei LehrerkurzvorderPrüfungstandenundachtweitereLehrerundLehre rinnendieAusbildungbegonnenhatten,erreichtemaneineÜbergangsfrist biszum31.März1938.9271938versuchteHamburgdurchBerufungaufdas GroßHamburgGesetz und „unerwarteten Abgang von Lehrkräften“928 unddendamitgewachsenenBedarf,dieHamburgerRegelungbeibehalten zukönnen.DochausgrundsätzlichenErwägungenwurdediesemErsuchen nichtstattgegeben929–seit1938wurdediemindestenszweiJahredauernde AusbildunginBerlinzentralisiert.NunwarsowohleinereichsweiteMo dernisierungalsauchIdeologisierungderBerufslaufbahnderTaubstum menlehrkräfteimnationalsozialistischenSinnemöglich. NachEndedesZweitenWeltkriegswurdeHamburgwiederzurAusbil dungsstadt:BeidererstenZusammenkunftderLehreranSchulenfürGe hörundSprachgeschädigteinNorddeutschlandnachdemKriegimJuli 1946wurdeberichtet,dasseineeinheitlicheAusbildungsundPrüfungs ordnunggeplantseiunddiesenurnochvonderBürgerschaftangenom men werden müsse. Die Lehrkräfte für Gehörlose, Schwerhörige und Sprachkranke sollten wieder eine einheitliche Ausbildung, Prüfung und gleicheBezahlungerhalten.Dieseam1.April1947inKrafttretendeAus bildungsordnung folgte im Wesentlichen der Hamburger Prüfungsord nungvon1935.Ostern1947wurdeninHamburgTaubstummenlehrkräfte fürdienordwestdeutschenBundesländer,einschließlichHessenundNord rheinWestfalen,ausgebildet.ZusammenmitdemPädagogischenInstitut 927
StA Hbg, 36210/2 Sprachheilschule Zitzewitzstraße, Ordner Ausbildung, Landesunter richtsbehörde an den Reichs und Preußischen Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildungam26.8.1936undAntwortam22.9.1936. 928 929
ErinnertseiandenTodAlfredSchärs(vgl.Kapitel4.3.3).
StAHbg,36210/2SprachheilschuleZitzewitzstraße,OrdnerAusbildung,Briefentwurfvon 1937andenReichsundPreußischenMinisterfürWissenschaft,ErziehungundVolksbildung undAntwortenvom2.9.37und27.1.1938.
290
Die Ausbildung zum/zur „Taubstummenlehrer/lehrerin“
der Universität war die Gehörlosenschule Trägerin der schulpraktischen Ausbildung.ProSemesterwurdenzehnbiszwanzigKandidatinnenund Kandidatengeschult,diebereitseinJahranGehörlosenoderSprachheil schulenalsHilfslehrkräfteunterrichtethattenundnichtälterals30Jahre altseinsollten.DieTheoriewurdeinmindestensvierSemesternander Universitätgelehrt.930 Bisindie1970erJahrehineinhattenalleinausgebildeteVolksschullehre rinnenund lehrerdie Möglichkeit,sich zueiner Taubstummenlehrkraft weiterzubilden.NacheinereinjährigenProbezurEignungzudiesemBe ruf, den die Lehrkräfte bereits an Schulen für Gehörlose, Schwerhörige oderSprachkrankeabsolvierten,gingensiefürmindestenszweiJahrean dieUniversitätundbelegtendortVorlesungenundÜbungenausdenBe reichen Psychiatrie, HNOHeilkunde, Phonetik, Psychologie und Erzie hungswissenschaft.931 Zwischenzeitlich besuchten sie ein Jahr lang zur praktischenAusbildungdieGehörlosenschuleundjeeinhalbesJahreine SprachheilundeineSchwerhörigenschule.Siewurdendabeischonvollals Lehrkraft eingesetzt: Sie gaben bereits 18 Wochenstunden Unterricht an denSchulenunterAnleitungeinererfahrenenLehrkraft.Außerdemhospi tiertensievierWochenstundenimUnterrichtvonFachlehrern,umdann amEndederAusbildungeineschriftlichePrüfung–einewissenschaftliche HausarbeitundeineStellungnahmezueinemEinzelfallodereinempäd agogischenThema–undeinemündlichetheoretischePrüfungabzulegen. Absolventenwaren,wennsieindieArbeitswelteintraten,meistschonüber 30Jahrealt. UmdiesesAlterherabzusetzenundaußerdemdenjungenLeuten,die bereitsdasZielihrerAusbildung,denBerufderSonderschullehrkraft,si cherwussten,dieMöglichkeitzugeben,direktinihrBerufsfeldeinzustei gen,richteteHamburgeingrundständigesStudiumfürLehreranSonder schulenein.DasalteAufbaustudiumgabesdaherseit1980nichtmehr.Bis dahinlagderAnteilvon„Späteinsteigern“,LehrkräftenmitBerufserfah rung,aberohnebesondereAusbildung,beicirca40ProzentallerLehrkräf
930
Ebd.,Bl.21:Ausbildungsordnungvom13.3.1947.Ab1968/69warHamburgdurchEinrich tungweitererAusbildungsortenurnochfürdienorddeutschenLänderzuständig.
931
StAHbg,36210/2SprachheilschuleZitzewitzstraße,OrdnerAusbildung,Berichtüberdie TagungderVertreterderSchulenfürGehörundSprachgeschädigteinderbritischenZone Deutschlands18.und19.7.1946,Bl.15–18:VortragvonDr.HeinrichMöhring.
Die Ausbildung zum/zur „Taubstummenlehrer/lehrerin“
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teanspeziellenSonderschulen.932 SeitdemstanddasAusbildungszielfür dieStudierendenvonvornhereinfest.DieuniversitäreAusbildungzurSon derschullehrkrafthateineRegelstudienzeitvonneuneinhalbSemestern.Das erste Staatsexamen wird erfahrungsgemäß zwischen dem zehnten und zwölftenSemesterabgelegt.BelegtwerdenmüssendieFächerPädagogik undein Unterrichtsfach sowiezwei sonderpädagogische Zusatzbereiche, auswählbarsindzumBeispielGehörlosen,SchwerhörigenoderSprach heilpädagogik.NachvierSemesternsolltedieEntscheidungfürdenson derpädagogischenSchwerpunktgefallensein.NachdemExamenschließt sicheinzweijährigesReferendariat–einhalbesJahranderRegelschule, jeeindreiviertelJahrandenzweigewähltenFachrichtungen–an,wel chesmitdemzweitenStaatsexamenabgeschlossenwird.Nebendiesem grundständigenStudiumgibtesdasZusatzstudiumfürBewerberinnen undBewerber,diediezweiteStaatsprüfungfürdasLehramtbestanden haben und von der Schulbehörde zu diesem Studium abgeordnet wer den.933 ImJahr2004wurdendie88SchülerinnenundSchülerderSamuelHei nickeSchulein13Klassenvon33vorwiegendweiblichenLehrkräftenun terrichtet.934 Unter den Studierendender Sonderpädagogikist das Fach Gehörlosen/Schwerhörigenpädagogikmit66Studienplätzenambeliebtes ten.935HeutewerdennichtnurSpezialistenfürGehörlosenpädagogikinder Gehörlosenschule gebraucht, sondern ebenso Musiklehrer (Rhythmik), Sportlehrer,FachlehreroderLehrerfürkörperlichundgeistigBehinderte. DieLetztgenanntensindbesondersnötig,dasichdieStrukturderSchüler schaftimmermehraufdiemehrfachbehindertenKinder(alsogehörlos körperbehindert, gehörlosgeistig behindert, gehörlosblind etc.) hin än dert.EineLehrkraftanderGehörlosenschulesiehtsichnochheutenicht 932
StAHbg,3612VIOSBVI,Abl.1988/4,Az.2200,KreiselternratderspeziellenSonderschu lenanSenatorJoistGrolle(PräsesderBehördefürSchuleundBerufsbildung)14.4.1980;Pro testschreibengegenNeuerung. 933 Künftig wirddieLehrerausbildunginHamburgaufeinBachelor/MasterSystemumge stellt. 934
SekretariatderSchulefürHörgeschädigte,AbteilungII,ElkeSchumacher,am18.2.2004; StatistischeInformationderBehördefürBildungundSport4a/2003StaatlicheSonderschulen Schuljahr03/04,S.5. 935
Nr.15/2601derHamburgerBürgerschaft.ZumVergleich:StudienplätzeinBlinden/Sehbe hindertenpädagogik:32,Sprachbehindertenpädagogik:50.
292
Die Ausbildung zum/zur „Taubstummenlehrer/lehrerin“
„nur“alsLehrkraftfürseineSchülerinnenundSchüler,sondernbietetihm undseinenElterneineBetreuungvonfrühesterKindheitundspäterinal lenLebenslagenan.Er–odersie–siehtnebendenpädagogischenAufga benauchsozialePflichten.936 GehörloseLehrerarbeitetenvorMittedes19.Jahrhundertsindeutschen SchulenmiteinerkombiniertenMethodik,diedenheutigenVorläuferder bilingualenMethodemitderAnwendungvonGebärdensprache,Lautspra cheundSchriftsprachedarstellt.DieseLehrerwaren,wieihrehörenden Lehrerkollegen, individuell an den Taubstummenanstalten ausgebildet worden.AuchheutewerdenwiedergehörlosePädagogenanderHambur gerSchulebeschäftigt,daeinweitererSchwerpunktderSchulediebilin gualeMethodikist,diedieBeteiligungvonstudiertengehörlosenGehörlo senlehrkräftenundErziehernimUnterrichtderGehörlosenschulefordert. Diese sind den Kindern Ansprechpartner und Identifikationsfigur und übernehmendenUnterrichtinundüberGebärdensprache.
936
FritzSchmidt,DieGehörlosenschuleinHamburgimDienstderTaubstummenbildung,in: Wulff,Schüler,S.15.
6 Einrichtungen für Schwerhörige und Sprachbehinderte
6. 1 S c hw e r h ö ri g e n sc hu le Infolgeder„Hörbewegung“,diefürdieAusnutzungundFörderungder Hörresteplädierte,wurdenmehrschwerhörigeKinderindenTaubstum menschulen„entdeckt“.UmdiesesowieanVolksschulenlernendeschwer hörigeKindermehrundindividuellerfördernzukönnen,entstandenin derFolgeerstespeziellaufSchwerhörigezugeschnitteneSchulen–dieers tePrivatschule1894inJena,dieerstestaatlicheSchwerhörigenschule1902 inBerlin.937 InHamburgwares1911soweit:Am19.April1911wurden– aufAnregungundstetesBemühenderTaubstummenlehrerWilhelmFeh lingundRichardJust(1864–1940)938–inderVolksschuleCapellenstraßein St.GeorgzweiKlassenfürschwerhörigeKindereingerichtet,dienichtdem DirektorderVolksschule,sonderndemSchulinspektorHansHeinrichAu gust Fricke (1854–1914) unterstellt wurden.939 Bereits im Oktober wurde einedritteKlasseeröffnet,zuOstern1912einevierte.Undnochimmerwa ren nicht alle hörgeschädigten Volksschülerinnen und schüler in den Schwerhörigenklassenuntergebracht.Am27.Juni1913wurdeschließlich inderCapellenstraßemitGenehmigungvonSenatundBürgerschaftdie Schwerhörigenschulegegründet.Diesewarmit107KinderninzwölfKlas
937
StAHbg,3612VIOSBVI,404:HeinrichWitthöft,DerTaubstummenlehreralsSchwerhöri genlehrer,o.D.[ca.1958];StAHbg,35110IISozialbehördeII,012.7340Band1,Bl.15:Ham burgerNachrichtenNr.148vom31.5.1937„25JahreSchwerhörigenbewegunginHamburg“.
938
StAHbg,6221FamilieLandahl,46,ManuskriptzurAnspracheanläßlichdes50jährigen BestehensderHamburgerSonderschulefürSchwerhörigeam11.3.1961,Bl.3.
939
Ebd.,Bl.4.Frickewarvon1907bis1914MitgliedderBürgerschaft,VorsitzenderderSchul kommissionen der Stadtbezirke Altstadt und St. Georg und Schulinspektor für das Volks schulwesen.ErwarBeraterundVertrauensmannderOberschulbehördezuallenFragenüber dieAusbildunghörgeschädigterKinder,wobeiersichmitNachdruckfürdieschwerhörigen SchülerinnenundSchülerunddereneigenständigeSchuleeinsetzte(StAHbg,6221Gustav Marr,1,SitzungsprotokolldesVorstandesderTaubstummenanstaltvom19.6.1914,S.3).
294
Einrichtungen für Schwerhörige und Sprachbehinderte
senzwarnichtdieerste,aberdochdiegrößteSchuleihrerArtimdeut schenReich.ErsterSchulleiterwurdeWilhelmFehling.940 DieschwerhörigenKinderwarenvorderGründungeinereigenenSchu legemeinsammitdengehörlosenKindernaufderTaubstummenschuleun terrichtetworden,bereitsab1836teilweiseineigenenKlassen.941Auch1899 gabesgesondertenHörunterrichtfürschwerhörigeKinderanderGehörlo senschule,dieabernacheinigenJahrenaufgegebenwurde,daesnichtge nügendgleichaltrigeschwerhörigeSchüleranderSchulegab.942 Mitder Gründung der Schwerhörigenschule trennten sich die Kompetenzen der beidenSchulen,dieTaubstummenschulenahmdievonGeburtantauben odervordemSpracherwerbertaubtenKinderauf,dienichtüberakustische Signalelernenkonnten,währendKinder,dienachdemSpracherwerber taubtwarenoderHörrestehatten,indieSchwerhörigenschuleeingeschult wurden.943 1920musstedieSchwerhörigenschulegegendenWillenihresLehrerkol legiumsausdemGebäudeanderCapellenstraßeausziehen. 944AlsProviso rium zogen die meisten Klassen in das Gebäude der ehemaligen Rum baumschenPrivatschuleinderKampstraße58aufSt.Pauli.DasGebäude warallerdingszuklein,undsomusstenvierKlassenzuerstimSchulhaus inderAnnenstraße2,ebenfallsaufSt.Pauli,dannalsNachmittagsklassen indenRäumenderTaubstummenschuleuntergebrachtwerden.ZweiJahre späterwardasGebäudeinderKampstraßeaufgestocktworden,sodass 1922 alleKlassenin einerSchule zusammengefasst werden konnten. Da dasGebäudeallerdingsschlechtgelegenundvorallemaufDauerimmer nochzukleinwar,zogdieSchule1939wiederumum:indieFelixDahn StraßeinEimsbüttel.AberauchdiesesgeeigneteGebäudemusstewieder 940
P[aul]Jankowski,EntwicklungundgegenwärtigerStanddesSchwerhörigenbildungswe sensinHamburg,in:Festgabe,S.38.
941
Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.36.
942
Jankowski,Schwerhörigenbildungswesen,S.29.
943
UrsprünglichhattedieTaubstummenanstaltdieEinweisungvongehörlosenwiehochgra digschwerhörigenKindern,dienichtüberdasOhrunterrichtetwerdenkonnten,indieTaub stummenanstaltgefordert,egal,obdiesetaubgeborenoderspätertaubtwaren(ebd.,S.39–41). DiesichdarausergebendenStreitigkeitenwerdenu.a.indenKapiteln4.1.7(Lautspracheund Gebärden)und4.2.2(DieArbeitderSchulleiter)geschildert. 944
ImFolgendenzurGeschichtesieheStAHbg,6221FamilieLandahl,46,Manuskriptzur Anspracheanläßlichdes50jährigenBestehensderHamburgerSonderschulefürSchwerhörige am11.3.1961,S.8–12;Jankowski,Schwerhörigenbildungswesen,S.29–49.
Schwerhörigenschule
295
verlassenwerden,dadort1942dieLehrerbildungsanstalteinziehensollte. VieleSchülerinnen undSchülerderSchwerhörigenschulewurdenindie Kinderlandverschickungverschickt,dieDaheimgebliebenenzogenindie benachbarteMädchenschuleSchanzenstraße105um. ImGebäudederSchuleSchanzenstraße,derheutigenAltonaerStraße, wurdenachKriegsendederUnterrichtmit45Kindernerneutaufgenom men.Erstam1.Oktober1952hattedieSchwerhörigenschulewiedereinei genes,verkehrsgünstiginderNähedesHauptbahnhofsgelegenesSchulge bäudeinderMünzstraße6erhalten.Dort,imsichinzwischenalssozialer Brennpunkt herauskristallisierten Stadtteil St. Georg, ist die Schwerhöri genschule–heutealsAbteilungder„SchulefürHörgeschädigte“–mitih rerangegliedertenRealschulenochimmerzufinden.945 DieSchwerhörigenschulehattebereitsvorderGehörlosenschuleeinen Realschulkurseingerichtet:NachdenOsterferien1957hattedieSchwerhö rigenrealschule ihren Unterricht aufgenommen, dann wurden jedes Jahr RealschulklassenmitdenFremdsprachenEnglischundLateineingerich tet.946Dieersten14schwerhörigenundertaubtenSchülerinnenundSchüler legten,pünktlichzum50jährigenBestehenihrerAnstalt,imFebruar1961 ihre Mittelschulprüfung ab.947 1965 nahm das LohmühlenGymnasium schwerhörigeRealschülerinnenundschülerauf,dievierJahrespäterihr Abiturerreichten.DieserintegrativeGymnasialzugwurde1971zugunsten einesspeziellenOberstufenzweigsfürHörgeschädigteaufgegeben.Heute können sich hörbehinderte, vor allem schwerhörige Schülerinnen und SchülerindiesemspeziellaufihreBedürfnisseangelegtenZweigderOber stufeamLohmühlenGymnasiumgezieltaufdasAbiturvorbereiten.2000 wurdedieSchwerhörigenschuleorganisatorischmitderSamuelHeinicke Schulezusammengeführt.DiesePlanungführtezueinererbittertenDebat teunterdenBeteiligten,dieaufSeitenderSchwerhörigenschulezunächst damit endete, dass derenSchulkonferenzdie Planungder Schulbehörde
945
1986wurdederHaupteingangindenSchultzweg9verlegt.
946
Heinrich Witthöft, Hamburgs Mittelschule für Schwerhörige in weiterem Aufbau, in: SchwerhörigeundSpätertaubte,ZeitschriftdesDeutschenSchwerhörigenbundesNr.6,Juni 1959,S.112–114. 947
StAHbg,6221FamilieLandahl,46,ManuskriptzurAnspracheanläßlichdes50jährigen BestehensderHamburgerSonderschulefürSchwerhörigeam11.3.1961,Bl.1.
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Einrichtungen für Schwerhörige und Sprachbehinderte
ablehnteundstattdesseneineintegrativeSchuleaufdemGeländedernahe gelegenenHeinrichWolgastSchuleforderte.948
6. 2 S prac h he il s c h u le n AuchdieGeschichtederSprachheilpädagogikistengverzahntmitGehör losenpädagogen. Gehörlosenschulen waren ursprünglich auch Sprach heilschulen, schon Samuel Heinickes Leipziger Institut war gedacht für „taubstummeundanderemitSprachgebrechenbehaftetePersonen“und TaubstummenlehrermusstenlautPreußischerPrüfungsordnungfürVor steheranTaubstummenanstaltenauchKenntnisseimUnterrichtvonStotte rern,StammlernundLisplernnachweisen.949 DerBerlinerTaubstummenleh rerAlbertGutzmann(1837–1910)undseinSohn,derArztProf.Dr.Hermann Gutzmann (1865–1922), waren die ersten Förderer einer eigenständigen Sprachheilarbeit in Deutschland.950 Gemeinsame Wurzeln führten dazu, dass reichsweit Taubstummen, Schwerhörigen, und Sprachheillehrer einengemeinsamenAusbildungsganginBerlindurchliefen.951 Aberauch mitderStadtHamburgistdasSprachheilwesenengverknüpft.1927wurde während derSamuelHeinickeTagungdesBundes Deutscher Taubstum menlehrerinHamburgdie„ArbeitsgemeinschaftfürSprachheilpädagogik inDeutschland“gegründet,ausderderheutigeDachverband,der„Deut scheBundesverbandderakademischenSprachtherapeuten“entstand.952In 948
DrucksacheNr.16/4297derHamburgerBürgerschaftvom24.5.2000.
949
Schumann,GeschichtedesTaubstummenwesens,S.622f.
950
HansWendpap,KurzerAbrissderGeschichtedesSprachheilwesensinHamburg,in:Jo hannesWulff,Gehörlose,schwerhörigeundsprachkranke SchülerinHamburg.Ehrengabe derSchulbehördederFreienundHansestadtHamburgfürdieTeilnehmerderGemeinschafts tagungfürallgemeineundangewandtePhonetikanläßlichdes50jährigenBestehensdesPho netischenLaboratoriums,Hamburg1960,S.23–27,hierS.23. 951
VerordnungdesReichsministersvom12.6.1936(Schumann,GeschichtedesTaubstummen wesens,S.628).DieakademischeAusbildungderSprachheilpädagogeninDeutschlandwie derum begann mit der Prüfungsordnung für das Lehramt an Sprachheilschulen, die am 1.3.1928anderUniversitätHamburginKrafttrat(ManfredGrohnfeldt,Weichenstellungenin derSprachheilpädagogik.75JahreDeutscheGesellschaftfürSprachheilpädagogike.V.,Würz burg2002,S.74).
952
Grohnfeldt, Weichenstellungen, S. 11. Ursprünglich „Deutscher Bundesverband der Sprachheilpädagogen“.
Sprachheilschulen
297
derGründungszeitwarenesfastausschließlichHamburgerSprachheilleh rer,diedieGeschickedesVerbandesbestimmtenundsohattesichHam burgschonfrüheineführendeRolleinderdeutschenSprachheilpädagogik erarbeitet.953Bereitsam1.Oktober1912warinderHansestadt–zuerstver suchsweise–mit15starkstotterndenSchülerneineSonderklassefürsprach krankeSchülerunterLeitungdesVolksschullehrersWilhelmCarrie inder HilfsschuleanderBachstraße44eingerichtetworden.FürCarriewurdedar aufhineigenseineSonderprüfungeingerichtet,indererseineKenntnissein derHeilpädagogikalsSprachheillehrerbeweisenmusste.954 Auch der Direktor der Taubstummenanstalt, Heinrich Söder, hatte großenAnteilanderFörderungsprachbehinderterSchüler.AufInitiative einer Gruppe Hamburger Förderer waren zum 17. September 1888 acht KlassenfürstotterndeSchülerhauptsächlichausOberklasseneingerichtet worden.955EineinhalbJahrenachdeminBerlinbegonnenwurde,dieersten Sprachheillehrerauszubilden,unterrichtetenvonSödereingewieseneLehr kräfteinHamburgsprachauffälligeSchülerinnenundSchüler.Nachihrer erfolgreichbestandenenAbschlussprüfungwurdenweitereKursefürJun genundMädcheneingerichtet,wobeiSöder dieArbeitderLehrerweiter beaufsichtigte,auch,alsdieKurseimJahr1900verstaatlichtwurden,und auch, als die erste Sprachheilschule für stotternde Schulkinder eröffnet wurdeunddamitdieschulbegleitendenKurseHilfefürKindermitande renSprachgebrechengab.956AnderHamburgerTaubstummenanstaltwie derumwaresderLehrerWilhelmHenz(1861–1943),derineinerumfang
953 Ebd.,S.12.VondenerstensechsVorstandsmitgliederndesVerbandeswarenfünfausHam burg,darunterAdolfLambeck.Gemeinsamkeitenwurdenauch1939betont,alsinHamburg inAnschlussaneineTagungderDeutschenGesellschaftfürSprachundStimmheilkunde auchdieFachtagungderLehreranGehörlosen,SchwerhörigenundSprachheilschulenstatt fand(Schumann,GeschichtedesTaubstummenwesens,S.628f.). 954
StAHbg,3612VOSBV,498aBand1,Bl.2:AbschriftNotizSchulinspektorH.Th.Matthä usMeyer4.10.1912undBl.7:Dr.med.HermannGustavWilhelmChristophSinellanMeyer 15.1.1913). Als Gründer der ersten Sprachheilklassen und Leiter der ersten Hamburger SprachheilschuleseiWilhelmSchleuß(1869–1940)genannt.
955 Wendpap,Sprachheilwesen,S.24.AusführlichberichtetüberdieEinrichtungderersten SprachheilkurseundSprachheilschulen:Ad[olf]Lambeck,ZurGeschichtedesSprachheilwe sensinHamburg,in:Festgabe,S.53–95. 956
StAHbg,3612VIOSBVI,404,Bl.11:AlbertMansfeld,OrganisationderSchularbeitanGe hörundSprachgestörteninHamburg,Sonderdruckaus„DiedeutscheSonderschule“1939, Heft5/6;Wendpap,Sprachheilwesen,S.24f.
298
Einrichtungen für Schwerhörige und Sprachbehinderte
reichen Veröffentlichung im Jahre 1913 über seine 30jährige Praxis mit sprachbehindertenKindernanderGehörlosenschuleberichtete.957 1915wurdealsweiterespezielleEinrichtunginderSchwerhörigenschu leeinesprachpädagogischeAusbildungsstellefürdie„imFeldetaubund schwerhörig gewordenen Kriegsteilnehmer“ eingerichtet, um diesen das AblesenvondenLippenbeizubringen.Aufeiner„Kriegstagung“desBun desdeutscherTaubstummenlehrerimDezember1915inBerlinwurdedas Problemder„FürsorgefürdieimFeldegehörundsprachkrankgeworde nenKrieger“zumThema.WilhelmFehlingberichteteüberdieHamburger Einrichtung,diedenbetroffenenSoldaten–auchsolchen,die„hysterisch taub“waren–958Ableseunterrichtgab.SeitFebruargabesinZusammenar beitvonLandesausschussfürKriegsbeschädigteundSanitätsamtSammel stellen,UnterrichtundärztlicheÜberwachungbetroffenerSoldaten.Sowa renbeispielsweisealleErtaubtenundSchwerhörigendes9.Armeekorps zurTeilnahmeandenbiszudreiMonatendauerndenKursenverpflichtet worden.VonFebruarbisDezemberwurdenüber80SoldatenvonLehr kräftenderSchwerhörigenschuleunterrichtet.1917schlossensichdieer taubtenSoldatenzueinemVereinzusammen,um„ihreKameradschaftzu pflegen“.959 AusderFürsorgefürgehörgeschädigteKriegsteilnehmerent stand in Zusammenlegung mit dem Schutzverband der Schwerhörigen e.V.am26.Mai1919einebis1933durchdenLeiterderSchwerhörigen schule, Wilhelm Fehling, und das Wohlfahrtsamt geleitete halbstaatliche FürsorgestellefürBerufsberatung,UmschulungundHilfebeiderEntschei dungfürLippenlesenoderHörapparat.DerSchutzverbandderSchwerhö rigenwar1912gegründetwordenundfungierte,seitdiesichfürsoziale ProjekteengagierendeDruidenLogeHamburgs(einespezielleFormdes LogentumsnebenzumBeispieldenbekanntenFreimaurern)währendder InflationszeitdenDienstbetriebaufrechterhaltenhatte,unterdemNamen Druidenhilfe.960 DieseFürsorgestelleentwickeltesichzurAnlaufstellefür 957
Schumann,GeschichtedesTaubstummenwesens,S.623f.
958
DieTeilnehmeranderTagungwolltendiesevonderFörderungausnehmen,dochFehling fanddasAbsehtraininggeradefürsolchewichtig,umsievor„weiterenseelischenQualen“zu schützen(StAHbg,3612VOSBV,Bl.91–101:KriegstagungsberichtvonFehling,hierBl.96).
959
BeiblattdesHamburgerEchosNr.85vom13.4.1917undHamburgischerCorrespondent Nr.186vom13.4.1917,in:StAHbg,3311PolitischePolizei,Sa2632.
960 StAHbg,35110ISozialbehördeI,AK60.12,Bl.59f.:WohlfahrtsamtanStadtratDresden 4.7.1924,Bl.131:DieFürsorgefürSchwerhörigeundErtaubte.DruidenhilfeinHamburg,1928.
Sprachheilschulen
299
GehörgeschädigteausHamburgundUmgebungundbetreuteimJahr1932 bereits5400Personen(darunter231„Taubstumme“).961 AusdenSprachheilklassenCarrieshattesichinzwischen1920dieSchule fürSprachkrankeBeimStrohhause80entwickelt,die1924indieStiftstra ße69und1930indasGebäudeRostockerStraße62umzog.Auchwareine zweiteSprachheilschulefürdierechtsderAlsterliegendenStadtteileinder Seilerstraße42,späterAltonaerStraße58,eingerichtetworden.962Ab1933,als dieArbeitsgemeinschaftfürSprachheilpädagogikindenNSLB,FachschaftV (Sonderschulen)eintrat,beganndievehementeAbgrenzungderSprachheil schulenzurdamaligenHilfsschule.InHamburgwurden1938gleichzwei neue Sprachheilschulen (als „Schule für Sprachkranke“) gegründet. 963 Mit derAbgrenzungwurdebezweckt,Sprachheilschülernichtalsminderintelli genteHilfsschülereinzustufen.SiewärendamitunterdasGesetzzurVerhü tungerbkrankenNachwuchsesgefallen.TrotzdemgabeseineReihePädago gen,diesichimSinnenationalsozialistischerIdeenengagierten.964 DerWiederaufbaudesSprachheilwesensnachEndedesZweitenWelt kriegesbeganninHamburgmitderWiedereröffnungdreierSprachheil schulen–darunterauchimgemeinsamenGebäudedieSprachheilschule LambecksunddieGehörlosenschule–EndeAugustundAnfangSeptem ber1945.965UndinHamburgerfolgteauchdieNeugründungderArbeits gemeinschaft1953aufInitiativeHamburgerSprachheillehrer966 sowieers terweiterführenderEinrichtungenfürsprachbehinderteSchülerinnenund Schüler:EineRealschulklasseimJahr1955undnachmittäglicheKursefür 961
StAHbg,35110IISozialbehördeII,012.7340Band1,Bl.4:ArbeitsberichtderDruidenhilfe vom15.3.1933.
962
HartmutDiekmann,80JahreSprachheilklasseninHamburg(1912–1992).BeiträgezurGe schichteundGegenwartdesHamburgerSprachheilwesens,Hamburg1992,S.9undS.53; KarlHeinzHahn,ÜberdenAufbauderHamburgerSchulenfürSprachkranke,in:Günther, Werner/ders.,AusderEntwicklungundArbeitdesHamburgerSprachheilwesens.Beiträge HamburgerFachpädagogenundFachärzte,Hamburg1962,S.8–18,hierS.8. 963
InHarburgdieheutigeSprachheilschuleBaererstraßeundinAltonadieheutigeSprach heilschuleBernstorffstraße(Diekmann,Sprachheilklassen,S.30und33)
964
FürHamburgsieheKrämerKiliç:AdolfLambeck;HendrikHauschild/IngeKrämerKiliç, „Dustotterstja!“SprachbehindertenpädagogikimNationalsozialismus;eineexemplarische BetrachtungderHamburgerVerhältnisse(Konflikt–Krise–SozialisationBand11),Münster 2000.
965
Grohnfeldt,Sprachheilpädagogik,S.22.
966
Ebd.,S.25.
300
Einrichtungen für Schwerhörige und Sprachbehinderte
stotterndeGymnasiastenundBerufsschüler.967 SeitdemSchuljahr1991/92 gibtesnebendensechsHamburgerSprachheilschulen13integrativeRegel klassenfürdiefachpädagogischeVersorgungvonsprachauffälligenKin dern.968 Heute gibt es in Hamburg sechs Sprachheilschulen mit neun Zweigstellensowie15Beratungsstellen,969 diekaumnoch,wieinderAn fangszeit, stotternde Schülerinnen und Schüler behandeln, sondern sich hauptsächlich mit „komplexen Störungsformen kindlichen Kommunika tionsverhaltens“ beschäftigen, also mit Kindern, die aus verschiedenen GründendensprachlichenUmgangmitanderennichtbeherrschen.970
Abbildung 53: Artikulationsunterricht an der Sprachheilschule, 1936 967
Diekmann,Sprachheilklassen,S.54.
968
Ebd.,S.2.
969
Stand2002(Grohnfeldt,Sprachheilpädagogik,S.105).
970
Diekmann,Sprachheilklassen,S.3.
7 Gehörlose in der Gesellschaft
7.1 Selbsthilfeorg anisationen, Stiftungen un d Vere ine 7.1.1 Bröhan, Pa cher und die ersten Hamburger GehörlosenVerei ne DerersteHamburgerTaubstummenvereinwurde1875ineinemLokalam Zeughausmarktgegründet.971 DieAnregungdazugabenKommissionsrat JohnPacherundseinFreundPaulHirschfeld.AlsZieledesVereinswurden dieUnterstützungerkrankteroderverarmtergehörloserHamburgerund dieErrichtungeinerBibliothekgenannt.AllerdingshattederVereinkeine zehn Jahre Bestand. Als 1883 der Schriftsetzer Gustav Adolf Claudius (1850–1912),derinSchleswigdurchOttoFriedrichKruseausgebildetwor denwar,den„TaubstummenVereinvonAltonaundUmgegend“gründete, gabesdenHamburgerVereinbereitsnichtmehr.PacherundandereHam burgerGehörloseengagiertensichfortaninClaudius´Verein. DieältestenochheutebestehendeOrganisationderHamburgerGehör losen ist der am11. April 1900indas Vereinsregisterbeim Amtsgericht Hamburgeingetragene„AllgemeineGehörlosenUnterstützungsvereinzu Hamburgvon1891e.V.“(AGUV),dersichausmehrerenkleinerenOrgani sationen zusammensetzte:972 Aus dem „TaubstummenFreundschaftsclub von1894“wurde1897der„TaubstummenFreundschaftsbund“, 973dersich
971
Fischer,JohnE.Pacher,in:DasZeichen33(1995),S.254.
972
StAHbg,3313PolitischePolizei,Sa287.DerdeutschlandweitersteGehörlosenvereinwur deam30.April1848vonEduardFürstenberginBerlingegründet(ThomasWorseck,Diedeut sche Gehörlosenbewegungvon1848bis1945,in:HamburgerGehörlosenZeitung4[2003], S.4–7.)
973
DerTaubstummenFreundschaftsclubwiederumwareineAbspaltungHamburgerGehör loser aus dem „TaubstummenTheaterclub von AltonaHamburg“ und hatte ursprünglich einenreingeselligenHintergrund(StAHbg,3313PolitischePolizei,Sa287,BerichtdesPoli zeiOffiziersGrubeüberdieErkundigungüberdenneugegründetenTaubstummenFreund schaftsclubvon1894vom17.6.1894).
302
Gehörlose in der Gesellschaft
1906–seit1899hießer„TaubstummenbundzuHamburg“undwarseit 1900soindasVereinsregistereingetragen–mitdemam4.Januar1891auf InitiativevonJohnPacher gemeinsammitLehrernderHamburgerTaub stummenschulegegründeten„TaubstummenvereinzuHamburg“vereinig te,umso alte interneund meist persönliche Streitigkeitenzuschlichten und gemeinsam mehr für die Hamburger Gehörlosenerreichenzukön nen,974EinweitereswichtigesMotivfürdieVereinsgründungwarderbei derseitige Wunsch zur Errichtung eines eigenen Altenheims, da das in SchleswigauchmitHilfedes„TaubstummenVereinsvonAltonaundUm gegend“undseinerMitgliederbaldentstehendeAltenheimnurschleswig holsteinischenGehörlosenzugänglichseinsollte.9751913wurdederVerein in den „Allgemeinen TaubstummenUnterstützungsverein zu Hamburg, gegr.1891e.V.“umgewandelt,derdieinNotgeratenenMitgliederunter stützenwollte,wasgeradeimErstenWeltkriegimstarkenMaßenotwen digwurde.DerVereinunterstützteunteranderemseinearbeitslosenund älteren bedürftigen Mitglieder durch finanzielle Beihilfen.976 1922 wurde danneinAusschusszurMitarbeitanderöffentlichenWohlfahrtspflegege bildet,alleMitgliedersolltendarüberRatundHilfeinwirtschaftlichenund rechtlichenFragenerhalten.977 1891,zurZeitderGründungvonPachersTaubstummenverein,gabes bereitszweiandereHamburgerGehörlosenVereine,darunterden1890ge gründetenTaubstummenverein„Hephata“978.ZuAnfanghattedieserVer ein unter seinem Gründer, dem Tischler Johann Heinrich Bröhan (geb. 1862),einendenkbarschlechtenRuf,sowohlunterdenTaubstummenleh rernalsauchunterdenanderenGehörlosenvereinen.EinGrunddafürist inderdirektenKonkurrenzderVereinezusehen. Pachers Verein,derdurchdengehörlosen,inseinerFirmaangestellten Buchbindermeister Adalbert Tomei geführt wurde, hatte in seinem Vor standmitErnstDanckertaucheinenTaubstummenlehrer. 974
Ebd.,NeueZeitschriftfürTaubstummeNr.24vom15.3.1906.
975
ZudenAnfängensieheHannen,Gehörlosenbewegung,Kapitel1,S.3–32.
976
StAHbg,3313PolitischePolizei,Sa287,HamburgerNachrichtenNr.437vom18.9.1913 undGeneralAnzeigerNr.73vom27.März1917. 977
EugenTellschaft,Festschriftzum100jährigenJubiläumdesAllgemeinenGehörlosenUnter stützungsvereinszuHamburgvon1891e.V.,Hamburg1991,S.18.
978
Hephata(„Tuedichauf“)isteinBibelzitat:JesusheilteeinenTaubstummendurchNennung diesesWortes(Markus7,32–37).
Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine
303
Abbildung 54: Adalbert Tomei
ZumanderenbestandderVorstanddesKonkurrenzvereinsausschlecht beleumdetenPersonen:BröhanwarbereitsunteranderemwegenSchwin delei(UnterschlagungundBetrug)inAltonazuGefängnisstrafenverurteilt und aus anderen Vereinen wegen „ehrloser Gesinnung“ ausgeschlossen worden.979EskamsogarzuSchlägereienzwischendenMitgliedernderri valisierenden Vereine, in deren Folge Bröhan und seine Freunde wegen 979
StAHbg,3311PolitischePolizei,S2341,BeschwerdeüberneuenTaubstummenvereinund dessenGründer,Bröhan,vonGustavAdolfClaudius,VorsitzenderdesAltonaerHamburger TaubstummenvereinsandiePolizeibehörde1.1.1891.WeitereBriefeandiePolizeibehördevon KommissionsratJohnPacheram6.4.1891undvomHamburgerTaubstummenVereinunter AdalbertTomeiundJohnPacher,sowiedenVorständendesTaubstummenSparclubs„Fleißi geBiene“zuHamburgAltonaunddem„TaubstummenvereinAltonaundUmgegend“am 9.9.1891.ZumVerein„Hephata“sieheStAHbg,3313PolitischePolizei,V356.Auch1894gab eswiederimZusammenhangmitLotteriegeldernVorwürfegegenBröhan(Taubstummenzeit schrift„Hephata“Febrar1891,herausgegebenvonGustavAdolfClaudius,SchreibenvonJo hannHardenbergam24.11.1894).
304
Gehörlose in der Gesellschaft
Körperverletzungangeklagtwurden.TrotzzahlreicherProtestederande renOrganisationengegenBröhan undseinenVereinbekamdieserregen Zulauf.ErkonntebaldmehrMitgliederaufweisenalsdiedirektenKonkur renten,derAltonaerHamburgerTaubstummenvereinundderHamburger TaubstummenVerein.LetztererwaroffiziellschonimDezember1890von JohnPacherinGemeinschaftmitdemTaubstummenlehrerErnstDanckert unddemDirektorderTaubstummenanstalt,HeinrichSöder,initiiertwor den. Als Vereinsziel wurde genannt, die Vereinsmitglieder in „sittlicher, moralischer und pekuniärer Hinsicht“ zu belehren und zu fördern.980 BröhanhatteeinoffeneresKonzept,veranstaltetezumBeispieleineHelgo landFahrt mit guter Beteiligung981 und bunte Abende ohne belehrende Vorträgeundversuchte,aucheinenVereinfürgehörloseFrauenzugrün den,wasallerdingsmisslang.982Pacherzeigtesicheifersüchtigundbezich tigteBröhan,denVerein„Hephata“nurgegründetzuhaben,umseinem eigenenVereinSchwierigkeitenzubereiten.983Bröhandagegennannteden eigenenVereingeistigunabhängig,unddaermehrMitgliederhabe(im September1891warenes41Gehörlose),seierHamburgsHauptverein. 984 Der Verein „Hephata“ veranstaltete Lotterien, um sich ein Vereinshaus bauenzukönnen,welchesdann–solautetedasentfernteZiel–alsHerber ge,Gewerbeschule,KrankenhausundAsyldienensollte.985 Undaufdem deutschen Taubstummenkongress in Hannover während der Pfingsttage 1892waresBröhan,derüberdieNotwendigkeitderGründungeinesZen tralverbandesdeutscher Taubstummenvereinereferierte.AndereThemen aufdieserTagungwarendieZulassungvonGehörlosenalsLehrkräfteund derKampfumdieGebärdensprache;Lautsprachewurdeals„geisttötend“ 980 StAHbg,3311PolitischePolizei,S2341,ClaudiusanPolizeibehörde1.1.1891.AlsHaupt zweckwirdaußerdemdieAnsammlungeinesKapitalsgenannt,dasbedürftigenGehörlosen zukommensoll(StAHbg,3311PolitischePolizei,Sa80,HamburgerFremdenblattNr.234 vom7.10.1891). 981
Ebd.,HamburgerFremdenblattNr.207vom5.9.1891.
982
Ebd.,BerichtdesPolizistenRosalowskyüberdenVerein15.9.1891.
983
Ebd.
984
Ebd.,Bl.23:UnbeschrifteterZeitungsausschnitto.D.[ca.14.9.1891].
985
Ebd., Bericht des Polizisten Bauernfind 7.9.1894, Polizeinotiz vom 1.9.1894, Hamburger FremdenblattNr.232vom2.10.1894.Diesgelangabernicht.DasersteeigeneHamburgerGe hörlosenfreizeitheimwurdedas1969gegründeteKulturundFreizeitzentruminderBerna dottestraße.
Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine
305
zurückgewiesen.BröhansStellunginnerhalbderGehörlosengemeinschaft wurdeauchdadurchgefestigt,dasseraufdiesemKongressindessenper manentenAusschussgewähltwurde.986NurlangsamlöstensichdieStrei tigkeitenuntereinanderauf. ImVerein„Hephata“warspäter,zeitweisealszweiterVorsitzender,der gehörloseLithographLeviLöwenbergtätig.Erhatte,wieauchdreiseiner jüngerenBrüder,seineAusbildunginderHamburgerTaubstummenanstalt erhalten(1827–1835)undfielwegenseineszeichnerischenTalentesauf.Als BeilagezumsechstenBerichtderTaubstummenanstalthatteerimSeptem ber1837einGedichtmitdemTitel„UnserenWohlthätern“mitLithogra phienillustriert.EhemaligeSchüler,dieLithographenwurden,warenauch GustavCarlJoachimMetelmann(geb.1878),derdie„NeueZeitschriftfür Taubstumme“herausbrachteundderbereitsobenerwähnteJohnPacher. DaswarennichtdieeinzigengehörlosenHamburger,dieerfolgreichkrea tivwaren.FürdiespätereZeitsindauchdieKünstlerinnenRuthSchau mannundElisabethSeligmannzunennen.987 FürdenHarburgerBereichbestandseit1907derGehörlosenFürsorge verein HarburgWilhelmsburg, dessen Aufgaben sich mit denen des HamburgerUnterstützungsvereinsdeckten:BeidewolltengehörlosenEr wachseneneingeselligesGemeinschaftslebenermöglichen,Pflegschaften vermitteln,Altenfürsorgegewährleisten,Dolmetscherhilfeanbietenund injederLebenssituationdenMitgliedernmitRatundHilfebeistehen.Im Januar1990schlosssichderHarburgerVereinwegenNachwuchsmangels mitdemAGUVzusammen.988 7. 1.2 Zeitschriften InDeutschlandwurdeamEndedes19.JahrhundertseinerelativgroßeAn zahlanZeitschriftenüberdasTaubstummenwesenherausgegeben.Esgab unteranderemFachzeitschriftenderTaubstummenlehrer,wiedas„Organ der Taubstummenanstalten in Deutschland und den deutschredenden 986 Ebd.,HamburgerFremdenblattNr.132vom8.6.1892.MehrüberdieErgebnissedesKon gressesimKapitel4.1.3LautspracheundGebärden. 987 988
DiesenbeidenKünstlerinnensindunter7.2zweieigeneAbschnittegewidmet.
TabellevonEugenTellschaft,AllgemeinerGehörlosenUnterstützungsvereinzuHamburg von1891e.V.vom25.7.2001.
306
Gehörlose in der Gesellschaft
Nachbarländern“seit1864(mitdemVorgänger„OrganderTaubstummen undBlindenAnstalteninDeutschlandunddendeutschredendenNachbar ländern“ seit 1855) sowie die beiden von Gehörlosen herausgegebenen Hefte, den Wiener „TaubstummenCourier“ seit 1885 und den Berliner „TaubstummenFreund“seit1872.989 DieseundweitereZeitschriftendien tender„Erbauung“undFortbildungderGehörlosen.Siewarendazuda, „den SinnfürLektüreinden jüngeren Menschen[zu] wecken“, stellten aberaucheinForumfürdieBelangederBetroffenendar.1905existierten acht Zeitungen im deutschsprachigen Raum, die zweimal im Monat er schienen,davonwurdendreivonTaubstummenlehrern,undviervonnach demSpracherwerbertaubtenMännernherausgegeben.990DerDirektorder HamburgerTaubstummenanstalt,HeinrichSöder,hieltdieseFüllefürun nötig,weildiemeistenZeitungensichaufGrunddesgeringenMarktesnur mühsamhaltenkonnten.EräußertesichnegativgegenübervonGehörlo senherausgegebenenZeitungen,dieanQualitätdenenderLehrerzeitun genfürGehörlosenachstünden.SöderhieltdieLehrerfür„besserbefähigt fürdieFortbildungderTaubstummen“.Diebekanntesteundverbreitetste dieserZeitschriftenwardieseitdem1.Oktober1887zweimalimMonater scheinenden„BlätterfürTaubstummenbildung“.Söder gabeinnegatives Urteilüberdieseit1905ebenfallszweimalmonatlichinHamburgerschei nende „Neue Zeitschrift für Taubstumme“ des gehörlosen Lithographen Gustav C. J. Metelmann,991 da die inhaltliche Qualität dieser Zeitschrift nichtgutgenugseiundzuwenigTaubstummeimvonMetelmannbeliefer tenGebietwohnten.InHamburggebees227Taubstumme,davon100Kin der,undsobezweifelteSöderdievonMetelmannangegebenen250Abon nentenimnorddeutschenRaum.992 MetelmannsZeitschriftwarallerdings OrganderverschiedenenTaubstummenvereine,unteranderemvonHam burg,AltonaundBremen,undkonntesichtrotzdernegativenBeurteilung Södersauchweiterhinbehaupten.Ende1912fusioniertedie„NeueZeit 989
Söder,Blinden,IdiotenundTaubstummenbildungswesen,S.319f.
990
StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.RfNo.215Vol.93,SöderanOSB,III.Sektion,28.10.1905.
991
ZuMetelmannsZeitschriftsieheStAHbg3313PolitischePolizei,S13190.DieNeueZeit schriftfürTaubstummewurdebis1913inHamburgverlegt,ab1.1.1913warVerlagsortBerlin. SowohlMetelmann(Schriftleiterund–bis1911–Herausgeber)alsauchBesitzerderDrucke reiunddessenSetzersowiediemeistenMitarbeiterwarengehörlos(ebd.,Hamburgischer CorrespondentNr.85vom16.2.1907). 992
StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.RfNo.215Vol.93,SöderanOSB,III.Sektion,28.10.1905.
Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine
307
schriftfürTaubstumme“993 mitdem1871erstmalsdurchEduardFürsten berg(1827–1885)herausgegebenen„TaubstummenFreund“zur„Allgemei nenDeutschenTaubstummenZeitschrift“.994DieersteNummerderneuen Zeitschrifterschienam1.Januar1913inBerlin.Sieentwickeltesichzum AustauschorganverschiedenerVerbände,„NordundSüd,OstundWest stehendurchdieseZeitschriftinstetemGedankenaustausch“unddruckte sowohl Artikel von Gehörlosen als auch von Taubstummenlehrkräften ab.995Ab1929wurdesieals„DeutscheGehörlosenZeitschriftDieStimme“ vonLeipzigausherausgegeben.1935fusioniertesiemiteinerMünchner Zeitschrift zurebenfallsinMünchen herausgegebenenEinheitszeitschrift „DerDeutscheGehörlose“.996 7. 1. 3 S oz ia ld emo k rati s c h e Verei ne d e r Geh ö rl o s en InderGemeinschaftderGehörlosenwarenVereinealsTreffpunktzuallen Zeitensehrbeliebt,wasaucheinerEntwicklunginderdeutschenGesell schaftinsgesamtentsprach.Indenersten20Jahrendes20.Jahrhunderts wurdeninHamburg,HarburgundAltonaüber40GehörlosenVereinege gründet,dieSport,Geselligkeit,Wohltätigkeit,BildungoderdieSparsam keitaufihreFahnengeschriebenhatten. 997DochnichtnurGeselligkeitund gegenseitigeHilfewarenZieleverschiedenerVereine,esgabauchsolche, die sichpolitisch engagierten,wiedieSozialdemokratische Organisation derGehörlosen,diesichdasersteMalam11.Juni1911aufeinergroßen VersammlunginBerlintraf.Eswardieerstepolitischesozialdemokratische VersammlungdieserArt,zuder300gehörloseMännerundFrauenkamen. Es herrschte großer Andrang, so dass nicht alle, die gekommen waren, einenPlatzbekamen.ThemenderzweiVortragendenwarendieReichs 993
Diesehattesich1909mitdemTaubstummenCouriervereint(Schumann,Geschichtedes Taubstummenwesens,S.415f.).
994
JacobDols,Die„Allgemeine“alsLebensnervderTaubstummenanläßlichihres55jährigen Bestehensam1.Januar1926,in:AllgemeineDeutscheTaubstummenZeitschriftNr.1vom 1.1.1926. 995
Ebd.
996
Schumann,GeschichtedesTaubstummenwesens,S.415f.
997
AuflistungderGehörlosenvereine1875–2000durchEugenTellschaft,2002. DerersteGe hörlosenvereinderWeltwurdeübrigensbereits1834durchdengehörlosenGehörlosenlehrer FerdinandBerthierinParisgegründet.
308
Gehörlose in der Gesellschaft
tagswahlen,dieLebensmittelteuerungunddie„MachtdesKapitals“.Als ErgebnisderanschließendenDiskussionwurdebeschlossen,dasseinepoli tische Organisation notwendig sei, und ein sozialdemokratischer Taub stummenwahlvereinwurdegegründet,indenvielederAnwesendensofort eintraten.998
Abbildung 55: Sozialdemokratischer Partei-Bund der Taubstummen Hamburg
Diese politische Betätigung wurde von Hörenden, vor allem Taubstum menlehrern,nichtgerngesehen.AuchdieHamburger„NeueZeitschriftfür Taubstumme“wandtesichscharfgegendieGründungpolitischer Taub stummenvereine,insbesonderesolcher,diederSPDnahestanden:Taub stummemüsstenalsMenschenbetrachtetwerden,die„vomWohlwollen derHörendenabhängen“,undsiewürdensichmiteinempolitischmoti viertenKampffürbessereZustände„derenSympathieverscherzen“.Au ßerdemhätten95ProzentderGehörlosensowiesokeinenBegriffvonPoli tik.Geradedeshalbaber,sodassozialdemokratischeBlatt„Vorwärts“,sei 998 StAHbg,3311PolitischePolizei,S18371,BerlinerTageblattNr.293vom12.6.1911undVor wärtsNr.135vom12.6.1911.
Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine
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einpolitischerVereinfürGehörlosesowichtig.999AuchinHamburgexis tierte eine „SPDSektion für Taubstumme“ (auch: TaubstummenPartei Bund),indersichunteranderemdiegehörlosenRichardWolfgangBar tosch(18831953)undCarlKarnap(geb.1881),wieimnächstenKapitelzu sehenseinwird,engagierten.1000 7. 1. 4 Fo rd er ungen der Gehö rlo s en-Vereine bi s in d ie 192 0er Ja hre DieGruppedererwachsenenTaubstummenmiteinergutenAusbildung hatteschonvordemErstenWeltkriegeineansehnlicheGrößeerreicht.Vie legehörloseHamburgerwaren,densozialenGewohnheitenihrerZeitfol gend,inVereinenorganisiert.1001 EngagierteHamburgerGehörlosebrach tenauchdenVIII.DeutschenTaubstummenkongress,deralledreiJahrein verschiedenenStädtenstattfand,vom19.bis23.August1911nachHam burg.1002 Mehrere Komitees bildeten sich, die den Kongress vorbereite ten.1003AlsProgrammpunktewurden–nebenderKranzlegungamHeini ckeDenkmalanderJohannisKircheinEppendorf,anderSamuelHeinicke gewirkt hatte, und sonntäglichen Gottesdiensten – auch Ausflüge nach BlankeneseundHelgolandangeboten.1004
999
Ebd.,VorwärtsNr.160vom12.7.1911.
1000
NochheuteisteineGruppepolitischinteressiertergehörloserHamburgerinderSPDim BezirkAltonapolitischengagiert.
1001
ÜberHamburgerVereinesieheHerbertFreudenthal,VereineinHamburg.EinBeitragzur Geschichte und Volkskunde der Geselligkeit (Volkskundliche Studien Band IV), Hamburg 1968.ZumBegriffdesVereinssieheWolfgangHardtwig,Verein,in:OttoBrunneru.a.(Hg.), GeschichtlicheGrundbegriffe,HistorischesLexikonzurpolitischsozialenSpracheinDeutsch land,7Bände,Stuttgart1972–1992,Band6,Stuttgart1990,S.789–829.ZurGeschichteHam burgerGehörlosenvereinesiehev.a.Hannen,Gehörlosenbewegung.
1002
ÜberdenVIII.DeutschenTaubstummenKongresssieheStAHbg,3313PolitischePolizei, Sa287und3612VOSBV,121b.
1003 ImHauptkomitee(undspäterenständigenArbeitsausschuss)saßenderBuchbinderAlfred Gehrken(Vorsitz)undGustavC.J.Metelmann(Schriftführer),diezuderZeitdieHamburger Gehörlosenanführten.AlshörenderVertreterwarDirektorSöder vonderTaubstummenan staltdabei(StAHbg,3612VOSBV,121b). 1004 StAHbg,3313PolitischePolizei,Sa287,NeueZeitschriftfürTaubstummeNr.15vom 1.8.1911undNr.17vom1.9.1911.
310
Gehörlose in der Gesellschaft
Abbildung 56: Biedermeier-Aufführung auf dem Festabend des VIII. Taubstummen-Kongresses in Hamburg, 1911
HauptsächlichsolltederKongressGehörlosendieGelegenheitgeben,„in gemeinsamerArbeitüberdieWohlfahrtunddieInteressenderdeutschen Taubstummenzuberaten“,wobeiauchTaubstummenlehrerundseelsor germitwirkensollten,um„dieöffentlicheMeinungzugunstenderTaub stummen“positivzubeeinflussen.1005DabeimusstensichGehörloseselbst indiesemKreisgegenUnterstellungenwehren,sieseiennur„halbeMen schen“undihrerEinbildungskraftkönnekein„erfinderischesTalent“zu gesprochenwerden.1006 DergehörloseMalerundRadiererBernhardTho mas(geb.1879)hattezumKongresseineKunstausstellungmitWerkenge
1005 1006
Ebd.,NeueZeitschriftfürTaubstummeNr.6vom15.3.1912.
DieseAussagenstammtenauseinerdamalsaktuellenVeröffentlichungdesTriererTaub stummendirektorsJakobHuschens:DiesozialeBedeutungderTaubstummenbildung.EinBei tragzur richtigenBewertung des der menschlichen Gesellschaftwiedergegebenen sprechen denTauben.ZurAufklärungundBeherzigungfürallegebildetenStände,insbesonderefürdie hohen Behörden, die Herren Geistlichen, Juristen, Ärzte, die Lehrer des höheren Lehramtes unddieVolksschullehrerinnenundlehrer,Trier1911.
Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine
311
hörloser Künstler organisiert. Der Besuch dieserAusstellung sollte auch dazudienen,solcheVorurteilezuwiderlegen.1007 EinausgewählteraberdennochgroßerKreisvonGehörlosenberietsich währendderKongresstageüberdieOrganisationderWohlfahrtundder eigenenInteressen,umeinerVerschlechterungzumBeispieldergesetzli chenLagevorzubeugen.DerKongressstandunterdemMotto,dieFörde rungderrechtlichen,sozialenundgeistigenInteressenderGehörlosenzu bewirken.1008 Soreistendann etwa700Teilnehmendeaus ganz Deutsch land,aberauchDelegationenausÖsterreich,Frankreich,Norwegenund derSchweiznachHamburg,mehralsaufallenfrüherenKongressen.Es wurdenVorträge–fürHörendeinLautspracheübersetzt–überdenSinn undBedarfvon Taubstummenheimengehaltenundregedarüberdisku tiert,wieeindauerndesKongresskomiteegebildetwerdenkönne.Weiter hin wurden mehrere Anträge erörtert: So wurde beschlossen, die Re gierungenderdeutschenStaatenzubitten,dieFürsorge,insbesonderedie Schulpflicht für Taubstummblinde gesetzlich zu regeln. Darüber hinaus sollten Gehörlose an staatlichen Werkstätten und in staatlichen Ämtern stärkeramöffentlichenLebenbeteiligtwerden–StaatundStadtsollten zum Vorbild für die Handwerksbetriebe und Fabriken werden und der FortbildungsschulzwangaufGehörlosebeiderleiGeschlechtesausgedehnt werden.1009 DieThemenwurdendemneugewähltenständigenKongress ausschuss,einemständigenArbeitsausschuss,zurweiterenBeratungüber geben.DieserhatteunteranderemdieAufgabe,diegetroffenenBeschlüsse überdenKongresshinausöffentlichzumachenundletztlichfürihreAus führungenzusorgen.1010
1007
StAHbg,3612VOSBV,121b,Bl.8:NotizLangbein20.7.1911.
1008
StAHbg,3313PolitischePolizei,Sa287,HamburgischerCorrespondentNr.408,Abend ausgabevom12.8.1911.
1009 1010
Ebd.,GeneralAnzeigerNr.199vom25.8.1911.
DieserAusschussbestandaus14gehörlosenMitgliedern,darunterauchwiederdenHam burgernGustavC.J.Metelmann,Herausgeberder„NeuenZeitschriftfürTaubstumme“,und Alfred Gehrken, Vorsitzender des Allgemeinen Taubstummen(unterstützungs)vereins (ebd., HamburgerFremdenblattNr.255vom29.10.1911).
312
Gehörlose in der Gesellschaft
Abbildung 57: Gehörlosenkongress, 1911
Im Dezember 1919 gründete sich in Hamburg unter Vorsitz Richard W. Bartoschs der zwölfköpfige „Wohlfahrtsausschuß für Taubstumme“, der erstmalsalsVertretungallerHamburgerGehörloseninderÖffentlichkeit auftratundalsZielenannte,den„Hörendenzuzeigen,dassTaubstumme ihnenebenbürtigsind“,Vorurteileabzubauen,dieBevormundungdurch TaubstummenanstaltsdirektorenundlehrerzubeseitigenundalleAngele genheitenderGehörlosenselbstzuregeln,daderGehörlose„selber[...]am besten weiß, was seiner Psyche und seiner geistigsprachlichen Veranla gungangepasstundförderlichist“.1011IneinerspäterenResolution,inder erneutbetontwurde,dassderAusschussdie„Interessenvertretungsämtli 1011 StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QdNr.433Vol.1,RichardW.BartoschanSenat11.4.1920. ChristianHannenvertrittdieMeinung,dassdievorSeptember1919gebildetezwölfköpfige KommissionderSPDSektionfürTaubstumme,derenMitgliedBartoschebenfallswar,derdirek teVorgängerdesWohlfahrtsausschussesist(Hannen,Gehörlosenbewegung,S.19–23).
Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine
313
cherTaubstummenGroßhamburgs“sei,wurdenMissständeangeklagtund Freiheitengefordert.DerSenatantwortete,dasswenndasWohlfahrtsamt seineTätigkeitaufnehme,derAusschusszudessenArbeitenhinzugezogen werdenwürde.1012
Abbildung 58: Richard Wolfgang Bartosch, 1952
AuchdieHamburger„SPDSektionfürTaubstumme“stellteForderungen anSenatundBürgerschaft,1013beispielsweise1924denBeschlusseinerPro testversammlungderGehörlosenHamburgs:1014IneinerResolutionwurde der Senat aufgefordert, in den Elternrat der Hamburger Taubstummen schuledreistattzweigehörloseVertreterzusenden,undeswurdebeklagt, 1012
StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QdNr.433Vol.1,PräsidentdesWohlfahrtsamtes,Oskar Martini,anWohlfahrtsausschuss13.9.1920.
1013 1014
StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QdNr.9Vol.5Fasc.12.
Ebd., Bl. 9: Resolution des Allgemeinen TaubstummenUnterstützungsvereins und der SPDSektion der Taubstummen an Senat o. D. [1924]. Die Protestversammlung fand am 6.7.1924statt.
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Gehörlose in der Gesellschaft
dassesinzweiJahrennurdreiSitzungendiesesElternratsgegebenhabe unddieGehörlosennichtdasRechthätten,selbstSitzungeneinzuberufen. Auch forderten die Gehörlosen die Vereidigung eines Gebärdensprach Dolmetschers,„dersichmitallenTaubstummenrichtiggehendverständi genkann“.1015 DerSenatließsichvonderOberschulbehördeberatenund vertratdanndieMeinung,dasseskeinendrittenGehörlosenimElternrat gebensolleundsichdieAntragstellerzurEinberufungeinesneuenanden VorsitzendendesaltenElternrateswendensollten.1016 Traditionell waren es die Lehrkräfte der Taubstummenanstalt, die als „DolmetscherundSachverständige“vorGerichterschienen.1017 1919hatte die„12.KommissiondesTaubstummenParteiBundes“unterRichardW. Bartosch eineEingabeandieBürgerschaftgerichtet,indersiedieBestel lungeinesGebärdendolmetschersforderte,derdasVertrauenderGehörlo senHamburgsgenieße.1018AufeinerVersammlungderGehörlosensektion derSPDimGewerkschaftshaushatten175MitgliederdiesenAntragunter schrieben.AlsKandidatfürdenPosteneinesGebärdendolmetscherswurde derGenosseCarlKarnap vorgeschlagen,derderGebärdensprache„voll kommenmächtig“sei,mehralsdieTaubstummenlehrer,dieindieserSpra chenichtausgebildetwurden.1019DieGebärdensprachewurdealseinziges richtigesundangemessenesVerständigungsmittelGehörloserbezeichnet, dadieLautsprachkenntnissestetsunvollkommenseinwürden.Ihrenehe maligenLehrernstandendieVereinsmitgliederkritischgegenüber,„denn dieLehrerundDirektorenhabendasVertrauenunddenZusammenhang 1015
Ebd.
1016
Ebd.,Bl.11:Senatan1.VorsitzendendesTaubstummenUnterstützungsvereinsBorisTo mei17.4.1925. 1017 StAHbg,3612VOSBV,433c,DirektorSöderanSchulratDr.Kerstenam20.10.1888und Taubstummenanstalt an Vorstand der Verwaltung des Justizwesens Dr. Gustav Ferdinand Hertzam28.8.1894. 1018 StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QdNo.468bVol.1,Bl.3:Eingabevom6.9.1919,unter schriebenvonRichardW.Bartoschund174Gehörlosen. 1019
Karnapwarauch1949noch,diesmalimAufragdesReichsbundesderKörperbeschädig ten,SozialrentnerundHinterbliebenen,FachgruppeGehörlose,alsDolmetscherundFürsor gerfürGehörlosetätig,daden„TaubstummenLehrer[n]diedenGehörloseneigeneGebär densprachenichtgeläufig[ist]und[sie]dieselbenichtbeherrschen“.Damitübernahmer erneuteineAufgabe,dieervor1933inderpolitischenGehörlosenbewegungderSPDinnege habthatte(StAHbg,35110IISozialbehördeII,012.7340Band1,RichardW.Bartosch,Fach gruppenleiterGehörloseimReichsbundderKörperbeschädigten,SozialrentnerundHinter bliebenenanSozialbehörde,AmtfürArbeitsfürsorgeam4.2.1949).
Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine
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mitdenTaubstummenseitJahrzehntenverloren“.Gehörlosebefürchteten, dassvorGericht„wohlseineGebärde,abernichtauchseinSinnderGebär de [durch den Lehrer] verstanden wird“.1020 Ein Ausschuss, als dessen KommissarDirektorDanckerteingesetztwurde,kamzudemSchluss,dass einsolcherPostennichtnötigsei,da,fallsnötig,dieTaubstummenschule einenDolmetschervorGerichtstellte,derzusätzlichzudenÜbersetzungen „ein sachverständiges Urteil über die Taubstummen“ abgeben könne.1021 Über die geeigneten Personen für eine Dolmetschertätigkeit war immer wiedergestrittenworden.Schon1904wolltenAltonaerGehörlosevorGe richtlieberdurchgebärdensprachmächtigeHörendegehörloserElternvom Geschehen unterrichtet werden als von den Hamburger Taubstummen lehrern,dienebenihrerDolmetschertätigkeitschließlichauch„alsSachver ständige“gehörtwurden.DochkönntendieLehrer„dieseBestrebungen wederimInteressederRechtslage,noch imInteressederTaubstummen selbstunterstützen“.1022 7. 1. 5 Der D a chve r b a nd R eg ed e un d d i e nat i ona ls oz ia li s t is c he Zeit ImJanuar1927trafensichVertretervon24GehörlosenvereineninWeimar, umdorteinengemeinsamenDachverband,den„ReichsverbandderGehör losenDeutschlands“(Regede)zugründen.1023 Vorausgegangenwaren,be gonnenmitdemerstendeutschenTaubstummenkongress1873inBerlin, einige missglückte Versuche, den Zusammenhalt der Gehörlosen durch einenreichsweitenVerbandzustärken.EsgabzuvieleinterneStreitpunkte– unddasobwohldieZieleallerVereinegleichwaren:Zusammenhalt,wirt 1020
StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QdNo.468bVol.1,Bl.3:Eingabevom6.9.1919,unter schriebenvonRichardW.Bartoschund174Gehörlosen.
1021
Ebd.,Bl.4:SenatskommissionfürdieJustizverwaltunganSenat16.10.1920.
1022
StAHbg,3612VOSBV,433c,Bl.44:ZeitungsausschnittausdemDeutschenTaubstum menKorrespondentenvom15.1.1904undBerichtdesDirektorsderTaubstummenanstalt,Sö der,betreffendDolmetschertätigkeitanOSB3.2.1904. 1023
DokumentezurGeschichtedesRegedefindensichinderJubiläumsschriftdes1950zum RechtsnachfolgerdesREGEDEerklärtenDeutschenGehörlosenBundes:DeutscherGehörlo senBund,75JahreDGB.Jubiläumsschriftanlässlichdes75jährigenBestehensdesDeutschen GehörlosenBundes,Kiel2002.DieseArbeitsgemeinschaftistdieVorläuferindesheutigenGe hörlosenverbandsHamburg.
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Gehörlose in der Gesellschaft
schaftlicheHilfestellung,Bildungsförderung,ÖffentlichkeitsarbeitundBe ratungüberdieZukunft.DafürstandauchderRegede.DieZeichenderZeit, vorallemdieallgemeineArbeitslosigkeitsowiedieöffentlicheDiskussion umdie„LexZwickau“betrafenauchundimBesonderendieGehörlosen. 1932gabesauchinHamburgmitder1930gegründeten„Arbeitsgemein schaft Großhamburgischer Taubstummenvereine“ einen Dachverband, in denVertreterverschiedenerGehörlosenvereinegesendetwurden:Ausdem AllgemeinenTaubstummenUnterstützungsverein,denTaubstummenver einenausAltonaundHarburgundausverschiedenenGehörlosenSport vereinen.BereitsindiesemJahrverlorderjüdischeVorsitzendedesgrößten Hamburger Vereins, des Allgemeinen TaubstummenUnterstützungsver eins,derBuchbinderMaxEmilRosenstein (1872–1956),dieWahlumden VorsitzaneinNSDAPMitglied,denSchneiderCarlDolberg.1024
Abbildung 59: Gleichschaltungsveranstaltung des Altonaer Gehörlosenvereins
Im„DrittenReich“büßtendieVereineihreSelbstständigkeitein.Diedeut schen Gehörlosenvereine wurden im „Nationalsozialistischen Reichsver 1024
Zaurov,GehörloseJuden,S.85.Hannen,Gehörlosenbewegung,S.87f.
Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine
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bandderGehörlosenDeutschlands(Regede)“zusammengefasstundsomit MitgliedderNSVolkswohlfahrt.DieHamburgerVereinewurdenzusam mengeschlossenimNSReichsverbandderGehörlosenDeutschlandse.V., Sitz Berlin, Gau Nord, Kreis ElbeTrave, Ortsgruppe Hamburg (ab 1935 GaubundIX).1025InderNSVolkswohlfahrtwarnundiegesamteTaubstum menfürsorgevereint,sowohlderRegede,alsauchdieverschiedenenFür sorgevereineundderReichsverbandderGehörlosenwohlfahrt.Damitwur denaberauchalleMitgliederdesReichsverbandsderGehörlosendurch dieGleichschaltungundAufnahmeindieNSVolkswohlfahrtOstern1933 zuMitgliedernderNSDAP.1026 JüdischeVereinsmitgliederwurdendurch dennationalsozialistischenRegedeausgeschlossen,1935verbotderRegede seinenMitgliedernstriktdenUmgangmitJuden.1027
Abbildung 60: Fritz Albreghs
1025
Tellschaft,Festschrift,S.34f.
1026
Biesold,KlagendeHände,S.91f.
1027
Zaurov,GehörloseJuden,S.76f.
318
Gehörlose in der Gesellschaft
DerRegedewurdeunterihremReichsbundesleiter,FritzAlbreghs (1892– 1945),undanderenmaßgeblichenMännernwiedemVerbandsführerdes TaubstummenVerbandes für Leibesübungen, Heinrich Siepmann (1901– 1974),derdenTurnvereinalseinen„ErsatzfürdasbrauneEhrenkleidder SA“sah,1028zueinemtreuderneuenReichsführungergebenennationalso zialistischenVerein. Fritz Albreghs war bereits 1927 auf der Gründungsversammlung des RegedezumVorsitzendengewähltworden,musstediesenPostenundsei ne Stellung als Mitherausgeber der GehörlosenZeitung aber bereits ein Jahr später auf Grund seiner nationalsozialistischen Aktivitäten aufge ben.10291933wurdederpolitischnunpassendeAlbreghswiederzurückge holt.DieFunktionäreerschieneninUniform,unddenBriefkopfzierteein mitStrahlenversehenesundsomitderSonnegleichgestelltesHakenkreuz. DieMitgliederzahlsteigertesichgeradezurasantvon3.900zuOstern1933 auf11.588am1.Januar1937.1030 DiesgeschahmitvielerleiMitteln,viele VereinewurdeneinfachvomgroßenRegedeübernommen,dieMitglieder werbungunterdengehörlosenJugendlichenwurdezumTeilmitfaster presserischenMethodenversucht.VielekamenauchausAngstvordem „GesetzzurVerhütungerbkrankenNachwuchses“indenVerband,inder– trügerischen – Hoffnung, dort vor solcherlei Verfolgungen geschützt zu sein.1031DochimGegenteilunterstütztendiehohenFunktionäredesRege de die NSRassenideologie.1032 Sie arbeiteten eng mit dem NSLB zusam 1028
Biesold,KlagendeHände,S.93.SiepmanngabdievereinigtenMitteilungsblätterdesRege de„DerdeutscheGehörlose“heraus(Zaurov,GehörloseJuden,S.77).DerimAltervon7Jah renertaubteDruckereibesitzerSiepmannwarab1950stellvertretender,undvon1952bis1953 VorsitzenderdeswiedergegründetenDeutschenGehörlosenBundes,1951VizeVorsitzender desWeltverbandesderGehörlosen(DeutscherGehörlosenBund,75JahreDGB.Jubiläumsschrift anlässlichdes75jährigenBestehensdesDeutschenGehörlosenBundes,Kiel2002,S.18f.).Nach ihmistheuteeineEhrenplakettedesGehörlosensportsbenannt,ohnedassSiepmannsRolle imNationalsozialismusrezipiertwurde. 1029 ZuAlbreghssieheAbstractzumVortragvonJochenMuhsaufder3.TagungzurDeafHis toryimOktober1997inTrondheim,Norwegen(http://dhi.gallaudet.edu/absten.html,abgeru fenam24.4.2003);JochenMuhs,DeafPeopleasEyewitnessesofNationalSocialism,in:Ryan, DonnaF./Schuchman,JohnS.,DeafPeopleinHitler´sEurope,Washington2002,S.78–97;Ge sprächmitJochenMuhsinder1113.SendungSehenstattHörenam24.11.2002(nachzulesen unterhttp://www.taubenschlag.de/SSH/1113.htm,abgerufenam24.4.2003). 1030
Biesold,KlagendeHände,S.95.
1031
Ebd.,S.94f.
1032
Ebd.,S.95ff.
Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine
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men,derenReichsfachschaftsleiterPaulRuckauundReichsfachgruppenlei ter Hermann Maeße von Albreghs als „die treuesten Kameraden und Freunde[...],dieauchheutenachwievorzudenstarkenSäulenderOrga nisationgehören“,bezeichnetwurden.1033Bis1942leiteteAlbreghsdenRe gede. Seine Nachfolge übernahm ein Österreicher. 1943 wurde der Ein heitsverband„DeutscheGehörundSprachgeschädigtenwohlfahrt(DGS) e.V.“gegründet,indenderRegedeeingegliedertwurde.FürdieGehörlo senwarnunmitDr.OttoSchmähleinhörenderGehörlosenlehrerzustän dig,derdenRegedeabwickelnsollte.DazukamesabererstmitdemZu sammenbruchdes„DrittenReiches“.
Abbildung 61: Versammlung des Taubstummen-Sportvereins, 1933
1033
Albreghs,VonWeimarbisBreslau,in:Festschrift2.DeutscherGehörlosentag,Breslau1937 (nach:Biesold,KlagendeHände,S.100).
320
Gehörlose in der Gesellschaft
InHamburggabesam25.November1933eineVollversammlungverschie dener GehörlosenVereine, um über die Gleichschaltung zu diskutieren. Die Argumente der Befürworter waren die bessere Integration in die „volksgenössischeSchicksalsgemeinschaft“sowiedieHoffnungaufmehr GeldundmehrGewichtinderÖffentlichkeit.1034Am29.Oktober1933kam derReichsbundesleiterFritzAlbreghs persönlich,umanlässlicheineröf fentlichenVersammlungderGehörlosenmiteinemReferatdienationalso zialistische Ideologie zu erläutern.1035 Auch in Hamburg wurde mit der GleichschaltungdieSatzungdahingehendgeändert,dassjüdischeGehör losenichtmehrMitgliedderGehörlosenvereineseinkonnten.1036Hierverlor derneueeinheitlicheGehörlosenverbandallerdingsstarkanMitgliedern. 1934traten–beizweiEintritten–bisAnfangOktober40Vereinsmitglieder aus,zusätzlichwaren80MitgliederderneuenOrtsgruppeausschlussreif, dasieihreBeiträgenichtmehrzahlten.1037 BisEndeOktoberwurdesogar aufdenBesprechungender„Amtswalter“desRegede–Vertreternderehe malseigenständigenVereine–vonbiszu150Mitgliederngesprochen,die ausgeschlossenwerdenmüssten–dieswürdeeineReduzierungderGe samtmitgliederzahldesOrtsbundesHamburgAltonaauf200bedeuten.1038 Den Grund für diese Unstimmigkeit sah die Ortsbundleitung in einer großen Wirbel entfachenden Gegengründung für Hamburger Gehörlose. SchulleiterJankowski,derdieFunktioneinesGausachbearbeitersfüralle FragenderGehörlosenbetreuunginderNSVwahrnahm,warempört,von denAmtswalterneinenBerichtüberdiemitgroßemBeifallaufgenomme nenRedeseinesLehrersBehrenszuhören,diedieseraufderVollversamm lungderorganisiertenGehörlosenam14.April1934inBansGesellschafts
1034 ArchivdesAllgemeinenGehörlosenUnterstützungsVereins,HeftermitProtokollender AmtswalterSitzungen der Ortsgruppe Hamburg des Reichsverbands der Gehörlosen Deutschlandse.V.,NiederschriftüberdiekombinierteSitzungderTaubstummenUnterstüt zungsvereineundSportvereineGrossHamburgsam25.11.1933. 1035
Ebd., Niederschrift der öffentlichen Versammlung der Gehörlosen GroßHamburgs am 29.10.1933. 1036
Ebd.,Protokollder14.Sitzungam8.8.1934,Punkt2:„DieSachebetr.jüdischerMitglieder wurdedurchEntscheiddesGaubundesleitersWilhelmFunkegeregelt.“
1037 1038
Ebd.,Protokollder16.Sitzungam4.10.1934,Punkt4.
Ebd.,Protokollder18.Sitzungam25.10.1934,Punkt3.AufdererstenMitgliederversamm lungderOrtsgruppeHamburgdesRegedeam20.1.1934warennoch409Mitgliedergezählt worden(ebd.,BerichtüberdieersteMitgliederversammlungam20.1.1934).
Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine
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hausgehaltenhatte.1039DieNationalsozialistischeVolkswohlfahrthatteauf AnregungvonBehrens eineSektionGehörlosegegründet,einendirekten NSVStützpunkt für Gehörlose, der unter den Hamburger Gehörlosen gleichgroßesInteressegefundenhatte.DieStreitigkeitenendetenmitder Auflösungsverfügung der Gauamtsleitung des NSV für den Stützpunkt Gehörlose im NSV und einer gesonderten Versammlung des NSV Gau HamburgimNovember1935.1040 7. 1. 6 Der Land esverb a nd und seine A rbeit NachdemKriegversuchtensichwiederdiealtenVereinezubilden:Am 13.Juli1947wurdemitErlaubnisderMilitärregierungdieersteVersamm lungderHamburgerGehörlosennachdemKriegabgehalten.Am3.April 1948gründetesichderTaubstummenUnterstützungsvereinerneutundbe kamimVereinsregisterseinealteRegistriernummerwieder. 1041DerVerein wurdeaufGrundderVerordnungzurWiederherstellungaufgelösterVer eineam22.November1948mitseinemVorsitzendenBorisTomei (1887– 1958)wiederindasVereinsregisterHamburgeingetragen.1042 DieZusam menarbeitzwischenSchuleundLehrkräftenaufdereinenunddenVerei 1039
ArchivdesAllgemeinenGehörlosenUnterstützungsVereins,HeftermitProtokollender AmtswalterSitzungen der Ortsgruppe Hamburg des Reichsverbands der Gehörlosen Deutschlandse.V.,ProtokollderSonderSitzungvom17.April1934.ZumGausachbearbeiter: Regede(Hg.),DerGehörloseinderdeutschenVolksgemeinschaftNr.1vom7.1.1942,S.7,Nr. 2vom22.1.1942,S.24,Nr.3vom7.2.1942,S.117,Nr.11vom7.6.1942;BundesarchivBerlin,NS 371016,NSDAPHauptamtfürVolkswohlfahrtandieGauleiterundLeiterderVolkswohlfahr tämteram14.1.1941.Abdem1.1.1941gabesdieGausachbearbeiter,diebeidenGauamtslei tungenderNSDAPangeschlossenwaren.JankowskiwarsowohlvomReichsverbandfürGe hörlosenwohlfahrt als auch von der GehörlosenHJ vorgeschlagen worden. Der Reichsver bandfürGehörlosenwohlfahrt,den Jankowski inHamburgvertrat,hattedieAufgabe„im AuftragvonParteiundStaat“dieGehörgeschädigtenvorallemideellimnationalsozialisti schenSinnzubetreuen. 1040
ArchivdesAllgemeinenGehörlosenUnterstützungsVereins,HeftermitProtokollender AmtswalterSitzungen der Ortsgruppe Hamburg des Reichsverbands der Gehörlosen Deutschlandse.V.,Protokollder5.Sitzungam17.Juni1935,Punkt1a),Protokollder7.Sit zungam7.11.1935,Punkt1a).
1041
Tellschaft,Festschrift,S.44;ArchivdesAllgemeinenGehörlosenUnterstützungsVereins, Mappe „Allgemeines, Gesamtverein“, Protokoll der Versammlung zur Wiederbegründung desVereinsam13.7.1947.
1042
StAHbg,23110AmtsgerichtHamburgVereinsregister,23,S.271.
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Gehörlose in der Gesellschaft
nenaufderanderenSeitewarindieserZeitnichtmehreng,dadieVereins mitgliedersicheinerseitsbevormundetfühlten,andererseitseine„Einmi schungininnereAngelegenheiten“befürchteten.1043
Abbildung 62: Boris Tomei spricht vor dem Heinicke-Denkmal anlässlich des 60. Stiftungsfestes des Allgemeinen Gehörlosen-Unterstützungs-Vereins, 1951
Im Dezember 1947 schlossen sich die Hamburger Gehörlosenvereine zwecksWahrnehmungihrerInteressenvorallemgegenüberdenBehörden zur „Arbeitsgemeinschaft der GehörlosenVereine GroßHamburgs“ zu sammen.1044 HierfandengehörloseHamburgerUnterstützung,seiesbei
1043
StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Mappe„SonstigeSchulangele genheiten“(Ablieferungsverzeichnis),FritzSchmidtanDr.Feuchte(Elternrat)20.1.1960.
1044 ZurGeschichtedesGehörlosenverbandes:75JahreGehörlosenverbandHamburge.V.,Ju biläumsFestschrift,Hamburg2005;Hannen,Gehörlosenbildung.
Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine
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derWohnungssuche,Arbeitsvermittlung,DolmetscherhilfeoderBeratung beiFragenjeglicherArt.1045 DieArbeitsgemeinschaftwurde1951in„LandesverbandHamburgim DeutschenGehörlosenBund“undimJuli 1957nachBeseitigungeiniger Unstimmigkeiten in „Verband der GehörlosenVereine GroßHamburgs“ umbenannt.1046
Abbildung 63: Informationsversammlung über die Arbeit des Verbandes in der Handwerkskammer am 26.11.1949
SoerhieltendieeinzelnenVereine–1957wareneszehnMitgliedsvereine– einenDachverband.DieserwarMitgliedimDeutschenGehörlosenBund, dermitseinerGründungimJahr1950dieNachfolgedesfrüherenReichs verbandsderGehörlosen(Regede)antrat.1047IhmwarauchdieGesellschaft
1045
StA Hbg, 35110 II Sozialbehörde II, 012.7340 Band 1, Hamburger Echo Nr. 177 vom 28.11.1949undHamburgerAbendblattNr.178vom28.11.1949.
1046
StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Mappe„SonstigeSchulangele genheiten“(Ablieferungsverzeichnis),BrunoKühne(VorsitzenderdesVerbandes),Überblick überdieGehörlosenBewegunginHamburg,o.D.[1957].
324
Gehörlose in der Gesellschaft
zurFörderungderHörundSprachgeschädigtenangeschlossen.1048DieBe liebtheitdesVereinswesensbeigehörlosenHamburgerinnenundHambur gern,dieaufdieseWeiseihreGemeinschaft,ihreKulturundnichtzuletzt ihreArtzukommunizierenpflegenkonnten,zeigtesichandergroßenAn zahlderGehörlosenvereine,diedurchalleJahrzehnterechthochwar.Im LandesverbandderGehörloseninGroßHamburgwaren1957zumBeispiel folgendeVereinemitinsgesamtetwa700Mitgliedernvertreten:DerHam burgerGehörlosenSportvereinvon1904,deralsTaubstummenTurnverein gegründetwordenwar1049und1933mitdemTaubstummenSchwimmver ein von 1922 zum Hamburger GehörlosenSportverein zusammengelegt wurde(derheuteübrigensmitüber400MitgliederneinerdergrößtenGe hörlosensportvereineDeutschlandsist),1050derHeimatvereindervertriebe nenGehörloseninGroßHamburgvon1949,derHamburgerGehörlosen Theatervereinvon1918,derHamburgerGehörlosenMotorclubvon1956, derGehörlosenSparclub„FleißigeBiene“,derAllgemeineGehörlosenUn terstützungsvereinvon1891,derGehörlosenFürsorgevereinHarburgund Wilhelmsburg,gegründet1907,derGehörlosenGeselligkeitsvereinunddie neueGehörlosenSchauspielbühnevon1957.SpäterkamendasHamburger GehörlosenFilmstudiovon1970unddieJugendgemeinschaftderGehörlo senJugendHamburgsdazu.1051 ErstmitdemGenerationswechselinden 1970erund1980erJahrenlöstensichtraditionelleVereinewiederHarbur gerFürsorgevereinoderderSparclub„FleißigeBiene“aufundmachten Platz für spezialisierte Vereine und Gruppen wie Senioren, Studenten 1047
Resolution des Deutschen GehörlosenBundes am 25.8.1950, in: Deutscher Gehörlosen Bund,75JahreDGB.Jubiläumsschriftanlässlichdes75jährigenBestehensdesDeutschenGe hörlosenBundes,Kiel2002,S.35. 1048
DerzweitegroßeNachfolgeVerbandwardie1958gegründete„GesellschaftzurFörde rungderGehörloseninGroßHamburg“(sieheKapitel8). 1049
Bis1939nahmderTaubstummenTurnvereinanallendeutschenTurnfestenteil.Dererste GehörlosenSportvereinentstand1888inBerlin.1921entstandhieraucheineFußballAbtei lung(Turnen–Spiel–Sport,12.Jg.1921,S.113). 1050
EndedersiebzigerJahreumfasstederVereinbereits18SportartenvonWandernbisWas serball.ErwarderersteGehörlosenVerein,dessenMitgliederzahldie300überschritt(Infor mation der Gesellschaft zur Förderung der Gehörlosen in GroßHamburg e. V., Hamburg 1976,S.11). 1051
StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Mappe„SonstigeSchulangele genheiten“ (Ablieferungsverzeichnis), Bruno Kühne, Überblick über die GehörlosenBewe gunginHamburg,o.D.(1957).
Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine
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undElterntreffpunkte,das„VisuelleTheater“oderdenVerein„RosaGe bärden“fürschwuleGehörlose. Der „Gehörlosenverband Hamburg e. V.“, wie der Verband seit 1998 heißt,siehtsichauchheutealsVertreterdersozialpolitischen,kulturellen undberuflichenInteressenderrund2000GehörloseninHamburg. Erist InformationsundKoordinationsstellezwischenHörendenundGehörlo sen,indemerzumBeispielGebärdensprachDolmetschervermitteltoder Fortbildungskursedurchführt,aberauchAnsprechpartnerdesSenatsund derBehördeningrundsätzlichdieGehörlosenbetreffendenAngelegenhei tenist.SeineBeratungsundGeschäftsstellebefindetsichimKulturzen trumfürGehörloseinderBernadottestraßeinHamburgOthmarschen1052.
Abbildung 64: Eugen Tellschaft
Der Landesverband als Vertretung der Gehörlosen musste oft für seine Rechtekämpfen–auchgegendieBevormundungdurchHörende,diesich für Gehörlose einsetzten. Selbst erwachsene Gehörlose fühlen sich – bis heute–vonihrenhörendenehemaligenLehrkräftenodervondenhören 1052
FlugblattdesLandesverbandszumWeihnachtsbasar1994undAussagenaufderWebseite http://www.gehoerlosenverbandhamburg.de,abgerufenam23.9.2005.HieristauchderSitz desDeutschenGehörlosenBundes.SieheauchimfolgendenKapitel8.
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Gehörlose in der Gesellschaft
denElternund„Förderern“nichternstgenommenundinihrenMeinun genübergangen.EinBriefdesLandesverbandsprechers,EugenTellschaft (1929–2005),1053 an den Vorsitzenden der Gesellschaft zur Förderung der Gehörlosen,Dr.HerbertFeuchte,vorgelesen aufderenVorstandssitzung am29.Januar1981,machtedieseDiskrepanzunddieGefühlederGehörlo sendeutlich:Tellschaft,derseitderGründungderGesellschaft1962Mit gliedwar,hattezuAnfangnochaufeineZusammenarbeitgehofft,wäh renderimLaufederZeitsichmehrundmehrzurückgedrängtfühlte.So hatteererwartet,dassdasClubheimselbstständigdurchGehörlosever waltetwerdenwürde,aberimEndeffekthattendieBetroffenennichtviel zusagenundselbstdieimClubheimvorhandeneKneipewurdevonHö rendengeleitet.AuchschilderteerdieUnruheunterdenGehörlosen,daes anderZusammenarbeitvonGesellschaftundLandesverbandofthaperte. Erbeschwertesichdarüber,dassGehörlosenkeinGlaubengeschenktwür de,ihreWünsche,wieSpendenzunutzenseien–zumBeispielAnschaf fungeinerDruckmaschinefürInformationenundFlugblätter–übergangen werdenwürden.SosaherGehörloseals„Zaungäste“,dawoesumdieei genenBelangegingundforderteeineselbstständigeVerwaltungdesLan desverbandesunddesClubheims(desKulturundFreizeitzentrums)und einMitspracherechtbeiderSpendenverteilung.1054 ErstimJahr1988wur dendemLandesverbandmehrRechteübertragen.1055
1053
EugenTellschaft,1929inKönigsberg/Ostpreußengeboren,hattegehörloseEltern,sodass dasGebärdenvonAnfanganzuseinemLebengehörte.Als„erbkrank“gebrandmarkt,wurde seinVaterbereits1934sterilisiert.DennochwolltenundkonntendiedreiSöhneindieHitler jugendeintreten.1945flohdieFamilieindenWesten,zuerstnachSwinemünde,dannüber RostockundLudwigslustbisHamburg.AlseinzigerGehörloserunterHörendenabsolvierte ereineAusbildungalsTechnischerZeichner.TellschaftengagiertesichinderJugendarbeit undinderSportabteilungdesGehörlosenvereins.Von1975bis1987warerersterVorsitzen derdesLandesverbandsderGehörlosen,von1987bis2002ersterVorsitzenderdesAllgemei nenGehörlosenUnterstützungsvereinszuHamburgvon1891e.V.(InterviewmitEugenTell schaft,ausgestrahltam9.2.2003inder1121.Sendungvon„SehenstattHören“, http://ww w.taubenschlag.de/SSH/1121.htm,abgerufenam24.4.2003);„Undalsichendlichankam,wa renmeineElternnichtmehrda“,InterviewmitEugenTellschaft,in:DasZeichen.Zeitschrift zumThemaGebärdenspracheundKommunikationGehörloser62[2002],S.500–508). 1054
StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Ordner51,GesellschaftzurFör derung derGehörlosen(Ablieferungsverzeichnis), EugenTellschaft anDr.Feuchte,Anlage zurVorstandssitzungderGesellschaft29.1.1981.
1055 AuchhierzusiehedasfolgendeKapitelüberdieGesellschaftzurFörderungderGehörlo seninGroßHamburge.V.unddasKulturundFreizeitzentrumfürHamburgerGehörlose.
Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine
327
7. 1. 7 Das Ta ub s t u m m e na l t e nhei m Einer der Gründe für den Zusammenschluss der beiden Anfang des 20.Jahrhunderts bestehenden TaubstummenVereine zum „Allgemeinen TaubstummenVereinzuHamburgvon1891“imJahr1906warderschon beidenVereinsgründungeninden1890erJahrengeäußerteWunschnach Errichtung eines Seniorenheims für ältere, erwerbsunfähige gehörlose HamburgerinnenundHamburger.1056UnterdemNamendesneuenVereins wurdenSammlungenzuwohltätigenZweckeninderBevölkerungdurch geführt sowie Theatervorstellungen und andere Veranstaltungen „zum BestenderTaubstummen“organisiert.DirektorSöder vonderTaubstum menanstaltäußertesichjedochkritischüberdieSammeltätigkeitdesVer eins,weil„dieEinwohnerschaftdadurchtatsächlichbelästigtwurde,zumal diehies[ige]Taubst[ummen]AnstaltgleicheZweckeverfolgt“.1057 ImJah resberichtderTaubstummenanstaltwirddannGeldmangelalsGrundfür diefehlendeUnterstützungdiesesProjektesgenannt.1058SöderhieltdieEr richtungeinesAltenheimsfürGehörlosezwarfürwünschenswert,wollte jedochdieTaubstummenanstaltbeteiligtsehen.ErhieltdenTaubstummen vereinfür„gänzlichungeeignet“,einsolchesUnternehmenvonsichauszu finanzierenundzuverwalten,dadieMitgliederdesVereins,unddasver deutlichtdieSichtdeshörendenLehrersaufGehörlose,„größtenteilsaus unselbständigenvielfachhiernurvorübergehendanwesendenjungenLeu ten“ bestehen würde.1059 Tatsächlich gab es Probleme bei der Verwirkli chungdesgrößtenVereinswunsches,alsderKassenverwalterdasmühsam gesammelteGeldunterschlug.DerVorschlagDirektorSödersaufgemein sameGründungeines„FürsorgevereinsfürältereTaubstumme“durchden Vereinzusammenmit„angesehenenMitbürgernundMitgliedernunseres Vorstands“ stieß auf keine Resonanz.1060 Der Allgemeine Taubstummen 1056
Sostehtz.B.in§2bderSatzungendesTaubstummenBundeszuHamburgausdemJahr 1899alsZweckdesVereinsdieAnsammlungeinesFondszurErrichtungeines„Heimsfüral tersschwache,erwerbsunfähigeTaubstumme“(StAHbg,3313PolitischePolizei,Sa287).
1057
StAHbg,3518Stiftungsaufsicht,B893,Bl.III2:SöderanSyndikusDr.Buehl12.10.1909 am12.10.1909.
1058
BerichtderTaubstummenAnstalt1908/09,S.7.
1059
StAHbg,3518Stiftungsaufsicht,B893,Bl.III2:SöderanSyndikusDr.Buehl12.10.1909 am12.10.1909.
1060
Ebd.
328
Gehörlose in der Gesellschaft
VereinbeschlossdiealleinigeAufstellungeines„Heimfondskomitees“auf seinerGeneralversammlungam3.Oktober1909zurErrichtungeines„Hei mesfüraltersschwacheundarbeitsunfähigeTaubstumme“.1061InderFolge berichtete dieserAusschussals„AbteilungTaubstummenheim“desVer einsregelmäßigüberseineArbeit.1062 Aber erst ein Vierteljahrhundert später konnte das Altenheim für er werbsunfähigeGehörlosenachjahrzehntelangemSammelnvonSpenden undderfinanziellenwiemoralischenUnterstützungdurchdenVerein(seit 1913 als „Allgemeiner TaubstummenUnterstützungsverein zu Hamburg gegr. 1891 e. V.“)1063 und schließlich auch mit Hilfe der Milden Stiftung Taubstummenanstalt1064 imJahr1934errichtetwerden.DieGründungdes TaubstummenheimesfieljedochfastzusammenmitderGleichschaltung derVereine,sodassdasVereinsvermögen,welcheszurUnterstützungdes Heimszusammengekommenwar,durchdieAuflösungderVereineund das damit verbundene Zusammenfließen der Gelder beinahe nicht zum KaufeinesGrundstücksverwendetwerdenkonnte.Dochgelangnoch1933 durch Initiative des Taubstummenlehrers und späteren Altenheimleiters, WilhelmBehrens,derseit1921MitarbeiterderWohlfahrtsbehördewarund seine Kontakte zur Behörde nutzte,1065 die Umwandlung der Abteilung TaubstummenheimdesAllgemeinenTaubstummenUnterstützungsvereins ineineMildeStiftung.1066 Am25.Juni1934wurdederKaufvertragzwi schenVorbesitzerundMilderStiftungunterzeichnet.Eskonntemitdem BaudesAltenheimesamMellenbergweg19begonnenwerden. 1067AlsVor 1061 Tellschaft,Festschrift,S.12;StAHbg,3313PolitischePolizei,Sa287,SchreibendesAmts gerichtsHamburgandiePolizeibehördeHamburgvom28.10.1909. 1062
StAHbg,3313PolitischePolizei,Sa287,GeneralAnzeigerNr.272vom20.11.1910.
1063
GenanntwerdensolltehierdieunermüdlicheArbeitdesgehörlosenBuchbindersAlfred Gehrken(1869–1967),derdenVereinvon1900bis1920geleitethatteunddanachbiszumBau desHeimesVorsitzenderdesHeimfondsausschusseswar.
1064 StAHbg,3518Stiftungsaufsicht,B893,BilanzenderTaubstummenanstaltvom31.3.1929 und31.3.1933. 1065
StAHbg,22111StaatskommissarfürdieEntnazifizierungundKategorisierung,Ed4097.
1066
StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QaNo.1Vol17bFasc1,Bl.3b:Landesjustizverwaltung anVerein2.12.1933.DeroffizielleAntragaufStiftungseinrichtungwurdeam29.10.1933von AlfredGehrkenundCarlDolbergdesAllgemeinenTaubstummenUnterstützungsvereinsge stellt(ebd.) 1067 Tellschaft,Festschrift,S.39.Satzungvom22.11.1933sieheStAHbg,1111Senat,Cl.VIILit. QaNo.1Vol17bFasc1.
Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine
329
sitzendenderStiftungschlugBehrensdendamaligenVizePräsidentender WohlfahrtsbehördeundspäterenSenatorOskarMartini (1884–1980)vor, ausgerechnet den Mann, der einer der Hauptverantwortlichen für die DurchführungderZwangssterilisationeninHamburgwerdenwürde.Mar tinibehieltseinAmtauchnach1945.1068
Abbildung 65: Altenheim am Mellenbergweg
1975/76begannderUmzugineinneuesGebäude,dadasalteGebäude unansehnlichundaufGrunddessennurnochvonzwölfgehörlosenMen schenbewohntwar.DasamWaldrandimMellenbergweg1921inHam burgVolksdorfgelegeneAltenheimistheuteeinesderwenigenSpezialein richtungenfürgehörloseSeniorinnenundSeniorenundbietet36Plätzefür gehörlosealteMenschen.1069 1068
Hannen,Gehörlosenbildung,S.64.
1069
DrucksacheNr.17/1607derHamburgerBürgerschaftvom5.11.2002
330
Gehörlose in der Gesellschaft
7. 1.8 Stiftung en fü r mehr fa chbehinder te Gehörlose DieMildeStiftungTaubstummenanstaltsuchtenachdemWegfalldesIn ternats und nachdem immer weniger Kinder Pflegefamilien benötigten, nachneuenAufgabenundfanddieseinderFürsorgefüralteundbehin derte Gehörlose. Zusammen mit anderen Gehörlosenstiftungen (Familie MadjeraStiftung,JobstundAnnaWichernStiftung)bildetemannach1945 einenDachverbandundsorgtheutefürdieEinrichtungenfürSchwerstbe hinderteunterandereminHeide/Holsteinoder fürWohngemeinschafts projekteinHamburg.IndererneuertenSatzungderStiftungTaubstum menanstaltvon1976wurdealsZwecknichtnurdieErziehungundFürsorge fürgehörloseKinder,JugendlicheundErwachsene(Gehörlosewurdenin dieserSatzungimmernochals„taubstumm“bezeichnet),sondernauchfür mehrfachbehindertegehörloseundschwerhörigeKinderverankert.„Zu diesemZweckkanndieStiftungHeime,SchulungsundBegegnungsstät tenerrichtenundbetreiben“.1070 DieseSatzungsänderungwarwegender ÜbernahmederTrägerschaftdesHeimesinHeide/Holsteinfürmehrfach behinderteJugendlicheundErwachsenenötiggeworden.DurchInitiative derGehörlosenfürsorgewarderAufgabenkreisderStiftungmitderSat zungsänderung1976dengegebenenVerhältnissenangepasstworden.Da dieTrägerschaftderGehörlosenschuleweggefallenwar,wardieHauptauf gabederStiftungTaubstummenanstaltdieErrichtungvonEinrichtungen fürmehrfachbehindertehörgeschädigteErwachsene. Seit1969gibtesdasnachdemHamburgerPräsidentendesDeutschen Gehörlosenbundes,MitgründerdesKulturzentrums derGehörlosen und erstengehörlosenTrägerdesBundesverdienstkreuzesinHamburg,Bruno Kühne (1906–1968), benannte BrunoKühneHaus in HamburgOthmar schen.DiesesHausbeherbergteineWohngemeinschaftvonmehrfachbe hindertenGehörlosen,dieinEinZimmerWohnungenzwarfürsichallein, aberdochinengerNachbarschaftgemeinsamundmiteinanderleben.Den VorsitzhatderLandesverbandderGehörlosen.
1070
StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,MappeAktenbetreffendStif tung Taubstummenanstalt (Ablieferungsverzeichnis), Protokoll der Sitzung vom 13.4.1976. Hier:§2(2).
Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine
331
Abbildung 66: Bruno Kühne, um 1960
Ein Jahr zuvor – im Frühjahr 1968 – hatte die 1962 gegründete Familie MadjeraStiftunginHeidedasHeimfürhörundsprachbehinderteKinder eröffnet. Dieses Heim ist für Kinder gedacht, die neben ihrer Hör und SprachschädigungnochweitereBehinderungenhaben,seieskörperlicher odergeistigerArt,wiezumBeispielspastischeLähmungoderallgemeine Verhaltensstörungen.Außerdemgibtesseit1976dasSonderheimfürju gendlicheunderwachseneHörundSprachgeschädigte,diedieNachfolge einrichtung der zuvor genannten Stiftung ist. Träger ist die Hamburger Taubstummenanstalt.DiesesHeimisteinVollzeitheimfürmehrfachbehin derteJugendlicheundErwachsene.WeitereWohngruppenundeinSonder heimfürmehrfachbehinderteblindeundtaubblindeMenschensindeben fallsinHeidebeheimatet. Wie kamen diese Hamburger Einrichtungen nach Heide in Holstein? NachdemZweitenWeltkrieglagdieBehindertenfürsorgeimArgen.Erst inden1860erJahreneröffneteHannovereineTaubblindenschule,dieaber schonbaldnichtgenugPlatzfürdieKinderbot,sodasseinigeindasSon derheimfürsprachundhörgeschädigteKindernachHeideinHolsteinka men,aberdortihrerschwerenBehinderungnichtentsprechendgefördert wurden.DieverschiedenenLeistungsstufenderKinderanderSchulega
332
Gehörlose in der Gesellschaft
bendenAnstoßzumBaueineseigenenZentrums.TrägeristdieHambur gerJobstundAnnaWichernStiftung,die1975inTensbütteleinGebäude zumHeimumbauteundmitderZeitimmermehrPlätzefürmehrfach behindertetaubblindeKinderschuf.1979wurdedasSonderheimzurErfül lungderSchulpflichtanerkannt.HeutewohnenindenHäusernderStif tungfast 60mehrfachbehindertetaubblindeKinder,JugendlicheundEr wachsene.1071
Abbildung 67: Heim für taubblinde Kinder in Tensbüttel
1990schlossensichdieStiftungenfürmehrfachbehinderteGehörlosezum „Stiftungsverbund zur Förderung mehrfach behinderter Gehörloser, Schwerhöriger und Taubblinder e. V.“ zusammen. Gründungsmitglieder warennebenderStiftungTaubstummenanstalt,dasHamburgerTaubstum menaltenheim,dieFamilieMadjeraStiftungunddieJobstundAnnaWi chernStiftung.1072
1071
http://www.jobstundannawichernstiftung.de/about.htm,abgerufenam15.9.2007.
1072
http://www.stiftungsverbund.de,abgerufenam15.9.2007.
Gehörlose Künstler
333
7. 2 Ge hörlose Künstler AufderAusstellungvonWerkengehörloserKünstleranlässlichderSamu elHeinickeJubiläumsausstellung 1927 waren auch Werke gehörloser Künstler,diemitHamburgverbundenwurden,zusehen.AufAnregung desVereinsgehörloserbildenderKünstlerDeutschlandskaufteHamburg einigevomDirektorderKunsthalleProf.GustavPauli(1866–1938)ausge suchteWerkedieserKünstlerauf:PlastikenvonWilliKöhler,Hamburg, AquarellevonHansBunge,Mölln,undGemäldevonFranzHartogh,Fi scherhude.DiesewurdenallerdingsinderFolgenichtgesamtöffentlichge zeigt, sondern der Taubstummenanstalt als Dauerleihgabe überreicht.1073 ErinnertseihierandenMalerFranzHartogh,andieBildhauerinElisabeth SeligmannunddievielleichtbekanntestegehörloseHamburgerKünstlerin: RuthSchaumann.AuffälligistbeiallendreierfolgreichenKünstlern,dass sienichtöffentlichzuihrerGehörlosigkeitstanden.SiewareninihrerEr ziehung Oralisten und eine vollständige Integration, ein NichtAuffallen ihrerGehörlosigkeitinderGesellschaftwarüberJahreihrZiel. 7. 2. 1 Rut h Scha uma nn Die geborene Hamburgerin Ruth Schaumann war eine schaffensfrohe Künstlerin.Esgibtvonihr89BüchermiternstenunderbaulichenProsa stückenundGedichten.1074VorallemwarsieaberBildhauerin,diezahlrei chemeistreligiösmotiviertePlastikenschuf.AuchihrgrafischesWerk,ihre Zeichnungen,IllustrationenundScherenschnitte,machtenausRuthSchau manneinebekannteKünstlerinihrerZeit. RuthSchaumann wurdeam24.August1899inHamburgalsTochter des Kavallerieoffiziers Curt Schaumann (1872–1917) und seiner Ehefrau ElisabethSchaumann,geb.Becker (1875–1954),geboren.1075 IhreKindheit 1073
StAHbg,3632SenatskommissionfürdieKunstpflege,F3.
1074
HorstHoffmann,BibliographieRuthSchaumann,Uelzen1999,zählt150Bücherauf,inde nenschriftstellerischeWerkeRuthSchaumannszufindensind.
1075
AngabenzumLebenslaufwennnichtandersangegeben,stammenaus:RolfHetsch,Ruth SchaumannBuch,Berlino.D.(1933);IngeborgKoza,Schaumann,Ruth,in:BiographischBi bliographischesKirchenlexikonBandIX(1995),Sp.16–19;Nachwortin:RuthSchaumann,Der Kugelsack.MiteinemEssayvonTomasVollhaber,Hamburg1999.
334
Gehörlose in der Gesellschaft
verbrachte sie in Hagenau imElsaß, wohin die Elterngezogen waren – häufigerjedochlebtesiebeiihrenGroßeltern,denElternderMutter,inei nemkleinenOrtbeiUelzen.RuthSchaumann hattezweiSchwestern.Ihr Bruderverstarbfrüh.MitsechsJahrenerkranktesieschweranScharlach. SieertaubteinFolgedieserKrankheitam14.Oktober1905.1076EinJahrspä terwurdesievondenElternmitderKinderfrauIdaGoretzki(1881–1960) nachHamburggeschickt,wosieinderFamiliedesGroßkaufmannsEmil Seligmann,derselbstzweivonGeburtangehörloseKinderhatte,privat von einem Taubstummenlehrer unterrichtet wurde. Bis 1913 blieb Ruth SchaumanninHamburg,seltendurftesiezudenGroßelternnachUelzen, nochseltenerzudenElternnachHagenau.EswareinesehrschwereZeit fürdasalsbegabtaberaufmüpfiggeltendeMädchen.IhrLehrerReinhold LutzschriebimDezember1906ineinemerstenZeugnisüberdieSchülerin andieEltern:„DiesesKindhateinenBock,kaumauszusprechen,dochwir werdenihnzubrechenverstehen.“1077 ZurgleichenZeitwurdeRutheine Schwestergeboren.DochRuthsWunsch,zuWeihnachtennachHausezu kommen,wurdevonderMutterverwehrt,denn„ProfessorFreund,aus StraßburgzurGeburtherübergekommen,meint,daßderAnblickderTau be[n]mirimWochenbettschädlichseiunddieMilchdranversauernkön ne.“1078RuthlittsehrandieserAblehnung,wurde1907wiederkrankund erblindetesogarfüreinigeTage.1079 SchonindieserZeitwardiegeschriebeneSpracheeinHaltfürdasMäd chen, das später zur Passion werden sollte. Mit ihrer Konfirmation war RuthsSchulausbildunginHamburgbeendet.SiezogzuihrerFamilienach Hagenau.IndieserZeitschriebsie,diesichvonSpracheerfülltsah,ihre erstenNovellen–aberauchKriegsgedichte.1915gingRuthSchaumann mitIdaGoretzkinachLahr,imFrühjahr1917nachMünchen.Diebayrische LandeshauptstadtsollteihrLebensmittelpunktwerden.Hierbesuchtesie aufWunschderElternwenigeMonatediesiekaumbefriedigendeprivate DebschitzSchulefürModezeichnen.Sieschriebnebenbeivielundwurde durchPastorDr.AloisWurmangeregt,religiösePlastikenzuschaffen.Im Januar1918bestandRuthSchaumanndieAufnahmeprüfunganderKunst 1076
Schaumann,Kugelsack,S.269.
1077
RuthSchaumann,DasArsenal,Heidelberg1968,S.176.
1078
Ebd.,S.180.
1079
Ebd.,S.183.
Gehörlose Künstler
335
gewerbeschule und kam in die BildhauereiKlasse von Prof. Joseph Wackerle (1880–1959).Wiedererkranktesieschwer,musstemitdemStu diumpausieren,undkamerstimSeptember1920nachMünchenzurück. IhreKrankheithatteRuthSchaumannsReligiositätnochvertieft–sieverar beitetediesinihrenSkulpturenundihremschriftstellerischemWerk.1920 erschienihrersterGedichtband.ImJanuar1921wurdesieMeisterschülerin undbekameineigenesAtelier.SiebegegnetedemSchriftleiterderZeit schrift„Hochland“Dr.FriedrichFuchs(1890–1948),derdieKünstlerinin terviewte – die beiden verliebten sich. Ostern 1924 konvertierte Ruth Schaumann zumKatholizismus,imHerbstheiratetendiebeidenundim SommerdesdarauffolgendenJahreswurdederältesteSohngeboren.Fünf KinderbekamdasEhepaar. GroßeAufträgefürRuthSchaumannwarenSkulpturenwiediePietàfür dieKryptaderFrauenfriedenskircheinFrankfurtamMain(1928)oderdie MadonnafürdieFranziskanerpfarrkircheinHagen(1931)–beideüber standendenKriegundkönnenheutenochvorOrtbewundertwerden.Ihre PlastikenfindensichgenausoinSt.Louis,USA,wieinderEremitageinLe ningrad.1080 Ihre Bilder und Skulpturen zeigen Sinn für eine nicht ver niedlichende Romantik. Sie sind eindringlich und ohne Schnörkeleien – ganz im Gegensatz zu ihrem schriftstellerischen Werk, das wegen der reichhaltigenAssoziationennichteinfachzulesenist.1081 IhreInhaltesind religiöserNatur,ihreThemenstammenausdemeigenenErfahrungskreis. Indem1932veröffentlichtenRoman„Amei“schildertesieihreKindheit. RuthSchaumannbekämpftemitihrerArbeitdieTaubheit.Siegrenztesich bewusstvonGehörlosenab,1082 äußertesicherstspät,1968,in„DasArse 1080
RobertMariaWagner,RuthSchaumannalsMenschunterMenschenundZeuginihrer Zeit,in:Bossle,Lothar/Pottier,Joël(Hg.),DeutschechristlicheDichterinnendes20.Jahrhun derts.GertrudvonleFort,RuthSchaumann,ElisabethLanggässer(FestschriftfürFriedrich KieneckerausAnlaßseines70.Geburtstages),Würzburg,Paderborn1990,S.60100,hierS.80.
1081
JoëlPottier,Wiedergelesen:RuthSchaumannsRoman„Elise“.EinBeitragzurWesensbe stimmungdesWiderstandesderdeutschenchristlichenDichtergegendasDritteReich,in: Bossle,Dichterinnen,S.111;UrsulaAckermann,DasbildhauerischeundgraphischeWerkvon RuthSchaumann,in:Bossle,Dichterinnen,S.93–125,hierS.98. 1082 GesprächmitihrenSöhnenAndreasundDr.PeterFuchsundeinemgutenFreund,Gott friedWeileder.Gesendetinder966.FolgederSendung„SehenstattHören“am22.August 1999,nachzulesenimInternetunterhttp://www.taubenschlag.de/SSH/2208.htmam14.8.2003, sieheaucheinweiteresInterviewmitdenSöhnen„Zum100.GeburtstagvonRuthSchau mann(1899–1975),in:DasZeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheundKommuni kationGehörloser48(1999),S.206–223.
336
Gehörlose in der Gesellschaft
nal“,dasihrLebenbiszuihrerVerheiratungbeschreibt,überihrGefühle alsGehörlose.IhrLebenlanghattesiedarumgekämpft,Hörendengleich wertiggegenübergestelltzuwerdenunddieGehörlosigkeitzuverbergen. SpäterarbeiteteRuthSchaumannaneinerFortsetzungihrerBiografie,die aberunvollendetbliebunderstnachihremTodveröffentlichtwurde.1083 1931erhieltsie–alsersteFrau–denDichterpreisderStadtMünchen.Spä ter fertigte Ruth Schaumann auch Zeichnungen, Grafiken und Scheren schnittean.1933ändertesichdasKlima,indemdieFamilielebte.1935 wurde ihr Mann entlassen, er arbeitete fortan als Privatgelehrter. Ruth SchaumannsBilderwurdenals„entartet“bezeichnet,Neuauflageneiniger ihrerBücherverboten,soihrbekanntestes:„Amei“.DortsolltesiedasKa pitel„Der gefalleneIsmael“entfernen,indemsie beschrieb, wiesie als Kind dafür bestraft wurde, Mitleid mit einem jüdischen Jungen zu ha ben.1084InihrenassoziativenGeschichten,indenensiedurchreichhaltige VerwendungsprachlicherFormenganzleiseKritikübt–seiesanderKir che,seiesanderPolitik–,zeigtSchaumannVorliebefürBenachteiligteje derArt.1085 Der Tod ihres Mannes am 1. November 1948 traf Ruth Schaumann schwer.AusfinanziellenGründenbegannsie,auchkunstgewerblicheAr beiten anzufertigen.1086 1959 wurde ihr das Bundesverdienstkreuz verlie hen,1960derGoldeneKoggeRingderStadtMinden,1964derBayerische Verdienstorden.RuthSchaumannstarbam13.März1975inMünchen.Erst indenletztenLebensjahrenhattesiebegonnen,ihreGehörlosigkeitzuak zeptieren. 7. 2 . 2 Elisabet h Sel i gm a nn ImHausedesHamburgerGroßkaufmannsSeligmannerhieltRuthSchau mann ihreersteAusbildung.EswarihreGroßmutter,diedenKontaktzu dergroßbürgerlichenFamiliemitdemHinweisaufdieVerwandtschaftmit
1083
RuthSchaumann,DerKugelsack.MiteinemEssayvonTomasVollhaber,Hamburg1999.
1084
Wagner,Schaumann,in:Bossle,Dichterinnen,S.72.
1085
Ebd.,S.78,87und90.
1086
Ackermann,Werk,in:Bossle,Dichterinnen,S.95.
Gehörlose Künstler
337
Bürgermeister Dr. Carl Mönckeberg (Ruth Schaumanns Onkel war der SohndiesesHamburgerBürgermeisters)herstellte.1087 DerHamburgerEmilFelixSeligmann (1847–1923)hatteinParisseine NichteerstenGrades,„dieschöneIsabella“ClaraHahn(1826–1915)1088aus Caracas,geheiratet.1089 AlsevangelischgetaufterJudebestandSeligmann gegenüberseinerkatholischenEhefraudarauf,dassdiegemeinsamenKin derevangelischgetauftwürden.SogeschahesbeiCarl(geb.1881),Helene (geb.1882),Eduard(geb.1885),Olga(geb.1887),Felix(geb.1889),Elisa beth,Herbert(geb.1892)undMarie(geb.1895).ErstalsEduardbereitsvier Jahrealtwar,erkanntendieEltern,dassihrSohntaubwar.1090TochterElisa beth,genanntLisa,wurdeam19.September1893geboren.Sehrbaldwur deklar,dassauchsiegehörloszurWeltgekommenwar.1091 Währenddie MutteroftzumBetenfürihreKinderinsKlosterfuhr,machtesichderVa ternachFrankfurtamMainauf,umdenbestenLehrerderdortigenTaub stummenanstaltfürdenUnterrichtseinergehörlosenKinderzuengagie ren.Für13JahreunterrichteteReinholdLutzdiebeidenKinderimgroßen PatrizierhausinderAltenRabenstraße18.ObdiegehörlosenGeschwister inderKommunikationuntereinanderaufeigeneGebärdenzurückgriffen? AngeblichbenutztendiebeidenkeineZeichen. ObwohldieGeschwister nichtinderHamburgerSchuleausgebildetwurden,unterstützteihrVater finanziellgroßzügigwährendvielerJahredieHamburgerTaubstummen anstalt.1092AlsEduardmit21JahrenindieväterlicheFirmaeintrat,bekam ElisabethzurLernunterstützungfürtäglichvierStundendieschwerhörige BäckerstochterMinnaBachdazu,Ende1906diesiebenjährigeRuthSchau mann.1093ElisabethsBruderEduardhattegelernt,deutlichzusprechenund 1087
Schaumann,Arsenal,S.169und188.
1088
http://www.maxehrlich.org/genealogy/g1288.html, abgerufen am 15.9.2007; StA Hbg, 3328Meldewesen,A30,Meldekartei1892–1925,MeldeEinträgeEmilFelixSeligmannund IsabellaClaraSeligmann,geb.Hahn.
1089
Schaumann,Arsenal,S.165;StAHbg,5221JüdischeGemeinden,992b,„blaueSteuerkar tei“,EintragEmilSeligmann.
1090
Schaumann,Arsenal,S.166.
1091
Ebd.,S.167.
1092
ImBerichtderTaubstummenAnstaltüberdasSchuljahr1908/09istderBeitragEmilSelig manns mit50MarksehrvielgroßzügigeralssämtlicheanderenUnterstützungen,diesich zwischen2und10Markbewegen.
1093
Schaumann,Arsenal,S.167–169.
338
Gehörlose in der Gesellschaft
zu lesen, er gebärdete nicht und begleitete fortan den Vater in dessen Büro.1094Dochbereitsam13.Dezember1907starbEduard.1095Erwurdein einerschneereichenNacht,alsermitdemFahrradzwischendenStraßen bahnschienennachHausefuhr,vonderTrambahnüberfahren,derenKlin gelnernichtgehörthatte.1096 1910warendieUnterrichtsstundenmitLisaaufzweiinderWocheredu ziertworden,LisasolltebaldnachMünchengeschicktwerden,umdasMa len zu erlernen1097 – dort studierte bereits ihr älterer Bruder Felix (18891914)1098.LeideristnochnichtsüberdiekünstlerischeAusbildungEli sabethSeligmannsbekannt.SiewurdespäterMitgliedderHamburgischen Künstlerschaft.1099Ausstellungenhattesievon1927bis1929alsGastinder HamburgerSezession,ab1935imJüdischenKulturbundHamburg.1100 Im Mai1936stelltesiemitzwölfanderenHamburgerKünstlernimJüdischen MuseumBerlinaus.ElisabethSeligmann entwarfSkizzenundZeichnun genalsVorbereitungaufihrePlastiken,diesiedann–Torsi,Madonnen, Tiere,Mädchen–inGips,HolzundTonmodellierte.EinigeArbeitenwur deninBronzegegossen.1928bekamsiedenAuftrag,Portraitsbekannter Hamburgeranzufertigen.IhrAtelierhattedieZeichnerinundBildhauerin zusammenmitErnaLautrupWittmaack(1870–1957)imKünstlerhausBir kenau24,dasnachdemErstenWeltkriegalsHallierstiftungerrichtetwor den war.1101 1933 wurde Elisabeth Seligmann aus der Hamburgischen Künstlerschaftausgeschlossen.1102 NachdenNürnbergerGesetzengaltsie fortanalsJüdin.DieReichskammerderBildendenKünsteschlosssievor 1094
Ebd.,S.167.
1095
StAHbg,3328Meldewesen,A30,Meldekartei1892–1925,MeldeEintragEduardFelixSe ligmann.
1096
Schaumann,Arsenal,S.177–179.
1097
Ebd.,S.225undS.273.
1098
StAHbg,3328Meldewesen,A30,Meldekartei1892–1925,MeldeEintragEduardFelixSe ligmann.
1099 HierundimFolgenden,wennnichtandersangegeben,nachdemLexikoneintragin:Mai keBruhns,KunstinderKrise,2Bände,Band2:KünstlerlexikonHamburg1933–1945,Ham burg2001,S.353–354,hierS.353.ZumJüdischenKulturbundsieheMaikeBruhns,Kunstin derKrise.Band1:HamburgerKunstim„DrittenReich“,Hamburg2001,S.313–320. 1100
ÜberdieverschiedenenAusstellungensieheBruhns,Kunst,Band1,S.315.
1101
Ebd.,S.134.
1102
Ebd.,S.105.
Gehörlose Künstler
339
Juni1938aus.Bis1936lebteElisabethimElternhaus,zum1.Januar1937 zogsiezuihrerinzwischenverheiratetenSchwesterMarieWolfindieWer derstraße65.1103SiebereitetesichmitSpanischunterrichtaufdieEmigration vor–am16.Oktober1941konntesieDeutschlandverlassen.Nurwenige Dingewarenihrgeblieben.Die„Vermögensverwertungsstelle“derDevi senstelledesOberfinanzpräsidentennahmihrGeldundentschieddarüber, wasausihremHausstandbeiihnenverbleibendurfte.ElisabethSeligmann listeteauf,wassieindieEmigrationmitnehmenwollte,vonKleidungbis zupersönlichenDingen,auchihrArbeitsmaterialundzwölfkleineSkulptu ren,daruntereineMadonna,SkizzenundFotos.1104IhrenFotoapparatdurf tesienichtbehalten,auchnichtdenSchmuckundihreKunstsammlung. DiemeistenWertpapierewurdenandiePreußischeStaatsbankabgeliefert, einigedurftesieihrerSchwesterOlgaWerner schenken.Olga,ihrMann undeineihrerTöchterwurdenneunTagenachElisabethsAuswanderung nachLodzdeportiertunddortumgebracht.1105ÜberBarcelonareisteElisa beth–ohneBegleitung–nachKuba,dannweiternachEcuador,woinder HauptstadtQuitoihrältesterBruderCarllebte.1106Dortstarbsieam14.Juli 1947.ElisabethSeligmanns Werke,dieinHamburgüberdierenommierte KunsthandlungCommeterverkauftwurden,sindheutenichtmehraufzu finden. 1952stelltenihreErbeneinenWiedergutmachungsantrag,dernachei nemRechtsstreiterst1960anerkanntwurde.1107DieSchwesternHeleneund Olgawarentot,dereninHamburggeboreneundevangelischgetaufteKin derlebtenvonBrasilienbisNeuseelandüberdieganzeWeltverstreut.Der Älteste,Carl,kamausEcuadornachHamburgzurück,derJüngste,Her bert,bliebinLosAngeles,MarieWolfinNewYork. 1103 StAHbg,StAHbg,5221JüdischeGemeinden,992b,„blaueSteuerkartei“,EintragElisa bethSeligmann. 1104
StAHbg,31415Oberfinanzpräsident,FVg8738,ListederUmzugsgegenstände.
1105
Olga,Viktorunddie1923geboreneTochterMarionwurdenam25.10.1941nachLodzde portiert(http://www.rrz.unihamburg.de/rz3a035/bogenstrasse1.html,abgerufen am15.9.2007). Deportiertwurdeauchdie1905geboreneTochterLeni(http://www.maxehrlich.org/genealo gy/g1285.html#I1293,abgerufenam15.9.2007).VondenfünfKindernüberlebtenvier.
1106
NachEcuador,einemarmenLandmitFeudalstruktur–99ProzentindianischeUreinwoh nerwurdenvoneinemProzentGrundherrenregiert–emigrierten3.500bis4.000Deutsche.Die größte Gruppe bildete diejüdischeGemeindeinQuito,die1938gegründet wurde (Bruhns, Kunst,Band1,S.346).
1107
StAHbg,31415Oberfinanzpräsident,S139.
340
Gehörlose in der Gesellschaft
7. 2. 3 Fra nz Ha r t ogh DerinHamburggeborenebildendeKünstlerRudolfFranzHartogh(1889– 1960)wareinSchülervonLovisCorinthundHansOlde.AufGrundseiner jüdischenHerkunftwurdeHartoghvondenNationalsozialistenausdem Künstlerbund ausgeschlossen, ihm wurde die Malerei verboten und er wurdeindasKonzentrationslagerTheresienstadtdeportiert.
Abbildung 68: Franz Hartogh, Bauernhof, um 1915
Am31.Mai1889wurdeRudolfFranzHartogh alsdrittesKinddesKauf mannsFranzHartoghundseinerauswohlhabendemHausstammenden FrauMary,geboreneGoldschmidt,inHamburggeboren.1108 SeineEltern warenaus Holland indieHansestadt gekommen. Derjüngste Sohnder HartoghsverlorinFolgeeinerKrankheitimAltervonsechsJahrenseinGe hör.DaererstnachdemSpracherwerbertaubte,behieltereineverständli che Aussprache und lernte rasch das Lippenlesen, in den Augen seiner 1108
InformationenzuHartoghaus:FischerhuderKunstkreise.V.,RudolfFranzHartogh1889– 1960,Fischerhudeo.D.;http://www.washausen.de/fischerhude/deutsch/fku59n.htm,abgeru fenam15.9.2007;AllgemeinesLexikonderbildendenKünstlerdesXX.Jahrhunderts,Leipzig 1953–1962,Band2(1955)S.382.
Gehörlose Künstler
341
Um(undNach)welt„wurdeer[damit]keinTaubstummer“.1109 Nachdem derJungezuerstPrivatunterrichterhielt,besuchteervonNovember1897 bisOktober1899dieprivateVorschuleeinerFrauKrüger,anschließenddie privatehöhereWahnschaffscheRealschuleinderNeuenRabenstraßeund schließlichvon1902bisOstern1905dieOberrealschulevordemHolsten tor.DiehöhereSchulebeendeteermitdemErwerbderBefähigungfürden EinjährigFreiwilligenDienst.1110 Sein Wunschwar es,die Kunstgewerbe schulezubesuchen.1111 GleichnachAbschlussderSchulebegannHartogheineAusbildungbei dem jüdischen Landschafts und Interieurmaler Hermann Bruck (1875– 1953). Der Direktor der Hamburger Kunsthalle Alfred Lichtwark (1852– 1914),derseinenSchwerpunktaufKünstlerausdemnorddeutschenRaum setzte,ermöglichteHartogheineAusbildunginBerlin.VonSeptember1906 bisApril1910studierteerindenStudienateliersfürMalereiundPlastikin BerlinCharlottenburg.DurchVermittlungdesMalerFreundesundGrün dersderBerlinerSecession,MaxLiebermann(1847–1935),konnteerbeiLo visCorinth (1858–1925)lernen,einemMaler,derzwischenImpressionis musundExpressionismusinseinenBilderneineBrückeschlugundgroßen Einfluss auf das bildnerische Werk Hartoghs haben sollte. Von 1910 bis 1912studierteHartoghanderStaatlichenHochschulefürbildendeKünste inWeimar,dannfolgteerseinem(mitCorinthbefreundeten)LehrerHans Olde (1855–1917), der einen impressionistischen Freiluftstil lehrte, nach Kassel,woerbisJanuar1916blieb.HartoghkehrtewiedernachHamburg zurückundarbeitetehiermitUnterstützungvonLichtwarksNachfolger GustavPaulialsfreierMaler.VonOktober1917bisJuni1919warerwieder zumStudiumanderHochschuleinWeimar. ImSommer1911warHartoghdasersteMalmitseinemStudienfreund AugustHaake(1889–1915)zumMalenindemkleinenzumFleckenOtters bergimLandkreisVerdengehörendenOrtFischerhude.Hierentwickelte sichein Künstlerdorf,dasseineRuheund denbäuerlichenHintergrund überdieJahrebehielt,daesnichtdenBekanntheitsgraddesNachbarortes
1109 KarlVeitRiedel,EinzuUnrechtvergessenerKünstlereinerschicksalsschwerenZeit,in:Fi scherhude,S.5–8,hierS.5. 1110
MitdemErwerbderSekundareife(MittlereReife)konntenHamburgerjungeMännerden dreijährigenMilitärdienstaufeinJahrabkürzen.
1111
StAHbg,3622/2OberrealschulevordemHolstentor,AbgangslisteNr.331905.
342
Gehörlose in der Gesellschaft
Worpswedeerreichte.FischerhudebliebfürdienächstenJahredasZielvon HartoghsSommermonaten. 1920hatteHartogh,derinzwischenübereinenerneutenHamburgAuf enthaltnachWeimarandasBauhausgegangenwar,inseinerHeimatstadt seineersteAusstellung.AmBauhausbegannHartogh eineSchreinerlehre undstudiertedortbisOstern1925.Ab1923arbeiteteerdortinderVerwal tungdesArchivs,derBibliothekundderLichtbildsammlungundkonnte seineKenntnisseinHolländisch,EnglischundFranzösischinderfremd sprachlichen Korrespondenz einsetzen. Es folgte eine Hospitanz an der BaugewerkschuleWeimarundimArchitektenbürodeszuvoramBauhaus lehrendenArchitektenAdolfMeyer(1881–1929). 1925 hatte Hartogh seine zweite Ausstellung in der ProvinzialTaub stummenanstaltSchleswig,dievonihmzweiBildersowieHolzschnittezur DekorationihrerRäumeerwarb.ZweiJahrespäterstellteerimRahmenei ner Künstlerausstellunganlässlich der SamuelHeinickeJubiläumstagung inderHamburgerKunsthalleaus.AuchhierwaresdieTaubstummenan stalt,inderÖlbilderdesKünstlersalsDauerleihgabederStadtausgestellt wurden.EineeigeneAusstellunghatteerdannimFrühjahr1928inder BremerKunsthalle,1929stellteerinmehrerenGemeinschaftsausstellungen aus,darunterauchinHamburg.HartoghwareinvielseitigerMaler,ermal tePortraitsundStillebenundschufHolzschnitte.Vorwiegendmalteeraber Landschaften:emotionale,aberdennochstrengkomponierteBilderinsat tenFarbenundmitklarenFlächen.Seinefrühexpressionistischeundemo tionaleMalweiseändertesichindenspäten1920erJahrenzuGunsteneines illustrativerenStils.Inden1930erJahrenarbeiteteerineinerreduzierteren Formensprache.1112 EinkunstinteressierterJournalistausBremen,derihn auchinden1940erJahrendurchunerlaubteBildkäufeunterstützte,nannte HartogheinenhervorragendenniederdeutschenKünstler,deralstypischer VertretereinesniederdeutschenLandschaftsmalersseinerZeitohnegroße ÖffentlichkeitseinenpersönlichenStildurchdie„stille[n]Reizedernord deutschenLandschaft“entwickelnkonnte.1113 1926warHartoghohneAbschlussderBauwerkschulevonWeimarnach Bremengegangen,umauchhierineinemArchitektenbürozuarbeiten.Im merwiederkameraberinseineHeimatstadtHamburg,umhieralsfrei 1112
Fischerhude,S.7f.
1113
ArtikelvonDr.BrinkmannohneQuellenangabe,in:FischerhudeS.28f.
Gehörlose Künstler
343
schaffenderKünstler,aberauchindenArchitektenbürosvonErnstHentze undFreiherrHeribertvonLüttwitz(geb.1891)alsAushilfezuarbeiten. 1931heirateteHartoghEvaPfitzner,dieTochtereinesBremerKonzert meisters,derenFamilieebenfallsdieSommerinFischerhudeverbrachte.Es folgten mehrere Auslandsaufenthalte, bevor die Nationalsozialisten 1936 erstmalsaufHartoghaufmerksamwurden.1937wurdeFranzHartogh,da erseine„arischeAbstammung“nichtausreichendbelegenkonnte,nahege legt,ausdemBremerKünstlerbundauszutreten.1938legteerseineMit gliedschaftohneAngabevonGründennieder.Konkretbedeutetedas,dass HartoghkeinAnrechtaufMalmaterialmehrhatte,keineAusstellungmehr bestückenund keine Bilder verkaufen durfte. 1942 wurde ihmdie Aus übungseinesBerufesverboten,aberausgerechnetvonderBremerGestapo erhielt der Maler Aufträge für die Gestaltung ihrer Einladungen und Glückwunschkarten.ImApril1943wurdedurchdas„Sippenamt“festge stellt,dassHartogh„Volljude“sei.ErverlorseinAtelier.1944wurdeHartogh verhaftet und über das Lager BremenFarge in das Konzentrationslager Theresienstadtgebracht.1114 ImFrühjahr1945wurdeHartogh ausdemKonzentrationslagerbefreit undbegannsofortwiedermitderMalerei.Erbliebbeiseinerausdrucks starkenMalweise,diezwischenRealismusundExpressionismusangesie deltwar,fandjetztaberneueMotiveinBergundKüstenlandschaften,die erdurchseineReisennachItalien,Frankreich,HollandoderEnglandken nenlernte.1953ließersichinFischerhudenieder.Dortmalteerweiterund wurdealsVerfassereinerOrtschronikbekannt.RudolfFranzHartoghstarb am20.Januar1960.
1114
Über gehörlose Juden im KZ forschen Dr. Simon J. Carmel, USA, und Marc Zaurov, Deutschland.DieBerichteüberihrebisherigeArbeitwerdenimTagungsbandzumDeafHis toryKongressinBerlin2006veröffentlicht.
8 Die Gesellschaft zur Förderung der Gehörlosen in Groß-Hamburg e. V. und das Kulturund Freizeitzentrum für Hamburger Gehörlose
1957gründeteninHamburgVertreterderGehörlosenvereine,Elterngehör loserKinderundGehörlosenlehrkräfteeineArbeitsgemeinschaftmitdem Ziel,dieAusbildungihrerKinderzuverbessern,Gehörloseleichterindie hörendeGesellschafteinzugliedernundihreSelbstständigkeitzufördern. AusdieserArbeitsgemeinschaftgingdieGesellschaftzurFörderungder GehörloseninGroßHamburghervor,dieam1.April1959gegründetund alsVereineingetragenwurde.SiesolltealsDachverbandalleinderHam burgerGehörlosenfürsorgetätigenfreienOrganisationenvereinen1115 und derenArbeitkoordinierterunddamiteffektivergestaltensowieihreMit gliedereinheitlichnachaußen,zumBeispielgegenüberBehörden,vertre ten.MitdemgeschlossenenAuftretenwurdeerreicht,dassdieSozialbehör deeineinderDeutschenGebärdensprachekundigeMitarbeiterinanstellte, diedannanbestimmtenTagengehörlosenHamburgerinnenundHambur gern mit Rat und Hilfe in Behördenfragen beiseite stand.1116 Die Gesell schaftvereinigteimeinzelnendietraditionelleTaubstummenseelsorgeder evangelischlutherischen Landeskirche in Hamburg und der römischka tholischenGemeindeHamburgs,das1933inVolksdorfgegründeteHam burger Taubstummenaltenheim, den Ortsverband Hamburg des Bundes deutscherTaubstummenlehrer,denVerbandderGehörlosenvereineGroß Hamburgse.V.,denSchulvereinbzw.denElternratderHamburgerGehör losenschuleunddieStiftungTaubstummenanstalt.1117 Späterkamennoch 1115
DenVorsitzhattenDr.HerbertFeuchteundPastorArnoldDummann (Hamburger Echo Nr.77vom3.4.1959).
1116
InformationderGesellschaftzurFörderungderGehörloseninGroßHamburge.V.,Ham burg1980,S.10.
1117 Tätigkeitsbericht 1959/60derGesellschaftzurFörderungderGehörloseninGroßHam burge.V.,Hamburg1960.
346
Das Kulturzentrum für Gehörlose
zweiStiftungendazu,währenddiekirchlichenVerbändeherausfielen:1980 wurdenalsMitgliederzusätzlichdieFamilieMadjeraStiftungsowiedie JobstundAnnaWichernStiftunggenannt.1118 DieGesellschaftsiehtsichinersterLiniealsElternundSelbsthilfeorga nisation,diealsihreZieledieVerbesserungderGehörlosenbildungund derGehörlosenfürsorgenennt.DieGesellschaftleistetAufklärungsarbeit, Dolmetschertätigkeit, Rechtsberatung, Erholungsfürsorge (“Altenverschi ckungenundorganisierteFerienaufenthaltefürgehörloseKinder“1119),all gemeineUnterstützung,kulturelleFürsorgeundHeimbau.
Abbildung 69: Herbert Feuchte
Ende1967konstatiertederVorsitzendederGesellschaftzurFörderungder Gehörlosen,Dr.HerbertFeuchte:„VonderHamburgerTaubstummenfür sorgegehengegenwärtigentscheidendeImpulseaus“.1120Hamburgwurde, vorallemdurchdenEinsatzFeuchtes,derinmehrerenVereinenführend vertretenwar,zumVorbildfüranderedeutscheLänder.InHamburgwur devielesgeplantundauchverwirklicht,zumBeispieleinHeimfürmehr fachbehindertegehörloseKinder,einebessereFörderungschwerhöriger 1118
Information,1980,S.13.
1119
InformationderGesellschaftzurFörderungderGehörloseninGroßHamburge.V.,Ham burg1976,in:StAHbg3612VIOSBVI,Abl.1995/1,Az.5347. 1120
StAHbg3612VIOSBVI,2535,FeuchteanLandesschulratErnstMatthewes4.12.1967.
Das Kulturzentrum für Gehörlose
347
Kinder,AnregungenzumAusbaudeszentralenBerufsschulwesensfürGe hörloseund–vorallem–derBaueinesKulturzentrums:ImFrühjahr1969 konntevonderGesellschaftzurFörderungderGehörloseninderBerna dottestraßeinOthmarschendasdeutschlandweitersteKulturundFrei zeitzentrum für Gehörlose eingeweiht werden.1121 Dieses ist auch heute noch die bekannteste Einrichtung der Hamburger Gehörlosengemein schaft.MitdiesemGehörlosenzentrumpräsentiertesichdieGehörlosenge meinschafterstmalsselbstbewusstinallerÖffentlichkeit.1122BeiihrerGrün dunghattedieGesellschafthauptsächlichdreiZieleimSinn:DasZentrum solltevorallemzumgeselligenMittelpunktderHamburgerGehörlosenal lerAltersstufenwerden.Essollte„RückhaltundHeimat“derGehörlosen werden.DiegehörlosenHamburgersolltenimZentrumeinenTreffpunkt sehen,indemsiesichgebenkonnten,wiesiewarenundihreeigeneKultur undIdentitätalsGemeinschaftausübenkonnten.DerzweiteZweckdes Zentrumssolltesein,besonderekulturelleundgesellschaftspolitischeAkti vitätenzuentfalten;undschließlichsollteeseinTagungsortfürregionale undüberregionaleKonferenzenzumThemaderRehabilitationGehörloser sein.AlledieseZieleerreichtedasGehörlosenzentrumineinemmitder ZeitimmergrößerenMaße.EswarundistBegegnungsstättefürGehörlose, indemseit1980einRestaurant,ClubundHobbyräume,einSaalmitBüh ne,eineKegelbahnundeinSchießstandfürSportschützenintegriertist.Hier finden fast alle Veranstaltungen der Gehörlosenvereine statt, hier werden Volkshochschulkurse, Diskussionsabende, Seminare und Wochenendta gungenfürGehörloseveranstaltet.EsgibtFrauen,ElternundStudenten gruppen sowie Seniorennachmittage. Angeboten werden Fortbildungs programmewieGesundheitsfürsorge,KochkurseaberauchGebärdenkurse. Die Othmarschener Einrichtung war das erste Zentrum dieser Art in Deutschland,indemvonAnfangintensivundoffensivinDeutscherGe bärdensprachekommuniziertwurde.DieGehörlosenimZentrumzeigten denHörenden,dassnichtdieLautsprache,sonderndieGebärdensprache ihrKommunikationsmittelwar.DieDiskrepanzzwischenschulischerTra dition und gelebter Wirklichkeit wurde aufgehoben und die Gebärden sprachedurchdasKulturundFreizeitzentrumaufgewertet. 1121
DieGesellschafthattedasGrundstückimOktober1966gekauft.ImFolgendenwirdden AngabenausInformation,1980,undHannen,Gehörlosenbewegung,S.131172,gefolgt.
1122
WeitereZentrenentstandenindenfolgendenJahreninFrankfurtamMain,Essen,Berlin, Münster,BraunschweigundHildesheim.
348
Das Kulturzentrum für Gehörlose
MitdemKulturzentrumhatteauchderseit1950bestehendeTheater vereineinenProbenplatzgefunden.Erfolgreichwurdengebärdensprachli cheStückederTheatergruppebzw.späterdes„VisuellenTheaters“aufge führt.11231970entstandaucheinFilmstudio. Aber dasZentrumhattenochandereweitreichendeFolgen. Ein Ar beitskreisunterLeitungderHamburgerGehörlosenlehrerHellmuthStar ckeundGünterMaischversuchte1970,diebislangregionalstarkvonein ander abweichenden Gebärdenzeichen zu vereinheitlichen und so ein NachschlagewerkfürDolmetscherundHörendezuschaffen.Maischund FritzHelmutWisch entwickeltendasnachihremUmschlagsogenannte „BlaueBuch“,das„HandbuchderGebärden“.IndiesemGebärdenlexikon werden auf 480 Seiten 5.000 Begriffe in ihren Gebärdenzeichen dar gestellt.1124ImGebäudedesKulturundFreizeitzentrumsetabliertesichin derFolgeder„VerlaghörgeschädigtekindergGmbH“,derursprünglich TeilderDeutschenGesellschaftzurFörderungderHörSprachGeschädig tene.V.war.1125 DieBundesgeschäftsstelledieserGesellschafthatteihren Sitzvon1964bis1979inHamburgamKulturundFreizeitzentrumund gabvondortauchdieseit1963erscheinendeVierteljahresschrift„hörge schädigtekinder“heraus.1126 1977löstesichderVerlagalsselbstständige GesellschaftmitSitzinHamburgvonderMuttergesellschaft.DerVerlagin derBernadottestraßegibtauchheuteRatgeberundKinderbücherheraus. Ab2003erweitertesichdieZeitschriftinTitelundInhaltzu„hörgeschä digtekinder–erwachsenehörgeschädigte“.Alsweitererthemenspeziali sierterVerlagsei derSignumVerlaggenannt, der1989inHamburgge gründetwurdeundsichzueinerinternationalenmultimedialenEinrich tung mit dem Themenbereich Gehörlosenkultur und Gebärdensprache 1123
2003habensichMitgliederdieserGruppemitdemEssener„TrioArt“zu„VisualArt“zu sammengetanundführenabstrakteTheaterkunstvor. 1124
DasumfangreicheGebärdenlexikonliegtheuteinvierBänden(Grundgebärden,Mensch, Natur,Aufbaugebärden)undaufverschiedenenThemenCDRomsvor. 1125
EinPhysikerentwickelteimAuftragdieserGesellschaftdasfürdieKommunikationGe hörloserwichtigeSchreibtelefon,dasseit1977erhältlichwar.
1126 DerSitzderGesellschaft(1976wurdesieumbenanntinDeutscheGesellschaftzurFörderung der Gehörlosen und Schwerhörigen, 2005 in Deutsche Gesellschaft der Hörgeschädigten – SelbsthilfeundFachverbändee.V.)befindetsichstetsandemOrt,andemderVorsitzendetä tigwar,alsounterFeuchte inHamburg,ab1979inFrankfurtamMain,ab1991unterPeter DonathinMünchen(freundlicheInformationvonFrauDonathOktober1995).Heutebefindet sichdieGeschäftsstelleinRendsburg,1.VorsitzenderistDr.UlrichHase.
Das Kulturzentrum für Gehörlose
349
weiterentwickelt hat. Während heute der Verlagssitz zwar nicht mehr Hamburgist,soarbeitetdochdieRedaktionder1987gegründetenviertel jährlich erscheinenden Zeitschrift „Das Zeichen. Zeitschrift für Sprache undKulturGehörloser“(später:ZeitschriftzumThemaGebärdensprache undKommunikationGehörloser)inderHansestadt.
Abbildung 70: Kultur- und Freizeitzentrum in der Bernadottestraße
DasZentrumistauchSitzdesLandesverbandesderGehörlosen.Anfangs gabesKompetenzstreitigkeiten,dadieGesellschaftEigentümerindesKul turzentrumswarundderVerbandderGehörlosenvereinevonGroßHam burge.V.alsMitgliedderGesellschaftnurMitspracherechthatte.11271971 wurdealsKompromisseineVereinbarunggetroffen,indemeinparitätisch besetzterVerwaltungsrateingesetztwurde.Dochgabesindenfolgenden JahrenweiterUnruhe,dasichMitgliederdesVerbandesdurchdieGesell
1127
Ab1.1.1972„LandesverbandderGehörlosenGroßHamburgse.V.“.
350
Das Kulturzentrum für Gehörlose
schaftunmündigbehandeltfühlten.1128 DerVerbandveranstalteteInforma tionsveranstaltungen,TreffsundKurseverschiedenerArtfürGehörlose,aber auchKurse–zumBeispielindeutscherGebärdensprache–fürHörende,die sichfürdieWeltderGehörloseninteressieren.UnderorganisierteHam burgsAktivitätenamerstenbundesweiten„TagderGehörlosen“imSeptem ber1977.DerKonfliktzwischendemVerbandalsInteressenvertretungder Gehörlosen und der von Hörenden geführter Gesellschaft schwelte aller dingsweiter.Erst1988wurdeaufeinerschlichtendenTagungdasVerhältnis zwischenGesellschaftundVerbandneugeordnet– derVerband emanzi piertesichundübernahmdieVerantwortungfürdie„sozialeundpoliti scheArbeitfürdieGehörlosen“.1129 DerVerbandvorstandwurdeab1990 auchindenGesellschaftsvorstandgewählt.DieEmanzipationwargeschafft. EinegemeinsameForderungder1980erJahrenwardienachmehrbesser ausgebildetenGebärdendolmetschern–eineForderung,diesichbereitsüber JahrzehntehingezogenhatteunddienunindreiAusbildungsjahrgängen nachamerikanischemVorbildverwirklichtwurde,bevordieDolmetscher ausbildungandasneugegründeteZentrumfürDeutscheGebärdenspra chederUniversitätverlegtwurde.ImKulturzentrumwurdeeineDolmet scherEinsatzZentraleeingerichtet.HeutehatauchdieGeschäftsstelleder DeutschenGehörlosenBundesinderBernadottestraße126ihrenSitz. WeitereEinrichtungenderGesellschaftzurFörderungderGehörlosen inHamburgsinddasBrunoKühneHausinderBernadottestraße126–ein WohnhausmitzwanzigEinundZweizimmerappartementsfüralleinlebende Gehörlose,benanntnachdemam1.Dezember1968verstorbenenlangjähri genVorsitzendendesLandesverbandsderGehörlosenundPräsidentendes DeutschenGehörlosenbundes–unddasHamburgerTaubstummenalten heiminVolksdorfmit40Plätzen,deren TrägerdieStiftungHamburger Taubstummenaltenheim ist.1130 Weitere MitgliedsStiftungen der Gesell schaftsinddieFamilieMadjeraStiftung,diedasseitFrühjahr1968beste hende Sonderheim für mehrfach behinderte hör und sprachgeschädigte KinderinHeideinHolsteinbetreibt,dieJobstundAnnaWichernStiftung, 1128
AusführlichdazusieheHannen,Gehörlosenbewegung,S.144–146.
1129
Ebd.
1130
FürdasersteTaubstummenaltenheimsammeltederAllgemeineTaubstummenUnterstüt zungsvereinseit1909Geldmittel,z.B.durchLotterien(siehedazuz.B.StAHbg,1111Senat, Cl.VIILit.QdNo.748Vol.1sowieTabellevonEugenTellschaft,AllgemeinerGehörlosenUn terstützungsvereinzuHamburgvon1891e.V.vom25.7.2001).
Das Kulturzentrum für Gehörlose
351
diedasSonderheimfürmehrfachbehindertetaubblindeundblindeMen scheninTensbüttel,KreisDithmarschenführt,unddieStiftungTaubstum menanstalt,dieTrägerdesSonderheimsfürjugendlicheunderwachsene HörgeschädigteundderWohngemeinschaftBüsumerStraßeinHeidein Holsteinist.1131
1131
ZudenHeimensieheauchimKapitel7.1.8StiftungenfürmehrfachbehinderteGehörlose.
9 Das Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser an der Universität Hamburg
Erstsehrspät–inden1980erJahren–setztesichinDeutschland,wotradi tionelldasLautspracheerlernenfürdieGehörlosenalsLernzielaneinziger Stellestand,1132dieErkenntnisdurch,dassdieGebärdensprachenichtlänger einSchattendaseinführendürfe.AndenSchulenlangeZeitnichtakzep tiertundinden1970erJahreninFormderLautsprachbegleitendenGebär den(LBG)alszusätzlicheHilfezumErlernenderLautspracheeingesetzt, begannensichLehrkräfteandenGehörlosenschulennunfürdieGebärden sprachezuinteressieren–zueinerZeit,indersichGehörlosezunehmend emanzipiertenundaufihreSprachealsAusdruckeinereigenerKulturbe sannen. Nur wer die Gebärdensprache beherrscht, kann in die Gemein schaftundindieihreigeneKulturGehörlosereindringen.EinfrühErtaub terodergehörlosGeborenergehörtdieserGemeinschaftpersean.Eine Lehrkraftsolltesichbemühen,dortEinblickzuerhalten. DieGebärdenspracheistkeinHilfsmittelundkeineNotlösung,sieist eineeigeneSprachemitvielfältigenAusdrucksmöglichkeiten.1133Gebärden spracheistnichtankonkreteoderbildhafteInhaltegebunden,wiezum BeispieldiePantomime;siekannebensogutwiejedeanderevollständige SprachekomplexeIdeenausdrücken.NichtzuletztistdieGebärdensprache einenatürlicheSprache,sieistdasKommunikationsmittelderGehörlosen untereinanderundsomitdieeigentlicheMutter,vielmehrGrundsprache. Dasaberheißt,dassdasgehörloseKindimgünstigstenFallezweisprachig 1132
NachAnsichtdermeistenGehörlosenpädagogenmussderLautsprachenerwerbauchheu tenochanersterStellestehen,dennumineinerhörendenWeltzuleben,zuüberleben,sich beruflichundmenschlichzuentwickeln,istdiegenaueKenntnisderLautspracheauchfür NichtHörendeunerlässlich.StreitpunktisthierbeinurdieGewichtungeinerklarenAusspra cheimVergleichzuSchriftsprache,VerständnisundSachwissen.
1133
DiePassageüberdieGebärdensprachealseigeneSprachefolgtdenAusführungenvon Penny BoyesBraem, Einführung in die Gebärdensprache und ihre Erforschung, Hamburg 1990.
354 Das Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser
aufwachsensollte,inGebärdenundderjeweiligenLandeslautsprache–wo beiergänztwerdenmuss,dassdieGebärdenspracheinallenLändernun terschiedlichistunddurchauskeine„erfundene“Sprachedarstellt. Die linguistischen Erkenntnisse über die Deutsche Gebärdensprache undihrDurchsetzenimBewusstseinderÖffentlichkeitwarendasErgebnis langjährigerForschungsundÜberzeugungsarbeitderHamburgerUniver sität.AusgangspunktwardieIdeeProf.OttoKröhnerts (19251993)Mitte der1970erJahre,dassGehörlosenpädagogikstudentenanderUniversität HamburgsprachwissenschaftlicheSeminarebelegensollten.AmSeminar fürdeutscheSprachewurdederAssistentSiegmundPrillwitzdamitbeauf tragt.ErschautesichamkünftigenArbeitsplatzderGehörlosenpädagogen um–undwarfasziniertvondengehörlosenSchülerinnenundSchülern undihrervisuellenSprache.1134MitdengehörlosenHamburgernAlexander vonMeyenn,HeikoZienertundWolfgangSchmidt,diesichinderDolmet scherausbildungengagierten,wurdeeineArbeitsgruppezuerstzurgram matischen Erforschung der Gebärden gebildet, aus der 1983 die „For schungsstellefürDeutscheGebärdensprache“entstand. ImGegensatzzudenlautsprachbegleitendenGebärden,diedieLaut spracheinihrergrammatikalischenFormWortfürWortinGebärdenüber trägt, istdie Gebärdensprache eine Sprache mit eigener Grammatik, die sehrkomplexistundfüreinWort,fürdasesinderLautsprachenureine gebrauchteFormgibt,vieleGebärdenhat,jenachdeminwelcherBedeu tungundinwelchemZusammenhangdasWortgenutztwird.Gebärden sprachebedeutetnicht,dassalleindieGebärde–UnterschiedeinHandform, HandstellungundBewegung–eingesetztwird,sondernebensoMimik,Be wegung,Mundbild,OrtderAusführunginBezugaufdenKörperdesGe bärdendenundeinigeElementemehr. DieKomplexitätdieserSprachezeigtsichaneinergrafischenAufstel lung,dieimKapitel„GebärdenspracheGehörloser“imBuch„Zeigmirbei deSprachen“vonSiegmundPrillwitzabgebildetist:DasSprachinstrument fürGebärdensprachewirdeingeteiltin1.Gesicht,unterteiltinMimik,Au gen (Augenausdruck und Blickrichtung) und Mund (Mundgestik und Mundbilder),2.Hände,unterteiltinStrukturderGebärde(alsoHandform, Handstellung, Ausführungsstelle und Bewegung), zweihändige Gebärde 1134 Vgl.InterviewmitPrillwitzbei„SehenstattHören“am20.August2005,nachzulesenun terhttp://www.taubenschlag.de/html/ssh/1238.pdf,abgerufenam20.9.2005.
Das Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser 355
(Symmetrieform,Mittelform,Dominanzform,ZweihandKomplex),3.Kör perhaltung,eingeteiltinKopf,Schultern,OberkörperundGestik.Weiter zählenauchDeiktik,alsoBlickrichtung,KopfrichtungundZeigenderHän desowieKontextinBezugaufThema,PersonundSituation. Das Hamburger Institut hatte den Begriff Deutsche Gebärdensprache wiederbelebt–unddamitunterGehörlosenpädagogen,Elterngehörloser Kinder,aberauchunterSpätertaubtenundGehörlosen,dieihreSpracheals „plaudern“bezeichnen,inein„emotionalesWespennest“gestochen.1135 DieErkenntnis,dassgehörloseKinderbesserzweisprachigaufwachsen sollten,setztesicherstindenletztenzwanzigJahrendurch. 1136DenAnstoß dazu gab die oben genannte „Forschungsstelle Deutsche Gebärdenspra che“anderUniversitätHamburg,dienachzehnjährigerArbeitam11.Mai 1987 als „Zentrum für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser“unterihremLeiter,ProfessorSiegmundPrillwitz,demFachbe reich Sprachwissenschaftenangegliedertwurde.1137 1997wurdedasZen trumineineigenständigesInstitutumgewandelt.2003arbeitetendortbe reits drei Professoren, 15 hörende fest angestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeitersowierund30meistgehörlosebefristetbeschäftigteProjektmit arbeiter.1138DasInstitutistdieeinzigeEinrichtungdieserArtimdeutschen Sprachraum,inderdieGebärdenspracheinihrerEntwicklung,ihremAuf bauundihrerGeschichteerforschtwird,umsounteranderemdiepositive BedeutungdieserSprachefürdieGehörlosendeutlichzumachen.EinZiel, dieAnerkennungderdeutschenGebärdensprachealsvollwertigeSprache, konnte2002erreichtwerden.DasimInstitutintegrierteLektoratfürDeut scheGebärdensprachewirdvongehörlosenMitarbeiterngeleitet.Dankder ArbeitdesInstituts,andemdieDeutscheGebärdenspracheerstmalsnach amerikanischemVorbildlinguistischuntersuchtwurde,hatheutedieGe bärdenspracheinDeutschlandAnerkennunggefundenundsindGehörlose 1135
Ebd.
1136
Abca.1979gabesForschungsprojekte,diesichdiesesThemasannahmen.Hierzuundim FolgendenSiegmundPrillwitz(Hg.),ZeigmirbeideSprachen,Hamburg1991.
1137
„Affensprache“derGebärdenwissenschaftlichanerkannt,in:Unihh,Nr.4,Juni1987,S.3–5; Siegmund Prillwitz, Zur Gründung des überregionalen Zentrums für Deutsche Gebärden sprache und Kommunikation Gehörloser der Universität Hamburg, in: Das Zeichen. Zeit schriftzumThemaGebärdenspracheundKommunikationGehörloser1(1987),S.912.
1138 UweWestphal,HastduWorte?Nein,Gebärden!In:HamburgerAbendblattvom15.7.2003, BeilageS.7.
356 Das Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser
dadurchselbstbewusstergeworden.1139AuchinderPädagogikwurdebe gonnen,nebenderdeutschenLautsprachedieDeutscheGebärdensprache alsSpracheGehörloserimUnterrichtzulehrenundzuverwenden.AmIn stitutwurdezudemeinNotationssystemfürGebärdensprachen(Hamburg NotationSystemforSignLanguages„HamNoSys“)entwickelt,dasfürdie ErforschungundErläuterungderDGSunerlässlichgewordenist.Esfehlt allerdingsnochimmereinefürdenUnterrichtbrauchbareVerschriftlichung. Das„SuttonSignwirting“SystemderderAmerikanerinValerieSutton(geb. 1951)ist,dankVerbreitungdurchdasInternet,amgebräuchlichsten,um dreidimensionaleGebärdensprachenschriftlichunddamitzweidimensio naldarzustellen.WeitereProjekteamInstitutversuchen,denComputerals Kommunikatormiteinzubeziehen,derGebärdenerkennenundbewegte Bilderliefernsoll.NebeneinemComputerGebärdenlexikonerfassenMit arbeiterdesInstitutsauchdiedeutschenGebärdeninallihrenregionalen UnterschiedenineinemGebärdenlexikon.EinneuesProjekt–gestartetim September2002–istdieEntwicklungeinesvirtuellenGebärdensprachdol metschers,derInternetseiteninbewegteDGSamBildschirmdirektüber setzensoll.1140 InderPraxisrichtetsichdasInstitutmitseinenKursenan alle,diemitGehörlosenarbeiten,anMediziner,Soziologen,Sozialpädago gen,PsychologenundnatürlichSonderpädagogen.IhreArbeitkommtder WeiterbildungvonGehörlosenlehrkräftenzugute.SoistseitdemWinterse mester1993dem Zentrum derAusbildungsgangeines Gebärdendolmet schers,begonnenzunächstalsModellversuch,angeschlossenworden.Der AndrangbeidenGebärdenkursenwargleichzuBeginnsogroß,dassStu dierendeteilweiseandasKulturundFreizeitzentrumanderBernadotte straßemitdendortigenvonGehörlosengeleitetenKurseninDGSauswei chenmussten.InVerbindungmitdemStudiumdesGebärdendolmetschers wurdeaucheinStudienschwerpunktfürHörgeschädigteanderUniversi tätHamburgeingerichtet.SeitdemWintersemester1992kannjederHören de oder Gehörlose – mit Zulassung jeweils zum Wintersemester – den
1139 Vgl.„SehenstattHören“vom20.August2005:„ProfessorPrillwitzundseinTeam“.Hier wirdPrillwitzinseinerBedeutungfürDeutschlandmitdemamerikanischenSprachwissen schaftlerWilliamStokoe(1919–2000)verglichen,deralsersterdieVollwertigkeitderGebär densprachedurchseinelinguistischenForschungenbewies(Text der Sendungnachzulesen unterhttp://www.taubenschlag.de/html/ssh/1238.pdf,abgerufenam20.9.2005). 1140
Ebd.
Das Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser 357
sprachwissenschaftlichen Studiengang „Gebärdensprachen“ belegen.1141 2003studiertenrund250meistHörendeamInstitut,davonungefährdie Hälfte im DiplomStudiengang Gebärdensprachdolmetschen, der sie zu Gebärdensprachdolmetschernausbildet.1142 AuchwennDeutschlandnoch weitentferntistvoneinerGehörlosenUniversitätwiedem1864gegründe tenGallaudetCollegeinWashingtonD.C.indenUSA,einerHochschule fürGehörlose,welcheihreStudenteninderamerikanischenGebärdenspra che,derASL(AmericanSignLanguage),unterrichtet,soistdocheinSchritt indierichtigeRichtunggetanworden.BegabtenSchulabsolventensollte, egal ob sie gehörlos, hörend, blind oder sich anders von „vollsinnigen“ Menschenunterscheidend,eingleichwertigesStudiumermöglichtwerden. Allerdingsmussgesagtwerden,dassgehörloseHamburger,dieihrAbitur ablegenmöchten,umzustudieren,nachEssenoderMünchenindiedorti genInternateziehenmüssen,denninHamburggibtesnochkeineKlasse fürsie. DasimöffentlichenInteressegewachseneInstitutfürDeutscheGebär denspracheundKommunikationGehörlosererhieltam21.September1994 ein weiteres, eigenes Gebäude auf dem Campus der Universität Ham burg.1143 DasInstituthatForderungenformuliertfürdieAusbildungvon Gehörlosen:Zweisprachigaufwachsenheißt,dassmitHilfeder„Mutter spracheGebärdensprache“dieLautspracheaufgebautwird.Schoninder Früherziehung und dann im Kindergarten sollte der Lautsprachaufbau stattfindenmitHörübungen,LesenundSprechen.ZielistdieErweiterung 1141
DervorläufigeStudienplanfürdasFachGebärdensprachenmitAbschlussMagisterfindet sichin:DasZeichen20(1992)undimInternetunterhttp://www.signlang.unihamburg.de/ Info/STPMAG1998, abgerufen am 25.8.1999. Aktuelle Studienordnungen finden sich unter: http://www.signlang.unihamburg.de/Studium/index.html, abgerufen am 15.9.2007. Bis 1995 hatten70Hörgeschädigte,davonca.einDrittelGehörlose,dasStudiumanderHamburger Universitätaufgenommen(SiegmundPrillwitz,GebärdenspracheinErziehungundBildung Gehörloser.VersucheinerStandortbestimmung,in:DasZeichen32(1995),S.166–169,hier: S.166). Die Bundesarbeitsgemeinschaft Hörbehinderter Studenten und Absolventen e. V. (BHSA)unterstütztseit1986alsSelbsthilfegruppeHörbehinderteinStudiumundBeruf.Der Vereinhatbereitsüber300Mitglieder.AnHamburgerHochschulenvertrittseit1994die„interes sengemeinschaftderDeafstudentenInnen“(iDeas)gehörloseStudierende.
1142
Diplomprüfungsordnung sieheAmtlicher Anzeiger, Teil IIdes HamburgischenGesetz undVerordnungsblattesNr.46vom22.4.1998,S.1017–1022.Hamburgwardieersteundlange ZeiteinzigedeutscheStadt,inderdieuniversitäreAusbildungzumGebärdensprachdolmet scher/Gebärdensprachdolmetscherinmöglichwar.
1143
HamburgerAbendblattNr.222vom22.9.1994,S.19.
358 Das Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser
dersprachlichkommunikativenFähigkeiten.Ansonstensolltediespontane KommunikationinGebärdenspracheverlaufen.DieSchulesolltekomplexe Sachthemen in der DGS unterrichten, Hauptgewicht des schulischen SprachunterrichtssolltedanndieLautsprachesein.WichtigistdasVerste henLernenderGrammatikundderBedeutungderLautundSchriftspra che der Hörenden, um sich in dieser hörenden Welt zurecht zu finden. Sprachunterricht heißt Artikulationstraining, Sprech, Grammatik und Kommunikationsunterricht. Wortbedeutungen können mittels DGS um schriebenunderklärtwerden.AmEndederAusbildung„solltederGehör loseselbstbewusstseinenStandortinderWirklichkeitsehen“,„vollspra chig“ in der Gebärdensprache sein und über darauf aufgebaute solide LautundSchriftsprachkenntnisseverfügen.DerGehörlosesolltenichtals behinderter Mensch, sondern als ein anderssprachiger Mensch gesehen werden.UmseineIntelligenzundPersönlichkeitentfaltenzukönnen,muss voneinerMutterspracheausgehenddieFremdspracheerlerntwerden,hier dieLautsprache,die,umdieWerteunddasWisseneinerGesellschaftken nenlernenzukönnen,notwendigist.
10 Gehörlosenseelsorge
AlsAntriebsfederfürHörende,Gehörlosezuunterrichten,wirdseitAnbe ginndieReligiongenannt.SchonSamuelHeinickewolltemitseinemUn terrichterreichen,dassGehörlosekonfirmiertwerdenkonntenunddamit dasgleichefeierlicheEndedesSchullebenshattenwieHörende.WennGe hörloseamAbendmahlteilnahmen,warHeinickesBildungszielerreicht. AuchinspäterenJahrenhabensichhörendeLehrkräfteausgehendvonre ligiösenVorstellungenfürdieGehörlosenpädagogikinteressiert.1144 EineHamburgerGehörlosengemeindemusstedemnachnichtextrage gründetwerden.ImvorvergangenenJahrhunderterhieltenKinder„religi öse Erbauungsstunden“ zusätzlich zum täglichen Umgang mit Religion. AuchinspäterenJahrenwurdegroßerWertaufdenReligionsunterrichtge legt.VieleGehörlosewurdenzugläubigenMenschenundhatteninder GlaubensgemeinschafteineweiteregemeinsameVerbindung. Die Seelsorge derGehörlosen wurde vomBund der deutschenTaub stummenlehrer1906und1912alsPflichtderKircheerklärt.VordemEnde des Ersten Weltkriegs hatten die Taubstummenlehrkräfte Religions und Konfirmandenunterricht an den Schulen erteilt. Die Konfirmationen in HamburgwurdenanderfürdenStadtteilinderdieGehörlosenschulelag zuständigenErlöserkirchezuBorgfeldeabgenommen.1145 1922wurdeein malimMonatimFestsaalderHamburgerTaubstummenanstalteinGottes dienstfürerwachseneGehörloseabgehalten.1146IndiesemJahrbekamder KirchenkreisStormarn,kurzdaraufauchAltona,einenvonderKirchebe 1144
StAHbg,6221GustavMarr,1,RedevonDr.GustavMarranlässlichdes100jährigenJubi läums,o.D.[1927],Bl.7f.:„EsmussnurdasgroßeGeheimnisunseresHerrnJesusnachge ahmtwerden,der[…]ihnabseitsführteundsichmitihmalleinbeschäftigte.InseinenSpuren versuchenunsereLehrerzuhandeln.SienehmenunserekleinenTaubstummeneinzelnvor undzeigenihnen,jedemfürsich,wiedasAundOgebildetwirdundwiedarausdieSprache sichlangsamentwickletundsobezwingensiediegrosseschwerefürchterlicheStilleundEin samkeit,dieumsieherumausgebreitetliegt.“
1145 1146
ZurHamburgerGehörlosenseelsorge:GesprächmitPastorMartinRehderam4.4.1995.
BerichtderTaubstummenAnstaltfürHamburgunddasHamburgerGebietfürdieJahre 1920/26,hierS.1,in:StAHbg,3612V,OSBV,508bBand2.
360
Gehörlosenseelsorge
stellten Gehörlosenseelsorger.MitderFeierdes100jährigenHamburger Schuljubiläums1927wurdeauchfürHamburgeineigenerGehörlosenseel sorger eingesetzt. Im Juni 1928 wurde der Ohlsdorfer Friedhofspastor Friedrich Wapenhensch (1893–1962), Pastor am Barmbeker Krankenhaus alsnebenberuflicherSeelsorgerfürdieGehörlosenHamburgsinseinAmt eingeführt.1147EswardasJahr,indeminEisenachderReichsverbandevan gelischerTaubstummenseelsorgermitSitzinBerlingegründetwurde.1148 Dieserwurde1933alsReichsverbandderGehörlosenseelsorgerDeutsch landsderNSVolkswohlfahrtangegliedert.Danebengabesseit1936den ReichsverbandfürGehörlosenwohlfahrtmitSitzinMünchen.1149Auchdie Gehörlosenseelsorger stellten sich während der nationalsozialistischen HerrschaftinihrenÄußerungenaufdie„neueZeit“ein.Siebefürworteten dasGzVeNundtrugendazubei,dassGehörloselangeZeitüberdasanih nen begangene Unrecht schwiegen. So gab es ein Informationsblatt des ReichsverbandesderevangelischenTaubstummenSeelsorger,derdieGe hörlosenzurMeldungzurSterilisationaufforderte,unteranderemmitden Worten„[...]DudarfstDeinGebrechennichtnochweiteraufKinderoderGroß kindervererben;DumusstohneKinderbleiben.[...]DuwirstdieWahrheitsa gen, wennDugefragtwirst.DennsowillesGottvonDir!Duwirstdie Wahrheitsagenauchdann,wenndasunangenehmist.[...] Niemanddarf über die Unfruchtbarkeit sprechen. Du selbst auch nicht. Merke wohl: Du darfstzukeinemMenschendarübersprechen![...]“.1150Andiesesauferlegte SchweigegebothieltensichgehörloseMenschen,diedurchdasGzVeNste rilisiert wurden, lange. Scham, Minderwertigkeitsgefühle, seelische und körperlicheSchmerzenverfolgtenundverfolgendieOpfervondamalsbis heute.1151 1147
HamburgerFremdenblattNr.27vom18.6.1928.FriedrichWapenhensch,dervor1928Pas torundTaubstummenseelsorgerinPommerngewesenwar,versahseinAmtbis1952.Danach warerbis1961alsSeemannspastorinCuxhaventätig(Gesetze,VerordnungenundMitteilun genderEvangelischlutherischenKircheimHamburgischenStaate,1962,S.33f.).
1148
Schumann,GeschichtedesTaubstummenwesens,S.670.
1149
Ebd.,S.675.
1150
„EinWortandieerbkrankenevangelischenTaubstummen“desReichsverbandesderevan gelischen TaubstummenSeelsorger Deutschlands. Hervorhebungen im Original (nach: Bie sold,KlagendeHände,S.30). 1151
HorstBiesoldwertetinseinerVeröffentlichung„KlagendeHände“eineumfangreicheFra gebogenaktionaus.Zielseiner1979begonnenenForschungüberZwangssterilisierungenGe hörloser im „Dritten Reich“ unter bewusst weitreichender Einbeziehung von Opferbiogra
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NachdemKriegwareswiederPastorFriedrichWapenhensch,derdie inHamburgverbliebenenGehörlosen–ihreZahlwarvoncirca1000im Jahr1928auf200imJuli1946gesunken–betreute,indemerseelsorgerisch tätigwarundab1946wiederGottesdiensteabhielt.ErpredigteinderLaut sprache und setzte daneben Gebärden für ein besseres Verständnis ein. SeinZielwares,ineinfachenundeindringlichenWortendasEvangelium zuverkünden.Ab1946gabPastorWapenhenschauchwiederwährendder SchulzeitKonfirmandenunterrichtfürdieSchülerderGehörlosenschule.1152 Von1952anwarderhauptamtlichalsLeiterdesFriedhofspfarramtesOhls dorftätigePastorArnoldDummann(1908–1987)nebenamtlichfürdiege hörloseGemeindezuständig.1153 Schonseit1950hatteermehrundmehr dieseelsorgerischeArbeitmitGehörlosenübernommen.EinmalimMonat gaberhalbstündigeGottesdienste.Aucherbeherrschtedielautsprachbe gleitendeGebärdeundhieltseinePredigtenineinerMischungzwischen LautspracheundlautsprachbegleitenderGebärdeab.NebenGottesdiens
phienundGesprächenwar„dieAkzeptanzdeseigenenSchicksals“,dienurdurchErkennen undVerinnerlichungdes„historischenAblaufdesUnrechts“zuerreichenwarundsomit„ein HeraustretenausdemDunkelderOhnmacht,EntwürdigungundIsolation“möglicherschien (Biesold,KlagendeHände,S.7).AlseinerdererstenwarDr.Feuchteseitca.1967darumbe müht,GehörlosendieAnerkennungalsVerfolgtedesNationalsozialismusundWiedergutma chungzuverschaffen,dochwarkeinBundeslanddazubereit.Erst1980konntenzwangssteri lisierte Gehörlose eine einmalige Abfindung von 5.000 DM erhalten. In Berlin werden Zwangssterilisierteseitdem1.1.1993alspolitisch,rassischundreligiösVerfolgteanerkannt undhabenAnspruchaufeineGrundrente(Dt.Arbeitsgemeinschaftev.Gehörlosenseelsorge, Zwangssterilisation,S.3und5). 1152
StAHbg,36210/2SprachheilschuleZitzewitzstraße,BerichtüberdieTagungderVertreter derSchulenfürGehörundSprachgeschädigteinderbritischenZoneDeutschlandsvom18. und19.7.1946inHamburg;Bl.14f.:VortragvonPastorWapenhensch.AuchevangelischeReli gionwurdeanderSchulevondenjeweiligenPastorenbzw.derGemeindehelferinAdaJessen (s. u.) unterrichtet. Katholische Kinder bekamen ihren Religionsunterricht ab 1958 durch KaplanHaneken(StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Mappe15(Ablie ferungsverzeichnis),Lehrerkonferenzen1956–1962,Konferenzvom14.1.1958),bis1968dann durchJosephaStephan,ab1968durchWalterEckel.NachKaplanHan(n)eken,derdiekatholi scheGehörlosengemeindeaufgebauthatte,warVikarKarlJosephRudolph fürdiekatholi schen Gehörlosen von Lüneburg bis Kiel zuständig (Mitteilungen der Gesellschaft, 1968, S.10). 1153
PastorDummann warbisEnde1969 geschäftsführender Pastor,bis1973Mitarbeiterdes Friedhofamtes(VerzeichnisderGemeindenundPastorenderNordelbischenEvangelischLu therischenKirche,1977,S.136)AußerdemwarerimVorstandderTaubstummenanstalttätig. UnterstütztinseinerGemeindearbeitwurdeervonPastora.D.ChristianBünz,derdieGe hörloseninWandsbekundLübeckbetreute.
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Gehörlosenseelsorge
tenundKonfirmandenunterrichtfürdieKinderinderGehörlosenschule warerinseinersichüberganzHamburgerstreckendenGemeindeunter wegs,umHausbesuchezumachen,seelsorgerischtätigzuseinundfürdie ProblemederMitgliederseinerGemeindeAnsprechpartnerzusein.11541957 hießesineinemZeitungsartikel,dasseinPastor,dervoreinergehörlosen Gemeindesteht,sicheinereinfachenundanschaulichenSprachebedienen sollte.AlleineineschlichteDenkundRedeweiseseifürdieGehörlosen verständlich.1155 Gottesdienste wurden in der St.MartinsKapelle in der St.PetriKircheabgehalten.
Abbildung 71: Pastor Martin Rehder
1154
StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Mappe17„Taubstummenan stalt“(Ablieferungsverzeichnis),Milberg,KlangundSprache.
1155 EngdahlThygesen,TaubstummenGottesdienst.DankbareGemeindeinderSt.Martins Kapelle,in:HamburgerAnzeigervom24.1.1957.
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AbOktober1964erteiltePastorMartinRehder(geb.1936)denKonfirman denunterrichtinderGehörlosenschule,1156 am1.Januar1965wurdeerals Gehörlosenseelsorgernebenberuflichangestellt.Rehderwarschoninsei nerStudienzeitmitderGebärdenspracheinKontaktgekommen.Während seinerAusbildungszeitalsVikarinSchleswigwurdeervonderKircheals künftigerGehörlosenseelsorgerausgesucht.ErwareinhalbesJahrander GehörlosenschuletätigundlernteinderFreizeitvondenKindernGebärden. 1961übernahmRehderdieStelleeinesGemeindevikarsanderChristuskir cheinWandsbekundhieltdortseinenerstenGehörlosengottesdienst.Der dortigeSeelsorgerChristianBünzhinterließihmeineSeelsorgerkartei,die dieZeitseinerTätigkeitvon1922bis1957dokumentierte.1964wurdendie KirchenkreiseStormarn,Niendorf,AltonaundBlankenesevereinigt,und Rehder übernahmmitseinemneuenPastoratinBarsbüttelWillinghusen, einerkleinenGemeindeamRandeHamburgs,auchdieGehörlosenseelsor gefürdasganzeHamburgerGebiet.1977kammitderGründungderNor delbischenEvangelischlutherischenKircheauchHarburgdazu.Während imIdealfallvor1964jederKirchenkreiseinenGehörlosenbeauftragtenbe schäftigte,1157 warendieseÄmterjetztineinerHandvereint.DieGottes dienstederGehörlosengemeindewurdenbis1982inderAltonaerOsterkir cheundinderChristuskirchezuWandsbekgefeiert.Dievorherüblichen Gottesdienste in der St. MartinsKapelle zuSt.Petri hatte Pastor Rehder aufgegeben,weildortnichtdieMöglichkeitzuanschließendemgeselligen BeisammenseinbeiKaffeeundKuchengegebenwar,so,wieeresvonsei nenLandgemeindengewohntwarundwieeresauchfürdieHamburger Gehörlosengemeindeeinführte.AlsdanndieOsterkircheeineNutzungsge bührverlangte,zogdieGemeindenachGroßFlottbekindiedortigeKirche um.Ab1977predigtePastorRehderauchinderHarburgerSt.Johanniskir che. Als Vorstandsmitglied der Milden Stiftung Taubstummenaltenheim hielterimAltenheimHausgottesdiensteab.1977umfasstederSeelsorge bezirkdieKirchenkreiseAltHamburg,Altona,Blankenese,Harburg,Nien dorfundStormarn,dochkamenauchGehörloseausdenumliegendenOrten Pinneberg,Bargteheide,Geesthacht,LüneburgundStade.1158 DiePredigt texteder34GottesdiensteimJahr–monatlichinderChristuskirche,im 1156 1157
GesprächmitPastorMartinRehderam4.4.1995.
Vor1977warfürHarburgWalterVolkerding aus Hannover zuständig,vor1964fürdas AltHamburger Gebiet Pastor ArnoldDummann.Altona wechselte seine Gehörlosenbeauf tragtendesÖfterenundBlankeneseundNiendorfhattenkeineGehörlosenseelsorger.
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Gehörlosenseelsorge
monatlichenWechselinderFlottbekerKircheundderHarburgerJohannis kirche–erscheinenseit1962zusammenmitAnkündigungenimGemein debrief.DieseTextehattePastorRehderursprünglichgeschrieben,umsie durcheinenGehörlosenfürdiePredigtindielautsprachbegleitendeGebär de(LBG)übersetzenzulassen.SoerweiterteerseineGebärdenkenntnisse undgewannmitderZeiteinenreichenWortschatz.DieErlöserkirchein BorgfeldewartraditionelldieKonfirmationskirchegewesen,bissie1943 zerstört wurde.1159 Ein Versuch, später an diese Tradition anzuknüpfen, wurderaschwiederbeigelegt,undseit1968wardie„Heimatkirche“von PastorRehderinBarsbüttelauchKonfirmationskirche.PastorRehderhatte nebendereigenenGemeindeinWillinghusenunddemAmtderGehörlo senseelsorgenochmannigfaltigeandereAufgabenübernommen,sobetreu teerzusammenmitdemseit1969alsSchwerhörigenseelsorgereingesetz tenDr.DietfriedGewalt(geb.1939)dieSpätertaubten,Schwerhörigenund taubblindenGemeindemitglieder,1160außerdemwurdeer1981Missionsbe auftragterderDeutschenGehörlosenMission.1161 IndenGehörlosengottesdienstenwirdkeinUnterschiedzwischenden Konfessionengemacht,alleGehörlosensindzudenGottesdienstengela den.So,wieallegehörlosengläubigen Hamburgerbis2001zu denGe meindevorstandssitzungen eingeladen waren. Bei diesen seit 1985 beste hendenSitzungenwarjederAnwesendeüber16Jahrestimmberechtigt.Als 1158 MartinRehder,ÜbersichtüberdieGehörlosenseelsorge1977inHamburg,in:150JahreGe hörlosenbildung,S.93. 1159 IrisGroschek,GemeindechronikderErlöserkircheBorgfelde.„JesusChristusgesternund heuteundderselbeauchinEwigkeit“(VeröffentlichungendesArchivsdesKirchenkreisesAlt HamburgBand8),Hamburg2000,S.60–67. 1160
DieTaubblindenwurdenvorherdurcheineselbstfasttaubblindePastorinbetreut.DieAr beitsgebietevonPastorRehderundDr.Gewaltwarennichtstrengzutrennen.Jenachdem,zu welcherGruppemansichzugehörigfühlt,sindSchwerhörigeauchindergebärdendenGe hörlosengemeinschaftintegriertoderGehörlose,diegutvondenLippenablesenkönnen,auch inderlautsprachorientiertenSchwerhörigengemeinschaftzufinden.AktuellgibteskeineGe meindederSchwerhörigen,wasmitdemgeringenOrganisationsgradderSchwerhörigenund Ertaubtenzusammenhängt(freundlicheMitteilungvonDr.DietfriedGewaltam15.4.2006). Zur Geschichte der Schwerhörigenseelsorge in Hamburg bis 1945 siehe Dietfried Gewalt, EvangelischeSchwerhörigenseelsorgeinHamburg biszumZweitenWeltkrieg(Veröffentli chungendesArchivsdesKirchenkreisesAltHamburgBand36),Hamburg2007.
1161
1955warvonFinnlandundSchwedendieersteGehörlosenschuleinAfrikainderStadt KereninEritreagegründetworden,dieheuteeinGehörloseninternatist. Deutschland stieg 1980indieGehörlosenmissioneinundgründetezusammenmitdenschwedischenundfinni schenGehörlosenmissionenein„JointCommittee“.
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VorläuferdesGemeindevorstandsgabesdensogenannten„Mitarbeiter kreis“.HilfeninseinerseelsorgerischenArbeithatteinseinervierzigjähri genTätigkeitPastorRehderdurchdieGemeindepflegerinnen,von1970bis 1978durchAdaJessen(1918–1994),von1978bis1981durchGesineRam cke.SpäterübernahmseineEhefraudieseArbeit.Seit1.August1993stand PastorRehder einzweiterGehörlosenseelsorgerzurSeite,derehemalige MilitärseelsorgerEckartSchaade(geb.1941),derdiesenBerufhauptamtlich ausübt.Am25.Februar2001wurdePastorRehdervonseinerGehörlosen gemeindeinHamburgverabschiedet,währendersichschoneinJahrzuvor vonderLeitungderGehörlosenmissionhatteentbindenlassen.1162 Heute gibtesmitPastorRehdersTochterPastorinSystaEhm(geb.1965)undPas torEckartSchaadezweiSeelsorgeralsAnsprechpartnerfürdieHamburger Gehörlosengemeinde,dieihreGottesdiensteundGesprächskreiseinden verschiedenenGemeindenderHamburgischenLandeskircheabhalten.Als Hauptkirchefungiert dabeidieChristuskircheWandsbekmitachtGottes dienstenimJahr.WeitereKirchenmitjeweilsfünfGottesdienstenproJahr sinddieSt.JohanniskircheHarburg,dieKircheamNiendorferMarktund die Groß Flottbeker Kirche. Einmal im Monat halten sie zudem Gottes diensteimTaubstummenaltenheimab.1163 Bis Anfang 1990 unterrichtete Martin Rehder als evangelischlutheri scherPastorinderNachfolgeseinerGemeindehelferin,AdaJessen,diebis 1978einenLehrauftragfürReligionanderSamuelHeinickeSchulehatte, ReligionanderHamburgerGehörlosenschule.DaabervieleKinderande renGlaubensinderSchuleunterrichtetwerdenundesQuerelengab,ob diesedirektereligiöseBeeinflussunginderSchulegutzuheißensei,wurde der eigenständige Religionsunterricht zunächst als Fach aufgegeben.1164 VielmehrsollteReligionsfragenindennormalenUnterrichteinfließen,was nurinverschwindendemMaßegeschah.2003beendetedanndiegehörlose Religionslehrerin Anne Bauermann ihr Referendariat an der Schule für 1162
SystaEhm,…erzogaberseineStraßefröhlich.PastorRehderinHamburgverabschiedet, in:UnsereGemeinde,April2001.
1163
JedeszweiteJahrfindetzudemeingemeinsamerGottesdienstmitderhörendenGemeinde in Volksdorf statt. Pfingstmontag ist Gottesdienst in Ochsenwerder, Heiligabend in der HauptkircheSt.Katharinen.AberauchSt.KatharinenwarschoneinmalGastgeberinderGe hörlosenseelsorger(SchreibenvonSystaEhmandieVerfasserinvom17.2.2004). 1164 InformationenzuderZeitnach1990entstammendemGesprächmit Schulleiter Georg Männicham10.10.1994.
366
Gehörlosenseelsorge
Hörgeschädigte und wurde anschließend in den Schuldienst übernom men.1165EinmalimMonatwirdzusätzlichdurchAnneBauermannunddie beidenGehörlosenseelsorgereinTaglangKonfirmationsunterrichtals„of fenerUnterricht“fürdieKonfirmandenundEhemaligenerteilt.Zweimal imJahrwerdenimGehörlosenseelsorgerkonvent,andemauchdieSchul leiterundderHamburgerSchwerhörigenseelsorgerDr.Gewaltteilnehmen, RichtlinienundGedankenzumReligionsunterrichtausgetauscht.1166 DieGehörlosengemeindeumfasstetraditionelldasgesamteHambur gerGebiet,alleevangelischenGehörlosenwarenindieserGemeinschaft zusammengefasst, die einen eigenen Kirchenvorstand hatte und auch sonstwiejedeanderechristlicheGemeindearbeitete.HeutesindGehör lose Mitglieder ihrer Ortsgemeinden. Die Angebote, die die Hamburger evangelischen Gehörlosenseelsorger machen, richten sich heute an circa 2000MenschenimEinzugsgebietHamburgs–Gehörlose,Spätertaubte,hö rende Angehörige und zunehmend Schwerhörige. Darüber hinaus kom menevangelischeundkatholischeChristen,russischbzw.griechischor thodoxe, freikirchlicheChristenundAusgetreteneausdernordelbischen LandeskirchegenausowieausbenachbartenLandeskirchen–vorhandene Grenzenwerdendabeiüberschritten.UnddasistvonderderzeitigenSeel sorgerinausdrücklicherwünschtundTeilihresGemeindeverständnisses: Eine Gemeinde entsteht durch ihr Zusammenkommen.1167 Schon Pastor Rehder erwartetefürdieZukunftinAnlehnungandieherrschendeAuf wertungderGebärdenspracheeinestärkereNachfragenachDGSinden Gottesdiensten,allerdingswarzuseinerZeitdieSpracheseinercirca1000 MitgliederumfassendenGemeindemitvielenälterenGehörlosenmitora lerErziehungdieLBG.IndenHauptgottesdienstenwirdauchheutedie LBGbenutzt,währendindenviermaljährlichstattfindendenFamiliengot tesdienstenDGSodereineMischformgenutztwird.PastorinSystaEhmbe herrscht die DGS und setzt Gebärdenpoesie auch während ihrer Amts handlungenein.1168WeiterekirchlicheVeranstaltungensindBibelfreizeiten undimZweijahresrhythmusGehörlosenkirchentage(einerwurdeimJuni 1981inHamburgveranstaltet).DieseEinrichtungbestehtbereitsseitden 1165
SchreibenvonSystaEhmvom17.2.2004.
1166
GesprächmitPastorMartinRehderam4.4.1995.
1167
SchreibenvonSystaEhmvom17.2.2004.
1168
Ebd.
Gehörlosenseelsorge
367
1920erJahren,unterdenNationalsozialistenwurdendieKirchentageein gestelltunderst1964wiederaufgenommen.DieTraditionderKirchenfeste fürGehörlosegibtesschonseit1868,alsBerlinerGehörlosedasersteKir chenfestorganisierten,andemüber1000GehörloseausganzDeutschland teilnahmen.1169ImMai1994fanddervorerstletztespezielleKirchentagin Lübeckstatt,seit1975gibtesaufdemdeutschenevangelischenKirchentag ein eigenes GehörlosenProgramm. 1995 feierte die Gehörlosengemeinde ihren Kirchentag gemeinsam mit dem allgemeinen deutschen evangeli schenKirchentaginHamburg.Esgabunterden47Eröffnungsgottesdiens tenspezielleGottesdienstefürGehörlose(ChristusKircheWandsbek)und fürSpätertaubteundSchwerhörige(St.GertrudUhlenhorst).
1169
StA Hbg, 3311 Politische Polizei, Sa 80, Hamburgischer Correspondent Nr. 467 vom 5.7.1892;Worseck,Gehörlosenbewegung,S.4.
11 Zusammenfassung und Ausblick
DievorliegendeUntersuchunggibterstmalseinenÜberblicküberdieEnt wicklungdersogenannten„Taubstummenbildung“,derGehörlosenpäd agogikinHamburgvondenAnfängenim18.Jahrhundertbisheute.Dabei istdieRolleHamburgsalsImpulsgeberinderEntwicklungderGehörlo senpädagogikinDeutschlanddeutlichgeworden.Beginnendmitderers ten Schule für Gehörlose, die Samuel Heinicke im heutigen Hamburger StadtteilEppendorfaufbaute,führtdieseArbeitvonderSchulgründung der Milden Stiftung Taubstummenanstalt über die Verstaatlichung der Schule,überdieAdaptionschulpolitischerForderungenderWeimarerRe publikanderSchuleunddieselektierendeRolleihrerLehrerimNational sozialismus bis hin zur Aufgabe der Selbstständigkeit der SamuelHei nickeSchule(heuteSchulefürHörgeschädigteAbteilungII)imJahr2000. Endedes20.JahrhundertswareswiederdieHamburgerSchule,diemit derEinführungeinesbilingualenSchulzugesindergehörlosenpädagogi schenLandschaftinDeutschlandeinenneuenWegaufzeigteundsomitan zweiGrenzmarken–demBeginndeutscherGehörlosenpädagogikundin deraktuellenbilingualenEntwicklung–prägendwirkte:Hiernahmdie LautsprachmethodeihrenAnfang,hierwurdeaberauchinDeutschland erstmals wieder auf die Gebärdensprache als Unterrichtsgegenstand zu rückgegriffen. Samuel Heinickes zuerst in seiner privaten Schule von 1769 bis 1778 praktischerprobteLehrmethodewurde,nachdemerinLeipzigeinestaatli cheTaubstummenanstaltaufbaute,raschals„deutscheMethode“weltweit bekannt.WeitereVersuche,gehörloseHamburgerschulischzubilden,ver sandeten.ErstaufAnregungdesArztesDr.HeinrichWilhelmBuek wurde 1827inHamburgdie15.deutscheTaubstummenanstalteröffnet.Inzwischen unterrichtetengebildeteGehörloseeuropaweitanTaubstummenanstalten,so auchinHamburg.DamitfolgtedieStadtdemgehörlosenpädagogischen Mainstream.AllerdingswareswiedereineBesonderheit,dass–zumindest kurzzeitig–nureingehörloserLehrerohneweiterehörendeKollegenden Unterrichtgestaltete.
370
Zusammenfassung und Ausblick
InderFolgewarenescharismatischeMänner,diejahrelangalsSchullei terdasGesichtderGehörlosenschuleunddasBildderGehörlosenbildung inderHamburgerÖffentlichkeitprägten.VerschiedenemethodischeAn sätzesindinderHansestadtentwickelt,angewandtundweiterausgebaut worden.ZumEndedes19.JahrhundertssetztesichraschdieLautsprach methode im Unterricht Gehörloser gegen eine kombinierte Methodik durch.DieStreitigkeitenzwischendenAnhängernderreinenLautsprach methode und einer kombinierten Lehrmethode, die die Gebärde in der Kommunikationbetonten,zeigtensichüberdieJahrzehntehinwegauchin derHansestadt.GehörlosewurdenalsObjektederMildtätigkeitangese hen,deneneineeigeneMeinungsäußerungnichtimmerzugestandenwur de. Selbst in der Weimarer Republik verhinderten Lehrkräfte der Taub stummenanstalt trotz Selbstverwaltungsgesetzes einen größeren Einfluss Gehörloser –seien es Schüler oder der Taubstummenanstalt bereitsent wachseneGehörlose–aufdasSchulleben.DieseaufMitleidundMitgefühl aufbauendeSichtderUmweltaufGehörloseradikalisiertesichimNational sozialismus. Trotz der überwiegenden Meinung der Taubstummenlehrer, ihregehörlosenSchülerseien„arbeitsfähig“,damitinderArbeitswelt inte grierbarundsomitfürdieGesellschaft„brauchbar“,trotzAnpassungan dieGesellschaft,AnnäherungannationalsozialistischeIdealeundSichtwei sen,trotzMitgliedschaftinHJundSS,galtderGehörlose,wennereineFa miliegründenwollte,alsBedrohung.Als„erbkrank“stigmatisierteGehör losesolltendemVolkalsArbeitskraftdienen,aberkeineeigenenKinder habendürfen.AuchSchülerderTaubstummenanstaltwurdenOpferdes „GesetzeszurVerhütungerbkrankenNachwuchses“. Nach1945wurdeHamburgwiederbedeutend,alsHamburgerGehörlo senlehrermiteineraktivenGemeinschaftspolitikeinDiskussionsundAus tauschklima unter den Gehörlosenpädagogen in den westlichen Besat zungszonen anregten und aufbauten. Schließlich wurde Hamburg in den neunziger Jahren mit der Einrichtung der ersten bilingualen Gehörlosen klasse Deutschlands und der erstmalig begonnenen gründlichen Erfor schungdervisuellenDeutschenGebärdensprachezumVorreitereinerneuen Pädagogik und eines neuen Zweiges der Linguistik, die, wie in der An fangszeitderHamburgerSchulgründung,auchdieGebärdezuihremvollen Rechtkommenlässtundsowohllautsprachlichealsauchschriftsprachliche undvisuelleMöglichkeiteninderBildungGehörloseranwendet.
Zusammenfassung und Ausblick
371
Diese Studie hat gezeigt, welche Durchsetzungskraft es kostete, die deutschlandweit erste bilinguale Klasse für gehörlose Kinder, in der so wohldiedeutscheLautsprachealsauchdieDeutscheGebärdenspracheun terrichtetundangewandtwerden,inDeutschlandzuinstitutionalisieren. NachdemindiesemLandjahrhundertelangkeinehöhereBildungfürGe hörlosezuerreichenwar,istesjetztGehörloseninbreiteremRahmenmög lich,anderUniversitätzustudieren.InHamburggibtesauchfürGehörlo sedieMöglichkeit,denStudiengangGehörlosenpädagogikamFachbereich SprachwissenschaftenmitdemZielabzuschließen,Lehrkraftzuwerden1170. WennzunehmendGebärdendolmetscherundUntertitelungenimFern sehenzusehensind,wenndieGebärdensprachealseineeigenständigevi suelle Sprache anerkannt ist und ihre Nutzung ausdrücklich erwünscht, wennineinemLand,indemdieWorte„taub“und„dumm“denselben Namen tragen, inzwischen gehörlose Lehrer hörende Schüler unterrich ten,1171 dannistdaseinZeichendafür,dassdieAkzeptanzGehörloserin derGesellschaftwächst.EineneueDebattebefasstsichmitdergemeinsa menBeschulunggehörloserundhörenderKinderunterBeachtungindivi duellerBedürfnisse.FürgehörloseKinderheißtdas,denZugangzuallen InformationendurchzweisprachigenUnterrichtauchanRegelschulenzu erhalten.1172 Und auch die Möglichkeit, dass mit dem Ausscheiden von SiegmundPrillwitzamInstitutfürDeutscheGebärdenspracheundKom munikationGehörloserinHamburgdieProfessorenstellemiteinemgehör losenWissenschaftlerbesetztwerdenkönnte,zeigt,dassHamburgweiter hineineVorbildfunktionzukommt.1173
1170
InBerlingibtesseitdemWintersemester2006/07dieMöglichkeit,anderHumboldtUni versitätdenBachelorin„DeafStudies(SpracheundKulturderGehörlosengemeinschaft)“zu erwerben(AmtlichesMitteilungsblattderHumboldtUniversitätzuBerlinNr.66,2006).
1171
SoinHolland:http://www.deafworldweb.de/corrie/index.html,abgerufenam15.9.2007.
1172
PressemitteilungdesDeutschenGehörlosenBundesvom12.10.2007.
1173
ErstmalsbewarbsichmitDr.ChristianRathmanneingehörloserWissenschaftler.DieStel leistbishernochnichtbesetztworden(DeutscheGehörlosenZeitung3[2007],S.6668).
12 Quellen- und Literaturverzeichnis
1 2. 1 Q ue ll e n
12 .1 .1 Unged ruck t e Quellen ArchivdesAllgemeinenGehörlosenUnterstützungsVereins: ProtokollederAmtswalterSitzungenderOrtsgruppeHamburgdes ReichsverbandsderGehörlosenDeutschlandse.V. ProtokolledesOrtsbundsHamburgAltonadesReichsverbandesder GehörlosenDeutschlandse.V. UniversitätHamburg,PersonalundOrganisation: 3222PersonalakteDr.HermannMaeße StaatsarchivHamburg: ArchivalienausfolgendenBeständen: 1111Senat 1132InnereVerwaltung 13111Personalamt 13119Pensionskassendeputation 1351IIVStaatlichePressestelleIIV 22111StaatskommissarfürdieEntnazifizierungundKategorisierung 2241Erbgesundheitsobergericht 23110AmtsgerichtHamburgVereinsregister 3112IIIIFinanzdeputationIIII 3112IVFinanzdeputationIV 3113IFinanzbehördeI 31415Oberfinanzpräsident 3212Baudeputation 3312PolizeibehördeKriminalwesen 3313PolitischePolizei 3518Stiftungsaufsicht 35110ISozialbehördeI 35110IISozialbehördeII
374
Quellen- und Literaturverzeichnis
3523Medizinalkollegium 3526Gesundheitsbehörde 35211GesundheitsämterErbgesundheitsakten 3541Waisenhaus 3545IJugendbehördeI 3612IIOberschulbehördeII 3612VOberschulbehördeV 3612VIOberschulbehördeVI 3613SchulwesenPersonalakten 3617StaatsverwaltungSchulundHochschulabteilung 36110Kinderlandverschickung 3624/6GewerbeschuleKraftfahrzeugtechnik 36210/2SprachheilschuleZitzewitzstraße 36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose 3632SenatskommissionfürdieKunstpflege 4123ILandherrenschaftderGeestlande 4161/1LandherrenschaftenHauptregistratur 4215RegierungSchleswig 42424WohlfahrtsamtAltona 5127St.Michaelis 5131St.JohannisinEppendorf 5221JüdischeGemeinden 6111St.Johanniskloster 6112St.Georgshospital 5126St.Gertrudkapelle 6125/20GesellschaftderFreundedesvaterländischenSchulundEr ziehungswesens(GEW) 6221FamilieLandahl 6221FamilieGustavMarr 7311Handschriftensammlung 7412GenealogischeSammlungen 7414Fotoarchiv Plankammer Zeitungsausschnittssammlung(ZAS)
Quellen
375
12.1.2 Int er v iews 14.2.2001 Gespräch mit der ehemaligen Taubstummenlehrerin Ursula ArpsinHamburgVolksdorf 10.2.2001GesprächmitHartmutBandholtinGroßhansdorf 2.3.2001TelefonatmitErikaFink,geb.Schär 14.6.2001GesprächmitErikaFink,geb.Schär,inHamburg 11.4.2002GesprächmitErikaFink,geb.Schär,inHamburg 20.3.1995GesprächmitProf.KlausB.Günther,EvelineGeorge(wissen schaftliche Mitarbeiterin) als wissenschaftliche Begleitung, Verena ThielHoltz (Gehörlosenpädagogin) und Angela Staab (gehörlose So zialpädagogin)alsLehrerinnenindenbilingualenSchulversuchsklassen an der SamuelHeinickeSchule in HamburgHorn (SamuelHeinicke Schule) 6.9.2000GesprächmitdengehörlosenZeitzeuginnenderKinderland verschickung Rosa Kirchner, Anneliese Pietz, geb. Stüven, Ruth Böh mert,geb.Werner,mitHilfederDolmetscherinKatjaSchneiderinHam burgOthmarschen(FreizeitundKulturzentrumderGehörlosen) 10.10.1994GesprächmitdemSchulleiterderSamuelHeinickeSchule, GeorgMännich,inHamburgHorn(SamuelHeinickeSchule) 16.12.2003TelefonatmitThomasMarr 4.4.1995 Gespräch mit dem Gehörlosenseelsorger Martin Rehder in Barsbüttel 19.7.2000 Gespräch mit dem Ehrenvorsitzenden des Landesverbands der Gehörlosen in Hamburg, Eugen Tellschaft, in HamburgOthmar schen(FreizeitundKulturzentrumderGehörlosen) 4.7.2000GesprächmitdemSonderpädagogenHorstThorwarthinHam burgHarburg 26.3.1999 Gespräch mit dem gehörlosen Gehörlosenlehrer Olaf Tisch mann,Dolmetscherin:UlrikeWalther,inBerlin 2.5.2001 Gespräch mit dem ehemaligen Taubstummenlehrer Johannes WachholzinHamburgWilhelmsburg(KrankenhausWilhelmsburg)
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13 Anhang
A bk ü rz unge n Abl. AK ASL Az. BDM BDT Bl. DGS EGOG ev. Gestapo GEW GzVeN HGVbl HJ HNO IJB ISK KLV KMK LBG NS NSDAP NSLB NSV o.D. OSB Pg. Regede
Ablieferung AllgemeinesKrankenhaus AmericanSignLanguage Aktenzeichen BundDeutscherMädel BunddeutscherTaubstummenlehrer Blatt DeutscheGebärdensprache Erbgesundheitsobergericht evangelisch GeheimeStaatspolizei GewerkschaftfürErziehungundUnterricht GesetzzurVerhütungerbkrankenNachwuchses HamburgischesGesetzundVerordnungsblatt Hitlerjugend HalsNasenOhren InternationalerJugendbund InternationalerSozialistischerKampfbund Kinderlandverschickung Kultusministerkonferenz LautsprachbegleitendeGebärden Nationalsozialisten,nationalsozialistisch NationalsozialistischeDeutscheArbeiterpartei NationalsozialistischerLehrerbund NationalsozialistischeVolkswohlfahrt ohneDatum Oberschulbehörde Parteigenosse ReichsverbandderGehörlosenDeutschlands
408
RGBl SHD SS StAHbg ZAS
Anhang
Reichsgesetzblatt SicherheitsundHilfsdiensttrupp,Luftschutzpolizei Schutzstaffel StaatsarchivHamburg Zeitungsausschnittssammlung
Bildnachweis
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Bildnac hwe is AlleAbbildungenstammenausdemArchivdesGehörlosenverbandes Hamburg,bisauf Abb.14,10,28,31,53,70: StaatsarchivHamburg. Abb.44:aus:150JahreGehörlosenbildunginHamburg18271977,Ham burg1977. Abb.6,7,8,11,13:aus:AlwinHeinrichsdorff:DieTaubstummenanstaltfür HamburgunddasHamburgerGebiet,Hamburg1927. Abb.24,26:VerwendungmitfreundlicherGenehmigungvonErikaFink. Abb.27:VerwendungmitfreundlicherGenehmigungvonAngelaAndresen Schneehage. Abb.32,37:VerwendungmitfreundlicherGenehmigungvonHartmut Bandholt. Abb.68:VerwendungmitfreundlicherGenehmigungvonRolandWashau sen.
Pe rs on en re g is te r A Abend,August..........................157 Ahlburg,August. .97,98,103,108, 139,284 Ahlers,Dora...............116,141,184 Alberti,JuliusGustav.................42 Albreghs,Fritz...........182,317320 Allwörden,Wilhelmvon.........189 Amman,JohannesConrad.......34, 243,246 Aristoteles....................................14 Arnoldi, Johann Ludwig Ferdi nand........................................243 B Bach,Minna...............................337 Bahrs...........................................202 Bandholt,Mathilde...................196 Bandholt,Wilhelm...179,180,196, 207 Bär,Curt.............................150,152 Bar,JohannGottlob.....................48 Barczi,Gustav....................152,234 Barriés,Carl.................................54 Bartels,Fritz...............................207 Bartosch,RichardW.......113,309, 312315 Bauermann,Anne.............365,366 Bauernfind.................................304 Bébian, RochAmbroise Auguste ...................................................56 Behrens,Bernhard......................74 Behrens,Friederike.....................74
Behrens,Wilhelm.....107,116,117, 120,121,124,126,128,175,264, 278,320,321,328 Behrmann,JohannHeinrichChris tian 50,56,57,60,65,66,70,71, 80 Behrmann,RudolphGerhard. . .57 Bell,AlexanderGraham...........155 Bergholter...................................189 Bergmann,Heinrich.................100 Berthier,Ferdinand...................307 Beske,Willi.........................117,286 Biesold,Horst..............................28 Binding,Karl......................156,157 Blasius,Elfriede.........................266 Bödecker,Friedrich...................218 Boeters,Gustav..................156,157 Bohne,Albert.............................168 Boldt,JohannHeinrich...............75 Bonne,Georg.............................159 Bormann,Martin.......................194 Bridgman,Laura.........................72 Brix,Franz............................98,264 Bröhan,JohannHeinrich. 302304 Bruck,Hermann........................341 Buchholz,Gertrud....................237 Buehl,WilhelmAdolfAlfredAl bert..................115,187,284,327 Buek, Friedrich Johann Heinrich ...................................................67 Buek,HeinrichWilhelm23,52,53, 5658,60,75,79,369 Buek,JohannHeinrich...............49 Bulwer,John...............................242 Bunge,Hans...............................333
Personenregister
Bünz,Christian..................361,363 Burmeister..................................201 Büsch,JohannGeorg..................45 C Cameron,M.R..........................211 Cardanus,Hieronymus............242 Carrie,Wilhelm.........285,297,299 Catter,Ella..................................207 Chapeaurouge,Amide..............80 ChristianVII.............................186 Claudius,GustavAdolf. .301,303, 304 Corinth,Lovis....................340,341 Cors,Günter......................241,256 Cramer,JohannAndreas............35 D Danckert,Ernst.....93,97,187,263, 285,302,304,315 Darwin,Charles........................155 Day,GeorgeE.............................72 de l´Epée, Abbé Charles Michel ......14,44,45,48,49,56,69,242, 243 Demnig,Gunter........................154 Diedrichs, Carl Christian Martin .............................................65,73 Diedrichs,JohannHeinrich.......73 Dilling,G.E.A.C.............186,187 Dolberg,Carl.....................316,328 Donath,Peter.............................348 Dressel,Wilhelm...............225229 Drexelius,Wilhelm...................231 Dummann,Arnold. . .345,361,363 Duus,Hans................................229
411
E Eckel,Walter......................266,361 Eggers,Auguste..........................78 Ehm,Systa..........................365,366 Eisermann,Heinrich.................178 Elkan,Dorothea..28,107,131136, 207 Ellis......................................208,209 Eschke,ErnstAdolph...............246 F Faaß,AugustHeinrich...............50 Fehling,Wilhelm......107,118,293, 294,298 Feige,HansUwe.........................26 Fellnagel,Wilhelm......................53 Feuchte,Herbert.......217,224,227, 228,322,326,345,346,348,361 Fischer,Paul.................................97 Flemming,R.F.O....................184 Frank...........................................224 Fricke,Hans.......103,137,187,293 FriedrichAugustII....................33 FriedrichAugustIII...................47 Früchtenicht,Jürgen.........198,206 Fuchs,Friedrich.........................335 Funke,Wilhelm.........................320 Fürstenberg,Eduard.247,301,307 G Gandesbergen,Johann.............113 Gehrken,Alfred.........309,311,328 Gehrmann,Caroline...................65 Gewalt,Dietfried...............364,366 Glitz,Cornelia.......................69,79 Glitz,Marie......................69,79,80
412
Glitza,FriedrichJohannHeinrich .....................63,65,67,68,71,79 Goeze,JohannMelchior.......41,42 Goldbeck,JohannChristian......54 Goretzki,Ida..............................334 Göttsch........................................195 Götze...........................................264 Granau,JohannDaniel.........41,42 Graßhoff,Ludwig...............59,246 Grefe,Otto..................................147 Grolle,Joist.................................291 Gröschner...................................184 Grubert,Wilhelm..............147,148 Grünberg,Johann......................279 Günther,Agathe........................265 Günther,KlausB......................258 Gutzmann,Albert.....................296 Gutzmann,Hermann...............296 H Haake,August...........................341 Habermaß,JohannKarl 59,60,68, 283 Hachmann,Gerhard...................99 Haneken,Kaplan......................361 Hansen,Ernst....................190,192 Hardenberg,Johann.................303 Harnack,Dora...141,144,198,207 Hartlef,Claus.....................195,196 Hartmann...........................146,247 HartmannBörner,Christiane. 174 Hartmann,CarlFriedrichAugust ...................................................57 Hartmann,Friedrich.................141 Hartogh,Eva..............................343 Hartogh,Franz. .126,333,340343 Hartogh,Mary...........................340
Anhang
Hase,Ulrich...............................258 Heidbrede,Gustav....................271 Heidsiek,Johann.......................104 Heinicke, Anna Catharina Elisa beth...........................................44 Heinicke,JohannaCharlotte.....47 Heinicke, Johanna Maria Elisa beth.....................................35,44 Heinicke,Samuel.....14,18,23,24, 3335,3740,45,48,49,51,61, 67,125,126,231,243,244,246, 359,369 Heinicke,SamuelAnton............47 Heinicke,WilhelmineRosine....47 Heinrichsdorff,Alwin.......25,111, 115,119,126,128,141,157,198, 210 Heitefuß,Wilhelm.............178,271 Hensler,PhilippGabriel............45 Hentze,Ernst.............................343 Henz,Wilhelm...........................101 Herder,JohannGottfried.....40,44 Hertling,Helmut.......................150 Hertz,GustavFerdinand.........314 Hild,Hans..................................158 Hill,FriedrichMoritz......244,245, 247 Hinzpeter,Theodor..........286,288 Hirschfeld,Carl...........................77 Hirschfeld,ErnstAlphons.........77 Hirschfeld,Paul.............50,77,301 Hirschmann,FriedrichLudwig 53 Hoche,Alfred....................156,157 Hoffmann,Clara.......................141 Hollburg,Gustav......................187 Hollburg,Horst.........................134 Holm,Kurt.........................171,172
Personenregister
Holzmann,CarlWilhelmPhilipp .............................................65,68 Holzmann,Willy.......................170 Höppl,Willi...............224,227,229 Howe,SamuelGridley...............72 Humboldt,Wilhelmvon............44 I Ideler...........................198,200,203
413
Köhler,Willi...............125,126,333 Köhne,Friedrich.......................191 Kramer,Theodor.........................74 Krause,Emil.......................115,278 Kröhnert,Otto...........................354 Krupp,FriedrichAlfred...........156 Kruse,OttoFriedrich.....55,56,60, 283,301 Kühne,Bruno....................323,330 Kunstmann.................................152
J Jankowski,Paul 107,115,133,141, 162, 166, 167, 184, 191193, 196198,206,207,209,220,280, 285,288,320,321 Jeiler............................................219 Jessen,Ada.........................361,365 Just,Richard.......................120,293 K Kalbitzer,Hellmut............149,152 Kant,Immanuel...........................49 Kaphengst,August...................147 Karnap,Carl...............115,309,314 Kauffmann,JohannChristian...57 Kaufmann,Karl.........................288 Kausche,JohannChristoph.......81 Kellner,Hellmut........................219 Kempff,TheodorFriedrich......101 Kern,Artur.................................251 Kern,Erwin................................251 Kersten........................................314 Klockmann,AnnaMaria............48 Klopstock,FriedrichGottlieb...35, 40,42 Klopstock,Margarethe...............35
L Lambeck,Adolf 142,152,164,166, 182,207,209,288,297 Lambert,Käthe..........132134,141 Landahl,Heinrich.............207,229 Landolt,Ilsabe.............................46 Lasius,OttoBenjamin..............243 Lauterbacher,Hartmann..........176 LautrupWittmaack,Erna........338 Lehmann,Cläre.........................147 Lichtwark,Alfred......................341 Liebermann,Max......................341 Lipke,G.....................................195 Lippmann,Leo..........................132 Lohse,OttoJoseph....................277 Löwenberg,Levi.................74,305 Lutz,Reinhold...................334,337 M Maeße,Hermann 18,162165,216, 224,227,228,230,231,236238, 271274,319 Maisch,Günter..........105,254,348 Mally,Gertrud.............................13
414
Männich,Georg.......231,234,256, 258,259,275 Mansfeld,Albert........148,152,183 Marr,Günther..............98,220224 Marr,Gustav.97,98,101,107,112, 118,124,128,130,359 Martens,Walter.........................207 Martini,Oskar...........117,313,329 Massieu,Jean...............................56 Matthewes,Ernst......272,280,346 Meiners,Frau...............................68 Melle,Jürgenvon......................255 Mendel,Gregor.........................155 Metelmann,Gustav. .305,306,311 Metelmann,GustavC.J..........306 Metelmann,GustavJ.C..........309 Mey,Friedrich....................226,227 Meyenn,Alexandervon...........354 Meyer,Adolf..............................342 Meyer,H.Th.Matthäus...........297 Michahelles,HeinrichAlfred. .277 Milberg,PeterAugust................57 Millahn,H..................................147 Mittelstaedt................................157 Möhring,Heinrich....................288 Möller,Emil.........................81,137 Möller,PeterDaniel........68,80,83 Mönckeberg,Carl......................337 Muhs,Jochen...............................26 Müller,Hans..............................222 Mumssen, Emil Max Gotthold Augustus..................................97 Münchhausen,Idavon...............78 Mutz,Heinrich..........115,144,183
Anhang
N Neckel,Wolfgang......................241 Neuenkirch,Gerhard...............222 Neuert,Georg............................156 Neumann,KarlFerdinand......283 Neumann,Paul..........................128 Noodt, Christoph Christian Ul rich......................................57,69 Noodt,ValentinAnton...............69 O Olde,Hans.........................340,341 Ossenbrügge,Dietrich......190,191 Oswald, Johann Carl Heinrich Wilhelm....................................47 Oswald,JohannFriedrich..........47 P Pacher,JohnErnest. .26,50,73,77, 104,301305 PanconcelliCalzia,Giulio.......138, 141,142 Pape,Peter..................................239 Pauli,Gustav......................333,341 Pehle............................................207 Pella,Friedrich...........................205 Peschges,Hermann..................228 Pestalozzi,JohannHeinrich......55, 244 Petersen,Carl.............................125 Petersen,CarlFriedrich..............80 Petersen,Käthe..................221223 Pfitzenmaier,F..........................126 Ploetz,Alfred.....................155,156 Pluder,Friedrich.........................91 PoncedeLeon,Pedro...............242
Personenregister
Prell,JohannesAndreas.............57 Preusse,Ernst............................191 Prillwitz,Siegmund. 240,259,354, 355 R Raab,Rosemarie........................258 Rahn,Jürgen..............................107 Raloff,Gottlieb..........................227 Rambach,AugustJacob.......58,62 Ramcke,Gesine.........................365 RamirezdeCarrion,Manuel...242 Raphel,Georg............................243 Rathmann,Christian................371 Rehder,Martin..................363366 Reich,Felix.................................135 Reimarus, Johann Albert Hein rich............................................45 Reinmann,Käthe.......207,250,264 Reise,Johannes..........................212 Rellensmann..............................280 Rieckenberg,Hermann............115 Röder,Edith...............................218 Röhl,Henriette..........58,61,65,68 Röhm,Ernst...............................164 Rosalowsky................................304 Rosenstein,MaxEmil...............316 Ruckau,Paul......................164,319 Rudolph,KarlJoseph...............361 S Sahrhage,Heinrich. 194198,200 203,206 Sasse,ChristianLudewig...........63 Satow,Louis...............................107 Sattler,Ferdinand..............273,274
415
Schaade,Eckart.........................365 Schaller,CarolineLouise...........62 Schallmeyer,Wilhelm...............156 Schär,Alfred......28,121,136139, 142153,207,234,264,285,288, 289 Schär,Antonie....................145,147 Schaumann,Curt......................333 Schaumann,Elisabeth..............333 Schaumann,Ruth......305,333337 Scheibe,Fritz..............................127 Scheidt,Walter...........................171 Schemmann,ConradHermann 99 Schimmelmann,HeinrichCarl 36, 37,43 Schleuß,Wilhelm......................297 Schmähl,Otto....158,215,273,319 Schmidt,Fritz.....27,116,128,129, 137,141,142,153,196,198200, 202,203,205208,210,212,223, 224,277,322 Schmidt,Gustav........206,207,209 Schmidt,Nelly...196,198,200,205 Schmidt,Wolfgang...........257,354 Schnegelsberg,Wilhelm...........272 Schroeder,JoachimChristian....37 Schüler,Theodor.......................226 Schumacher,Elke......................291 Schumann,Paul.................126,158 SchützzuHolzhausen,Hugovon ...........................................61,283 Schuy,Clemens..........................251 Schwarz,Jutta....................259,261 Seligmann,Carl.................337,339 Seligmann,Clara.......................337 Seligmann,Eduard...........337,338
416
Seligmann,Elisabeth.......126,305, 333,337339 Seligmann,Emil........334,336,337 Seligmann,Helene............337,339 Seligmann,Herbert...........337,339 Senss,DanielHeinrich...............24 Senß,DanielHeinrich. . .57,59,60, 63,65,67,73,283 Sicard,RochAmbroiseCucurron ...........................................56,243 Siepmann,Heinrich..........180,318 Sinell,HermannGustavWilhelm Christoph...............................297 Söder,Heinrich...84,90,92,96,98, 103,107,108,118,128,138,139, 171,187,297,304,306,309,314, 315,327 Söder,Marie.................................97 Sorger,HeinrichCarlAdolph...82 Speckter,JohannMichael...........74 Spoerk,GottfriedBenjamin.......48 Staab,Angela.....................234,262 Starcke,Hellmuth....105,216,217, 253,348 Steffens, Johanna Margaretha Christine...................................65 Stephan,Josepha.......................361 Stolzenberg,Paul.......................113 Stühmeyer,Helmut...................266 T Tellschaft,Eugen...............325,326 Thies............................................201 Thomas,Bernhard.....................310 Thoms,Paul...............................288 Thorwarth,Horst......................236 Tischmann,Olaf..........................25
Anhang
Tohmfor,Ferdinand....................59 Tohmfor,J.M.B.........................59 Tollgreef,Susanna.....................259 Tomei,Adalbert...........50,302,303 Tomei,Boris......113,115,127,314, 321,322 Treibel,Edmund........................247 U Umlauf,Karl......111,171,263,285 Unzer,JohannChristoph...........45 V Vaîsse,Léon.................................72 Vatter,Johannes.................245,249 Vietinghoff,Dorotheavon...39,42 Vogel,Helmut..............................26 Volkerding,Walter....................363 vonLüttwitz,Heribert.............343 Voß,JohannHeinrich.................40 W Wackerle,Joseph.......................335 Wapenhensch,Friedrich. 210,360, 361 Wegbrod,Hermann..................280 Weidner,Anton...................62,283 Weinert,Herbert........162,163,169 Weld,Lewis..................................72 Wendt,JohannHeinrich.......73,75 Wenning,Franz...........................98 Werner,Leni...............................339 Werner,Marion.........................339 Werner,Olga..............................339 Werner,Viktor...........................339 Wienbarg,Ludolf........................49
Personenregister
Wilke,CarlHeinrich.................283 Winthem,JohannaElisabethvon ...................................................40 Wirsel,E.A.................................71 Wisch,FritzHelmut.........257,348 Witt, Johann Christian Friedrich ...................................................76 Witt,Karl...115,133,147,152,184, 189,190,195 Witte,Willi.................................281
417
Witthöft,Heinrich.............174,177 Woedtcke,CarlPetervon...........50 Wolf,Marie................................339 Wurm,Alois...............................334 Wurst,Jürgen.............................258 Z Zangemeister,HansE.............218 Zienert,Heiko............................354
Über die Autorin IRIS GROSCHEK, geboren1968inMölln,hatinHamburgundPragKunst und Geschichte studiert und arbeitet seit 1993 als Archivangestellte am StaatsarchivderFreienundHansestadtHamburg.IhrbesonderesInteresse giltderArchivpädagogikundderhistorischenBildungsarbeit.SieistMit glied in der Regionaljury des Geschichtswettbewerbs um den Preis des Bundespräsidenten.IhrForschungsschwerpunktliegtimBereichderneue renGeschichteNorddeutschlands.Buchveröffentlichungen:DieVeddelund wir.EindrückeausderGeschichtederSPDVeddel,Hamburg2007;(Mitver fasserin:)DerMichelbrennt!DieGeschichtedesHamburgerWahrzeichens, Bremen2006;„JesusChristusgesternundheuteundderselbeauchinEwig keit“. Gemeindechronik der Erlöserkirche Borgfelde (Veröffentlichungen des Archivs des Kirchenkreises AltHamburg Band 8), Hamburg 2000; (Mitherausgeberin:)WilhelmHeydorn:„NurMenschsein!“Lebenserinne rungen1873bis1958,Hamburg1999.
Über den Reihenherausgeber RAINER HERING,geboren1961inHamburg,leitetdasLandesarchivSchles wigHolsteinundlehrt alsProfessor NeuereGeschichteamHistorischen Seminar derUniversität Hamburg. Der internationalprofilierteArchivar undHistorikeristVorsitzenderdesArchiveCommitteederGermanStu diesAssociationinNordamerika.Eristinzahlreichenregionalenundüber regionalenGremienaktivtätig,unteranderemimVorstanddesVereinsfür HamburgischeGeschichteundimBeiratzurErforschungderGeschichte desNordwestdeutschenRundfunks,undgibtverschiedenePublikationen mitheraus,sodieReihe ArbeitenzurKirchengeschichteHamburgs unddie Fachzeitschrift Auskunft.ZeitschriftfürBibliothek,ArchivundInformationin Norddeutschland. Promoviert wurde er mit einer Arbeit zur Hamburger Universitätsgeschichte, er habilitierte sich mit einem Standardwerk zum Alldeutschen Verband. Seine umfangreiche Publikationstätigkeit umfasst schwerpunktmäßig die Bereiche Kirchengeschichte, Wissenschafts und Universitätsgeschichte, Antisemitismusforschung, Parteien und Verbands geschichte,Rechtsgeschichte,NorddeutscheGeschichteundArchivwissen schaft.
Erstmals wird in diesem Buch die Geschichte der Gehörlosenbildung in Hamburg dargestellt: von Samuel Heinickes Schule für Gehörlose in Lautsprache bis zur Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache. Anschaulich wird das Leben Gehörloser in Hamburg vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart geschildert.
ISBN 978-3-937816-45-6 ISSN 1865-3294
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