Unterwegs in eine Welt des Verstehens. Gehörlosenbildung in

February 28, 2018 | Author: Anonymous | Category: N/A
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H HF Hamburger Historische Forschungen | Band 1

Iris Groschek

Unterwegs in eine Welt des Verstehens Gehörlosenbildung in Hamburg vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart

Hamburg University Press

Unterwegs in eine Welt des Verstehens Gehörlosenbildung in Hamburg vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart

Herausgegeben von Rainer Hering

Unterwegs in eine Welt des Verstehens Gehörlosenbildung in Hamburg vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart

Iris Groschek

Hamburg University Press Verlag der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky

Impressum

BibliografischeInformationderDeutschenNationalbibliothek DieDeutscheNationalbibliothekverzeichnetdiesePublikationinderDeutschen Nationalbibliografie;detailliertebibliografischeDatensindimInternetüber http://dnb.dnb.deabrufbar. DieOnlineVersiondieserPublikationistaufdenVerlagswebseitenfreiverfügbar (openaccess).DieDeutscheNationalbibliothekhatdieNetzpublikationarchiviert. DieseistdauerhaftaufdemArchivserverderDeutschenNationalbibliothekverfüg bar. OpenaccessüberdiefolgendenWebseiten: HamburgUniversityPress–http://hup.sub.unihamburg.de ArchivserverderDeutschenNationalbibliothek–http://deposit.dnb.de ISBN9783937816456(Printausgabe) ISSN18653294(Printausgabe) ©2008HamburgUniversityPress,VerlagderStaatsundUniversitäts bibliothekHamburgCarlvonOssietzky,Deutschland UmschlagundLogogestaltung:LilianeOser AbbildungaufdemSchutzumschlagundderBuchdecke: NaturkundeunterrichtmitOttoSchmähl1952/53(ArchivdesGehörlosenverbandes Hamburg). Produktion:ElbeWerkstättenGmbH,Hamburg,Deutschland http://www.ewgmbh.de

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Rainer Hering Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.1 Vorbemerkung

13

1.2 Was bedeutet Gehörlosigkeit?

14

1.3 Die Stellung Hamburgs in der Gehörlosenbildung

23

1.4 Forschungsstand, Quellenlage und Aufbau der Arbeit

25

2 Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Exkurs: Das Samuel-Heinicke-Denkmal

49

3 Die Milde Stiftung Taubstummenanstalt Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3.1 Die Anfänge unter Heinrich Wilhelm Buek

51

Exkurs: Weitere Einrichtungen für Gehörlose in Hamburg und Altona

54

3.2 Vom Dammtor zur Bürgerweide (1827–1881)

57

3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4 3.2.5 3.2.6 3.2.7

Von der Vereinsgründung bis zum ersten Schultag Unterricht in Lautsprache Neuer Schulbau und neue Lehrer Der Wandel von der kombinierten Methode zur Lautsprachmethode Schüler Anerkennung und Ausbau der Anstalt Die Taubstummenschule soll verstaatlicht werden

57 62 65 70 72 78 83

6

Inhalt

4 Die staatliche Taubstummenschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 4.1 In der Kaiserzeit (1882–1918) 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.1.5 4.1.6 4.1.7

Gebäude Schulverwaltung Körperlichen Schwächen begegnen Vorbereitung auf die Berufstätigkeit Auf der Suche nach einem neuen Direktor und neuen Lehrkräften Inspektionen und Kritik Lautsprache und Gebärden

4.2 In der Weimarer Republik (1919–1933)

87 87 88 91 92 96 99 103

108

4.2.1 Schulselbstverwaltung 4.2.2 Die Arbeit der Schulleiter

108 115

Exkurs: Anregungen der Heilpädagogischen Vereinigung

119

4.2.3 Forderungen der Gehörlosen 4.2.4 Folgen der Inflation 4.2.5 Jubiläumstagungen 1927

121 122 124

4.3 Im „Dritten Reich“ (1933–1945)

129

4.3.1 Machtwechsel und erste Veränderungen an der Taubstummenanstalt 4.3.2 Dorothea Elkan – eine jüdische Lehrerin 4.3.3 Alfred Schär – ein politisch verfolgter Lehrer

129 131 136

Exkurs: Das Phonetische Laboratorium seit seiner Gründung 1910

140

4.3.4 Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses

154

Exkurs: Gesundheitspaßarchiv

171

4.3.5 Lehrer und Schüler in NSDAP und Hitler-Jugend 4.3.6 Das Ende der Schule an der Bürgerweide

174 183

Exkurs: Schulpflicht

186

4.3.7 Kinderlandverschickung

194

4.4 Zu Gast in anderen Schulen (1945–1964) 4.4.1 Wiederaufbau der Schule 4.4.2 Die Bemühungen um den Wiederaufbau des Internats 4.4.3 Der Schulneubau – eine unendliche Geschichte

206 206 220 225

Inhalt

4.5 Die Samuel-Heinicke-Schule (1964–2000) 4.5.1 Schule im Neubau 4.5.2 Vergangenheitsbewältigung? 4.5.3 Schüleraktivitäten 4.5.4 Unterricht: Lautsprache, Gebärden und Gebärdensprache 4.5.4.1 Kurzer geschichtlicher Überblick über die pädagogische Methodik an deutschen Gehörlosenschulen Exkurs: Die Folgen des Mailänder Kongresses 4.5.4.2 Lautsprache, Lautsprachbegleitende Gebärden und Gebärden im Konsens 4.5.4.3 Der bilinguale Schulversuch 4.5.5 Schulkindergarten und Sondertagesheim 4.5.6 Der Grund- und Hauptschulzug 4.5.7 Der Realschulzug 4.5.8 Die Klassen für mehrfachbehinderte Kinder 4.5.9 Berufsschule

7

230 230 236 239 241 241 346 253 256 263 269 270 275 277

5 Die Ausbildung zum/zur „Taubstummenlehrer/lehrerin“. . . . . . . . . . . . . . 283 6 Einrichtungen für Schwerhörige und Sprachbehinderte . . . . . . . . . . . . . . . 293 6.1 Schwerhörigenschule

293

6.2 Sprachheilschulen

296

7 Gehörlose in der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 7.1 Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine 7.1.1 Bröhan, Pacher und die ersten Hamburger Gehörlosen-Vereine 7.1.2 Zeitschriften 7.1.3 Sozialdemokratische Vereine der Gehörlosen 7.1.4 Forderungen der Gehörlosen-Vereine bis in die 1920er Jahre 7.1.5 Der Dachverband Regede und die nationalsozialistische Zeit 7.1.6 Der Landesverband und seine Arbeit 7.1.7 Das Taubstummenaltenheim 7.1.8 Stiftungen für mehrfachbehinderte Gehörlose

301 301 305 307 309 315 321 327 330

8

Inhalt

7.2 Gehörlose Künstler 7.2.1 Ruth Schaumann 7.2.2 Elisabeth Seligmann 7.2.3 Franz Hartogh

333 333 336 340

8 Die Gesellschaft zur Förderung der Gehörlosen in Groß-Hamburg e. V. und das Kultur- und Freizeitzentrum für Hamburger Gehörlose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 9 Das Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser an der Universität Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 10 Gehörlosenseelsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 11 Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 12 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 12.1 Quellen 12.1.1 Ungedruckte Quellen 12.1.2 Interviews 12.1.3 Gedruckte Quellen

12.2 Literatur

373 373 375 376

386

13 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Abkürzungen

407

Bildnachweis

409

Personenregister

410

Über die Autorin

418

Über den Reihenherausgeber

418

Vorwort Rainer Hering

Zu r Re ih e Hamb urg er Historische Fo rschung en Die  neue  Reihe Hamburger  Historische  Forschungen umfasst  Beiträge  zur Hamburger  und  deutschen  Geschichte,  vornehmlich  der  neueren  und neuestenZeit.SieistinsbesonderefürhervorragendeNachwuchswissen schaftlerinnenundwissenschaftleroffen,derenWerkesonstvielfachun veröffentlicht  blieben.  Gemeinsamer  Bezugspunkt aller  Publikationen  ist Hamburg,dasheißtdieArbeitensindaneinerHamburgerHochschuleent standenoderbeschäftigensichinhaltlichmitderFreienundHansestadt HamburginVergangenheitoderGegenwart.DieReiheschaffteinForum geradefürbislangunerforschteThemen.ZugleichsinddieHamburgerHis torischenForschungen nichteinemeinzigenKonzeptverpflichtet,sondern bietenRaumfürdieVielfaltdertheoretischenundmethodischenKonzep te,Geschichtewissenschaftlichfundiert,aberdochzugleichauchfüralle historischInteressiertenverständlichdarzustellen.

Zu m v o rl i e g e n de n B a n d DerersteBandvonIrisGroschekzurGeschichtederGehörlosenbildungin Hamburgvom18.JahrhundertbisindieGegenwartistbesondersgeeignet, dieseSchriftenreihezueröffnen.DieamHistorischenSeminarderUniver sität  Hamburg  angenommene  Dissertation  zeigt  in  einem  historischen LängsschnitteinenbislangwenigbeachtetenBereichderBildungs,Kultur undAlltagsgeschichtederFreienundHansestadtanderElbeauf. GehörlosehabenumdieAnerkennungihrereigenenSprachegekämpft– undsiehabengewonnen:DieDeutscheGebärdenspracheistseit2002als eigeneSpracheanerkannt.WelcheRolleHamburgdabeispielteundwie

10

Vorwort

HamburgzuseinerVorreiterrolleinderGehörlosenpädagogikkam,dar überberichtetdiesesBuch. EszeigtanhandderGeschichtederSamuelHeinickeSchuleundihrer Vorgänger,wieGehörloseinHamburgvondenAnfängenim18.Jahrhun dertbisheuteausgebildetwurdenundwerden.DabeiwirddieRolleHam burgs  als  Impulsgeber  in  der  Entwicklung  der  Gehörlosenpädagogik  in Deutschlanddeutlich:ImheutigenHamburgerStadtteilEppendorfhatte SamuelHeinickeMittedes18.JahrhundertsmitderAufnahmeeinerGrup pegehörloserKinderdieersteprivateSchulefürGehörloseinDeutschland gegründet.DasBuchberichtetanschaulich,wiefastsechzigJahrespäter aufInitiativeeinigerHamburgerBürgerdieMildeStiftungTaubstummen anstaltgegründetwurde,die1827ihrenLehrbetriebmiteinemgehörlosen Lehreraufnahm.SpannendistderweitereWerdegangderSchuleüberdie Verstaatlichung,dieAdaptionschulpolitischerForderungenderWeimarer RepublikunddieselektierendeRolleihrerLehrerimNationalsozialismus bishinzurAufgabederSchulselbstständigkeitderSamuelHeinickeSchule (heute  Schule  für  Hörgeschädigte Abteilung  II)  im  Jahr  2000.  Ende  des 20.JahrhundertswareswiederdieHamburgerSchule,diemitderEinfüh rungeinesbilingualenSchulzugesindergehörlosenpädagogischenLand schaft  in  Deutschland  einen  neuen  Weg  aufzeigte  und  somit  an  zwei Grenzmarken–demBeginndeutscherGehörlosenpädagogikundinderak tuellen bilingualen  Entwicklung – prägend wirkte:  Hier  nahm die  Laut sprachmethodeihrenAnfang,hierwurdeaberaucherstmalswiederauf dieDeutscheGebärdensprachealsUnterrichtsgegenstandzurückgegriffen. NebenderSchulewerdenweitereSelbsthilfeorganisationen,Stiftungen, VereineundInstitutevonHamburgerGehörlosenundfürHamburgerGe hörlose sowie die Lebenswege einiger bekannter Hamburger Gehörloser vorgestellt.

Dank

DievorliegendeArbeitwärenichtmöglichgewordenohnedieUnterstüt zungzahlreicherhelfenderPersonen.Herzlichdankenmöchteichallen gehörlosenund hörenden Zeitzeugen und Gesprächspartnern,dieüber sichundihreFamilie,überihreErfahrungen,ihreArbeitundGedanken AuskunftgegebenundmitDokumentenundFotosdieseArbeitermög lichthaben.StellvertretendsollhierderkürzlichverstorbeneEhrenvor sitzende  des  Gehörlosenverbandes,  Eugen  Tellschaft,  genannt werden. Prof.Dr.RainerHeringundProf.Dr.AxelSchildtdankeichsehrfürdie stets  freundliche  und  ermutigende  Unterstützung  meiner  Dissertation. Erstgenanntem,Dr.UweSchmidtundDr.ChristianHannenmöchteich besonders  für  inhaltliche  und  lektorierende Anregungen  danken. Mein DankgiltschließlichbesondersderJohannaundFritzBuchGedächtnis stiftung  für  die  finanzielle  Unterstützung  dieser  Veröffentlichung und HamburgUniversityPressfürdieverlegerischeBetreuung. Hamburg,imJanuar2008 IrisGroschek

1 Einleitung

1. 1 Vo rbemerku ng Gehörlos.Washeißtdas?Gehörlose.Wassagensie?Aufdenerstendeut schenKulturtagenderGehörloseninHamburgwurdeeinegrößereÖffent lichkeitaufdiemitHändensprechendenMenschenaufmerksam.Eswar hierinHamburg,dassGehörloseselbstbewusstfürdieAnerkennungihrer Sprache,derGebärdensprache,aufderStraßedemonstriertenundaufder TagunginUniversitätsräumenihreeigeneKulturpräsentierten.1Fasziniert standichamDammtorbahnhofundsahdiegebärdendenDemonstranten, wolltemehrwissenundentdecktedieimAudimaxaufgebautenSchauta felnzurGeschichtederGehörlosen.ErsteSchritteineineselbstbewusste RichtunghattedieMünchnerinGertrudMally(geb.1948)gemacht,dieauf Anregungdesseit1975inHamburgerschienenensogenannten„Blauen Gebärdenbuches“ab1977erstmalsGebärdenkurseanderVolkshochschule Münchengab.SiegründetenachdemBesuchdeserstenKongresseszur Gebärdensprachforschung,derimNovember1985inHamburgstattfand, diekritischeZeitung„Selbstbewußtwerden“,dieerstmalsGehörlosenein kritischesForumbot.2LangwierigeheißgeführteDiskussionenumdieStel lungder GebärdensprachewarendieFolge desHamburgerKongresses, dereinerRevolutiongleichkam,wurdedochhieraufwissenschaftlicher Grundlagehervorgehoben,dassdieGebärdenspracheeineeigeneSprache miteigenständigerGrammatiksei.DieHamburgerKulturtageachtJahre 1 JensHeßmann,Schongehört–unerhört.Specialzuden„1.DeutschenKulturtagenderGe hörlosen“unddem„KongreßzurZweisprachigkeitGehörloser“Hamburg14.–17.Oktober 1993,in:DasZeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheundKommunikationGehörlo ser26(1993),S.528536. 2  IngeRichter,PersönlicheGedankenzumJubiläumderZeitschrift„Selbstbewußtwerden“, 1999  (nachzulesen  unter  http://www.taubenschlag.de/sbw/sbw50/richter.htm,  abgerufen  am 15.9.2007).ZuGertrudMallysieheauchihrPorträtinderFernsehreihe„SehenstattHören“ 1106. Sendung am 6.10.2002 (nachzulesen unter  http://www.taubenschlag.de/SSH/1106.htm, abgerufenam7.6.2003).InHamburgerscheintseitJanuar1986die„HamburgerGehörlosen Zeitung“(HGZ)alsKommunikationsundDiskussionsforum.

14

Einleitung

späterwarenderStartzuvielenAktionen,dieimJahr2002zumZielder AnerkennungderDeutschenGebärdenspracheführten.

1. 2 Was bedeutet Gehör losigkeit? Jahrhundertelang  wurden  Menschen,  die  nicht  hören  können,  künstlich dummgehalten.„Taubstumme“galtenalsgeistigbehindert.Siehattenkei nerleiRechte.3 KaumeinHörenderkamaufdieIdee,dasstaubenMen schenetwasbeigebrachtwerdenkönne.„Wernichthörenundnichtspre chenkann,kannauchnichtdenken“–dieseInterpretationvonAussagen desPhilosophenAristoteles(384–322v.Chr.)ließGehörlosebisindasspäte 16.Jahrhundertals„bildungsunfähig“gelten.Vereinzeltechristlichmoti vierteMöncheinFrankreichundSpanienwiesendannmiteinzelnenSchü lernpraxisnahdasGegenteilnach.DocherstmitdenIdeenderAufklärung undderGründungmodernerStaatenwurdedieBildungallerMitglieder einesVolkesdurchAufundAusbaueinesflächendeckendenSchulsystems gefördert.IndieserZeitkamesauchzurGründungvonSchulenfürGe hörlose.  Die  weltweit  erste  Gehörlosenschule  wurde  1760  durch  Abbé CharlesMicheldel´Epée(1712–1789)inPariseröffnet.InDeutschlandwar esSamuelHeinicke (1727–1790),derab1769gehörloseSchülerinEppen dorfbeiHamburgunterrichteteund1778dieerstedeutscheGehörlosen schuleinLeipziggründete.ErstmalslebtenmehreregehörloseKinderund ErwachseneindiesenalsInternatkonzipiertenGehörlosenschulenzusam menundkonntensoeineeigeneKulturundSprachealsgemeinsameBasis entwickeln. DieSichtweisederHörenden,dieGehörlosezuallererstüberdenMan geleinesSinnesdefinieren,prägteallerdingsweiterhindenBlickaufgehör loseMitmenschen.DasZielderAusbildungGehörloserdurchHörendelag

3  EinerderältestenHinweiseaufdieUnmündigkeitHamburgerGehörloserfindetsichim Jahr1603:Auszugaus„derStadtHamburgGerichtsOrdnungundStatutavon1603“Part.III Tit.6„VonVormundundPflegschaften“Artikel11:„DaauchgebrechhaftigePersonengefun denwerden,alsUnsinnigeoderSinnlose,StummeundTaube,desgleichendiemitlangwieri gerKrankheitbeladenundlagerhaftsind,auchdieihreGüterunnützlichverschwenden,die sollenunsgleichfallsdurchdieMutter,oder,wenndieselbenichtmehramLeben,durchdie nächsteBlutsverwandte,beyVerlustihrererblichenAnwartung,wieobstehet,angezeiget,und ihnennachGelegenheitCuratoresundVorsorgerverordnetwerden.“

Was bedeutet Gehörlosigkeit?

15

spätestensseitdemfolgenreichenMailänderTaubstummenlehrerkongress imJahr1880imErlernen,imSprechen,imNachahmenderLautsprache: ZielwardiemöglichunauffälligeIntegration.ChristlicheBarmherzigkeit warderAntrieb.DerHauptblickgaltderBehinderungundnichtdenMög lichkeiten–dasbesseralsbeivollsinnigenMenschenausgeprägtevisuelle WissenundKönnenGehörloserwurdeunbeachtetgelassen. OhneHilfekanneineinzelnerMensch,dernichthörenkann,dieauf AkustiksetzendeWeltumihnherumnichtverstehen.GesprocheneSpra chekannnichtaufnatürlichemWegegelerntwerden.So,wiefürdenEuro päerdieSchriftzeichenderchinesischeSprachenurBildersind,sobedeu tendasSprechen,dieLaute,dieBuchstabenfürjemanden,dergehörlosist, ebenso  zuallererst  nur  Mundbewegungen  und  Bilder.  Das  Fehlen  einer akustischenWahrnehmungmachtwiederumdenErwerbunddenEinsatz dergesprochenenLautsprachezueinersehrschwerenAufgabe.Nochheu tewirddennochderEinsatzvonGebärdeninSchuleundFamilie–hierbei sindwenigerlautsprachbegleitendeGebärdenalsvielmehrdieGebärden spracheselbstgemeint–vonFachleutenmitderBegründungabgelehnt, dieswürdedenLautspracherwerbbehindernunddieSprachundAblese fähigkeiten  negativ  beeinflussen.4 Die  so  lautsprachlich  durchgeführte Kommunikation  bleibt  allerdings  oft  sehr  einseitig  und  statt  Freude  am Sprechen  entsteht  leicht  eine  Therapiesituation,  wenn Aussprache  korri giertwirdoderdasnicht(odernursehrschlecht)hörendeKindsichnicht spontanunddirektinseinernächstenUmgebungmitteilenkann.DieDeut scheGesellschaftzurFörderungderGehörlosenundSchwerhörigen(seit 2005DeutscheGesellschaftderHörgeschädigten–SelbsthilfeundFachver bändee.V.)siehteinProblemdarin,dassesdenKindernanselbstbewuss terAnerkennungfehlt,wennsichihreUmwelt(fast)reinlautsprachlichan sie wendet,  was zwangsläufig zu einer asymmetrischenKommunikation führt.5DieGesellschaftkritisiertdenderzeitigpraktiziertenAnsatzderora lenFrüherziehungbereitsvordemSpracherwerbertaubterbzw.schwerhö 4

 HerbertL.Breiner,LautspracheoderGebärdenfürGehörlose?DergeschichtlicheHinter grunddesProblems,in:ders.(Hg.),LautspracheoderGebärdenfürGehörlose?ZumErhaltder LautsprachmethodeundderenWeiterentwicklungbeiGehörlosen,Frankenthal1986, S.13–31, hier S. 16f.;DeutscheGesellschaftzurFörderungderGehörlosenundSchwerhörigene.V., HörgeschädigteKinder–schwerhörigeErwachsene.Kommunikationmitschwerhörigenund ertaubtenMenschen,Hamburg2000,S.23. 5

Ebd.,S.24–25.

16

Einleitung

rigerKinder,diesichaufeineoptimaleLautsprachentwicklungspeziali sierthatundalsZieleineIntegrationindiehörendeWeltdurcheinehohe Lautsprachkompetenz  Gehörloser  sieht.  Dass  diese  Integration  nicht  so vollständigerlangtwirdwievonhörendenPädagogenerhofft,lassenAus sagen  schwerhöriger  und  gehörloser  junger  Menschen  erahnen,  die  fast durchgehend  sogar  familiäre  Kommunikationsprobleme  vor  allem  im „Senden“vonNachrichtenschildern,dieebensofastdurchgehendvonden hörendenElternteilennichtgesehenwurden.6 Einausschließlichaufden LautspracherwerbausgerichtetesLernenwirdheutenichtmehrfürgehör lose,alsovonGeburtannichthörendeKinder,sondernfürschwerhörige undertaubteKinderangestrebt.DiesgehtjedochauchhieroftaufKosten des Wissenserwerbs, derkommunikativenSicherheitundeinesselbstbe wusstenSozialverhaltens.7 DieGesellschaftfordertjetztineinemzweiten Schritt,nachdemdieGehörlosenschulendamitbegonnenhaben,dieGebär densprachealsvollwertigeUnterrichtsspracheanzuerkennen,auchvonden SchwerhörigenschuleneinenflexiblerenUmgangmitSpracheinsbesondere imSachunterricht.WeitereWünschegeltenderEinrichtungneuerSchulfä cher  wie  „Kommunikation“  und  „Gebärden“  und  dem  Einsatz  visueller KommunikationzurVerbesserungdersachlichenwiederkommunikativen Kompetenzen.8 EsgibtinDeutschlandheuterund80.000Gehörlose,9 da 6

EmilKammerer,ZurSelbstwahrnehmungderKommunikationsbehinderungbeigehörlosen KindernundJugendlichen,in:Feuchte,Herbertu.a.(Hg.),ProceedingsoftheInternational CongressonEducationoftheDeafinHamburg1980,Vol.3,Heidelberg1982,S.328–334.

7

DeutscheGesellschaftzurFörderungderGehörlosenundSchwerhörigene.V.,Hörgeschä digteKinder–schwerhörigeErwachsene,S.29.

8

Ebd.,S.32.

9

 GeschätzteZahldesDeutschenGehörlosenbundesinKiellautInformationvom4.12.2003. Gehörlosigkeitistnichtmeldepflichtig.UnterschiedlichestatistischeAngabenentstehenbei unterschiedlicher  Definition  des  Begriffes  „gehörlos“.  Während  der  Gehörlosenbund  eine sprachlicheDefinitionderGehörlosigkeitnachderbevorzugtenKommunikationsformvor nimmt,nimmtdasStatistischeBundesamteinemedizinischeDefinitionvonGehörlosigkeit unterZuhilfenahmedervonHNOÄrztengemeldetenAngabenderVersorgungsämterzur GrundlageseinerZahlen.DabeiunterscheidetdasBundesamtnachGradderHörbehinde rung.DasStatistischeBundesamt,AuszugausderneuestenStatistikderSchwerbehinderten, Stand18.10.2000,nennteineZahlvon24.806deutschenGehörlosenundzusätzlich22.351ge meldetenPersonenmitTaubheitkombiniertmitBeeinträchtigungenderSprachentwicklung und  entsprechenden  Störungen  der  geistigen  Entwicklung  am  Ende  des  Jahres  1999,  also 47.000gehörlosenMenscheninDeutschland.WürdenauchdieSchwerhörigenmitgerechnet, dieeinenunterschiedlichenGradanHörfähigkeit–bisanTaubheitgrenzend–haben(190.499 Personen1999),kämemanaufeineAnzahlvon237.500Personen.Insgesamtwerdeninder

Was bedeutet Gehörlosigkeit?

17

vonetwa5.600Kinder,dieGehörlosenschulenbesuchen.10Alsgehörlosgel tenPersonen,dietaubgeborenwurdenoderihrGehöralsKleinkindvor demErwerbvonSpracheverlorenhabenunddamitnichtaufnatürlichem Wegsprechenlernenkönnen.GehörloseKindersindAugenmenschen,die aufdiegelungeneKontaktaufnahmemitBlickkontakt,LächelnundNach ahmungreagieren,wiejedesgesundeKind.11DakleineWirkungenaberoft unbeachtetbliebenundgehörloseKindernichtsoreagierten,wieHörende essichwünschten,weilsieaufgesprocheneWortenichtreagierenkonnten, wurden  „Taubstumme“  lange  Zeit  als  „idiotisch“  oder  „dumm“  tituliert undfürgeistigbehindertgehalten.Aber:EingehörlosesKindhatdieglei cheIntelligenzwieeinhörendesKind,eshatnurnichtdieMöglichkeit, überdasinunsererGesellschaftsowichtigeVerbale,dasHörenundSpre chen, sein Bildungsniveau,  seine Intelligenz  zu erweiternund zu entwi ckelnwieeinhörendesKind.Hiermüssenandere,nonverbale,Kommuni kationswegegegangenwerden. EinemgehörlosenKind,sobeschreibtesdasZielderGehörlosenpäda gogik,mussderWegindiesprechendeundschreibendeGesellschafter öffnetwerden,indemihmdiegesprocheneSprachebeigebrachtunddamit dieIdeenundWeltanschauungenderHörendeneröffnetwerden.Gehörlo senpädagogenhabendieAufgabe,Abstrakteszulehren:dieLautsprache. DiesebleibttrotzallerÜbungfürGehörlosedennochkünstlich.Eingehör loses  Kind  lernt  zwar  lesen,  doch  ein  traditionell  mit  der  oralen  Laut sprachmethodeunterrichteterGehörloserverstehtallzuoftSinnundInhalt desGelesenennurschwer,daderSprachschatzgeringeristundneueoder zusammengesetzteWortenichtohneWeitereszuentschlüsselnsind.Auch Rubrik  „Sprach  oder  Sprechstörungen“  exakt 253.492  Personen  gezählt,  d.  h.  taube  und schwerhörigeMenschensowiePersonenmitGleichgewichtsoderSprachstörungen.Gerech netwirdimAllgemeinenmiteinemGehörlosenAnteilvon0,1ProzentinBezugaufdieGe samtbevölkerung(ErnstDierksu.a.,ElterninformationNr.18,Thema:Bildungschancentrotz Hörschäden,Hamburgo.D.[ca.1979]). 10

 InformationdesStatistischenBundesamtes,1993,Fachserie11,Reihe1Allgemeinbildende Schulen,12.2Sonderschulen.KlassenundSchülernachKlassentypen.ImSchuljahr2003/2004 warenesinHamburg88SchülerinnenundSchüler(BehördefürBildungundSport,Statisti scheInformation4b/2003,S.8).Auf2.000Geburtenkommt,statistischgesehen,eingehörloses bzw.hochgradigschwerhörigesKind(ArminLöwe,Gehörlose,ihreBildungundRehabilitati on,in:DeutscherBildungsrat,GutachtenundStudienderBildungskommission,Band30,Son derpädagogik2,Stuttgart1974,S.19). 11

ImFolgendenwird,wennnichtandersangegeben,ausderBroschüreInformationderGe sellschaftzurFörderungderGehörlosene.V.,Hamburg1980,zitiert.

18

Einleitung

durchdasAblesenvomMundentstehenMissverständnisse,dennWorte mitverschiedenerBedeutungundAussprachehabengleicheMundbilder (Not–Tod,eins–acht,m–b).Von30LautenderdeutschenSprachesind nurelfvondenMundbewegungenherunterscheidbar.12 TrotzguterAusbildungbleibteinnormalbegabtesgehörlosesKindauf einem  niedrigeren  Bildungsniveau  stehen  als  ein  hörendes  Kind.  Woher kommtdas?LangeZeitwurdeindersogenannten„Taubstummenpädago gik“alleininLautspracheunterrichtet,mehrWertaufdasSprechenalsauf dasWissengelegt,solautetderVorwurfderVorreitereineranderenPäd agogik,  des  Bilingualismus. Auch  in  Hamburg  wurde  traditionell  die Gebärdenspracheabgelehnt,dadiesenichtnurdieIntegrationindieGe sellschaft  behindere  und  Gehörlose  absondere,  sondern  auch  deren An wendungunterGehörlosen,wieesderehemaligeHamburgerSchulleiter Hermann Maeßeformulierte, „zueinernegativen seelischgeistigenHal tung“führe.13 DieseEntwicklungderAblehnungvonGebärdensprachefußteaufFor derungenSamuelHeinickes,derdenLautsprachUnterrichtfürGehörlose inDeutschlandeinführteunddamitfürdiedeutscheGehörlosenpädagogik wegweisendwurde.WährendzuAnfangdes19.Jahrhundertsallerdings nocheinekombinierteMethodeandeutschenTaubstummenanstaltenan gewandtwurde,inderGebärdenundLautsprachezumEinsatzkamen undauchgehörloseLehrkräfteandenSchulenunterrichteten,hattesich zumEndedesJahrhundertsdieoraleMethodedurchgesetzt.ErstamEnde des  20.  Jahrhunderts  wurde  die  reine  Lautsprachmethode  erneut  tiefge hendinFragegestellt.EsentwickeltensichzweiunterschiedlicheAnsätze, derderhörgerichtetenPädagogik,dieimZugedesSinnesersatzesdurch elektrisch  betriebene  InnenohrProthesen,  den  CochleaImplantaten,  bis zumHirnstammimplantatneueChanceninderhörgerichtetenFörderung sah,undderdesBilingualismus,deralsWeiterentwicklungderkombinier 12 GeübteLippenleserkönnenbeibekanntenThemenbiszu30ProzenteinesTextesablesen. AmLippenbilddeutlicherkennbarsindnurca.15ProzentderLauteindeutscherSprache (Beispieledazuz.B.:http://www.typolis.de/hear/lippenablesen.htm,abgerufenam15.9.2007). 13

 HermannMaeße,DasVerhältnisvonLautundGebärdenspracheinderEntwicklungdes gehörlosenKindes(WissenschaftlicheBeiträgeausForschung,LehreundPraxiszurRehabili tationbehinderterKinderundJugendlicherXIII),VillingenSchwenningen2.Auflage1977(die Ergebnisseder1.AuflageausdemJahr1935wurdenhier40JahrespätervonMaeßeerneut überprüftundbekräftigt),S.104.

Was bedeutet Gehörlosigkeit?

19

tenMethodegesehenwerdenkann.14DieVertreterderbilingualenPädago gikwollenWissenmittelsderSprachederGehörlosengemeinschafterar beitetwissenundGehörlosenmittelsLaut(undSchrift)SpracheundGe bärdenspracheWegeinzweiWelteneröffnen. Nochheutescheintesso,alsstündensichdieVertreterderunterschied lichenpädagogischenAnsätzefastunversöhnlichgegenüber.Nochimmer hatdiereinlautsprachlicheFörderunggehörloserKindersehrvieleAnhän ger.DieinHamburgansässigeBundesgemeinschaftderElternundFreunde hörgeschädigter  Kinder  e.  V.  sieht  als  Ziel  die  Integration  in  die  Mehr heitsgemeinschaftderHörendenundmöchtegehörloseKinderinRegel schulenaufwachsensehen.DiesemeisthörendenElternweisenaufdie einhelligeMeinungvonMedizinernhin,dieeineEntwicklungvonLaut sprachkompetenznurdurchfrüheundgezielteakustischeReizeerzielbar halten–dieHirnreifungseiimWesentlichenbereitsimfrühenKindesalter abgeschlossenunddahereinspätererErwerbderLautsprachenichtmehr möglich.15 SiefordernzurVorbereitungaufdiehörendeundlautsprachli che  Gesellschaft  den  Erwerb  und Ausbau  der  Lautsprache  in  Vor  und Grundschule,währenddieGebärdensprache,wennüberhaupt,erstspäter aufeigenenWunschderKindererlerntwerdendürfe.Wennjemandgebär densprachlich  gefördert  werden  sollte,  dann  höchstens  die  zehn  Pro zentder  gehörlosen  Kinder,  die  aus  verschiedenen  Gründen  nicht  fähig sind,eineLautsprachkompetenzzuerwerben.Über90Prozentdergehör losen  bzw.  stark  schwerhörigen  Kinder,  die  ohne  Hörhilfe  keine  Spra cheüberdasOhraufnehmenkönnen,solltenmitfrühzeitigermedizinischer Unterstüzung  und  hörpädagogischer  Förderung  die  Lautsprache erler nen.AlleHörgeschädigtenlehrkräftesollten,stattGebärdensprachezuler nen,liebereineverbesserteAusbildungindenBereichenHören,Hörförde rung,  Technik  und  Kommunikationspsychologie  erhalten.  Mit  Hilfe  von 14

 Helmut  Vogel,  Gebärdensprache  und  Lautsprache  in  der  Taubstummenpädagogik  im 19.Jahrhundert.HistorischeDarstellungderkombiniertenMethode,Magisterarbeit,maschi nenschriftlich,Hamburg1999.

15

 Prof.Dr.RainerKlinke,SinnesundNeurophysiologeanderUniversitätsklinikFrankfurt amMain,VertreterderauditivverbalenErziehungaufGrundmedizinischerMöglichkeiten derHörwiederherstellungbeschreibtdiesinseinenVeröffentlichungen,u.a.RainerKlinke/ RainerHartmann/SilviaHeid/AndrejKral,WidereineWeltohneWorte.Auchbeiangebore nerGehörlosigkeitNervenverbindungenimHörsystemarbeitsfähig–ChancenfürTherapieim Kindesalter,  in:  Forschung  Frankfurt,  Wissenschaftsmagazin der  GoetheUniversität  2  (1997), S.16–27.

20

Einleitung

modernenHörhilfenundlautsprachlicherKommunikationwirdzukünftig, davonistdieBundesgemeinschaftüberzeugt,ursprünglichnichthörenden KinderndievölligeIntegrationinGesellschaftundBerufslebengelingen, wobeiinsbesonderecochleaimplantierteunddamitnichtmehrgehörlose KinderihreHoffnungsind.16 EinWandelinderBildungundAusbildunggehörloserKinderistinzwi scheninderpädagogischenLandschaftdeutlichzusehen,diereinlaut sprachlicheErziehungwirdimmermehrhinterfragt,ohneausdenAugen zuverlieren,dasseineguteSchreibundLesefähigkeitauchfürGehörlose unverzichtbarist.DerEinsatzvonGebärdenundLautspracheimUnter richtgehörloserbzw.hochgradighörgeschädigterKinderwirdzunehmend befürwortet,diebilingualeUnterrichtsundFrühfördermethodesolltesich imInteresseeinergutenAusbildungweiterdurchsetzen.17 DiezumTeilignorante,hochnäsigeoderablehnendeEinstellungderBe völkerung,aberauchderFachleutegegenüberdenGehörlosenistdasEr gebniseinerlangenEntwicklungvonUnkenntnis,Fehlinformationenund Missverständnissen,sosehenesdieBefürworterdesBilingualismus.Men schen,dienichthören,sehensichnichtalsbehindertan,siesindgehörlos. DasSelbstverständnisderjungenGehörlosenhatsichimVergleichzuden vorigenGenerationengewandelt:18JungeGehörlosesindselbstbewusstge worden,keinVergleichzumtraditionellenBilddesGehörlosenalsdankba resObjektderFürsorgehörenderMitmenschen.HeutewollenGehörlose alsMenschenmiteineranderenSprachegesehenwerden,derGebärden sprache,dieebensovollentwickeltundfähigist,komplizierteGedanken gängezuumschreiben,wiejedeanderealsvollwertiganerkannteSprache.19 16

PositionspapierderBundesgemeinschaftderElternundFreundehörgeschädigterKindere.V. zumThema„Gebärdensprache“,Hamburg1998.

17 SoentstehtauchwiedereinBedarfnachgehörlosenLehrkräftenalskompetentenGebärden sprachlernmitVorbildfunktionalsauchnachdemEinsatzvonGebärdensprachdolmetschern z.B.imUnterrichthöhererSchulklassen. 18

NoraEllenGroce,JedersprachhierGebärdensprache.ErblichbedingteGehörlosigkeitauf derInselMartha´sVineyard(InternationaleArbeitenzurGebärdenspracheundKommunika tionGehörloserBand4),Hamburg1990,S.134undS.118ff.;AnregungenzufolgenderPassa geüberjungeGehörlosewurdeneinerSchweizerFernsehreportagemitdemTitel„Einestille Welt.DasLebenjungerGehörloser“entnommen,dieam6.6.1994auf3Satausgestrahltwurde.

19

Schwedenwar1980dasersteLand,indemdieGebärdensprachezuroffiziellenLandesspra chewurde.GehörloseschwedischeKinderhabeneinRechtdarauf,indieserSprachebzw.bi lingualunterrichtetzuwerden.AuchinDeutschlandfordertenGehörlosemehrAufmerksam

Was bedeutet Gehörlosigkeit?

21

Die  nationalen  Gebärdensprachen,  so  ergaben  Ergebnisse  linguistischer Forschungen,dieEndeder1950erJahreneinsetzten,sindähnlichkomplex undgenausoausdrucksfähigwieLautsprachen.DievisuellenGebärden sprachenhabengenausoeineeigeneGrammatik.SienutzendenKörperals SprachinstrumentmittelsGebärde,MimikundKörperhaltung.20 Aus Belehrung sollgleichberechtigteKommunikation werden.Die Ge hörlosengemeinschaft,diesichnatürlichauchüberihreSprachedefiniert, fordertdieSichtaufeinepositiveIdentität.DabeinimmtdieDeutscheGe bärdenspracheeinezentralePositionalsSpiegelderdeutschenGehörlosen kulturundtraditionein.21 PositiveIdentitätmeinthierbeidieDefinition einerGemeinschaftübereinegemeinsameSpracheunterAblehnungdes Behindertenstatus.  Dies  ist  das  linguistischpositive  Menschenbild  zwei sprachigerGehörloser(Lautsprache–Gebärdensprache).Aufderanderen Seitestehtdas(traditionelle)medizinischdefizitäreBilddesGehörlosenals hörbehinderterMensch.HierausergebensichunterschiedlicheForderun gen.SelbstbewussthabenGehörlosezunehmendfürdieAnerkennungih rerSprachegekämpft–mitErfolg: Zum1.Mai2002tratdasGesetzzur GleichstellungbehinderterMenschen(Bundesgleichstellungsgesetzfürbe hinderteMenschen)inKraft.NichtFürsorge,sondernBürgerrechtesollen MenschenmitBehinderungenzugestandenwerden.DieDeutscheGebär densprachewurdegesetzlichundpolitischanerkannt.22 keitundService,z.B.durchmehrUntertitelimFernsehen.1974hattesichdasZDFerstmals bereiterklärt,Untertitelzusenden,1975startetedieSendung„SehenstattHören“indenDrit tenProgrammen,abernoch1982mussten575.000UnterschriftendenFernsehanstaltenüber gebenwerden,damitdiesedieTagesschauuntertitelten(DeutscherGehörlosenBund,75Jahre DGB.Jubiläumsschriftanlässlichdes75jährigenBestehensdesDeutschenGehörlosenBundes, Kiel2002,S.21).2001warenerstzweiProzentallerSendungenderdeutschenFernsehsender durchUntertitelerschlossen(SiegmundPrillwitz,AngebotefürGehörloseimFernsehenund ihreRezeption[Themen,Thesen,TheorienBand17],Kiel2001).EineweitereForderungwaren Gebärdenspracheinblendungen  während  der  Nachrichten  (Demonstration  am  23.6.1995  in Hamburg,KlagevonzweiGehörlosengegendenNDR).Erreichtwurde,dassaufPhoenixseit AusstrahlungsbeginndesSenders1997„Tagesschau“und„heutejournal“inGebärdenspra chebegleitetwerden. 20

JörgKeller,DieErforschungderGebärdensprache,in:Beecken,Anne,GrundkursDeutsche Gebärdensprache,2.durchgeseheneAuflageHamburg2002,S.77–80,hierS.78.Anmerkung zurKultur,in:Beecken,Anne,GrundkursDeutscheGebärdensprache,2.durchgeseheneAuf lageHamburg2002,S.22–24,hierS.22.

21 22

Ebd.,S.23.

GleichstellungsgesetzArtikel1§6Absatz1:„DieDeutscheGebärdenspracheistalseigen ständigeSpracheanerkannt“.

22

Einleitung

GehörlosigkeitbehindertMenschen,weilsieausderalltäglichenKom munikationderhörendenMitmenschenausgeschlossensind.Sieerhalten dadurchwenigerInformationen,werdenmissverstandenundmissverste henhörendeMenschen–darausresultierteineIsoliertheit,diedurcheine engeBindunguntereinanderwettgemachtwird.DerHörendehörtbeim LesendiegedrucktenWorte,hateinenKlangimKopfundvollziehtsodas Gelesenenach.DerGehörlosesiehtdasSchriftBildundmusssichdenIn haltschwierigerschließen.DasUmwandelnderLautsprachZeicheninGe bärdensprachehilft,sichkomplexeGedankengängevorstellenzukönnen, sieschnellernachvollziehenundverstehenzukönnen.Lautspracheistfür Menschen,dienichthörenkönnen,immereinesehrferneFremdsprache. GehörloselebenineinereigenengehörlosenGemeinschaftmiteinereige nenKulturmitstarkemZusammenhalt,dieallerdingsalsebensostarrgilt wiehörendeGruppierungen.AuchsiehabenVorurteile–diesichgegen SchwerhörigeoderSpätertaubte richten,dielautsprachlicherzogenwur denundnichtperfektinderGebärdensprachesind.23 WiewurdeundwirddasThemaGehörlosigkeitinHamburgbehandelt? WiegingdieHansestadtmitgehörlosenHamburgerinnenundHambur gernum?WieentwickeltesichdieGehörlosenbildungindieserStadtund welcheRollenahmundnimmtHamburgdabeiinDeutschlandein?Um dieThesederführendenRolleHamburgsinderdeutschenGehörlosenbil dungzumanifestieren,wirdindervorliegendenhistorischenDarstellung dieGeschichtederHamburgerGehörlosenbildungaufgezeigt,diemitder EntwicklungdererstenTaubstummenanstaltDeutschlandsinden1770er Jahren  beginnt  und  bis  in  die  1990er  Jahre  führt,  als  in  Hamburg  das deutschlandweiterstebilingualeUnterrichtsprojektfürgehörloseKinder gestartetwurde.DieseArbeitisteinBeitragzurOrganisationsundIdeen geschichtedesBildungswesens,siezeigtalltagsundsozialgeschichtliche AspekteaufundsieträgtnichtzuletztzurErhellungderGeschichtedes HamburgischenSchulundUnterrichtswesensbei.

23

ZurTheoriedereigenenKultursieheCarolPadden,TomHumphries,Gehörlose.EineKul turbringtsichzurSprache(InternationaleArbeitenzurGebärdenspracheundKommunika tionGehörloserBand16),Hamburg1991;HarlanLane,DieMaskederBarmherzigkeit.Unter drückungvonSpracheundKulturderGehörlosengemeinschaft(InternationaleArbeitenzur GebärdenspracheundKommunikationGehörloserBand26),Hamburg1994.

Die Stellung Hamburgs in der Gehörlosenbildung

23

1. 3 D ie Ste l lun g Hamburgs in der Gehörlosenbildung DieheutealsTeilderSchulefürHörgeschädigteineinemGebäudekom plexdichtamHornerKreiselbestehendeHamburgerGehörlosenschule, dieSamuelHeinickeSchule,kannaufeinelangeTraditionzurückblicken. IhreAnfängereichenbisindas18.Jahrhundertzurück,alsderKantor undSchulmeisterderEppendorferSt.Johanniskirche,SamuelHeinicke, damitbegann,gehörloseSchülerinnenundSchülerimKüsterhausinder Lautsprache  zu  unterrichten.  Dies  war  die  erste  „Taubstummenanstalt“ Deutschlands. Heinicke wurde zumBegründerder so genannten „deut schenMethode“,dieinderAusbildungGehörloseraufdiereineLautspra chenlehresetzte.DieseMethodesetztesichab1880weltweitalsfavorisierte Ausbildungsmethode  in  der  Gehörlosenpädagogik  durch.  Als  Heinicke einenRufdesSächsischenKurfürstenannahmund1778mitseinenSchü lernnachLeipzigübersiedelte,umdortdieerstestaatlicheEinrichtungdie serArtzubegründen,ruhteinHamburgdieAusbildungGehörloser,bis 1823durcheineSchriftmitdemTitel„WünscheundVorschlägezurErrich tungeinerTaubstummenanstaltfürHamburgbetreffend“einerneuterAn stoß  erfolgte.  Verfasser  war  der  Mediziner  Dr.  Heinrich  Wilhelm  Buek (1796–1879),derbereitsinden1820erJahrenGehörloseunterrichtethatte undmitdieserVeröffentlichungdengedanklichenGrundsteinfürdieneue HamburgerTaubstummenanstaltlegte.Diesewurdeam28.Mai1827von einerprivatenmildenStiftungalsTrägergegründet.1882wurdedieSchule verstaatlicht,währenddasangegliederteInternatdenCharaktereiner„mil denAnstalt“behielt.IhrersteseigenesGebäudebezogenSchuleundInter nat1872anderBürgerweideinHamburgBorgfelde.ImKriegwurdedas Gebäudezerstört,einNeubauwurde1964imStadtteilHornerrichtet,der obengenannteGebäudekomplexamHornerKreisel.ImJahr2000endete dieeigenständigeGeschichtederHamburgerGehörlosenschule:DieBehör defürSchule,JugendundBerufsbildungführteaufderGrundlageeiner Rechtsverordnungvom5.Juli2000dieSchulefürGehörlose,SamuelHei nickeSchule,mitderSchulefürSchwerhörigezur„SchulefürHörgeschä digte–SchulefürSchwerhörigeundSchulefürGehörlose“organisato rischzusammen. DievorliegendeArbeitisteineGesamtdarstellungderGeschichtederin stitutionalisierten  Gehörlosenbildung  in  Hamburg.  Um  die  Rolle  Ham burgsinderEntwicklungderGehörlosenpädagogikzuverdeutlichen,wird

24

Einleitung

hiererstmaligumfassendihregeschichtlicheEntwicklungaufgezeigt.Die DarstellungbeginntmitSamuelHeinickeundzeichnetdenWegnach,der von  der  Milden  Stiftung  Taubstummenanstalt  über  die  Gründung  einer staatlichenSchulefürGehörloseundderenEntwicklungbiszurAufgabe der  Selbstständigkeit  im  Jahr  2000  geführt  hat.  Neben  den  organisatori schen  Rahmenbedingungen  werden  die Ausbildung  verschiedener  Lehr methoden  sowie  alltagsgeschichtliche Aspekte  herangezogen.  Die Arbeit verdeutlichtHamburgsüberJahrzehnteführendeStellunginderGehörlo senpädagogik,indemsieSamuelHeinickesersteschulischeUnterrichtsver suchefürGehörloseinEppendorfschildertunddarüberberichtet,wiees 1827zurGründungdererstenprivatenTaubstummenschulefürGehörlose inHamburgkam.AnHamburglassensichauchdieverschiedenenWege, die  die  Gehörlosenpädagogik  in  Deutschland  nahm,  besonders  deutlich aufzeigen,weilHamburgzweimalanwichtigenGrenzpunktenprägenden Einflussnahm.Im18.JahrhundertwurdeindeutschenTaubstummenan staltennachderMethodeunterrichtet,dieinHamburgvonSamuelHeini ckeerstmalsimRahmeneinesInternatspraktischgetestetwordenist.Als überallinEuropagebildeteGehörloseanTaubstummenanstaltenunterrich teten,gabesauchinDeutschlandAnfangdes19.Jahrhundertsgehörlose Lehrkräfte–unddieHamburgerTaubstummenanstaltbegannihrenUnter richtmitderEinstellungeinesgehörlosenLehrers.HierinHamburgwurde aberauchraschwiederdieLautsprachmethodefavorisiert,diezumEnde des  Jahrhunderts  in  ganz  Europa  zur  bevorzugten  Lehrmethode  wurde. WährendzeitweiseandereStädtedieVorreiterrolleinderdeutschenGe hörlosenpädagogikübernahmen–wieLeipzigoderBerlininden1920er Jahrenundnach1945Dortmund–,soistHamburginden1990erJahren wiederindenBlickpunktgerückt.InderHansestadtwurdedieGehörlo senpädagogikreformiert,dieGebärdeinErziehungundBildungGehörlo seranerkannt,undeinInstitutfürdieErforschungderMuttersprache24der Gehörlosen,derGebärdensprache,errichtet.IndieserArbeitwirddarüber berichtet,welcheDurchsetzungskrafteskostete,diedeutschlandweiterste bilingualeKlassefürgehörloseKinder(deutscheLautsprache–deutsche Gebärdensprache)  in  Deutschland  zu  institutionalisieren.  Nachdem  jahr 24

ObwohlderTerminus„Muttersprache“nichteigentlichgilt,dennnurca.10Prozentderge hörlosenKinderhabenauchgehörloseEltern(Gesprächam20.3.1995mitProf.KlausB.Gün ther,EvelineGeorge,VerenaThielHoltzundAngelaStaabinderSamuelHeinickeSchulein HamburgHorn).

Die Stellung Hamburgs in der Gehörlosenbildung

25

hundertelangkeinehöhereBildungfürGehörloseinDeutschlandzuerrei chenwar,istesjetztGehörloseninbreiteremRahmenmöglich,anderUni versitätzustudieren,inHamburgauchGehörlosenpädagogikamFachbe reichSprachwissenschaftenmitdemZiel,Lehrkraftzuwerden.25 MitdieserDarstellung,dieauchdasWirkenderLehrkräfteunddasEr gehenderSchülerinnenundSchülerimhistorischenBezugdarstellt,sollen VerständnisundInteressefürgehörloseMenschenundihreForderungen gewecktwerden.EssollenzudemAnregungenzuweitererForschungge gebenwerden,dadievorliegendeArbeitvieleThemennuranschneiden kann.

1. 4 Fo rschungsst and , Q ue lle nla ge und Au fba u de r A rbe it WährenddasLebenSamuelHeinickesheuterechtguterforschtscheint,ist LiteraturüberdieHamburgerBildungseinrichtungen für Gehörlose und dieGeschichtederSchule,derLehrkräfte,SchülerinnenundSchülerrecht rar.UmfassendeDarstellungengibtesnicht. 1927fandzum200.GeburtstagSamuelHeinickeseineJubiläumstagung desBundesdeutscherTaubstummenlehrerinHamburgstatt.Ausdiesem AnlasswurdeneinigehistorischeAbhandlungenpubliziert,daruntereine GeschichtederHamburgerSchuleunterdemTitel„DieTaubstummenAn staltfürHamburgunddasHamburgerGebiet“,diederHamburgerTaub stummenlehrerundehemaligeSchuldirektorAlwinHeinrichsdorffverfasst hatte.  Dieser  hatte  für  die  Erstellung  seiner Arbeit  „Jahresberichte  und sonstigeUrkunden“herangezogen.26Vielederursprünglichfürpotentielle finanzkräftige  Förderer  der  Anstalt  publizierten  Jahresberichte  der  An staltsleitung  stehen  auch  heute  noch  der  Forschung  zur  Verfügung  und 25

 1994studierteninHamburgsiebengehörloseStudentendasFachGehörlosenpädagogik, 1995warenesschonzehnundOlafTischmann(geb.1965),bestandalserstergehörloserGe hörlosenlehrer  sein  Examen.  Werden  für  weitere  studierte  gehörlose  Lehrkräfte  Stellen  an deutschenGehörlosenschulengeschaffen,wirddiesvoraussichtlichzueinererneutenReform führenunddieGebärdenspracheweitgehenderindenUnterrichtandenGehörlosenschulen durchdringen.Wiedasgeschehenkann,zeigtsichinanderenbilingualenSchulen,dieesvor wiegendindenVereinigtenStaatenundSkandinaviengibt,inderalsersteSprachedieGebär denspracheunddaraufaufbauendgeschriebeneLandessprachegelehrtwird.

26

AlwinHeinrichsdorff,DieTaubstummenAnstaltfürHamburgunddasHamburgerGebiet, Hamburg1927,Einleitungstext.

26

Einleitung

sind  eine  wichtige  Quelle  zur  Schulgeschichte,  während  Schriftwechsel und  weitere  Dokumente  der Amtsleitung  kaum  noch  zu  ermitteln  sind. Den  Teilnehmern  der  Tagung  im  Jahr  1927  wurde  außerdem  eine  Fest schriftmitArtikelnverschiedenerAutorenausgehändigt,dieheutewert volleEinblickeindieSichtaufgehörloseundschwerhörigeKinderundEr wachsenegibt.27 MitdemInteresseander„DeafHistory“gabesEndedes20.Jahrhun dertszunehmendauchAufsätzezuhistorischenThemenmitHamburg Bezug,dieinderseit1987inHamburgherausgegebenenZeitschrift„Das Zeichen.  Zeitschrift  zum  Thema  Gebärdensprache  und  Kommunikation Gehörloser“veröffentlichtwurden.HansUweFeigeerforschtedieLebens wege  einiger  Schüler  Heinickes,28 Studentengruppen  um  Renate  Fischer, Professorin  für  GebärdensprachLinguistik  und  Geschichte  der  Gehörlo senGemeinschaftenanderUniversitätHamburg, bemühtensichumdie Wiederentdeckung  der  Bedeutung  Hamburger  Gehörloser  wie  John  Pa cher.29InneuesterZeitsetztsicheinBerlinerVereinfürdieFörderungder GeschichtevonKulturundGebärdensprachederGehörlosenein.Vorden erstenDeutschenKulturtagenderGehörlosen1993inHamburggründete derDeutscheGehörlosenBunde.V.die„InteressengemeinschaftzurFör derungderKulturGehörloser“(IFKG).DieIFKGwurdefünfJahrespäter in  „Kultur  und  Geschichte  Gehörloser“  (KuGG)  umbenannt.  Die  KuGG unddieseit1996aktive„DeafHistory–InteressengruppezurGeschichte Gehörloser“schlossensich2001zusammen.DieserVereinwirdvonden gehörlosenHistorikernHelmutVogel,Hamburg,undJochenMuhs,Berlin, geleitetundstelltseineForschungsergebnisseauchimInternetvor.30

27

FestgabezurSamuelHeinickeJubiläumstagungdesBundesDeutscherTaubstummenlehrer, Hamburg1927.Darinu.a.:AlwinHeinrichsdorff,GeschichtedesTaubstummenbildungswe sensinHamburg;PaulJankowski,EntwicklungundgegenwärtigerStanddesSchwerhörigen bildungswesensinHamburg;WilhelmBehrens,DieTaubstummenfürsorgeinHamburg.

28

 HansUweFeige,„DenntaubstummePersonenfolgenihrenthierischenTrieben…“–Ge hörlosenBiographienausdem18.und19.Jahrhundert,Leipzig1999;ders.,SamuelHeinickes Eppendorfer„Muellersohn“,in:DasZeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheund KommunikationGehörloser48(1999),S.188–193.

29

RenateFischeru.a.,JohnE.Pacher(1842–1898)–ein„Taubstummer“ausHamburg,in:Das Zeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheundKommunikationGehörloser32(1995), S.122–133und33(1995),S.254–266.

30

http://www.kugg.de,abgerufenam2.8.2007.

Forschungsstand, Quellenlage und Aufbau der Arbeit

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DadasgewählteThema„GehörlosenbildungimHamburg“rechtum fangreichist,wurdederSchwerpunktdieserArbeitaufdieGeschichteder institutionalisiertenBildunggelegt.AufGrundihresengenVerhältnisses zueinanderwerdenauchdieSchwerhörigenschule,dieGehörlosenvereine undanderefürdieKulturundAusbildunggehörloserHamburgerinnen undHamburgerwichtigeEinrichtungenvorgestellt.Hierzugibtesneuer dings  zwei  Veröffentlichungen,  die  sich  konkret  mit  der  Geschichte  des HamburgerGehörlosenvereinswesensbeschäftigen.31 In  jedem  Zeitabschnitt  der  vorliegenden  grundlegend  chronologisch aufgebautenArbeitsindSchwerpunktthemenderjeweiligenZeitalseinzel neKapitelausgearbeitet. AlsHintergrundundGrundlagedientendabei nichtnurgedrucktenQuellen–dievorliegendeArbeitbasiertvorallemauf bisherunveröffentlichtenArchivalien,die vorwiegendaus demStaatsar chivHamburgstammen.AktenderSamuelHeinickeSchulesindimJahr 1943beiderAusbombungdesSchulgebäudesanderBürgerweidevollstän digvernichtetworden,sodassausUnterlagenschulischerProvenienznur aufdieZeitnach1945zurückgegriffenwerdenkonnte.DafüristdieÜber lieferung,diezurGeschichtederHamburgerGehörlosenbildungdurchdie verschiedenenJahrhunderteAuskunftgebenkann,inanderenBeständen desStaatsarchivserstaunlichvielfältig.VieledieserUnterlagenwurdenfür dieseArbeiterstmalsverwertet.32 DurchdieArchivaliendesStaatsarchivskannauchderbisherzusehr vernachlässigtegeschichtlicheAbschnittderZeitdes„DrittenReiches“er helltundzumBeispieldurchdieSchilderungendesLehrersFritzSchmidt (1892–1973),derdiegehörlosenKinderindieKinderlandverschickungbe gleitete,genaudargestelltwerden.DieErinnerungandiedurchdenStaat 31

ChristianHannen,VonderFürsorgezurBarrierefreiheit.DieHamburgerGehörlosenbewe gung1875–2005,Seedorf2006;GehörlosenverbandHamburge.V.(Hg.),75JahreGehörlosen verbandHamburg.JubiläumsFestschrift,Hamburg2005.

32

ImBestandSenatfindensichArchivalienzurGeschichtederTaubstummenanstaltundihrer LehrerzuAnfangdes20.Jahrhunderts.AlsbesondersinhaltsreicherwiesensichUnterlagen derSchulbehörde(BestandOberschulbehördeVfürdieZeitvon1873bis1933,BestandOber schulbehördeVIfürdieZeitnach1933).ÜberdieAnwendungdes„GesetzeszurVerhütung erbkrankenNachwuchses“berichtenAktenausdemErbgesundheitsgerichtunddemMedizi nalkollegium. Vigilanzberichte  und  gesammelte  Zeitungsausschnitte  der Politischen  Polizei sowieSchriftstückeausPersonalaktenderSchulbehördelassenEinzelschicksaledeutlichwer den.DieVereinsgeschichteHamburgerGehörloserkannebenfallsdurchAktendesBestandes PolitischePolizeisowieausarchiviertenUnterlagenderSozialbehördenachvollzogenwerden.

28

Einleitung

verfolgtenHamburgerTaubstummenlehrkräfteAlfredSchärundDorothea Elkankonntewiederhergestelltwerden.VorallemsollandieserStellevon dengehörlosenHamburgerinnenundHamburgernberichtetwerden,die vondenNationalsozialistendiskriminiertundals„minderwertig“tituliert verfolgtwurden:Unterdeninsgesamt24.000OpferndesaufGrunddes „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“zwangssterilisierten HamburgerinnenundHamburgernfindensichauchGehörlose.Entgegen den  Behauptungen  damaliger  Lehrkräfte  waren  sogar  gehörlose  Kinder, dieinHamburgzurSchulegingen,unterBerufungaufdiesesGesetzsteri lisiertworden. Fürden Themenkomplex der Zwangssterilisationbegann sichdieForschunginden1990erJahrenzuinteressieren.33DerGehörlosen lehrerHorstBiesold(1939–2000)warinden1980erJahrenderersteWissen schaftler,deraufdasSchicksalgehörloserDeutscherimDrittenReichhin wiesundsichfürdieRehabilitationsterilisierterGehörlosereinsetzte.Sein heute  in  der  Hamburger  Universität  aufbewahrter  wissenschaftlicher Nachlasswurdebishernochnichtweitergehendgeordnet.TeileseinerBib liothek  wurden  der  Forschung  als  Teil  der Bibliothek  des  Instituts  für Deutsche  Gebärdensprache  und Kommunikation  Gehörloser zur  Verfü gunggestellt. NebendenUnterlagenausdemStaatsarchivkonntenmitfreundlicher UnterstützungvonEugenTellschaftundDr.ChristianHannenauchAkten ausderAltregistraturdesältestenHamburgerGehörlosenvereins,desAll gemeinenGehörlosenUnterstützungsVereins,fürdieZeitabden1930er Jahrenausgewertetwerden.DieBibliothekdesInstitutsfürDeutscheGe bärdensprache  und  Kommunikation  Gehörloser  verfügt  über  größere Zeitschriftenbestände.UmdieQuellenlagezuergänzen,wurdenaußer demInterviewsmitZeitzeugengeführt.IhreprivatenDokumenteundEr innerungenandieeigeneSchulzeitundanihreVäter,AussagenzurAr beitsweiseundHinweiseaufweiterführendeQuellen,FotosundLiteratur habendieseArbeitvorangebrachtundmitLebenerfüllt.

33

Vgl.HorstBiesold,KlagendeHände.BetroffenheitundSpätfolgeninbezugaufdasGesetz zurVerhütungerbkrankenNachwuchses,dargestelltamBeispielder„Taubstummen“,Solms Oberbiel1988;ChristianeRothmaler,Sterilisationennachdem„Gesetz zur Verhütungerb krankenNachwuchses“vom14.Juli1933(AbhandlungenzurGeschichtederMedizinund derNaturwissenschaftenHeft60),Husum1991;AndreasKammerbauer,Behindertenpolitik. EineChancefürHörgeschädigte?Hamburg1993.

Forschungsstand, Quellenlage und Aufbau der Arbeit

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DiehistorischeDarstellungderEntwicklungderHamburgerTaubstum menanstaltistinihremFacettenreichtumeinBeitragzurSozialgeschichte, zurRegionalgeschichte,zurAlltagsgeschichte,aberauchzurMinderheiten geschichte.DieseArbeitmöchtedamitaucheinenBeitragzudernochjungen historischenDisziplin„DeafHistory–GeschichtederGehörlosen“liefern, welcheimJuni1991aufder„ersteninternationalenTagungzurGeschichte derGehörlosen“anderGallaudetUniversityinWashingtonD.C./USA– derweltweiteinzigenUniversitätfürGehörlose–offiziellbegründetwur de.34ZweiJahrezuvorhatteesaufdem„DeafWayFestival“inWashington D.C. bereitseinigewissenschaftlicheBeiträgezurGehörlosenkulturund geschichtegegeben.1990fandinHamburgdasersteTreffenaller„Deaf History“InteressiertenwährenddesinternationalenKongresseszur„Ge bärdenspracheinForschungundPraxis“statt.35„DeafHistory“beschäftigt sichmitderGeschichtederGehörlosen,ihrerGemeinschaftundihrerKul tur.DieseFormderGeschichtsdarstellungstelltdieSpannungenzwischen hörenderMehrheitundgehörloserMinderheitinVergangenheitundGe genwartdarundzeigtdiegesellschaftlicheSituationGehörloseralsMin derheitengeschichte.DeafHistory,sodefiniertesderBerlinerGehörlosen lehrerUlrichMöbius,„berücksichtigtalleLebensbereiche,indenensichdie GehörlosenKulturmanifestiertunddieGehörloseundihreGemeinschaft berühren“–dassindbiografischewiekulturelle,linguistischewiesoziale Gesichtspunkte,wobeiGehörloseals„kulturelleundsprachlicheMinder heit“definiertwerden.36 Dabeimussichmichfragen,inwieweitichmich alshörendeForscherinvorwiegendmitderRollederHerrschaftsstruktur Schule  innerhalb  der  asymmetrischen  Grundstruktur  im  Umgang  der Mehrheitsgesellschaft  mit der  Minderheit  Gehörloser  beschäftige  –  wäh rend  gehörlose  Forscher  die  Gehörlosenkultur  darstellen  –  und  ob  dies nochals„DeafHistory“definiertwerdenkann.IchkannmichdemAspekt 34

Die„zweiteinternationaleTagungzurGeschichtederGehörlosen“fanddannvom1.–4.Ok tober1994inHamburgstatt.

35

 Eine  Einführung  zur  Deaf  History  gibt  Ulrich Möbius, Aspekte  der  „Deaf  history“For schung,TeilI,in:DasZeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheundKommunikation GehörloserNr.22(1992),S.388–401,hierS.388.

36

 Ebd.,S.389.DasBewusstwerdeneinereigenenGeschichteistidentitätsundsinnstiftend und  bringt  der  Gehörlosengemeinschaft  durch  die  Verknüpfung  von  Kultur  und  Sprache einenwichtigenBezugzureigenenVergangenheit(MarkZaurov,GehörloseJuden.Einedop peltekulturelleMinderheit.FrankfurtamMain2003,S.41und84f.)

30

Einleitung

„History“inder„DeafHistory“naturgemäßnurannähern.Bedingtdurch diearchivischeQuellenlagewird,sosehrsichalsomeineArbeitalsBeitrag zur„DeafHistory“inderDefinitiondesHistorikersDr.GüntherListals „GeschichtedesUmgangsderhörendenMehrheitmitdergehörlosenMin derheit“sieht,37 dieGeschichtederHamburgerGehörlosenbildunginder vorliegendenArbeitausderSichtderHörendenerzählt.Siemöchteden noch  in  der  Schilderung  eine  Mittlerposition  einnehmen  zwischen  einer einseitigen„DeafHistory“,dieGehörlose,vereinfachtformuliert,als„Sub jekte“siehtundsichalsinterneGeschichteaußerhalbhörenderGeschichts schreibung  darstellt, und dertraditionellen „Geschichte der Gehörlosen pädagogik“,dieaufGehörloseeherals„Objekte“schaut,unddiesebeiden SichtweiseninihrerBeziehungaufdieGeschichtegehörloserHamburger verbinden.DieEmanzipationGehörloser,ihrBemühenumAnerkennung ihrerSpracheundihrKampfgegendenOralismuskannausdenvorhande nenAktenebensoherausgelesenwerden,wiedie–ingrößererAnzahlvor handenen–MeinungenHörender.EinenGegenpolzurGeschichtsschrei bungHörenderbildenzudemInterviewsmitgehörlosenZeitzeugensowie dieUnterlagendesAllgemeinenGehörlosenUnterstützungsVereins.Da bei  steht  die  „Oral  History“  in  der  „Deaf  History“  für  „erzählende  Ge schichte“undnicht„mündlicherzählteGeschichte“undstelltgeradefür InterviewsGehörlosereinwichtigesMediumdar.38 EinWortzurTerminologie:Gehörlosesindnichtstummodersprachlos, dasieeineeigeneSprachehaben,dieGebärdensprache.SoistderBegriff „taubstumm“,derauchdieDummheitimpliziert,39 heutenichtmehrge bräuchlich.InmeinerArbeittauchtdiesesprachlicheBezeichnungdennoch 37

 GüntherList,ArbeitsfeldundBegriffder„Deafhistory“– einKlärungsversuch,in:Das Zeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheundKommunikationGehörloser25(1993), S.287–294,hierS.294alsAntwortaufeineGehörlosenvorbehalteneDefinitionvonDeafHis toryvonOwenWrigley,Die„Deafhistory“derHörenden;oder:StrategienzurRettungder Andersartigkeit,in:DasZeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheundKommunika tionGehörloser23(1993),S.14–19. 38 Möbius,Deafhistory,TeilI,S.397;JohnS.Schuchman,OralHistoryunddasErbederGe hörlosen,in:Fischer,Renate/Lane,Harlan(Hg.),Blickzurück.EinReaderzurGeschichtevon GehörlosengemeinschaftenundihrenGebärdensprachen(InternationaleArbeitenzurGebär denspracheundKommunikationGehörloserBand24),Hamburg1993,S.609–631. 39

 ImalthochdeutschenSprachgebrauchbedeutettaub:tumb=dumm,verstockt.(Deutsches Wörterbuch,begründetvonJakobundWilhelmGrimm,bearbeitetvonMatthiasLexer,Diet richKralikundderArbeitsstelledesDeutschenWörterbuches,Band11,I.Abteilung,I.Teil, Leipzig1935,Sp.162–165).

Forschungsstand, Quellenlage und Aufbau der Arbeit

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auf:  als  Teil  eines  offiziellen  Namens  wie  „Taubstummenanstalt“  oder „Taubstummenlehrer“oderwennvonZeitendieRedeist,inderGehörlose inderGesellschaftals„Taubstumme“galten.

2 Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg

SamuelHeinickewurdeinHamburgzumBegründerderdeutschenGehör losenpädagogik.ErentwickeltefürdenUnterrichtGehörloserdiesoge nannte„deutscheMethode“: Heinickenahm „Taubstumme“beisich auf undbrachteihnendieLautsprachebei:ErließsievomMundablesenund ließsieselbstsprechen. Am10.April1727wurdeSamuelHeinickeinNautschützbeiZschorgu la,KreisWeißenfels,inKursachsenalsSohneinerBauernfamiliegeboren. 40 ErwuchsaufdemelterlichenHofaufundbesuchtedieDorfschule.Daer begabtwarundgutlernte,schlugenderLehrerundderPastorHeinickes Vatervor,denSohnstudierenzulassen.DochderVaterlehntediesab, dennderSohnsollteBauerwerdenundspäterdenHofübernehmen.An scheinendwehrtesichHeinickeimmerwiedergegendieAutoritätdesVa ters,letztendlichgingerinfolgeeinerLiebesaffäre–esheißt,erwidersetzte sicheinervomVatergewünschtenHeirat–nachDresden,woerinden Dienst  der  Leibgarde  des  Kurfürsten  Friedrich  August  II. von  Sachsen 40

 Eine  ausführliche,  allerdings  mit  Legenden  und  Geschichtchen  geschmückte  Biographie Heinickesschrieb1870HeinrichErnstStötzner.ErstütztesichdabeiaufdenNachlassHei nickesund–besondersinBezugaufHeinickesJugendzeit–aufAussagenderWitwe(Hein richErnstStötzner,SamuelHeinicke.SeinLebenundWirken,Leipzig1870).PaulundGeorg SchumannwurdenAnfangdes20.Jahrhundertszubekanntenundwissenschaftlichfundier ten  HeinickeExperten:  Georg  und  Paul  Schumann,  Samuel  Heinicke,  Leipzig  1909;  dies., NeueBeiträgezurKenntnisSamuelHeinickes,Leipzig1909;dies.(Hg.),SamuelHeinickesge sammelte  Schriften,  Leipzig  1912  (im  Folgenden:  Schumann,  gesammelte  Schriften);  Paul Schumann,  Samuel  Heinickes  Persönlichkeit.  Vortrag  gehalten  in  der Aula  der  Universität Leipzigam4.Oktober1909aufder8.VersammlungdesBundesdeutscherTaubstummenlehrer, Leipzig1909;ders.,NeueBeiträgezurKenntnisSamuelHeinickes,in:BlätterfürTaubstum menbildungNr.7und8,OsterwieckHarz1926;ders.,SamuelHeinickesSendung.Festrede gehalten in der  Musikhalle zu Hamburgzur Weihefeierder  SamuelHeinickeJubiläumsta gung  des  Bundes  deutscher  Taubstummenlehrer,  Leipzig  1927;  ders.,  Samuel  Heinicke  in Hamburg,in:FestgabezurSamuelHeinickeJubiläumstagungdesBundesDeutscherTaub stummenlehrer,Hamburg1927;ders.,Festgabe.SamuelHeinickesLebenundWirken,Ham burg1969(NeuauflagederAusgabevon1927).

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Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg

(1696–1763)trat.NebenbeibildeteHeinickesichautodidaktisch–wiezuder Zeitdurchausüblich–inverschiedeneRichtungenweiter.DaesimLeibheer manchmalmonatelangkeinenSoldgab,versuchteHeinickesichalsMusi ker– erspieltemehrereStreichinstrumente–undalsLehrerfürSchreiben undMusik.SobekamerauchersteKontaktezuGehörlosen:Erunterrichtete einentaubstummenJungennachdem1692erschienenenLehrbuch„Surdus loquens“  des  in  Amsterdam  lebenden  Arztes  Johannes  Conrad  Amman (1669–1724)inderLautsprache.41HeinickeentdeckteseineFreudeamUnter richtenundentschiedsich,Lehrerzuwerden.SeinePläne,ausdemMilitär auszuscheiden,wurdendurchdenBeginndesSiebenjährigenKrieges1756 durchkreuzt.SeinAbschiedausdemMilitärdienstwurdeHeinickeverweigert.

Abbildung 1: Samuel Heinicke

41

Stötzner,Heinicke,S.10.ZuAmmansieheExkursmiteinemgeschichtlichenÜberblicküber dieverschiedenenpädagogischenModelle.DieLegendewillesso,dassHeinicke,alserim ParkvonDresdenspazierenging,aufeineFörstersfraumitihrenzweiSöhnentraf,vondenen dereinegehörloswar.DieserhatteimSpielausVersehenseineSandburgzertretenundbe schuldigte  nun  seinen Bruder. Heinicke aber zeigte auf den  schuldigen Jungen und sagte: „Du!“DamithabeerausdemJungendiesesWorthervorgelockt,woraufdieMutterihrenge hörlosenJungenzumUnterrichtzuHeinickegab(nach:FritzSchneider,WodurchHeinicke zum  ersten  TaubstummenUnterricht  kam,  in: Allgemeine  Deutsche  GehörlosenZeitschrift (OrgandesRegede,NachfolgerdererstendeutschenGehörlosenzeitung„DerTaubstummen freund“)Nr.16(FestnummerzurSamuelHeinickeJubiläumstagung)vom15.8.1927,S.80.

Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg

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DieNiederlagedessächsischenHeeresbeiPirnaimOktoberdesselbenJah resbrachte Heinicke in preußischeKriegsgefangenschaft.Daerzwangs weisezumpreußischenMilitäreingezogenwerdensollte,flohernachJena undimmatrikuliertesichanderdortigenUniversität.ErstudiertePhiloso phie,MathematikundNaturlehre.42Dochauchdortwähnteersichnichtsi cher,  so  dass  er  –  inzwischen  verheiratet  mit  Johanna  Maria  Elisabeth Kracht(gestorben1775)43–imSommer1758mitFrauundSohnüberAlto nanachHamburgging.HierbegegneteHeinickederEhefraudesDichters FriedrichGottliebKlopstock(1724–1803),Margarethe(genanntMeta)Klop stock,geb.Moller(1728–1758),dieHeinickeindieHamburgerGesellschaft einführte.44 Heinicke bekambaldauchinHamburgdieMöglichkeit,sich seinenLebensunterhaltdurchUnterrichtenzuverdienen.ErwarinHam burgundimbenachbartendänischenAltonaPrivatlehrerbeimehrerenFa milien  und  unterwies  deren  Kinder  in  Musik,  Sprachen,  Schreiben  und Rechnen.1760wurdeHeinicke–vielleichtdurchdieVermittlungdermit ihmbekanntenFamiliedesPredigersundDichtersJohannAndreasCra mer45(1723–1788)–HauslehrerfürdieKinderdesSpekulanten(undspäte

42

NeueDeutscheBiographie,Band8,Berlin1969,S.304.

43

StaatsarchivHamburg(künftig:StAHbg),5131St.JohannisinEppendorf,CgNr.1,S.111. IhrGeburtsdatumkonntevonderHeinickeForschungnochnichtermitteltwerden(Mittei lungderBibliothekderLeipzigerSamuelHeinickeSchuleam17.8.1995;PaulSchumann,Mit teilungausdemdeutschenMuseumfürTaubstummenbildungNr.44–46,1942).

44

 DiesesKapitelfolgt:PaulSchumann,SamuelHeinickeinHamburg,in:FestgabezurSa muelHeinickeJubiläumstagungdesBundesDeutscherTaubstummenlehrer,Hamburg1927, S.7–35(keineeinheitliche,fortlaufendePaginierung,daauseinzelnenFestgabenbestehend); neunterBerichtdesVerwaltungsAusschussesderam28stenMai1827gestiftetenTaubstum menSchulefürHamburgunddasHamburgerGebiet,Hamburg1847,S.27–36;HansUwe Feige,SamuelHeinickesEppendorfer„Muellersohn“,in:DasZeichen.ZeitschriftzumThema GebärdenspracheundKommunikationGehörloser48(1999),S.188–193;IrisGroschek,Samu elHeinickeinHamburg.EinebiographischeSkizze,in:Auskunft.MitteilungsblattHambur gerBibliotheken18.Jahrgang(1998)Heft4,S.345–359.DieAussageStötzners,Heinickeseiin DresdenFreimaurergewordenundwurdedurchFreimaurernachHamburgvermittelt(Stötz ner,Heinicke,S.14und17),wurdebereits1927durchPaulSchumanninFragegestellt,der keineMitgliedschaftHeinickesineinerHamburgerLogefeststellenkonnte(Schumann,Fest gabe,S.8). 45

LexikonderhamburgischenSchriftsteller,Band3,Hamburg1857,S.149;zehnterBerichtder TaubstummenSchule1850,S.7.ZuCramer:AllgemeineDeutscheBiographie,Band4,1876,S. 550ff.Schumann,Festgabe,S.8,bezweifeltdieVermittlungdurchCramer.

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Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg

rendänischenLehngrafen)HeinrichCarlSchimmelmann(1724–1782).46Zu dieserZeitlebtedieSchimmelmann’scheFamilie,diegroßeLändereienin Wandsbek  verpachtete,  hauptsächlich  in  ihrem  Schloss  zu  Ahrensburg, aberauchinWandsbekundKopenhagen.Heinickeunterrichtetediedrei jüngstenSöhnederFamilie,waralsbegabterMusikeraußerdemMitglied derSchimmelmann’schenHauskapelleundarbeitetefürdieFamiliealsVor leserundÜbersetzer.47

Abbildung 2: Das Müllerhaus in Eppendorf

1768wurdedieStelledesKantorsderJohanniskirchezuEppendorffrei. EppendorfwareinKirchdorfbeiHamburg.ErstimDezemberjenesJahres 46

 Otto  Hintze,  Aus  der  Geschichte  AltEppendorfs,  in:  Hamburger  Nachrichten  vom 27.6.1926;GustavIlow,SamuelHeinicke(ohneHerkunftsangabe),in:StAHbg,Zeitungsaus schnittsammlung(künftig:ZAS)A758,SamuelHeinicke.ZurFamilieSchimmelmannsiehe ChristianDegn,DieSchimmelmannsimatlantischenDreieckshandel.GewinnundGewissen, Neumünster1974.

47

 HansUweFeige,„DenntaubstummePersonenfolgenihrenthierischenTrieben…“–Ge hörlosenBiographienausdem18.und19.Jahrhundert,Leipzig1999,S.97;WalterFrahm, Klopstock,Heinicke,VoßunddieplattdeutscheSprache,in:JahrbuchdesAlstervereinse.V., Nr.37,Hamburg1958,S.55–62.

Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg

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warderOrtdurchdenGottorperVergleich–welcheraufdänischerSeite vor  allem  durch  die  Diplomatie  Schimmelmanns  geschlossen  werden konnte–endgültigvonderholsteinischenHerrschaftPinnebergs,daszu derZeitzuDänemarkgehörte,unterdieHerrschaftHamburgsgekommen. DieKirchenhoheithattedashamburgischeSt.JohannisKloster.DurchVer mittlung  des  Grafen beim  Landdrosten  von  Pinneberg  wurde  Heinicke zum1.Januar1769KantorinEppendorfundwardamitderletztevonDä nemarkvorgeschlageneEppendorferKüster.48 HeinickewurdeinEppen dorfKantor,OrganistundKüster–einvielesumfassendesAmt,dasauch NebentätigkeitenwiedenBierundBranntweinausschankeinschloss.Mit diesemPostenverbundenwarauchdasAmtdesSchulmeisters.Heinicke unterrichtetedieEppendorferKinderinderDorfschuleundnurkurzeZeit späterbegannermitdemUnterrichtdesgehörlosenBrudersdesdortigen Müllers–JoachimChristianSchroeder(gest.1825).49 ObwohlerdemJungennichtdasSprechen,sonderndieSpracheinihrer schriftlichen  Form  beibrachte,  entwickelte  Heinicke  erste  Überlegungen, dasseswichtigfürdieAnerkennungundIntegrationGehörlosersei,ihnen diegesprocheneSprachebeizubringen.ResultateseinerUnterrichtsversu chemitdemgehörlosenJungen–ersteErfahrungenhatteHeinickejabe reitsinDresdengesammelt–fassteer1773imHannoverischenMagazin als„ErklärungüberdieMöglichkeit,taubundstummgebornenPersonen abstracteBegriffebeyzubringen,undsieauchinkurzerZeitlautlesenund sprechen  zu  lehren“  zusammen.50 Zu  der  Zeit  gab  Heinicke noch  der schriftsprachlichenMethodedenVorzugundfanddievorigenVersuche der  „Entstummung“  Gehörloser  „unzulänglich,  weil  ein  Stummer  ohne vorhereineschriftlicheSprachezuwissen,nichtsalseinunvernünftigespa pageyenmäßiges Geschwätze hervorbringen,vermögend ist“.51 Am Ende 48

Seit1693warendieEppendorferKüsterabwechselndvonDänemarkundHamburgvorge schlagenworden.

49

 Feige, Muellersohn.DieSchulmeistermusstensichperEiddazuverpflichten,ihrKornin derEppendorferMühlemahlenzulassen.BeidieserGelegenheitwirdHeinickedengehörlo senJungenkennengelernthaben(StA6111St.Johanniskloster,873f,Schulmeistereid1751).

50

ZitatedarausbeiJoachimGessinger,Auge&Ohr.StudienzurErforschungderSpracheam Menschen1700–1850,Berlin1994,S.301f.

51

SamuelHeinicke,ErklärungüberdieMöglichkeit,taubundstummgebornenPersonenab stracteBegriffebeyzubringen,undsieauchinkurzerZeitlautlesenundsprechenzulehren, in:HannoverischesMagazin,S.1487,nach:Gessinger,Auge&Ohr,S.302.AuchderMathe matiker  Johann  Georg  Büsch  berichtet  von  der  schriftgestützten  Unterrichtsmethode  Hei

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Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg

desJahres1773konntedergehörloseJungezumSchulabschlussinder EppendorferKircheschriftlichdieKonfirmationablegen.ZuderZeitleb tenbereitsweiteregehörloseKinderbeiFamilieHeinickeimEppendorfer Küsterhaus.

Abbildung 3: Das alte Eppendorfer Schulhaus

1774wohntenfünfgehörloseSchülerinnenundSchülerbeiSamuelHeini cke,dieerimanderAlstergelegenenaltenSchulhaushinterderEppen dorferKircheunterrichtete.ImoberenStockwerkderKüsterei,demdamit erstenInternatfürGehörloseinDeutschland,gabesdreiSchlafstuben,in derdieHeinicke’scheFamiliemitdengehörlosenKindernlebte.ImErdge schossmitvierStuben,zweiKammernundderKüchewurdegekochtund unterrichtet.52BaldhobsichunterHeinickesSchülernBaronesseDorothea nickesinseinenLebenserinnerungen(JohannGeorgBüsch,Erfahrungen,5Bände,Band4: ÜberdenGangmeinesGeistesundmeinerThätigkeit,Hamburg1794,vorallemS.17–19). 52

HelmutAlter,Eppendorf.LebenundWohnenimHamburgerVorort,Hamburg1976,S.10–12. DasbaufälliggewordenealteEppendorferSchulhauswurde1890abgebrochen(3.Beiblattdes HamburgerFremdenblattsNr.162vom14.6.1895).

Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg

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vonVietinghoff(1761–1839)heraus,dieertaubteTochtereinesderreichsten MännerRußlands.53SiewarvonihrenElternausRiganachEppendorfge schicktwordenundfielhierdurchschnellesAuffassungsvermögenundIn telligenzauf.DieÖffentlichkeitverfolgtedieFortschrittediesesMädchens: InderHamburgerPresse,demAltonaerMercurius,demReichspostreuter unddemHamburgerCorrespondentenerschienenArtikelüberdiebegabte adligeSchülerinundüberdasHeinicke’scheInstitut.54AuchHeinickever öffentlichteeinigeeigeneErklärungenüberseinenUnterricht,dersichzu nehmendzueinerlautsprachlichorientiertenLehrmethodehinentwickel te.55 ErwarabernichtnurmitseinemAufsehenerregendenUnterrichten der  Taubstummen  inzwischen  in  Hamburg  bekannt  geworden,  sondern auchmitseinereigenenLehrmethode,einer„Lautiermethode“,dieerals SchulmeisterbeidenEppendorferDorfschulkindernausprobierteundmit derergroßeLernerfolgeerzielte.56Heinickebewiesdamitnichtnurinder 53

TrotzihreradligenHerkunftistesnichteinfach,mehrüberdiegehörloseBaroninzuerfah ren,davielegenealogischeAdelsHandbüchersienichtaufführen.DiessprichtfüreinVer drängenderbehindertenTochterausdemLebenderFamilie(vgl.dazuvorallemAnm.7, HansUweFeige,GehörlosenBiographien,S.147).ÜberdieBaronessevonVietinghoffberich tetHansUweFeige,GehörlosenBiographien,S.105–120.

54

SoimReichspostreuterNr.142vom6.9.1774,Nr.22vom8.2.1775undinderNr.154vom 25.9.1776;imAltonaerMercuriusNr.155vom26.9.1776;imHamburgischenCorrespondenten Nr.22vom8.2.1775undNr.154vom25.9.1776.AmselbenTagerschieneninverschiedenen ZeitungenähnlicheArtikel.AlsBeispieleinAusschnittauseinemArtikelimReichspostreuter Nr.22vom8.2.1775:„[…],besondersaberunterscheidetsichdiejungeBaronessvonV[ieting hoff]einliebenswürdigesMädchenvon13Jahren.SieließtnichtnurgedruckteBücher,auch sogarsolche,derenInhaltihrnochunbekanntist,mitziemlicherFertigkeit,undziemlichvor nehmenTone,wieauchGeschriebenes,vonbekannterundunbekannterHand;sondernnennt auchdiemeistenSachen,dieimgemeinenLebenvorkommen,hateinenBegriffvondenTa genundWochen,vondenStunden,undvondenZahlenbis100;undsoweitistdieselbeinei nemetwa5monatlichenUnterrichtevonihremgeschicktenLehrergebrachtworden.“Auch HeinickeschriebüberseineSchülerineinenArtikelmitdemTitel„EineGelegenheitsschrift überdenUnterrichtderBaronesseDorotheavonVietinghoff“(abgedrucktin:GeorgundPaul Schumann[Hg.],SamuelHeinickesgesammelteSchriften,Leipzig1912,S.31–36).

55

Soz.B.inderHamburgischenNeuenZeitungNr.159vom6.10.1775(abgedrucktin:Schu mann,gesammelteSchriften,S.8–9).

56

 Stötzner,Heinicke,S.26f.HeinickeverfuhrbeimSchreibenlernenmethodisch,erließdie Kindererstdieeinfachen,sichähnelndenBuchstabenschreiben,danndaraufaufbauenddie schwierigerenunddieGroßbuchstaben.ImÜbrigenwarHeinickekeinFreundderdeutschen Schrift,erbevorzugtezumErlernendesLesensundSchreibenslateinischeBuchstaben.Auch wandteersichschroffgegendasBuchstabierenganzerTexte,jaBücher,sowieesdamalsim Unterrichtüblichwar(Stötzner,Heinicke,S.19f.).DieLautiermethodegingvomLautwert desBuchstabensaus,nichtvomNennwert(„k“statt„ka“).Heinickeplädiertezudemfürein

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Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg

Theorie,dassermitneuenMethodeninderSchulesehrvielmehrfüreine bessereBildungdesVolkeserreichenkonnte,alsdieherkömmlichenpäd agogischenMethoden,diesichzuderZeitaufdasNachsprechenundAus wendiglernenvorallemdesKatechismusbeschränkten.Inseinenpädago gischen Aufsätzen  zeigte  Heinicke  die  bestehende  Not  des  Schulwesens undderLehreraufundbrachtekonstruktiveKritikein.Erforderteeine UmorganisationdesSchulwesensundeinebessereAusbildungfürdieLeh rer.57AlseinVorkämpferfürdieHebungderVolksbildungdiskutierteHei nickemitdenDichternFriedrichGottliebKlopstock,derseit1770wiederin Hamburglebte,undJohannHeinrichVoß (1751–1826),dembedeutenden VerfechterderplattdeutschenSprache.58Alledreifühltensichverbunden, nichtnurdurchdiegroßenIdealederAufklärung,sondernauchdurchihr InteresseanderSprachedesVolkes.Heinickevertonteum1775dasplatt deutscheGedichtKlopstocks„DedütscheDeeren“.DessenersteFassung „VomdeutschenMädchen.Vaterlandslied“,dasKlopstock1770fürseine angeheiratete  Nichte  und  spätere  zweite  Ehefrau  Johanna  Elisabeth  von Winthem(1747–1821)geschriebenhatte,hatteHeinickeschon1770vertont undunterseinenSchülerninderDorfschulesingenlassen,„wennsierecht fleißigwaren“.59InderHamburgerZeitscheintHeinickeauchdenPhiloso phenundDichterJohannGottfriedHerder(1744–1803)kennengelerntzu haben,dersichum1770längereZeitinHamburgaufhielt.Dessen1772er schieneneVeröffentlichung„AbhandlungüberdenUrsprungderSprache“ beeinflussteundbestärkteHeinickeinseinenAnsichten.Herderwidmete Heinicke seinerseitsseinGedicht„DerDeutscheTaubstummenlehrer“,in

Lesenlernen  an  Hand  von  Ganzwörtern  (Meyers  Konversationslexikon,  Eine  Encyklopädie desallgemeinenWissens,vierteAuflage,Leipzig,1888–1889,Band10,S.717).HeinickesLese LernFibeln„nebsteinerAnweisung,dasLeseninkurzerZeit,aufdieleichtesteArtundohne buchstabirenzulernen“,die1779und1780erschienen,fandenreicheVerbreitung(abgedruckt in:Schumann,gesammelteSchriften,S.280–304). 57

AllgemeineDeutscheBiographie,Band11,Leipzig1880,S.369.HeinickesSchriftensindab gedrucktin:Schumann,gesammelteSchriften.

58

SokannteHeinickewohlauchdieDichterGottholdEphraimLessing(1729–1781,erverließ Hamburg1770)unddenmitVoßbefreundetenMatthiasClaudius(1740–1815),dervon1771 bis1775RedakteurdesvonSchimmelmannunterstützten„WandsbeckerBothen“war(Frank lin  Kopitzsch,  Grundzüge  einer  Sozialgeschichte  der Aufklärung  in  Hamburg  und Altona (BeiträgezurGeschichteHamburgsBand21),2.Auflage,Hamburg1990,S.241undS.475).

59

AngabenzuHeinickeundKlopstockin:Frahm,Klopstock,Heinicke,Voß,S.55–62.

Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg

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demerihn,„derStummgebohrnendasReichderSprachegiebt“,mitdem griechischenHelden(undErfinderderSchrift)Prometheusverglich.60 HeinickesspeziellesInteressegaltGehörlosen.VonderschriftlichenUn terweisungGehörlosermachteHeinickeinHamburgdenSchrittzurLau tiermethode,dieermitErfolgbeiseinenInternatszöglingenanwandte.Das EppendorferInstitut,indemdiegehörlosenSchülerinnenundSchülerleb tenundunterrichtetwurden,wareineSehenswürdigkeitundwurdeoft vonFremdenbesucht.61IndemHeinickemitseinemprivatenUnterrichtdie zuvor  bezweifelte  Bildungsfähigkeit  Gehörloser  aufzeigte,  forderte  er  in der  Folge  deren  Gleichstellung  mit  den  Hörenden.  Heinicke  wies  nach, dassdasfehlendeGehörkeinIndizfürfehlendeIntelligenzsei. DochseineArbeitmitdengehörlosenKindernbrachtenichtnurBeifall, imGegenteil:„Entstummen“bedeutetefüreinigegläubigeMenscheneinen EingriffindiegöttlicheWeltordnung.PastorenwetterteninHamburg von derKanzelgegendieseGottlosigkeit.BesondersderEppendorferOrtspfar rerJohannDanielGranau(1722–1793)gehörtezuHeinickeserklärtenGeg nern.62AnHeinickestörteGranaudessen„fehlendeUnterwürfigkeit“und ihnwirdgeärgerthaben,dasserundandereBewohnerEppendorfsinHei nickesmanchmalbitterbösenSchriftengegendiealteSchulerziehungund somitauchgegendiePfarrherrenalsKarikaturenvorkamen.63 Auchwird gesagt,dassGranaueinenVerwandtenaufHeinickesPostenhebenwollte unddeshalbmitderStellenbesetzungunzufriedenwar.64Gegendienegative Theologenmeinungstand–ausgerechnet–derfürseinescharfeGegner schaftgegenalles,wasinseinenAugenseinereigenenstrengorthodoxlu therischenGlaubensauffassungentgegenzuseinschien,bekannteHaupt pastorvonSt.Katharinen,JohannMelchiorGoeze(1717–1786).65Goeze,der 60

ZurBeeinflussungdurchHerdersieheSchumann,Festgabe,S.33–34;dasGedichtistabge drucktin:JohannGottfriedHerder,SämtlicheWerkeBand29,PoetischerNachlaßBand5,hg. vonCarlRedlich,BernhardSuphan,Hildesheim1968,S.565.

61

Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.7.

62

Ebd.;Stötzner,Heinicke,S.17.

63

Schumann,Festgabe,S.20f.

64

WilhelmSchwarz,EppendorfsVergangenheitinWortundBild,Hamburg1925,S.23.

65

 Zur  Person  Goezes:  Georg  Reinhard  Röpe,  Johan  Melchior  Goeze,  Hamburg  1860;  Ko pitzsch,  Politische  Orthodoxie,  Johan  Melchior  Goeze  1717–1786,  in:  Graf,  Friedrich  Wil helm(Hg.),ProfiledesneuzeitlichenProtestantismus,Band1,Gütersloh1990,S.71–85;Ernst PeterWieckenberg,JohanMelchiorGoeze(HamburgerKöpfe),Hamburg2007.ZuGoezeals

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Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg

zudieserZeitbekanntesteWiderstreitergegendieAufklärung,wares,der dieKonfirmationdertaubstummenSchülerHeinickeserlaubte.Granauda gegenwollteHeinickesSchülerJoachimChristianSchroeder,dengehörlo senBruderdesMüllers,nichtkonfirmieren.ErstaufDruckGoezes,derden Jungenkennenlernteundmitteilte,HeinickesollemitdemKindnurzu ihmkommen,wennGranaudiesennichtprüfenwolle,beugtesichGranau demWillendesHauptpastors.66Goezeselbstprüfteeinigedergehörlosen Schüler  Heinickes,  so  wie  dessen  adelige  Musterschülerin  Baroness  von Vietinghoff.67 GegnerderAufklärung:IngeStephan/HansGerdWinter(Hg.),HamburgimZeitalterder Aufklärung,Hamburg1989;Kopitzsch,SozialgeschichtederAufklärung;WilliamBoehart,Poli tikundReligion.StudienzumFragmentenstreit(Reimarus,Goeze,Lessing),Schwarzenbek1988. 66

Schwarz,Eppendorf,S.25.FürGoezegaltalleindasWortderBibelinderAuslegungMartin Luthers:  Schließlich  behandelte  auch  Jesus  gehörlose  Menschen,  mied  sie  nicht,  sondern machtesiegesund(Markus7,31–37undLukas7,18–23).AllerdingshatteGoezesicherauch dieMeinungMartinLuthersimKopf,derdieTaubstummheitaufdenTeufelzurückführte undderalleinJesusChristusdieMachtzuderenHeilungamJüngstenTagzuerkannte.Trotz demsorgteLutherfürdieReichungdesAbendmahlsanBehinderte,auchanGehörlose(Horst R.Flachsmeier,TaubehörenundSprachlosereden,Bensheim1977,S.16f.).Goezeselbstpredig te1768überTaubstummeundzeigtesichsachkundigüberdieAuswirkungenderTaubheit,in demerpredigte,dassGehörlosenichtinderLageseien„mitdemSchallederWorte,dieervon anderenhörete,diedazugehörigenBegriffezuverbinden,nochauchdiezudenBegriffenund Vorstellungen,dieerdurchseineRedebeyanderenhervorbringenwollte,gehörigeWorteselbst sogleichzufinden“.ErsahimweiterenVerlaufseinerPredigtkeineVeranlassung,diesesLeiden alsStrafeGottesanzusehen(J.M.GoezesPredigtenüberdieSontagsundFestEvangeliades ganzenJahres,Leipzig1768,821823,zitiertnach:DietfriedGewalt,SamuelHeinickeundJohan MelchiorGoeze,in:Hörgeschädigtenpädagogik43[1989]Heft1,S.48–51,hierS.50). 67

Stötzner,Heinicke,S.33undinverschiedenendamaligenZeitungen,soimAltonaerMercurius Nr.155vom26.9.1776:„Gesternwurde,imBeyseynIhroDurchl.derregierendenFrauHerzogin vonMecklenburgSchwerin,undandernvornehmenPersonen,dietaubundstummgeborneBa ronessevonVietinghoff,ausRiga,TochterSr.ExcellenzdesRußischKayserl.Hrn.Geheimen RathsundRitters,vonVietinghoff,nachvorhergegangenemExameninderOrdnungdesHeils, vonSr.Hochwürden,demHrn.Hauptpastor Goeze, in Hamburg,confirmirtundzum heil. Abendmahlzugelassen,WobeysieihrGlaubensbekentnißundihreBeichteinDeutscherSprache mündlichablegte.SieistseitzweyJahrenindembekanntenInstitutdasderCantorHeinickein Eppendorf,nahebeyHamburg,fürTaubgeborneerrichtethat,undworinersie,nebstandern Wissenschaften,SchreibenundSprechenlehret,unterrichtetworden.SiewirdnocheinJahr daselbstbleiben,umdieFähigkeitenihrerSeelenkräfteimmermehrzuentwickeln,undihreEr kentnißinallerleyWissenschaftenvollkommnerzumachen.“–Interessantist,dassdermitHei nickebefreundeteKlopstockseinerseitsengbefreundetwarmitJuliusGustavAlberti,demne ben GoezezweitenPastoranSt.Katharinen.AlbertiwiederumlagaufGrundverschiedener AuslegungreligiöserFragenimStreitmitGoeze.Siehedazu:Stephan/Winter,Aufklärung, S.290–296.

Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg

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Schon1775wurdeneinzelnegehörloseSchülervonreichenGönnernun terstützt.SozahlteGrafvonSchimmelmanneinemgehörlosenJungendie PensionimHauseHeinicke,unddas„HamburgischeMinisterium“trug zum  Unterhalt  und  Unterricht  eines  armen  Hamburger  Mädchens  bei.68 1776lebtensiebenausunterschiedlichenGegendenstammendeSchülerin nenundSchülerinHeinickesHaus.69

Abbildung 4: Das Küster- und Schulhaus in Eppendorf

AnfangOktober1777legteSamuelHeinickeseinAmtalsKantor,Lehrer undOrganistvonEppendorfnieder.Er,deralsLehrerundErziehereiner größerenAnzahlvongehörlosenSchülern,diegleichzeitigbeiihmwohn ten, über die Jahre eine große praktische Erfahrung in der Ausbildung Gehörloser  gesammelt  hatte,  wollte  sich  fortan  hauptberuflich  um  die Taubstummenbildungkümmern.ImselbenMonatzogHeinickemitsei neneigenenKindernunddengehörlosenSchülernundSchülerinnenindie 68 69

ReichspostreuterNr.31vom20.4.1775.GemeintistwohldasGeistlicheMinisterium.

 Diesewerdennamentlichaufgezähltim„visumrepertum“vom8.10.1776,abgedrucktin: Schumann,gesammelteSchriften,S.227–229.

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Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg

BöhmkenstraßeimSt.MichaelisKirchspielnachHamburg.70 Erheiratete dortam8.Januar1778,dreiJahrenachdemTodseinererstenFrau,dieerst 20jährige Anna  Catharina  Elisabeth,  geborene  Kludt,  verwitwete  Morin (1757–1840),71dieSchwesterzweiergehörloserBrüder,dieHeinickeunter richtethatte.72IndiesemJahrerschienzudemHeinickeserstegrößeretheo retischeSchrift„BeobachtungenüberStummeundüberdiemenschliche Sprache“,inderHamburgerHeroldschenBuchhandlung.73 HeinickewareinKindderAufklärung;fürihnwarenVernunftund BildunghoheWerte.ErkämpfteallgemeinfüreinebessereBildungdurch eineeffektivereUnterrichtsmethodeindenVolksschulenundspeziellfür dieMöglichkeiteinerAusbildungGehörloser.SeineVorbilderwarenWil helm  von  Humboldt (1767–1835,  „Durch  Sprache  zum  wahren  Men schen“)undHerder(„SpracherepräsentierteigenenCharakterderMen schheit“),seinCredolautete,durchSprachedieTaubstummenzu„wahren Menschenzubilden“.74GehörlosesolltennichtnurSprachesprechen,son dernsieauchdenken.DiezweigegensätzlichenMethoden,diederfran zösischeGehörlosenlehrerAbbéCharlesMicheldel´Epée undHeinicke vertraten,führtenzuerbittertenStreitigkeitenzwischendenbeidenMe thodikern,75 wobei  jedoch  beide  als  Grundlage  des  Sprachaufbaus  eine MischungausdeiktischenGebärden undPantomimeverwendeten.Der 70

„HerrHeinickehatseineKantorstelleinEppendorfresignirt,undseinInstitutfürstumme PersonennachHamburgverlegt“(HamburgischerCorrespondentNr.180vom11.11.1777).

71

ZuHeinickesEhefrau,dienachdessenTodalsersteFrauinDeutschlandLeiterineinerGe hörlosenschulewurde(dievonHeinickegegründeteLeipzigerAnstalt)sieheJoachimWink ler,AnnaCatharinaElisabethHeinicke(1757–1840),in:Fischer,Renate/Lane,Harlan(Hg.), Lookingback,AReaderontheHistoryofDeafCommunitiesandtheirSignLanguages(Inter nationalStudiesonSignLanguageandCommunicationofthedeaf,Volume20),Hamburg 1993,S.269–288.HeinickesersteFrau,JohannaMariaElisabeth,geboreneKrachtwarbereits 1775gestorben.AusdiesererstenEhewarenfünfKinderhervorgegangen,vondeneneinesals Kindstarb. 72

Flachsmeier,Taubehören,S.51;Schumann,SamuelHeinickeinHamburg,S.29.ZumBru derCarlErnstHeinrichKluthsieheFeige,GehörlosenBiographien,S.96–104.

73

Schumann,gesammelteSchriften,S.36–84.

74

 OttoKröhnert,DiesprachlicheBildungdesGehörlosen(PädagogischeStudienBand13) Weinheim1966,S.45.

75

HeinickewareinPolemikerundtathäufigrechtverbohrtseineMeinungenkund,sodasser vieleMenschendamiterschreckteundspäterderRufseinerLeipzigerTaubstummenanstalt darunterlitt(z.B.Gessinger,Auge&Ohr,S.286–300,Schriftwechselzwischendel´Epéeund HeinickesowieS.300f.undS.314).

Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg

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hauptsächlicheSprachaufbaubeidel´Epéeerfolgtedannaber,indemer LesenundSchreibenmitHilfeeinerKombinationvonFingeralphabetund Schrift  üben  ließ  und  dabei  auch  eine  Mischung  aus  „natürlichen“  und künstlichen„methodischenZeichen“verwandte.Heinickedagegensahsei nenSchwerpunktimLippenlesenundderlautsprachlichenArtikulation, erstinzweiterLinieinderSchrift.76 SamuelHeinickeentwickeltesichwährendseinerUnterrichtstätigkeitin EppendorfzumvehementenVertreterderLautsprache:AuchderGehörlo semüssedieLautsprachederHörendenbeherrschen,umsichinderWelt derHörendenzurechtzufinden.ErbrauchedieLautsprache,umsichver ständigenzukönnenundumSprechendezuverstehen.DasSprechenwur dezuHeinickesZeitalsmitdemDenkenengverwandterklärt.Sowaralso nachderdamaligenVorstellungnureinsprechenderMenschalsdenkfähig zuerachten.77 UnddaeinDenkeninSchriftspracheunmöglichsei,seidie ArtikulationinihrerdoppeltenBedeutungvon„Sprechen“und„Benen nung“dieeinzigerichtigeMöglichkeit,GehörlosenSprechen,Lesenund SchreibenunddamitAbstraktionsvermögenundBildungbeizubringen.78 Am8.Oktober1776erschieninHamburgeineSchriftmitdemTitel„vi sumrepertum“,unterschriebenvondenangesehenenAltonaernDr.Philipp GabrielHensler (1733–1805),StadtphysikusvonAltona,Prof.Dr.Johann Christoph Unzer (1747– ca. 1807), Professor für Naturlehre amAltonaer GymnasiumundspäterebenfallsArztinAltonasowievondenHambur gernDr.JohannGeorgBüsch (1728–1800),ProfessorderMathematikam Akademischen  Gymnasium  und  Dr.  Johann  Albert  Heinrich  Reimarus (1729–1814),ArztundebenfallsProfessoramGymnasium,indervoneiner „Visitation  des  Institutes  des  Herrn  Heinicke  in  Eppendorf“  berichtet wird.79DieHerrenäußertensichangetanvomUnterricht,demsiebeiwoh nendurften.MitderZeithattesichHeinickezueinem„MeistereinerMe thodezurMittheilungderSprache“entwickelt.80DemnachbegannSamuel Heinicke seinenUnterrichtmitArtikulationsübungen,wobeierbesonders 76

Gessinger,Auge&Ohr,S.299undS.329.

77

HierundimFolgenden,wennnichtandersangegeben,nachSchumann,gesammelteSchrif ten,1.Abteilung:SamuelHeinickesSchriftenfürdieTaubstummenbildung,S.1–275.

78

Gessinger,Auge&Ohr,S.311–313.

79

VisumRepertum,1776,abgedrucktin:Schumann,gesammelteSchriften,S.227–229.

80

Ebd.,S.227.

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Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg

aufdiedeutlicheBildungderVokaleachtete–nachHeinickedieHauptträ gerderLautbildung.ErhattedabeieineausheutigemBlickwinkeleigen tümlicherscheinendeMethode,seinenSchülernVokalemittelsGeschmacks sinneinprägsamerzugestalten,indemerjedemVokaleinenGeschmack zuordnete,zumBeispielEssigfürdas„i“(iiii,sauer),Zuckerwasserfürdas „o“(oooo,lecker).81 WeiterheißtesimBerichtüberHeineckesUnterricht, dasswenigerWertaufdasSchreibenderWortegelegtwurdealsaufdas Absehen  der  Worte,  wenn  sie  gesprochen  werden.  Dazu  hatte  Heinicke ModelledesLautbildungsapparatesdesMenschengefertigt,andenendie KinderdieBildungundEntstehungdereinzelnenLauteablesensollten. DerzweiteLernschrittfürdieSchülerwarderSprachunterricht,indemBe griffeentwickeltwurden.Durch unmittelbareAnschauung,durchBilder undGebärdenbrachteHeinickedenKinderndieWortebei.Allerdingsach teteerstrengdarauf,dassdiegehörlosenSchülerinnenundSchülernicht allzuoftundausschließlichuntereinandergebärdeten,denndieGebärde sollte  nur  Hilfsmittel  sein  und  wurde  als  „geringklassig“  bewertet.  Die LautsprachesollteDenkformwerden.DerLehrstoffkonnteallerdingsnur aufsNötigstebeschränktsein,dadieSchülermeistnureinekurzeZeitim Institutblieben.KeinerwarlängeralsvierJahredabei,meistblieben„seine Lehrlinge“,wieHeinickesienannte,zweibisdreiJahre.82Währenddieser ZeitwardiekleineGrupperelativabgeschlossenvonihrerUmweltundbil dete  eine  eigene  kleine  Gehörlosengemeinschaft.83 Gemeinsam  wurde  ge lernt,gegessenundausgegangen.KontaktezurAußenweltgabeswenige. ÜberlieferthatsichnureinjugendlichesRandalieren,alsHeinickesMagdIl sabeLandoltmiteinigender„stummenPensionairenbürgerlichenStandes“ aufdemnächtlichenNachhausewegvon„Bengelzeug“angegriffen,getreten unddieKleinenandenFüßenkopfüberhochgehobenwurden.84 HeinickeachtetebeiseinemUnterrichtamgründlichstenaufdieVer mittlungderReligion.SeinetiefeReligiositätwurdealsAntriebgenannt, 81

LautHeinickesvorerstgeheimgehaltenem„ArkanumzurGründungderVokalebeiTaub stummen“,abgedrucktinSchumann,gesammelteSchriften.Hiernach:H[einrich]Söderu.a. (Hg.),DasBlinden,IdiotenundTaubstummenbildungswesen,Norden1887,S.344.Siehe auchGessinger,Auge&Ohr,S.315f.undS.322f.

82

 SamuelHeinicke,BeobachtungenüberStumme,undüberdiemenschlicheSprache.Erster Theil,Hamburg1778.EinAbdruckbefindetsichinSchumann,gesammelteSchriften,S.36–84.

83

HansUweFeige:GehörlosenBiographien,S.110.

84

StAHbg,6111St.Johanniskloster,1599e,Bl.57–60.

Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg

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sichfürgehörloseKindereinzusetzen–auchTaubstummesolltendenSeg nungenderKonfirmationteilhaftigundsomitMitgliedderchristlichen,er wachsenenLebensweltwerden.85EinandererGrundwar,denAnfeindun genentgegenzuwirken,diemeinten,dassTaubstummeredenzulehrenge gen  Gottes  Gesetz  sei.86 1775  erschien  in  Hamburg  in  der  Heroldschen BuchhandlungdasvonHeinickeentwickeltereligiösmotivierte Lehrbuch für  den  Unterricht  Gehörloser:  „Biblische Geschichte Alten Testaments, zumUnterrichttaubstummerPersonen“.Eswardaserstefür Gehörlose geschaffeneSchulbuch,87dasimkleinenOktavFormatauf31Seiteninein fachenSätzenbiblischeSzenenausdemAltenTestament–Schöpfung,Sün denfall,Vertreibung,MordanAbel,Sintflut(Sündfluth)–undinderEr weiterungauchausdemNeuenTestamentschilderte.AufdereinenSeite konntedieGeschichtegelesen,aufderanderenkonntenFragenzudenGe schichtenbeantwortetwerden.BebildertwurdedasBuchdurchzahlreiche Kupferstiche,diediebiblischenSzenenillustriertenodersogareineganze EpisodeohneWorteerzählten. ImSommer1777hatteHeinicke einGesuchanKurfürstFriedrichAu gustIII.vonSachsen(1763–1827)gerichtet,mitderBitte,seinInstitutnach LeipzigverlegenzudürfenundfürdieFührungdesselbeneinJahresgehalt ungefährinderHöheseinesKüsterGehaltesbewilligtzubekommen.Mit neunseinerZöglingeundderFamiliegingerimApril1778nachLeipzig. DieswarsicherauchFolgederständigenAnfeindungen,denensichHeini ckeinHamburgausgesetztsah.MitdemWechselnachLeipzigwarnicht nur  der  Hamburger  Teil  der  Lebensgeschichte  Samuel  Heinickes  abge schlossen,88 sondern  verlor  Hamburg  auch  für  viele  Jahre  seine Ausbil 85

 StaatlichePressestelle,150JahreGehörlosenbildung,S.12.AuchandenElementarschulen fürhörendeKinderwardieKonfirmationZielundAbschlussderschulischenAusbildung.

86

HamburgerNachrichtenNr.231,Abendausgabevom2.10.1900.Vgl.auchAnm.66.

87

Schumann,Festgabe,S.24f.EinAbdruckdiesesSchulbuchesfindetsichin:Schumann,ge sammelteSchriften,S.10–31.

88

HeinickesSohnSamuelAntonHeinicke(1788–1836)lebteseit1803inHamburg,heiratete, zeugtefünfNachkommenundstarbauchhier.AuchdieTochterWilhelmineRosine (1778– 1813)verheiratetesichnachHamburg.DiedritteVerbindungmitderHansestadtkamdurch JohannCarlHeinrichWilhelmOswaldzustande,demSohnvonJohannFriedrichOswald,der inersterEhemitHeinickesTochterJohannaCharlotte(1769–1828)verheiratetwar.Erkamals preußischerKonsulnachHamburgundgründetedieWeltfirmaW.O´Swald&Cp.undwar derStammvaterderHamburgerSenatorenfamilieO´Swald(Schumann,Festgabe,S.30;Paul Schumann,NeueBeiträgezurKenntnisSamuelHeinickes,in:BlätterfürTaubstummenbil

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Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg

dungsstättefürGehörlose,dennesfandsichnachdemWeggangHeinickes keinadäquaterNachfolgerfürdessenArbeit.DanichtalleSchülerHeini ckenachLeipzigfolgten,versuchtenandereMänner,dieAusbildungGe hörloser  in  Hamburg  fortzuführen.  Die  Tochter  eines  Dienstmannes  des HerzogsvonMecklenburgSchwerin,AnnaMariaKlockmann (geb.1763), wurdedurchdenangehendenPastorJohannGottlobBar (1747–1791)un terrichtetundimSeptember1878durchdenDiakonderSt.PetriKirche konfirmiert.89AuchdervonHeinickealsseinNachfolgervorgestellteund am3.November1777inseinAmtalsOrganist,KüsterundSchullehrer eingeführteGottfriedBenjaminSpoerk90 versuchtesichinderTaubstum menbildung,ihmwaraucheingewisserErfolgbeschieden,91dochbliebdas öffentlicheInteressemehraufHeinickeundseineLeipzigerAnstaltausge richtet,sodassInformationenüberAusbildungmöglichkeitenGehörloser inHamburglangsamverebbten. InLeipzigeröffneteHeinickeam14.April1778sein„KöniglichSächsi schesInstitutfürStummeundanderemitSprachgebrechenbehaftetePer sonen“,die,wieesaufseinemGrabsteinsteht,„ersteTaubstummenschule der  Welt, die  ihre  Schüler  sprechen  lehrte“  – es  war  die  erste staatliche SchuledieserArt.HierentwickelteersichzumführendenVertreterderdeut schenTaubstummenbildung.Erstrittsichweiterhinmitdemfranzösischen VorreiterderTaubstummenpädagogik,AbbéCharlesMicheldel´Epée,dem GründerdererstenfranzösischenTaubstummenanstalt,überdenbesseren BildungswegfürGehörlose.Heinickestandjafürdie„deutscheMethode“, den  gehörlosen  Kinder  die  Lautsprache  zu  lehren.  Er  sagte,  dass  „klares Denken[...]nurinarticulierten[alsogesprochenen]Wortenmöglichsei“.Er nutzteimUnterrichtgeschriebeneundgesprocheneSprache.Abbédel´Epée standdagegenfürdie„französischeMethode“derBildungsvermittlungmit HilfevonGebärdenundSchriftsprache.ErwarderMeinung,dassdieMut tersprache  der  Gehörlosen,  die  Gebärdensprache,  die  Sprache  sei,  in  der Taubstummedenken.ÜbersiekönntenGehörlosedieSchriftspracheerler dungNr.7/81926,S.118;StAHb,7412GenealogischeSammlungen,1Heinicke;Deutsches GeschlechterbuchBand51(HamburgerGeschlechterbuchBand7),Görlitz1927,S.279;vgl. auchErnstHieke,ZurGeschichtedesdeutschenHandelsmitOstafrika.Dashamburgische HandelshausWm.O´Swald&Co,TeilI1831–1870,Hamburg1939). 89

NeunterBerichtderTaubstummenSchule1847,S.31–32.

90

StAHbg,6111St.Johanniskloster,543und1683.

91

HamburgischerCorrespondentNr.127vom10.8.1785.

Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg

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nen:„GebärdenundSchriftsprachesindvollständighinreichend,denTaub stummenzudenhöchstenGradenderWissenschaftzuführen“.92 SoumstrittenHeinickesAngriffegegendel´Epéeheuteinhaltlichsind undsoumstrittenauchdiePersönlichkeitHeinickesheuteist,derinseiner LeipzigerZeitalsstreitbarerZeitgenossegaltundsowohlinseinemUn terricht  als  auch  in  seinen  Schriften  einen  polemisierenden,  oft  groben Tonanschlug,93sowirddochHeinickesBedeutungfürdasTaubstummenbil dungswesennichtunterschätzt:ErentwickelteeinUnterrichtsverfahrenzum ErlernenderLautsprachefürGehörlose94 undsetztediesenUnterrichtals Klassenunterrichtein;ergründetedieersteprivatedeutscheTaubstummen schuleund–1778–dieerstestaatlicheTaubstummenanstaltinLeipzig.Hei nicke,deram29.April1790inLeipzigstarb,giltalsBegründerderdeut schenGehörlosenbildung.VonderMittedes19.Jahrhundertsbisweitindie 1980erJahrebliebdieGebärdensprachetraditionellinDeutschlandsGehör losenschulen  und  anstalten  verpönt  und  war  nur  als  Begleiterscheinung zumUnterstreichendesgesprochenenWortesoderzurAnschauungerlaubt. Die„deutscheMethode“wurdedamitimZugeeineswachsendendeutschen Nationalbewusstseinsgegenübereiner„französischenMethode“favorisiert.

Exkurs: Das Samuel-Heinicke-Denkmal DerNameHeinickesbliebweltweitmitderdeutschenLautsprachmethode verknüpft.EineEhrungHeinickessollteinHamburgdurchdieErrichtung einesDenkmalserreichtwerden.Bereits1845hattederSchriftstellerLudolf Wienbarg (1802–1872)dieErrichtungeines HeinickeDenkmalsangeregt, ohneeingenügendgroßesEchozufinden.AucheinAufrufzurStiftungei nesDenkmalsimJahr1847,unteranderemdurchdieVorsteherderTaub stummenanstaltHeinrichWilhelmBuek(1796–1879)undJohannHeinrich 92

BeideZitatebei:Stötzner,Heinicke,S.XXII.

93

Gessinger,Auge&Ohr,S.301;Stötzner,Heinicke,S.21u.a.Heinickeveröffentlichtezahlrei cheStreitschriften,priesseineLautiermethode,seineLautsprachenmethodikfürGehörloseund tratalsVerteidigerderKantschenPhilosophie(ImmanuelKant [1724–1804],Autorder„Kritik derreinenVernunft“)auf(AllgemeineDeutscheBiographie,Band11,Leipzig1880,S.369).

94

SeitdemersteninternationalenTaubstummenlehrerkongressinParis1878bekanntesichdie TaubstummenlehrerweltzudieserMethode(StaatlichePressestelle,150JahreGehörlosenbil dung,S.12).

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Die erste deutsche Taubstummenanstalt – Samuel Heinicke in Hamburg

ChristianBehrmann (1775–1856)unddemdamaligenEppendorferPastor August  Heinrich  Faaß (1806–1887)  blieb  ohne  ein  Ergebnis.95 Erst  1895 konnte  –  auch  durch  Initiative  der  gehörlosen  Hamburger  John  Pacher (1842–1898),PaulHirschfeldundAdalbertTomei(1851–1917)96–dasDenk malimBeiseinvonvielenGehörlosenanderEckeHeinickestraße/Ludolf straßeinEppendorfdurchdenHamburgerTaubstummenvereineingeweiht werden.DieBüstewurdedurchdengehörlosenBildhauerCarl Peter von Woedtcke (1864–1927)ausBerlingeschaffen.1969musstesieaufGrund einer  Straßenverbreiterung  in  den  Seelemannschen  Park  hinter  die  Ep pendorferSt.JohannisKircheverlegtwerden.DortstehtdasDenkmalnoch heute.

Abbildung 5: Einweihung des Samuel-Heinicke-Denkmals, 1895

95

LexikonderhamburgischenSchriftsteller,Band3,Hamburg1857,S.150.

96

MehrüberPacherundHirschfeldimKapitel3.2.5.

3 Die Milde Stiftung Taubstummenanstalt Hamburg

3. 1 D ie Anfänge unte r Heinric h Wilhelm Buek DieGeschichtevonTaubstummenanstaltundTaubstummenschuleistnicht zu  trennen.  Sie  wurden  gemeinsam  aus  Privatinitiative  errichtet.  Auch wenn  die  Taubstummenschule  zum  1.  Januar  1882  verstaatlicht  wurde, währenddieAnstaltihrenStiftungscharakterbehielt,bliebenbeideHam burgerEinrichtungenengmiteinanderverbunden.

Abbildung 6: Heinrich Wilhelm Buek

1778hatteSamuelHeinickeHamburgmitseinenZöglingenverlassen,um in  Leipzig  noch  im  selben  Jahr  die  erste  staatliche  Taubstummenschule Deutschlandszugründen.DamitruhtedieinstitutionalisierteTaubstum

52

Die Milde Stiftung Taubstummenanstalt Hamburg

menbildunginHamburgfast50Jahrelang,bisimMai1823eineSchriftmit demTitel„WünscheundVorschlägezurErrichtungeinerTaubstummen anstaltfürHamburgbetreffend“erschien.97VerfasserdieserSchriftwarder junge  Mediziner  Dr.  Heinrich  Wilhelm  Buek (1796–1879).  Dieser  hatte schonimJahrzuvorindenvonGeorgLotzherausgegebenen„Originalien ausdemGebietederWahrheit,Kunst,LauneundPhantasie“fünf„Briefe überTaubstummeundTaubstummenanstalten“veröffentlicht,98 indenen ermitBegeisterungdieIdeeeinerneuzugründendenAnstaltfürTaub stummeinHamburgbeschrieb.InderneuenSchriftsetztesichderAutor nun  weiter  mit  dem  Nutzen  und  der  Notwendigkeit  einer  Hamburger Taubstummenanstaltauseinander.ErberechnetedieKosten,diefürdieEr richtungeinessolchenInstituteserforderlichwärenundfügtegleicheinen konkretenPlanzurErrichtungbei.DasInstitutsollteElternersatzsein,bei ganztägigerBetreuungfürUnterrichtundErziehungdergehörlosenInter natszöglingesorgenundauchnachdemSchulabschluss„mitRatundFür sprache“zurVerfügungstehen.AlleKindersolltengleichbehandeltwerden, undauchgehörloseKinderarmerLeutesolltendieMöglichkeitbekommen, aufKostendesStaatesodereinzelnerwohltätigerSponsorendie Anstalt zubesuchen.SchondamalsschlugBuekeineeventuelleTeilungzwischen staatlicherSchuleundprivaterAnstaltvor.NebendenUnterrichtsfächern– vonZeichnenbisNaturgeschichte,vonMoralbisTechnologie–solltenden KinderndieverschiedenenWegebeigebrachtwerden,sichanderenmitzu teilenundsiezuverstehen,alsoauchdie„Zeichensprache“,dasAblesen vom Mundund die Beherrschung derLautspracheinSchriftundWort. HauptzweckdiesesInstitutssolltesein,„dieTaubstummenzumSelbstden ken,zurTätigkeitundpraktischenNutzbarkeit[zubringen],sowie[sie]zu einemmoralischenundchristlichenLebenswandelzuerziehen“.99DasIn stitutsolltedengehörlosenKinderneineHilfebiszurKonfirmationsein, 97

H[einrich]W[ilhelm]Buek,WünscheundVorschlägezurErrichtungeinerTaubstummenan staltfürHamburgbetreffend,Hamburg1823.DiesesKapitelfolgt,wennnichtandersangege ben,A[lwin]Heinrichsdorff,GeschichtedesTaubstummenbildungswesensinHamburg,in: FestgabezurSamuelHeinickeJubiläumstagungdesBundesDeutscherTaubstummenlehrer, Hamburg1927,S.5–25(keinefortlaufendePaginierung,daauseinzelnen Festgabenbeste hend)unddenverschiedenenJahresberichtenderHamburgerTaubstummenanstalt.

98

 Heinrich  Buek,  Fünf  Briefe  über  Taubstumme  und  Taubstummenanstalten,  in:  Georg Lotz(Hg.),OriginalienausdemGebietederWahrheit,Kunst,LauneundPhantasie,Nr.119 bis123,Hamburg1822.

99

Buek,WünscheundVorschläge,S.20.

Die Anfänge unter Heinrich Wilhelm Buek

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aberauchdarüberhinausGehörloseninHamburgmitRatundTatzurSei testehen.BuekriefdieHamburgerzurWohltätigkeitauf. HeinrichWilhelmBuekselbsthattebereitsalsjungerArztinHamburg von1821bis1823einekleinePrivatschuleinseinerWohnungamMönken damm83betrieben,100andererelfbis14gehörloseKinderamTagfürje weilsvieroderfünfStundenunterrichtete.101 DieAnregungdazuhatteer ausdenSchriftenSamuelHeinickesgewonnen.DurchLektüre,Korrespon denzmitTaubstummenlehrernundeigeneBeobachtungbildetesichBuek eineeigene,anderPraxisgeprüfteAuffassungzumUnterrichtGehörlo ser.102DadieseUnterrichtstätigkeitfürBueknureineNebenbeschäftigung warundernebenseinerärztlichenTätigkeitimmerwenigerZeitfürden UnterrichtderKinderhatte,stellteerkurzzeitigeineHilfskraftan.Schließ lichmussteBuekaberdochausZeitmangel–seit1823arbeiteteeralsArzt andenFreimaurerkrankeninstituten–103seinUnterrichtsprojektvollständig aufgeben.SeineBildungsmaßnahmenfürGehörlosewareninHamburgbe kannt–sowurdenBuekGehörlosevorgestellt,umvonihmeinUrteilüber derenBildungsfähigkeitzuerhalten.104DaerseingroßesInteresse,dieAus bildung  der  gehörlosen  Kinder,  nicht völlig vernachlässigt sehen wollte, schrieberdenobenzitiertenAufrufandieHamburger.Erappelliertean derenMildtätigkeitundMitleid,umdie„sozialeundpatriotischeAngele 100

SpätergaberselbstdenZeitraumdesBestehensseinerPrivatschulemit1822bis1824an (zwölfter Berichtder TaubstummenSchule 1856, Nachruf  auf Behrmann,S. 22). 1821bis 1823in:StAHbg,3612IIOberschulbehörde(künftig:OSB)II,B129Nr.3,Zeugnißdes Herrn Dr.H.W.Buek,VorstandesderHamburgerTaubstummenanstalt,überdieWirksam keitdesDirectorsderselben,FriedrichGlitza,namentlichindenJahren1841bis1850,27.2.1869.

101

DieseKinderkamenalsersteSchülerderTaubstummenanstalt1827wieder.

102

PrivilegiertewöchentlichegemeinnützigeNachrichtenvonundfürHamburg,Nr.188vom 19.5.1830,S.1f.

103

 LexikonderhamburgischenSchriftsteller,Band1,Hamburg1851,S.432.Zudemhatteer am 10.Juni1823geheiratet(StAHbg,7412GenealogischeSammlungen,1Buek).EinenLe benslauf BueksgibtdieFreimaurerzeitungNr.113vom7.3.1879:„Gedächtnisrede“,S.899– 903.

104

StAHbg3312PolizeibehördeKriminalwesen,C1823Nr.361,Schreibenu.a.vonFriedrich LudwigHirschmannandiePolizeibehördevom20.10.1823,Bl.3:Untersuchungüberdenge hörlosenWilhelmFellnagel,umihm,„womöglichdie,solcheUnglücklichenjetzthäufigmit dembestenErfolgeertheiltwerdendeErziehungundBildungangedeihenzulassen“.Doch dies„hatsichleideralsunerreichbardargestellt,indemeinevoneinemindiesemFachebe kanntlichwohlerfahrenenhiesigenArzte,HerrnDoctorBuek,vorgenommenelängerePrü fungdesCurandenergebenhat,dassderselbe[…]allerBildungundUnterrichtsunfähigsei“.

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Die Milde Stiftung Taubstummenanstalt Hamburg

genheit“einerStiftungfürgehörloseKinderinHamburginsLebenrufen zukönnen.105

Exkurs: Weitere Einrichtungen für Gehörlose in Hamburg und Altona BuekwarinHamburgnichtderEinzige,derumdieAufmerksamkeitvon ElterngehörloserKinderwarb.ZwischenzeitlichgabesfürGehörlosein AltonadieMöglichkeit,Unterstützungzuerhalten.Dabeischadetealler dingseineinderPressezwarhochgepriesene,letztlichaberdilettantische „HeilungsAnstaltfürTaubstumme“mehralsdasssienützte:Der„Doctor und  Accoucheur“  Johann  Christian  Goldbeck warb  für  seine  Geheim methode,GehörlosewiederzumHörenzubringen.Nebeneinembeschei denen  Unterricht,  der  Gehörlose  zu  Aufmerksamkeit  und  Lippenlesen bringensollte,behandelteerseineSchülerhauptsächlichmitseinem„Spiri tusnitridulcis“(einemSalpeteräther,womitGoldbeckübrigensnichtnur Gehörlose,auch„WahnsinnigeundGelähmte“behandelte,wiedieVerwal tungderTaubstummenanstaltspäterspitzbemerkte).106 Diesführtealler dings,trotzzumTeilzweijährigerAnwendung,zukeinembesserenHören.107 InHamburgwarbauchderMedizinerDr.CarlBarriésmitdermöglichen HeilungGehörloser.Ereröffneteein„HeilInstitutfürTaubstumme“und behauptete,inBerlindurchElektrizitätundMagnetismustaubeKinderhö rendgemachtzuhaben–wasdasdortigeMinisteriumdergeistlichenund MedizinalAngelegenheitenjedochnichtbestätigenkonnte.Alssichauch inHamburgkeinErfolgeinstellte,ließersichmitseinem„InstitutfürGe hörbehandlungtaubstummerIndividuenundderengeistigeAusbildung“ inDoberannieder.108InanderenStädtenprobiertenMedizinerweitereMe thodenaus,siedurchbohrtenTrommelfelle,galvanisiertenundflößtenÖle

105

PrivilegiertewöchentlichegemeinnützigeNachrichtenvonundfürHamburg,Nr.188vom 19.5.1830,S.1f.;ebd,Nr.115vom15.5.1830,S.2.

106

SechsterBerichtderTaubstummenSchule1838,S.35.

107

 DritterBerichtderTaubstummenSchule1832,S.9;siebenterBerichtderTaubstummen Schule1841,S.17f. 108

SiebenterBerichtderTaubstummenSchule1841,S.18f.

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indietaubenOhren.DasbrachtedenGehörlosenSchmerzen,aberkeine Hilfe.109DieMedizinkonnteErtaubteundGehörlosenichthörendmachen. WesentlichmehrErfolgwareinemanderenMannbeschieden.AbOkto ber1825unterrichtetederimsechstenLebensjahrertaubteehemaligeHilfs lehreranderTaubstummenanstaltSchleswig,derAltonaer OttoFriedrich Kruse(1801–1880),fürmehrereJahreinseinerHeimatstadtGehörlosenach derElementarmethodedesSchweizerPädagogenJohannHeinrichPesta lozzi.110GeradedenGehörlosenlehrernkamdermethodischeAnsatzPesta lozzis,  mit den  Elementarmitteln  des  Unterrichts,  nämlich  der  Zahl,  der FormundderSprachezubeginnen,umdannstufenweiseweiterzugehen, sehr  entgegen.  Pestalozzi  glaubte,  in  den  Elementarmitteln  die  formalen Kategorien  gefunden  zu  haben,  den  intellektuellen  Erkenntnisprozess in Gangzubringen.InsbesonderederBereichderSprachbildungbotsichan, aufdie„UrleistungendesGeistes“zurückzugreifen.111Kruseunterrichtete gehörloseKindermitHilfeeinerkombiniertenMethode,dieerinSchles wigkennengelerntunddortausgebauthatte.DieseMethodeberücksichtigte imUnterrichtGebärden,LautundSchriftsprachegleichermaßen.Zweige hörloseMädchenausSt.PaulikonntenbaldinderKirchezuSt.Paulikonfir miertwerden.EinJungeausNeuhoflebtemitKruseundseinerMutterin derAltonaerWohnung,diegleichzeitigRaumfürdenUnterrichtbot. 112Ge planthatteKruseeineAusweitungseinerUnterrichtstätigkeitnachHam burg,daabermitderGründungderHamburgerTaubstummenanstaltKru

109

 Ebd.,S.15–20werdendiversemedizinischeVersuchebeschrieben,GehörlosenihrGehör (wieder)zubringen.Vgl.auchArndBösenecker,ZurGeschichtederTaubstummenschulein AachenbiszuihrerZerstörungimJahre1944,Herzogenrath1990,S.8–17.

110

ErsterBerichtderTaubstummenSchule1828,S.6.ZuKrusesieheRehling,Hörgeschädigte LehrervonHörgeschädigten,HausarbeitzurPrüfungfürdasLehramtanSonderschulen,ma schinenschriftlich,Hamburg1980,S.27–43;HartmutTeuber,OttoFriedrichWilhelmKruse– EinegrossetaubePersönlichkeit,in:Selbstbewußtwerden42,München1997,S.15–25;Hel mutVogel,OttoFriedrichKruse(1801–1880).GehörloserLehrerundPublizist,TeilI,in:Das Zeichen.Zeitschriftzum Thema Gebärdensprache und KommunikationGehörloserNr.56, Juni2001,S.198–207,TeilII,in:DasZeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheund KommunikationGehörloserNr.57,September2001,S.370–376;Vogel,Taubstummenpädago gik,S.70–91.

111

WolfgangVater,BedeutungsaspektedesMailänderKongressesvon1880(http://www.ghl. ngd.bw.schule.de/info/geschichte/mailand/index.html,abgerufenam16.11.2002).

112

OttoFriedrichKruse,BilderausdemLebeneinesTaubstummen.EineAutobiographie,Al tona1877,S.95.

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Die Milde Stiftung Taubstummenanstalt Hamburg

ses Arbeitsmöglichkeiten  verringert  wurden,  suchte  er  wieder  eine  feste Anstellung–undfandsieNeujahr1830inBremen.113 * BueksPlaneinergroßenTaubstummenanstaltschrittvoran.Mitdemim RuhestandbefindlichenvermögendenHamburgerKaufmannJohannHein rich Christian  Behrmann (1775–1856)114 gewann  Buek  einen  begeisterten Unterstützer.Behrmann,dervielgereistwar–unteranderemwarerKon sulinMalagagewesenundhattealsKaufmannlängereZeitinLondonge lebt–,hatte1822inParisdiedortigeTaubstummenanstaltkennengelernt undwardadurchangeregtworden,auchinHamburgeinesolchezuer richten.115 DiePariserTaubstummenanstaltbefandsich1822ineinerUm bruchphase.DerLeiterAbbéRochAmbroiseCucurronSicard(1742–1822, Nachfolgervondel`Epée)starbindiesemJahrundRochAmbroiseAuguste Bébian (1789–1839)erhieltdenAuftrag,einenneuenLehrplanderSchule aufzustellen.116 DieserwarvonderQualitätder„natürlichen“Gebärden sprachederGehörlosenüberzeugtundginginderAkzeptanzeinerGebär densprachenochweiteralsseineVorgängerdel´EpéeundSicard.Diebei denwarenVerfechtereinerkünstlichenGebärdensprachegewesen,diesich in  der  Grammatik  an  die  französische  Schriftsprache  anlehnte.  An  der SchuletätigwarenzujederZeitauchgehörloseLehrer,1822unterrichtete dervonGeburtangehörloseJeanMassieu(1772–1846)inParis.117 BuekundBehrmannwarbeninihremFreundeskreisumSympathieund materielleMittelfürihrenPlan.1826tatensichdieGleichgesinntenzuei 113 Ebd.,S.103.KruseschriebeinigepädagogischeSchriften,wurdefürseineArbeitmitOrden geehrtunderhielt1878denEhrendoktorvonderGallaudetUniversitätfürGehörloseinWa shingtonD.C. 114 ZuBehrmannsieheu.a.NachrufimzwölftenBerichtderTaubstummenSchule1856,S.19– 29; StA Hbg,  7412  Genealogische  Sammlungen,  1  Behrmann;  Lexikon  der  hamburgischen Schriftsteller,Band1,Hamburg1851,S.206–208. 115

Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.13.

116

ZudenLeiternderfranzösischenTaubstummenanstaltsieheVogel,Taubstummenpädago gik,S.45–49;HarlanLane,MitderSeelehören.DieLebensgeschichtedestaubstummenLau rentClercundseinKampfumdieAnerkennungderGebärdensprache,München1990,S.215.

117

 ZudengehörlosenLehrerninParissieheVogel,Taubstummenpädagogik,S.49–55.Über MassieusSchülerLaurentClerc(1785–1869),derfürdiegebärdenausgerichteteGehörlosenbil dunginFrankreich,USAundEnglandkämpfte,berichtetspannend:Lane,MitderSeelehö ren.

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nemUnterstützungskreiszusammen.Am29.DezemberdesJahreswandte sichdieseGruppewiederumandieÖffentlichkeit,umfürweitereUnter stützungzuwerben.DabeiwurdendieStandorteandererTaubstummen anstaltenaufgezähltundgefragt,warumHamburgkeinehabe.Zugleich wurdebereitsderandenBerlinerTaubstummenanstaltenausgebildeteDa nielHeinrichSenß (1800–1868)als ausgewählter Lehrerder zukünftigen Anstaltvorgestellt.DerselbergehörloseSenßsolltediegehörlosenKinder– ihreAnzahlinundumHamburgwurdeaufca.50geschätzt–inSchreiben, Rechnen,Zeichnen,inderGeographie,NaturundWeltgeschichte,Techno logieund–nachAnleitung„guterSchriftsteller“–Moralunterrichtenund ihnensoeineGrundbildungbeibringen.ImReligionsunterrichtsolltedie KonfessionderElternberücksichtigtwerden.Dadiemeistengehörlosen Kinder  aus  unvermögenden  Familien  stammten  und  deshalb  ein  hohes Schulgeldnichtzahlenkonnten,wurdeumSpendengebeten–fürdieAn stalt,fürSenßundfürdieKinder,diespätereinmalnichtnurunterrichtet, sondernauchbekleidetundbeköstigtwerdensollten.118

3. 2 Vo m Dammto r zu r Bü rg er weide ( 182 7– 188 1) 3.2.1

Vo n der Verein s g rü nd u ng b is z um e r s t en S c hu l t a g

Am17.Januar1827tagtezumerstenMalder„VereinzwecksGründungei nerTaubstummenanstaltfürHamburgunddasHamburgerGebiet“.Die erstenHonoratioren,diesichfüreineinstitutionalisierteAusbildungGehör loserinHamburgeinsetzten,waren–nebenBuekundJ.H.C.Behrmann– derArchidiaconiuszuSt.Petri,Dr.theol.h.c.RudolphGerhardBehrmann (1743–1827),Prof.Dr.CarlFriedrichAugustHartmann(1783–1828),Profes soramAkademischenGymnasium,Dr.jur.JohannChristianKauffmann (1791–1856),VizepräsidentdesHandelsgerichts,Dr.jur.RudolphGerhard Behrmann (1773–1858),  Actuarius  des  Handelsgerichtes,  Peter  August Milberg (1785–1844),JohannesAndreasPrell (1774–1848),derApotheker ChristophChristianUlrichNoodt (1781–1867)sowiederHauptpastoran 118

Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.13–15;Privilegiertewöchentliche gemeinnützigeNachrichtenvonundfürHamburg,Nr.128vom30.5.1827,S.1,Nr.308vom 29.12.1826,S.1f.,Nr.188vom19.5.1830,S.1f.

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Die Milde Stiftung Taubstummenanstalt Hamburg

St.Michaelis,Dr.theol.h.c.AugustJacobRambach(1777–1851).Ausdie semKollegiumbildetendiezweiletztgenanntenmitdenbeidenGründern BuekundBehrmannunterVorsitzvonBuek denVerwaltungsausschuss, derzuerstfürdieErrichtungundOrganisationzuständigwarundderspä teralsVorstandsgremiumdieAnstaltleitenwürde.Buekbliebvondiesem Momentan50Jahrelang,bis1877,imVorstandderStiftungTaubstum menanstalt119 und  beteiligte  sich  neben  seiner  medizinischen  Berufs laufbahnstetsaktivamFortgangseinerAnstalt.DerMedizinerundBota nikerHeinrichWilhelmBuekhatte1814nachdemEndeseinerSchulzeit am Johanneumdamitbegonnen,StudienderAnatomie,Physiologieund ChirurgieimallgemeinenKrankenhauszutreiben.120NachStudienzeitund PromotionbegannerseineTätigkeitalspraktischerArztinHamburgim November1819.IndieserZeiterwachteseinInteresseanGehörlosen.Im November1833wurdeBuekzumLandphysikusbestellt,dasheißt,dasser für den Medizinaldienst–die Ansiedlung und Prüfung derWundärzte, Hebammen  und  Apotheker  –  im  Hamburger  Landgebiet  (Geestlande, Barmbek,HammmitHorn,Walddörfer,Marschlande)undindenVorstäd tenzuständigwar.Von1851biszuseinerPensionierung1871warBuek dannalsStadtphysikustätig. InderNummer21derWöchentlichenNachrichtenwurdeeinDankdes Komitees  an die  bisherigen Spender  veröffentlicht,  man  rief zu  weiterer HilfeaufundbatdieElterngehörloserKinder,dieseschonfürdieAusbil dunganderHamburgerTaubstummenanstaltzumelden.121 Indernächs tenSitzungdesAusschusseswurdefestgestellt,dassbereits16Kinderan gemeldetwordenwaren.EsbeganndieSuchenachgeeignetenRäumenfür dieSchule.DiesesollteaucheinezusätzlicheWohnungbeinhalten:Fürdie HandarbeitsanleitungderMädchen,zurHaushaltsführungfürdenLehrer sowiefürdieZubereitungderMahlzeitenderkünftigenZöglingewarbe reitseinejungverwitweteFrau ausgesuchtworden.Schließlichstandam 119

 FreimaurerzeitungNo.113vom7.3.1879:„Gedächtnisrede“,hierS.900.Buekstarb–als letzterderGründungsmitglieder–erstam10.2.1879,zweiJahrenachdemersichausAlters gründenausdemAnstaltsvorstandzurückgezogenhatte(DeutschesGeschlechterbuchBand 51,S.95). 120

IrisGroschek,Buek,HeinrichWilhelm,in:Kopitzsch,Franklin/Brietzke,Dirk(Hg.),Ham burgischeBiografie.Personenlexikon,Band3,Göttingen2006,S.67f.

121 DieseunddiefolgendenAngabenfolgen,wennnichtandersangegeben,denenvonHein richsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet.

Vom Dammtor zur Bürgerweide (1827–1881)

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21.  März  1827  der  Beschluss  fest,  das  große  Obergeschoss  mit direktem AufgangvonderStraßeinRiemannsHäusernanRiemannsPlatzvordem Dammtorzumieten.DiegemietetenRäumlichkeitenerstrecktensichüber zweiStockwerke:IndenoberenZimmernlagenKücheundKammerfürdie Lehrerin,dieunterenbeidenRäumewarenfürdenUnterrichtvorgesehen. ImmerwiederwiesderVerwaltungsausschussderStiftungTaubstum menanstalt  die  Hamburger  in  Spendenaufrufen  auf  die  „Not  der  Taub stummen“unddieMöglichkeitzuihrerLinderunghin:Diewöchentlichen „GemeinnützigeNachrichtenfürHamburgunddasHamburgerGebiet“ veröffentlichten1826zwei,imJahr1827sogar16ArtikelüberdieTaub stummenanstalt.Am2.Mai1827warenbereitselfMädchenundneunJun genfürdieAnstaltangemeldetworden,undeskamenersteAnfragenaus wärtigerKinder.DanielHeinrichSenß wurdefürdaserstehalbeJahrals einzigerLehrerangestellt,bekamaberdieBezeichnung„zweiterLehrer“: FürdieZukunftplantederVorstand,einenhörendenLehreralserstenLeh rereinzustellen,derdanndieLautspracheunterrichtensollte.Außerdem wurdeeinBotebeschäftigt.122 DerersteGehörlosenlehreranderHamburgerTaubstummenanstalt,Da nielHeinrichSenß,waram5.November1800inGransee(Brandenburg) taubgeborenworden.123Erhatteab1810seineAusbildungbeidemfrüher taubtenLehrerJohannKarlHabermaß(1783–1826)–demerstengehörlosen Gehörlosenlehrer  Deutschlands  –  und  dessen  Direktor  Ludwig  Graßhoff (1770–1851)  in  Berlin  erhalten.  Zu  dieser  Zeit  wurde  am  Berliner  Taub stummeninstitutdieGebärdenspracheimUnterrichtgroßgeschrieben:„In derGebärdensprachehatesdieBerlinerAnstalt[...]ungemeinweitgebracht unddieAnstaltnimmtnachdieserSeitehin,dieersteStelleein“. 124Sprachbe gabte  Schüler  bekamen  zusätzlich  eine  besondere  Sprechförderung.  Zum EndeseinerAusbildungwarSenßRepetiteurimBerlinerInstitut,eheervon 1820bis1822andasTaubstummeninstitutKentropbeiMünsterwechselte unddortbeimUnterrichtenhalf.ErgingdanachnachBerlinzurück,woer alsGeheimerKanzleiHilfsarbeiterimKultusministeriumundalsPrivat 122

J.M.B.Tohmfor(Tomfohr)arbeitetebiszuseinemTod1848imHause,seineStelleüber nahmseinSohnFerdinand(zehnterBerichtderTaubstummenSchule1850,S.71).

123

ZuDanielHeinrichSenßsieheHeinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,u.a. S.14;Vogel,Taubstummenpädagogik,S.57–58.

124

GustavWende,Dr.LudwigGraßhoff,in:BlatterfürTaubstummenbildung1915,Nr.11,S.167, nach:Vogel,Taubstummenpädagogik,S.30.

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Die Milde Stiftung Taubstummenanstalt Hamburg

lehrerarbeitete.SeinZielwares,alsGehörlosenlehreraneinerTaubstum menanstalt  zu  arbeiten.  So  begann  er  eine  Reise  durch  Deutschland.  In HamburgtraferEnde1826unmittelbarvorderGründungderTaubstum menanstaltein.Senß,derbeiGraßhoffdieLautsprachedeutlichzuspre chengelernthatte,bewarbsichoffiziellumdieLehrerstelleunderhieltsie. DassdieWahldeserstenLehrersaufdengehörlosenDanielHeinrich Senßfiel,warnichtungewöhnlich,hattedochBehrmanninderPariserAn staltdenUnterrichtdurchgehörloseLehrkräftealshelfendinderWissens entwicklung  der  gehörlosen  Schüler  wahrgenommen  und  kannte  Buek auchdieLeistungdergehörlosenLehrerHabermaßundKruse.125MitKarl HabermaßverbandBueksogarseitJanuar1822eineBrieffreundschaft.Als Buekbegann,sichintensivermitderGehörlosenbildungauseinanderzuset zen,hatteerfürpraktischeTippsundzumGedankenaustauschdenbe kannten  Berliner  Pädagogen  angeschrieben.126 Habermaß  empfahl  den HamburgernseinenSchülerSenß.127 Buek warüberzeugt,dieGehörlosen sollteninderSchulezuerstdieeigeneSprache,dieZeichensprache,lernen, wobeidieGemeinschafteinengroßenTeildieserArbeitübernehmenkönn te.IndiesemZusammenhangwünschteBueksicheinenKonsensfüreine deutschlandweiteeinheitlicheGebärdensprache.128InderSchulesolltedann aberdaraufaufbauenddieSchriftsprachegelehrtwerden,das„Hauptmit tel  des  künftigen  Unterrichts“  und  „der  Unterhaltung  mit  Anderen“.129 SchriftundLautsprachesolltenZweckdeserstenUnterrichtssein,bevor derinhaltlicheUnterrichtfolgensollte.WennSenßdiedritteSäulederUn terrichtsmethodik,dasLehrendesSprechens,nichtvollständigerfüllte,so warenesandereEigenschaften,dieihnqualifizierten:Alsunerlässlichfür einenTaubstummenlehrersahesBuekan,dassdiesernichtnurErzieher, sonderndarüberhinausauch„Vater“derSchülersei,ihr„gänzlichesVer trauen“erhalteund„reicheKenntnis“ihrereigenenSprachehabe.Gehör loseHilfslehrereignetensichabernichtalsMittlerzurAußenwelt.Undda her,  so  war  Buek  überzeugt,  sei  die  Leitung  einer  Taubstummenanstalt 125

DiesewerdeninBueks„WünscheundVorschläge“alsVorbildererwähnt.

126

AuszügeausdenBriefensindabgedrucktin:BeilagezumneuntenBerichtderTaubstum menSchule1847,S.157–168. 127

PrivilegiertewöchentlichegemeinnützigeNachrichtenvonundfürHamburg,Nr.188vom 19.5.1830,S.2.

128

Lotz,Nr.121,Sp.963–966,hierSp.963.

129

Ebd.,Sp.963.

Vom Dammtor zur Bürgerweide (1827–1881)

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durcheinengehörlosenLehrernichtmöglich.130AlsArztwarBuekdarüber hinaus überzeugt, dass Gehörlose  Kranke seien, für die es  künftig auch eineHeilunggebenkönne.131 InzwischenwarengenügendGeldundSachspendeneingegangen.Ham burgerBürger,ÄmterundPredigerdesStadtundLandgebietessahenmit InteresseundWohlwollenderEröffnungentgegen.Am28.Mai1827wares soweit:Die„TaubstummenanstaltfürHamburgunddasHamburgerGe biet“wurdeanderDammtorstraßeaufRiemannsPlatzalsprivatemilde Stiftungeröffnet.EsgabeinenLehrer–Senß–unddieWitwedesfrühver storbenenSchreibersJacobHeinrichRöhlausBremen,HenrietteRöhl,als HandarbeitslehrerinundHausmutterfürdie13MädchenundneunJun gen.132 ZudieserZeitexistierteninDeutschland15privateundstaatliche Taubstummenanstalten, davon die älteste von Heinicke 1778gegründete AnstaltinLeipzigunddieeinzigemiteinemgehörlosenGründer(1820) undLeiter –HugoFreiherrvonSchütz zuHolzhausen (1780–1847)–in Camberg;133dreiweiterewurdenimgleichenJahrwiedieHamburgerAn stalt–1827–gegründet(FrankfurtamMain,Lübeck,Bremen).134 Inden AnstalteninBerlin,SchleswigundLeipzigwurdefürdenUnterrichteine kombinierte  Methode  mit  Lautsprachvermittlung  mittels  Gebärden  ge nutzt.135DiemeistendeutschenInstitutewandtendagegeninderTradition SamuelHeinickesoraleLehrmethodenan. ZurEröffnungsfeieramVormittagdes28.Mai1827warendieVereins mitgliedermitihrenFrauen,diegroßenSpender,diePräsidentenderHam burgerÄmtersowiedieStadtpredigerundnatürlichdiegehörlosenKinder mit  ihren  Eltern  zur  Schule  gekommen.  Die  Vorstandsmitglieder  hatten 130

Lotz,Nr.122,Sp.973

131

Ebd.,Sp.974.

132

 StAHbg,St.Gertrud,IXa11,Sterbeeinträge1826,Nr.746undHamburgerAdressbuch 1829.NochimerstenJahrdesBestehensderAnstaltkamendreiJungenunddreiMädchen dazu. 133 ZuSchützgibteseinenDokumentarspielfilmindeutscherGebärdensprachevonRenateFi scher,ClaudiaKaltenbachundAngelaStaab(SignumFilm,1994).Vgl.auch:RoselJung,Ge schichtederTaubstummenschuleinCamberg,Taunus:150JahreGehörlosenbildungane.d. ältesten  Taubstummenschulen  im  deutschsprachigen  Raum  u.  d.  ältesten  im  ehemaligen Nassau,Camberg1970. 134

Söder,Blinden,IdiotenundTaubstummenbildungswesen,S.282–288.

135

Vogel,Taubstummenpädagogik,S.25–44.

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Die Milde Stiftung Taubstummenanstalt Hamburg

Schiefertafeln,SchreibpulteundTintegespendet.DerUnterrichtkonntebe ginnen,  um,  wie  es  Pastor  Rambach in  der  Eröffnungsrede  formulierte, „aus  rohen,  unwissenden,  gesetzlosen,  keine  Pflichten  und  keinen  Gott kennendenGeschöpfen[...]verständige,fühlende,sittlichvernunftvolle[...] nützlicheMitglieder“derGesellschaftzumachen.136 DerUnterrichtwolltenatürlichfinanziellbeglichenwerden.AnSchul geldzahltendieSchülerinnenundSchüler,diegenügendGeldaufbringen konnten,zuerstzwischen30und100MarkimJahr.EswurdenSpendenan genommen,umfinanziellschlechtergestelltenKinderndamitdenUnter richtzuermöglichen.ArmeHamburgerKinderkonntenkostenfreiUnter richterhalten.DieSchulstundendauertentäglichaußersonntagsvon9bis 15Uhr,wobeieseineErholungsstundevon12bis13Uhrgab,inderdie KinderimHofvordemHausspielenkonntenundtrockenesWeißbrotals Frühstückbekamen.UmSpendern,SpendenwilligenundanderenNeugie rigendieArbeitanderSchulezupräsentieren,wurdederersteundletzte SonnabendjedenMonatsalsBesuchstagvereinbart,andembiszuzwölf BesucherdieNachmittagsstundenbeobachtenkonnten.Senßunterrichtete wiegeplantSchreiben,Rechnen,Zeichnen,deutscheSprache,Briefschrei bensowieGrundkenntnisseinErdkunde,Völkerkunde,NaturundWelt geschichtesowieTechnologieundMoral.137 3. 2. 2 Un ter ri c ht i n Lau t spra ch e Der  Unterricht  durch  Senß  begann  erfolgreich.  Doch  schon  in  der Aus schusssitzungdesVorstandsvom17.August1827wurdebemerkt,dasses erforderlichsei,UnterrichtimSprechenzuerteilen.DieVorstandsmitglie derhattensichzuvorintensivmitdenunterschiedlichenAnsätzeninder Gehörlosenpädagogikauseinandergesetztundbeschlossen,Sprachunter richtzuerteilen.ImerstenJahresberichtderAnstalt,derbereits1828her ausgegebenwurde,wirddiesmitdenBeobachtungendesTaubstummen lehrersDr.AntonWeidnerausMünsterbegründet,derdasSprechenund DenkeninnaheVerbindungbrachteundmitdermangelndenSprachfähig keitzuerklärenversuchte,„warumsovieleTaubstummeverwildern,nach 136

Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.21.

137

 Ebd.,S.20undS.21.EinBriefdokument–einSchreibendergehörlosenCarolineLouise Schaller(geb.1796)anihren Onkel–findetsichimBestanddesJohannisklosters(StAHbg, 6111St.Johanniskloster,2196).

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dem  sie  einige  Jahre  außerhalb  der Anstalt  [...]  gelebt  haben“  ohne  die Lautsprachezusprechen.SchließlichsolltederSchulabsolventinderLage sein,sichHörenden„verständlich[zu]machenund[zu]verstehen[...],was anderedeutlichzuihmsprechen“.138 ZumgehörlosenLehrerSenß stellte derVorstanddannzum7.Februar1828–zuerstalsUnterlehrer–denerst 15jährigenFriedrichJohannHeinrichGlitza(1813–1897)ein.139Erhattebe reits  an  zwei  Privatschulen  ausgeholfen  und  wurde  von  seinem  Lehrer, demseit1804anderPaßmannschenSchulelehrendenChristianLudewig Sasse,demVorstandempfohlen.GlitzaübernahmdieStundeninSchön schrift,Zeichnen,Rechnenund–vorallem–inderLautsprache.140

Abbildung 7: Friedrich Glitza

ImerstenJahresberichtderSchulewurdeGlitzasUnterrichtderLautspra chevorgestellt:141ZuerstsolltenBuchstabenundSilbenausgesprochenwer 138  Erster  Bericht  der  TaubstummenSchule  1828,  nach:  Heinrichsdorff,  Hamburg  und  das HamburgerGebiet,S.25. 139 EigentlichhießdiesermitNachnamenGlitz,erst1848,nachseinerZeitanderTaubstum menschule,änderteerseinenNameninGlitza  (StAHbg,1111Senat,Senatsprotokoll1848, Band1,S.151:NamensrectificationGlitza7.4.1848). 140

ErsterBerichtderTaubstummenSchule1828,S.15.

141

Ebd.,S.16–20.

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den.Dazu musste der Lehrer den Schülern Laute deutlich machen: Der LehrersprachvorunddieSchülerfühltenundsahendieBewegungvon Zunge,GaumenundKehlkopf.BeidemBuchstaben„k“wurdedieZunge desSchülersmiteinemStäbchenheruntergedrückt.KonntendieBuchsta benausgesprochenwerden,wurdenersteBegriffemitHilfevonZeichen, BildernundFarbentafelnveranschaulicht.DieKinderlerntenBuchstaben undWortezuschreiben,lerntendasFingeralphabetundschließlichBegrif feundEigenschaftsworteinWortundGebärde.Worte,Handlungen,Dekli nationenundKonjugationenwurdenauswendiggelernt.Erstwurdendie sinnlichen,danndieabstraktenBegriffedurchgenommen.Schließlichkonnte mitFrageübungen,SatzbildungenundGrammatikbegonnenwerden.Mit diesen  Kenntnissen  konnten  die  Schüler  Aufsätze  verfassen.  Zusätzlich wurden  sie  aufgefordert,  Tagebuch  zu  führen,  um die  Sprache  und  das Schreibenzuüben.AusschnitteausdenTagebüchernwurdenindenJah resberichten  der  Taubstummenanstalt  abgedruckt  und  erfreuten  „durch ihrenichtseltendrolligenEigenthümlichkeiten“,diedurch„ihrenichtaus gemerztenMängelnundUngeschicklichkeitendenStempelderAechtheit ansichtragen.“142UnterrichtssprachewarindenhöherenKlassenalleindie Lautsprache.NurdiemoralischenErzählungen,diefüralleKindererzählt wurden,wurden,umMissverständnisseauszuschließen,mittelsGebärden vorgetragen.DerUnterrichtbegannimSommerschonum7Uhrunddau ertebis15Uhr.DieMädchenerhieltenvon12bis15UhrzusätzlichenUn terrichtindenHandarbeiten.DieErgebnissediesespraktischenUnterrichts wurdenanInteressierteverkauft,sodassdieSchülerinnenzurFinanzie rungihresAufenthaltsanderAnstaltselbstbeitrugen.AlsäußeresZeichen des  Schwerpunktwechsels  durch  den  hörenden  Lehrer  zur  Lautsprache wies  der  Stundenplan  der  Schüler  inzwischen  konkret  die  Fächer  Wort kenntnis,Satzbildung,Frageübungen,Buchstabieren,aberauchRechnen, Kalligraphie  und  Zeichnen  auf.  Zwei  älteren  Mädchen  wurde  auch  das PlättenundEinlegenvonWäscheinHinblickaufihrespätermöglicheTä tigkeitbeigebracht.IndiesemerstenBerichtwurdebetont,dassalleKinder gleichbehandeltwerdenwürden,egalobsiefürdenUnterrichtbezahlten odernicht.DiePensionkostetenun350Mark,wobeidieBettstellenichtin begriffenwar,siemussteselbstmitgebrachtwerden.InderandasSchulge 142

KritischeBlätterderBörsenhalleNr.190vom17.2.1834,nach:fünfterBerichtderTaustum menSchule1836,S.20.

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bäudeangrenzendenWohnunglebtenLehrerGlitzaunddieLehrerin mit einerKostgängerin.LehrerSenßwohntemitseinemältestenSchüler,Carl ChristianMartinDiedrichs(geb.1811),derbereitsalsRepetiteurimUnter richt  half,  im Schulgebäude.143 Zu  der  Zeit  waren  also  erst  zwei  Kinder ganztagsimHausuntergebracht. 3. 2 . 3 N eu e r S ch u lb a u u nd n e ue Lehre r DieAnzahlderKostgängerunterdenSchülernwuchsallerdingsschnell,so dassschonbaldKinderaußerhalbderAnstaltinPensiongegebenwerden mussten.EswarnichtgenugPlatzfürneueKostgängervorhanden,undfür den  Unterricht  war  ein  zusätzlicher  Gehilfe  erforderlich  geworden,  der ebenfallsimHausewohnensollte.DaderVorstandschonam19.Septem ber1827beschlossenhatte,wenigstenseinenSaaldazuzumieten,wurde diesVorhabenimgrößerenMaßstabnunverwirklichtunddiegesamteAn staltzum30.Mai1829indieVorstadtSt.Georgverlegt.Dortkonnteeinei genesgroßesGrundstückmitmehrerenGebäuden„imvorletztenGarten zwischenderAlsterundderKoppel“144gekauftwerden–inklusiveSpiel garten,  Blumengarten  und  Gemüsegarten  und  einem Aussichtsturm  auf demDacheinesderGebäude. EingetragenwurdedasGrundstückaufVorstandsmitgliedBehrmann, da  die  Taubstummenanstalt  als  nicht  staatlich  anerkanntes  Institut  kein Grundstückbesitzendurfte.ZudieserZeitwurdenbereits23Schülervon denvierLehrkräftenunterrichtet(dieLehrerGlitzaundSenß,dieLehrerin Röhl,derGehilfeHolzmann).SiebenJungenundzweiMädchenwohnten inderAnstaltundwurdenvonzweigehörlosen,gebärdendenDienstmäd chenbetreut.145DerVorstandlegtejetztauchWertaufdasTurnenimFreien– GlitzaalsaktiverTurnerundMitglieddesältestenTurnvereinsderWelt, derHamburgerTurnerschaftvon1816,146warAnregerdazuundfungierte alsVorturner.DieJungenhattensovielFreudeamTurnen,dassdieTurn 143

ErsterBerichtderTaubstummenSchule1828,S.22.

144

HamburgerAdressbuch1831,S.655.EineBeschreibungdesGrundstücksmitGarten,Hof undGebäudenfindetsichin:zweiterBerichtderTaubstummenSchule1829,S.5f. 145

CarolineGehrmann(geb.1800)undJohannaMargarethaChristineSteffens(geb.1806)wa ren  aus der Werk und Armenanstalt  in den  Dienst der  Taubstummenanstalt  übergetreten (zweiter  Bericht  der  TaubstummenSchule  1829,  S.  9);  sechster  Bericht  der  Taubstummen Schule1838,S.71.

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zeiten strengreglementiertund dieTurngeräte– Stricke,Kletterstangen, ReckundBarren–nachdemEndederTurnstundewiederweggeschlossen wurden.147DieKinderliefenaufderhinterdemHausgelegenenAlsterim WinterEisundbadetendortimSommer.

Abbildung 8: Schule An der Koppel 45

Behrmann alsunbesoldeterAnstaltsdirektorermöglichtedurchsparsame HaushaltsführungeineAnzahlvonFreiplätzenfürgehörloseKindermin derbemittelterEltern.148AufdemAnstaltsgrundstückanderKoppelhatte eraucheineWohnung,die–späterausgebaut–1914zumDirektorwohn hauswurde.DortlebteBehrmannbis1856,um„seinerAnstalt“nahezu sein,indererselbstlehrendaktivwar,denKindern„moralischerbauliche ErzählungenguterSchriftsteller“vermittelteundab1836danneineeigene 146

 IrisGroschek,AufklärendurchHandeln.DiekleinenRevolutionendesFriedrichGlitza (1813–1897),in:Auskunft.MitteilungsblattHamburgerBibliotheken22.Jahrgang(2002)Heft1, S.36–64.

147

ZweiterBerichtderTaubstummenSchule1829,S.10.

148

StaatlichePressestelle,150JahreGehörlosenbildung,S.5.

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KlassederanderSchulelernendenschwerhörigenKinderbildete. 149Erwar esauch,derdieJahresberichtederTaubstummenanstaltalsWerbeschriften herausgabunddieKorrespondenzenderTaubstummenanstaltführte.Im drittenBericht,derdieSchulzeitvon1830bis1831umfasste,wurdestolz festgestellt,inzwischenschon57.000MarkdurchSpendenfürdieAnstalt zurVerfügungzuhaben.FürguteKaufleutesolltesichinVorstandsaugen dieAnstaltauch„rechnen“,jederJahresberichtenthieltdaherdetaillierte AngabenzuSpenden,EinundAusgaben.Das„Unglückdertaubstummen Kinder“wurdezwar immerwiederbeschworen, aber dochauchfestge stellt,dassdiesesichspäterbestensumihreneigenenUnterhaltkümmern könnten.  Der  Unterricht enthielt  dazu  auch  praktische Anleitungen.  Die JungenbestellteninderSchulzeiteineneigenenKartoffelacker,während dieMädchendiezumKaufbestimmtenHandarbeitenverrichteten. SoerfolgreichdieAnstaltinderÖffentlichkeitdastand,sokonfliktreich wurdeinterngestritten.AusderLehrerKonstellation–aufdereinenSeite derselbstgehörloseSenß,aufderanderenSeitederVorstand,dersichzu nehmendfürdieLautsprachlehreaussprach–ergabensichimmerwieder Auseinandersetzungen,daSenßselbstsichfürdieGebärdenspracheund gegendieLautspracheeinsetzteunddamitaufwachsendeGegnerschaftim Vorstandtraf.DerVorstandlobteGlitza,denner„verhinderte,dassdieAn staltdemfranzösischenGebärdenkultusvölligverfiel“.150 Inzwischenwar der Vorstand  von den Vorzügen der Lautsprachmethode überzeugt und wolltedieKindernachHeinickes Vorbildmitder„deutschenMethode“ lernenlassen.SokamesschonbaldzuDifferenzen,daSenßimUnterricht SchriftspracheunddasfranzösischeFingeralphabetbenutzte.Daherver ließSenßam17.Mai1830dieHamburgerAnstalt.ImHerbst1829hatteer dieKündigungeingereicht,derimfolgendenJahrderVorstandderAnstalt zustimmte.ImAprilfolgtenocheinöffentlichinderZeitungausgetragener StreitzwischenSenßundBuek überdierichtigeLehrmethode.Inseinem abschließenden  Zeugnis  bescheinigte  der  Vorstand  Senß  zurückhaltend undknapp,dassdieserdieSchüler„mitFleißundLiebeunterrichtethat, unddasswirmitdenwissenschaftlichenFortschrittenderselbenimallge 149 150

Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.36.

Söder,Blinden,IdiotenundTaubstummenbildungswesen,S.371ff.;StAHbg,3612IIOSB II,B129Nr.3,ZeugnißdesHerrnDr.H.W.Buek,VorstandesderHamburgerTaubstummen anstalt,überdieWirksamkeitdesDirectorsderselben,FriedrichGlitza,namentlichindenJah ren1841bis1850,27.2.1869.

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meinenwohlzufriedensind.“151SeineEntlassungerfolgte„durchsehrtrif tigeGründe“,denndurchden„tauben,höchstunverständlichsprechenden Senß“ließesichnaturgemäßkeinSprechunterrichterteilen.152 1832erhielt Senß  eine Anstellung  an  der  neu  gegründeten  Taubstummenanstalt  von Riga153.SpäterunterrichteteermehrereJahrelanganderTaubstummenan staltinSt.Petersburg,bevorernachBerlinzurückkehrteunddortab1845 erneutimKultusministeriumarbeitete.ErschriebdorteineBiografieseines LehrersKarlHabermaß.154NachseinerPensionierungkehrteSenßinseinen GeburtsortnachGranseezurück,woer1868starb.155 GlitzawurdenachSenß´WeggangältesterLehrerundfürdenentlasse nenGehilfenCarlWilhelmPhilippHolzmann,derdieanihngestelltenEr wartungen  nicht  erfüllt  hatte,  wurde  der  16jährige  Peter  Daniel  Möller (1815–1886)  eingestellt.  Möller  sollte  derjenige  in  der  Geschichte  der HamburgerTaubstummenanstaltwerden,derdieGebärdensprache„aus rottete“156–soheißtesimRückblickausdemJahre1887wörtlich,wasdie inzwischen  ausschließlich  negative  Wahrnehmung  der  Gebärde  und  des Fingeralphabetsunterstreicht. NebendemUnterrichtwurdedaszukunftsweisendepraktischeArbei tenausgeweitet.Ab1830erhieltendieJungenderAnstaltUnterrichtvonei nem  Tischlermeister.  Die  Mädchen  bekamen  –  Henriette  Röhl hatte  die SchuleimHerbst1830verlassen–bisMai1833vonderWitweMeiners Handarbeitsunterricht.FrauMeinershatte zuvoreineIndustrieschulege leitet,indersieErfahrungenmitdemHandarbeitsunterrichtvonMädchen gewonnenhatte.DieseArbeitwurdemitderZeitzumreinenUnterrichts gegenstandundwar,dadurchausgenügendSpendeneintrafen,nichtmehr aufNebenerwerbausgerichtet.AbMai1833kamalsHandarbeitslehrerin 151

Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.30.

152

Ebd.,S.33.

153

 Diese  musste mangels geeigneter  Lehrkräfte nach  seinem  Weggang wiedergeschlossen werden(Vogel,Taubstummenpädagogik,S.58).

154

OttoFriedrichKruse,DerTaubstummeimuncultiviertenZustandenebstBlickenindasLe benmerkwürdigerTaubstummen,Bremen1832,S.126–133,nach:Vogel,Taubstummenpäd agogik,S.56.

155  OttoFriedrichKruse,ÜberTaubstumme,TaubstummenBildungundTaubstummenAn staltennebstNotizenausmeinemReisetagebuche,Schleswig1853,S.370,nach:Vogel,Taub stummenpädagogik,S.58. 156

Söder,Blinden,IdiotenundTaubstummenbildungswesen,S.373.

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dieebenfallsverwitweteCorneliaGlitz(1788–1848),dieMutterdesersten LehrersFriedrichGlitza,andieSchule.SiezogmitihrenKinderneinund ihreältesteTochterfinggleichalsweitereHilfeihrerMutter,dienebendem praktischenUnterrichtauchdie„Ökonomie“zuleitenhatte,beiderBe treuungderinderAnstaltwohnendenKinderundJugendlichenan.Im März1833fanddieersteKonfirmandenprüfungdurchPastorDr.Valentin AntonNoodt (1787–1861),demBruderdesVorstandsmitgliedsChristoph ChristianUlrichNoodt,unddamitdieersteAbschlussprüfunganderAn stalt  statt.  Die  beiden  Jungen,  von  denen  einer  schriftlich,  der  andere mündlichaufdieFragendesPastorsantwortete,wurdeninAnwesenheit derVorsteherderAnstaltunddarüberhinaus60Gästengeprüft.157

Abbildung 9: Fingeralphabet nach de l´Epée aus einem Leipziger Kalenderbuch

157

DerAblaufderPrüfungwirdgeschildertimviertenBerichtderTaubstummenSchule1834, S.46–55.

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3.2.4 Der Wandel vo n der kombin ier ten Met hode zur Lautsp rachmet hod e DierichtigeMethodefürdieGehörlosenpädagogikwarweiterhineinviel diskutiertes  Thema.  Taubstummenlehrer  des  deutschsprachigen  Gebietes warensichdurchausnichteinig,obnurdieSchriftspracheoderobLaut undSchriftspracheHauptzielderGehörlosenausbildungseinsollte.Esgab immerwiederStimmen,diesichgegendie„deutscheMethode“desrein lautsprachlichenUnterrichtsaussprachen.Siesahen–bestärktdurcheinen fehlgeschlagenen  eineinhalbjährigen  rein  oralen  Versuch  in  der  Berliner Anstalt1831–einezuschlechteAusbildungderGehörlosendamiteinher gehen.  Diese Methode würde den  Unterricht verlangsamen, zu ungenü gendenErgebnissenführenundeineminderwertigegeistigeBildungGe hörlosernachsichziehen.158AbermehrnochwurdedieGebärdensprache alsHemmniseinerLautsprachentwicklunggefürchtet,derenKenntnisin SchriftundSprachealsZielderAusbildungundderAkzeptanzinderGe sellschaftgesehenwurde.BereitsaufdemerstennationalenTaubstummen lehrerTreffen1846inEsslingensprachensichTaubstummenlehrerdafür aus,dieGebärdensprache,wennGrundkenntnissederLautsprachegelernt wordenseien, vollständigzuverbieten,außerdemdieKinderschon vor Entwicklung  einer  Gebärdensprache  für  dann  mindestens  zehn  Jahre  in AnstaltenaufzunehmenunddenKontaktzuHörendenzufördern.159 Der EntschlusszurreinenLautsprachlehrewurdemitderZeitauchfürHam burgbekräftigt.Noch1838wareine„richtigundgenaubezeichnendeGe berdensprache“inderAusbildungGehörlosernachHamburgerMeinung unerlässlichunddiejungenTaubstummenlehrersolltendieseSprache be herrschen.160MitHilfederBildungwerdeauseinem„verschlossenen,trüb sinnigen,theilnahmslosenMenschen“ein„heiterer,theilnehmender,mitt heilenderMensch“,solobteVorstandsmitgliedBehrmanndieeigeneSchule, in der die gehörlosen Schülerinnen und  Schüler „mitder Schriftsprache 158

InBerlinkonntendiegehörlosenSchüler,diereinlautsprachlichunterrichtetwurden,zwar sprechenundabsehen,hattenaberselbstbeieinfachenSätzenkeininhaltlichesVerständnis überdas,wassiesagtenoderablasen.UndauchdieUnterdrückungderMimikseieineGe waltanwendunganderNatur(zehnterBerichtderTaubstummenSchule1850,Berichtüber dieersteTaubstummenlehrerVersammlunginEsslingen1846,S.30–44,hierS.43).

159

Ebd.,S.42.

160

SechsterBerichtderTaubstummenSchule1838,S.101.

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undinmanchenFällenauchmitderLautsprache“vertrautgemachtwur den.AufalleFälleaberkönntendiegehörlosenAbsolventensich„vermit telsteinerausgebildeten,ausdrucksvollenGeberdensprache“leichtmitan derenMenschenverständigenundhätteneinerundumguteGrundbildung undinnereReligiositäterhalten,dieihnenden Wegbahne„zueigenem BrodundeigenemHeerde[...]hinausindieWelt“.161Behrmann,derinei nemHausaufdemAnstaltsgeländewohnte,beobachtetedienonverbale KommunikationdergehörlosenSchülerinnenundSchülermitdeneben fallsgehörlosenDienstmädchenwährendderfreienStunden.DieseArtder KommunikationschlossjedochLehrerGlitzazumindestfürseinenUnter richtbaldaus.DennauchfürGehörlose,daschlosssichdieAnstaltdem TaubstummenlehrerE.A.Wirsel ausBührenan,seidieunmittelbareund fühlbareartikulierteSprachedasnatürlichsteUnterrichtsmittel.Gehörlose müsstenzuerstsprechenlernen,daohnedieArtikulationdiegeschriebene SpracheeinetoteSprachesei.162SobalddieLautsprachegelerntwordensei, solltedieGebärdeimUnterrichtnichtmehrangewandtwerden.Glitzaals ersterLehrerderHamburgerAnstaltweiteteseineMethodikdesLautie rensundSprechensweiteraus.Erführte,„alseinerderErsten,wennnicht derErste“eineMethodeein,beiderdieSchülerinnenundSchülergleich zeitigimSchreiben,Lesen,SprechenundAblesenÜbungerhielten–der UnterrichtalsoinLautsprachegeführtwurde.DieGebärdensprachewurde zunehmendverdrängt.GlitzasMethodefandNachahmerundbrachteder HamburgerAnstalteinenvorbildlichenRuf.163 Eine  bessere  Kommunikation  mit  anderen  Taubstummenanstalten  er laubte  eine  klarere  Methodendiskussion.  Schon  1834  war  Direktor  Behr mannnachEnglandgereist,umsichandendortigenTaubstummenanstal tenzuinformierenundeinenInformationsaustauschzwischendenAnstalten zu  begründen.  Zehn  Jahre  später,  im  September  1844,  wurde  die  Ham burgerTaubstummenstaltimGegenzug von auswärtigen Taubstummen lehrern  besucht.164 Darunter  waren  so  bedeutende  Persönlichkeiten  wie 161

NeunterBerichtderTaubstummenSchule1847,S.13f.

162

ZwölfterBerichtderTaubstummenSchule1856,S.16.

163

StAHbg,3612IIOSBII,B129Nr.3,ZeugnißdesHerrnDr.H.W.Buek,Vorstandesder Hamburger  Taubstummenanstalt,  über  die  Wirksamkeit  des  Directors  derselben,  Friedrich Glitza,namentlichindenJahren1841bis1850,27.2.1869. 164

 BerichtederBesucherüberdieHamburgerAnstaltin:Heinrichsdorff,Hamburgunddas HamburgerGebiet,S.38–40;Lane:MitderSeelehören,S.383–391.

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ProfessorLéonVaîsse (1859–1872),derspäterDirektorderPariserTaub stummenschulewurde,LewisWeld (1796–1853),LehrerundspäterLeiter dererstenamerikanischenGehörlosenschuleinHartfordundPastorGeorge E.DayvonderNewYorkerSchule,diesämtlichzumStudiumeuropäischer MethodeninverschiedeneLänderEuropasgeschicktwordenwaren.Zuvor warDr.SamuelGridleyHowe (1801–1876),LeiterdesBlindeninstitutsin Boston  und  Lehrer  der  berühmten  taubstummblinden  Laura  Bridgman (1829–1889)  in  Europa  gewesen,  hatte  ebenso  Taubstummenanstalten  in Deutschland  besucht  und  nach  seiner  Rückkehr,  beeindruckt  durch  die SprechKenntnissederGehörlosen,positivüberdieoralorientierteMethode berichtet.DaraufhinhattenHartfordundNewYorkebenfallsihreVertreter aufeineInformationsreisenachDeutschlandgeschickt.165 Auchwenn die BerichtedieserLehrernichtmehreinhelligpositivgehaltenwaren–obwohl ihnendieHamburgerSchulemitihrenbegabtenSchülernimLippenlesen undSprechenaufgefallenwar–,166wurdealsErgebnisderInformationsreise durchverschiedeneTaubstummenanstaltenEuropasindenamerikanischen TaubstummenschulenvonHartfordundNewYorkArtikulationsunterricht eingeführt.167AuchParissetzteunterVaîssevermehrtaufdieLautsprache– derSiegeszugdesOralismusumdieWelthattebegonnen.168 3. 2. 5 S chüler DieKinderundJugendlichen,dieanderTaubstummenanstaltAufnahme fanden,  kamen  mit  ganz  unterschiedlichen  Voraussetzungen.  Sie  waren zwischenachtund20Jahrealt,manchehattenbereitsprivatoderinande renTaubstummeninstituteneineersteAusbildungerhalten,manchewaren vonGeburtangehörlos,andereinfolgevonKrankheitoderUnfällener 165 ErnstEmmery,BilderatlaszurGeschichtederTaubstummenbildungmiterläuterndemText, München1927,S.215. 166

Lane,MitderSeelehören,S.386–391.EinArgumentwar,dassdieSprachederSchülerfür Hörendeohnehinunverständlichsei,undzuvielZeitundGeldwürdefüreinenichtoptimale FähigkeitimLippenlesengeopfertwürden;AuszügeausdenfürHamburgpositivausfallen denBerichtenfindensichin:neunterBerichtderTaubstummenSchule1847,S.58–62. 167

 DieserVersuchscheitertejedochausheutigerSichtletztlichundwarfürdieAusbildung derGehörloseninsgesamtnichtförderlich(Lane,MitderSeelehören,S.389ff.).

168

 NurwenigeangeseheneTaubstummendirektorenändertenihreMeinung,sowieVaîsse, deramEndeseinesLebensdiereineOralmethodefürgescheiterterklärteunddiekombinierte Lehrmethodefürsinnvollererachtete(Lane,MitderSeelehören,S.476).

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taubt.169 GeradedieälterenSchülerinnenbliebennichtlangeanderAn stalt,dadieElternsiezuhausebenötigten.Soverließen1829nachnurei nemodergeradezweiJahrenSchulunterrichtbereitssiebenMädchenmit 18bzw.19JahrendieAnstalt,ohneKonfirmationunddamitohneeinen Bildungsabschlusserreichtzuhaben.ZweiweiteregehörloseFrauenblie benalsHaushaltshilfenanderAnstalt.170 DieerstenJungen,diedieAn stalt  verließen,  wurden  Böttcher,  Tagelöhner,  Korbmacher  und  Klemp ner.171 FrühwurdenbegabteSchüleralsUnterrichtshilfenangelernt.Der erstedieserSchüler,dernochdurchLehrerSenßausgewähltwurde,war CarlChristianMartinDiedrichs.DiedrichshattemitfünfJahrenseineEl ternverlorenundwarimWaisenhaus,imKrankenhofundimWerkund Armenhausaufgewachsen,bevorereinerdererstenSchülerderneuen Taubstummenanstaltwurde.172ErwarfleißigundbesondersgutimRech nen,ZeichnenundTurnen,nichtjedochinderLautsprache.Unddader Vorstandihmdamiteine„AbneigunggegenGeistesArbeiten“attestierte, sollteernachdemWeggangseinesFürsprechersSenßschließlichzuei nemTischlerindieLehregegebenwerden.AlsDiedrichssichdagegen wehrte,  wurde  er  im  Oktober  1830  aus  dem  Schulleben  zurück  in  das Werk  und Armenhaus  geschickt.  Der  19jährige  junge  Mann  floh  aus demHaus,konntesichalleineabernichtinderStadtdurchschlagenund 169

SowirdvomSchülerJohannHeinrichWendtberichtet,erseiimAltervonachtJahrenin FolgevonmehrerenSchlägenseinesSchullehrersmiteinemdickenBuchaufdenKopfertaubt (vierterBerichtderTaubstummenSchule1834,S.10)oderauchderAnblickundVerkehrmit GehörlosenwährendderSchwangerschaftwirdvonElternalsGrundfüreintaubgeborenes Kindgesehen(sechsterBerichtderTaubstummenSchule1838,S.13).DieGründederTaub heitderHamburgerSchülerwerdenimsiebentenBerichtderTaubstummenSchule1841auf S.10aufgelistet. 170

ZweiterBerichtderTaubstummenSchule1829,S.8–9.DieNamendererstenSchülerinnen undSchülerderAnstaltfindensichimerstenBerichtderTaubstummenSchule1828,S.13f.

171 172

DritterBerichtderTaubstummenSchule1832,S.7–8.

StAHbg,3541Waisenhaus,IVCII5,S.288Nr.8und9.NachdemTodderElternwurden CarlChristianMartinundseinältererBruderJohannHeinrich am22.1.1817indasWaisen hausaufgenommen,woseitdem30.10.1816bereitsdieSchwesterundeinjüngererBruder vomanSchwindsuchterkranktenVaternachdemTodderEhefraulebten(Nr.153und154auf S.274).ZuerstwolltederVater1816diejüngstenSöhneindasWaisenhausbringen,dochwur deCarlChristianMartinaufGrundseinerTaubheitdurchdengehörlosenKommissionsrat John  Pacher untersucht  und  nach  Feststellung  der  Taubheit  vom  Waisenhaus  abgewiesen (ebd.,NotizReimarusvom19.10.1816).DieWegederGeschwistertrenntensich.JohannHein richversuchte1846miteinemSchreibenandasWaisenhausseinenochlebendenjüngeren Brüderwiederzufinden(StAHbg,3541Waisenhaus,Kinderakte153/1541816).

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stimmteschließlicheinerTischlerlehrezu.1731846wareralsTischlergeselle aufSt.Paulitätig.174 AuchSchülerjüdischenGlaubenswarenunterdenerstenSchülernder HamburgerAnstalt,daschonwährendderAnstaltsplanungversprochen wurde,dieKonfessionderSchülerzuberücksichtigen,indemihnenbei spielsweiseanjüdischenFeiertagenundSamstagenfreigegebenwurde.175 Diesbedeuteteallerdingsnicht,dasssievonmoralischenoderchristlichre ligiösenErzählungenausgeschlossenwurden.VonderEröffnungderSchu lebisOktober1835besuchtederHamburgerSohneinesMusiklehrersLevi Löwenberg(geb.1820)dieSchule,eineherwilderJunge,dermitVorliebe SpäßetriebundfürdenseineLehrereineKlempnerlehrevorgesehenhat ten.DaLöwenbergabersehrgerneundgutzeichnete,wurdederJunge schließlichinder(erstennorddeutschen)LithographenanstaltvonJohann MichaelSpeckter (1764–1846)Steindrucker.176 AuchdieGeschwisterBeh rensausLüchow,diezumUnterrichtindieSchulekamen,aberbeiVer wandteninderStadtwohnten,warenjüdischenGlaubens.Dertaubgebo reneBernhardBehrens(geb.1818)hatteseineersteAusbildunginBerlin erhalten. VondortkamernachfastdreijährigemSchulbesucham4.No vember1828andieHamburgerSchule.177ErlerntehierdieSchriftsprache. DaerbeiseinenVerwandtenwohnteunddorteinepraktischeAusbildung erhieltundzudemanjüdischenFeiertagennichtundanchristlichennur seltendieSchulebesuchte,hatteerindenAugenseinerLehrernichtgenug lernenkönnen.SeineSchwesterFriederike dagegen,„einäußerstlebhaftes

173

DritterBerichtderTaubstummenSchule1832,S.6–7.

174

StAHbg,3541Waisenhaus,Kinderakte153/1541816,NotizaufSchreibenJohannHeinrich DiedrichsandasWaisenhaus14.2.1846.

175 „Versprechen,daßnämlichbeydemReligionsUnterrichtederZöglingedieConfessionih rerÄlternberücksichtigtwerdenwird“(ersterBerichtderTaubstummenSchule1828,S.20). 176

 Im  vierten  Bericht  der  TaubstummenSchule 1834, S. 19–44  und  im  fünften Bericht  der TaubstummenSchule1836,S.49–64sindausführlicheAusschnitteausLeviLöwenbergsTage buchabgedruckt.Zur LithographenanstaltvonJohann MichaelSpeckterund seinem Sohn OttosieheVeronikaBraunfels,OttoSpeckter(1807–1871).IllustratorundLithographinHam burg(VeröffentlichungendesVereinsfürHamburgischeGeschichteBand39),Hamburg1995. InderSpeckter’schenLithographischenAnstaltwarennochweiteregehörloseLehrlingetätig, beispielsweiseTheodor Kramer(geb.1820),sechsterBerichtderTaubstummenAnstalt1838, S.41.

177

AngabenzuBehrensausdemviertenBerichtderTaubstummenSchule1833,S.8.

Vom Dammtor zur Bürgerweide (1827–1881)

75

Kind,mitglücklichenAnlagenundeinnehmenderGesichtsbildung“178hatte einesehrguteAussprache,sodassihreGehörlosigkeitschoneinmalvon auswärtigenBesucherninFragegestelltwurde.179 SieerhieltvonMai1829 bisJuni1832inderSchuleUnterricht,währendsieineinerPensioninder Stadtwohnte.AngstvorderCholeraveranlassteihrenOnkel,sieausSchule undStadtzunehmen. HamburgwurdezudieserZeiterstmalsvongroßenCholeraEpidemien heimgesucht.SchwereAusbrüchederKrankheitforderten1832inderStadt über  1.600 Tote. Als Mediziner nahm sich der  Vorstandsvorsitzende  der Anstalt,Buek,diesesThemasbesondersan.ErveröffentlichteeinigeBü cherüberdieCholeraundihreAusbreitung.180AlsAnhängerdertraditio nellenMiasmalehre,diedieVerbreitungderCholeraaufAusdünstungen ausverseuchtemGrundwasserunddamitaufihreVerbreitungdurchdie Luftzurückführte,wurdeninderSchuledieTagesschülervorsorglichvom Unterrichtausgeschlossen.EswurdenRäucherapparateaufgestelltundda miteineständige„Desinfektion“derLuftdurchgeführt.DieSchüler,diein derStadtwohntenundnurzumUnterrichtindieSchulekamen,wurden fürdieDauerderEpidemiegebeten,zuHausezubleiben.DaeinigeKin der  im  Werk  und Armenhaus  wohnten,  wurde  der  seit  Gründung  der Taubstummenanstalt  hier  lernende  21jährige  Schüler  Johann  Heinrich Boldt(1810–1833)angewiesen,dieseeineZeitlangzuunterrichten.181 GutsprechendeundablesendeSchülerwarendasAushängeschildder Schule.DiesenwurdeFleißundBegabungzugesprochen.Rückmeldungen vonehemaligenSchülernwurdenzumBeweisdergutenArbeitgerneindie Jahresberichteaufgenommen.SoschriebJohannHeinrichWendt(geb.1813, 1833ausderSchulemitKonfirmationentlassen)anseinenehemaligenLeh rer:„[…] wäreichnichtinihrerAnstalterzogen,ichwärelebenslangein ThiergebliebenundjetztbinicheinMensch.Ichbinzwartaub, aberich kannmitallenLeutensprechenundfühlemichfrohundglücklich.“182 178

VierterBerichtderTaubstummenSchule1833,S.9.

179

Ebd.,unddritterBerichtderTaubstummenSchule1832,S.27.

180

Genanntseienu.a.HeinrichWilhelmBuek,DieVerbreitungsweisederepidemischenCho lera,mitbesondererBeziehungaufdenStreitüberdieContagiositätderselben,Halle1832; ders.,DieVerbreitungderinRußlandherrschendenCholera.ErläutertdurcheineKarteund dieGeschichtederEpidemie,Hamburg1831.

181

DritterBerichtderTaubstummenSchule1832,S.12f.

182

VierterBerichtderTaubstummenSchule1833,S.11.

76

Die Milde Stiftung Taubstummenanstalt Hamburg

Abbildung 10: Gebäude der Taubstummenanstalt in St. Georg, Zeichnung von Levi Löwenberg

Trotzdem  entließen  ihn  zwei  Meister  nach  Lehrbeginn,  letztlich  wurde WendtbeiseinemVaterbeiHannoverzurLehreaufgenommen.183Auchan deregutsprechendeSchülerwurdenherausgehoben:SozumBeispielJo hannChristianFriedrichWitt(1821–1834),einHamburgerJungeausärmli chenVerhältnissen,deralsFreischülerinderAnstaltwohnte.Erwarschon beiderEröffnungderAnstaltangemeldetworden,aberalszujungvorerst zurückgestelltworden.SchließlichkonntedersiebenjährigeJungeimJuni 1828eingeschultwerden,einJahrspäterwurdeerindasInternataufge nommen.  Er  war  der  beste  Schüler  im  Sprechen,  Lippenlesen  und  im schriftlichenAusdruck,schriebauchGedichteundwurdedamitvonden LehrernalsbesterSchülerinAuffassungsvermögenundGedächtniseinge stuft.184 Sein überraschenderTod schockierteSchüler und Lehrer,war er doch„derStolzseinerLehrerunddieZierdeunsererSchule.“185

183

Ebd.,S.11

184

Ebd.,S.13.

185

FünfterBerichtderTaubstummenSchule1836,S.15.

Vom Dammtor zur Bürgerweide (1827–1881)

77

ZweiehemaligeSchülerkonntenalserfolgreicheKaufleuteinHamburg Karrieremachen: JohnPacher (1842–1898)undErnst AlphonsHirschfeld (1832–1858)  aus  Altona.  Der  taub  geborene  Sohn  des  Kaufmanns  Carl Hirschfeld erhieltseineAusbildunginderTaubstummenanstaltvon1839 biszuseinerKonfirmationOstern1850.Deralsbescheiden,bedächtigund hilfsbereitcharakterisierteHirschfeldwarderbesteLippenleserderTaub stummenanstalt.GerühmtwurdeseineFähigkeit,beiTagesundKerzen scheinauseinerEntfernungvonbiszu30SchrittendieLippenseinesGe sprächspartnerslesenzukönnen.186 Erhatteeineraue,aberverständliche Aussprache,dieihmimKontaktmitHörendenhalf.Der18jährigekonnte auf  Grund  seines  sehr  guten  Gedächtnisses  mündliche  Vorträge  inhalts undwortgetreuschriftlichwiedergeben.ErbegannseineAusbildunginei nemDekorationsgeschäftamNeuenWallundwolltespätereineAkademie besuchen,umsichimZeichnenweiterzubilden.Erkonntesichabersehr bald  mit  einem  Tapeziergeschäft  (Hirschfeld  &  Lüdeking)  selbstständig machen.187 Alphons´zehnJahrejüngererBruderPaul wurdeebenfallsan der  Taubstummenschule  unterrichtet,  zusammen  mit  dem  gleichaltrigen JohnErnestPacher,derwieerauseinerinAltonaansässigenKaufmanns familiestammte.188BeidesolltensichspäterinderGehörlosengemeinschaft mitihrenAktivitäteneinenNamenmachen.PacherwurdeimOktober1847 anderSchuleaufgenommen,nachdemerimJanuardesselbenJahresnach einerScharlacherkrankungertaubtwar.TäglichbrachtederVaterdenSohn „imCabriolet“zurAnstalt.189Pacherfielnichtbesondersauf,konntealler dingssehrgutsprechenundLippenlesen.NachseinerKonfirmation1858 erlerntePacherdiePorzellanmalereiinOttensenundbildetesichspäterals Lithographweiter.Am10.Januar1865machteersichmiteinereigenenLi thographieAnstalt,dieihrenSitzinderReichenstrasse45inderHambur 186

 ZehnterBerichtderTaubstummenSchule1850,S.59;neunterBerichtderTaubstummen Schule1847,S.77.

187

FünfzehnterBerichtderTaubstummenAnstalt1859,S.13f.

188

ZuPachersieheRenateFischer/KarinWempe/SilkeLamprecht/IlkaSeeberger/JohnE. Pacher(1842–1898)–ein„Taubstummer“ausHamburg,in:DasZeichen.ZeitschriftzumThe maGebärdenspracheundKommunikationGehörloser32(1995),S.122–133und33(1995),S. 254–266;IrisGroschek,JohnPacherunddieHamburgerTaubstummenvereine,in:DasZei chen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheundKommunikationGehörloser34(1995),S. 409–411.

189

ZehnterBerichtderTaubstummenSchule1850,S.63.

78

Die Milde Stiftung Taubstummenanstalt Hamburg

gerAltstadthatte,selbstständigundwurdeeinerfolgreicherUnternehmer. Ab  1874  nahm  Pacher  regelmäßig  an Internationalen  Taubstummenkon gressenteil.1875gründeteerzusammenmitanderenGehörlosen,diein derHamburgerTaubstummenanstaltausgebildetwordenwaren,denersten HamburgerTaubstummenverein.1877heirateteerdiegehörloseIdaFreiin von Münchhausen.Zwei Jahre später wurde PachersFirma  Hoflieferant desDeutschenKronprinzen,1884wurdeihmderTiteleinesKommissions ratesdurchdenHerzogvonCoburgGothaverliehen.Pachervergrößerte seinenBetriebundbauteeinealskaiserlicherHoflieferantausgezeichnete LithographieFabrikimheutigenStadtteilUhlenhorstauf,damalseinVor ortvonHamburg.InderFabrikgabesdreiAbteilungen–fürLithographie, DruckereiundBuchbinderei–inderüber40Mitarbeiter,davoneinDrittel gehörlos,tätigwaren.NachdemTodseinererstenFrauheiratetePacher nochzweimal.SeineEhenbliebenkinderlos. Auch schwerhörigeKinder wurden zunehmendan der Schuleaufge nommen  und  bald  gesondert  unterrichtet.190 1837  wurden  bereits  sieben schwerhörige  bzw.  spätertaubte  Schülerinnen  und  Schüler,  die  auf  der VolksschuledemUnterrichtnichtmehrfolgenkonnten,unterrichtet.Die HörförderungführtebeieinigenKinderndazu,dasssienacheinigerZeitin Volksschulen  eingeschult  werden  konnten.  Manche  Unterrichtsstunden wurdenvonschwerhörigenundgehörlosenKinderngemeinsambesucht. UnddurchdenAufenthaltinderAnstalt,„imUmgangmitdentaubstum menHausgenossenundZöglingen“konntenschwerhörigeKinderwieAu gusteEggers (geb.1822)alsDolmetscher„zwischenGehörbegabtenund Taubstummen“fungierenunddadurchihrSelbstbewusstseinstärken.191 3. 2. 6 Anerkennung und Ausba u der Ans t alt DieHamburgerAnstaltkonnte1841aufAntragdesVorstandesderStif tungTaubstummenanstalteineersteAnerkennungdurchdenSenaterrei chen,derderAnstaltdieGrundsteuererließ.192 Dochschon1842wurden die  Einnahmen,  wenn  auch  geringer  als  befürchtet,  infolge  des  Großen HamburgerBrandes,derauchdenBesitzderSpenderderAnstalttraf,ver 190

SiebenterBerichtderTaubstummenSchule1841,S.14f.

191

Ebd.

192

StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QdNo.9Vol.1,Bl.3.

Vom Dammtor zur Bürgerweide (1827–1881)

79

ringert.Am5.Mai1842warausunbekannterUrsacheinderHamburger DeichstraßeeinFeuerausgebrochen,dassichaufGrundvonTrockenheit undWindraschaufdiegesamteInnenstadtausbreitete.ErstnachvierTa genkonntederBrandgelöschtwerden.51MenschenwarenindenFlam men  umgekommen,  über  4.000  Wohnungen  waren  zerstört,  so  dass  fast 20.000Menschenobdachlosgewordenwaren;dasRathaus,dieBank,das Archiv,diealteBörse,fastsämtlicheöffentlicheGebäudewarendurchdas Feuerzerstörtworden,ebensosiebenKirchen,darunterauchdieHauptkir chenSt.PetriundSt.Nikolai–undhättederWindnichtkurzvordenTo renSt.Georgsgedreht,sowäreauchdieTaubstummenanstalteinOpfer derFlammengeworden.193 Am  1.  Oktober  1848  starb  die  Mutter  des  ersten  Lehrers,  Cornelia Glitz,194diedieÖkonomieunddenweiblichenHandarbeitsunterrichtgelei tethatte.IhreältesteTochterMarie(1817–ca.1882)übernahmihrAmt.So bliebdieFamiliederTaubstummenanstaltweiterverbunden,dennFried richGlitzaselbst,der1842vomVorstandzumSchuldirektorernanntwor denwar,verließdieSchuleOstern1849.ErhattedasGesichtderSchule undihrenRufdurchseineArbeitsweiseüber23Jahregeprägt.Buek als VorstandderAnstaltentließseinenerstenLehrernichtohneihmeinsehr gutesZeugniszuschreiben,indemerihnalsaußergewöhnlichenMann schildert,dengehenzulassenBueksichtlichschwerfiel:„Freilichwarsein WirkenanunsererAnstalteinsoverdienstliches,soalleunsreErwartun genübertreffendes,sosegenreiches,dasswirwohlsagendürfen,erhatsie zudemgemacht,wassiezuseinsichwohlrühmendarf,einederbesten AnstalteninDeutschland.“ÜberGlitzasArbeitunddidaktischenFähigkei tenberichtetBuek:„Schonsehrbald,nachdemihmdieLeitungderSchule übertragenwar,wussteersichvondemdurchSensseingeführtenSchlen drianderalten,aufdieZeichensprachebegründetenUnterrichtsmethode freizumachen;erführte,einerderErsten,wennnichtderErste,undjeden fallsselbständig[...]einezweckmäßigereMethodedesUnterrichts,durch gleichzeitigeUebungderZöglingeimSchreiben,Lesen,SprechenundAb sehenvomMundemitgänzlicherBeseitigungderZeichenspracheein,eine 193

ZumGroßenHamburgerBrandsiehe:ClaudiaHorbas,EsbrannteanallenEckenzugleich: Hamburg1842[anlässlichderAusstellungimMuseumfürHamburgischeGeschichtevom21. November2002–23.Februar2003],Heide2002;Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburger Gebiet,S.36f.

194

StAHbg,5127St.Michaelis,E17,Sterberegister1846–1850,S.270Nr.20.

80

Die Milde Stiftung Taubstummenanstalt Hamburg

Methode,dieseitdemauchinanderndeutschenAnstalten[...]angenom men ist, dieer aberdurchihmeigenthümliche, genialeAuffassungund praktischesGeschickzueinemGradederVervollkommnungbrachte,die ihndieglücklichstenErfolgeerzielenließundderhamb[urger]Anstaltdie allgemeinsteAnerkennung,alseinerderbesten,keinerandernnachstehen den,erwarb“.195 GlitzagründeteeinpaarJahrespäterzusammenmitsei nemBrudereineerfolgreicheeigeneprivatehöhereBürgerschule.196Glitzas StellealsersterLehrerwurdedurchdenLehrerMöller ausgefüllt.Dieser heirateteimfolgendenJahrMarieGlitz.MöllerwarfürdenUnterrichtsei nerSchülerundseineFrauMariefürdasInternatunddieHaushaltsfüh rungzuständig.197 Am25.März1856starbnach30JahrenEinsatzfürdieTaubstummenan staltAnstaltsleiterundVorstandsmitgliedDirektorJ.H.C.Behrmann,der in seinemTestamentverfügte,dieTaubstummenanstaltsolledemSenat übergebenwerden:„DaindeßnachmeinemAusscheidensichschwerlich Jemandfindendürfte,dergeneigtseynmöchte,dieDirectionderAnstalt unentgeltlichzuübernehmen[...]soerlaubeichmir,dieSorgefürdiehiesi ge  TaubstummenAnstalt  Einem  Hochedlen  und  Hochweisen  Rathe  zu übertragen[...]“.198 DochdieserPlanscheiterteamWiderspruchderübri genVorstandsmitglieder,dieeineSupplikmitderBitteumAblehnungan denSenatrichteten. DaraufhinerklärtendieSenatorenDr.AmideCha peaurouge (1800–1860)  und  Dr.  Carl  Friedrich  Petersen (1809–1892)  im April1856,dassderStaatnichtgesonnensei,aufdiesesTestamenteinzuge hen.199AlswichtigerweitererSchrittwurdeam2.JulijedochdieSchuleder AnstaltdurchdenSenatanerkannt.200NachBehrmannsTodwurden–wie inanderenOrten–dieLeitungenvonSchuleundHeimzusammengelegt. AlsNachfolgerBehrmanns,derbiszuletztalsVerwalterunddamitAn staltsdirektorfungierte,wurdePeterDanielMöllerzumDirektorernannt. 195

StAHbg,3612IIOSBII,B129Nr.3,ZeugnißdesHerrnDr.H.W.Buek,Vorstandesder Hamburger  Taubstummenanstalt,  über  die  Wirksamkeit  des  Directors  derselben,  Friedrich Glitza,namentlichindenJahren1841bis1850,27.2.1869. 196

ZurFamilieGlitza,insbesondereFriedrichGlitza:Groschek,AufklärendurchHandeln.

197

ZehnterBerichtderTaubstummenSchule1850,S.71;zwölfterBerichtderTaubstummen Schule1856,S.28.

198

ZwölfterBerichtderTaubstummenSchule1856,S.25.

199

StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QdNo.9Vol.2,Bl.3.

200

ZwölfterBerichtderTaubstummenSchule1856,S.26.

Vom Dammtor zur Bürgerweide (1827–1881)

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Möller,deranderPaßmannschenSchuleseineAusbildungerhaltenhatte, hattesichaufseinbesonderesLehrfach–wiedamalsüblich–autodidak tischvorbereitet.1830hatteerimAltervon16JahrenalsHilfslehrerander erstvorkurzemgegründetenTaubstummenanstaltzuarbeitenbegonnen. BiszumMai1878warMöllerununterbrochenfürdieAnstalttätig.Auch seinältesterSohnEmil(1854–1913)wurde,nachdemerzehnJahrelangdie höhereBürgerschuleseinesOnkelsFriedrichGlitzabesuchthatte,abOs tern1870  zuerst  Hilfslehrer, später festangestellter Lehrer an derTaub stummenanstalt.201SobestimmtedieFamilieGlitza/Möllerübereinenlan genZeitraumdieEntwicklungderSchule.202 NebenSpendenwarenesauchLegate,diedasVermögenderAnstalt vergrößerten.VielfinanzielleUnterstützungerhieltdieAnstaltdurchein LegatausdemTestamentdes1850gestorbenenKaufmannsJohannChris tophKausche(1794–1850).HilfsbedürftigeJugendlicheausderTaubstum menanstalterhieltenjetzteinefinanzielleStarthilfe,wennsieausderAn staltentlassenwurden.DieswareinnotwendigerSchritt,denndieKinder kamen  meist  aus  ärmlichen  Verhältnissen:  1856  wurden  in  der Anstalt 20Zöglingeunterrichtet,vondenennurzweidasvollePensionsundSchul geldzahlenkonnten. IndiesemJahrwurdenalsZielederAnstaltdiereligiöse,sittlichmora lischeErziehungsowieAusbildungundVerständnisderSprachegenannt, dashieß,dassdasHauptaugenmerkbeiderAusbildungderKindervoral lemaufLippenlesenundLesenundSchreibenderdeutschenLautsprache gelegtwurde.DiereligiösmoralischeGrundeinstellungsolltediegehörlo senjungenMännerdarinunterstützen,nichtauf„Wanderschaft“zugehen unddamitinArbeitslosigkeitundBetteleizuverfallen.203 Aberdassoge nannte „Entstummen“  der  Taubstummen  führte  neben  Neugier  der  Öf fentlichkeitauchdazu,dassGehörlosemehralsnützlicheGliederderGe 201

 StAHbg,3612VOSBV,499aBand1,Bl.67ff.:BerichtDirektorHeinrichSöderanden VorstandderTaubstummenanstalt19.11.1881.

202

AuchandereTaubstummenanstaltenwurdenvonFamiliengeführt(soinKiel,vgl.Ortwin Pelc,TaubstummeinSchleswigHolsteinindererstenHälftedes19.Jahrhunderts,in:ders./ Ibs,JürgenH.:Arme,Kranke,Außenseiter.SozialeRandgruppeninScheswigHolsteinseit demMittelalter(StudienzurWirtschaftsundSozialgeschichteSchleswigHolsteinsBand36), Neumünster2005,S.199–229,hierS.206f.

203

ZehnterBerichtderTaubstummenAnstalt1857,BerichtüberdieersteLehrerversammlung derTaubstummenlehrerDeutschlands1846inEsslingen,S.30–44.

82

Die Milde Stiftung Taubstummenanstalt Hamburg

meinschaft  wahrgenommen  wurden.  Ihre  Lehrer  setzten  sich  dafür  ein, dassderrechtlicheStatusGehörlosermodernisiertwerdensollte,dassauch sie,dasiejetztschreibenundsprechenkonnten,inihrebürgerlichenRech teeingesetztwürden.204 1858wurdemitHeinrichCarlAdolphSorger (1843–1920)alszweitem HilfslehrereinedritteLehrkraftfürdieinzwischeninvierKlassenaufge teilten20SchülerinnenundSchülereingestellt.DieHilfslehrer,dierecht jungangestelltwurden,wohnteninderAnstalt,lerntenanderpraktischen ArbeitundhattendieAufgabe,dieJungen,dieimInternatlebten,inder schulfreienZeitzubeaufsichtigen.205 DieAnstalthattenebeneinemschuldenfreienGrundstückundInventar einBarvermögenvon150.000Mark,sodassderAusbauderSchuleauchim folgendenJahrzehntfortgesetztwerdenkonnte:1866beherbergtedieAn stalt  28  Zöglinge,  darunter  waren  auch  Kinder  aus  SchleswigHolstein, demBremerGebiet,sogarausDänemarkundHolland.DieSchulehattesich einengutenRuferarbeitet.AufderVorstandssitzungam28.Februar1870 wurde daher  ein  Neubau auf staatlichem Boden  Ecke  Bürgerweide und WallstraßeinsAugegefasst,umdenbenötigtenPlatzfürdiewachsende SchülerzahlzuschaffenunddersteigendenöffentlichenAufmerksamkeit gerechtzuwerden.Hinzukam,dassdasalteGebäudebaufälligwurde.Se natundBürgerschaftüberließendasgewünschteGrundstückderAnstalt unentgeltlich.206 Am1.Oktober1871erhieltderBauplanderArchitekten JordanundHeimdenZuschlagunddieBevölkerungwurdeumSpenden gebeten,damitnichtdasgesamteVermögenderAnstaltindenBau in vestiert werdenmusste.Schonam28.Mai1872konntedieRichtfeierbe gangenwerden.StolzverkündetederVorstand,dassder85.000Markteure NeubausogarvollständigdurchSpenden,SammlungenunddenVerkauf desaltenGrundstückesfinanziertwerdenkonnte.AufdasBarvermögen 204

 Ebd.Dieam13.Juli1831publizierteHamburgerVormundschaftsOrdnungsagtinArti kel90,dassTaubstummeauch„unterCuratezustellen“seien,alsoeinenVormundbräuchten (neunterBerichtderTaubstummenSchule1847,S.25–26).

205

SiebzehnterBerichtderTaubstummenAnstalt1862,S.11f.DasWohneninderAnstaltwar sogarVoraussetzungfürdieAnstellung;wollteeinjungerHilfslehrerheiraten,mussteerseine Stellungaufgeben.

206

StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QdNo.9Vol.3,Bl.1:VorschlagGrundstückBürgerweide, VorstandTaubstummenanstaltanSenat12.12.1870;Bl.9:ZustimmungSenat25.1.1871;Bl.10: ZustimmungBürgerschaft29.3.1871.

Vom Dammtor zur Bürgerweide (1827–1881)

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derAnstaltmusstenichtzurückgegriffenwerden.Nocheinmalwurdedas Gelände  im  Herbst  1871  vergrößert,  um  Platz  für  einen  Spielplatz  und mögliche  Erweiterungen  des  Gebäudes  zu  haben.207 Das  fast  3.000  qm große Anstaltsgrundstück  lag  in  einer  fast  unbebauten  Gegend. An  der BürgerweidegabeszudieserZeitnurwenigeHäuserundkaumVerkehr. Dassolltesichallerdingsindennächsten20Jahrenändern–dieBürger weideentwickeltesichzueinerverkehrsreichenVorortstraßemitEtagen hausbebauung.208 1873fanden37SchülerinnenundSchülerinderAnstaltPlatz.DieStif tung  Taubstummenanstalt  drängte  jetzt  im  zunehmenden  Maße  die  in HamburglebendenSchülerinnenundSchülerdazu,ebensowiedieExter nendasAnstaltsinternatzunutzen.EsseifürdieAusbildungderSchüler besser,wenndieseimInternatlebtenundsomitunterständigerAnleitung stünden.DadurchwürdendieKinderschnellerlernenunddieLautsprache könnebesserausgebildetwerden.209 1874wurdenfünfweitereSchülerin nenundSchülerindieSchuleeingeschult.DurchdasgrößereHaus,dieda durchmöglichegrößereSchüleranzahl–meistKinderunvermögenderEl tern–unddiewiederumdarausresultierendeZunahmederLehrerschaft mitihrenGehältern,beganndasVermögenderAnstaltzuschmelzen. 3.2. 7 Die Ta ubstummenschule soll verstaatlicht werden ZuOstern1878wollteDirektorMöllerausAltersgründendieLeitungvon SchuleundAnstaltabgeben.DochderVorstandsahsichnichtinderLage, ihmeinPensionsgehaltzuzahlen.DerSenatwurdeumÜbernahmeder Kostenersucht,wasnachmehrmaligenVerhandlungenmitderOberschul behördeunddemSenattatsächlicherreichtwerdenkonnte.VondemZeit punktangewährtederStaat,soferneigeneMittelderAnstaltnichtausrei 207

StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QdNo.9Vol.3,Bl.12:VorstandanSenat6.6.1872;Bl.18: ZustimmungSenat5.7.1872;Bl.21:ZustimmungBürgerschaft11.9.1872.

208

GustavMarr,DieTaubstummenanstalt,in:Hamburginnaturwissenschaftlicherundmedi zinischerBeziehung,Hamburg1901,S.419–422,hierS.422.

209

HeutewirdvonSeitendererwachsenenGehörlosenwiederdasInternatslebenfavorisiert, damitdiegehörlosenKindervielvondereigenenWeltundKulturderGehörlosenmitbekom menunddamiteine„Heimat“findenkönnen–inderFolgedeswachsendenGehörlosen selbstbewusstseinswendendiesesichdamitgegendieMeinungHörender,diediestetigeIn tegrationpropagieren.

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chen  sollten,  den  Direktoren  der  Taubstummenanstalt  eine  Pension,  die sichnachdemPensionsgehaltderHauptlehreranöffentlichenVolksschu lenrichtete.210AbgelegtwurdedieAmtsbezeichnung„Direktor“.211ImMai wurdederausderTaubstummenanstaltinStadekommendeOberlehrerJo hannHeinrichSöder(1838–1916)NachfolgerdespensioniertenMöller;sein GehaltwurdenunvollständigvonderOberschulbehördebezahlt. FürkurzeZeitsollesinden1870erJahren,soberichteteDirektorSöder rückblickendimJahr1880,inHamburgeinenFortbildungskursfürjüdi scheGehörlosegegebenhaben.212DavonabgesehenwardieTaubstummen anstaltinBorgfeldedieeinzigeInstitutionfüreineSchulbildungGehörlo serinHamburg,unabhängigvonderenStandundReligion.ZumEndedes Jahres1878wurden47SchülerinnenundSchülerinderSchuleunterrichtet, zweiJahrespäterwardieaufhöchstens60ZöglingeeingerichteteAnstalt schonmit55Kindernbelegt,sodasserneuteinebaulichewiepersonelle Erweiterungnötigwurde.DieTaubstummenanstaltspürtesehrkonkretdie Folgen  der  dynamischen  Bevölkerungsentwicklung:  Die  Einwohnerzahl derHansestadtHamburgwuchsindenJahrzehntenzwischenderReichs gründung  1871  und  der  Jahrhundertwende  um  fast  eine  halbe  Million Menschenauf750.000Einwohneran.213MehrSchülerinnenundSchüleraus ganzHamburgkamenzumSchulbesuchnachBorgfelde,dasmitseinen StadthäusernunddemzunehmendenVerkehrseinursprünglichländliches Aussehenvollständigveränderthatte.AmJahresende1880warenander AnstaltnebendemDirektorundseinerFraufünfLehrer,zweiGehilfinnen undviergehörloseDienstmädchenfür61Zöglingezuständig–damitwar dieHamburgerTaubstummenanstaltzueinerdergrößerenInstitutionen fürGehörlosegeworden.ZuOsternwurde,wiejedesJahr,eineöffentliche PrüfunganderSchuleabgelegt,aufderdiespendenwilligenHamburger dieFertigkeitenderKinderimLippenlesenbewundernkonnten.Zusätz lichfandjedenDonnerstagamNachmittagzwischen13und15Uhreine 210

StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QdNo.9Vol.5Fasc.2,Bl.7;13119Pensionskassendepu tation,49,MitteilungSenatanBürgerschaftNr.18vom27.2.1878,S.125–217.

211

StAHbg,3612VOSBV,499e,AktenvermerkBl.1.

212

 StA Hbg,  1111  Senat,  Cl.  VII  Lit. Qd  No.  9  Vol.  4:  Söder  an  Medizinalrat  Dr.  Kraus 20.11.1880.WeiteresüberdieseKursekonntenichtermitteltwerden. 213

WernerJochmann,HandelsmetropoledesDeutschenReiches,in:Jochmann,Werner/Loo se,HansDieter,Hamburg.GeschichtederStadtundihrerBewohner,BandII:VomKaiser reichbiszurGegenwart,Hamburg1986,S.15–129,hierS.27.

Vom Dammtor zur Bürgerweide (1827–1881)

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solchePräsentationstatt.214AuchhiersolltedieSpendenfreudigkeitderÖf fentlichkeitdurchErstaunenübernichtvermuteteFähigkeitenGehörloser angeregtwerden.DieHamburgerAnstaltwareinederwenigenderins gesamt98imDeutschenReichexistierendenTaubstummenanstalten,die privatorganisiertunddamitvorwiegendaufSpendengelderangewiesen waren.DieFinanzlagezwangdieAnstaltdazu,zusätzlichzurPensionauch dieBesoldungderLehrerbeimSenatzubeantragen. DadieHamburgerTaubstummenanstaltdenLehrernkeinefesteAnstel lunginAussichtstellenkonnte,wechseltendieseoftanandereSchulenmit besseren  finanziellen  Bedingungen.  1881  konstatierte  der  Vorstand,  dass sichderhäufigeWechselderLehrernegativaufdieEntwicklungderZög lingeauswirkenwürde.DieAnstaltsleitungbemühtesichnunintensivdar um,dasswenigstensdieSchulestaatlichwerde,umsodenLehrerneineun befristeteAnstellungundeinfestesGehaltbietenzukönnen.Davonerhoffte sichderVorstand,dieLehreraufDauerhaltenunddamitdieAusbildung derSchülerinnenundSchülerverbessernzukönnen.ImMai1881ersuchte derVorstanddieOberschulbehörde,sichbeimSenataufGrundderfinan ziellenLagederAnstaltumeinestaatlicheÜbernahmederSchulezube mühen.215DieOberschulbehördeprüfteineinerKommissiondiefinanziel lenVerhältnissederAnstaltundkamauchzumErgebnis,dassdiedurch BeiträgevonSubscribenten,Geschenke,Legate,ZinsendesStiftungskapi talsundKostgeldererzieltenEinnahmennichtdieAusgabendeckten.An KostgeldzahltendieElternwohlhabendererZöglingejährlichmindestens 576Mark,dochselbstdieimGegensatzzudenvonderArmenanstaltge zahlten240MarkproKindüppigwirkendeSummedecktedieAusgaben proKopfnicht:DasInternatsorgtefüralleBedürfnissederKinder.Zudem kamendiemeistenInternatskinderausärmlichenVerhältnissen.Ausden EinnahmenmusstendieLehrergehälterundsämtlichersonstigerSchulbe darfgezahltwerden.DaaberimmermehrKinderandieAnstaltkamen und  immer  höhere  Anforderungen  an  den  Unterricht  gestellt  wurden, wuchsendieAusgabenüberproportional.DaszweiteArgumentwar–wie obenbereitsgeschildert–dieschlechteStellungderLehrkräfte,dieander Taubstummenanstaltkein RechtaufeineAltersversorgungerhielten. Ein 214 ElfterBerichtdesVerwaltungsAusschussesderam28stenMai1827gestiftetenTaubstum menSchulefürHamburgunddasHamburgerGebiet,Hamburg1883. 215

HierundimFolgenden:StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QdNo.9Vol.5Fasc.2,hierBl.7: MitteilungSenatanBürgerschaftvom14.10.1881.

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Die Milde Stiftung Taubstummenanstalt Hamburg

weiteresArgumentwar,dassKinderinZukunftabgewiesenwerdenmüss ten,nurweilGeldfehlte–unddiessollteunddurftenichtgeschehen,da auchgehörloseKindereinenAnspruchaufUnterrichthätten:DieSchul pflichtwarinHamburgdurchdasUnterrichtsgesetzvom11.November 1870eingeführtworden,wasdiegrößteUmwälzungfürHamburgsErzie hungspolitikbedeutete.216GeradezuradikalwardasSchulwesenderStadt geändertworden:Armenschulenwarenaufgelöst,öffentlicheSchulenwaren zuStaatsschulengeworden,eswurdedieallgemeineVolksschulegeschaf fen,dasAmtderSchulräteundderSchulkommissionenwareingerichtet und  die  Schulsynode  zum  Selbstverwaltungsorgan  der  fest  angestellten Lehrerschaft  geworden.  Die Aufsicht  über  das  gesamte  Schulwesen  war vonderKircheaufdenStaatübergegangen,derzudessenVerwaltungdie Oberschulbehördeeinsetzte.DieSchulpflichtwurdefestgeschrieben–al lerdingsohnedassgehörloseKinderErwähnungfanden.MitdiesemEr gebniswardieAnstaltsleitungnichtzufrieden.Sieversuchteverstärkt,in derÖffentlichkeitundnunauchbeiderOberschulbehördeaufdas Pro blemderGehörlosigkeitundaufdieWichtigkeiteinerAusbildungGehör loseraufmerksamzumachen.TatsächlichübernahmderStaatzum1.Januar 1882dieSchuleunddamitdieAnstellungderLehrkräfteohne–imHin blickaufdenWohltätigkeitssinnderHamburger–demInstitutdenCha raktereinermildenAnstaltzunehmen.NebenderprivatenTaubstummen AnstaltgabesnundiestaatlicheTaubstummenSchule.DieSchulpflicht gehörloserKinderwurdeallerdingsnichtzurgesetzlichenPflicht.

216

ManfredHeede,DieEntstehungdesVolksschulwesensinHamburg:derlangwierigeWeg vondenSchulforderungenderRevolution1848/49biszumUnterrichtsgesetzvon1870,Ham burg1982; JörgBerlin,DasUnterrichtsgesetzvon1870:VonGesetzlosigkeitzuSchulpflicht undSchulbehörde,in:HamburgmachtSchule(1990),Heft5,S.26f.

4 Die staatliche Taubstummenschule

4. 1 In de r Kaise rzeit ( 18 82– 1918) 4. 1. 1 Gebäud e MitderVerstaatlichungzum1.Januar1882übernahmdieStadtdieGe samtkostenderTaubstummenschule–einschließlichBesoldungundPen sionen–,sodassdieMildeStiftungentlastetwurdeundsieihreMittelauf ErhaltungundPflegederGebäudeundaufdieHeimerziehungverwenden konnte.217 EineErweiterungwurdemöglichundnoch imselbenJahr tat sächlichausgeführt–stattdreistandennunsiebenSchulzimmerfürdieüber 60SchulkinderzurVerfügung,dazueineTurnhalleundneueSchlafräume mitPlatzfür100Internatskinder.218FürdieSchulräumewurdemodernesIn ventarerworben:IndenKlassenstandenfürdieSchülerjetztRundtische nachdemVorbildandererTaubstummenschulen,andenenderdirekteBlick kontaktderSchülerinnenundSchüleruntereinandererleichtertwurde. 1899wardersiebzehnJahrezuvorerrichteteErweiterungsbaubereits vollausgenutzt:zumerstenMalwurdenüber100KinderinderAnstaltun terrichtet,allerdingslebtennur72vonihnenimInternat.ImKellerwaren Küche, Plättstube,  Waschküche und weitere Arbeitsräume fürdie Haus wirtschaft,  im  Erdgeschoss  die  Direktorwohnräume,  der  Speisesaal  und zweiSchlafsälefürdieMädchenuntergebracht,außerdembefandsichdort derTurnsaal,dergleichzeitigalsVersammlungsraumfürdievondenLeh rern  angebotenen  „Erbauungsstunden“  der  erwachsenen  Gehörlosen  ge nutztwurde.ImerstenGeschosslagendieKlassenzimmerundweitereDi 217

StaatlichePressestelle,150JahreGehörlosenbildung,S.6.ImJahr1914übernahmderStaat auchdiePflegedesGebäudes,denndurcheinegrößereZahlvonKindernundentsprechend mehrKlassenräumenkonntedieAnstaltauchdiesesnichtmehrauseigenenMittelnleisten (StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QdNo.9Vol.5Fasc.2,Blatt15).

218 StAHbg,3612VOSBV,499L,BerichtderSchulkommissionderTaubstummenschulean dieOSB22.2.1883.

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Die staatliche Taubstummenschule

rektorwohnräume,imzweitenGeschossgabesdreiSchlafräumefürdie Jungen,getrenntdurchdieWohnzimmerderLehrer,sowiedasHandfertig keitszimmer,dieWerkstattderJungen.219

Abbildung 11: Schulgebäude an der Bürgerweide 21

DadieSchülerzahlweiterwuchs,erhieltdieSchule1913zweineueRäume fürzweineueKlassenmitzweineuenLehrern.UmmehrZimmerimei gentlichenSchulgebäudedurchSchülerundLehrkräftenutzenzukönnen, wurdenzunehmendRäumederDirektorwohnung,diedieserohneFamilie nichtbenötigte,dazugenutzt.AlsderDirektor1915ineinneuesDirektor wohnhausimAnstaltsgartenzog,konntedieSchuledurcheinBibliotheks zimmerundeinSpielzimmerfürdiejüngstenKindererweitertwerden.220 4. 1. 2 Sc hu l ver wa l tu ng DiemeistenKinderanderHamburgerAnstaltwarenevangelischlutheri schenBekenntnisses.DieswarabernichtVoraussetzungfürdieAufnahme. 219

Marr,Taubstummenanstalt,S.419und421.

220

Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.60.

In der Kaiserzeit (1882–1918)

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EslebtenstetseinigejüdischeKinderinderAnstalt,diezeitweisedurch denOberrabbinerinReligionsfragengeprüftwurden. 221Auch1887wurden neben78evangelischlutherischenZöglingendreiKinderkatholischerKon fessionunddreiKinder jüdischenGlaubens anderTaubstummenschule unterrichtet.DieKinderwurdenjeweilszuOsterneinesJahresindieun tersteKlassederSchuleaufgenommen.Die84SchülernundSchülerinnen waren  aufgeteilt  in  sieben  aufsteigende  Klassen  und  eine  Parallelklasse. VondenKinderngalten63alsInterne,warenalsoInternatszöglinge,und 21alsExterne,siebekameninderAnstaltVerpflegung,schliefenabernicht dort.  Ein  „Bildungskurs“  von  der  Einschulung  bis  zur  Schulentlassung dauerteachtJahre.DieElternderSchülerinnenundSchülerbezahltenpro Jahr240bis280MarkKostgeldundjenachVermögenslagederEltern20bis 200MarkSchulgeld.222AufderEinnahmenseitederAnstaltstanddaneben dieSummevon12.050MarkdurchLegate.

Abbildung 12: Schulklasse, um 1900

221

ElfterBerichtderTaubstummenSchule,1853,S.28.

222

Söder,Blinden,IdiotenundTaubstummenbildungswesen,S.240f.

90

Die staatliche Taubstummenschule

Eine  weitere  finanzielle  Entlastung  entstand  durch  die  Übernahme  der LehrergehälterdurchdenStaat.DieBesoldungbetrugindiesemJahr1887 fürdenDirektor4.000MarkbeifreierWohnung,fürfestangestellteLehrer 1.750Mark,steigendnachjedreiJahrenum250bisauf3.500Mark.Dies entsprachderBesoldungvonVolksschullehrernundsorgteimKollegium durchausfürUnverständnis,daTaubstummenlehrkräftealsspezialisierte LehrereinehöhereBesoldungfürangemessenhielten.NebenDirektorSö derunterrichtetenzudieserZeitsiebenLehrkräfteanderSchule.AlsHilfs kräfte  beschäftigte  die  Anstalt  einen  Anstaltsboten,  zwei  Köche,  drei Dienstmädchen,  einen  Anstaltsarzt  und  einen  Anstaltsgeistlichen.223 Die HamburgerTaubstummenanstaltwarzueinergewichtigenInstitutionge worden.1889gabeszweiöffentlichePrüfungen,dievonjeweils300inter essierten  Hamburgern  besucht  wurden.  Die  Hamburger  bewiesen  über hauptgroßesInteresse,unddieAnstaltgewannvieleFörderer,sodassin diesemJahrwiederstolzvonfinanziellenwieinhaltlichenErträgenberich tetwerdenkonnte.224DieHamburgerTaubstummenanstaltgehörtezuden bekannterenGehörlosenschulenDeutschlandsunddas,obwohlDeutsch landmit1887bereits97TaubstummenanstaltendasLandmitdenmeisten SchulenfürGehörlosewar.225 1890wurdendieStatutenderAnstaltrevidiert,davorallemdasVer hältniszwischenSchuleundAnstaltgeregeltwerdenmusste.DerVorstand solltekünftigdieSchulkommissionwählen.ZweiseinerMitgliedersollte diespezielleAufsichtüberdieAnstaltsschuleübertragenwerden.Nachei nerVereinbarung,welchebeiderÜbergabederSchuleandenStaatgetrof fenwordenwar,hatteninderSchulkommissionaußerdemnochSitzund StimmedasvonderOberschulbehördedesignierteMitgliedsowiederAn staltsdirektor.DieSchulkommissiongabderOberschulbehördeAuskünfte überLehrer,ihreAnstellungundEntlassungundüberwachtedenUnter richt.Eswurdebestätigt,dassderLeiterderAnstaltzugleichersterLehrer derSchulewar.DerDirektorsolltekünftigdurchdenVorstandgewählt undvonderOberschulbehördebestätigtwerden.226 223

Ebd.,S.240f.

224

HamburgerCorrespondentNr.244,Abendausgabevom27.5.1927,Artikel„100JahreTaub stummenanstaltHamburg“.

225

ZumVergleich:InganzEuropagabes348Anstalten(Söder,Blinden,IdiotenundTaub stummenbildungswesen,S.291). 226

StAHbg,3612VOberschulbehördeV,497a.

In der Kaiserzeit (1882–1918)

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4. 1. 3 Kö r p er l i ch e n S c hwä ch e n beg eg ne n HamburgmitseinerzumTeilveraltetenTrinkwasserversorgungundAb wasserentsorgungwurde1892letztesgroßesOpferderCholera.Wegender großenCholeraEpidemieimSpätsommer1892–über16.000Hamburge rinnen  und  Hamburger  erkrankten  in  wenigen  Wochen  und  über  8.000 MenschenstarbenanderKrankheit–wurdedieSchulefürsechsWochen geschlossen.227DieSchulemussteunterdenSchülernundLehrkräftenkei neOpferbeklagen,trotzdemwurdeseitdemverstärktaufdieärztlicheVer sorgungderKindergeachtet.2281898wurdeDr.FriedrichPluderAnstalts arztfürohrenkrankeKinder.ErführteeinekräftigereErnährungderKinder einundlegteWertaufSport.AufseineAnregunghinwurdenInstrumente für  Hörprüfungen  angeschafft.  In  den  1890er  Jahren  wurden  besonders schwächlicheKinderineineFerienkoloniebeiOldesloegeschickt,wosie ihreSommerferienverbrachtenundguterholtundkräftigerindieAnstalt zurückkehrten.WährendderZeitinOldesloewohntendieKinderimHaus ihresbetreuendenLehrers.ManchmalerreichtederVorstandderAnstalt es,dasseinigederkörperlichschwächerenKinder,diehäufigaufGrund vonKrankheitenertaubtwaren,ihreFerienanderNordseeaufSyltver bringenkonnten.229 AuchderTurnunterrichtsolltedieKinderkörperlich kräftigen.Siewurdendazuangehalten,täglichinsFreiezugehenundsich dortzubewegen.EsgabesimSommertäglichangeleiteteSpieleimFreien undimWinterliefendieKinderSchlittschuh.BesondersschwacheKinder wurdenauchnochAnfangdes20.JahrhundertsinFerienkolonien–entwe derderStadtkolonieWaltershofoderderFerienkolonieStelle–unterge bracht.230 UnterschiedlichbegabteKinder,taubgeborene,nachdemSpracherwerb ertaubteKinder,KindermitHörrestenwurdengleichzeitiginderSchule unterrichtet. Es wurdenHörübungeneingeführt,um künftig vollständig taubeSchülerinnenundSchülervonKindernmitHörrestentrennenund 227

ZurCholerasieheRichardJ.Evans,TodinHamburg.Stadt,GesellschaftundPolitikinden CholeraJahren1830–1910,ReinbekbeiHamburg1991.

228

UnterdenHamburgerGehörlosenfordertedieCholeraallerdingsmindestenszwölfOpfer (Hannen,  Gehörlosenbewegung,  S.  7;  StA Hbg,  3313  Politische  Polizei,  Sa  80,  Hamburger FremdenblattNr.143vom21.6.1892).

229

Soz.B.1901(BerichtderTaubstummenanstalt1901/02,S.3).

230

HamburgischerCorrespondentNr.524,Morgenausgabevom15.10.1909.

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Die staatliche Taubstummenschule

letzteresprachlichmehrfördernzukönnen.AuchimInternatwurdenKin der  in  verschiedene  Gruppen  eingeteilt.  Dabei  war  nicht  nur  die  unter schiedlicheHörfähigkeiteinAuswahlkriterium.1899wurdefestgelegt,da dieZahlderbettnässendenZöglingesichvermehrthatte,dassdiesege trenntvondenanderenKindernschlafensollten.231 InderNachbarschaft wurdenzudemSchlafstellenangemietet,diefürmittelloseKinder,deren AusbildungskostenvonderöffentlichenArmenpflegebestrittenwurden, bestimmtwaren.DieLogisElternbekamen1,50MarkinderWochepro Kind.DieAnstaltlieferteBettstelle,BettzeugundUnterwäschesowieKamm und  Zahnbürste. Als  Gegenleistung  sollten  die  LogisEltern  die  Zöglinge „mitLiebeundNachsichtbehandeln“,insbesonderedieKinderanundaus kleidenundsieindieSchulebegleiten.TrotzdemwarkeineIntegrationin diePflegefamilievorgesehen:EigeneKindersolltennichtimZimmerder gehörlosen  Kostkinder  untergebracht  werden.  Die  Pflegekinder  sollten „sittlicherzogen“,essollteaufReinlichkeit,Ordnungund„gesittetesBetra gen“geachtetwerden;sollteeineBestrafung„notwendigwerden“,somuss tediesderAnstaltgemeldetwerden,niesollteselbstgestraftwerden.232Da– lautDirektorSöder–zehnProzentderKinderBettnässerwaren,schluger, als1901einefortlaufendeTaubstummenstatistikgeplantwurde,vor,dieses mitindieListederanzugebenden„Gebrechen“Gehörloseraufzunehmen. Außerdem  wollte  er  eine  Rubrik  „Gangart“  eingerichtet  wissen,  da  er meinte  festgestellt  zu  haben,  dass  die  „schlechte  Gangart  (stampfend, schleppend)vielmehrzumGrundzugallervölligErtaubten“gehöreundso zumHerausfindenvollständiggehörloserKinderdienenkönne.233 4. 1. 4 Vo rb ereitu ng auf d ie Berufs tät ig keit TaubstummenanstaltenwarenInternate.DiemeisteZeitdesTageswaren dieKindermitSchuleundSchulaufgabenbeschäftigt.Wieabersollteeine sinnvolleBeschäftigungnebenderSchuleaussehen?DieMädchenhatten ihr  traditionelles Arbeitsgebiet  im Haus,  für  die  Jungen  wurde  eine  Be 231

StAHbg,35110ISozialbehördeI,AK61.11,SöderanArmenanstalt6.11.1899.

232

 Ebd.,BestimmungenderTaubstummenanstaltfürdieUnterbringungbettnässenderZög linge,o.D.

233 StAHbg,3523Medizinalkollegium,IIN11,DirektorHeinrichSöderundVorstandDr.Gu stavMarranSchulratMahraun10.9.1901.

In der Kaiserzeit (1882–1918)

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schäftigungeingeführt,diesichenganhäuslicheGegebenheitenanschlie ßenundtraditionellemRollenverhaltenRechnungtragensollte:DieMäd chenalsNachahmerinderMutterimHaushalt,dieJungenalsNachahmer desVatersbeiWerkundReparaturarbeiten.234DieKinder,diedenganzen TagnurmitdemKopfarbeiteten,solltenauchhandwerklicheTätigkeiter fahren.GeradebeigehörlosenJungenwarGeschicklichkeitgefragt,gingen dochdiemeistenvonihnennachderSchulentlassungineinenhandwerkli chenBeruf.ErnstDanckert (1855–1934),jungerLehreranderTaubstum menanstalt,propagiertedasNebeneinandervongeistigerundkörperlicher ArbeitundEntspannung.ZuAusbildungszweckenschickteHamburgzwei LehrernachLeipzig,umdendortigenHandfertigkeitsunterrichtzubeob achten.NachdemimOktober1885inHamburgKurseundWerkstattnach LeipzigerVorbildeingerichtetwordenwaren,begannauchinHamburgim Januar1886derHandfertigkeitsunterricht.Dieserwarvorallemfürden Wintergedacht,dennimSommergabeslandwirtschaftlicheAufgabenfür dieSchüler,dazuverfügtedieAnstaltübereingroßesGrundstückmitGe müseacker.AlsArbeitsvorlagenwurdenzunächstVorlagenderLeipziger Schülerwerkstatt  benutzt.  Es  wurden  Pappkästchen  und  Futterale  ange fertigt.SpäterkamendannMotiveausdemHamburgischenMuseumfür KunstundGewerbedazu.DieKindergestaltetennachOriginalVorlagen aus  Holz  und  Pappe  eigene Arbeiten.  Schlecht  angefertigte  Werkstücke wurdenvernichtet.SowolltedieSchuledieJungenzusauberemundakku ratemArbeitenbringen,ihren„Schönheitssinnstärken“undihnen–durch die  Anschaulichkeit,  dass  Mühe  und  Sorgfalt  ansprechende  Ergebnisse bringen–„AchtungvorderArbeit“beibringen.DerHandfertigkeitsunter richtdientealsErziehungsfaktorundsolltezugleichdiemanuellenFähig keitenerweitern.1897gabenaußerdemeinBildhauerimModellierenund einSchneiderimAusbessernderKleiderUnterricht. 235 DerArbeitsunter richtwurdezunehmendberufsorientierter.AuchdieMädchenlerntendie verschiedenenHaushaltstätigkeitendurchdieFraudesDirektorsundeine Gehilfinkennen.1892wurdefürdieMädchenversuchsweiseUnterrichtim 234

 Die  Informationen  zum  Handfertigkeitsunterricht  aus:  Ernst  Danckert,  Der  Handfertig keitsunterrichtbeiTaubstummen,in:Söder,Blinden,IdiotenundTaubstummenbildungswe sen,S.359–361.

235

Seit1887wurdeninderprivatenZuschneiderLehranstaltMüller&Sohn,diebiszurAus bombungdesGebäudesinderSchadowstraßeuntergebrachtwar,Schneiderdurchgehörlose Fachlehrkräfteausgebildet(StAHbg,3612VIOSBVI,Abl.2007/2,63).

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Die staatliche Taubstummenschule

Stopfen,FlickenundWäschelegeneingeführt,umihnensoPraxisfürihr spätermöglichesBerufsundHausarbeitsfeldzugeben. DaskünstlerischeTalentderSchülerwurdeab1905nachder„Amerika nischenFormmethode“gelehrt:DerLehrerkneteteeinfacheFormenvorund dieSchülerzeichnetennachundphantasiertenausdeneinfachenkompli zierteFormen.DieSchülermachtenFarbtreffübungen,zeichnetenAquarelle undfertigtenZeichnungennachderNaturan.BeliebtwarenindieserZeit auchRohrarbeiten,währenddieMädchensichweiterhinmitdemtraditio nellenpraktischenHandarbeitsunterrichtbegnügenmussten.236 IneinemZeitungsberichtüberdieTaubstummenschulevom14.Dezem ber1909wurdeeineSchulstundeinderkleinsten,derachtenKlassege schildert:237 SiebenMädchenundsiebenJungensaßenimKreisumihren Lehrer,dieHändelagenwährenddesUnterrichtsgefaltetaufdenTischen, währendsiesichinderLautspracheübten.DieSchülerinnenundSchüler bekamenUnterrichtinArtikulationsowieLesenundSchreibeneinzelner Wörter.  In  der Abschlussklasse  der  Schule  wurde  Wert  gelegt  auf  Reli gions,GeschichtsundLautsprachkenntnisse.ZielderAusbildungderge hörlosenHamburgerKinderwar,sieindasArbeitslebenzuintegrieren.Als EndzielsahdieTaubstummenanstaltesan,dass„genügenmuß,wenndie Zöglinge diejenige religiössittliche, geistige und sprachliche Ausbildung erlangen,welchesiedereinsterwerbsfähigmacht“.238 AusdemJahresbe richt  der Anstalt  lässt  sich  in  Hinblick  auf  die  Zukunft  der  Schulent lasseneneingewisserErfolgablesen,wenndieArbeitsanstellungender Jugendlichen  aufgezählt  werden:  Ostern  1909  wurden  von  den  schul entlassenenJungendreiSchneider,zweiSchuhmacher,dreiTischlerund einerZigarrenarbeiter.AuchdieMädchengingenindas„kleineHand werk“:EineswurdeHutstaffiererin,dreiwurdenPlätterinnenunddrei Schneiderinnen. Wenn  die  Schülerinnen  und  Schüler  die  Schule  verlassen  hatten,  um einenBerufauszuüben,warendieLehrerauchweiteralsAnsprechpartner für  sie  da.  Jeden  Sonntag  wurden  interessierten  jungen  Gehörlosen  zur „sittlichenFestigung“Erbauungsstundenzur„geistigenWeiterbildung“in 236

 HamburgerFremdenblattNr.292vom14.12.1909,Artikel„InderHamburgerTaubstum menSchule“.

237

Ebd.

238

 Jahresbericht  der  TaubstummenSchule  1912,  nach:  Heinrichsdorff,  Hamburg  und  das HamburgerGebiet,S.59.

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derFortbildungsschuleangeboten.HiergabeseineGelegenheit,sichwie derzutreffenundKontakteaufrechtzuerhalten.AnzweiAbendeninder WochegabeszudemkostenfreienUnterrichtfürLehrlinge,die,wennsie dieseStundenbesuchten,auchdasFahrgelderstattetbekamen.Auchden schulentlassenenErwachsenenstanddieSchülerbibliothekderAnstaltwei terhinzurVerfügung,dieimJahr1909vonderOberschulbehördeum200 Bändeerweitertwordenwar.FürdieweiterefinanzielleFürsorgegabes zudieserZeitdreiUnterstützungskassen,dieschulentlasseneGehörlosein Anspruchnehmenkonnten:dasKauscheLegatsowieseit1901dieWachs muthStiftungunddieAllgemeineUnterstützungskasse.239Dieletztgenannte unterstützteschulentlasseneGehörlose,diesichinfolgevonArbeitslosigkeit oderKrankheitinsozialerNotbefanden;GelderderWachsmuthStiftung konntenbedürftigeweiblicheehemaligeZöglingederAnstaltinAnspruch nehmen.240 AllmählichsetztesichdieMeinungdurch,dassdasInternatslebendie SchülerdurchdieAbgeschlossenheitvonderalltäglichenWeltnichtgenug aufdas„wirklicheLeben“vorbereite.AuchwardasVerkehrsnetzbesser ausgebildet,sodassdieKinderausganzHamburgundderHamburger UmgebungleichterzuihrerSchulekommenkonnten,ohnediefamiliäre Bindungmissenzumüssen.Demzufolgeerhielten1910nurnoch34der 120SchülerinnenundSchülervolleVerpflegungundUnterkunftinderAn stalt.241WährenddieAnzahlderInternatszöglingegeringerwurde,wuchs die Anzahl  der  Tagesschüler  weiter  und  erreichte  im  Jahr  1911  mit  127 SchülerinnenundSchülernihrenhöchstenStand.242 Dasmusstesichauch aufdieKlassenanzahlauswirken:1913gabeszehnKlassenanderSchule– zuOsternkonntenwiedermitdemFernzielderTrennungderKlassenstu fennach(sprachlicher)BefähigungzweiEinschulungsklassenalsParallel klassen  eingerichtet  werden243 –  1914  waren  es  schon  zwölf  Klassen  bei dreizehnangestelltenLehrkräften.

239

HamburgerNachrichtenNr.405,2.Morgenausgabevom28.8.1909.

240

BerichtderTaubstummenAnstalt1901/02,S.4f.

241

Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.59.

242

1922warenunter95Schulkindernnur15Internatskinder(StAHbg,3518Stiftungsaufsicht, B893,Bl.282V4:BerichtderTaubstummenAnstaltfürHamburgunddasHamburgerGebiet 1919–1920). 243

StAHbg,3612VOSBV,499aBand1,Bl.110f:TaubstummenschuleanOSB5.6.1913.

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Die staatliche Taubstummenschule

4. 1. 5 Au f d er Suche nach einem neuen Direk t or und neu en Leh rk räften Die  Verringerung  der  Schüleranzahl  in  den  einzelnen  Schulklassen  war durchdasNutzenneuerRäumenachAufgabedertraditionellenDirektor wohnungimSchulgebäudemitdemWeggangDirektorSödersmöglichge worden:1914hatteSöderangekündigt,imLaufdesJahresseinAmtausAl tersgründenniederlegenzuwollen.HeinrichSöderhattefast37Jahrelang dieAnstaltgeleitet,hattesichfürdieEinrichtungvonKursenfürstotternde SchülerundfüreineTaubstummenfortbildungsschuleeingesetztundwar GründerundlangjährigerVorsitzenderdesnordwestdeutschenTaubstum menlehrerVereinsgewesen.244

Abbildung 13: Heinrich Söder

SeinePersönlichkeithattedasGesichtderHamburgerAnstaltüberJahr zehnte  geprägt.  Er  war  ein  starker  Befürworter  der  Lautsprachmethode. StetshielterdieKinderauch„beiTisch,beidenSpielenundbeiBesuchen 244

HamburgerFremdenblattNr.234vom6.10.1898,2.Beilage,BerichtüberdieVereinsgrün dung(StAHbg,3313PolitischePolizei,S424012).

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derFremden“zulautemartikuliertenSprechenan.245SeinbesonderesAu genmerkrichteteeraufdieAuslesevonKindernmitHörresten.Erverfolg tekonsequenteineÜbernahmeschwerhörigerKinderausdenVolksschu lenindieGehörlosenschule,damitsiedortdasAbsehenvomMundlernen könnten. Eswarnichteinfach,einenNachfolgerfürSöderzufinden–wichtiger schiendieAutoritäteineskünftigenDirektors.GeradeinletzterZeithatte esKritikanderFührungderHamburgerSchulegegeben.DieBewerber– auchderanderAnstalttätigeLehrerErnstDanckerthattesichumdieStel ledesDirektorsbeworben–erschienendemAnstaltsvorstandnichtgeeig net,weshalbeineErhöhungdesDirektorengehaltserbetenwurde,„umdie Stellebegehrenswerterzumachen“.246AuchseidiesePositionhöherzube soldenalseinVolksschuldirektor,wiebishergeschehen,eherseieineBesol dungwiebeidenDirektoreneinerFortbildungsschuleangemessen.247Als Söderzum1.Oktober1914seinAmtniedergelegthatte,warnochimmer keinneuerDirektorgefundenworden.DerdienstältesteLehrerderSchule, PaulFischer(1859–1917),dersichdieletzten30JahreumdiejüngstenKin deranderTaubstummenanstaltgekümmerthatte,solltenundieVertre tungdesDirektorsübernehmen.DocherlegteeinärztlichesAttestvor,so dassdernächstältesteLehrer,ErnstDanckert,vomVorstandalsVertreter vorgeschlagen248undvonderOberschulbehördebestätigtwurde.249 Dieses  Provisorium  wurde  zur  ständigen  Einrichtung,  da  wegen  des KriegeskeinLeitergefundenwurde.ZweiJahrespäterschlugderAnstalts 245

StAHbg,6221GustavMarr,1,RedevonDr.GustavMarranlässlichdes100jährigenJubilä ums,o.D.[1927].TrotzdemwarenGebärdennieganzausgeschlossen:DirektorSöderhielt „Erbauungsstunden  für  die  erwachsenen  Taubstummen,  in  denen  er  in  seiner  einfachen schlichtenRedeweise,begleitetvoneinerGebärdensprache[…]ihnendasEvangeliumausleg te“.SeineFrauMarieSöder,diealsTochterdesLeitersderHildesheimerTaubstummenanstalt seitKindheitanmitGehörlosenzusammenlebte,hatteeineandereEinstellung.Siegebärdete gernemitdenKindernunddolmetschtefürsie.Siegaltals„SeeledesHauses“undbildeteau ßerdemdiegehörlosenMädcheninHandarbeitenaus(ebd.). 246 StAHbg,3612VOSBV,499e,SchulratProf.Dr.AhlburganSenatorDr.EmilMaxGott holdAugustusMumssen,PräsesderIII.SektionderOSB20.8.1914;StAHbg,6221Gustav Marr,1,SitzungsprotokolldesVorstandesderTaubstummenanstaltvom19.6.1914. 247

StAHbg,3612VOSBV,499e,Bl.6:SitzungsprotokolldesVorstandesderTaubstummen anstalt19.6.1914.

248

StAHbg,3612VOSBV,499e,Dr.GustavMarranOSB21.9.1914.

249

Ebd.,OSBanAnstalt25.9.1914.

98

Die staatliche Taubstummenschule

vorstandderOberschulbehördevor,DanckertendgültigalsDirektoreinzu stellen.250 NochwolltedieBehördenichtzustimmen,dasiegeeigneteren BewerbernnachEndedesKriegesdieMöglichkeitzueinerBewerbungge benwollte.251 NebeneinemneuenSchuldirektorwurdenaußerdemzwei neueLehrkräftegesucht.AlswichtigfüreinepositiveAuswahlwurdeers tensderFleißunddiesittlicheFührung,zweitens derBefähigungsnach weis,alsodieAblegungderPrüfungfürTaubstummenlehrer,unddrittens dasLebensalter genannt.252 DazuderZeiteinigejüngere Lehrer an der Schulelehrten,wurdennunLehrermitmehrErfahrunggesucht.MitFranz BrixundFranzWenningwurdenzweigeeigneteLehrergefunden,diezu vor  an  der  Schwerhörigenschule  tätig  gewesen  waren.  Im Sommer  1917 fragtedannderAnstaltsvorstanderneutan,DanckertsStellungalsLeiter derSchulezuzustimmen,dadieserindenschwierigenZeitenwährenddes ErstenWeltkriegesdieinSchülerundLehrerzahlweiterwachsendeAn stalterfolgreichgeleitetundsichsomitbewährthabe.Vorallemwurdeher vorgehoben,dassernichtseinenMutverlorenhabe,obwohlerwährend derganzenZeitnichtoffiziellalsDirektorbestätigtwar. 253Nunstimmtedie OberschulbehördederWahlzu,wennDanckertauch„nichtderrichtige MannfürReformen“sei,sowiederVorsitzendederVorstandsderTaub stummenanstalt,Dr.GustavMarr(1857–1939),siegeforderthatte.254 DieExpansionderSchulewurdemitdemBeginndesErstenWeltkrieges gestoppt.DerKriegmitseinenFolgenhatteauchAuswirkungenaufdie Schule,zuerstfiel1916dassonststetsbegangeneStiftungsfestausundes musstenweitereSparmaßnahmeneingeführtwerden,anPapiermusstege spart,Metalleabgeliefertwerden.LehrkräftewurdenalsSoldateneingezo gen.AlsVertretungfürdenimKriegbefindlichenLehrerFranzWenning wurdeseineFraueingestellt,diedannauchblieb,alsihrMannzeitweise wiederzurückgekehrtwar,danochimmerqualifizierteLehrkräftefehlten: BereitsimMärz1915warenvondenelfangestelltenLehrernsechszum 250

Ebd.,Dr.MarranOSB30.3.1916.

251

Ebd.,ProtokollauszugderSektionVolksschulenderOSB25.5.1916.

252

StAHbg,3612VOSBV,499f,DirektorSöderanSchulratProf.Dr.Ahlburg.

253

Ebd.,Dr.MarranOSB12.7.1917.

254

 Ebd.,OSBanAnstalt27.9.1917.DerArztDr.GustavMarrwar32JahrelangimVorstand derTaubstummenanstalt(1889–1921)tätig,ab1921bisEndeder1950erJahrewarseinSohn, Rechtsanwalt  Dr.  Günther  Marr, Vorstandsmitglied,  während  der  Vater  Ehrenvorsitzender blieb.

In der Kaiserzeit (1882–1918)

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Kriegsdienst  eingezogen.  Ernst  Danckert  als  Leitungsvertretung  konnte wenigerZeitfürdenUnterrichtaufwenden.DiesenLehrermangelkonnten auchdiejeweilsvierLehrerinnenundHilfslehrerinnennichtausgleichen, dieindieserZeitandieSchulekamen.2551917standenvierLehrerander FrontundzweiweiterewurdenanandereStellenversetzt,imfolgenden JahreinLehrerzumPhonetischenLaboratoriumbeurlaubt,256sodassKlas senausLehrermangelzusammengelegtwerdenmussten.Erst1919gabes wiederelfKlassen–zwischendurchwareneszeitweisenurachtgewesen. DennochbliebdieLageangespannt.BisindieJahrenach1923herrschte bedingtdurchdieKriegssituationunddienachfolgendenReparationsleis tungenHolzundKohlemangel.257 4. 1. 6 Ins pekt io n en u nd K ri ti k DasJahr1900warvonöffentlicherAufmerksamkeitgegenüberderTaub stummenanstalt  geprägt:  Zuerst  besuchten  Bürgermeister  Dr.  Gerhard Hachmann(1838–1904)undSenatorConradHermannSchemmann(1842– 1910)mitdemArmenkollegiumdieTaubstummenanstalt.DieKinderhatten zu  diesem  Anlass  ihre  Handarbeiten  ausgestellt  und  die  Besucher  be obachtetendenUnterricht.Vom30.Septemberbis4.Oktobertagtedannin HamburgdievonauswärtigenLehrkräftengutbesuchte5.Bundesversamm lungdeutscherTaubstummenlehrer.DieseVersammlungfandalledreiJah re  in  wechselnden  Städten  statt.  Vorträge  erläuterten  die  Stellung  der SchriftspracheimTaubstummenunterricht,wobeiineinerDiskussiondie meistenLehrkräftefüreineBevorzugungdesSprechensvotierten.Neben denallgemeinenVorträgengabesauchNebenversammlungenderpreußi schenundderkatholischenTaubstummenlehrer.258 DerZusammenhaltderTaubstummenlehrkräftederverschiedenenAn staltenwargroß.DieBerufsvereinigungenwareninSektionenzumBeispiel 255

 StAHbg,3612VOSBV,499f,Bl.62:Notizvom13.3.1915undBl.63:Protokollausder OberschulbehördeSektionfürVolksschulwesen13.3.1915.

256

ÜberdasPhonetischeLaboratoriumunddenTaubstummenlehrerSchär,derandiesesIn stitutzeitweisebeurlaubtwurde,berichtetKapitel4.3. 257 258

Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.62.

ZurBundesversammlungsieheStAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.RfNr.29Vol.42.AmRan dedesFachprogrammsbesichtigtendieLehrkräftewahlweisedieHamburgerTaubstummen anstalt,denFriedhofOhlsdorfoderdieWerftvonBlohm+Voss.

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Die staatliche Taubstummenschule

für  katholische  oder  nordwestdeutsche  Taubstummenlehrer  unterteilt. DazugabesverschiedeneTreffenundKongresse.Esbestandeingroßes Austauschbedürfnis,umgemeinsameInteressenzufördernundumnach „HebungundStärkungdesEinzelnenzustreben“,wieesderHamburger LehrerHeinrichBergmann(1876–1945)ausdrückte.259 Dieser  nahm  noch  eine  weitere  Möglichkeit  des  Zusammenarbeitens undderFortbildungwahr:LehrerBergmannfuhrimJuni1906aufeineBil dungsreise,  die  ihn  zu  den  Taubstummenanstalten  Königsberg,  Danzig, MarienburgundSchneidemühl/Pommernführte.ImNachtragzuseinem 42seitigenBerichtüberdieseAnstaltengingerkritischmitdereigenen Schuleum.ErverglichsiemitdenbesuchtenSchulenundformulierteeini geVerbesserungsvorschläge:ZumBeispielwardieZahlderSchulversäum nisse von Lehrkräften und  Schülern in Hamburg sehr groß, so dassdie Schulentlassenen–spätestensmit16JahrenverließendieSchülerinnenund Schüler  die Anstalt  –  nicht  alle  Klassen  durchlaufen  und  somit die Ab schlussklassenichterreichthatten.EinGesetzzuzwangsweisemAnstaltsbe suchwäreseinerMeinungnachnotwendig,wieesanderedeutscheLänder bereits  formuliert  hatten.260 Zudem  waren  besonders  die  unteren Schul klasseninHamburgüberfüllt.MehralszehnKindersaßenindenKlas sen,sodasseineindividuelleFörderungsowieAusbauderSprechund AblesefähigkeitenEinzelnerkaummöglichwar.AnanderenSchulengab esbereitsaundbKlassen:Kinder,die„besserlernten“undsprachbe gabterwaren,wurdengesondertunterrichtetundgefördert.ImGegen zugwurdenallerdingssehrschwachbefähigteKinder–inderPraxiswa rendasmeistsolchegehörlosenKinder,diedieLautsprachenichtoder nichtschnellund ausreichend genugerlernten– als „bildungsunfähig“ entlassen. EinweitererKritikpunktbetrafdasInternat.Andenvonihmwährend seiner  Informationsreise  besuchten  Anstalten  hatte  Bergmann erfahren, dassdieKinderbesondere,wohnlicheingerichteteWohnundArbeitsräu mehatten.InHamburgmusstendieSchülerinnenundSchülerauchnach EndederUnterrichtszeitihreHausaufgabenmachenundihrefreieZeitim Klassenzimmerverbringen.WurdenindenbesuchtenAnstaltenextraAuf 259

 StAHbg,3612VOSBV,508bBand1,BerichtmitzusätzlichenAnlagenvonBergmann überdieReise.

260

SowieSachsenWeimar.ZurSchulpflichtdenExkursinKapitel4.3.

In der Kaiserzeit (1882–1918)

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seherinnenundAufseherfürdieNachmittagsstundeneingestellt,hattenin HamburgdieLehrkräfteabwechselndauchdienachmittäglicheAufsicht überdieInternatskinder.DerletzteKritikpunktgaltschließlichderBesol dung:  Sämtliche  anderen  Lehrkräfte  an  Taubstummenschulen  bekamen wegenihrerbesonderenfachlichenMehrausbildungundderaufwändige renArbeitsleistungeinbedeutendhöheresGehaltalsVolksschullehrer,nur in  Hamburg  war  das  Endgehalt  eines  Taubstummenlehrers  das  eines Volksschullehrers. DerBerichtdesLehrersbliebersteinmalunkommentiert,wennauchei nigeseinerKritikpunkte,wiedieBesoldungoderStellungderLehrkräfte, durchdenAnstaltsvorstandaufgenommenundmitderBitteumÄnderung andieBehördeweitergegebenwurde.WeitereReisenführtenHamburger Lehrer  1912  in  die  Taubstummenanstalten  in  Nürnberg,  Schwäbisch Gmünd  und  Straßburg,  1913  nach  Leipzig,  München,  Nürnberg,  Zürich undWürzburg.261 1912warenweitereKlageninbaulicherundhygienischerHinsichtbei derOberschulbehördelautgeworden.DaseinstfreiliegendeGrundstück laginzwischengenaunebeneinemBahndamm,aufdemdreiBahnlinien mitstündlich50bis60Zügenverkehrten.AufderanderenSeitedesGe bäudesgabesaufderBürgerweidelebhaftenStraßenverkehr,derenLärm undErschütterungen,soargumentiertendieLehrkräfte,beidergenauen WahrnehmungderSprachestörten.AußerdemwarendieUnterrichtsräume für  die  gewachsene Schülerschaft  zu klein  und  es  fehlten  Spiel  und  Be schäftigungsräume,  so  dass  sich  die  Kinder  auch  an  Nachmittagen  und Sonntagen  in  den  Klassenzimmern  beschäftigen  mussten.  Es  fehlte  an Schränken, die  Ofenheizung  rauchte  und  staubte,  die Schulbänke  waren nicht größenverstellbar und  die hygienischen Einrichtungen entsprachen nichtmehrderNorm.ZudemgabesfürPausenundNachmittagefürdie KinderaußerdererlaubtentäglichenStundeimDirektorgartenkeineeigene GrünflächeaufdemGelände.262 EswurdenaberauchmethodischeKlagen laut. DieöffentlichenPrüfungenstellteneine„eingedrillteSchaustellung“ 261 BerichtdesLehrersWilhelmHenzüberseineReiseimJuli1912in:StAHbg,3612VOSBV, 508bBand1;31seitigerBerichtvonderReiseDr.MarrsimHerbst1913,in:StAHbg,3523 Medizinalkollegium,IIN11,Bl.69. 262

StAHbg,3612VOSBV,499b,BerichtvonGeneralkonsulTheodorFriedrichKempffbe treffend  die  Taubstummenanstalt,  vorgetragen  in  der  Oberschulbehörde  Sektion  III  am 28.11.1912,Bl.3–19,hierBl.11–15.

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Die staatliche Taubstummenschule

in  Lautsprache  dar  und  entsprächen  nicht  dem  tatsächlichen  Leistungs standderSchülerinnenundSchüler.263 AußerdemwurdenGerüchtelaut, dassinderHamburgerSchuledieGebärdeingrößeremUmfangeange wandtwerdenwürdealsananderenAnstalten.DaauchdieälterenSchüler untereinander  gebärdeten,  schloss  der  Verfasser  dieser  Kritik  auf  einen MangelimUnterrichtsbetriebderHamburgerSchule.264 Dazugabeszu nehmend  Kritik  der  Lehrkräfte  an  der  Schulleitung.  Insgesamt  war  die Harmoniegestört.DaraufhinbesichtigteundinspiziertedieBehördedie Taubstummenschule.BeidieserGelegenheitsollteauchfestgestelltwerden, inwieweitdieneuerdingsvonderBehördeinsLebengerufenenSonder klassenfürschwerhörigeKinderschärfervonderSonderklassefürSchwer hörigeinderTaubstummenanstaltabgegrenztwerdenkönnten.265

Abbildung 14: Schulklasse mit ihren Lehrern Franz Brix und Dora Ahlers, verheiratete Mutz, 1913

263

Ebd.,S.16.

264

Ebd.,S.16.

265

Ebd.,Bl.20:ProtokollauszugOberschulbehördeSektionVolksschulwesenvom28.11.1912.

In der Kaiserzeit (1882–1918)

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Der Revisionsbericht sparte nicht an Kritik  und griff die Unterrichtsme thodeunddamitDirektorSöderdirektan,wassowohlSöderalsauchder AnstaltsvorstandalseineinkompetenteKränkungempfanden.266 Konkret wurdekritisiert,dasseszuvieleundzuunterschiedlichbegabteKinderin denjeweiligenKlassengab.IneinerSchulklassewarensiebenbissechzehn Kinder–zuviele,umintensivSpracheeinübenzukönnen.Außerdemsaßen injederKlassezwischengehörlosenKindernauchKindermitHörresten– diese  unterschiedlichen  Voraussetzungen  konnten  zu  keinem  gemeinsa menSprachaufbauführen.ImUnterrichtfehltenanschaulicheTafelnund Instrumente,zumTeilsaßderLehrermitdemRückenzumFenster,was das Absehen  fast unmöglich machte.  Der  aktuelle  Lehrplan  war  dreißig Jahrealt.UmgangssprachlicheAusdrückewurdenwieVokabelngelernt, nichterklärt,undmehrereLehrkräftewandtenfürdenGeschmackderRe visoren  zu  viele  Gebärden  an.267 Dazu  merkte  die  Schulkommission der Taubstummenanstaltan,dassdieOberschulbehördesichzuvorauchnicht umdieSchulegekümmerthabeunddiesesomitnichtdieKompetenzbe sitze,negativzuurteilen.SokönnedemLehrer–undnichtetwadenauf dasSehenangewiesenenSchulkindern–nichtzugemutetwerden,immer gegendasLichtzusehenundeswürdenichtdieGebärdensprache,sondern „AktionundMimik“imUnterrichtangewandt.268ImEndeffektließmandie moniertenVerhältnisseaufsichberuhen,esändertesichalsonichts.269 4. 1. 7 La ut sp rache und Gebä rd en 1891flackerteeinalterStreitauf:DieschulentlassenenGehörlosen,dieim BerufslebenstandenundFamiliengegründethatten,drängtendarauf,an derSchuledieGebärdensprachewiedereinzuführenunddenUnterrichtin Gebärdensprachezuführen.SpätestensseitdemMailänderKongress,auf demdieLautsprachevondenhörendenGehörlosenlehrernalsdiefavori 266

 Ebd.,  Bl.  56–62:  Sitzungsprotokoll  der  Schulkommission  der  Taubstummenanstalt  vom 22.2.1913.

267

Ebd.,Bl.42–49:BerichtübereineRevisionderSchulederTaubstummenanstaltinHamburg vonSchulinspektorHansFricke vom16.1.1913mitBemerkungenvonSchulratProf.Dr.Au gustAhlburgvom21.1.1913. 268

 Ebd.,  Bl.  56–62:  Sitzungsprotokoll  der  Schulkommission  der  Taubstummenanstalt  vom 22.2.1913.

269

Ebd.,Bl.87:ProtokollauszugOberschulbehördeSektionVolksschulwesenvom27.11.1913.

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sierteMethodefürTaubstummenanstaltengenanntwurde,wardieGebär deausdenSchulenmehrundmehrverschwunden.AuchinHamburgwar esinSchuleundInternatverbotenzugebärden,selbstdieAngehörigender KinderwurdeninderHausordnungderHamburgerTaubstummenanstalt von1879gebeten,„imVerkehrmitdenKindernsichderGeberdensprache möglichstzuenthaltenundsichnurderLautsprachezubedienen“. 270Auf einer  Versammlung  des  „Taubstummenvereins  von  Altona  und  Umge gend“am26.Oktober1891gabdergehörloseJohnErnestPacher–erhatte sicheineeigeneFirma,eineLithographischeFabrik,aufgebautundsichals wohlhabenderMannmitdemTitelKommissionsrat1882dasHamburger Bürgerrechterworben–bekannt,er„wünscheeineMassenpetitionzwecks WiedereinführungderGeberdenundZeichenspracheinallenTaubstum menanstalten Deutschlands,verbunden mit derLautsprache“.271 Tatsäch lichwurdeausgehendvonderHamburgerAnregungeineaufdemTaub stummenkongressinHannoverzuPfingsten1892beschlossene272 Petition andendeutschenKaisergerichtet.DieserichtetesichgegendieEntfernung derGebärdenspracheausdemUnterrichtderGehörlosenundgegendie Anwendung  „scharfer  Disziplinarmittel“  zum  Erlernen  der  Lautsprache. DiePetitionwarvonmehrals800GehörlosenausfastallendeutschenLän dern–alleinfast100ausHamburgundAltona–unterschriebenworden.273 Der  Streit  um  die Anwendung  der  Gebärdensprache  erfasste  das  ganze Land.EsgabTaubstummenlehrkräftewieGehörlose,diesichseit1889zu nehmendgegendenalleinigenGebrauchderLautsprachebeimUnterricht GehörlosergewandtunddamitgegendenTrendgeäußerthatten.FürAuf regunginderLehrerschafthattezusätzlichderBreslauerTaubstummen lehrer  Johann  Heidsiek (1855–1942)  gesorgt,  der  sich  in  einer  Broschüre „EinNothschreiderTaubstummen“fürdieseundihreeigeneSpracheein setzte.274HeidsiekwarderprominenteGegnerdespurenOralismus.275Da 270

StAHbg,3612VOSBV,499aBand1,Bl.73–79:Hausordnungvom30.3.1879.

271

 StA Hbg,  3313  Politische  Polizei,  Sa  80,  Hamburgischer  Correspondent  Nr.  755  vom 27.10.1891.

272

Ebd.,HamburgischerCorrespondentNr.429vom20.6.1892.

273

Ebd.,HamburgerFremdenblattBeiblattVIderNr.7vom9.1.1892.

274

Ebd.,HamburgerFremdenblattNr.286vom7.12.1892.

275

 ZuHeidsieksieheRehling,HörgeschädigteLehrer,S.50–55;JochenMuhs,JohannHeid siek.EinerderletztengroßenVorkämpferfürgebärdensprachlicheErziehungGehörloseran Taubstummenanstalten(1855–1942).VortragausdenKulturtagenderGehörloseninDresden

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er  die  aus  seiner  Sicht  grausamen  Vorgehensweisen  der  Taubstummen lehrerbeimLehrenderLautspracheangeprangerthatte,wurdeHeidsiekin einen  Prozess  wegen  Beleidigung  verwickelt.276 Hamburger  Gehörlose sandtenHeidsiekdaraufhinGeldalsUnterstützung.277 DochwederHin weiseaufdieUndurchführbarkeiteinerreinoralenMethodenochdieAn regungzurRückkehrzueinerkombiniertenMethodehatteErfolg.DieUm kehrzurGebärdensprachekonntenichtdurchgesetztwerden.DerKaiser antwortete  durch  seinen  Unterrichtsminister  am  17.  September  1892  ne gativ,dass„keineVeranlassung[...][zu]einerÄnderung“bestehe.278Auch dieHamburgerSchulelehntedieseVorschlägeabundhieltanderLaut sprachenlehrefest.DieSchuleführtestattdessenmoderneakustischeMe thodenein,wieneueHörrohre,HörschläucheundandereHörapparate. DerMethodenstreitsetztesichJahrumJahrfort:1901beriefsichder Vorstand  darauf,  dass  die  Angehörigen  der  gehörlosen  Kinder  auf  der Lautsprachebestünden.DaherorientiertesichdasLehrverfahrenweiterhin anderHeinicke’schenLautsprachmethode,der„DeutschenMethode“,ob wohlsichauch1910wiederStimmenstarkmachten,diedenaltenStreit zwischenihrundder„französischen“Methodeanfachten.Diesmalwurde dieZeichenspracheunddasFingeralphabetvonOhrenärztenprotegiert.279 Die  Schule  hielt  dagegen,  dass  die Angehörigen  der  gehörlosen  Schüler selbsteine mangelhafte Lautsprache der Zeichensprache vorziehen  wür den.Außerdemwürdedie„Zeichensprache“,dieuneinheitlichwarundin jederRegion,jajedemGehörlosenKreiszueigenenGebärdenschöpfungen geführthabe,zuvielenMissverständnissenführen.DieLautsprachewürde viel  schneller  zum Kommunikationsziel  leiten.280 Ein  weiteres Argument 1998(DeafHistoryHeft1),Berlin1998;ders.,JohannHeidsiek(1855–1942)–Wegbereiterdes Bilingualismus,in:DasZeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheundKommunika tionGehörloser13(1999),S.11–17. 276

 StAHbg,3313PolitischePolizei,Sa80,HamburgerFremdenblattNr.286vom7.12.1892, BerlinerVolkszeitungNr.238vom11.10.1892.

277

Ebd.,HamburgerFremdenblattNr.286vom7.12.1892.

278

Ebd.,BerlinerVolkszeitungNr.238vom11.10.1892.

279

Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.58.

280

Diesändertesicherst60Jahrespäter,alseinArbeitskreisunterLeitungderTaubstummenlehrer HellmuthStarckeundGünterMaischdas„HandbuchderGebärden“(daserstesogenannte„blaue Buch“)mit5000Begriffszeichenauf480Seitenherausgaben,welcheszurVereinheitlichungder bislangregionalstarkabweichendenGebärdenzeichenfürNorddeutschlandbeitrug(in:Informa tionderGesellschaftzurFörderungderGehörloseninGroßHamburge.V.,Hamburg1980,S.21).

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der Anstaltsleitung  war,  dass  selbst  die  Gehörlosen  untereinander  laut sprachlicheUnterhaltungenführten,auchwenndiestonlosundinVerbin dungmitderZeichensprachegeschehe.281 ImmerhingabdieSchulleitung zu,dasseineLautsprachezumbesserenVerständnisdurch„Mimikund Aktion“unterstütztwerdensolle.282DassauchKindermitHörrestenindie Taubstummenschulegingen,wurde1910alsweiteresArgumentgenannt, stetsdieLautsprachevorzuziehen,dasiedieseleichterlernten.

Abbildung 15: Gebärde für Verein

ZurbesserenFörderungvonKindernmitHörrestenwurdeninHamburg 1911zweiKlassennurfürschwerhörigeKindereingerichtet.Schon1836 hatteesanderTaubstummenanstaltsovieleschwerhörigeKindergegeben, dasssieineinereigenenKlasse,getrenntvondengehörlosenKindern,un 281

 Tatsächlichist die Gebärdensprache  keine „reine  Sprache der Hände“, da  auch Mimik, Mundbild,dieLagederGebärdeimRaumundweitereStilmittelzurSprachegehören.

282

HamburgerNachrichtenNr.494,Abendausgabevom21.10.1910.

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terrichtetwerdenkonnten.283EinJahrspäterwarenvonsiebendortunter richteten  schwerhörigen  Kindern  drei  soweit  gefördert  worden,  dass  sie nachkurzerZeitaufeineallgemeinbildendeSchulewechselnkonnten.Mit der  Gründung  der  Schwerhörigenschule  1913  nahm  die  Taubstummen schuledievonGeburtangehörlosenodervordemSpracherwerbertaubten Kinderauf,dienichtüberakustischeSignalelernenkonnten.Kinder,die nachdemSpracherwerbertaubtwarenoderHörrestehatten,wurdenindie Schwerhörigenschuleeingeschult.LehrerindenerstenSchwerhörigenklas senwurdennebenWilhelmFehling(1882–1961)dieauchanderHambur gerGehörlosenschulebereitslehrendenTaubstummenlehrerJürgenRahn und  Louis  Satow (1880–1968).284 Mit  der  Einrichtung  von  „Schulen  für Sprachkranke“konnteschließlichjedesHamburgerKindseinerSprachbe hinderunggerechtunterrichtetundgefördertwerden. DasLernen des  Lippenlesens sowie das Sprechen blieb an der Taub stummenschuleoberstesGebot.InihremJahresberichtüberdasSchuljahr 1911/12  wurde  erneut  betont,  dass  die  „Zeichensprache“  im  Unterricht nichtgebrauchtwürde.Dochkonntesie,dadieGebärdenspracheimUm gangderGehörlosenuntereinandernatürlichesAusdrucksmittelwar,nicht wievoneinigenSeitengewünscht„ausgerottet“werden:1912äußertesich DirektorSödergegenAngriffedesLehrersLouisSatow,inderSchulebe nütztenalleKinderdieZeichensprache,sodassdieauchanderSchuleler nendenschwerhörigenundspätertaubtenKinder„vertaubstummen“wür den,dassdieTaubstummendiesüberalluntersichtunwürdenundselbst schwere  Strafen,  wie  das  Umhüllen  bzw.  Zusammenbinden  der  Hände, nichtsnützenwürde.285DirektorSöderargumentierte,dassvieledergehör losen Kinderzu Hause mitihrengehörlosen  erwachsenen Geschwistern 283

 LautHeinrichWitthöftgabesdenSonderunterrichtfürSchwerhörigeanderHamburger TaubstummenanstaltdurchJ.H.C.Behrmannvon1835bis1841(StAHbg,3612VIOSBVI, 404,Witthöft,DerTaubstummenlehreralsSchwerhörigenlehrer,o.D.[ca.1958].

284

AuchandereLehrkräfte,dieanderTaubstummenschuletätigwaren,lehrtenzusätzlichan derSchwerhörigenschule:DorotheaElkan,PaulJankowskiundWilhelmBehrens. 285

SokönnedieSchulenichtsdagegentun,außerdieSchülernichtzubeachten,solangesie mitderGebärdekommunizierenwürden.LouisSatow,HamburgsSchulenfürGehörleiden de,in:PädagogischeReformNr.39vom25.9.1912und1.BeilagezurNr.40derPädagogi schenReformvom2.10.1912,in:StAHbg,6221GustavMarr,1;AntwortvonGustavMarrin der2.BeilagezurNr.43derPädagogischenReformvom23.10.1912undHeinrichSöderinder 1.BeilagezurNr.44derPädagogischenReformvom30.10.1912,in:StAHbg,35110ISozial behördeI,AK61.11.

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oderElternaufdieseWeisekommunizierten,sodass„dieZeichensprache beiunserenSchülerngänzlichauszurotten[...]schondeshalbdurchausun möglich“sei.UndalsesAngriffegegendieSchulegab,diesewürdedie Gebärdezusehrakzeptieren,wehrtesichdieSchulesogleich.Mimikund GestikbeidenLehrernzukritisieren,wieesdieKommissionzurRevision derTaubstummenschulegetanhatte,seinichtangemessen,dadiesealsEr satzzurModulationundBetonungderSprachedienten.DasAusschließen derGebärden,sobemerkteSöderschließlichsogarrichtigweiter,seiauch keinursprünglichesKriteriumderdeutschenMethodik.286 Dennochwar dieGebärdensprachezudieserZeitandenDeutschenTaubstummenan staltenalsUnterrichtsmittelundsprachedeutlichunerwünscht.

4. 2 In de r Weimare r Republik (1919–19 33) 4. 2. 1 S chuls elbs tver waltung 1921  wurde  in  Hamburgs  Schulen  die  Selbstverwaltung  auf  Grund  des „GesetzesüberdieSelbstverwaltungderSchulen“vom12.April1920ein geführt:HamburghatteinderMitbestimmungvonLehrernundElternan denSchulenunterdeutschenStädteneinenbesonderenStand.Schondurch das  „Gesetz  betreffend  das  Unterrichtswesen“  vom  11.  November  1870, durchdasdasöffentlicheSchulweseninHamburggeschaffenwurde,wur denichtnurdieSchulpflichtgesetzlichverankert,sondernhattendiefest angestelltenLehrerdurchdieSchulsynodeaucheingewissesMitsprache rechterhalten.287 NachdemEndedesErstenWeltkriegesgründetesichnachKielerVor bildam6.November1918einArbeiterundSoldatenrat,derdieRegierung Hamburgsübernahm.DieLehrerschaft,insbesonderedieGesellschaftder FreundedesvaterländischenSchulundErziehungswesens,diegrößteHam

286

StAHbg,3612VOSBV,499b,Bl.63–72:DirektorSöderanSchulratProf.Dr.Ahlburgvom 15.3.1913,hierinsbesondereBl.66.

287  ZurSelbstverwaltungderSchulensieheHansPeterdeLorent,SchuleohneVorgesetzte. ZurGeschichtederSelbstverwaltungderHamburgerSchulenvon1870bis1986,Hamburg 1992;UweSchmidt,AktivfürdasGymnasium.HamburgsGymnasienunddieBerufsvertre tungihrerLehrerinnenundLehrervon1870bisheute,Hamburg1999.

In der Weimarer Republik (1919–1933)

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burgerLehrervereinigung,wählteeinenLehrerratundstelltevierHaupt forderungenfüreineSchulreformauf:DieSchaffungeinesReichsschulge setzes,dieEinführungderEinheitsschule,dieSelbstverwaltungderSchulen unter  Beteiligung  der  Eltern  sowie  Glaubens  und  Gewissensfreiheit  für Lehrer  und  Schüler.288 Auf  der  Grundlage  dieser  Forderungen  wurden zahlreicheVeränderungeneingeleitet–unteranderemwurdederbisdahin obligatorischeReligionsunterricht(vorerst)abgeschafft.DieTeilnahmewar nunfreiwillig.289Am28.April1919tratdas„GesetzbetreffenddieWahlder Schulleiter“inKraft.DieSchulleitungwurdebiszum2.Mai,alsoinnerhalb dernächstenTage,vomLehrerkollegiumgewählt,dieAmtsperiodesollte zunächstinterimistischbis1920dauern.DieStellungdesSchulleiterswar nichtmehrdieeinesdienstlichenVorgesetzten,sondernnurnochdieeines „primusinterpares“,einesVorsitzendenderSchule. DasprovisorischeGesetzvon1919wurdeam12.April1920durchdas „GesetzüberdieSelbstverwaltungderSchulen“abgelöst,dasam1.Mai 1920Krafttrat.290Eslegtefest,dassjederausdemKollegiumgewähltefest angestellteLehrerbzw.jedeLehrerinzumSchulleiterbzw.zurSchulleiterin gewähltwerdenkonnte,umdannaufdreiJahrediesesEhrenamtauszu führenundsichdanachwiederals„einfacherLehrer“indasKollegium einzureihen.DasbisherigeAmtdesRektorswurdeabgeschafft,undauch dieDirektorenhöhererSchulenwurdenzuSchulleitern.DerElternrat,der ausneunVertreternderElternschaftunddreiMitgliederndesKollegiums– darunterdieSchulleitung–bestand,berietüberalleFragendesSchullebens undsorgtefürdieAusführungderBeschlüsse.ElternratundLehrerkolle gium, dasauchMitspracherechtbeiden Lehrerstellenbesetzungenerhielt, verwaltetengemeinsamdieSchule.291ErstdieNationalsozialistenersetzten 1933dieSelbstverwaltungdurchdas„Führerprinzip“undbeschnittenwieder die Aufgaben der  schulischen Gremien,  die,  sofern sie  nicht  ganz  abge 288

DeLorent,SchuleohneVorgesetzte,S.71;ausführlicherSchmidt,Gymnasium,S.111–132, insbesondereS.111–117.

289

AnderGehörlosenschulewurdeerfürdie,dieihnwünschten,alsPrivatunterrichtweiterer teilt.  Zum  Religionsunterricht  siehe  Rainer  Hering,  Vom  Seminar  zur  Universität:  die Reli gionslehrerausbildunginHamburgzwischenKaiserreichundBundesrepublik,Hamburg1997.

290 291

AmtsblattNr.79vom13.4.1920,S.517.

DeLorent,SchuleohneVorgesetzte,S.88undS.130.DieUnzufriedenheitderSchulleiter mitihrerSituation,dieeinebeständigeundeffektiveArbeitandenselbstverwaltetenSchulen inihrenAugennichtmöglichmachte,beschreibtSchmidt,Gymnasium,u.a.S.185f.

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schafftwurden,nurnoch„beratendeFunktion“fürdievonderLandesun terrichtsbehörde  bestellten  Schulleiter  hatten.292 Nach  1945  wurde  ange sichtsverändertergesellschaftspolitischerVerhältnissedieSelbstverwaltung nichtwiederinderForm,diesieinderWeimarerRepublikinnehatte,auf gegriffen.DasSchulverwaltungsgesetzvon1956legalisiertedieseit1945 geübtePraxisderErnennungdesSchulleitersdurchdieSchulbehördeun terMitwirkungderLehrerkonferenz.Von1973bis1986wurdeaufGrund desSchulverfassungsgesetzesderSchulleiterdurchdieausLehrkräften,El ternundSchülerndrittelparitätischzusammengesetzteSchulkonferenzge wählt,seitdemgiltaufneuergesetzlicherGrundlagewiederdieRegelung von1956.293 DasSelbstverwaltungsgesetzvon1920saheinezuerarbeitendeSonder form  der  Selbstverwaltung  für  die  Sonderschulen  vor,  die  dann  für  die SchulederTaubstummenanstalteinJahrspäternacheinigenSchwierigkei tenvorgelegtwerdenkonnte.Schwierigkeitengabes,weilzuvordieZukunft derSchulegeklärtwerdenmusste.EslagenzweiweitergehendeAnträgeder Taubstummenanstaltvor:ZumeinenwurdedievölligeÜbernahmedurch denStaat,zumanderendieZusammenlegungmitderSchwerhörigenschu lederOberschulbehördezurPrüfungvorgelegt.294 Schließlichkonntesich aufeineSonderformderSelbstverwaltungfürdieGehörlosenschulegeei nigt  werden.  Ein  wichtiger  Unterschied  zur  Selbstverwaltung  anderer SchulenwardieWahleinesSchulleitersnacheinereinjährigenProbezeit alsDirektoraufLebenszeit.295 DieAufgabendesElternratesderGehörlosenschulerichtetensichinZu sammenarbeitmitderSchulleitungvorallemaufdieLösungvonRaum 292

DeLorent,SchuleohneVorgesetzte,S.147;Schmidt,Gymnasium,S.350–356.

293

DeLorentvertritteineuneingeschränktpositiveSichtaufdieSelbstverwaltung(HansPeter deLorent,ZurGeschichtederSelbstverwaltunginHamburgerSchulen,in:ders./Ullrich,Vol ker[Hg.],DerTraumvonderfreienSchule.SchuleundSchulpolitikinderWeimarerRepu blik [Hamburger  Schriftenreihe  zur  Schul  und  Unterrichtsgeschichte  Band  1],  Hamburg 1988, S.  97–117,  hier  vor  allem  S.  116  und  ders.,  Schule  ohne  Vorgesetzte),  mit  der  sich Schmidt,Gymnasium,u.a.S.516–528kritischauseinandersetzt. 294

 3612VOSBV,499d,Bl.37:ProtokollauszugzweiteSektionderOberschulbehördevom 30.4.1921.

295

StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Mappe35„Schulpolitisches“(Ab lieferungsverzeichnis),  Fachgruppe  Sonderschulen  Arbeitskreis  der  Lehrer  an  Gehörlosen Schwerhörigen,Sprachheil,BlindenundSehschwachenschulenanGewerkschaftfürErzie hungundWissenschaft13.2.1956.

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problemenunddieLehrerversorgung.296 DasSchulverfassungsgesetzvom 12.April1973führtedannauchfürdieGehörlosenschulealsNeuerungdie Schulkonferenzein,inderalleanderSchulevertretenenGruppen–Eltern, Lehrkräfte,SchülerinnenundSchüler–vertretenwarenunddieProbleme derSchulediskutierten.ThemadererstenSitzungdergemeinsamenKon ferenzderGehörlosenschulewarendieneueHausordnung,aberauchak tuelleProblemedesSchullebens.BesondersdieSchülerinnenundSchüler machten  von  ihrem  neuen  Mitspracherecht  sehr  engagiert  Gebrauch.297 1986  schließlich  wurde  die  Rolle  des  Lehrerkollegiums,  der  Eltern  und Schülervertreter  bei  der  Mitwirkung  an  der  Schulleiterwahl  im  neuen HamburgerSchulverfassungsgesetzdahingehendverändert,dassdieschuli schenGremieninabgestufterFormanderSchulleiterfindungmitwirkten.298 DochzurückindasJahr1920,indemdieSelbstverwaltungzumAlltag wurde.DieTaubstummenschulewolltenichtunbesehendieSelbstverwal tung,wiesiefürdieVolksschulenvorgesehenwar,übernehmen.ImUnter schiedzudenVolksschulenhattedieSchulgemeindederGehörlosenschule mehrdenCharaktereinesSchulvereins.DieSchulgemeindebestandaus SchülerinnenundSchülern,Eltern,Lehrkräften,Anstaltsvorstand,Freun denderAnstaltundEhemaligen.DieSchulentlassenensolltenauchweiter hindurchdieAnstaltbetreutundberatenwerden.Insbesonderewarendie Lehrer  besorgt,  dass  Gehörlose  sonst  durch  politische  Parteien  „gelenkt und  gedrängt“  werden  und  mit  diesen  „falsche  Freunde“  finden  könn ten.299 Die  Zusammenarbeit  zwischen  staatlicher  Schule  und  dem  nicht staatlichenGremium,ausdemheraussieursprünglicheinmalhervorge gangenwar,demAnstaltsvorstand,warengundweiterhinwichtigfürdie optimaleErreichungdergestecktengemeinsamenZiele–dieFörderung gehörloserHamburgerinnenundHamburger.ImMai1919begannendie 296

Erstnach1975wandeltesichdieHauptaufgabedesElternratszurEingliederungentlasse ner  Schülerinnen  und  Schüler  in  berufsbegleitenden  Unterricht  und  Hilfe  bei  der Ausbil dungsplatzsuche(StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Mappe13[Ablie ferungsverzeichnis],InformationenderSchulleitung,Nr.1März1975). 297

Ebd.

298

DeLorent,SchuleohneVorgesetzte,S.11;sieheauchSchmidt,AktivfürdasGymnasium.

299

Konferenzbeschlussvom14.10.1919(StAHbg,3612VOSBV,499d,Bl.12:Heinrichsdorff fürdasKollegiumderTaubstummenschuleanSchulratProf.Dr.KarlUmlauf,Vorsitzender derSchulkommissionderTaubstummenanstalt17.12.1919).DieBesorgnisserichtetensichof fensichtlichgegenMitgliedervonSPDundKPD.

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DiskussionenanderSchuleumdieSelbstverwaltung.AufeinerVersamm lungderElternlehntendieseesausKompetenzgründenab,sichinUnter richtsangelegenheiten  einzumischen,300 das  Lehrerkollegium  sollte  in  sei nen  Beschlüssen  nur  der  Oberschulbehörde  gegenüber  verantwortlich sein.301 Die  Lehrerkonferenz  beschloss,  den  Schulleiter  durch  das  Kolle giumunddenneuenAnstaltsvorstandvonderSchulgemeindewählenzu lassen.DieneuzuwählendeSchulgemeindesolltesichzugleichenTeilen ausEltern,LehrkräftenundStiftungsvertreternzusammensetzen.DieAus dehnungderSelbstverwaltungaufdiegehörlosenSchülerinnenundSchü ler,sowieesdasSelbstverwaltungsgesetzfüröffentlicheSchulenvorsah, warnachMeinungderLehrkräfteinihremFallnichtmöglich.Der„Sinn fürGemeinschaftsleben“solltenichtinaktiverMitsprachegeschultwer den,sondernsolltenuralsTeildesLehrplansundderSchulordnungange botenundvermitteltwerden–wiegenaudasaussehensollte,wurdenicht geklärt.302 EineWahlfandvorerstnichtstatt.DasverurteiltedieBehörde. Am 10.  Mai  1920  teilte  die  Oberschulbehörde  dem  Lehrerkollegium  der Taubstummenschulemit,dasssiedieSelbstverwaltung„durchbesondere VerordnungtunlichstimSinnediesesGesetzes“zuregelnhabe. 303ImMärz 1920hattederErsteVorsitzendedesAnstaltsvorstands,Dr.GustavMarr,in einemBriefdemzuständigenSchulratmitgeteilt,dassdieSelbstverwaltung der  Schule der Taubstummenanstalt„nicht mehr zu umgehen“ sei.304 Es wurdedurchdieBehördedieStreichungderStelleeinesDirektorsunddie NeuwahleinesSchulleitersangeordnet,dochderVorstandderAnstaltund dasLehrerkollegiumderSchulebestandendarauf,dieStelleeinesDirek torszuerhalten.DessenbisherigevielfältigenAufgabenwurdenineinem Schreiben an die Oberschulbehörde vom September 1921 breitgefächert aufgezählt:305VerwaltungdesInternats,LeitungderSchuleundfürsorgeri scheTätigkeitenwiedieVermittlungvonLehrstellenoderalsVermittlerder RechteGehörloser,zumBeispielvorGericht,außerdemdieAusbildungvon FachlehrernundFortbildungdererwachsenenGehörlosen,aberauchGehör 300

Ebd.,Bl.13f.:Elternversammlungam27.5.1919.

301

Ebd.,Bl.14:Konferenzbeschluss22.10.1919.

302

Ebd.,Bl.15:Konferenzbeschluss14.10.1919.

303

Nach§41,Absatz2desGesetzes(Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.62).

304

StAHbg,3612VOSBV,499d,Bl.22f.:MarranSchulrat18.3.1920.

305

Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.62ff.

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losenseelsorgesowieÖffentlichkeitsarbeit.Diesallessolltetraditionellinei nerPersonzusammenlaufen,dereinesaufLebenszeitgewähltenDirektors. Das  Votum  der  Lehrkräfte  für  die  Selbstverwaltung  der  Gehörlosen schule  sah  keine  Beteiligung  Gehörloser  vor.  Dagegen  legten  Gehörlose undderHamburgerSchulbeiraterfolgreichEinspruchein.AufVeranlas sung  der  verschiedenen  Taubstummenorganisationen  Hamburgs  setzte sichderVorstanddesSchulbeiratsgemeinsammitVertreterndieserOrga nisationenmitderStellungdesElternratsanderTaubstummenschuleaus einander.ErgebniswardieForderung,dassdemElternratauchGehörlose angehörensollten–insgesamtsolltenvierElternvertreter,vierGehörlose, drei  Lehrkräfte  und  ein  Vorstandsmitglied  der  Taubstummenanstalt den Elternratbilden.DerTeilnahmeGehörloserandenVerhandlungendesEl ternratsmaßderSchulbeirathöchsteBedeutungbei,„weilniemandsichso indieSeelederTaubstummenhineinversetzenkönne,wiedieTaubstum menselbst“.306 DiegehörlosenVertreter–mindestens30JahrealteHam burger–solltenvonderSektionderTaubstummenderSPD307 unddem TaubstummenUnterstützungsverein  vorgeschlagen  werden.  Diese  Wahl solltedieOberschulbehördebestätigen.SogeschahesauchbeiderBildung einesvorläufigenElternratsam24.September1921.308DieElternschaftge hörloserSchulkinderdagegensahesnichtein,gehörlosenErwachsenen, diekeingehörlosesKindinderSchulehatten,einenSitzimElternratein zuräumen.309 SchließlichlegtederAusschussfürdieSelbstverwaltungder Sonderschulen,derausSonderschullehrern,demLandesschulratunddem zuständigenStaatsratbestand,einstimmigfest,dasszweiGehörloseMit gliederdesElternratswerdensollten.310 NachBeendigungdieserintensivenVerhandlungenwurdeam25.De zember  1921 die  „Verordnung  über  die  Selbstverwaltung  der  Taubstum

306

StAHbg,3612VOSBV,499d,Bl.33:SchulbeiratanOSB2.3.1921.

307

DieSPDwardieeinzigePartei,dieeinesolcheSondersektionfürGehörloseanbot.

308

StAHbg,3612VOSBV,499d,Bl.62:SchulleiterHeinrichMutzanOSBam26.9.1921.Der Allgemeine Taubstummen  UnterstützungsVereinentsandte Boris Tomei undPaul Stolzen berg,dieSPDSektiondieTaubstummenRichardW.Bartosch (1883–1953)undJohannGan desbergenindenElternrat.

309 310

Ebd.,Bl.73:ResolutiondesElternabendsvom19.10.1921.

 Ebd.,Bl.75:ProtokolldesAusschussesfürdieSelbstverwaltungderSonderschulenam 27.10.1921.

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menschule“erlassen.311 Vorgesehenwar,dassderzugründendeElternrat aus  dem  Schulleiter,  zwei  von  der  Lehrerschaft  gewählten  Lehrkräften, sechs  von  der  Elternschaft  gewählten  Müttern  oder  Vätern  gehörloser Schüler,einemdurchdenVorstandgewähltenVorstandsvertreterundzwei von  den  Gehörlosen  Hamburgs  gewählten  Gehörlosen  bestehen  sollte. WahlberechtigtfürdiegehörlosenVertreterimElternratwareninHam burg  wohnende  Gehörlose,  die  das  20.  Lebensjahr  vollendet hatten  und nachweisenkonnten,ihreAusbildungineinerTaubstummenschuleerhal tenzuhaben.WählbarwarenalleGehörlosenüber30Jahre,diemindestens seiteinemJahrinHamburgansässigseinmussten.312

Abbildung 16: Wanderabteilung des Hamburger Gehörlosen-Sportvereins, 1920er Jahre

311

VerordnungüberdieSelbstverwaltungderTaubstummenschulevom22.12.1921(Hambur gischesGesetzundVerordnungsblattNr.155vom25.12.1921,S.702). 312

StAHbg,3612VOSBV,499d,Bl.88.

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DochauchdiesertheoretischeErfolgdesMitspracherechtsGehörloserin schulischenFragenwurdedurchdiePraxiszunichtegemacht.DreiJahre später,am6.August 1924gabeseineProtestveranstaltungerwachsener Gehörloser,dieempörtwaren,dassesinzweiJahreninsgesamtnurdrei Elternratssitzungengegebenhatte.DadieGehörlosennurzweiSitzeimEl ternrat  hatten,  hatten  sie  nicht  die  Möglichkeit,  Elternratssitzungen  von sichauseinzuberufen.DringendgewünschteThemen,wieeinReferatüber die  „Zeichensprache  als  Hilfssprache  zur  Lautsprache“,  wurden  immer wiederverschleppt.313DemWunschaufhäufigeresZusammenkommendes ElternrateswurdevonSeitenderSchulenichtentsprochen.314 DurchdieSelbstverwaltungwurdedasBandzwischenAnstaltundSchu legelockert.DieneuenSatzungenbesagten,dassbeidesichjetztgegenseitig ergänzensollten.EsmusstenDirektoratundSchulleitungnichtzwingendin einerHandliegen. Der  Schulleiter  sollte  aus  den  fest  angestellten  Taub stummenlehrernHamburgsgewähltwerden.DasAmteines(Anstalts)Di rektorswurdevorerstnichtabgeschafft,allerdingswurdedieStellenicht wiederbesetzt.DasInternatwurdeseitdemvoneinemTaubstummenlehrer imNebenamtverwaltet.1923wurdeoffiziellaufdieDirektorenstellever zichtetunddieseimHaushaltsplanindieeinesTaubstummenlehrersum gewandelt.315 Erst1936wurdenAnstaltsundSchulleitunginderPerson PaulJankowskisaufGrundwirtschaftlicherVorteilewiedervereint.316 4. 2.2 Die Arbeit der Schulleiter ZumSchulleiterwurde1921derTaubstummenlehrerHeinrichMutz(1865– 1946)  gewählt.317 Ein  Jahr  später,  1922,  übernahm Alwin  Heinrichsdorff (1878–1955)seinAmt.Bis1924warenesschwierigeJahre,indenenPerso 313

StAHbg,3612VOSBV,499d,AbschriftBriefanElternratvom7.8.1924,unterschriebenu. a.vonBoris Tomei alserstemVorsitzendendesAllgemeinenTaubstummenUnterstützungs Vereins,CarlKarnap,VorstandderSPDSektionderTaubstummen,undHermannRiecken berg.

314

Ebd.,NotizvonStaatsratBuehlvom2.4.1925undProtokollauszugSenat15.4.1925.

315

StAHbg,3612VOSBV,499e,PräsesderOSBEmilKrauseanSenatskommissionfürdie Verwaltungsreform25.7.1923.Bestätigungam1.8.1923. 316

StAHbg,3612VOSBV,498aBand2,Bl.9:PräsesderLandesunterrichtsbehördeKarlWitt anStaatsamt27.11.1935,GenehmigungdurchdasStaatsamtBl.13:StaatsamtanLandesunter richtsbehörde10.1.1936.

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nalaufGrundstrengerSparmaßnahmenabgebautwerdenmusste.318Den nochwartrotzderwirtschaftlichschwerenLage–derVorstandderAnstalt konntesichnurnochumdasInternatkümmern–1920dieersteKlassenrei senachSyltveranstaltetworden.41KinderreistenunterBegleitungder LehrerDoraAhlers,FritzSchmidtundWilhelmBehrensfürvierWochenin dieFerienkolonieVogelkoje.319IndenfolgendenJahrenkonntendieKinder Reisen nach SchleswigHolstein(Niendorf/Ostsee),Mecklenburg(Ostsee bad  Graal) und nach Dänemark (als Gäste der Dänenhilfe in den Taub stummenanstaltenzuKopenhagenundFredericia)unternehmen.320

Abbildung 17: Schulkindverschickung, um 1925 317

 ErwurdeimApril1922durchVorstandswahlzumInternatsleiterunderhieltab1.April 1923freieWohnunginderAnstalt(BerichtderTaubstummenAnstalt1920/26,S.3).

318

ÜberdieUmsetzungderPersonalabbauverordnungsieheUweSchmidt,Rechte,Pflichten, Allgemeinwohl.  Hamburger Organisationen der  Beamten  und  Staatsangestellten  bis  1933, Bonn1997,S.194–200. 319

StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A1375,Bl.62.

320

StAHbg,3612VOSBV,508bBand2,S.2f.:BerichtderTaubstummenAnstaltfürdieJah re1920/26.

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MitdenVerschickungenwolltedieSchulleitungderAnfälligkeitderKin derfürTuberkuloseentgegenwirken,zumalsiedurchdieKriegszeitauch unterernährtwaren.UmdieseNötezulindern,wurden1921nocheinmal 66KindermitihrenLehrernnachSyltverschickt.321Außerdemwurdedie allgemeineSchulspeisungeingeführt,die1920durchdieQuäkerspeisung abgelöstwurde.322AuchhieltderFortschrittinFormvonelektrischerBe leuchtung statt der altenGasanlage (1923) und Zentralheizung statt Ka chelöfen(1929)EinzugindieAnstalt.323 ZwischenderSchwerhörigenschuleundderTaubstummenschulegabes zuBeginnderWeimarerRepublikDifferenzen:BeiderletztenBesetzung derStelledesDirektorsanderTaubstummenanstaltwurdendiesem,ver bundenmiteinerGehaltszulage,AufsichtsrechteüberdieSchwerhörigen schulezugebilligt,diedieserzwardefactoniewahrnahm,dochbedeutete dieseRegelungindenAugenderSchwerhörigenschuleeinestarkeBevor mundung.324 DieSchwerhörigenschulebestandaufihrerSelbstständigkeit undpochtedarauf,dassauchsiedem„GesetzfürdieSelbstverwaltungder Schulen“unterliege.BeidernächstenBesetzungdesDirektorpostensder Taubstummenanstalt  sollten  diesem  darum  keine  Befugnisse  über  die Schwerhörigenschule  mehr  übertragen  werden.  Die  Behörde  zeigte  sich einverstanden,abereinJahrspäter,imJanuar1921,beantragtedasLehrer kollegiumderTaubstummenschulemitErfolgbeiderOberschulbehörde die  Bildung  eines  Ausschusses,  der  die  Frage  prüfen  sollte,  ob  Taub stummenundSchwerhörigenschulenichtzuvereinenwären. 325Daraufhin sandtedieSchwerhörigenschuleeinensiebenseitigenBriefmitGegenargu mentenandieBehörde,inderdieSchulesichheftiggegendie„unlogische Beweisführung“  für  eine  Zusammenlegung  mit  der  Taubstummenschule wehrte326.Tatsächlichlagenwederpädagogische –dieKompetenzender beiden  Schulen  waren  klar  getrennt  –  noch  finanzielle  Gründe  vor,  die 321

DieSylterReisenindasFerienheimVogelkojesieheebd.

322

StAHbg,35110ISozialbehördeI,AK61.11,WilhelmBehrensanPräsidentderAllgemei nenArmenanstalt,OskarMartini,5.5.1921. 323

StAHbg,3612VOSBV,499L,GenehmigungderelektrischenBeleuchtungdurchdieBür gerschaft26.8.1922undBehrens anOSB5.5.1930(EinbauZentralheizung).ZurElektrischen Anlagesieheauch:StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QdNr.9Vol.5Fasc.13.

324

StAHbg,3612VOSBV,499d,Bl.15a:SchulleiterWilliBeskeanOSB17.1.1920.

325

Ebd.,Bl.28a–e:LehrkörperderTaubstummenschuleanOSB22.1.1921.

326

Ebd.,Bl.33a–g:SchwerhörigenschuleanOSB24.3.1921.

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stichhaltigfüreineZusammenlegungsprechenkonnten.KeinesderGebäu dehätteeingespartwerdenkönnen,daeinGebäudealleinzukleinwäre. DifferenzenzwischendenbeidenSchulformengabesschonzuvor.Be reitsAnfang1911hattensichderdamaligeDirektorderTaubstummenan stalt,Söder,undderVorsitzendedesVorstandes,Dr.GustavMarr,gegen einevonWilhelmFehlinginseinerDenkschriftvom2.Mai1910geforderte selbstständigeSchwerhörigenschule–letztlicherfolglos–zuwehrenver sucht.DieTaubstummenanstaltwollteeigeneSonderklassenfürschwerhö rigeVolksschülereinrichtenunddamitdasMonopolaufdieBildunghör geschädigterKinderausHamburgbehalten.Söder wargegeneineeigene SchulefürschwerhörigeKinder eingestellt, erwollte starkschwerhörige undspätertaubteKinderlieberweiterhinandereigenenSchuleunterande remimLippenlesenunterrichten,sodassderUnterrichtHörgeschädigter ineinerHandbliebe.SchülermitHörresten,soVorstandsmitgliedDr.Marr, seienaußerdemanderGehörlosenschulezurLeitungundBelehrungder Mitschülernotwendig.327UmdieKompetenzenendgültigabzuklären,wur den1921RegelnfürdieAufnahmederKinderandieSchwerhörigenbzw. Taubstummenschuleentwickelt.328 DieTaubstummenschulenahmdiege hörlosen  Kinder  auf,  die  Schwerhörigenschule  die  spätertaubten  und schwerhörigenKinder.ErstimMai1922wurdeendgültigvonderOber schulbehörde festgelegt,  dass  jede Schule  ihre Selbstständigkeit behalten solle.AusPlatzgründen–nichtausmethodischenErwägungenheraus– gabesauchweiterhindieSchwerhörigenunddieTaubstummenschule.329 DieDifferenzenzwischendenbeidenSchulenwurdenausgeräumtundes bildetesichsogareinepädagogischeArbeitsgemeinschaftzwischenbeiden 327 StAHbg,6221GustavMarr,1,MarranSchulrat14.2.1911;GustavMarr,SchulärztlicheUn tersuchungen  in  den  Volksschulen  im  Schuljahre  1908–1909,  in:  Hamburger  ÄrzteCor respondenzNr.48(1909),S.505–507,hierS.506.EinePrüfunganHamburgerVolksschulen hatteergeben,dass903KinderdiegeflüsterteLehrerstimmenichtausdreiMeterEntfernung und211Kindersiegarnichthörenkonnten.„DerDirektorderTaubstummenanstaltmachte michvollerFreudeaufdieseZahlenaufmerksam,ersahschonimGeistediese1.100Kinder, weilsiedemUnterrichtinderVolksschulenichtfolgenkönnten,indieTaubstummenanstalt einziehen  und  trug  sich  schon  mit  Plänen  für  den  gesonderten  Unterricht  von  Schwer hörigen“. 328

StAHbg,3612VOSBV,499d,Bl.42.

329

StAHbg,3612VOSBV,499c,Bl.100:BerichtdesvonderBürgerschaftam22.2.1922nie dergelegtenAusschusseszurPrüfungdesAntragsbetreffendUnterbringungderSchwerhöri genschuleinderTaubstummenanstalt,Nr.68.

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Lehrkörpern.330DabeihatteesschonzuvoreineZusammenarbeitderSon derschullehrerHamburgsgegeben:

E x k u r s : A n r e g u n g e n d e r H e i l p ä d a g o g i s c h e n Ve r e i n i g u n g ImOktober1919warderKindergartenderTaubstummenanstalt,dervon schwerhörigen und gehörlosen Kindern besuchtwurde,offiziell eröffnet worden.GeleitetwurdeerzunächstvonderKindergärtnerin,spätervon einemausgebildetenTaubstummenlehrer.AnregungenzudiesemKinder gartenundzuanderenEinrichtungenfürVorschulkinderanverschiedenen Hamburger  Sonderschulen  gab  die  1919  gegründete  „Heilpädagogische Vereinigung“.DieswareinZusammenschlussderLehrkräftederSchwer hörigenschule,  der  Taubstummenschule,  der  Blindenschule,  der  Sonder klassenfürsprachkrankeKindersowiederSchulederAlsterdorferAnstalten. IhrZielwares,dieInteressenderSchülerwahrzunehmen,mitBehörden zusammenzuarbeitensowieEltern,ÄrzteundLehrerzuberaten.Sietra tenauchfürdieEinrichtungeiner„SchulefürSchwachsinnige“ein 331und kämpftenfüreineumfassendeRegelungderAusbildungzur Gehörlosen undSprachheillehrkraft.DieVereinigungwolltedieAufmerksamkeitder Lehrer,Ärzte,ElternundderBevölkerungaufdieSonderschulenlenken undwurdedurchauswahrgenommen.SokonntederAusschuss,in den jededergenanntenSchuleneinenVertretersandte,1919denArbeiterund SoldatenratinFragenderSonderschulenexklusivinformierenundberaten. VonderTaubstummenanstaltwaresAlwinHeinrichsdorff,derimAus schuss  die  Interessen  der  Taubstummenschule  vertrat.  Er  setzte  sich  für einenSchulzwangfürGehörlosesowiefüreineFortbildungsschulefürge hörloseMädchenein.332 *

330

StAHbg,3612VOSBV,499d,Bl.97:OSBanSenat29.5.1922.

331

StAHbg,3612VOSBV,499f,HeinrichsdorffanOSB5.2.1919.

332

BlätterfürTaubstummenbildungNr.5vom1.3.1919,S.70f.,in:StAHbg,3612VOSBV, 508bBand1,Bl.114–121.

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1925wurdeWilhelmBehrens(1880–1977)zumSchulleitergewählt.Inder FolgezeitwechseltenerundRichardJustsichalsstellvertretendeSchullei terundalsSchulleiterab.Behrenshatteangeregt,Ausbildernvongehörlo senLehrlingeneinePrämiefürihrezusätzlichenMühenzuzahlen,wenn derLehrlingausgelernthätte,wiediesschonseit1817inPreußenderFall sei.333DieSuchenachAusbildungsstellenwar–geradeinZeitengroßerAr beitslosigkeit–nervenaufreibendundallzuofterfolglos.Häufignahmen jungeLeuteohneRücksichtaufdieGüteeinerLehrstellediesean.DieLeh rerderTaubstummenschulebesuchtenihreSchulabgängeraufWunschan deren Arbeitsplätzen,  um  bei  Problemen  helfend  eingreifen  zu  können. Meistermeinten,nichtgenugZeitfürdiegehörlosenAuszubildendenzu haben,oderhattenFurchtvoreventuellenmateriellenSchädendurchman gelhafteArbeitaufGrundvonMissverständnissen.Behrens,derwegensei nerseit1921bestehendenMitarbeitinderAltersundErwerbsbeschränk tenfürsorge  der  Wohlfahrtsbehörde  gute  Kontakte  zur  Behörde  hatte,334 schrieb,  dass  gerade  „Taubstumme  den  Ansporn  durch  eine  Lehrstelle bräuchten,dennsiekönntenvielesleistenundmüsstennichtzwangsweise einFallfürdieWohlfahrtwerden“.ZuerstäußertesichdasWohlfahrt samteherzurückhaltend335aufBehrens´Vorschlag,docheinemVermerk vom20.Juni istzuentnehmen,dassdieMeister,diegehörloseLehrlinge ausgebildethatten,beiderGewerbekammereinenAntragaufGewährung einerGeldprämiestellenkonnten,diedannandasWohlfahrtsamtweiter geleitetwerdenmusste.150MarksolltendieMeisterfürnichtbeiihnen wohnendegehörloseLehrlingebekommen,300MarkbeiLehrlingenmit KostundLogis.336VorsitzenderundSyndikusderGewerbekammerzeigten sichdazubereit,337undsoerschienam27.August1925eineNotizimHam burgischenCorrespondenten,338dassabsofortGeldprämienfürdasAusler nengehörloserLehrlingegewährtwürden.Dochbiszum18.Oktober1926 warkeinAntragaufPrämiengewährungbeimAmteingegangen.ImGe 333

StAHbg,35110ISozialbehördeI,AK60.14,BriefvonBehrensandasWohlfahrtsamtvom 10.5.1925.

334

StAHbg,22111StaatskommissarfürdieEntnazifizierungundKategorisierung,Ed4097.

335

 StAHbg,35110ISozialbehördeI,AK60.14,1.StellungnahmedesWohlfahrtsamtesvom 6.6.1925vonFrl.Armack.

336

Ebd.,Vermerkvom20.6.1925.

337

Ebd.,GewerbekammerandasWohlfahrtsamtvom8.8.1925.

338

HamburgischerCorrespondentNr.398vom27.8.1925.

In der Weimarer Republik (1919–1933)

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genteilfandsichfüreinenJungenimSchuhmacherhandwerküberhaupt keineLehrstellemehr.Behrens,inzwischenSchulleiter,schlugeineErhö hungderPrämievor,diedasAmtdenMeisternmonatlichzahlensollte.339 DieAnregungwurdeaufgegriffenundendlichgingenbis1940zahlreiche AnträgeaufGewährungdieserBeihilfeein.Zuletztwurdedieseallerdings nurbeiBedürftigkeitderLehrlingegewährt,dennschon1929hattesichder Arbeitsmarkt  in  Hamburg  trotz  der  weltweiten  Wirtschaftskrise  –  diese wirktesichaufHamburgerstumeinJahrverzögertaus–verändertundal lenJugendlichen,dieihreSchulausbildungbeendethatten,konntenLehr stellenvermitteltwerden.340 4. 2. 3 Ford er ung en der G ehörlos en Nachdem  bereits  1919  heftige  Vorwürfe  gegen  Lehrer  der  Hamburger Schule  durch  Vertreter  des  Hamburger  „Wohlfahrtsausschuß  für  Taub stumme“  geäußert  worden  waren  –  den  Lehrkräften  wurden  pauschal „sittliche  Verfehlungen“  und  „Mißhandlungen“  der  gehörlosen  Schüler vorgeworfen,341 gabes1922inhaltlicheDiskussionenumdenUnterricht. ErneutgingesdabeiumdieGebärdeundihrenWertfürdieErziehung. WiederwarenesdieGehörlosenselbst,diezumerstenMalmitNachdruck aufderXI.VersammlungdesBundesdeutscherTaubstummenlehrerihre Forderungenvorbrachten.ImZentrumstanddieEinführungundNutzung derGebärde.WeiterwünschtenGehörlosedieErrichtungeinerHöheren SchuleundeinerHochschulabteilungfürGehörlose,dieAusbildungund ZulassunggehörloserLehrersowiedieBildungvonBeirätenvonGehör losen  an  Taubstummenanstalten,  die  als  Verbindung  zwischen  Schule underwachsenenGehörlosendienensollten.342AuchHamburgerGehörlo seunterstütztendieseForderungen.WährendeinigenAnliegenprinzipiell zugestimmtwurde,lehntediegesamteVersammlungder(hörenden)Ge 339

StAHbg,35110ISozialbehördeI,AK60.14,BehrensandasWohlfahrtsamtvom22.10.1927.

340

ZurWirtschaftskriseinHamburgsieheUrsulaBüttner,HamburginderStaatsundWirt schaftskrise1928–1931(HamburgerBeiträgezurSozialundWirtschaftsgeschichteBand16), Hamburg1982. 341 342

StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QdNr.433Vol.1.

StAHbg,3612VOSBV,508bBand1,Bl.159–167:BerichtdesTaubstummenlehrersAlfred Schär überdieXI.VersammlungdesBundesdeutscherTaubstummenlehrerinHildesheim Juni1922.

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Die staatliche Taubstummenschule

hörlosenlehrkräftedieForderungnachgehörlosenLehrkräftenundnach einemBeiratab.Zwarschiendie„reineLautsprachmethode“denLehrern realitätsfern, aber die Gebärdensprachegalt immernoch als„Affenspra che“undwarihrerAnsichtnachnichtfähig,alsUnterrichtsmitteleinge setztzuwerden.ImmerhinvertratenHamburgerLehreraufderVersamm lungdieMeinung,dass„Taubstummen,derenRatundMeinungmanfür beachtenswerthält,auchStimmegebenmuss“.Hamburghatteschonzu vorzweigehörlosenErwachsenenPlätzeimElternratderTaubstummen schule  eingeräumt,  was  nicht  auf  große  Gegenliebe  der  Versammelten stieß.Anscheinendwaresnochimmerso,dassdieHörendensichüberdie Gehörlosenstellten,ihnen„Bildung“gebenwollten,ohnesieselbstalsPer sonernstzunehmen.HarlanLane(geb.1938),amerikanischerPsychologe und  Gebärdensprachforscher,  vergleicht  die  hörenden  „Wohltäter“  wie Ärzte und Taubstummenlehrer  mit „Kolonialisten“,  die  den  „Eingebore nen“,denGehörlosen,dieKulturderHörendenaufdrückenwollen,ohne RücksichtaufdieeigeneWelt,aufdasbesondereKönnenderGehörlosen. Gehörlose solltenhörend  werden,sollten sprechen, nicht gebärden. Ihre AnpassungstandanersterStelle,eswurdenuraufdenMangelgeachtet, nichtaufdas„Mehr“,wiezumBeispieldasvisuelleKönnen.343 4. 2. 4 Fo lg en d er Inflation Es  gab  in  den  1920er  Jahren  an  der  Gehörlosenschule  in  zehn  Klassen 98Schüler  und  Schülerinnen,  dazu  kamen  die  Kindergartenkinder.344 Es gabjetztauch„a“und„b“Klassen,indenendieSchülerinnenundSchü lernachihremKönnendifferenziertwurden.BesserbegabteKinderkonn tenihrenAbschlussinkürzererZeitbekommen.TrotzzunehmenderSchü lerzahlenverarmtedieTaubstummenanstaltimLaufederZeitdurchdie Geldentwertungzusehends.DasAnstaltsvermögenwarinFolgevonKrieg, RevolutionundInflationmehrundmehrzusammengeschmolzen.Ehema ligeFördererhattenkeinGeldmehrfürdieTaubstummenanstaltübrig,so dassderStaatunterstützendeingreifenmusste,umdasInternathaltenzu 343

 Vgl.HarlanLane,DieMaskederBarmherzigkeit(InternationaleArbeitenzurGebärden spracheundKommunikationGehörloserBand26),Hamburg1994.

344

HierundimFolgenden,wennnichtandersangegeben,nach:StAHbg,3612VOSBV,508b Band2,BerichtderTaubstummenAnstalt1920/26.

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können.1924warderFortbestanddesInternatsernsthaftinFragegestellt, denndieAnstaltbekamkeinenstaatlichenZuschussmehr,sodassneue Mittelaufgebrachtwerdenmussten.JederfreieRaumwurdevermietet,um GeldausMieteinnahmenzuerhalten.AuchDirektorwohnhausundSpeise saalkonntenaufWunschgemietetwerden.SowurdedergroßeSpeisesaal voneinerKaufmannsfirmaalsLagerraumzweckentfremdetundzweiwei tereZimmerdesHauptgebäudesvonFirmenalsVerwaltungsbürogenutzt.345

Abbildung 18: Taubstummenanstalt Bürgerweide

GezielteSammlungenkonntendiefinanziellenSchwierigkeitennurkurz fristigverbessern.1925startetedieAnstalteinengroßenSpendenaufruf– ohnebefriedigendeResonanzausderBevölkerung.DieprivateAnstaltbe rechnete  schließlich  auch  für  die  von  der  Schule  genutzten  Räume  der OberschulbehördeeineMietentschädigung.PrivateSpendenunddieEin 345

Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.71.

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sammlung  der  Jahresbeiträge  unterblieben,  weil  viele  Hamburger  in KriegsfolgeausgeschiedenwarenunddurchdieGeldentwertungihrErtrag zu  gering  war.  Erst  im  Herbst  1925  wurden  die  privaten  Sammlungen wiederaufgenommen.IndiesemJahrwarenvierLehrkräfteausdemKol legiumausgeschiedenunddieStellen–auchdafürfehltedasGeld–nicht wiederbesetztworden.346UmdiefinanziellenProblemeindenGriffzube kommen,wurdeauchimZusammenhangmitderVorbereitungeinerZu sammenarbeitzwischenLübeckundHamburgübereinegemeinsameNut zungderGefängnisse–vorallemderStrecknitzerIrrenanstalt–überlegt, obnichtauchdieTaubstummenanstalt gemeinsamvondenHansestädten HamburgundLübeckbetriebenwerdenkönnte.347ÖffentlicheMittelkönn tendamiteffektivergenutztwerden,dadieHamburgerAnstaltnieganz ausgelastetwarunddieLübeckerAnstaltnurcirca20Schülerinnenund Schülerbeherbergte.DurcheineZusammenlegungwürdeLübeckdieKos teneinerAnstaltundzweierLehrergehältersparenundkönntedanndie Hamburger Anstalt  bezuschussen.  Noch  günstiger,  so  überlegte  man  in Hamburg,  wäre  eine  Zusammenlegung  auch  mit der  Bremer  Taubstum menanstalt,  was  die  Hamburger  befürworteten.348 Obwohl  ein  Lübecker AusschussdieHamburgerSchulebesuchteunddenPlänennichtgrund sätzlichnegativentgegenstand,kamdieseZusammenlegungnichtzustan de.DerGrundwarenBedenkenderLübeckerElternschaft,diesichgegen eineVerlegungihrerKindernachHamburgäußerten,dasiediesenichtso weitweggebenwollten.349 4. 2. 5 Jub ilä umstag ungen 1927 Erst  als  im  Juni  1927  die  SamuelHeinickeJubiläumstagung  des  Bundes deutscherTaubstummenlehrerinHamburguntergroßemAufwandstatt fand,kamdieTaubstummenanstaltwiederindasBewusstseinderÖffent lichkeit:Zum200.GeburtstagSamuelHeinickesludderBunddeutscher TaubstummenlehrerzuPfingstenzueinem„KongressfürTaubstummen 346

Ebd.,S.67.

347

StAHbg,3612VOSBV,944Nr.1,RechnungsamtanOSB23.10.1928.

348

Ebd.,MarrundBehrensanOberschulbehörde11.1.1929.

349

 Ebd.,OSBLübeckanOSBHamburg21.10.1929.Endeder1930erJahrewurdendieLü beckerKlassendochnochaufgelöst,sieheS.190.

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PädagogikundverwandteGebiete“TeilnehmerausdemInundAusland indieHansestadtein.350Über500Gäste,unteranderemausRussland,Un garn,AmerikaundSkandinavien,folgtenderEinladung.DerSenatnahm NotizvonderTagung,bewilligteeinenZuschussundschickteVertreterin einenEhrenausschuss.BürgermeisterDr.CarlPetersenübernahmdenEh renvorsitz.MehrereAufsätzewurdenalsFestgabeverteiltundeinedurch den  gehörlosen  Hamburger  Bildhauer  Willi  Köhler modellierte  Plakette von SamuelHeinicke konntevondenKongressteilnehmernundinteres siertenHamburgernerworbenwerden.351

Abbildung 19: Feierstunde am Heinicke-Denkmal, 1927

AlsProgrammwarennebeneinerFeieramSamuelHeinickeDenkmalmit Gesang,  Kranzniederlegung  und Ansprachen  und  einem  Senatsempfang im Rathaus  hauptsächlich  Vorträge  zu  Fragen des  modernen  Taubstum menunterrichts  und  über  den  Begründer  des  deutschen  Gehörlosenbil dungswesens,SamuelHeinicke,geplant.EsgabaußerdemeineWeihestun 350 351

ZurTagungsieheStAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.RfNo.42b.

Vgl.auchFotodesSchauundWerbeturnensinderSporthallederTaubstummenanstaltauf S.133.

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de,zuderauchderHeinickeExperteDr.PaulSchumann (1870–1943)aus LeipzigeineFestredehielt,dieinErinnerunganHeinickeerstinderSt.Jo hannisKirchezuEppendorfstattfindensollte,dannaberindieMusikhalle verlegtwurde.NatürlichfehltenStadtundHafenrundfahrtebensowenig wieeinBesuchaufHelgoland.352ZusätzlichgabesimMuseumfürKunst undGewerbeeineAusstellungmitdemTitel„BildungundFürsorgeder Taubstummen,SchwerhörigenundSprachgeschädigten“,zuderauchdie Schülerinnen  und  Schüler  der  Taubstummenanstalt  Bastel,  Werk  und Handarbeitenbeigetragenhatten.353 NichtnurdieTaubstummenlehrerfeierten,auchdieGehörlosenvereine erinnerten  sich  an  Heinicke.  Die  in  zweijähriger Arbeit  vorbereitete  Sa muelHeinickeJubiläumswoche  im  August  wurde  von  den  Hamburger Vereinen  organisiert,  mindestens  1.300  Gäste  kamen  nicht  nur  aus  dem DeutschenReich,siewarenauchausFrankreich,Dänemark,derSchweiz, Schweden,  der  Tschechoslowakei  und  anderen  Ländern  in  die  Stadt  ge reist.354 Sie  besuchten  Theateraufführungen,  sahen  eine  Ausstellung  mit WerkengehörloserKünstlerinderKunsthalle,wirktenanSportveranstal tungenmitundschifftensichnachHelgolandein.355AufderKünstleraus stellungwurdenauchWerkevonHamburgergehörlosenKünstlerngezeigt: Die  Bildhauer  Willi  Köhler (Werkkunst  Niederelbe)  und  Elisabeth Selig mann (1893–1947)  und  die  Maler  Fritz  Pfitzenmaier und  Franz  Hartogh (1889–1960)356 stelltenKunstwerkeaus.AuchdieHamburgerGehörlosen veranstalteteneinenDankgottesdienst,derzunächstfüralleKonfessionen geltensollte.AufWunschderkatholischenGehörlosenfeiertendiesealler dings  ihre  Messe  in  der  St. Antoniuskirche  in  Eppendorf,  während  der evangelischeGottesdienstwiegeplantinderEppendorferSt.Johanniskir 352

 StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.RfNo.42b,WilhelmBehrens fürdenFinanzausschuss undAlwinHeinrichsdorfffürdenOrtsausschussanSenat20.1.1927.

353

Ausstellungskatalog:AusstellungfürBildungundFürsorgederTaubstummen,Schwerhö rigenundSprachgeschädigtenimMuseumfürKunstundGewerbe,Hamburg1927.

354

DiePariserGehörlosenzeitung„LaGazettedessourdsmuets“No.141,September1927be richtetinihremArtikel„JubilédeHeinicke“von2.500Teilnehmern.Geplantwarenursprüng lich„nur“800Teilnehmer(StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.RfNr.29Vol.42c).

355

EugenTellschaft,Festschriftzum100jährigenJubiläumdesAllgemeinenGehörlosenUnter stützungsvereinszuHamburgvon1891e.V.,Hamburg1991,S.23.

356

 LaGazettedessourdsmuetsNo.141,September1927;AllgemeineDeutscheGehörlosen ZeitschriftNr.16vom15.August1927,S.83.ÜberdenLebenswegeinigerKünstlerwirdin Kapitel7.2berichtet.

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che,indereinstHeinickealsKüstertätigwar,stattfand.357Weiterereligiöse Veranstaltungenfolgtennicht.DafürwurdeeineHuldigungsfeieramHei nickeDenkmalorganisiert,anderVertreterverschiedenerGehörlosenVer eine inihrenVereinsfarben mitihren Fahnen teilnahmen.Weiter  gab es einen  Festakt  im  Conventgarten  und  eine  Sportveranstaltung.  Letzterer wurdegrößereAufmerksamkeitzuteil,dasiezuMeisterschaftskämpfenim FußballundinderLeichtathletik–imHammerPark–sowiezueinem BundeswettschwimmenderGehörlosenausgeweitetwurde.Daesanden Sporttagenjedochregnete,wurdenEinnahmendurchZuschaueringerin geremMaßealserwarteteingenommen.SchließlichwurdeeineKonferenz, an  der  führende  Gehörlosenvertreter  (Reichsverband  der  Gehörlosen Deutschlands  „Regede“)  zusammen  mit  einigen Anstaltsdirektoren  und TaubstummenlehrernaneinemTischsaßen,organisiert.358

Abbildung 20: Kongress der Gehörlosenvereine in der Heinicke-Jubiläumswoche, 1927

357

DarüberberichtetedieMagdeburgerDTSZ(DeutscheTaubstummenSportZeitung)Nr.14 vom15.7.1927,S.77.

358

VeranstaltungslistesieheStAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.RfNo.29Vol.42c,Hauptaus schuss der  SamuelHeinickeJubiläumswoche, Boris  Tomei und  Fritz Scheibe an  den Senat 14.6.1927.

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Die staatliche Taubstummenschule

Durch  die  Größe  der  Veranstaltungen  und  dadurch,  dass  weitaus  mehr Teilnehmer  als  erwartet  nach  Hamburg  kamen,  hatten  die  Veranstalter einenfinanziellenVerlusterlitten,densiedurchSenatshilfeauszugleichen versuchten.DochderSenathattebereitsvorabeinenGeldbetrag–wenn aucheinengeringerenalsgewünscht–zurVerfügunggestelltsowiezwei EhrenwanderpreisefürSportlergestiftet.359Mehrkonnteundwollteerfür dieGehörlosennichttun,zumaldieTaubstummenlehrererstkurzzuvorin Hamburggetagthatten.DasFeierjahr1927wurdeaußerdemam16.Mai 1927zueinemEhemaligentreffenimRahmender100JahrFeierderAnstalt genutzt.360StolzsahdieSchulezudemineinerFeierstundeaufdaszurück, wassiein100Jahrengeleistethatteundnannteihre„manchmalmühselige Arbeit  […] ein  Liebeswerk  am  Nächsten“.361 Das  Ziel  der  Schule,  „den TaubstummendeshamburgerGebietesdieMöglichkeit[zu]geben,mitih renMitmenschenineinerallgemeinverständlichenSprachezuverkehren“ undsie„durchdieLautsprachegeistigso[zu]fördern,dasssieandenBil dungsgüternunseresVolkesteilnehmen, undzueinerselbständigenLe bensstellunggelangen“,warnichtunangefochtenunddochkonntedieMe thodik  „gegen  die  eigenen  Wünsche  der  erwachsenen  Taubstummen“ durchgesetztwerden.EinErfolgder„konsequentenBefreiungvondenFes selnderGebärdensprache“zeigesichimgeistigenFortschrittGehörloser, deranhandeinergrammatischrichtigenVerwendungderSchriftsprachein denGehörlosenzeitschriftenzuerkennensei–sohabeesbereitsDirektor SöderalsbeharrlicherVertreterderLautsprachezufriedenfestgestellt.362 EineweitereTaubstummenlehrertagungfandinHamburgimOktober 1932statt–derVereinnordwestdeutscherTaubstummenlehrerhatteals Hauptthema seinerTagung„DertaubstummeMensch“gewählt.Alwin Heinrichsdorff berichtete  über  die  „eigentümlichen  Fehler  und  Schwä chen“  Gehörloser,  die  dennoch  „gleichermaßen Achtung  und  Liebe  als Volksgenossen  zu  beanspruchen“  hätten.  Lehrer  Schmidt präsentierte stolzdenneuenexperimentellennaturwissenschaftlichenUnterricht,der auseinemreinenAnschauungsunterrichthervorgegangenwar.EinPhy 359

StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.RfNo.29Vol.42c.

360

 StA Hbg,  35110  I  Sozialbehörde  I, AK  61.11,  Behrens an  Senator  Paul  Neumann vom 16.5.1927.

361

StAHbg,6221GustavMarr,1,RedevonDr.GustavMarranlässlichdes100jährigenJubi läums,o.D.[1927].

362

Ebd.

In der Weimarer Republik (1919–1933)

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sikraum mitSchülerübungstischenwardurchdieLandesschulbehördefi nanziertunddurcheigeneWerkarbeitenderLehrerundSchülerausgestat tetworden.363

Abbildung 21: Lehrer Fritz Schmidt im Chemieunterricht, 1938/39

4. 3 Im „D ritte n Reich“ (1933–194 5) 4. 3.1 Machtwechsel und erst e Verä nderungen an der Ta ubstummena ns ta lt NachdemAdolfHitleram30.Januar1933durchReichspräsidentPaulvon HindenburgzumReichskanzlerberufenwordenwar,bekamdieunterseiner FührungstehendeNationalsozialistischeDeutscheArbeiterpartei(NSDAP)

363

HamburgerLehrerzeitungNr.42/43(1932),S.524.

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Die staatliche Taubstummenschule

mit  ihrem  Koalitionspartner364 bei  der  Reichstagswahl  am  5.  März  1933 51,9Prozent  Stimmen  und  errichtete  fortan  zielstrebig  einen  totalitären Staat,indemsiediedemokratischenStrukturenundInstitutionderWeima rerRepublikentwederbeseitigteodersiemitdemZielderMachtsicherung der  NSDAP  umbaute.  In  Hamburg  erhielten  die  Nationalsozialisten 46,8Prozent  der  Stimmen  und  übernahmen  auch  hier  mit  der  Unter stützungbürgerlicherKoalitionspartnerdieRegierungderStadt.365 Dieam15.September1935verabschiedetensogenannten„Nürnberger Rassengesetze“,das„GesetzzumSchutzedesdeutschenBlutesundder deutschenEhre“unddas„Reichsbürgergesetz“,366diedieDiskriminierung jüdischerMitbürgergesetzlichlegitimierten,ließenauchdieVorstandsmit gliederderTaubstummenanstaltdieStiftungsstatutendenverändertenGe gebenheitenanpassen:Dr.Marrwünschte,dieSatzungen„abzuändern,um sie  mit  den  heute  geltenden Anschauungen  in  Einklang  zu  bringen“.367 DemzufolgebeschlossderVorstandam3.Dezember1935dieAufnahme gehörloserHamburgerKinderkünftigwiefolgtzureglementieren:„Die [...]TaubstummenanstaltverfolgtdenZweck,taubstummenKindernari scher  Abstammung  Aufnahme  und  Erziehung  zu  gewähren“.368 Dieser „Arierparagraph“derTaubstummenanstaltersetztedieSatzungvon1923, inderderZweckderAnstaltnochlautete,„bildungsfähigentaubstummen KindernausdemhamburgischenStaatsgebietohneUnterschiedderKon fessionAufnahmeundErziehungzugewähren“.369EinehemaligerSchüler derHamburgerTaubstummenanstalterinnertsichanzweijüdischeKinder, einemMädchenundeinenJungen,diezuAnfangdes„DrittenReiches“ nochindieHamburgerSchulegingenundderenweiteresSchicksalunbe kanntist.370

364  Dieswardieausder Deutschnationalen VolksparteiunddemStahlhelmBundhervorge gangeneKampffrontSchwarzWeißRotmitdemdeutschnationalenParteivorsitzendenAlfred Hugenberg. 365

WernerJohe,DieunFreieStadt:Hamburg1933–1945,Hamburg1987,S.7.

366

ReichsgesetzblattI(RGBlI),1935,S.1146f.

367

StAHbg,3518Stiftungsaufsicht,B893,Bl.I5:Dr.MarranGesundheitsundFürsorgebe hördeam22.11.1935. 368

Ebd.,Bl.I14:Satzungvom3.12.1935.

369

Ebd.,Bl.I4:Statutenvom6.1.1923.DieSatzungvon1935wurdeerstam11.6.1952wieder geändert(ebd.,Bl.I16:Satzungvom11.6.1952).

Im „Dritten Reich“ (1933–1945)

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4 . 3. 2 D o ro t h ea E lkan – e in e j üd is ch e Leh re ri n EinedererstenMaßnahmenderneuenMachthaberinDeutschlandwardie GleichschaltungdesöffentlichenLebens.Am7.April1933wurdedas„Ge setz  zur  Wiederherstellung  des  Berufsbeamtentums“  erlassen.371 Beamte konntennunaus„rassischen“oderpolitischenGründenoderausGründen der„VereinfachungderVerwaltung“entlassenoderindenerzwungenen Ruhestandversetztwerden.FürjüdischeLehrkräftehießdas,dasssiedie Schuleverlassenmussten,andersiebishergelehrthatten.AucheineLeh rerinanderHamburgerTaubstummenschulewurdedurchdiesesGesetz erfasst–DorotheaElkanwurdealsJüdinausihremAmtundihrerHeimat vertrieben.Daswasihrwiderfuhr,hatexemplarischenCharakter.

Abbildung 22: Klassenfoto mit den Lehrkräften Dorothea Elkan und Alfred Schär, 1930

370

Biesold,KlagendeHände,S.208.DieNamenderbeidenjüdischenKinderundihrweiteres Schicksalkonntennochnichtgeklärtwerden.AufdemDeafHistoryKongressinBerlin2006 wurdeeinInterviewdesVereinsDovenshoahausAmsterdammiteinemgehörlosenjüdischen Niederländergezeigt,deralsJungeausHamburggeflüchtetwar.LeiderkonntedieseSpur nichtweiterverfolgtwerden.

371

RGBlI,1933,S.175–177.

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Die staatliche Taubstummenschule

DorotheaJacobineElkanwurdeam17.September1895inHamburgals TochterjüdischerElterngeborenundimevangelischenGlaubenaufgezo gen.372DieFamiliezognachKassel,woDorothea,genanntThea,verschie deneprivateSchulenbesuchte.IhrAbiturbestandsieamprivatenOberly zeuminBonn.DaElkanLehrerinwerdenwollte,besuchtesiefüreinJahr dasOberlyzeumderevangelischen Gemeindevon Köln. 1915 erhieltsie dasZeugnisderLehrbefähigungfürLyzeen.NacherstenErfahrungenals LehreringingDorotheaElkan 1917nach FrankfurtamMainundunter richteteanderdortigenTaubstummenanstalt.1920,beideElternteilewaren nichtmehramLeben,kehrtesiedanninihreHeimatstadtzurück.Schon 1919hattesiesichanderHamburgerSprachheilschule,überderenArbeits methodensieeinigeArtikelgelesenhatte,beworben.AndieseSchulewur de  sie  dann  auch  versetzt.  Doch  Dorothea  Elkan wollte  mehr  erreichen. NachihrerFestanstellungversuchtesie–zusammenmitihrerKolleginKä theLambert –ab1924immerwieder,dasSchulkollegiumundvorallem dieOberschulbehördedavonzuüberzeugen,dasssienachBerlingeschickt werde,umdortdieFortbildungzurTaubstummenlehrerinabsolvierenzu können.DasienichtgenugGeldverdiente,umfürdiezweijährigeAusbil dungselbstetwassparenzukönnen,warsiedaraufangewiesen,indieser ZeitausHamburgfinanziellunterstütztzuwerden.UmimVorwegeein wenigGeldzusammenzubekommen,unterrichtetesienebenbeischwierige und als„nicht schulfähig“ bezeichnete Jungen.Siebesuchte nebenihrer LehrtätigkeitVorlesungenanderHamburgerUniversitätundhoffte,mit densoerworbenenKenntnissenihrBerlinerStudiumverkürzenzukön nen.NachdreiJahrenwurdediezweijährigeAusbildunginBerlingeneh migt:Am1.Mai1927begannDorotheaElkan ihrStudiuminBerlinNeu kölln.  Durch  den  Einsatz  des  Hamburger  Staatsrats  der  Finanzbehörde, Dr.Leo Lippmann (1881–1943),dersichbeimzuständigenSenatorfürsie engagierthatte,erhieltsiedafüreineStudienbeihilfe.373 NachdemsieihrePrüfunginBerlinerfolgreichbestandenhatte,kehrte DorotheaElkannachHamburgzurück.Zum1.Mai1929wurdesieandie 372

 Sie selbst trug  1920ineinem Fragebogen anlässlich der  Einstellung in denHamburger Schuldienst„evangelisch“unterReligionszugehörigkeitein.DieAngabenzuDorotheaElkan stammen–wennnichtgesondertangegeben–ausihrerPersonalakte:StAHbg,3613Schul wesenPersonalakten,A1343.

373

 StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A1343,Bl.58:OSBanElkan14.7.1927.Lipp mann,ebenfallsJude,nahmsich1943beibevorstehenderDeportationdasLeben.

Im „Dritten Reich“ (1933–1945)

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Taubstummenschuleversetzt,anderauchschonihreehemaligeKollegin KätheLambert zurFörderungderKindergartenkinderangestelltworden war.  Dorothea  Elkan  übernahm  eine  eigene  Klasse  und  gab  außerdem Schwimm  und  Turnunterricht.374 Sie  war Anhängerin  des  frühestmögli chenErlernensderSchriftspracheundgaberfolgreichArtikulationsunter richt.VonihremDirektor,PaulJankowski (1881–1963),wurdesiealseine „geschätzteLehrkraftmitgroßerHingabe“bezeichnet.375

Abbildung 23: Schau- und Werbeturnen in der Sporthalle der Taubstummenanstalt am 3.4.1932

Und dochwährte ihreArbeitanderSchulenichtlange.Als„Volljüdin“ wurdeDorotheaElkanimJuli1933durchdennationalsozialistischenPrä sesderLandesunterrichtsbehörde,KarlWitt(1885–1969).376mitgeteilt,dass 374

StAHbg,3612VOSBV,507,Bl.78:ElkanandieOSB12.9.1929.

375

StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A1343,Bl.63:ElkananLandesunterrichtsbehör de1.2.1934,ZusatzvonJankowski2.2.1934. 376

ZuKarlWittvgl.AnnettBüttner/IrisGroschek,JüdischeSchülerund„völkischeLehrer“ in  Hamburg nach  1918,  in:  Zeitschrift  des  Vereins  für  Hamburgische  Geschichte,  Band  85 (1999),S.101–126,besondersS.123–126.

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Die staatliche Taubstummenschule

sie„aufGrund§3desReichsgesetzeszurWiederherstellungdesBerufs beamtentums“  –  unter  Beibehaltung  von  Pensionsbezügen  –  aus  dem Staatsdienstentlassensei.DorotheaElkan nahmdieEntscheidungnicht widerspruchsloshin.SiereichteeinGesuchumWiederanstellungbeider Landesunterrichtsbehördeein,dennschließlichhabesiesichpolitischniebe tätigtundkäme„denBelangen,diedieneueStaatsordnungandieSchule stellte,willignach“.377WeiterführtesieindemBittschreibenumBelassung imDienstaus,dasssieanscheinenddieeinzigejüdischeTaubstummenleh rerin  in  ganz  Deutschland  sei,  die  auf  Grund  dieses  Gesetzes  entlassen wordensei.Esgäbealso,undhiernahmsiedienationalsozialistischenAr gumente  auf,  im  Taubstummenlehrerberuf  keine  „Überfremdung  durch Nichtarier“;desWeiterenseiihreFamilieväterlicherundmütterlicherseits schonseitJahrhunderteninDeutschlandundsieselbstwürdeinZukunft dieKinderimSinnederRegierungerziehen.378 DieAbsagedesSchulrats kamprompt.KätheLambertübernahmDorotheaElkansUnterrichtinder Hauptschule.379 ZweiJahrespäter,1935,zogDorotheaElkanausHamburgfort.Siehatte eineAnstellungander IsraelitischenTaubstummenanstalt inBerlinWei ßenseeerhalten,380inderenGebäudesieaucheineWohnungbekam.Lange nochbliebsieinDeutschlandunderlebtedieimmeraggressiverwerdende Diskriminierung.Sieentschiedsicherst1938zurEmigrationundversuch te,eineGenehmigungzurAuswanderungzuerhalten.IndiesemJahrwar 377 StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A1343,Bl.63:ElkanandieLandesunterrichtsbe hörde1.2.1934,StellungnahmevonJankowski2.2.1934. 378

Ebd.,Bl.63:ElkanandieLandesunterrichtsbehörde1.2.1934.

379

StAHbg,3612VOSBV,499aBand2,Bl.3:EdensanRegierungsratDr.HorstHollburgam 26.1.1934. 380

 Zöglingeder1873gegründeten„IsraelitischenTaubstummenanstalt“inBerlinwarenauf GrundihrerGehörlosigkeitundihresGlaubensdoppeltverfolgt,undeswurdesehrschwer, sichereLänderzufinden,diesolcheKinderaufnehmenwollten.1940musstendieletztenKin derundLehrkräftedasAnstaltsgebäudeverlassen,1942wurdedieSchuleverbotenundim SeptemberdesselbenJahreswurdendienochanwesendenLehrkräfteundKinderindasKon zentrationslagerTheresienstadtdeportiert.ZurGeschichtederSchulevgl.VeraBendt/Ni colaGalliner(Hg.),ÖffnedeineHandfürdieStummen.DieGeschichtederIsraelitischen TaubstummenanstaltBerlinWeißensee1873bis1942,Berlin1993;HorstBiesold,Jüdische TaubstummenerziehunginDeutschland–dargestelltanderGeschichteder„Israelitischen TaubstummenanstaltfürDeutschlandzuBerlinWeißensee“,in:SieglindEllgerRüttgardt(Hg.), Verloren  und  UnVergessen.  Jüdische  Heilpädagogik  in  Deutschland,  Weinheim  1996, S.239–259.

Im „Dritten Reich“ (1933–1945)

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ihr  Vorgesetzter,  der  Leiter  der  Israelitischen  Taubstummenanstalt,  Felix Reich (1885–1964),indasKonzentrationslagerSachsenhausenverschleppt worden.AlserEndeDezemberwiederzurückkam,warteteDorothea El kan nichtweiterdieGenehmigungab,sondernzogimJanuar1939nach London.381VondortberichtetesiederHamburgerKulturundSchulbehör de  von  ihren  Lebensumständen:  Sie  erhielt  keine  Arbeit  und  wohnte reihumbeiBekannten.Siebat umWeiterzahlungihresPensionsgehaltes aufeinSonderkonto.DieswurdedurchdenOberfinanzpräsidentengeneh migt,solangesieLebensbescheinigungeneinreichte.Abdem1.Juli1940 wurdendieVersorgungsbezügenichtmehrgezahlt.1941wurdediesper Gesetzbestätigt:LautParagraphzehnder11.VerordnungzumReichsbür gergesetzvom25.November1941wurdejüdischenDeutschen,dieimAus landwohnten,diedeutscheStaatsbürgerschaftentzogen.Siekonntenkein Geld  mehr  aus  Deutschland  beziehen.382 Dorothea  Elkan unterrichtete dannstundenweiseanderjüdischenTaubstummenanstaltinLondonund an anderen englischen  Taubstummenschulen.  Sie  erteilte  dort  Artikula tionsunterrichtunderzieltedamit–sogabsiespäteran–beidenKindern guteErfolge.383 1947nahmsie,daihrdiedeutscheStaatsbürgerschaftper 11.VerordnungzumReichsbürgergesetzvom25.November1941(„Ausbür gerungsgesetz“)entzogenwordenwar,diebritischeStaatsbürgerschaftan.384 Nach  Kriegsende sandte Dorothea Elkan ihre Wiedergutmachungsan trägeausAustraliennachHamburg.SeitMärz1949lebtesiedortundun 381

LondonwarauchimAugust1939ZielvonFelixReich,SohndesGründersderBerlinerIs raelitischen Taubstummenschule, der  die  zehn  jüngsten  Schüler  der Anstalt dorthin  retten konnte (Informationsblatt  „Openyour  hand for  the  dumb“  zurAusstellung der  Jüdischen VolkshochschuleBerlinunddesJüdischenMuseumsBerlinwährendder2.Internationalen Tagung  zur  Geschichte  der  Gehörlosen  in  Hamburg  im  September  1994,  Douglas  D.  Bahl forschtüberdasweitereSchicksaldiesergehörlosenKinder,vgl.seinenVortragaufdemDeaf HistoryKongressinBerlin2006,voraussichtlichesErscheinendesTagungsbandesEnde2007). Er  erhieltsogar vombritischen Unterrichtsministerium dieErlaubnis,  die übrigen Schüler, LehrerundAngestelltenderIsraelitischenTaubstummenanstaltnachGroßbritannienzuho len.DochdieserPlanscheiterteamAusbruchdesKrieges. 382 RGBlI,1941,S.722–724,hierS.724.Vgl.hierzuauchdieAktevonElkanimBestandOberfi nanzpräsident:StAHbg,31415Oberfinanzpräsident,FVg8880. 383

TheaElkan,TaubstummenbildungimStaateVictoria,in:NeueBlätterfürTaubstummenbil dung.Nr.1+2.Oktober/November1950,S.31. 384

StAHbg,13111Personalamt,1203,AntragaufWiedergutmachungnationalsozialistischen Unrechts  für  die  im  Ausland  lebenden  Angehörigen  des  öffentlichen  Dienstes,  London 13.9.1951.

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Die staatliche Taubstummenschule

terrichteteinGeelong,Victoria,einem45MeilenvonMelbourneentfernt gelegenen Ort,viergehörloseKindernach derdeutschen,alsoderlaut sprachbezogenenMethode,diesiegelernthatteunddiesieindieLänder brachte,indiesieemigrierenmusste.385ImSommer1950unterrichteteDo rotheaElkanprivatanderdortigenTaubstummenschule.386 Nachdemsie 1951wiederzurücknachEnglandgezogenwar,reistesieviel,sowohlin EnglandalsauchinDeutschland.Am20.August1957kamsiewiederin ihrealteHeimatstadtHamburg.HiererhieltsievonderStadtimZugeder WiedergutmachungeinRuhegehalt.IhreUmzüge,ihrKampfumdenLe bensunterhalthattenKraftgekostetundsomusstesiesichamEndeihres Lebens  in  eine  „Heil  und  Pflegeanstalt  für  nerven  und  gemütskranke Frauen“aufdemLandbeiSchleswigbegeben.DorotheaElkan starbam 18.September1975,einenTagnachihrem80.Geburtstag. 4. 3. 3 A l fred Sc h ä r – e in p o l it i s ch v e r fo lg t e r Lehre r Als  Dorothea  Elkan  die  Hamburger  Taubstummenschule  1933  verlassen musste,unterrichtetedortnocheinweitererLehrer,dervondernationalso zialistischenLandesunterrichtsbehördemitMisstrauenbeobachtetwurde. DieserMannwarlängstetabliertesMitglieddesKollegiums,erentwickelte neue  Formen  des  Sprechunterrichts,  war  von  seinen  Kollegen  als  guter Lehrer  anerkannt  und  beeindruckte  später  die  Eltern  seiner  Schüler  mit VorträgenzurnationalsozialistischenWeltanschauung.Undtrotzdemmuss tedieserMannimKonzentrationslagerFuhlsbüttelsterben,weileralsSo zialdemokrateineanderepolitischeMeinunghatteunddamitderStaats feindschaftverdächtigtwurde. AlfredConradFriedrichSchär wurdeam5.August1887inHamburg alsSohneinesSchneidermeistersgeboren.387 ErbesuchtedieVolksschule und  im  Anschluss  daran  das  Seminar  für  Volksschullehrer  am  Stein hauerdamm.BereitsalsSeminaristundvorAblegungseinererstenLehrer 385

Elkan,Taubstummenbildung,S.29f.

386

 FritzSchmidt,DieStellungdesHandalphabetsunterdenSprachmittelnderGehörlosen schule,in:NeueBlätterfürTaubstummenbildung.Nr.9/10.Juni/Juli1950,S.287.

387 DieAngabenzuAlfredSchärundseinerArbeitwurden,wennnichtandersangegeben,sei nerPersonalakteentnommen(StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A879).DesWeite rendankeichbesondersErikaFinkfürihreBereitschaft,mirpersönlicheErinnerungenanih renVatermitzuteilen(Gesprächeam2.3.2001,14.6.2001und11.4.2002).

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prüfunghospitierteeranderHamburgerTaubstummenschule.Mitderso gewonnenenLehrerfahrungmitGehörlosenwurdeer,alsanderSchuleein neuerHilfslehrergesuchtwurde,dortzum1.April1908eingestellt.388Schär bildete  sich  konstant  weiter.  Er  belegte  Zusatzkurse  und  begleitete  die Schüler  im  Rahmen  eines  Schüleraustauschprogramms  nach  Frankreich. 1911bestanderdiezweiteLehrerprüfungundam15.Juni1912legteerin Hildesheim–HamburghattenochkeinePrüfungskommission–diePrü fungfürTaubstummenlehrerab.Am1.Oktober1912wurdeSchär verbe amtetundübernahmdiefesteStelledesinPensiongehendenEmilMöller (1854–1913)anderSchulederHamburgerTaubstummenanstalt.Erwurde Klassenlehrerfürdie13KinderderdrittenKlasse.389 Bei  einer  Inspektion  durch  den  Schulinspektor  wurden  zuerst  noch MängelamUnterrichtdesjungenLehrersfestgestellt.DieSchülersaßen nichtimKreis,sodasssieMundbewegungenderanderenKindernichtge nügendverfolgenkonnten.AmSachkundeunterricht–eswurde„derFuchs“ durchgenommen–wurdekritisiert,dassSchärnureinzelneSätzeerzähle ohnekausalenZusammenhangundohneaufdieEigentümlichkeitendie sesTiereseinzugehen.390 SchwerpunktdesUnterrichts,denSchäranderSchulevorfand,wardas Sprechen und derLautspracherwerb –auchinSachkunde.Hierfand er sichmitseinererlerntenUnterrichtsmethodeimKonsensmitderSchullei tung.AberesgabzudieserZeitdochStimmen,diefüreinenandersgestal tetenunddamitinihrenAugeneffektiverenSachkundeunterrichtplädier ten:EhemaligeSchüler,dieinzwischenimBerufslebenstanden,versuchten mehrfachanihreraltenSchuledurchzusetzen,dassSachunterrichtinGe bärdensprache  gehalten  werde.391 So  könnten  sich  die  Kinder  sehr  viel mehrWissenaneignen,MissverständnissevermiedenundVerständnisfra 388

ZumselbenDatumwurdeauchFritzSchmidtingleicherStellungeingestellt,derspäterdie KinderindieKinderlandverschickungbegleiteteundnachEndedesZweitenWeltkriegsDi rektorderHamburgerSchulewurde. 389

StAHbg,3612VOSBV,499b,Bl.36–39,ProtokolldererstenSitzungderKommissionzur PrüfungderVerhältnissederSchulederTaubstummenanstalt19.12.1912.

390

Ebd.,Bl.42–49,BerichtübereineRevisionderSchulederTaubstummenAnstaltvonSchul inspektorHansFricke16.1.1913.

391

DieGebärden,diedieLehrerimUnterrichteinsetzten,bliebennurHilfsmittelundsollten zumEndederSchulzeitnichtmehrverwendetwerden.AuchSchärkonntesichmitHilfeder GebärdemitGehörlosenunterhalten(GesprächmitErikaFinkam14.6.2001).

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genleichterbeantwortetwerden.DochdieSchulleitung,diediehörende Elternschafthintersichwusste,bestandnachjederdieserAnregungener neutaufderLautsprachmethode:DieGebärdensprachebliebvollständig ausgeklammert.ImGegenteil,HändevongebärdendenSchülernwurden alsStrafeumhülltoderzusammengebunden.392 Im  Unterricht  blieb  die  Gebärdensprache  der  Gehörlosen  verboten. Lieber  wurden  neue  akustische  Methoden  eingeführt,  neue  Hörrohre, HörschläucheundandereApparate.AuchSchär wareinAnhängerder apparatunterstützten  Lautsprachmethode.  Anfang  des  Jahres  1913  be gannerseinelangjährigeTätigkeitamPhonetischenLaboratorium.Hier wurdenineinerspeziellenAbteilungdieneuestenApparate,diederHör hilfedienten,getestetundverbessertsowiedieSprechweisegehörloser Menschenwissenschaftlichuntersucht.ZuBeginndesJahres1913machte SchärRöntgenaufnahmenvonGehörlosen,umsoihreArtikulationsweise darzustellen.HauptsächlichuntersuchteeraberimAuftragdesLaborato riumsleitersDr.GiulioPanconcelliCalzia(1878–1966)die„Vitalkraft“der SchüleranderTaubstummenanstalt–ermaßdieLungenkapazitätgehör loserKinder.SchärgelangtezudemSchluss,dassdieKinderinHamburg entgegen  der  Meinung  der  Taubstummenlehrer,  die  Atmung  würde durchdasÜbenderLautspracheverbessertwerden,ehereineschlechtere Atmunghättenalszuvor.ObwohlDirektorHeinrichSöder nichtbeson dersvielvonSchärsUntersuchungenhieltundmeinte,dasssoeinjunger Lehrer sich  eher in derLehrpraxis üben solle, weitete Schär seine For schungenimAuftragdesPhonetischenLaboratoriumsmitBilligungder Oberschulbehörde  auf  die  Taubstummenanstalten  in  Lübeck,  Ludwigs lust und Braunschweig  aus. Als Schär dort keine Verschlechterung der Atmung  feststellen  konnte,  führte  er  das  Hamburger  Ergebnis  auf  die Überanstrengung  der  Kinder  zurück  –  in  Hamburg  hatten  die  Schüler 30Wochenstunden  Unterricht,  in  Braunschweig  nur  18.  Der  Unterricht sollte  effektiver  mit  reduzierter  Stundenzahl  durchführbar  sein.  Diesen ErgebnissenmochtenOberschulbehördeundDirektorSöderjedochnicht zustimmen–schließlichseienHamburgerKinderGroßstadtkinder,diege

392 BerichtvonSchuldirektorHeinrichSöderinder1.BeilagezurNr.44der„Pädagogischen Reform“vom30.10.1912,in:StAHbg,35110ISozialbehördeI,AK61.11.

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nerelleineschlechtereGesundheithätten– undversagtenSchäreineAus weitungseinerForschungenaufdiesemGebiet.393

Abbildung 24: Alfred Schär als Soldat im Ersten Weltkrieg

VonJuni1915 bis Dezember1918warSchär–zuletzt alsLeutnantund Kompanieführer–Soldat.DiedortgemachtenErfahrungenließenihnzum Kriegsgegnerwerden.NachderRückkehrlegteerdieKriegsreifeprüfung abundschriebsichimNovember1919fürachtSemesteranderneuge gründetenHamburgischenUniversitätein. Schär,derseineSchülernachdersogenanntenLindnerschenSchreib LeseMethode  unterrichtete,  in  der  diverse  Apparate  zur  Veranschauli chung  von  Sprachbewegungen  zum  Einsatz  kamen,  forschte  auch  nach Kriegsende  neben  seiner  Unterrichtstätigkeit  am  Phonetischen  Laborato 393

StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A879,Bl.25f.:SöderanSchulratProf.Dr.Ahl burg23.8.1913,undBl.30:SöderanSchulratProf.Dr.Ahlburgam6.3.1914.

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rium.HierarbeiteteeranderVerbesserungderbestehendenGerätezum ErlernenderLautsprache.

Exkurs: Das Phonetische Laboratorium seit seiner Gründung 1910 DasPhonetischeLaboratoriumwar1910alsAbteilungdesSeminarsfür AfrikanischeSprachengegründetworden. 394 HierwurdenGesanglehrer genauso  fortgebildet  wie  interessierte  Sprachheillehrer  oder  angehende MissionareundKolonialbeamte.395 1919wurdedieEinrichtungvonder Universitätübernommenundzueinerselbstständigenwissenschaftlichen Einrichtung  der  Philosophischen  Fakultät,  seit  1960  unter  dem  Namen PhonetischesInstitut.Endeder1960erJahrewurdedasInstututinfolge derUmwandlungderFakultäteninFachbereichedemFachbereichSprach wissenschaftenzugeordnet.DieArbeitdesFachesPhonetikinHamburg orientiertesichvonAnbeginnandenSchwerpunktenSprachen 396 sowie DiagnostikundTherapievonSprechundSprachstörungen,alsoaufdie SonderpädagogischePhonetikhin.397SchonimErstenWeltkriegwareine Sprachstationgegründetworden,dieorganischeundfunktionelleSprach

394  ZumSeminarfürAfrikanischeSprachensieheHilkeMeyerBahlburg/EkkehardWolff, AfrikanischeSpracheninForschungundLehre–75JahreAfrikanistikinHamburg(1909– 1984)(HamburgerBeiträgezurWissenschaftsgeschichteBand1)Hamburg,Berlin1986;Lud wigGerhardt,DasSeminarfürAfrikanischeSprachen,in:Krause,Eckart/Huber,Ludwig/ Fischer,Holger(Hg.),Hochschulalltagim„DrittenReich“.DieHamburgerUniversität1933– 1945(HamburgerBeiträgezurWissenschaftsgeschichteBand3),Teil2,Hamburg,Berlin1991, S.827–843. 395

StAHbg,ZASA585PhonetischesLaboratorium,ErwinWaiblinger,UnserphonetischesLa boratorium,in:NeueHamburgerZeitungNr.536vom14.11.1911. 396

WährendderKolonialgedankenachdemErstenWeltkriegetwasmehrindenHintergrund trat,hießes1937wieder,dass„dieErforschungderafrikanischenSpracheneinesderhaupt sächlichenAnwendungsgebietederexperimentellenPhonetik“sei,um„dieVölkerunserer Kolonienverstehenzulernen“(StAHbg,ZASA585PhonetischesLaboratorium,OttovonEs sen,  Sprachen  werden  mit  Apparaten  studiert,  in:  Hamburger  Anzeiger  Nr.  247  vom 22.10.1937).

397

JoachimM.H.Neppert,PhonetikverlierteinenweiterenfachlichenSproß,in:Unihh,Nr.3 (Juli1994)S.38.

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störungenvonSoldatenuntersuchensollte.398 DieseStationwurdespäter zueineramtlichenStimmundSprechberatungsstelleerweitert.Hamburg hatte  mit seinem  Phonetischen Laboratorium rasch Ansehen  im In und Auslandgefunden,undsofandauchderersteinternationaleKongressfür experimentellePhonetikimApril1914inHamburgstatt.399 GiulioPanconcelliCalziawarseit1910AssistentamPhonetischenLabo ratoriumundwurde1919dessenLeiter.1921/22wurdeerzumProfessor fürPhonetikundzumDirektordesLaboratoriumsernannt,dererbis1949 blieb.UnterihmwardiePhonetikeinreinexperimentellesFach,400under waresauch,derLehrerinnenundLehrerderTaubstummenanstaltundder SchwerhörigenschuleindasLaboratoriumholte,401umdieunterrichtsprak tischeKomponenteseinerForschungennichtausdenAugenzuverlieren. 1913begannunterLeitungGiulioPanconcelliCalziaseinegemeinsameAr beitsgruppevonLehrkräftenderSchwerhörigenundderTaubstummen schulemitForschungenüberdieSprechweisevonGehörlosen.402 DurchdenBeginndesErstenWeltkriegesruhtendieArbeitenderLehr kräfteamPhonetischenLaboratoriumundwurdenerst1920wiederauf genommen:KätheLambert führteAtmungsuntersuchungendurch,eine Arbeitsgruppe  um  Alwin  Heinrichsdorff (von  1922  bis  1924  Leiter  der Taubstummenschule),DoraHarnack,DoraAhlers,PaulJankowski(Schul leitervon1930bis1945),FritzSchmidt(Schulleitervon1945bis1957)und 398

FriedrichHartmann,derab1933SchulleiterderSchwerhörigenschulewurde,unterrichtete dieimErstenWeltkriegertaubtenSoldaten(StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A452, Bl.45).

399

StAHbg,ZASA585PhonetischesLaboratorium,AusdemPhonetischenLaboratoriumdes SeminarsfürKolonialspracheninHamburg,in:HamburgerFremdenblattNr.92am21.4.1914.

400  Esgabschon1914allerleiApparate,diederErforschungderSprachedienensollten,so nutzte  man  Röntgenstrahlen  zur  Durchleuchtung  des  Kehlkopfes,  „Kymographione“  zur NachweisungvonKehlkopfschwingungenund„Stimmübertragungsapparate“,dieSchwin gungenderStimmeaufzuzeichnenvermochten(StAHbg,ZASA585PhonetischesLaborato rium,HamburgerFremdenblattNr.92vom21.4.1914). 401

Sountersuchte1922dieGesangspädagoginClaraHoffmanninZusammenarbeitmitdem PhonetischenLaboratorium,obesmöglichsei,SchwerhörigenGesangsunterrichtzuerteilen. DaspositiveErgebnisführtezurEinführungvonMusikunterrichtinderSchwerhörigenschule (StAHbg,6221FamilieLandahl,46,ManuskriptzurAnspracheanläßlichdes50jährigenBe stehensderHamburgerSonderschulefürSchwerhörigeam11.3.1961,Bl.8).

402

AngabenüberdieArbeitvonHamburgerTaubstummenlehrernamInstitut:GiulioPancon celliCalzia,UeberdieBedeutungdesPhonetischenLaboratoriumszuHamburginderEnt wicklungdesBildungswesensfürTaubstummeundSchwerhörige,in:Festgabe1927,o.P.

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AlfredSchär untersuchtebis1921dasAblesendergesprochenenSprache von  den  Lippen  mit  Hilfe  von  Filmaufnahmen.  Eine  erweiterte Arbeits gruppestellte1922ihreForschungsergebnisseüberdieMöglichkeit,Sprache inihrerKlangfarbe,Dauer,StärkeundHöhedurchdenTastsinnfestzustel len,vor.Schär,derinfastallenArbeitsgruppenmitarbeiteteundvonPan concelliCalziasehrgeschätztundgefördertwurde,übernahmaußerdem UntersuchungenüberdieFrage,obderRundfunkfürgehörlosenpädagogi scheZweckeeinsetzbarsei–seinediesverneinendenErgebnissestellteer 1925vor.WeitereUntersuchungenbetrafendenWertvonPhonogrammen oderdieMonotonieinderSprachederGehörlosen.403 AmLaboratoriumtätigwarauchderjungeSprachheillehrerAdolfLam beck(1887–1952).404Lambecksolltevon1935bis1950diezweiteHambur gerSprachheilschuleleiten,dienachdemZweitenWeltkriegmitderGe hörlosenschuleimselben Gebäude in der Karolinenstraße untergebracht war.1945,bevorderneueSchulleiterFritzSchmidt mitdenKindernaus derKinderlandverschickungzurückkehrte,leiteteLambeckdaherauchdie Gehörlosenschule.  Er  war  einer  der  einflussreichen  Pädagogen,  die  sich von  der  „nationalen Aufbruchsstimmung“  des  „Dritten  Reiches“  hatten mitreißenlassen.Soforderteer–ganzimSinnedesnationalsozialistischen Erbgesundheitsgesetzes–dieSterilisationvon„Erbkranken“.Erhattever schiedenepolitischeÄmterinne,unteranderemwarerGaufachschaftslei ter derNSDAP imBereich Sonderschulen imGauamt für Erzieher des NationalsozialistischenLehrerbundes undsomitauchfürdieTaubstum menschule  der  zugleich  professionelle  und  politische  Ansprechpartner. Lambeck gründete1934dieFachzeitschrift„DiedeutscheSonderschule“, diealsZielhatte,dienationalsozialistischeWeltanschauunginderSonder schularbeitzuverankernunddiesauchdurchspezielleSchulungenund Fortbildungsveranstaltungen  für  Lehrkräfte  zu  erreichen  versuchte.  Die Zeitungsollteder„volksbiologischen,bevölkerungspolitischenundrassen hygienen Aufgabe  der  Sonderschulen  und  deren  Mitwirkpflicht  an  der DurchführungdesGesetzeszurVerhütungerbkrankenNachwuchses“die nen.405Mitteder1920erJahrehatteernochseinesprachheilkundlichenUn tersuchungenamPhonetischenLaboratoriumunddamitmitderfachwis 403

Ebd.

404

ZuLambecksiehedessenVeröffentlichungenimAnhangsowieIngeK.KrämerKiliç:Adolf Lambeck–einstrammerNaziundverdienterLeitereinerHamburgerSprachheilschulebis 1950?In:Behindertenpädagogik39(2000),S.421–442.

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senschaftlichen Arbeit  unter  humanistischen  Gesichtspunkten  begonnen. EruntersuchtestotterndeKinderunddrehteFilmevonsprachbehinderten, gehörlosenundschwerhörigenKindernimVergleichmitHilfs,Volksund Realgymnasiumsschülern,dieerbeiKasperlevorführungenmitderKame rabeobachtete.SeineErgebnissewurden1927veröffentlicht. DasPhonetischeLaboratoriumwarinden1920erbis1940erJahrenTrä gerdesAufbaustudiumsderHörundSprachbehindertenlehrkräfteund auchspäterwaresanderAusbildungvonSonderpädagogenderFachrich tungen  Gehörlosen,  Schwerhörigen,  und  Sprachbehindertenpädagogik beteiligt.1994wurdederBereichdersonderpädagogischanwendungsori entiertenPädagogikausdemInstitutderallgemeinenPhonetikherausge löst  und  dem  Institut  für  Behindertenpädagogik  am  Fachbereich  Erzie hungswissenschaft  zugeordnet.406 2001  wurde  das  Institut  für  Phonetik, AllgemeineSprachwissenschaftundIndogermanistikmitderSprachlehr forschungdesaufgelösten ZentralenFremdspracheninstitutsals„Institut fürAllgemeineundAngewandteSprachwissenschaft,AbteilungfürPhone tik, Allgemeine  Sprachwissenschaft  und  Indogermanistik“  zusammenge fasst.ȱSeineGerätesammlungwurdezuBeginndesJahres2006andieTech nischeUniversitätDresdenabgegeben.407 * AnfangsbliebdasKollegiumderGehörlosenschule Schärswissenschaftli chenUntersuchungengegenübereherskeptisch.408 1921,alsderDirektor desPhonetischenLaboratoriumseinenAssistentenfürneueUntersuchun genüberdieFrage,inwieweitdasGefühlfürdieWahrnehmungvonStim menschwingungeninBetrachtkäme,suchte,schlugdasLehrerkollegium vonsichausAlfredSchärvor.ErwurdedannfürdieTätigkeitinder„Ex perimentellenPhonetik“zunächstaufsiebenMonatevonderLehrtätigkeit

405

KarlTornow,GeschichtederZeitschrift„DiedeutscheSonderschule“,in:DiedeutscheSon derschule1937,Nr.6,S.436–438. 406

Neppert,Phonetik.

407

 Klaus  Mauersberger,  Dresdner  retten  Hamburger  Sammlung,  in:  Dresdner  Universi tätsJournal“vom20.6.2006.

408

 Soschickte dasKollegiumandereLehrkräftezuVersammlungendesBundesdeutscher TaubstummenlehrerodernachLeipzig,umdievonSchärbevorzugteLindnerscheSchreib LeseMethodevorOrtzustudieren.

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befreit.409EinGrunddafürwarsicherauchdiepositiveMeinung,dieEltern und Elternrat überdieGrundlagenforschung hatten.Siewünschten sich durch  modernere Apparate  eine  Verbesserung  der  Sprechfähigkeit  ihrer Kinder.Dahersetztensiesichdafürein,dassSchärauchweiterhindurch ForschungderPraxisdienenkonnte.410Ab2.Oktober1922wurdeerbisauf weiteres,  also unbefristet,  beurlaubt,  um  am  Phonetischen  Laboratorium arbeitenzukönnen.

Abbildung 25: Schulklasse mit Lehrerin Dora Harnack, 1922

SchärsahseineLehrerkollegenkritisch.Erbemängelte,dassdieKräfteder TaubstummenlehrerallzusehrvondenewigenStreitereienzwischenLaut 409

WeitereAngabenvonSchärüberdieExperimentellePhonetikin:StAHbg,3613Schulwe senPersonalakten,A879,Schär,PhonetischesLaboratorium,andieOSB23.9.1921.

410

Am17.9.1921fandeinVortragmitanschließenderDiskussionimPhonetischenLaborato riumstatt,andemvieleElternteilnahmenundsichvonderArbeitamLaborüberzeugenlie ßen,ebd.Bl.52:Notiz17.9.1921undBl.50:HeinrichMutzimAuftragdesElternratesandie OSB26.11.1921.

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undGebärdensprachvertreternaufgezehrtwürdenundsodieGrundlagen forschungschonbeinahetraditionellvernachlässigtwerde.SowürdenHil fenundAnschauungsmittelüberdieBildungderSprachlaute,Atembewe gungen,derganzeUnterrichtinArtikulationundmechanischemSprechen nochimmermitveraltetenGerätenundnachveraltetenMethodengelehrt. DieexperimentellePhonetik,andererarbeite,seiaufdenTaubstummen unterrichtausgerichtetundsomitkeinereintheoretischeWissenschaft.Im Gegenteil:Sieseidazuda,wissenschaftlichgesicherteUnterlagenfürden ArtikulationsunterrichtzuschaffenundAnschauungsmittelfürdenersten Sprechunterrichtzuentwickeln.411 Schärs GrundlagenforschungamPhonetischenLaboratoriumhattedie Erneuerung  des  schulischen  Artikulationsunterrichts  zum  Ziel.  Alle  Un tersuchungs  und  Aufnahmeapparate  des  Laboratoriums  sollten  in  An schauungsmittelfürdenSprechunterrichtumgewandeltwerden.Diedamals neuesteTechnikwurdevondenMitarbeiterndesLaboratoriumsherangezo gen:„Phonogramme“und„Kinematographen“,umdieAblesemöglichkei tenzukontrollieren,„Atmungsspiegel“fürdieBewegungderAtmungsmus kulatur,  das  „Trommelphonoskop“  für  das  Erkennen  von  Stimmhaftigkeit bzw.  Stimmlosigkeit,  das  „Strobilion“  für  verschiedene Tonhöhen.  Das letztgenannteGerätwurdeimPhonetischenLaboratoriumzueinerunge wöhnlichenFarborgelausgebaut,dieGasflammenunterverschiedenstar kenDrucksetzteunddamitLauteveranschaulichte.DaserhoffteErgebnis sollte  im Unterricht der  Monotonie  im  Sprechen  der  Gehörlosen  begeg nen.412 SchärveröffentlichteüberseineUntersuchungendiverseArtikelin Fachzeitschriften.Erst1925warerwiederanderTaubstummenschuleals Lehrertätig.413 AlfredSchärhatte1918dieostpreußischeGutsbesitzerstochterAntonie Ludwig(1894–1965)geheiratet.DemEhepaarwurden1919dieTochterEri kaund1920derSohnDietergeboren.1927/28bautesichdieFamilieein Haus  in  HamburgVolksdorf.  Die  daraus  resultierenden  finanziellen SchwierigkeitensolltendurchUntervermietungvonZimmernaufgefangen werden.DiesjedochunddieTatsache,dassSchärvonEnde1922(bzw.An 411

Ebd.,Bl.46:SchärandieOSB23.9.1921.

412

Ebd.,SchärandieOSB23.9.1921.

413

Ebd.,Bl.64:KrankmeldungderSchule,während1923dieKrankenmeldungnochvomLa boratoriumandieOSBgeschicktwurde(Bl.62).

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Die staatliche Taubstummenschule

fang1923)bisApril1932derSPDangehörthatteundzuBeginnder1930er JahredieSPDinderVolksdorferGemeindeversammlungvertrat,414machte ihnindenAugensomanchesNationalsozialisten„kommunistischerUm triebe“verdächtig.Konkrethießdas,dassSchärundseindieandereHälfte des  Doppelhauses  bewohnender  Nachbar, ebenfalls Lehrer und  ehemals mit  einer  Jüdin  verheiratet,  spätestens  seit  1934  der  „Staatsschädigung“ verdächtigtwurden.415DerGrundwar,dassmisstrauischeNSDAPMitglie derbeobachtethatten,dassSchärnochnachEintretenderDunkelheitBe suchvon„mitRucksackbewaffnetenRadfahrern“bekamundseineFenster mitVorhängenverhängtwaren.AusdiesenBeobachtungenschlossensie auf  kommunistische  Versammlungen.416 Die  NSDAP  nahm  Schär daher weiter„unterdieLupe“underfuhrso,dassersichanscheinendstetsher absetzendüberdieStaatsparteiäußerteunddesWeiterenPapierverbren ne,vondemdiePolizeibehördevermutete,esseisicherlich„kommunisti sches  Propagandamaterial“.417 Doch  eine Hausdurchsuchung am 13. Au gust1934ergabnichtsBelastendes. Schärgaban,seineFamiliebekommevielBesuch,dasiezuderZeitfünf meiststudentischeUntermieter habe,einerderStudenten entwickeleim KellerfotografischeAufnahmen–tatsächlichhatteSchärdorteineigenes kleinesFotolabor418–undbeidenPapierverbrennungenimHofhandelees sich  einfach  um Altpapier.  Er  habe  sich  seit  der  „nationalen  Erhebung“ nichtmehrpolitischbetätigt.419 Doch es  blieb  nicht bei  der einen  Hausdurchsuchung. Immerhin  war SchäreinMann,dergerne„großeReden“schwangunddabeinichtimmer diplomatischvorging.DerKriegsgegnerSchärwardavonüberzeugt,dass 414

Ebd,Bl.93:RückseitedesFragebogenszurDurchführungdes„GesetzeszurWiederherstel lungdesBerufsbeamtentums“;AngabevonDr.HolgerMartenslautVerhörProtokollvom 11.2.1937;  Anträge  von  „Schär  und  Genossen“  in  der  Gemeindeversammlung:  StA  Hbg, 4161/1LandherrenschaftenHauptregistratur,XXVIIB426Band7,ProtokollderGemeinde vertretersitzungz.B.vom11.3.1931und11.2.1932. 415

SieheauchStAHbg,13111Personalamt,1494.

416

StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A879,AbschriftFerdinandNatskov,Ortsgrup penleiterderNSDAPVolksdorf,andieStaatspolizei9.8.1934. 417

Ebd.,AbschriftdesBerichtsvonHartmann,PolizeipostenVolksdorf,andiePolizeibehörde 11.8.1934.

418

SchreibenvonErikaFinkvom15.8.2001.

419

StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A879,AbschriftderAussageSchärsausdemTa gebuchderStaatspolizei13.8.1934.

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derWegHitlersnurimKriegendenkönne.420SchonimAugustdesfolgen denJahresgingenMeldungenverschiedenerNSDAPParteimitgliederbei derLandesunterrichtsbehördeundbeimNationalsozialistischenLehrerbund ein,dieAlfredSchär denunzierten.Sowurdedavonberichtet,Schärhabe bereits1934jüdischeKinderfüreineZeitinPensiongehabt(eswarenKin derausderVorschulevonCläreLehmann,anderSchärsEhefrauvon1930 bis1934tätigwar)421und1935TeileseinesHausesaneinejüdischeFamilie untervermietet. Es wurde als „starke Zumutung“ dargestellt, dass Schär „ausgerechnet“einejüdischeFamilieaufnehmenmussteundanscheinend keinenAnstoßdarannehme,„mitJudenunmittelbareHausgemeinschaft zupflegen“.Manhieltesfür„höchstbedenklich“,dasseinsolcher„Volks genosse“deutscheKindererziehe.Sowurdebeiihmeine„demStaatevoll ständiggleichgültiggegenüberstehendeHaltung“diagnostiziertundvor geschlagen,Schär strafweiseaneineandereSchulezuversetzen.422 Nach barnmokiertensich,dasses„unmöglichsei,dasseinLehrer,derseinBrot beimnationalsozialistischenStaatverdient,eineJudenfamilieaufnehmen kann,[...]umsomehr,daHerrSchärvor1933alsMitgliedderSPDauch dem  Volksdorfer  Gemeinderat  angehörte“.423 Die  Nachbarn  in  Volksdorf beraumteneineöffentlicheKundgebungein,aufdenenunteranderemeine RedeüberdasThema„DerJudealsFeindderVolksgemeinschaft“gehalten undSchärheftigangegriffenwurde.424 DieVolksdorferwarenallgemein sehreifrig,gegenSchär„mitallerSchärfe“vorzugehen,der„allenBestre 420

 GesprächmitErikaFinkam14.6.2001inHamburg.DiedarausresultierendenBeschimp fungendurchNachbarn(„wennSieimKZwären,würdeichIhnendieHammelbeinelang ziehn“)sindSchärsTochternochheutepräsent.

421

 StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A879,SchärandieLandesunterrichtsbehörde 27.8.1935.CläreLehmann(1874–1942)leiteteseit1917einegemischteprivateVorschuleinih remHausHeilwigstraße46,die1932116KinderalsVorbereitungfürdieSextaderhöheren Schulenunterrichtete.AlsJüdindurftesieallerdingsbaldnurnochjüdischeKinderunterrich ten,ihreSchulewurde1937zueinerjüdischenGrundschule.1939wurdedieSchulegeschlos sen(StAHbg,3612IIOSBII,B192Nr.1undNr.5).CläreLehmannnahmsich,alsdieDepor  tationbevorstand,am6.1.1942zusammenmitihrerSchwesterdasLeben. 422

 StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A879,H.Millahn,stellvertretenderOrtsgrup penleiter  der  NSDAP  Volksdorf  an  Karl  Witt,  Präsident  der  Landesunterrichtsbehörde, 13.8.1935.

423  Ebd.,BriefeinesNachbarnanAugustKaphengst,KreisamtsleiterdesNationalsozialisti schenLehrerbundes(NSLB)Walddörfer,11.7.1935. 424 Ebd.,OttoGrefe,OrtsgruppenleiterNSLBVolksdorf,anWilhelmGrubert,Kreisamtsleiter NSLBHamburgLandherren,16.8.1935.

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bungenvonParteiundStaatinunerhörterWeiseHohnspricht“. 425 Sogar dieTatsache,dasszweiNachbarn,jüdischeÄrzte,ihreAutosvorseinem Hausabgestellthatten,wurdeihmangelastet.426 AlfredSchär erhielteine Vorladung  vor  der  Landesunterrichtsbehörde,  wo  ihm  deutlich  gemacht wurde,dasser,wennernocheinmalauffälligwerdenwürde,„nichtsoein fachdavonkommenwürde“..427

Abbildung 26: Familie Schär auf der Terrasse ihres Volksdorfer Hauses, circa 1928

SolltendieNachbarndochetwasgeahnthaben?Tatsächlichstecktemehr hinter  all  diesen Anfeindungen  über  die  „staatsfeindliche“  Haltung  des Lehrers.AlfredSchärgehörtedemsozialistischenHamburgerWiderstand 425  Ebd.,  Grubert,  Kreisamtsleiter  NSLB,  an  die  Gauamtsleitung  des  Amtes  für  Erzieher 21.8.1935. 426

Ebd.

427

Ebd.,OberschulratAlbertMansfeldandieOrtsgruppeWalddörferVolksdorfderNSDAP undandenSchulleiterderTaubstummenanstalt,Jankowski,6.9.1935.

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gegendieNationalsozialistenan.Schär,dervor1933politischinderSPD organisiertwar,beteiligtesichnachdernationalsozialistischenMachtüber tragungandenillegalenAktionendesverbotenenInternationalenSozialis tischenKampfbundes(ISK).DieserwarimDezember1925vonAnhängern des  den  linken Flügel  der  SPD  unterstützenden  Internationalen  Jugend bundes(IJB)gegründetworden,diekurzzuvorvonderSPDhörenmuss ten,dasseineMitgliedschaftimIJBundzugleichderSPDnichtvereinbar sei.DerISKwareineselbstständigePartei,diefürihrZiel,die„Verwirkli chungderausbeutungsfreienGesellschaft“kämpfte.428 NachdemVerbot desISKarbeitetenderenMitgliederillegalinOrtsgruppen,diesich„Unab hängigeSozialistischeGewerkschaftsGruppen“nannten,weiter.DerISK sahsichselbstalsaktive,aberelitäreWiderstandsgruppean,dieihreMit gliederauchfürdenEinsatzineinernachnationalsozialistischenRegierung ausbildeten.WährendVoruntersuchungenzueinemProzessamHanseati schenOberlandesgerichtgegenMitgliederdesKampfbundes,dem„Prozeß Kalbitzer undGenossen“,429 fürdendieillegalenTätigkeitendesISKvon Ende1933bisEnde1936dokumentiertwurden–politischeSchulungen, Flugblätterherstellung,WerbungvonMitgliedern„ohneRücksichtaufPar teizugehörigkeit“–erfasstedieBeobachtungauchden„ISKFunktionär“ AlfredSchär.430 EinandererHamburger„ISKFunktionär“warder1933 428

 UrselHochmuth/GertrudMeyer,StreiflichterausdemHamburgerWiderstand1933–45, FrankfurtamMain1969,S.144.DerISKhattedieGefahrdesFaschismuskommensehenund imJuli1932zueinemZusammengehenvonSPDundKPDfürdienächsteWahlaufgerufen. ZumHamburgerISKsieheauchAndreasKlaus,GewaltundWiderstandinHamburgNord währendderNSZeit,Hamburg1986,S.89–94;WalterTormin,VerfolgungundWiderstand vonHamburgerSozialdemokratinnenundSozialdemokraten1933–1945,in:SPDLandesorga nisationHamburg(Hg.),FürFreiheitundDemokratie.HamburgerSozialdemokratinnenund SozialdemokrateninVerfolgungundWiderstand1933–1945,Hamburg2003,S.10–22.Zum ISKallgemeinsieheWernerLink,DieGeschichtedesInternationalenJugendBundes(IJB)und desInternationalenSozialistischenKampfBundes(ISK).EinBeitragzurGeschichtederArbei terbewegunginderWeimarerRepublikund imDrittenReich,MeisenheimamGlan1964. HierwirdSchärineinerFußnoteaufS.215erwähnt.

429

HellmutKalbitzer(1913–2006),1945MitbegründerderSPDundderGewerkschaftinHam burg).DasUrteilgegendieAngeklagten,dasimam13.2.1937stattfindendenProzessverkün detwurde,lauteteaufGefängnis,bzw.ZuchthauszubiszuzweiJahren(Hochmuth/Meyer, S.150).Vgl.HellmutKalbitzer,WiderstehenoderMitmachen.EigensinnigeAnsichtenund sehrpersönlicheErinnerungen,Hamburg1987.

430

Hochmuth/Meyer,S.149.AuchdasGedenkbuchfürdieOpferdesKonzentrationslagers FuhlsbüttelverzeichnetSchär–fälschlicherweiseunterdemNamenAlfonsFriedrichSchär– als politischen Gefangenen, der  dem  ISK  und somit dem organisierten antifaschistischen

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entlasseneLehrerCurtBär (1901–1981),dersichinseinenMemoirenan AlfredSchärerinnert.431SchärwaranwirtschaftspolitischenFrageninteres siertundengagiertesichinden1920erJahreninderBodenreformBewe gung,überdieerauchüberKontakteinHolland,EnglandundDänemark verfügte.432SchärinitiiertedieimSinnederfreiheitlichenJugendbewegung gestalteteundnachgenossenschaftlichenPrinzipienorganisiertebodenre formerische Nachbarschaftssiedlung Buchenkamp in  HamburgVolksdorf undgaltdortals„PragmatikerundOrganisator“derGemeinschaft.433Man hatte  im  fast  ländlichen  Gebiet  gemeinsam  Häuser  gebaut,  feierte  und diskutiertegemeinsam,hatteeinengemeinsamenSpielplatz,einengemein schaftlichenBrunnenundeineebensogemeinschaftlicheAbwasserentsor gung.4341932verfassteSchäreineStudie,indererdieGrundstücksverkäufe desSenatskritisierte.435 SeinInteresseanderTheoriederfreiensozialisti schenMarktwirtschaftführteihndannzuKontaktenmitdemISK.Gemein sammitCurtBärschrieberkritischeWirtschaftsartikelfürdieISKZeitung „DerFunke“.436ErleiteteaußerdemeinenwirtschaftspolitischenArbeitskreis vonMitgliedernundFreundendesISK,derinderillegalenZeitnach 1933 alsmonatlicherInformationstreffgenutztwurde.437HamburgwarEndeder WeimarerRepublikmitbiszudreißigMitgliederneineHochburgdesISK. Widerstandangehörte(KZGedenkstätteNeuengamme[Hg.],GedenkbuchKolaFu.Fürdie Opfer  aus  dem  Konzentrationslager,  Gestapogefängnis  und  KZAußenlager  Fuhlsbüttel, Hamburg1987,S.36f.). 431 CurtBär,VonGöttingenüberOslebnachGodesberg.PolitischeErinnerungeneinesHam burgerPädagogen1919–1945,2.ergänzteAuflage,Hamburg1981,S.56–57,S.84undS.104. 432

Ebd.undGesprächmitErikaFinkam14.6.2001inHamburg.

433

StAHbg,13111Personalamt,1494,HelmutHertlinganWiedergutmachungsausschussam 30.9.1951,Bl3;LeserbriefvonProf.JürgenMoltmannin:MarktWalddörfer,Alstertal,Meien dorfNr.34(2006),S.2.DiefreideutscheJugendbewegungtrafsich1913aufdemhohenMeiß nerbeiKassel,wodiesogenannteMeißnerFormelentstand:„DieFreideutscheJugendwill auseigenerBestimmung,voreigenerVerantwortung,mitinnererWahrhaftigkeitihrLeben gestalten.“DasVerbindendeinderJugendbewegungwareingemeinsamesLebensgefühlund einegemeinsamegeistigeHaltung (FritzBorinski,WernerMilch,Jugendbewegung.DieGe schichtederdeutschenJugendbewegung1896–1933,FrankfurtamMain1982,S.35). 434

 Ursula  Pietsch, Vortrag in  der  Außenstelle  Torhaus  der  Gedenkstätte  Fuhlsbüttel  am 28.2.2006. 435

Ende1932veröffentlichteSchäreinekritischeAnalysemitdemTitel„DieGrundstückspoli tikderFreienundHansestadtHamburgseit1924“. 436

Bär,S.56.

437

Ebd.,S.57und84.

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ImSeptember1934wurdedievegetarischeGaststätteüberdenAlsterarka den–dasHamburgerRathausmitseinernationalsozialistischenRegierung stetsimBlick–vonISKMitgliedernzumBroterwerbsowiealskonspirativer Treffpunkteröffnet.438HierhingingauchAlfredSchärzuVersammlungen. DochnochwardieseTätigkeitSchärsnichtnachaußengedrungen,noch gingSchärinderÖffentlichkeitseinerTätigkeitanderGehörlosenschule nach.UndinseinemEngagementgingersogarüberdasUnterrichtenhin aus.Er,dersichimmerfürseinegehörlosenSchülereingesetzthatte,wur de  seit  September  1934  als  Dolmetscher  vor  das  Erbgesundheitsgericht vorgeladen.EsgingumdiepersönlicheVernehmungvonErbkrankenim Sinnedes„GesetzeszurVerhütungerbkrankenNachwuchses“(GzVeN),439 was  für  die  Betroffenen  bei  Feststellung  eines  angeblich  angeborenen HörschadensmeistZwangssterilisationbedeutete.DerDolmetscherwur deaufgefordert,alleihmbekanntentaubenBlutsverwandtenzunennen. EswurdevonSeitendesGerichtsdieTaubstummenanstaltdaraufhinge wiesen,alsDolmetscherstetseinenLehrerzunehmen,derauchmitden FamilienverhältnissendesVorgeladenenvertrautwar.440 Insgesamt23mal mussteSchärvorGerichtalsDolmetscherfürGehörloseerscheinen–auch fürseineehemaligenSchüler.UmfürdieAkzeptanzdesGesetzesinder betroffenenBevölkerungzusorgen,wurdenzudemvorElterngehörloser KindergezieltVorträgeüberSinnundNutzendesGzVeNgehalten:so auchvomLehrerihrerKinder,AlfredSchär,aufElternabendenderGe hörlosenschuleam4.Dezember1934441undam21.Februar1935.442 Schärschiensich–zumindestwurdeesvonaußensowahrgenommen– mitdenpolitischenVerhältnissenzuarrangieren.AnderSchulehatteer einedurchausangesehenePositionerlangt,erwaraußerdemMitgliedim 438

 KarlDitt,SozialdemokratenimWiderstand.HamburginderAnfangsphasedesDritten Reiches,Hamburg1984,S.95–99. 439

StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A879,Bl.94:ErbgesundheitsgerichtanLandes unterrichtsbehörde1.9.1934mitAntwort6.9.1934.

440

Ebd.,Bl.95:ErbgesundheitsgerichtanLandesunterrichtsbehörde24.9.1934.

441

StAHbg,35110ISozialbehördeI,AK61.11,Einladung26.11.1934undStAHbg,3612V OSB  V,  499  a  Band  2,  Zeitungsausschnitt  „Aus  der  Hamburgischen  Taubstummenschule“ HamburgerAnzeigerNr.284vom5.12.1934.

442

 Archiv des Allgemeinen  Gehörlosen  UnterstützungsVereins,  Hefter  mit  Protokollen  der AmtswalterSitzungenderOrtsgruppeHamburgdesReichsverbandsderGehörlosenDeutsch landse.V.,Protokollder2.Sitzungam31.1.1935,Punkt7.

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„ArbeitskreisderLehrerandenSchulenfürGehörundSprachgeschädigte“ geworden,der1935unterLeitungAdolfLambecks eine neuePrüfungs ordnung  für  Taubstummen,  Schwerhörigen  und  Sprachheillehrer  ent warf.443KünftigwarSchäralsPrüferfürdasFachTaubstummenkundevor gesehen.444 DochwardieRuhetrügerisch.ImJuli1936beantragteAlfredSchär,des senInteressefürWirtschaftsfragenihnschonindieISKgeführthatte,beider Landesunterrichtsbehörde,zueinerKonferenzüber„Grundwertbesteuerung undFreihandel“nachLondonfahrenzudürfen.OberschulratAlbertMans feld(1901–1995),dersichschon1935mitVorwürfengegenSchärbefassthat te,lehntedessenAntragab,weilerihn„nichtfüreinengeeignetenVertreter deutscherBelangeimAusland“hielt.445 DaraufhinbatSchärdieLandesun terrichtsbehördeumErlaubnis,seinenalsVortraggeplantenKonferenzbei tragineinerenglischenFachzeitschriftveröffentlichenzudürfen.Dochnoch währendinderBehördedarüberBeratungenliefen,wurdeSchärzum11.Fe bruar1937vonderGeheimenStaatspolizei(Gestapo)zueinerVernehmung geladen.ImAnschlussanseineVernehmungwurdeSchärin„Schutzhaft“ genommenundamfolgendenTagindasKonzentrationslagerFuhlsbüttel gebracht.DieAnklagelauteteaufBeihilfezumHochverrat.446 CurtBärschriebspäterinseinenMemoiren,dasserwährendeinerVer nehmungdurchdieGestapodieFrageverneinte,obHellmutKalbitzerille galtätigsei,abervondessenTeilnahmeanSchärsWirtschaftStudienkreis 443

ErwarebenfallsimAusschussdesHeilpädagogischenVereinstätig,dersichfürdieBelan gederGehörlosenwieauchfürdieRegelungderTaubstummenlehrerausbildungeinsetzte. AuchwurdeSchär1936vonderFachgruppefürTaubstummen,SchwerhörigenundSprach heillehrerdesNSLB,GauHamburg,beauftragt,Literaturüberdiedamalsdiskutierte„Metho dederHörerweckung“nachdemBudapesterPädagogenGustavBarczizusammelnundlau fenddarüberzuberichten(StAHbg,3612VIOSBVI,709,Bl.4ff.).

444 StAHbg,3612VIOSBVI,1730,Bl.20:DurchführungderPrüfungfürLehreranTaubstum men,SchwerhörigenundSprachheilschulen,AnlagezumSchreibenKarlWitt,Präsidentder Landesunterrichtsbehörde,andenReichsundPreußischenMinisterfürWissenschaft,Erzie hungundVolksbildung9.9.1936. 445

 StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A879,VermerkvonMansfeld6.8.1936.Albert MansfeldwarnichtnurOberschulratfürdasVolksschulwesen,erwarauchalsGauhauptstel lenleiterimGauamtfürErzieherimNSLBzuständigfürOrganisationundPersonal(Hambur gischesLehrerverzeichnis1938–1939,S.202).

446

StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A879,VermerkeinerMitteilungderGeheimen StaatspolizeianOberschulratMansfeld9.2.1937undVermerk vonKunstmann,Mitarbeiter derSchulbehörde,12.2.1937.

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erzählte,  in  dem  Glauben,  dass  dieses  unverdächtig  sei.  Damit  aber,  so meinteBärspäter,„habeichleiderungeschickterweisezweiRandpersonen derillegalenISKArbeitinsSchußfeldderGestapogebracht:AlfredSchär wurdeinHaftgenommen;wahrscheinlichlagausseinenvielfältigenan derweitigenVerbindungenschonetwasBelastendesgegenihnvor“.447Tat sächlichhatteeinandererMitarbeiterdesISKimMai1936einGeständnis überdieTätigkeitdesISKabgelegtundsoeinereichsweiteVerhaftungsak tionausgelöst,diebiszumHerbst1937andauerte.448 LautMitteilungderGestaposollsichAlfredSchärzweiTagenachseiner VerhaftungundeinenTag,nachdemernachFuhlsbüttelgebrachtworden war,am13.Februar1937morgenszwischeneinundzweiUhrinseiner Zelleerhängthaben.449 SeineLeichedurftevonseinerFamilienichtmehr gesehen  werden,  die  Feststellung  der Todesursache durch den Hausarzt wurdenichtgestattet.ZuSchärsBestattungkamensovieleMenschenin dasKrematorium,dassdieSicherheitsbeamtendengrößtenSaalzurVerfü gungstellenmussten.RedenunddasZeigenvonFahnenjeglicherArtwur deverboten,dieKondolenzlistendurchdieGestapoeinbehalten.ZuHause inVolksdorfhattedieTochterdasGefühl,dasskaumjemandmitderFami lieredete.ImfolgendenJahrzogdieFamilieausVolksdorffort.450 SchärsSchicksalbliebinderunmittelbarenNachkriegszeitanderSchule unvergessen:ImSeptember1948wurdevonderSchulbehördeeine„Feier fürdieOpferdesNazismus“vorgesehen,dieauchanderGehörlosenschu lestattfand.AufderanallenSchulenverteiltennamentlichenListederOpfer waraufVeranlassungdesSchulleitersFritzSchmidtauchderNameseines Kollegennachgetragenworden.451 ImRahmender„MotivgruppeWider stand  gegen  den  Nationalsozialismus“  wurde  am  21. August  1964  eine Straße  in  HamburgLohbrügge  nach  ihm  benannt  und  am  29.  Juli  2006

447

Bär,S.104.

448

Klaus,GewaltundWiderstand,S.92undLink,IJB,S.213–215.

449

StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A879,GeheimeStaatspolizeiandieSchulbehör de16.2.1937.

450

 Gespräche  mit  Erika  Fink  am  14.6.2001  und  2.3.2001,  Schreiben  von  Erika  Fink  vom 3.3.2001.

451

 StAHbg,36210/3 SamuelHeinickeSchule,Mappe 15 (Ablieferungsverzeichnis) Lehrer konferenzen1948–1952,Konferenzvom21.9.1948.

154

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wurdevorseinemWohnhausamWulfsdorferWeg79einStolpersteinin ErinnerunganAlfredSchärverlegt.452

Abbildung 27: Stolperstein für Alfred Schär

4. 3 . 4 D a s Ges e t z zu r Ver hüt u ng erb k ra nke n Na chw u chs es Am14.Juli1933wurdevomdeutschenReichstagdas„GesetzzurVerhü tungerbkrankenNachwuchses“verabschiedet.453DiesbedeutetedieKlassi fizierungderMenschenin„minderwertig“und„hochwertig“.Menschen, die  nach  den  Kriterien  des  Regimes  als  „erbkrank“  galten,  wurden  als „fortpflanzungsunwert“gekennzeichnetunddurftenauchohneihrEinver 452 StolpersteinfürAlfredSchär,in:MarktWalddörfer,Alstertal,MeiendorfNr.32(2006).Mit kleinen  Messingplatten,  in  die  Namen  und  Daten  von  ermordeten  Mitbürgern  eingraviert sind,erinnertderKünstlerGunterDemnig seit1996andieOpferdesNationalsozialismus. ÜberdieAktion„Stolpersteine“siehehttp://www.stolpersteine.de. 453 DiesemKapitelliegenderzeitgenössischeTextvonKurtHolm,VerhütungerbkrankenNach wuchses.DieDurchsetzungdesGesetzesinHamburg(HamburgimDrittenReich,Heft8), Hamburg1936,sowiedieArbeitenvonChristianeRothmaler,Sterilisationennachdem„Ge setz  zur  Verhütung  erbkranken  Nachwuchses“  vom  14.  Juli  1933  (Abhandlungen  zur  Ge schichtederMedizinundderNaturwissenschaftenHeft60)Husum1991undHorstBie sold,KlagendeHände.BetroffenheitundSpätfolgeninbezugaufdasGesetzzurVerhütung erbkrankenNachwuchses,dargestelltamBeispielder„Taubstummen“,SolmsOberbiel1988, zugrunde.–VordemGzVeNwurdebereitsdaswegweisendediskriminierende„Gesetzzur FörderungderEheschließungen“verabschiedet(RGBlI,1933,S.323),dasdieVergabevonEhe standsdarlehennuranzwei„körperlichundgeistiggesunde“Menschengewährte.

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ständnissterilisiertwerden.LetztendlichbedeutetediesesGesetznichtsan deres  als  „Vernichtung  lebensunwerten  Lebens“454, zuerst  als  „Ver hinderungunwertenLebens“.455VondiesemGesetzwarenauchGehörlose betroffen.456 DieNationalsozialistenwarenbekanntlichnichtdieErfinderdesRasse gedankens.DieAkzeptanzeugenischenGedankenguts457wardurchschon längerbestehendeDiskussionenrechtgroß.458 DieErgebnissefachwissen schaftlicherForschungendesBiologenGregorMendel(1822–1884)überdie VererbungbeiPflanzenunddieEvolutionstheoriedesenglischenNaturfor schersCharlesRobertDarwin(1809–1882)über„DieEntstehungderArten durchnatürlicheZuchtwahloderDieErhaltungderbegünstigtenRassen imKampfeumsDasein“(imJahr1859erschienen),warenverallgemeinert undvon„Sozialdarwinisten“aufdenMenschenübertragenworden.459 Einervonihnen,derArztAlfredPloetz(1860–1940),prägtezumersten MaldenBegriff„Rassenhygiene“(1895)undgründete1904dieZeitschrift „ArchivfürRassenkundeundGesellschaftsbiologie“und1905die„Gesell schaftfürRassenhygiene“.4601903schriebeinVertreterdesSozialdarwinis 454

Euthanasie,griechisch:„schönerTod“.

455

 §1desGzVeNlautete:„Wererbkrankist,kann[…]unfruchtbargemacht[…]werden, wennnachdenErfahrungenderärztlichenWissenschaftmitgroßerWahrscheinlichkeitzuer wartenist,daßseineNachkommenanschwerenkörperlichenodergeistigenErbschädenlei denwerden“(RGBlI,1933Nr.86,S.529–531)Das1935erschieneneGesetzzurÄnderungdes GzVeNging dannauchaufSchwangerschaftsunterbrechungenein,diebisindensechsten Schwangerschaftsmonaterfolgendurften(RGBlI,1935,Nr.65,S.196,§10a[2]). 456

§2desGzVeN:„ErbkrankimSinnediesesGesetzesist,weraneinerderfolgendenKrank heitenleidet[…]7.erblicherTaubheit[…]“(RGBlI,1933,Nr.86,S.529).

457

Eugenik,griechisch:Wohlgestaltung,Gutschaffung,inderPraxisverstandenals„Rassen hygiene“.

458

 IndenVereinigtenStaatenwaresderPhysikerAlexanderGrahamBell (1847–1922),der sichgegenVerheiratungvonGehörlosenunddamitdagegenaussprach,dassGehörloseKin derzeugen.Erwaresauch,derdieOralmethodeindenUSAverbreitete. 459

EineZusammenfassungdesSozialdarwinismus,dergeradezudieStellungeinernaturwis senschaftlichenErsatzreligioneinnehmenkonnte,sieheHansUlrichWehler,DeutscheGesell schaftsgeschichte,Band3:Vonder„DeutschenDoppelrevolution“biszumBeginndesErsten Weltkrieges1849–1914,München1995,S.1081–1083;ders.,DeutscheGesellschaftsgeschichte Band4:VomBeginndesErstenWeltkriegsbiszurGründungderbeidendeutschenStaaten 1914–1949,München2003,S.665;PeterWeingart/JürgenKoll/KurtBayertz,Rasse,Blutund Gene,FrankfurtamMain1988,S.117ff.

460

Biesold,KlagendeHände,S.10.PloetzwollteeineneueGesellschaftundfandvieleAnhän gerunterdenGroßkapitalisten,diesolcheIdeenfördertenundsozudergesellschaftlichen

156

Die staatliche Taubstummenschule

mus, derArzt  Wilhelm Schallmeyer (1857–1919),  einen Aufsatz, welcher „dieVererbungundAusleseinihrersoziologischenundwissenschaftlichen Bedeutung“thematisierte.461 Schallmeyer undPloetz geltensomitalsBe gründerderdeutschen„Rassenhygiene“.1920erschiendasBuchdesJuris tenKarlBindingunddesArztesAlfredHoche:„DieFreigabederVernich tunglebensunwertenLebens“,dassichzueinemStandardwerkentwickeln sollte.IndiesemBuchmaßtensichdieAutorenan,überdenTodvonMen schenentscheidenzukönnen,die„fürdieGesellschaftdauerndallenWert verloren[haben]“.462 SiewareninihrerForderungnacheinergesetzlichen Regelungder„TötungvonNebenmenschen“463dietheoretischenVorreiter fürdiepraktischenAusführungenderNationalsozialisten. In  der  Weimarer  Republik  forderten  Ärzte  im  Zuge  der  eugenischen Diskussion  wiederholt  eine  gesetzliche  Regelung  der  Geburtenkontrolle „Minderwertiger“.  Auch  Gehörlosigkeit  gehörte  zu  den  unerwünschten Krankheiten,diedurchdieSterilisationBetroffenerverhindertwerdensoll te.DerHeidelbergerTaubstummenlehrerGeorgNeuertfragtesich1923,ob Gehörloseheiratensollten,undverneintedieses.464ImselbenJahrübergab derZwickauerArztDr.GustavBoeters(1869–1942)dersächsischenRegie rung  einen  Entwurf  zu  einem  Sterilisierungsgesetz  („Lex  Zwickau“).  Er warbmassivfürdiesenEntwurfundwecktedamiterstmalsineinerbreite renÖffentlichkeitgroßesInteressefürdiesesThema.465Erfordertedie„Un fruchtbarmachung“„geistigundsittlichMinderwertiger“undbezoghier

Akzeptanzder„Rassenhygiene“beitrugen(ebd.,S.173f.).ZuPloetz:WernerDoeleke,Alfred Ploetz(1860–1940).SozialdarwinistundGesellschaftsbiologe,FrankfurtamMain1975. 461

ErwarGewinnereinesvondemIndustriellenFriedrichAlfredKrupp(1854–1902)imJahr 1900veranstaltetenPreisausschreibens„überdieAnwendungvonErkenntnissenderAbstam mungsundErblichkeitslehreaufdiesozialeFrage“(ebd.,S.173). 462

 KarlBinding/AlfredHoche,DieFreigabederVernichtunglebensunwertenLebens.Ihr MaßundihreForm,Leipzig1920,S.27und51. 463

Ebd.,S.5und32.AlsMaßstabfürdenWerteinesMenschenwurden„dasFehlenirgend welcher produktiverLeistungen“ (Beispiel:„Epileptiker,Idioten,Geisteskranke“)und „das FehlendesSelbstbewußtseines“,dasdengeistigBehinderten„tiefunteninderTierreihewie derfinden[lässt]“(ebd.,S.57)gesetzt. 464

 G[eorg]Neuert,BerufundFortbildungderTaubstummeninBaden,in:BlätterfürTaub stummenbildung1923,Nr.5.

465 Biesold,KlagendeHände,S.12f.ZudiesemZeitpunktwarBoetersbereitsaktivdabei,„un fruchtbarmachendeOperationen“an„geistigMinderwertigen“durchzuführen(ebd.).

Im „Dritten Reich“ (1933–1945)

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auch gehörlose Menschenein.466 Die Fragenach HeiratundSterilisation Gehörloser  fasste  der  Heidelberger  Taubstummenlehrer  August  Abend zwarnurals„Empfehlung“auf,dochaucherplädierte–indersonderpäd agogischen  Fachzeitschrift  „Blätter  für  Taubstummenbildung“  –  bereits 1925füreine„Unfruchtbarmachung“.Diesesei„[...]dortzuverantworten, woeinMenschalsMitglieddesVolkesnichtmehrzuleistenvermag,als seine  eigenen  Nahrungs,  Erziehungs  und  Ausbildungskosten  ausma chen.“467 DerToninBezugaufeugenischeFragenwurdeab1932inderLehrer schaftraschschärfer,ArtikelzumThema„UnfruchtbarmachungvonMin derwertigen“inZeitschriftenwieden„BlätternzurTaubstummenbildung“ mehrten  sich  und  Stimmen,  die  protestierend  eingriffen,  verstummten rechtschnell.468DerHamburgerTaubstummenlehrerAlwinHeinrichsdorff wandtejedochein,dassderGebrechlichedieNotderZeitvieleherspüre undihrvieltrostloserausgesetztsei.Errief1932zumehrMenschlichkeit aufundwarntevorForderungenwiesiedie„LexZwickau“formulierte und  vor  Plädoyers  für  das  „Recht  auf  Vernichtung  lebensunwerten Lebens“.SolcheMeinungenwürdeninZeitenderNotanKraftgewinnen undzurVerpflichtungderVernichtungwerden.469WieRechterdamithat te,solltesichleidernurallzubaldzeigen.

466 PaulSchumann,Die„LexZwickau“unddieTaubstummen,in:BlätterfürTaubstummen bildung1926,Nr.14,S.225–230.–1925legtedasSächsischeLandesgesundheitsamteinenGe setzentwurfvor,derzwarvonBoetersals„nichtweitgenuggehend“bekämpftwurde,aber 1926demReichstagzurVerhandlungvorgelegtwurde. 467

AugustAbend,WassagtdieRassenhygienedemTaubstummenlehrer?in:BlätterfürTaub stummenbildung1925,Nr.7,S.104–112.BereitsfürdieVorreiterBindingundHochewarder KostenfaktormitbestimmendfürdieBeurteilung„lebensunwertenLebens“(Binding/Hoche, Vernichtung,S.54und57).

468

LehrerMittelstaedtausBerlinriefnoch1932dazuauf,dasstaubstummeElternihr„heili gesRecht,dasRechtderKindererziehung“ bewahrensollten(BlätterfürTaubstummenbil dung1933,Nr.8,S.123–125).EinArtikelimHamburgerFremdenblattvom1.7.1934wollte „mitaltenVorurteilenaufräumen“underinnertedaran,dassvererbteTaubheitnurseltenvor käme,sodassmandenmeistenGehörlosenalsonichtdasRechtaufGlückundFamiliestrei tigmachenkönneunddass90ProzentallerGehörloseninderLageseien,sichinihrener wähltenBerufenselbstihrenUnterhaltzuverdienen. 469

AlwinHeinrichsdorff,DertaubstummeMensch,in:BlätterfürTaubstummenbildung1932, Nr.22,S.330–336.

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Die staatliche Taubstummenschule

VielekritischeStimmenvertratennach1933inderÖffentlichkeiteine obrigkeitskonformeMeinung.DreiBeispielekönnendiesverdeutlichen.470 DerTaubstummenlehrerHansHildverurteilte1932inseinemBuch„Son derpädagogikundJugendfürsorgeimAbwehrkampf“nochdiePraxis,die UnwirtschaftlichkeitvonSonderschulennachzuweisen.ErtratfürdieBe schulungallerBehindertenein,nichtnurfürdieBeschulungeiner„nicht erbkrankenAuslese“undverurteilte„dieTendenzeneinerradikalenRas senaufartung,soweitGehörloseinFragekommen“. 1933riefHans Hild danndieSchulendazuauf,ihregehörlosenSchüler„zumdeutschenMen schenzuerziehen“,sodassdiese„mitallihrenKräftenihremVaterlande undihrem Volke dienen“ und meinte zum Thema „Rassenpflege“, dass eine  „gesetzliche Ausscheidung  [...]  von  kaum  5%  aller  Tauben“  wegen „biologischerMinderwertigkeit“durchauszuverantwortensei.471Auchder LeipzigerTaubstummenlehrerPaulSchumannlehntezunächstradikaleLö sungenwiedieSterilisationab.472 1933schrieberjedoch,dass„noch1932 dieTaubstummenlehrerVerwahrunggegenÄußerungenderEugenikäu ßernmussten,währendsiejetztmitinnererZustimmungihreForderungen wiederholendürften“.ErforderteseineBerufskollegendazuauf,demneu en  Gesetz  innerlich  und  überzeugt  zuzustimmen.473 Auch  Dr.  Otto Schmähl,DirektorderTaubstummenanstaltzuBreslau–undnach1945Leh reranderHamburgerGehörlosenschule–hattesichnoch1930geweigert, „die  Taubgeborenen  in  einer  Reihe  mit  Geisteskranken,  Idioten, Epilepti kern,Trunksüchtigenzunennen,wiemandasimmerwiederbeobachten kann“.UndauchSchmähläußertesichnachdemnationalsozialistischen Regierungswechseldahingehend,dassGehörlose,wiealleBehinderten,in derGemeinschaftunerwünschtseien,unddassvonnunanzwecksbesse 470

DiedreiBeispielewurdenentnommenausBiesold,KlagendeHände,S.17–19sowieBritta Brunhöver,DieErbgesundheitsgesetzgebungim„DrittenReich“undihreAuswirkungenauf Hörgeschädigte,ExamensarbeitimFachSchwerhörigenpädagogik,LehramtSonderschulen, maschinenschriftlich,Hamburg1986,S.47–52.

471

 Hans Hild,  Sinn undAufgabe der Taubstummenschule im neuen Staate,  in: Blätter für Taubstummenbildung1933,Nr.16,S.233–240.

472

SoauchinseinemschongenanntenArtikelüberdieLexZwickau,indemersichdagegen wehrte,Taubstumme,auchwennsietaubgeborenwordenwaren,alsminderwertigaufzufas sen(PaulSchumann,Die„LexZwickau“unddieTaubstummen,in:BlätterfürTaubstummen bildungNr.14,S.225–230).

473

 PaulSchumann,DasGzVeNundseineBegründung,in:BlätterfürTaubstummenbildung 1933,Nr.17,S.249–254.

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rerDurchführungdesGzVeNeineengeZusammenarbeitzwischenTaub stummenlehrerundArztnotwendigsei.474 Die Paragraphen drei  und  zwölf des  GzVeN  legten  fest, dass die als „Unfruchtbarmachung“,umschriebeneSterilisationauchderArztoderder Anstaltsleiterbeantragenkönneunddass,wenndasErbgesundheitsgericht dieUnfruchtbarmachungvon„Erbkranken“beschlossenhatte,derBetrof feneselbstauchgegenseinenWillensterilisiertwerdenkönne.475Alserb krankgaltendamalsfastallealsangeborendiagnostiziertenHörschäden, denneswarzuderZeitnichtmöglich,erblicheHörschädenfestzustellen.476 „EinDrittelderTaubstummen“,sowurdegelehrt,seierbkrankundwür densomitunterdasGzVeNfallen.477 DieNotwendigkeitdesGzVeNwurdemitderüberdemIndividuumste hendenGemeinschaft,demVolk,begründet,dasvor„Entartung“zuschüt zenunddessen„Erbgesundheit“zusichernsei.Nurdie„Besten“solltensich fortpflanzenundsodasdeutsche,als„nordischarisch“bezeichneteVolkals Eliteherauskristallisieren,dasdieMachthätte,überdieWeltzuherrschen. ObinGesetzeskommentaren,pseudowissenschaftlichenArbeitenoderSchul büchern:MeistwurdegegendieBehindertenargumentiert,dassderenBe treuungzukostenintensivseiunddiesdie„gesundeGesellschaft“mitder Zeitzusehrschädigenwürde.478Zum„erschreckendenStammderMinder wertigen“wurdenauchGehörlosegezählt.479AlsBeispielhierzuseieineRe 474

OttoSchmähl,DerdeutscheGehörlose,Festschriftanläßlichdes2.DeutschenGehörlosen tagesinBreslau1937.Nach:Biesold,KlagendeHände,S.18.Schmählwurde1937Mitarbeiter des„RassenpolitischenAmtes“,dannbis1961VorsitzenderdesBundesDeutscherTaubstum menlehrer(XX.TagungdesBundesDeutscherTaubstummenlehrerzuDortmund,Berichterstat tetvomgeschäftsführendenAusschußdesBundesDeutscherTaubstummenlehrer,Dortmund 1961).

475

RGBlI,1933,S.530,§12.

476

Brunhöver,Erbgesundheitsgesetzgebung,S.37.

477

StAHbg,3625/2SozialpädagogischesInstitut,Abl.2000/1,AbschlussarbeiteinerSchwes ternschülerin,dieVolkspflegerinwerdenwollte,zumThema„DieBedeutungderbesichtigten geschlossenen,offenenundhalboffnenFürsorgeeinrichtungenfürdenEinzelnenunddieGe meinschaft“,1943.

478 ÜberKostenargumentationsieheu.a.auchAnahidS.Rickmann,„Rassenpflegeimvölki schenStaat“.VomVerhältnisderRassenhygienezurnationalsozialistischenPolitik,Disserta tion,Bonn2002(auchalselektronischePublikationderDeutschenNationalbibliothekFrank furtamMain),S.99f. 479

 ZitatvonGeorgBonne in:ÜberEugenikundEuthanasieimLichtdernationalsozialisti schenEthik,in:Ethik,11(1934/35),S.127–132,hierS.127,zitiertnachebd.,S.263.

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Abbildung 28: Reichsgesetzblatt vom 25. Juli 1933

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chenaufgabeauseinemzeitgenössischenSchulbuchzitiert:480„EinGehörlo serkostetineinerTaubstummenanstaltjedenTagetwa4RM.Rechneaus: a)WievielkosteterineinemJahre?b)InachtSchuljahren?c)Wievielunge fähr  hat  die  Gemeinde  für  eben  beschriebene  Sippe  schon  ausgegeben? d)WashättedieGemeindedafürmachenkönnen?[...]“. DeutlichwirddieöffentlicheSichtaufGehörloseauchausAlbertFriehes 1934erschienenemBuch„WasmussderNationalsozialistvonderVererbung wissen?“,ausdemfolgendePassagestammt:„Der8jährigeUnterrichtvon Taubstummenkostetrund20000RM[...]füreinengesundenVolksschüler abernur1000RM[...]SinddasnichtgeradezuirrsinnigeZahlen?“481 AnallenSchulenwarenRassenkundeundErblehrePflicht.DenKin dernwurdeinden SchulfächernBiologie,Geschichte oder Mathematik erläutert,  warum  es  „minderwertige“  Menschen  gäbe  und  wie  diese „Kranken“den„Gesunden“schadeten.DiemeistenSonderschulenver wendetendiegleichenRechenbücherwiedieVolksschulen,undsomussten auch  sie  die  Rechenaufgabe  lösen:  „Auf  Kosten  der  Bezirks  und  Lan desfürsorgeverbändewaren1936untergebrachtinAnstaltenfürGeistes krankeu.s.w.:209032,inBlinden,TaubstummenundKrüppelanstalten: 37628.  Die  Zahl  der  Verpflegungstage  1936  für  beide  betrug  60530575. a)BerechnedieGesamtzahlderGeisteskranken,Blinden,Taubstummen undKrüppel!b)NimmdietäglichenLebenshaltungskostenmit4,5RM an!WiehochistdanndieJahresausgabederBezirksundLandesfürsor geverbände?“DieVergleichevonFamiliengipfelteinderFrage:„Welche GefahrbestehtfürunserVolk?“482 SosolltedengehörlosenKindernihre eigene  Minderwertigkeit  verdeutlicht  werden.  Zur  Verhinderung  von ProtestengegenihreHerabsetzungalsminderwertiggingderLehrerauf dieVererbungslehreerstinHinblickaufdiePflanzenweltein,umdann überdiesenUmwegzudengeistigbehindertenKindernzukommen.Er führteBeispielefürschwergeistigbehinderteKinderanundbrachteso diegehörlosenKinderdazu,die„schwachsinnigen“Kinderzubedauern undeinzusehen,dass„einsolchesLebeninderTatwertlosseiundesbes

480

 Karl  Tornow  /  Herbert  Weinert,  Erbe  und  Schicksal.  Von  geschädigten  Menschen,  Erb krankheitenundderenBekämpfung,Berlin1942,S.122.

481 482

Zitatnach:Brunhöver,Erbgesundheitsgesetzgebung,S.34.

 Siegfriedt,RechenbuchfürVolksschulen,HeftVII,7.und8.Schuljahr(nach:Brunhöver, Erbgesundheitsgesetzgebung,S.69).

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ser  wäre,  sie  wären  erst  gar  nicht  geboren“.483 Ziel  des  Unterrichts,  so führtederimSinnedesGzVeNeifrigeDresdnerTaubstummen(ober)leh rerHerbertWeinertaus,seibeiSonderschülerndieEinsichtundsomit der  Verzicht  auf  Nachwuchs.  „Die  Gehörgeschädigten  wissen,  dass  es trotz  ihrer  Leistungen  besser  wäre,  wenn  es  keine  taubstummen  und schwerhörigenMenschengäbe“.484DiegehörlosenKindermüsstenzuder Erkenntnisgelangen,dass„wiralsVolk“zusammengehörtenundjeder einzelneseinenEinsatzdurchdasVerzichtenaufNachwuchszeigenmüs se.Eswurde,soauchvomReichsreferentfürTaubstummenweseninder Reichsfachschaft  V  (Sonderschulen)  des  Nationalsozialistischen  Lehrer bundes  (NSLB)  und  späteren  Hamburger  Schulleiter  Hermann  Maeße, immerwiederandie„Opferbereitschaft“appelliert.485 DerUnterrichtan der  Hamburger  Gehörlosenschule, so formulierte  Schulleiter Jankowski Ende1943rückundvorwärtsblickend(einegeregelteSchularbeitwarin folgederZerstörungdesSchulgebäudesinzwischennichtmehrmöglich), habe  „das  Hineinwachsen  der  Gehörlosen  in  die  nationalsozialistische Volksgemeinschaft“  zum  Ziel.486 Dabei  wurde  die  „Erziehung  zur  Ge meinschaft“großgeschrieben.„GewöhnunganDisziplinundKamerad schaft“,  „Einführung  der  Schüler  in  das  Geschehen  der  Gegenwart  [...] unddermonatlicheSchulappell[...]vertiefenindenSchülerndasGefühl derZugehörigkeitzurgroßenVolksgemeinschaft.“DadasErziehungsziel der  Taubstummenschule  nun  lautete,  die  Gehörlosen  zum  Verständnis undzur„VerantwortungfürBestandundAufartungdesdeutschenVol kes“zubringen,487wareswohlunvermeidlich,dassesGehörlosegab,die 483 „MehralseinmalsagtwohlsolcheinunglücklicherMensch:Ichbindochvölligüberflüs sig,  bin  mir  und  anderen  nur  eine  Last,  Es  wäre  besser,  ich  […]  wäre  niemals  geboren worden“  (angebliche Aussage  eines  Körperbehinderten,  aus:  Tornow  /  Weinert,  Erbe  und Schicksal,S.54). 484

Zitiertnach:Tornow/Weinert,ErbeundSchicksal,S.131.

485

HermannMaeße,BetrachtungenzumGzVeN,in:DiedeutscheSonderschule1935,Heft2/3, S.162[HermannMaeßewirdzehnJahrenachKriegsendedieHamburgerGehörlosenschule leiten]undErichWittke,Erbgesundheitsgesetz–StrukturwandelderSonderpädagogik,in: DiedeutscheSonderschule1936,Heft7,S.498.MehrzuHermannMaeßeimKapitelübersei neZeitalsSchulleiterderSamuelHeinickeSchulebis1966. 486 HierundimFolgenden:StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Mappe 16(Ablieferungsliste),Bl.11–13:JankowskianSchulverwaltung7.11.1943. 487  FritzSchürmann[TaubstummenlehrerinSoest],ErbbiologischerUnterrichtinderTaub stummenschule,in:DiedeutscheSonderschule1935,Heft2/3,S.166.

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sichinfolgedersogerichtetenErziehungmitnationalsozialistischemGe dankengutidentifizierten.Sieschauten,bedingtdurchdieimUnterricht behandelte Vererbungslehre488,beeinflusstdurchVorträge489 undAusstel lungen490,aufgeistigbehinderteMenschenunddie„Asozialen“herab,sie wolltensichabgrenzenundargumentiertenselbstimNSJargon.Alsder ReichsbundesleiterdesReichsverbandsderGehörlosen,FritzAlbreghs,in einerGaststätteimUBahnhofDehnhaidedas„OpferderUnfruchtbarma chung“als„selbstverständlicheErfüllungdervölkischenPflichten“schil derte,waren300interessierteGehörlosewährenddes„mitreißendenVor trags“inLautundGebärdensprachedabei.491SeinerArgumentationwollten sichmanchenichtverschließen,ließensichinihrerMeinungbeeinflussen und  versuchten,  den  Beweis  zu  erbringen,  dass  Gehörlose  nicht  zu den „Minderwertigen“,  den  „Asozialen“  und  „schwer  Erbkranken“  gehörten unddasssieebensolcheLeistungenwieHörendevollbringenkönnten.So warenGehörloseauchinderHitlerjugend(HJ)organisiert.Esgabsogar spezielleSAFormationenderGehörlosenmitfast300MitgliedernimJahr

488

 Ein1933erschienenerMinisterialerlassbesagte,dassjederSchülerbereitsbeiEntlassung Ostern1933eineEinführunginRassenkunde,Vererbungslehre,FamilienkundeundBevölke rungspolitikerhaltenhabensollte.DiessollteauchfürdieGehörlosenschulengelten,umdie „VerantwortungdesEinzelnengegenüberdemVolk“verständlichzumachen(FritzSchür mann,ErbbiologischerUnterrichtinderTaubstummenschule,in:DiedeutscheSonderschule 1935,Heft2/3,S.163–166).TaubstummenlehrerwurdenaufihreneuenUnterrichtsthemenbei Lehrerschulungeneingeschworen,soz.B.beiderLehrerschulungimFachschaftslagerinBir kenwerderimJanuar1935oderbeiderArbeitstagungderReichsfachgruppederTaubstum menlehrerunterLeitungvonMaeßeimselbenJahr(DiedeutscheSonderschule1935,Heft2/3, S.247ff.undS.262).

489

WeinerthieltVorträge,„umbeiGehörlosendieBedenkengegendieSterilisationzubeseiti gen“(DiedeutscheSonderschule1938,BerichtüberdierassenhygienischeBetreuungGehör geschädigterinSachsen,nach:Brunhöver,Erbgesundheitsgesetzgebung,S.59)undhieltvor alleminHamburgVorträge(Brunhöver,Erbgesundheitsgesetzgebung,S.62).Nacheigener AussagehatteWeinertab1930systematischunddavorschongelegentlichinverschiedenen KlassenderSchwerhörigenschule(SchwerhörigkeitwarkeineKrankheitimSinnedesGzVeN) Erbgesundheitslehreerteilt(DiedeutscheSonderschule1934,HeftIX,BerichtevonWeinert: „ErfahrungenmitderSterilisation“und„WelcheAufgabestelltdasSterilisationsgesetzder Sonderschule?“,hierS.660).

490

 Am4.Februar1935fandeineAusstellungvonSchülernundLehrerninHamburgzum Thema„ErbgutinFamilie,RasseundVolk“statt(StAHbg,35110ISozialbehörde1,GF00.11, Bl.14). 491

 StA Hbg, 3526  Gesundheitsbehörde,  1271 Band  1, Bericht  vom  23.2.1939 über  die Ver sammlungfürdieGesundheitsverwaltung.

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1933.492DieseSAFormationwurdeallerdingsEnde1933durchdenStabs chef  der  Sturmabteilung  (SA),  Ernst  Röhm (1887–1934),  aufgelöst.493 Es mussandieserStellenatürlichauchgesagtwerden,dassgehörloseMen schen,dieplötzlichals„erbkrank“oder„geistigminderwertig“bezeichnet wurdenundsomitvomGzVeNbetroffenwaren,sichinvielenFällengegen dieseHerabsetzungundgegendieSterilisationimRahmenihrerMöglich keitengewehrthaben.TrotzderExistenzeinesErbgesundheitsobergerich tesalsEinspruchsbehördeerhieltensiejedochnieeineChance,daeine einmalgefällteEntscheidungdemGehörlosenanhafteteundalskaumzu widerlegengalt.494 WiewurdendieLehreraufihreAufgabenvorbereitet?Erziehersahen sichimnationalsozialistischenStaat–wieesderHamburgerAdolfLam beckausdrückte–im„Kampf[...]umErhaltungwertvollenErbgutesund umdieFernhaltunggeschädigtenErbgutesausdenErblinienunseresVol kes“.495 DerEinsatzfürSonderschülermusstesichnachdenWortenvon Taubstummenlehrern„lohnen“,deshalbsollte„nurdasBrauchbareunter diesenKindernherangebildetundindieVolksgemeinschafteingegliedert werden“.496Die„SicherungdesgesundenLebensinderErziehunggesun der,einsatzbereiterundleistungsfähigerMenschen“sollteSinnderErzie hungsein,damitdieZöglinge„keineswegsinderFürsorge[landen],son derninderDeutschenArbeitsfront“.497 DasZielderErziehunghattesich geändert.HermannMaeße formulierte,dassderTaubstummenlehrer,der 492

 Jochen Muhs, Deaf People as  Eyewitnesses of National  Socialism, in: Ryan, Donna  F. / Schuchman,JohnS.,DeafPeopleinHitler´sEurope,Washington2002,S.78–97,hierS.84.

493

StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Akte„VereinNordwestdeutscher Taubstummenlehrer“,  Rundschreiben  Nr.  10  der  Reichsfachgruppe  Taubstummenlehrer  im NSLBvom24.11.1933,unterNr.16.MehrzurGehörlosenHitlerjugendimKapitel4.3.5.

494

 ZumKomplexdesWiderstandessieheBiesold,KlagendeHände;ChristianGanssmüller, DieErbgesundheitspolitik desDrittenReiches.Planung,DurchführungundDurchsetzung, Köln,Wien1987.

495 AdolfLambeck,Erster„RassenpolitischerSchulungskursus“derFachschaftV(Sonderschu len),in:HamburgerLehrerzeitung1936,Nr.46,S.427;vgl.auchHorstBiesold,TeacherColla borators,in:Ryan/Schuchman,DeafPeopleinHitler´sEurope,Washington2002,S.121–166. 496

Wulff,DieReichsleitungderFachschaftV(Sonderschulen)besuchtHamburg,in:Hambur ger  Lehrerzeitung  1937,  Nr.  46,  S.  508,  und  ohne Angabe  des  Verfassers,  Rassenpolitische GrundsätzeindenSonderschulen,in:HamburgerLehrerzeitung1937,Nr.17/18,S.187.

497

BeideZitatevomGehörlosenlehrerPaulRuckau,ReichsfachschaftsleiterV(Sonderschulen) undLeiterdes„ReferatsfürnegativeAusleseundSonderschulfragenimRassenpolitischen Amt“,in:Wulff,Reichsleitung,S.508.

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zuvorAnwaltderTaubstummengewesensei,sichjetztzumAnwaltdes deutschenVolkeswandelnsolle,seineinderVergangenheitgepflegte„Er ziehungshaltungdesIndividualismusundLiberalismus“ablegenunddie „ArbeitamGanzen“sehenundGemeinnutzvorEigennutzstellenmüs se.498MitdemGzVeNhattederStaatletztlichein„Verschwindenderteuren Taubstummenanstalten  durch  Verminderung  der  Taubheit“  im  Sinn.499 „Sonderschulen“wurdenjetztals„auslesendevölkischeInstitute“gesehen, die  der  „Erneuerung  des  Volkes“  dienten.500 Diese  Auslese  zu  treffen, ÜberzeugungsarbeitimHinblickaufeineSterilisationbeiElternundBe troffenenzuleisten,dazuwurdederLehrergebraucht.501Damitalle„Erb kranken“erfasstwerdenkonnten,wurde–unteranderemvonHermann Maeße–gefordert,dassauchLehrkräfteAnträgeaufSterilisationstellen könnten.502 DieLehrkräfteerhieltenbesondereSchulungen,damitsiesich„freima chen“konntenvonalten„liberalistischen,einseitighumanitärenAnschau ungen“.503 Das  Rassenpolitische  Amt  der  NSDAP  bot  „rassenpolitische Schulungskurse“an.1936trafensichalleVertreterderFachschaftV(Son derschulen)imNSLBbeiBerlin.504HamburgerLehrkräftehieltendortVor trägeüber„Erbkrankheiten undMaßnahmenzurVerhütungerbkranken 498

 HermannMaeße,NationalsozialismusundArbeitanTaubstummen,in:BlätterfürTaub stummenbildung1933,Nr.11,S.169–171.

499

FranzWegwitz,HistorischesundBesinnliches,in:NeueBlätterfürTaubstummenbildung Nr.1+2,Oktober/November1950,S.25.MehrzumGzVeNsieheimentsprechendenKapitel.

500

BlätterfürTaubstummenbildung1933,Nr.11,S.509.

501

DieElternderHamburgergehörlosenKinderbekamenVorträgeüberSinnundNutzendes GzVeN,  z.  B.  während  eines  Elternabends  der  Taubstummenschule  von Alfred  Schär  am 4.12.1934  und  am  21.2.1935 (StA Hbg, 35110  I Sozialbehörde  I,AK  61.11, Einladung  vom 26.11.1934;StAHbg,3612VOSBV,499aBand2,ZeitungsausschnitteausdemHamburger AnzeigerNr.284vom5.12.1934;ArchivdesAllgemeinenGehörlosenUnterstützungsVereins, ProtokolledesOrtsbundsAltonadesReichsverbandesderGehörlosenDeutschlandse.V.,Pro tokollder2.Sitzungam31.1.1935). 502

HermannMaeße,BetrachtungenzumGzVeN,in:DiedeutscheSonderschule1935,Heft2/3, S.158–163,hierS.162. 503 504

Ebd.,S.161.

Das„einigendeBand“derFachschaft,inderTaubstummen,Blinden,undHilfsschullehrer zusammengeschlossenwaren,war„diegemeinsameAufgabedesRettensundErhaltens,aber auchdesAusmerzensunddiegesteigerteVerantwortung,dieausdenErziehungsaufgabenan diesemdefektenSchülermaterialdemGanzengegenübererwächst“(AdolfLambeck,Jahresbe richtderFachschaftV(Sonderschulen),in:DiedeutscheSonderschule1935,Nr.6,S.66–67).

166

Die staatliche Taubstummenschule

Nachwuchses“,„BegriffderBrauchbarkeit“oder„DasGutachten“.505 Gut besucht  wurden  auch  die  als  Fortbildung  dienenden  „Fachschaftslager“. Hierwurden–zumBeispielimOktober1934undimJanuar1935imBran denburgischenBirkenwerder–dieLehrerderFachschaftV(Sonderschu len)imNSLBineinemmilitärischgeführtenZeltlageruntergebracht,um „aus  nationalsozialistischer  Weltanschauung  und  Gesinnung  heraus  die Einheit  unserer  Fachschaft  durch  kameradschaftliches  Zusammenleben praktischzuverwirklichen“.506AmLehrgang1935nahmenauchdieHam burgerSchulleiterAdolfLambeck(SchulefürSprachkranke)undPaulJan kowski (Gehörlosenschule,  GaubundesPropagandist  im  Gaubund  9  des NSLB,Hamburg,)aktivteil,507indemsieFachgruppenreferatehielten.Jan kowskis  Vortrag  über  „praktische  Erfahrungen  bei  der  Mitarbeit  an  der DurchführungdesGzVeN“solltezeigen,„wienotwendigundwichtig“die MitarbeitderSchulleiterundLehreranderDurchführungdiesesGesetzes sei.508Erfand,wieesheißt,„wärmsteZustimmungundAnerkennungder Reichsleitung“.509 DieserVortragsowiedievielenAufforderungenvordemErbgesund heitsgerichtwievordemErbgesundheitsobergerichtalsDolmetscherzu erscheinen,510 die  sich  in  mehreren  Personalakten  von  Hamburger  Taub stummenlehrern  finden,  die  während  der  nationalsozialistischen  Herr schaftanderHamburgerGehörlosenschuleunterrichteten,erlaubenden Schluss,dasszumindestzusammengearbeitet,eventuellsogarsogenannte „Erbkranke“vonSeitenderSchuleandenAmtsarztundsomitandasGe richt  gemeldet  wurden.  Sie  handelten  damit gesetzesgemäß.  Nach  Para graphdreidesGzVeNhattenAnstaltsleiterbeiSchülernundSchutzbefoh 505

Lambeck,RassenpolitischerSchulungskurs,S.426–427.

506

DiedeutscheSonderschule1935,Heft2/3,S.256.

507

Biesold,KlagendeHände,S.102.

508

DiedeutscheSonderschule1935,Heft2/3,S.264.

509

Lambeck,JahresberichtFachschaftV,S.66–67.

510

 MitderVerordnungüberdieBildungeinesErbgesundheitsundeinesErbgesundheits obergerichtesvom14.12.1933wurdenauchfürdasHamburgischeStaatsgebietdieseGerichte gebildetunddemAmtsgerichtangegliedert(HGVBl1933,S.545).DieGerichtenahmenihre Tätigkeitam15.2.1934auf.DasErbgesundheitsobergerichtwarbisApril1937fürHamburg, Bremen  und  Lübeck  zuständig,  dann  kamen  anstelle  von  Lübeck  Altona,  Harburg  und Wandsbekdazu.DieArbeit,überAnträgeauf„Unfruchtbarmachung“zuentscheiden,führten dieGerichtevon1934bis1944durch(Tätigkeitseinstellung:RGBlI,1944,S.330).

Im „Dritten Reich“ (1933–1945)

167

lenenüber14Jahrendas„RechtaufMeldung“.511Dassdiesgeschah,istun bestritten:BeieinerdeutschlandweitenBefragungvon1.160gehörlosenOp ferndesGzVeNinden1980erJahrengaben402an,durchdieSchuleange zeigtwordenzusein,247berichteten,vorErreichendes17.Lebensjahres zwangssterilisiertwordenzusein,355wurdendurchGewaltmaßnahmenin dasKrankenhauseingeliefert,25warenpersönlichvonihrenLehrernzur Sterilisationgebrachtworden.512DadieSterilisationabdemelftenLebensjahr durchgeführt  werden  durfte,  waren  auch  gehörlose  Kinder,  die  noch  zur Schulegingen,vondemGesetzbetroffen.Hamburg,sovermeldeteSchullei terPaulJankowski,verschiebedieSterilisationbeierfolgterEntscheidung desErbgesundheitsgerichtesaufdieZeitnachderSchulentlassung.513

Abbildung 29: Schulleiter Paul Jankowski

Doch diese Aussage  war  falsch.  Dass  gehörlose  Schüler  der  Hamburger Taubstummenschule  sterilisiert  wurden,  kann  beispielhaft  anhand  einer 511

SieheauchArtikel6nach§12,Absatz5derVerordnungzurAusführungdesGzVeNvom 5.12.1933(RGBlI,1933,Nr.138,S.1021f.).

512 HorstBiesold,DeutscheGehörlosenpädagogikimFaschismus,in:Kobi,Emil/Bürli,Alois/ Broch,E.(Hg.),ZumVerhältnisvonPädagogikundSonderpädagogik.Referateder20.Ar beitstagungindeutschsprachigenLänderninBasel,Luzern1984,S.247–253,hierS.251f. 513

PaulJankowski,DieMitarbeitdesTaubstummenlehrersbeiderDurchführungdesGesetzes zurVerhütungerbkrankenNachwuchses,in:NSLBHamburg,Gehörgeschädigteundsprach gestörteKinder,1939,S.36.

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Die staatliche Taubstummenschule

dreiJahrezuvorgegendenWillenderMuttererfolgtenSterilisationeines HamburgerSchulkindesbewiesenwerden.514 DerAmtsphysikusvonBer gedorf,Prof.Dr.AlbertBohne (1878–1951),leitenderOberarztamAllge meinenKrankenhausBergedorfbis1947,stelltedenAntragaufSterilisa tioneinesseinerPatienten.DieserJunge,13JahrealtundsehrguterSchüler der Hamburger Taubstummenanstalt,warvonGeburtantaub.Undob wohleskeineweiterenhörgeschädigtenVerwandtenübermehrereGenera tionen  gab,  wurde  in  einem  Gutachten  des Allgemeinen  Krankenhauses Barmbekfestgestellt,dassderJungeerbkrankundals„manifesterTräger derrecessivenErbanlage“ausgemachtsei.515EskamzurVerhandlungvor demErbgesundheitsgericht,beidemdieMuttersichgegendieSterilisation wehrte,„weilichmirspäterVorwürfeersparenwill“.516Sieglaubteankei nevererbteKrankheit.ZurBeschlussfassungwurdenärztlicheGutachten, die„Sippentafel“des„Gesundheitspaßarchivs“undderSchülerbogenhin zugezogenunddannbeschlossen,derJungemüsseauchgegendenWillen derErziehungsberechtigten„unfruchtbargemacht“werden,„umdieschwe renGefahrenzuverhüten,dieihmselbst,seinerFamilieundderVolksge samtheit  durch  erbkranken  Nachwuchs  drohen.“517 Eine  Reise  fort  aus HamburgkonntedieSterilisationjedochnurverschieben.EineletzteBitte besagte,derSohnmögemitseinemFreundzusammenimKrankenhaus operiertwerden.518 ImSeptember1936wurdederJungeimAllgemeinen KrankenhausSt.Georg„mitErfolgunfruchtbargemacht“.519

514

StAHbg,35211GesundheitsämterErbgesundheitsakten,GesundheitsamtBergedorf,Vor gang1247/36.DieMeldungvonHilfsschülernausdenSchulengeschahzuderZeitohnehin (vgl.KirstenKnaack,DieHilfsschuleimNationalsozialismus.EineStudiezurGeschichteder Hamburger  Hilfsschule.  Examensarbeit,  maschinenschriftlich,  Hamburg  2001);  StA  Hbg, 36210/1  Hilfsschule  CarstenRehderStraße  enthält  Auflistungen  des  Schülerbögenaustau scheszwischenderehemaligenHilfsschuleAltonaunddemErbgesundheitsgericht. 515

StAHbg,35211GesundheitsämterErbgesundheitsakten,GesundheitsamtBergedorf,Vor gang1247/36,Bl.8:GutachtenAllgemeinesKrankenhaus(AK)Barmbekvom14.3.1936. 516

Ebd.,Bl.12:VerhandlungvordemErbgesundheitsgerichtam15.6.1936.

517

Ebd.,Bl.13BeschlussdesErbgesundheitsgerichtsvom15.6.1936.

518

EinweitererHinweisaufeinengehörlosenJungen,deranscheinendmitderDiagnose„erb krank“sterilisiertwurde(ebd.,SchreibenderMutterandasGesundheitsamtam30.7.1936). 519

Ebd.,ÄrztlicherBerichtdesAKSt.Georg7.10.1936.DasAKSt.Georgwareinesvonvier 1936inHamburgfürdieDurchführungderSterilisationenzuständigenKrankenhäusern(StA Hbg,35110ISozialbehördeI,GF00.23Band1).

Im „Dritten Reich“ (1933–1945)

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Hamburgs  Vorreiterrolle  bei  Sterilisationen  hatte  sich  schon  1925  ge zeigt,alsderSenatzurHauptversammlungder„DeutschenGesellschaft fürVererbungswissenschaft“eingeladenhatte.Verwaltungsbeamte,Lehr kräfte,  Fürsorgerinnen  und  Juristen  wurden  während  dieser  Tagung  zu Fragender„UnfruchtbarmachungMinderwertiger“geschult.520LautStatis tikstandHamburgim„DrittenReich“inBezugaufdieAnzahlderSterili sationenanderSpitzedesReiches.521Wiekonntedasgeschehen?Feststeht, dassHamburginBezugaufSterilisationals„Mustergau“galt:DieHam burgerSchulverwaltungverließsichnichtalleinauffreiwilligeundärztli cheMeldungen(zumBeispielderSchulärzte)522 von„erbkranken“Perso nen,sondernuntersuchtevonsichausSchulaktenundKrankengeschichten verschiedenerAnstaltenundentwickelteSchulgesundheitsbögen.523 Ham burggabdieerste„RichtliniezurErblehreundRassenkunde“anVolks schulenherausundgabsiedenHilfsundSonderschulenzurKenntnis.524 HamburgerließdieerstegesetzlicheLegitimationvonZwangsmaßnahmen 520

 Friedemann  Pfäfflin,  Zwangssterilisation  in  Hamburg.  Ein  Überblick,  in:  Ebbinghaus, Angelika/KaupenHaas,Heidrun/Roth,KarlHeinz(Hg.),HeilenundVernichtenimMuster gau Hamburg.GesundheitsundSozialpolitikimDrittenReich,Hamburg1984,S.26–29, hierS.26.InHamburgfandennochanderegroßeVeranstaltungenstatt:ImJuni1939tagtedie Gaufachgruppe  der  Lehrer  an  Gehörlosen,  Schwerhörigen  und  Sprachheilschulen  und gleichzeitigluddiedeutscheGesellschaftfürStimmundSprachheilkunde nachHamburg ein. 521 Holm,VerhütungerbkrankenNachwuchses,S.19wirdvon61Prozentangeblichfreiwilllig gestellterSterilisationsanträgeinHamburggesprochen(vondenVormündernoderdenBe troffenen)  –  zum  Vergleich:  In  Bremen  waren  es  zu  der  Zeit  „erst“  10  Prozent  (Pfäfflin, Zwangssterilisation,in:Ebbinghaus,Mustergau,S.27).IndenHamburgerNachrichtenNr. 164vom18.6.1936wirdunterderÜberschrift„Hamburgsollerbgesundwerden“alsVorbild eine18jährigeGehörlosegenannt,diesichgegendenWillenihrerElternsterilisierenließ, „umnichttaubstummeKindergebärenzumüssen“. 522 AlsBeispielStAHbg,3523Medizinalkollegium,IK27aBand6,SchularztdesBezirkesXII andieGesundheitsundFürsorgebehörde17.4.1934. 523 WeinertregtediekarteimäßigeErfassungallerErbkrankendurcherbbiologischeFragebö gen anTaubstummenschulenan.DieGesundheitsbehördesollteAktenderSonderschüler anlegen,  aus  denen  „voraussichtliche  Verwendungsfähigkeit“  und  „Erblichkeitsverhältnis“ hervor gehensollte (Diedeutsche Sonderschule 1936,S.495,nach: Brunhöver,Erbgesund heitsgesetzgebung,S.44).Ein„reichseinheitlicher“PersonalbogenfürSchüleranGehörlosen schulenwurde1943geschaffen.NeuwarenjetztRubrikenwie„Sippentafeln“mit„Erbsche ma“,eswurdeRaumgelassenfürdieEintragungvon„MaßnahmenzurDurchführungdes GzVeN“undfürBeurteilungendesSchülersdurchLehrer,HJFührer,Arbeitsamtetc.(StA Hbg,  3526  Gesundheitsbehörde,  1271  Band  1,  Reichsminister  für  Wissenschaft,  Erziehung undVolksbildunganUnterrichtsverwaltungen15.2.1943).

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zurSterilisationundAbtreibung.525Hamburgwaresauch,dasinHinblick auf35.000bis40.000„erbminderwertige“BewohnerderStadtdieErfas sung  und  Durchführung  der  Sterilisationsaktion  forcierte,  da  mit  einer „überdurchschnittlichen  Vermehrung  der  Schwachsinnigen“  gerechnet wurdeunddieHansestadtbefürchtete,die„EntartungdesVolkes“nicht mehrrechtzeitigaufhaltenzukönnen.DahersetztesichderHamburger Senat  1933  eine  Frist  von  fünf  Jahren  zur  Bewältigung  der  „negativen Auslese“.526 „Aufklärung  der  Bevölkerung“  fand  in  Presse,  Schulen,  auf FortbildungslehrgängenundAusstellungenstatt.527DerLeiterdesimSep tember1933indenRäumenderGesundheitsbehördeerrichteten„Aufklä rungsamtesfür Rassefragen“, Prof.Dr.med. Wilhelm (Willy) Holzmann (1878–1949),528wolltemiteinem„Dreimonatsplan“dieHamburgerdurch Massenvorträge,  Anstaltsführungen,  Rundfunk,  Presse,  Filmstreifen  in WochenschauenundAnregungzurFamilienforschungaufdiebevorstehen den Rasse  und  Vererbungsgesetze  „innerlich  einstellen“:529 Er  ließ  den Leitsatzdrucken,dass„dasMitleidmitdemNächstenzumVerbrechenam

524

StAHbg,3612VIOSBVI,633,RundschreibenderLandesunterrichtsbehördevom15.De zember1933.DasReichzogerstam15.Januar1935nach(StAHbg,3612VIOSBVI,635Anla gezumRundschreibenvom24.August1935betreffendVererbungslehreundRassenkundeim UnterrichtdesReichsundPreußischenMinistersfürWissenschaft,KunstundVolksbildung analleVolksundhöherenSchulen). 525

 Brunhöver,Erbgesundheitsgesetzgebung,S.29.Bereits1934hatteHamburgfast40ange ordneteSchwangerschaftsabbrüche(ebd.,S.27).DasGzVeNwurdeam26.Juni1935durch Zusatzdes§10 adahingehendgeändert,dassderSchwangerschaftsabbruchbisEndedes 6.Schwangerschaftsmonatserlaubtwurde(RGBlI,1935,S.773).

526

Pfäfflin,Zwangssterilisation,in:Ebbinghaus,Mustergau,S.27.

527

Ausstellung„ErbgutundFamilie,RasseundVolk“inHamburgmitErgebnissenvonLeh rerundSchülerarbeitenimFebruar1935;ArbeitstagungderRichter,ÄrzteundFürsorgerim HörsaaldesHamburgerUntersuchungsgefängnissesimDezember1934,u.a.mitdenVor tragsthemen„TierzüchterundMenschenzüchter“und„Schwachsinn,Beschränktheit,Dumm heit“;ÜberzeugungsarbeitaufmehrerenVorträgendesAmtesfürVolksgesundheitfürdieBe völkerung(alleBeispielevonPfäfflin,Zwangssterilisation,in:Ebbinghaus,Mustergau,S.27).

528

 Holzmann war kurzzuvornochalsProzessgegnerder Oberschulbehörde während des ProzesseswegendesTragenspolitischerAbzeichendurchSchülerinderÖffentlichkeitaufge treten.DieRollendesseit1923inderNSDAPaktivenHolzmanninHamburgwarendiedes „Ärzteführers“(VorsitzenderderHamburgerÄrztekammer),GauamtsleiterdesRassepoliti schenAmtesderNSDAP,späterLeiterdesGauamtesfürVolksgesundheitderNSDAP.Zu Holzmannvgl.Krause/Huber/Fischer,Hochschulalltag,S.1181,S.1326–1331undS.1382.

529

HamburgerNachrichtenNr.404vom16.9.1933.

Im „Dritten Reich“ (1933–1945)

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Zukünftigen“führenwürde530.HamburgbegannalsersteStadtmitderEr richtungeines„Gesundheitspaßarchives“(GPA),nochbevordieGesund heitsämterperGesetzdieErfüllungderErbundRassepflegezugewiesen bekamen.531

Exkurs: Gesundheitspaßarchiv DasunterderLeitungdesPhysikusKurtHolm(geb.1900)stehendeHam burgerGesundheitspaßarchivwarder„umfassendsteVersuch,diegesund heitlicheLagederBevölkerungdurchdasSammelnallermöglichenBelege ausGesundheitsundSozialwesen,Justiz,PolizeiundMilitäraufzuzeich nenunddieseindenDienstdernationalsozialistischenErbundRassepfle gezustellen“.532 Die Hamburger Behördenbeschränkten sich nicht aufdasBearbeiten eingehender Anzeigen,  sondern  suchten  von  sich  aus  systematisch  nach potentiellen„Erbkranken“.ImMärz1934beganndasGesundheitsamtmit derErfassungallerHamburgerEinwohner,dieinirgendeinerWeise–obin gerichtlicher,pädagogischer,fürsorgerischerodersonstigerArt–durchdas Gesundheitswesenbeurteiltwordenwaren.533DasZielwardieLeistungs 530

HamburgerTageblattNr.251vom14.10.1933.

531

GesetzüberdieVereinheitlichungdesGesundheitswesensvom3.7.1934(RGBlI,1934,S.531– 532,hier§3[1]I.DasGesetztratam1.4.1935inKraft).ZuvorhattederAnthropologeund spätere  Direktor  des  Rassenbiologischen  Instituts,  Walter  Scheidt (1895–1976),  auf  Privat initiativehinbis1932bereits250.000MenschenaufBegabungundBelastunghinkatalogisiert (KarlHeinzRoth,ErbbiologischeBestandsaufnahme–einAspekt„ausmerzender“Erfassung vorderEntfesselungdesZweitenWeltkriegs,in:ders.[Hg.],ErfassungzurVernichtung,Ber lin1984,S.57–100,hierS.58f.). 532

WilhelmThiele,DasGesundheitspaßarchiv(GPA)unddieErbbestandsaufnahme(REK)inHam burg,maschinenschriftlich,Hamburg1988,S.2(StAHbg,7311Handschriftensammlung,1851).

533

StAHbg,1132InnereVerwaltung,AII7,SchreibenInnereVerwaltunganReichsinnenmi nisteriumvom25.10.1934(nach:Thiele,GPA,S.4).Esgabschonvon1902bis1923aufAnre gung  des  Bundes Deutscher  Taubstummenlehrer einheitliche  und  fortlaufende  „Taubstum menStatistiken“imDeutschenReich,indenenvonSeitenderSchuleundderÄrztediefür dieTaubstummenanstalteninFragekommendenSchülerinnenundSchülergezähltwurden, sowieüberdasWerdenderKinderBögen,dieaufGrunddieserStatistikenangelegtwurden. DiesebekamendieOberschulbehördeunddasMedizinalamtzurKenntnis(StAHbg,3612V OSBV,121cBand2,AnlagezumSchreibenSenatanSöder23.8.1901undSchreibenUmlauf anSenatsreferenten25.10.1922).

172

Die staatliche Taubstummenschule

ermittlung  nach  „volksgesundheitlichen  und  rassischen  Gesichts punkten“.534DieHamburgerBehördenkooperiertenengmitdemErbge sundheitsgericht–dasGerichtteiltealleEntscheidungenundUrteiledem Gesundheitspaßarchiv  mit.535 Im  Juni  1935  hatte  das  Archiv  in  Zu sammenarbeit  mit  den  Behörden,  mit  Richtern,  Lehrern  und  Lehrherren, schon  300.000  „erbgesundheitlich  bedeutsame“,  darunter  auch  gehörlose Hamburger  auf  Karteikarten  und  Gesundheitspässen  erfasst.536 Erst  jetzt musstenaufAnordnungdesReichesdieanderenLändernachziehenundin denGesundheitsämternBeratungsstellenfürErbundRassepflegeeinrichten. Mitte1938hatteHamburgdurchErschließungvonimmermehrQuellen– HilfsundSonderschulbögen,TrinkeraktenundweiterenGerichtsurteilen– eineMillionHamburgererfasst.„KarteienbesondererBeobachtungsgebiete“ wurdeneingeführt,inderErbkrankheitengesonderterfasstwurdenundso denErbgesundheitsgerichtenimmerneuesMateriallieferten.537 Auf Anordnung  des  Reichs  und  Preußischen  Ministers  des  Inneren vom1.April1938wurdeeine„Reichseinheitskartei“geschaffen.Infolge dessen  sollte  das  Hamburger  Gesundheitspaßarchiv  aufgelöst  werden.538 Dochdieswurdefür„zuwertvoll“erachtetunddaheraufAnregungdes LeitersdesGesundheitsamtesIIindiezentraleWohnortkarteiderReichs einheitskarteiübernommen.539ZusätzlichzurErfassungvoneinzelnenBür gern,überdie„Negatives“imSinnederNationalsozialistenbekanntge wordenwar,wurden„Sippenregistraturen“eingerichtetalsSammelstellen des„gesamtenErbundRassepflegerischenMaterials“.540DietotaleErfas

534

 K[urt]Holm,VereinfachungdesärztlichenUntersuchungsverfahrensundSammlungder Ergebnisse,in:ÄrztlicheMitteilungen1935,S.112ff.(nach:Thiele,GPA,S.4).

535

Thiele,GPA,S.4f.

536

 Ebd.,S.7.GesundheitspässewarenUmschlägemitSchriftstückenzurGesundheiteiner Person: Atteste, Krankenakten,  Schulgesundheitsbögen,  Hilfs  und  Sonderschulbögen  usw. (ebd.,S.5f.);StAHbg,35110ISozialbehördeI,GF00.21,EinladungzumVortragvonHolm vonderGesundheitsundFürsorgebehörde17.6.1935. 537

Thiele,GPA,S.8.

538

Ebd.,S.9.

539

 DieReichseinheitskarteiwaraufgeteiltindiezentraleGeburtsortkarteiunddieebenfalls zentralbeimHauptgesundheitsamtgeführteWohnortkartei.DanebengabesWohnortund SippenregistraturenindenBezirksgesundheitsämtern(ebd.,S.9f.).

540

Ebd.,S.10f.

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sungwarsomöglichgeworden,dieunteranderemdemErbgesundheitsge richtzur„Urteilsfindung“verhalf.541 Insgesamtwurdenzwischen1934und1945,legitimiertdurchdasGzVeN, circa360.000MenschenimDeutschenReichsterilisiert,542 davoninHam burgüber24.200.543Reichsweitwurdenzwischen15.000und16.000Gehör losesterilisiert.544JahrzehntelanghatdieBundesrepublikDeutschlanddie seMenschennichtalsVerfolgtedesNSRegimesanerkannt,sieerhielten keineWiedergutmachung.Erst1980erklärteHamburgdasGzVeNfürun gültig,undnurhiergabesfürzwangssterilisierteMenschendieMöglich keit,  beim Amtsgericht  einen Antrag  auf Aufhebung  der  Beschlüsse  des Erbgesundheitsgerichtszustellen.545UndnurinBerlinwurden–seitdem 1.Januar1993–Zwangssterilisiertealspolitisch,rassischundreligiösVer folgte  anerkannt  und  konnten  eine  Grundrente  beantragen.  Im  übrigen DeutschlandkönnenZwangssterilisierteeineeinmaligeZahlungbzw.seit 1990einegeringeGrundrentebeantragen,aufdieallerdingskeinAnspruch besteht.546 Bis  1998  hatten  die  Entschädigungsbehörden  aller  Länder  mit derBegründung,eshabeeineVerhandlungvordemErbgesundheitsgericht stattgefundenunddieSterilisationGehörloserfalledamitnichtunterdas Bundesentschädigungsgesetz,Urteile,dieaufGrunddesGzVeNerlassen wurden,nichtfürungültigerklärt.ErstmitdemGesetzzurAufhebungna 541

1943verbrannteeinDrittelderzentralenKarteiwährendeinesBombenangriffs;allerdings wurdederWiederaufbauderKarteimitvordringlicherWichtigkeitraschvorgenommen,so dass  die  Gesamtkartei  wieder  bis  zum  Ende  des  nationalsozialistischen  Regimes  bestand. Nach1945duldetediebritischeMilitärregierungdieFortführungderReichseinheitskartei,seit 1946wirdsieals„ärztlicheSuchkartei“inHamburgweitergeführt.Einschränkendmussge sagtwerden,dassdieüber25JahrealtenFällejeweilsvernichtetwerden,sodassheutedasur sprünglicheGesundheitspaßarchivnichtmehrexistiert.InderheutigenKarteidürfenkeine sogenanntenrassepolitischenAussagengemachtwerden(ebd.,S.26).

542

 Rothmaler,Sterilisationen,S.7;Ganssmüller,Erbgesundheitspolitik,S.45;Wehler,Deut scheGesellschaftsgeschichte,Band4,S.671. 543

 Pfäfflin,Zwangssterilisation,in:Ebbinghaus,Mustergau,S.28.DazumüssenfürHamburg 500Kastrationenund800Zwangsabtreibungendazugezähltwerden(Knaack,Hilfsschule,S.47).

544

HorstBiesold,SterilisationenimHitlerReich,in:Hörgeschädigtenpädagogik,38.Jahrgang (1984),S.115.

545 546

Rothmaler,Sterilisationen,S.7.

DeutscheArbeitsgemeinschaftfürevangelischeGehörlosenseelsorge,DieZwangssterilisati onvonGehörlosennachdemErbgesundheitsgesetzunddieStellungnahmenderEvangeli schenGehörlosenseelsorgesowieevangelischerKirchenimDrittenReichundnach1945.In formationen,Materialien,1993,S.5.

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Die staatliche Taubstummenschule

tionalsozialistischerUnrechtsurteileinderStrafrechtspflegeundvonSteri lisationsentscheidungen  der  ehemaligen  Erbgesundheitsgerichte  vom  28. Mai1998wurdensämtlichenationalsozialistischeUnrechtsurteileaufgeho ben  und  damit die Aufhebung  nationalsozialistischer  Urteile  bundesein heitlichgeregelt.BundestagundBundesratstelltenübereinstimmendfest, dass  Zwangssterilisationen  nach  dem  GzVeN  nationalsozialistisches  Un rechtsind.547AlleinnationalsozialistischerZeiterlassenenSterilisationsent scheidungenderGerichtewurdenjetztaufgehoben. Auch  der  Bund  Deutscher  Taubstummenlehrer  (heute Berufsverband DeutscherHörgeschädigtenpädagogen) haterstam9.Mai1997während seiner  Bundesversammlung  unter  Vorsitz  der  Hamburger  Bundesvorsit zenden,ChristianeHartmannBörner(geb.1947)indersogenannten„Hei delbergerErklärung“seinBedauernüberdieMitwirkungseinerMitglieder an  rassehygienischen  Maßnahmen  des  Nationalsozialismus  ausgedrückt undsichbeibetroffenenGehörlosenentschuldigt.548 * 4. 3. 5 Leh re r u nd S ch ü le r in N S DA P un d H it l e r-Juge nd InwelchemMaßedieLehrkräftederHamburgerTaubstummenschuletat sächlichimUnterrichtaufdienationalsozialistischenLehreneingegangen sind,kannnichtsichergesagtwerden.DerHamburgerHeinrichWitthöft (1902–1991)wurdevon1935bis1937zumTaubstummen,Schwerhörigen, undSprachheillehrerausgebildet.549ErwareinerderelfLehrer,diediesen Lehrgangnachdervon1935bis1938geltendenspeziellenHamburgerAus bildungsordnungabsolvierten.550 IndiesemRahmenkamerauchandie Taubstummenschule.  Seinen  Beruf  übte  Witthöft dann  hauptsächlich  an 547 BlickpunktBundestagNr.1(1998),S.21;Bundesgesetzblatt1998Teil1Nr.58,S.2501;Späte KorrekturdesUnrechts.DerBundestagbeschließtdieumfassendeAufhebungvonNSUrtei len,in:DasZeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheundKommunikationGehörlo ser46(1998),S.542. 548

Hörgeschädigtenpädagogik,Nr.5(1997),S.331.

549

HeinrichWitthöftwarvon1945bis1965LeiterderSchwerhörigenschule.AlleAngabenvon Witthöftnach:Brunhöver,Erbgesundheitsgesetzgebung,S.75ff. 550 DieHamburgerbekamenfüreineÜbergangszeiteineAusnahmeregelung,sodassihreSon derpädagogennichtdiereichseinheitlicheAusbildunginBerlinabsolvierenmussten.

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derSchwerhörigenschuleaus.Ermeinteineineminden1980erJahrenge führten  Interview,551 dass,  auch  wenn  der  Nationalsozialistische  Lehrer bundHamburgsdieSchulungderLehrerin„RassenkundeundErblehre“ fürnotwendigerachtethabe,552diesesThemaimUnterrichtnichtbehandelt wordensei.ImKollegiumderSchwerhörigenschulehabeeskaumüber zeugteNationalsozialistengegeben,wenngleiches„Parteigenossen“gab, sowiedenDirektorunddieFührerinderBDMGruppe.Nureinwirklich überzeugternationalsozialistischerLehrerseiimdortigenLehrkörperge wesen–erhabeschonvor1933anderTaubstummenschuledienationalso zialistischeFlaggegehisstundseiinfolgedessenandieSchwerhörigenschu lestrafversetztworden.553 ObsichdieseAngabeaufdieVersetzungvonWilhelmBehrensbezieht? Nachweisbarist,dassdieserLehreralseinzigerindiesemZeitraumvonder Taubstummen  an  die  Schwerhörigenschule  versetzt  worden  ist.  Wilhelm BehrenswarunteranderemvonJanuar1937bisAugust1940Ortsgruppen SchulungsleiterinderOrtsgruppeHirschgrabendesKreises5derNSDAP undauchderpolitischeLeiterderzwölfgehörlosenNSDAPMitgliederin Hamburg.ImSeptember1940übernahmerdieStelledesKreishauptstel lenleitersimSchulungsamtseinesKreises.554 InderEntnazifizierungsakte von  Wilhelm  Behrens wird  der  „FlaggenVorgang“  anders  überliefert: NacheigenerAussagewurdeBehrenszum25.August1934vonderGehör losenschuleandieSchwerhörigenschuleversetzt,weilereszugelassenhat te,dassinseinerSchuleschwarzweißrotgeflaggtwurde.555WeitereAnga benüberdiesenVorgangkonntennichtermitteltwerden.Behrens’1945auf GrundseinernationalsozialistischenVergangenheiterfolgteEntlassungaus demStaatsdienstwurdeerst1948ineinePensionierungumgewandelt.Als BegründungfüreinegewünschteRücknahmeseinerEntlassunghatteer zuvorgenannt,dasseresabgelehnthabe,alsDolmetscherbeiVerhandlun

551

Brunhöver,Erbgesundheitsgesetzgebung,S.75–77.

552

Ebd.,S.63.

553

Ebd.,S.76.

554

StAHbg,21111StaatskommissarfürdieEntnazifizierungundKategorisierung,Ed4097.

555

AnderSchwerhörigenschulewurdeerstellvertretenderSchulleiter(HamburgischesLeh rerverzeichnis1935/36).

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genüberdasGzVeNzuübersetzen.Deswegenseiausdemvonihmgelei tetenTaubstummenaltenheimniemandsterilisiertworden.556

Abbildung 30: Schulklasse mit den Lehrkräften Fritz Schmidt, Alfred Schär, Käthe Reinmann, Dorothea Elkan und Paul Jankowski, 1932

AuchhörgeschädigteJugendlichewurdenindasDeutscheJungvolkund dieHitlerJugend(HJ)aufgenommen.NachdemzuOstern1934versucht wordenwar,dieGehörlosenallgemeinindieHJeinzugliedern,wurdeim September  1934  durch  den  Stabsführer  der  Reichsjugendführung  Hart mannLauterbacher (1909–1988)angeordnet, eineneigenenBannfürGe hörlosezugründen(„BannG“),557 demimFebruar1936einSchwerhöri 556

 StAHbg,21111StaatskommissarfürdieEntnazifizierungundKategorisierung,Ed4097. DasTaubstummenaltenheimimVolksdorfleiteteBehrensbiszuseinemTod.

557

WilhelmBandholt,„UnseregehörgeschädigteJugendinderHJ“,in:NSLB,Gehörgeschä digteundsprachgestörteSchulkinder,S.55.Vgl.hierzu:LotharScharf,GehörloseinderHit lerjugendundTaubstummenanstaltBayreuth,Berlin2004,S.15.LotharScharfkonntebeisei

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genbann(UnterbannVI)zugeordnetwurde.DamitändertesichderName in„BannderGehörgeschädigten“.558

Abbildung 31: Bann G beim Flaggehissen

DieSchwerhörigenwareneineselbstständigeOrganisationinnerhalbdes BannesG,dersichinseinenUntergliederungenüberganzDeutschland erstreckte.5591937hatteHeinrichWitthöft„befehlsgemäß“dieHJderHam burgerSchwerhörigenschulegegründet,inderesnachseinenAngabenkeine SchulungimnationalsozialistischenSinnegegebenhabensoll.Eswurden Heimatabende veranstaltetund Sportgetrieben. 1939,als GehörlosenHJ undSchwerhörigenHJzusammengelegtwurden,hatteWitthöftseineAuf gabe,dieBetreuungderhörgeschädigtenHJMitglieder,niedergelegt.Zu diesemZeitpunkthattederBannGschonmehrals4.000Mitglieder. 560Ge nerRechercheüberdieGeschichtedesBannesGauffamiliäreUnterlagenzurückgreifen.Vgl. besondersdieumfassendeStudievonMalinBüttner:Nichtminderwertig,sondernmindersin nig…DerBannGfürGehörgeschädigteinderHitlerJugend(EuropäischeHochschulschrif tenReiheXLBand90),FrankfurtamMain2005. 558

DiedeutscheSonderschule1935,Heft12,S.987.

559

 KurtLeichsenring(JungzugführerDresden),DieEingliederungderSchwerhörigenindie HJ,in:DiedeutscheSonderschule1936,Heft3,S.222f.

560

DiefolgendenAngabenzurGehörlosenHJsindentnommenaus:Bandholt,HJ,S.55ff.

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gliedertwurdeerinmehrere„Stämme“,diewiederumin„Gefolgschaften“ unterteiltwaren;sogehörteHamburgunterderLeitungdesBraunschweiger „Obergefolgschaftsführers“WilhelmHeitefußzum„StammII(Nord)“.Auch dieUntergliederungderHJfürZehnbisVierzehnjährigein„Jungvolk“und „Jungmädel“gabesinderGehörlosenHJ.InderGeschäftsstelledesBannes GinLiegnitzwurdenalleMitgliederdesBannesineinerKarteierfasst.561 NichtalleSchülerinnenundSchülerderHamburgerGehörlosenschule warenMitglieddernationalsozialistischenJugendorganisation:IndieGe hörlosenHJkonntennurdiegehörlosenJugendlicheneintreten,dienicht „geistigminderwertig,charakterlichungeeignetoderkörperlichstarkbe hindert“  waren.562 Behinderte  sollten  anfangs  zudem generell  eine  gelbe ArmbindemitdreigroßenschwarzenPunktentragen–dieseSchutzarm bindemusstebeispielsweisezurUnterscheidungmitderhörendenHJin manchen  Gegenden  am  linken  unteren  Ärmel  der  HJUniform  getragen werden.GehörloselehntendieseBindeab,dasiesichdiskriminiertund mit„Geisteskranken“aufeineStufegestelltfühlten–undsoversuchtensie dasZeichenzuverdecken,indemsieihrenlinkenArmhinterdemRücken verstecktenoderdieÄrmelhoch krempelten,damitmandasAbzeichen nichtmehrsehenkonnte.563BestehenbliebalsTeilderUniformeinbeson dersSchulterstückmiteinem„G“für„Gehörlos“zurUnterscheidungdes BannesGmitderhörendenHJ. In Hamburgwaren neben  den gehörlosenKindernund Jugendlichen circa60schwerhörigeJugendlicheimBannGorganisiert.Etwa25Mädchen undJungen,diegeringerschwerhörigwaren,leistetenihren„Dienst“inder hörendenHJ.DerDienstimBannGähnelte–bisaufdasSingenundauf denKriegvorbereitendeGeländeübungen564–demderhörendenHJ.Mitder hörendenHJwurdengemeinsameAufmärscheundsportlicheWettkämpfe 561

ArtikelvonHeinrichEisermannin:DiedeutscheSonderschule1935,Heft2/3,S.181.

562

 Bandholt,HJ,S.56.DerFührerdesBannesG,HeinrichEisermann (geb.1885),Taubstum menoberlehrerinLiegnitz,abDezember1937DirektorderTaubstummenanstaltTilsit,äußerte sich,dassbSchülerundKörperbehindertenichtindieHJgehörten,dasiespäter„dochinir gendeinemFürsorgeheimenden“würden(DiedeutscheSonderschule1935,Heft2/3,S.179).

563

 BerichtübereineSonderausstellungüberGehörloseimDrittenReichimGehörlosenzen trumFrankfurt:BrigitteBeutel,GehörloseimDrittenReich,in:DeutscheGehörlosenzeitung ohneNr.(2006),S.131–137,hierS.134(abgerufenunterhttp://www.kugg.de/download/Aus stellung3Reich_DGZ.pdfam20.3.2007),sieheauchBerichtübereineInformationsveranstal tungüberGehörloseimDrittenReichimBerufskolleginEssen,in:DeutscheGehörlosenzei tung4(2007),S.99–104.

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durchgeführtodergemeinsamfürdasWinterhilfswerkgesammelt.Einmal imJahrwurden„Lager“von150bis200Jugendlichenveranstaltet–1938 fuhrendieHamburgerindieLüneburgerHeide.DieJungenwohntenzu sammenmiteinemhörenden„Führer“inZelten,währenddieMädchenin Jugendherbergenübernachteten.Zu„Führern“wurdendieTaubstummenleh rerundlehrerinnen,„Unterführer“warenhörendeJugendliche,dievonder HJüberwiesenwurden,aberauchschwerhörigeodergehörloseJugendliche.

Abbildung 32: Wilhelm Bandholt

TaubstummenlehrerWilhelmBandholt(1900–1944)leitetedenJungzugder Hamburger  Gehörlosenschule.  Bandholt  war  seit  1920  an  verschiedenen Hamburger  Schulen als Volksschullehrer tätig. Seit 1936  hatte er an  der SprachheilschuleRostockerStraßeunterrichtet.MitAblegungderPrüfung fürdasLehramtanTaubstummen,SchwerhörigenundSprachheilschulen 564  AndereGruppenmissachtetendieseVorschriftausdenBannbestimmungenundlernten ebensoGeländeundKartenkunde,andereGruppensolltennationalsozialistischeLiedermit sprechenkönnen (Interviewsmit gehörlosen  ehemaligen Mitgliedern des Bannes G in der Sendung„SehenstattHören“vom16.Juni2005).

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am30.Juni1938wurdeerzumMitglieddesKollegiumsderGehörlosen schule.565 Ertratam1.Mai1938indieNSDAPeinundwurdedreiTage später,am4.Mai1938,zumFührerdesJungzugsimUnterbannIINord desBannG.566Erhoffte,dassseineTätigkeitinderGehörlosenHJihmzu einerraschenBeförderungzumTaubstummenOberlehrerhelfenwürde.567 DieseHoffnungerfülltesichallerdingsnicht. Sinn dieser  Organisation  der  Gehörlosen,  insbesondere der  jährlichen Fahrten,  war  –  so  äußerte  sich  Wilhelm  Bandholt –  „sich  abzuhärten  in SpielundSportundfroheStundeninGemeinschaftzuverleben“.Ersah „eineJugendheran[wachsen],diezwarnichtwieihrehörendenKamera denspäterüberallvolleinsatzfähigsind,dieaber,aufdenrichtigenPlatz gestellt,  im  starken  Bewußtsein  ihres  Deutschtums  ihren  Mann  stehen wird“.568 DerGehörlosenBannderHJsollte„denneuenTypdestauben deutschenMenschen“formen.569DiereichsweiteZeitschrift„Derdeutsche Gehörlose“unterLeitungHeinrichSiepmanns,die1942ihrenTitelin„Der Gehörlose  in  der  deutschen  Volksgemeinschaft“  umformulierte,  um  die „VerbundenheitderGehörlosenmitdergroßenVolksgemeinschaft“darzu stellen,570jubelte:„inderSchulederHitlerjugendschmilztderalteliberalis tischeTypderGehörlosen,derimmerundüberallSonderrechteforderte [...],derseinMißtrauengegendenHörendeninsKrankhaftesteigerte,der ohneVerständnisfürseinenKräfteeinsatzinungeeigneteBerufedrängte“. Meinungsäußerungen  von  Gehörlosen  waren  nicht  wichtig,  die  Rolle derHörendenalsführendüberdienichthörendenMitmenschenwarer neutgefestigtworden.AuchdieGehörlosenHJwurdealsCharakterfor mungfürjungeDeutschegesehen,die„dietaubenJungenzueinemharten

565

DerLebenslaufWilhelmBandholtswurdeanhandvonOriginalurkundenvonseinemSohn HartmutBandholtzusammengestellt,demichfürdieZurverfügungstellungseinerInforma tionenherzlichdanke.

566

SchulungsundEinsatzausweisderNSDAPvonWilhelmBandholt,OriginalimBesitzvon HartmutBandholt.

567

 SchreibenvonWilhelmBandholtanseineElternam10.7.1938ausdemFreizeitlagerder GehörlosenHJbeiOertze,OriginalimBesitzvonHartmutBandholt.

568

Bandholt,HJ,S.58.

569

DerGehörloseinderdeutschenVolksgemeinschaftNr.3vom7.2.1942,S.42.

570

 DerGehörloseinderdeutschenVolksgemeinschaft(Nr.unleserlich)vom20.4.1942.Der BannGgabzudemeineeigene,amtlichgenehmigteHJZeitungnamens„DieQuelle“heraus.

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Geschlecht“erzieht.571DasErziehungszieleinerGehörlosenHJwurde1937 mit„WeckendesWillenszumHeroismus“bezeichnet.Diessollteunteran deremineinemhohenArbeitseinsatzgipfelnunddieGehörlosenzu„frei willigen“  Sterilisationen  bringen.572 Dies  setzte  auch  eine  Schulung  der FührerdesBannesGvoraus.EinsolcherLehrgangfandimOktober1935in Berlinstatt.573UmdieganzeschulentlasseneJugendzuerfassen,wurdeau ßerdemmitderJugendabteilungdesRegede(ReichsverbandderGehörlo senDeutschlands)zusammengearbeitet.574

Abbildung 33: Der Gehörlose in der deutschen Volksgemeinschaft, 1942

571

DerGehörloseinderdeutschenVolksgemeinschaftNr.3vom7.2.1942,S.42.

572

Wulff,Reichsleitung,S.508.

573

DiedeutscheSonderschule1935,Heft11,S.882–887.GeschultwurdenFührerderHJwie desBDM. 574

Ebd.,S.883.

182

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Abbildung 34: Gaubundestag in Lüneburg 1937, in Uniform Fritz Albreghs

FürdieLehrkräfteandenTaubstummenschulenhattesichmitBeginnder nationalsozialistischen  Regierung  einiges  geändert.  Der  seit  1894  als  Be rufsorganisationbestehende„BundDeutscherTaubstummenlehrer“wurde zuPfingsten1933„gleichgeschaltet“undinden„Nationalsozialistischen Lehrerbund“(NSLB)eingegliedert.DasOrgandesBundes,die„Blätterfür Taubstummenbildung“erschientrotzProtestenderLehrerschaftfortanals BeilagederZeitschriftderReichsfachschaftV(Sonderschulen)„Diedeut scheSonderschule“.575AdolfLambeckwarMitbegründerdieserZeitschrift. NebenkleinerenNeuigkeiten,wiederStreichungdesangeblichjüdischen VornamensvonHeinicke,576 kamenauchgrößereVeränderungenaufdie Lehrerzu.SowurdedieAusbildungderTaubstummenlehrerneugeregelt: 1935erschieninHamburgeineneueAusbildungsundPrüfungsordnung 575

 FranzWegwitz,HistorischesundBesinnliches,in:NeueBlätterfürTaubstummenbildung Nr.1+2,Oktober/November1950,S.23;StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGe hörlose,  Mappe  5  „Bund  deutscher  Taubstummenlehrer  Schriftverkehr“  (Ablieferungsver zeichnis),Sitzungsberichtvom8.10.1933GaufachleiterTaubstummenlehrerimNSLB.

576

Ebd.,S.24.

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fürLehreranGehörlosen,SchwerhörigenundSprachheilschulen,diedie AusbildunginderTheorieandieUniversitätunddiePraxisandieSchulen verlegte.Währendvor1933dieLehrerundErzieheranAnstaltenin30ver schiedenenVerbändenorganisiertwaren,gabesjetztdenallumfassenden Nationalsozialistischen Lehrerbund,  dessen  „Fachschaft  V“  in  vier  Fach gruppenunterteiltwar.HierwarendieLehreranSchulenfürTaubstumme, Schwerhörige  und  Sprachkranke,  die  Lehrer  an  Schulen  für  Blinde  und Sehschwache,LehreranHilfsschulenundinderviertenFachgruppeLeh rer  an  Anstalten  (aufgezählt  wurden  „Krüppelschulen“,  Waisenhäuser, Heilerziehungs,StrafundFürsorgeanstalten)zusammengefasst.577 EineAnordnungzurreichsweiteinheitlichenBenennungderTaubstum menundBlindenschulenließdieSchulederHamburgerTaubstummenan stalt1938zur„Gehörlosenschule“werden.578EineAnordnungderUmbe nennung  der  Schwerhörigenschule  in  „Schule  für  Gehörgeschädigte“ wurde  dagegen  zurückgezogen  mit  der  Begründung,  dass  sich  dieser NamenichtimReichdurchgesetzthabe.579 4. 3.6 Das Ende der Schule an der Bürg er weide DastraditionsreicheSchulgebäudeanderBürgerweideinHamburgBorg feldewarschon1935fürdieZweckederFürsorgeundderSchuleunzu länglich  geworden.580 Das  alt  und  düster  erscheinende  Haus  wurde  als staatlicheSchule(Taubstummenschule)undalsprivatesInternat(Stiftung Taubstummenanstalt)genutzt.ZumSpielenhattendieKindernurdenHof undkeineNatur.DerzumInternatgehörigeObstgartendurfte,daerdem Direktorgehörte,vondenKindernnichtbetretenwerden.DieBeschwer denbeiderSchulbehördehäuftensich.DieElternderKinderklagtenüber baulicheMängeldesGebäudesundüberSchwierigkeitenbeiderZusam menarbeitmitdembereits70jährigenInternatsleiterHeinrichMutz,der 577

DiedeutscheSonderschule1935,Heft2/3,S.426.

578

StAHbg,3612VIOSBVI,4826,Bl.41:RundschreibendesReichsundPreußischesMinis teriumfürWissenschaft,ErziehungundVolksbildungvom19.5.1938undBl.42:Schreibender Schulverwaltungvom9.6.1938. 579

Ebd.,Bl.54und55,SchreibenvonOberschulratMansfeldvom26.5.1939undNotizenvom 30.10.1939.

580

StAHbg,35110ISozialbehördeI,AK61.11,Vermerkvom10.5.1935.

184

Die staatliche Taubstummenschule

dieseStellungnochüberseinePensionierungalsLehrkrafthinausinnehat te.SeineFrauDora,diebis1922selbstalsLehrerinanderSchulegewirkt hatte,bemühtesichfastalleineumdieKinder.SogargegenFrauGrösch ner,dielangjährigeLeiterindesKindergartens,wurdenBedenkenerhoben. IndenAugenderElternundLehrkräftegabeszumlautsprachlichenErzie hungsansatz  keinerlei  Alternative.  Und  die  Kindergartenleiterin  war schwerhörig,schienalsofürdiesprachlicheFörderungderKinderunge eignet.EineBesprechungzwischendenverschiedenenBehörden,Vereinen und  der  Taubstummenanstalt  sollte  Klarheit  bringen,  doch  im  Ergebnis blieballesbeimAlten:DieBehördensahenkeineMöglichkeitzuräußeren SanierungdesGebäudes,derHofschienfürSchulkinderausreichendge nugunddenInternatskindernmüssteeineSandkisteimGartendesAn staltsleitersgenügen.581AlleinderKindergartenleiterin,diedortschonseit 1914arbeitete,wurdenunaufeinmalattestiert,dasssie„eigentlichnicht geeignet“sei,dieSprachederKleinkinderpflegenzukönnen.582Ende1935 ändertesichdochnochetwas.SchulleiterJankowski wurdeaufBestreben desVorstandsinPersonalunionAnstaltsundSchulleiter.Somitwareine SituationwievordemSelbstverwaltungsgesetzderSchuleneingetreten.In ternatundSchulearbeitetenjetztwiederuntereinergemeinsamenLeitung zusammen.583 1937feiertedieTaubstummenanstaltihr110jährigesJubiläum.Dieser StiftungstagwurdemiteinemAusflugder81KinderundihrerLehrkräfte indenAltonaerVolksparkbegangen.EineweitereFeierwurdevonderRe gierungsparteiwenigergerngesehen.1938wurdediechristlicheGestaltung derWeihnachtsfeierdurchdenOrtsgruppenschulungsleiterderNSDAPbe anstandet.584 Neben  der  Schule  gab  es  in  dieser  Zeit  weitere  Einrich tungen  für  gehörlose  Kinder  und  Jugendliche  im  Gebäude  der  Taub 581

Ebd.,Vermerkvom17.5.1935.

582

Ebd.,GesundheitsundFürsorgebehördeanVorstandderTaubstummenanstalt4.6.1935.

583

StAHbg,3612VIOSBVI,2537,Bl.3:VermerkRegierungsdirektorDr.R.Flemmingvom 11.11.1935undBl.9:PräsesderLandesunterrichtsbehörde,KarlWitt,anStaatsamt27.11.1935. 1936wurdedieBezeichnungvonDirektorinAnstaltsleitergeändert.JankowskiwarinPerso nalunionAnstaltsundSchulleitergeworden.FürdieÜbernahmebeiderPostenbekamener undseineFamiliefreieWohnunginderAnstalt,ebensofreieFeuerung,Beleuchtung,Wäsche, BeköstigungundhattendieHausangestelltenderAnstaltalsHaushaltshilfenzuihrerVerfü gung(ebd.,Bl.9:PräsesderLandesunterrichtsbehörde,KarlWitt,anStaatsamt27.11.1935). 584

 StA Hbg,  3613  SchulwesenPersonalakten, A 1225,  Fragebogen  der  Militärregierung  an PaulJankowski,13.9.1945.

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stummenanstalt:denKindergartenfürgehörloseKinderabvierJahren, denKindertageshort,unddie„FortbildungsschulefürTaubstumme“bis zum18.Lebensjahr,dieuntergroßenAnstrengungenaufrechtgehalten wurde.585

Abbildung 35: Die Taubstummenanstalt an der Bürgerweide

DieseitvielenJahreninihrerKonstellationvonstaatlicherSchuleundpri vater Anstalt  arbeitende  Hamburger  Gehörloseneinrichtung  musste  sich weitere Änderungen ihrer Organisation  gefallen  lassen. Wie beschrieben hattedieSchuleschonvielvonihrerStruktur,diesievor1933hatte,verlo ren:DieLehrzielehattensichverändert,LehrpläneundSatzungenwaren geändertworden,dieSchülersolltenmehralsObjekteunterdemNützlich keitsaspektbetrachtetwerden,washieß,dassnichtjedesKindgefördert werden  sollte.  Lehrkräfte  waren  in  neuen  zentralisierten  Einheiten  und Bündenorganisiert.1938wurdedernochheutegültigeTerminus„Sonder 585

MehrdazuimKapitel4.5.9Berufsschule.

186

Die staatliche Taubstummenschule

schule“fürheilpädagogischeSchulartenimReichsschulpflichtgesetzfest geschrieben.586 Im  Reichsschulpflichtgesetz  wurde  ebenfalls  die  Pflicht zum BesuchderSonderschulenundsomitauchdieSchulpflichtfürge hörloseKinderfürganzDeutschlandfestgelegt.DieSonderschulpflichtin HamburgwarineinemRundschreibenderOberschulbehördeuntergleich zeitiger Führung  eines  Personalbogens  – der später zum Hilfsmittel  zur DurchführungdesGzVeNmissbrauchtwurde–bereits1922festgeschrie benworden.587

Exkurs: Schulpflicht DenerstenSchulzwangfürgehörloseKinderführte1805inFolgederöf fentlichenAufmerksamkeitzumThemaGehörlosigkeitderdänischeKönig ChristianVII. inseinenHerzogtümernSchleswigundHolsteinein.588 Er galtfürgehörlose,„bildungsfähige“KinderabdemsiebtenLebensjahr,die in  der  Taubstummenanstalt  des  Landes  kostenfrei  verpflegt  und  betreut wurden.MitdemInkrafttretendiesesGesetzesstiegdieAnzahlderinder 1799eröffnetenKielerAnstaltbetreutenKindervon13auf35.589Erst60Jah re  später,  1873,  folgte  als  nächstes  deutsches  Land  SachsenWeimar.  In Hamburg  wurde  die  Schulpflicht  an  allgemeinbildenden  Schulen  durch das  Unterrichtsgesetz  vom  11.  November  1870  eingeführt.  Ein  Beschu lungszwangfürgehörloseKinderwurdeimGesetzallerdingsnichtfestge legt.590DerdurchdieHamburgerTaubstummenanstaltgeradeAnfangdes 586

Reichsschulpflichtgesetzvom6.7.1938(RGBlI,1938,S.799–801,§6,Absatz1).

587

StefanRomey,Der(un)aufhaltsameAufstiegderEugenikimSonderschulwesen,in:deLo rent,HansPeter/Ullrich,Volker,DerTraumvonderfreienSchule.SchuleundSchulpolitikin der  Weimarer  Republik  (Hamburger  Schriftenreihe  zur  Schul  und  Unterrichtsgeschichte Band1),Hamburg1988,S.315–329,hierS.317. 588

Kröhnert,SprachlicheBildung,S.61.

589

ArnoBlau,150JahreTaubstummenbildunginSchleswigHolstein,Schleswig1955,S.7–12 und16–19. 590 StAHbg,3612VOSBV,859b,Bl.5VermerkSchulratProf.Dr.G.Dillingvom20.11.1906;§56: „Kinder,welchewegenKränklichkeit,SchwächedesKörpersoderGeistesdieSchulezubesu chenverhindertsind,könnenvonErfüllungderBestimmungüberdieSchulpflichtigkeitent bundenwerden“(nach:AdolphMicolci,DasUnterrichtswesendesHamburgischenStaates. EineSammlungdergeltendenGesetze,VerordnungenundsonstigenBestimmungenüberdas UnterrichtsweseninHamburg,Hamburg1884,S.24f.).

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20.JahrhundertsgeforderteSchulzwangwarvonderSchulbehördenicht gewollt,dademelterlichenErziehungsrechtkeinezwangsweiseUnterbrin gung  in Anstalten  entgegenstehen  sollte.591 In  den  neuen  Unterrichtsge setzentwürfen der Schulsynode  (1899) und  der Oberschulbehörde (1900) wurdengehörloseKinderwiedernichterwähnt,obwohldieAnstaltsichin denletzten20JahrenintensivfürdiegrößereBeachtungihreZöglingeein gesetzthatte.592 BürgerschaftundBehördewurdenerneutumEinführung derSchulpflichtfürGehörlosegebeten.Daam1.April1912inPreußen dasGesetzbetreffenddieBeschulungblinderundtaubstummerKinder vom 7.bis15.LebensjahrinKrafttrat,593 wurdeindiesemJahrauchin HamburgeinweitererVorstoßindieserRichtunggewagt.Gefordertwurde einegesetzlicheRegelungderSchulpflichtfürgehörloseKinderbiszum Endedes15.Lebensjahres,auchfürKinderausHamburgsLandgebieten– dochdieEingabeführtewiederzukeinemErgebnis,da,alsdieAnstaltih renAntrageinbrachte,schonalleVorarbeitenseitensderBehördenfürdas Unterrichtsgesetzabgeschlossenwaren.594MitderEinführungdergesetzli chenSchulpflichtinPreußen,dieeineEinschulungfürgehörloseKinder einJahrspäteralsbeivollsinnigenKindernvorsah,wurdenfünfzuvorun beschulte  gehörlose  Kinder  aus  dem  Hamburger  Landgebiet  auf  Kosten derArmenverwaltungdesAmtesRitzebüttelindieHamburgerTaubstum menanstalt eingeschult.595 Die Diskussion  um die  Einführung  der  Schul pflichtfürgehörloseKinderinHamburgruhteauchinderFolgenicht. DochdasgeltendeSchulgesetzwurdevondenBehördenalsgenügendan 591

StAHbg,3612VOSBV,859b,mehrereAnträge,u.a.Bl.6:SöderanSchulratProf.Dr.G. Dilling10.11.1906undBl.6c:DanckertanOSB22.10.1919;BerichtSchulinspektorHansFricke vom18.11.1912.

592

StAHbg,35110ISozialbehördeI,AK61.11,BerichtvonSöderinder1.BeilagezurNr.44 der„PädagogischenReform“vom30.10.1912.

593

GesetzbetreffenddieBeschulungblinderundtaubstummerKindernebstAusführungsan weisungen,Berlin1912.

594

StAHbg,3612VOSBV,499aBand1,Bl.107f.:ProtokollSitzungSchulkommissionder Taubstummenanstalt5.9.1912.DieimTexterwähntenEntwürfewurden1903vonSenatund Bürgerschaftabgelehnt,bis1918dienächsteÄnderungdesUnterrichtsgesetzeserfolgte(Wer nerKantwill,NeuereGeschichtedeshamburgischenSchulrechts.UnterbesondererBerück sichtigungdesEinheitsschulgedankens[EuropäischeHochschulschriftenReiheIIBand1716], FrankfurtamMain1995,S.131ff.). 595 StAHbg,3612VOSBV,859b,GustavHollburgvonderOSBAbteilungIVanSyndikus Dr.WilhelmAdolfAlfredAlbertBuehlam7.5.1913.

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Die staatliche Taubstummenschule

gesehen,KinderdenpassendenSonderschulenzuzuführen,596 wobeinoch inden1920erJahreneinSchulzwang„vorsichtig“ausgeübtwerdensoll te.597 Eine  weitere  Verordnung  vom  17.April  1924  stellte  fest,  dass  eine SchulpflichtfürtaubstummeKindervomsiebtenbis15.Lebensjahrgelte.598 Wennauchschon1919dieallgemeineSchulpflichtinArtikel145der WeimarerVerfassungfestgeschriebenwordenwar,599hattedasReichsschul pflichtgesetzeinelängerfristigeWirkung.Hierwurde1938nebenderallge meinenSchulpflichtebenfallsdiePflichtzumBesuchderSonderschulen undsomitauchdieSchulpflichtfürgehörloseKinderfürganzDeutschland festgelegt.600SiebegannimAltervonsiebenJahren(einJahrspäteralsfür andereKinder),dauerteachtJahreundkonntebisumdreiJahreverlängert werden. * ReichsweitePlanungenzurVereinheitlichungdesGehörlosenschulwesens wurden1938intensiviert.DieSchülerinnenundSchülersolltennachdem WillenderregierendenBehördeninwenigengrößerenAnstaltenunterge brachtwerden.601DieshätteeinenochbessereKontrolleüberdieGehörlo senermöglicht.EineReduzierungderSchulensolltemöglichwerden,da die  Regierung  mit einem  weiteren  Zurückgehen  der  Schülerzahlen  aus „Gründenteilsvolksbiologischen,teilsgesundheitspflegerischenundsa

596 §54bestimmte,dassElternverpflichtetseien,ihreKinder„nichtohnedennothwendigen Unterrichtzulassen“(nach:Micolci,Unterrichtswesen,S.24f.). 597

StAHbg,3612VOSBV,859b,Bl.10:ProtokollUnterrichtsgesetzkommission3.4.1922.

598

StAHbg,3526Gesundheitsbehörde,1271Band1,SchulratDr.Jeiler,HandbuchdesVolks schulwesens,1928.

599

WalterLandé,DieSchuleinderReichsverfassung,Berlin1929,S.160–162.

600

Reichsschulpflichtgesetzvom6.7.1938(RGBlI,1938,S.799–801,§6,Absatz1).Hiertaucht zumerstenMalderTerminus„körperlichbehindert“ineinemGesetzestextauf.DerBegriff „geistigundkörperlichbehinderteKinder“wurdealsSammelbegrifffürKindergewählt,die nichtdiefürden„SchulbesucherforderlichegeistigeundkörperlicheReife“besaßen.Auch dieMöglichkeitderzwangsweisenUnterbringunginAnstaltenwurdein§7gesetzlichveran kert.ImReichsschulgesetz1939wurdezudemdieBeschulungsundFürsorgepflichtallerLän derverankert(R.Brenke,AdolfLambeck,in:NeueBlätterfürTaubstummenbildungNr.1+2, Oktober/November1950,S.44f.). 601

 StAHbg,3617StaatsverwaltungSchulundHochschulabteilung,4020–12(Unterakteb), ReichsministerdesInnernanReichsstatthalterKaufmanninHamburg19.8.1938.

Im „Dritten Reich“ (1933–1945)

189

nitärvorbeugenderArt“rechnete.602 Hamburg,dessenSchülerzahlunter anderem  auch  auf  Grund  des  GroßHamburgGesetzes  durchaus  keine rückläufigeTendenzaufweisenkonnte,hoffteindiesemZusammenhang darauf,einediesergroßenAnstaltenzuwerden.Schonseitlangemkonnte jedes  Jahr  eine  neue Aufnahmeklasse  gebildet  werden.  Nun  schlug  die SchulverwaltunginHamburgvor,dassdieHamburgerTaubstummenan staltfürdasgesamteNiederelbegebietzuständigseinsolle,alsofürMeck lenburg,SchleswigHolstein,GroßHamburg,BremenundNordhannover, bisetwaDömitzanderElbe.603DerVorschlag,einegroßeAnstaltfürganz Norddeutschlandzubilden,fandauchanderswoGefallen.DieTaubstum menschuleLudwigslustschlugeinenZweckverbandfürdieAnstaltenvon Hamburg,StettinundLudwigslustvor.604AuchKielmeldeteInteressean. EinegrößereAnzahlvonGehörlosenließeeinebessereKlassengliederung nachLeistungsstandderSchülerinnenundSchülervornehmen,sodassje desKindbessergefördertunddamitleichterindasspätereErwerbsleben eingegliedertwerdenkönne.VorhandeneLehrwerkstättenundSchulungs einrichtungen  sowie  spezielle  Meisterkurse  für  handwerkliche  Berufe könnten  bei  größerer  Frequentierung  ausgebaut,  Sonderwerkstätten  für nichterwerbsfähigeJugendlichezumBeispielinderLandwirtschafteinge richtet  werden.  Auch  der  GehörlosenBann  der  Hitlerjugend  (Bann  G) könntezentralisiertwerden.FürHamburgsprachendieschonvorhande nenEinrichtungen,diverseWerkstätten,diehierdurchgeführteFrüherzie hung,unddieZusammenarbeitmitderSchwerhörigenschule.605Dochder leiPlänesetztensichletztendlichnichtdurch.EineEntscheidungwurde 602

StAHbg,3612VIOSBVI,2531,RundschreibendesReichsundPreußischenMinistersfür Wissenschaft,  Erziehung  und  Volksbildung  an  die  Unterrichtsverwaltungen  der  Länder 24.2.1937.SenatorWilhelmvonAllwörden dagegenteiltedemReichsundPreußischenMi nisterdesInnernmit,dasswohl–trotzdeshiergemeintenGzVeN–keinRückgangderSchü lerzahlenzuerwartensei,deshalbauchindernächstenZeitzwischen80und90Schülerzu beherbergenseien,daHamburgalsGroßstadteinegroßeAnziehungskraftausübeundsosich dieZahlderTaubstummendurchZuzug„immerwiederauffüllenwerde“(StAHbg,3617 StaatsverwaltungSchulundHochschulabteilung,402012(Unterakteb),vonAllwördenan denMinisterdesInnern8.9.1937).

603

 StAHbg,3617StaatsverwaltungSchulundHochschulabteilung,4020–12(Unterakteb), Schulverwaltung  Karl  Witt an  Staatsverwaltung  Schul  und  Hochschulabteilung  4.10.1938. NacheinemBerichtvonJankowskivom29.9.1938(in:StAHbg,3612VIOSBVI,706,Bl.8–13).

604

 StAHbg,3617StaatsverwaltungSchulundHochschulabteilung,402012(Unterakteb), Mecklenburgisches  Staatsministerium, Abteilung  Medizinalangelegenheiten,  Dr.  Bergholter, anReichsundPreußischenMinisterdesInnern12.8.1937.

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immerwiedervertagt,1939aufunbestimmteZeit„nachBeendigungdes Krieges“.606DasGroßHamburgGesetz,das1937/1938dieehemalspreußi schenOrteHarburgWilhelmsburg,WandsbekundAltonasowie27weite reKreisgemeindenindasStadtgebieteingliederte,brachtederHamburger GehörlosenschuleeinegrößereAnzahlgehörloserSchülerinnenundSchü ler.DiesewarenvorwiegendalsBewohnerehemalszuSchleswigHolstein gehörigerStadtteilezuvorinderSchleswigerTaubstummenanstalteinge schultgewesen.AlleinkleinereSchulenwurdentatsächlichaufgelöstund dieKinderundLehrkräfteangrößereAnstaltenverteilt.AuchHamburg bekamgehörloseSchülerundmitErnstHansen (1879–1969)einenLehrer eineraufgelöstenLübeckerSchwerhörigenundTaubstummenklasse.607 DieSchulewarnunsogroßgeworden,dassRäumeinanderenSchulge bäudenangemietetwurden,zuerstinderehemaligenAufbauschuleinder FelixDahnStraße.DortwurdenKlassenderGehörlosenwiederSprach heilschuleuntergebracht.Zum16.April1942musstediesesProvisorium wiederaufgegebenwerden,dadieSchulbehördedortdienotwendigge wordenezweiteLehrerbildungsanstaltHamburgseinrichtenwollte.608 Da vieleLehreralsSoldatenandieFrontgeschicktenwurden,mussterasch Lehrerersatzausgebildetwerden.AlsAusweichschulefürdasSchulgebäu de  an  der  FelixDahnStraße  wurde  der  Gehörlosenschule  von  Schulrat DietrichOssenbrügge(1878–1956)diejüdischeSchuleinderKarolinenstra ßegenannt,609diezudemZeitpunktnochvon100SchülernundSchülerin nen  der  ehemaligen  TalmudToraSchule  und  der  Mädchenschule  der deutschisraelitischenGemeinde  besucht  wurde.610 Die  Schulverwaltung erwarbdasSchulinventaram6.Juni1942unddasGebäudeanderKaroli 605

Ebd.,SenatsdirektorDr.SchultzanReichsministerdesInnern13.7.1939undSchulverwal tungKarlWittanStaatsverwaltungSchulundHochschulabteilung4.10.1938.

606

StAHbg,3612VIOSBVI,706,Bl.57:Notizvom14.12.1939.NachEndedesKriegeswurde konstatiert,dass„beidergegenwärtigen[…]Lage[…]eskeinenSinn[habe],dieseAngele genheitweiterzubetreiben“(Ebd.,Notiz5.5.1947).

607

AngabenzuLübeckundHansenin:StAHamburg,3613SchulwesenPersonalakten,A939.

608

 StAHbg,3612VIOSBVI,202Band91,SchulratOssenbrügge anGestapo28.3.1942.Zur Lehrerbildungsanstalt  siehe  Ulrike  Gutzmann,  Von  der  Hochschule  für  Lehrerbildung  zur Lehrerbildungsanstalt:dieNeuregelungderVolksschullehrerausbildunginderZeitdesNa tionalsozialismus  und  ihre Umsetzung  in  SchleswigHolstein  und  Hamburg  (Schriften  des Bundesarchivs55),Düsseldorf2000,zumStandortFelixDahnStraßesiehebesondersS.628– 632. 609

Ebd.

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nenstraßeam18.Dezember1942vonderJüdischenGemeinde 611undquar tiertedieSchülerderGehörlosenschulenachihrerRückkehrausderKin derlandverschickungkomplettdortein,dadaseigeneSchulgebäudeander BürgerweideimJuli1943währendeinesbritischenLuftangriffestotalzer störtwordenwar.612 EinenplastischenBerichtüberdieseZerstörunghat SchulleiterJankowskinurwenigeTagenachderZerstörungverfasst.613Zu derZeitbefandersichnacheinem„Zusammenbruchaufgrundkörperli cherundseelischerÜberanstrengung“beiseinemSchwageraufdemLand. Jankowski,derdieBrandschutzwacheimSchulgebäudeübernommenhat te,  begann  seinen  Bericht  mit  der  Feststellung,  dass Anstalt  und  Schule währenddesgroßenFliegerangriffsinderNachtvom27.aufden28.Juli 1943totalzerstörtwordenwaren.Nichtskonntegerettetwerden,weder dasInventarnochdieBibliothekoderdasArchiv.AlsderFeuersturmbe

610 WörtlichwirdindemBriefgesagt,dassden400„deutschblütigen“KindernderVorzugvor „100Judenkindern“gegebenwerdenmüsse,auchwennerstere„nur“Sonderschülerseien. DerjüdischenSchulewurdenerstAusweichräumeinderVolksschuleAltonaerStraße58an geboten,dochdasAngebotwurdenachProtestenderAltonaerSchulleitung,„dieswürdedie innereRuhedesSchullebensanderAltonaerStraßegefährden“,zurückgezogen(BriefSchul leiterinLangeanSchulratPreuße2.4.1942).Nachdemgeschimpftwurde,dass„dieJudense hensollten,wiesieihreKinderselbstunterbringen“(BriefSchulratErnstPreusse anOber schulratFriedrichKöhne7.4.1942),wurdeerwogen,derjüdischenSchuleeinNebengebäude der„ehemaligenHochschulefürLehrerbildung,welcheszurZeitvoneinemSHDTrupp[Si cherheitsundHilfsdiensttrupp,Luftschutzpolizei]genutztwerde“(dieswardasGebäude derehemaligenTalmudToraSchule),zuüberlassen(SchreibenderSchulverwaltungandas ZentralbürodesReichsstatthalters20.4.1942).Dochbevordiesgeschehenkonnte,ordneteder Reichsstatthalteram29.4.1942an,dassjüdischeKindergenerellnichtmehrunterrichtetwer dendürften(BriefeinesSSGruppenführersandieGestapo;alleSchriftwechselin:StAHbg, 3612VIOSBVI,202Band91).KinderundLehrkräftederjüdischenSchule,dienichtrechtzei tig  emigriert  waren,  wurden  im  Konzentrationslager  ermordet  (zur  Mädchenschule  der deutschisraelitischenGemeindeinderKarolinenstraßesieheUrsulaRandt,Carolinenstraße 35.GeschichtederMädchenschule derDeutschIsraelitischenGemeindeinHamburg1884– 1942[VorträgeundAufsätze,Heft26],Hamburg1984). 611

StAHbg,3612VIOSBVI,202Band91,SchulratOssenbrüggeandieKämmerei6.6.1942.

612

 DieStraßeBürgerweidewurdeinderNachtvom27.aufden28.Juli1943infolgeeines GroßangriffesaufHamburgausderLuftvölligzerstört(OskarWeber,DasEndedesHauses Mittelstraße  32,  in:  Renate  HauschildThiessen,  Die  Hamburger  Katastrophe  vom  Sommer 1943inAugenzeugenberichten[VeröffentlichungendesVereinsfürHamburgischeGeschichte Band38],Hamburg1993,S.68). 613  StA  Hbg,  3613  SchulwesenPersonalakten,  A  1225,  Jankowski  an  Schulverwaltung 10.8.1943.

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gann,614wurdendurchdengewaltigenDruckdesOrkanssämtlicheFenster mitihrenFassungenausderMauergerissen,TürenausdemRahmenge brochenundSchränkeumgeworfenunddurcheinandergeschleudert.Das Chaoswarschonperfekt,alsdasHausnochnichtbrannte.NochhoffteJan kowski,dadasGebäudenichtdirektvonBrandbombengetroffenwar,die SchulemitHilfeseinerFrau,demLehrerErnstHansen,derzusammenmit ihmWachehatte,undeinpaarMännern,dieerausdemöffentlichenLuft schutzraumdesHausesgeholthatte,zuretten.Manverteiltesichaufdie oberenStockwerkeundlöschteFlugfeuer,rissbrennendeVorhängeundVer dunklungenherunterundstellteWasserundSandzurBekämpfungvon einzelnenBrandherdeninalleZimmer.DochalldieseMaßnahmensollten nichtsnützen.DasFeuerimGebäudeentstanddurchFunkenflug,dervon dreiSeitenherkam,denndieStraßeBürgerweidebranntebereits,ebenso dasMarienkrankenhausinderAlfredstraßeundderSchuppendesstädti schenHolzlagerplatzesamSteinhauerdamm.DerOrkanbliesdieFunkenin dasGebäudeundsämtlicheRäumedesoberstenStockwerkesfingengleich zeitigzubrennenan.RaschbreitetesichdasFeuerauchaufdasersteStock werkaus,undnundachtemannurnochdaran,dieInternatskinderundAn gestelltenderAnstaltausdemLuftschutzkellerzubringen,ehedieAusgänge durchbrennendeTrümmerverstopftseinwürden. AuchErnstHansen hatineinemBriefdieRettungsversuchebeschrie ben.615Der64jährigeLehrerführtedienochinderAnstaltwohnendenKin der  über  den  Schulhof  und  die  Bürgerweide  und  versuchte,  den  freien Platz  vor  der  Erlöserkirche  zu  erreichen. Als  die  durch  das  Feuermeer flüchtendeGruppezueinerBrückekam,wirbeltesieeingewaltigerWind stoßdurcheinander.NurmitMüheerreichtenalledenKirchplatz,vonwo auseskeinWeitergehenmehrgab,dennrundumsahmannichtsmehrals Feuer.EssammeltensicheinigeFlüchtlingeaufdemPlatz.Umsieherum Sturm,QualmundFunkenregen.AusaufdemPlatzliegendenPlattenfür einenBarackenbauwurdeeinSchutzschildgegendieFunkengebaut.Aber auchdieKirchegingimFeueraufunddieMenschenwarendamitbeschäf tigt,sichgegenseitigdieFunkenanderKleidungabzuklopfen.FünfStun denlanglagendieKinderundErwachsenenhinterdenBarrikadenundan 614 ZumPhänomendesFeuersturmssieheHansBrunswig,FeuersturmüberHamburg,Stutt gart1978. 615

 StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A939,AbschrifteinesBriefes,denHansenam 11.August1943seinemKollegenWilhelmBandholtgeschriebenhatte.

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derEisenbahnböschung.AlsderWindnachließunddasFeuerabsackte, kämpftesichHansenmitdenKindernandieAlsterdurch,umdortKüh lungzusuchen.

Abbildung 36: Das zerstörte Schulgebäude an der Bürgerweide

InzwischenwarenzweiLöschzügezurSchulegekommen,konnten aber aufGrundvonWassermangelnichthelfen,dasFeuerzubekämpfen.Als dieKinderinSicherheitschienen,konntenJankowski undseineFraumit HilfeeinigerObdachloser,dieschonwährenddeserstenAngriffesaufdie StadteinenTagzuvorimHauseZufluchtgesuchthatten,durchmehrere StundenArbeitdasDirektorwohnhausretten.DieMühewarallerdingsver gebens,dennwährendderLuftangriffedernächstenNachtwurdeauchdie sesGebäudezerstört.AufAnordnungderOrtsgruppenleitungderNSDAP verließendieJankowskismitdenInternatszöglingennocham28.JuliHam burg.  Die  Evakuierung  führte  die  Kinder  nach  Lüneburg.  Von  dort  aus wurdendreiKinderimHamburgerKinderheimuntergebrachtundwur defüreinenschonschulentlassenenZöglingeineBleibeaufdemLand gefunden.616 616  StA  Hbg,  3613  SchulwesenPersonalakten,  A  1225,  Jankowski  an  Schulverwaltung 10.8.1943.

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4. 3. 7 Kin d erla ndvers c hic ku ng SchonvordemZweitenWeltkrieggabeseineVerschickungvonStadtkin dernzuErholungszweckenaufsLand,dievonderseit1915bestehenden Reichszentrale„LandaufenthaltfürStadtkinder“durchgeführtwurde.Seit 1933  war  die Organisation der NSVolkswohlfahrt(NSV) angegliedert617. MeistwurdendieKinderinKinderheimeundFamilienpflegestellenver schickt.  Doch  als  sich  im  Herbst  1940  die  Luftangriffe  auf  Deutschland mehrten–vorallemBerlinundHamburgwarenzunächstbetroffen–sand teReichsleiterMartinBormannam27.September1940einRundschreiben andieoberstenReichsundParteistellenmitdemInhalt,dass„derFührer“ die  erweiterte  Kinderlandverschickung  (KLV)  angeordnet  habe.618 In  der FolgewurdenhunderttausendevondurchLuftangriffegefährdetenStadt kinderninsichereländlicheGebieteverschickt.619 InHamburgwurdeOberstudienratHeinrichSahrhage(1892–1969)von derAlbrechtThaerSchule,derübergroßeErfahrungeninderHamburger Schullandheimbewegungverfügte,KLVInspekteurdesNSLBundspäter KLVSchulbeauftragter.NacheinemAufrufinPresseundRundfunkwur denindennächstenWochen80.000HamburgerKindervonihrenEltern fürdiezuerstaufeinhalbesJahrbegrenzteVerschickunggemeldet.620Die AnmeldungzurKinderlandverschickungwarfreiwillig,abergeradeinder Anfangszeitsehrbeliebt,weildieElternwederfürdieVerschickungihrer KindernochfürdieUnterbringungindenLagernoderbeiPflegefamilien, wederfürdasEssennochfürdenUnterrichtetwaszahlenmussten.Später, alssichdieZahlderLuftangriffeaufStädtehäufte,warendieElternfroh darüber,dassdieKinderinsicherenländlichenGebietenuntergebracht 617

AllgemeineAngabenzurHamburgerKinderlandverschickungsieheStAHbg,3612VIOSB VI,1547,BerichtvonHeinrichSahrhage,ehemaligerKLVSchulinspekteurundOrganisator derKLVfürHamburg,DieErweiterteKinderlandverschickunginHamburg.Geschichteihrer EntwicklungundDurchführungwährenddesKrieges1939/45,Hamburgo.D.[ca.1946]. 618

ClausLarass,DerZugderKinder,München1983,S.8und25ff.;GerhardKock,„DerFüh rersorgtfürunsereKinder…“DieKinderlandverschickungimZweitenWeltkrieg,Paderborn 1997,S.76–81,insbesondereS.77undAbdruckdesRundschreibensS.353.

619

Insgesamtwurdenüber2MillionenKinderverschickt(Kock,Kinderlandverschickung, S.143).

620

StAHbg,3612VIOSBVI,1547,Bl.1:BerichtvonSahrhage.Insgesamtwurdenweitüber 100.000Kinderverschickt(StAHbg,3612VI,OSBVI,1546,Bl.33:RundschreibenSahrhage 8.6.1945).

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waren.621KeinenMonatnachdemderRunderlassmitdemAufrufzurer weiterten  Kinderlandverschickung  bekannt  gegeben  worden  war,  fuhr am10.Oktober1940derersteZugmitHamburgerKindernRichtungBay reuthundSachsenvomHauptbahnhofab.622 ZweiMonatespäterfuhrauchdieGehörlosenschuleindieKinderland verschickung,623 nachdemfestgestelltwordenwar,dassgehörloseKinder ebenfalls  ein  Recht  auf  Verschickung  hätten.624 Am  Freitagmorgen,  den 7.Dezember,fuhrderZugmitder29köpfigenKindergruppeundihren BegleiternvomAltonaerBahnhofabundamfrühenMorgendesnächsten TageskamderZuginWienaufdemOstbahnhofan. 625ZielderHamburger wardasHeimKaltenleutgebenimWienerwald,seit1938einFerienund ErholungsheimfürgehörloseWienerKinder.EinspeziellesHeimzufinden wurdenötig,daeinigeGemeindeninBayernundSachsensichgeweigert hatten,HilfsoderSonderschulkinderaufzunehmen.626 Bis1942kamendieverschicktenKinderderGehörlosenschuleHamburg immerindiesesKLVLagerimWienerwald.DiesiebegleitendenLehrkräf te  wurden  vom  Schulleiter  im  Einvernehmen  mit  dem  Schulwalter  des NSLB  bestimmt.627 Lagerleiter  für  Kaltenleutgeben  wurde  zuerst  Lehrer 621

Larass,ZugderKinder,S.53.TrotzdemgingendieMeldezahlennachdenGroßangriffen zurück,  wurden  tendenziell  weniger  Kinder  über  die  KLV  verschickt.  Im  Oktober  waren 14.300HamburgerKinderinderKLV,95.000aberanderweitigverschickt,davon42.000von denElternaufumliegendeGemeindenverteilt(Kock,Kinderlandverschickung,S.257f.). 622

Larass,ZugderKinder,S.52.

623

AngabenzurKLVderGehörlosenschulein:StAHbg,36110KLV,84.

624

StAHbg,36110KLV,2,LeiterderHauptstelleWohlfahrtspflegeundJugendhilfeimAmt fürVolkswohlfahrtGöttschanNSLB16.11.1940.ImerstenErlassdesReichsministersfürWis senschaft,ErziehungundVolksbildungvom2.10.1940betreffenddieKLVhießesnoch,dass dieVerschickungbisaufweiteresaufKinderallgemeinbildenderSchulenbeschränktsei(StA Hbg,3617StaatsverwaltungSchulundHochschulabteilung,400230/0).SelbstüberKinder derSprachheilschulewurdegesagt:„TatsächlichgehörensieindennormalenGangderder Verschickungnichthinein,dawirimmerersteinbesondersLagerfürsiebeschaffenmüssen“. (StAHbg,36110KLV,47,AbschrifteinesSchreibensSahrhageanKreiswalterNSLBG.Lipke am29.9.1942). 625

36110KLV,84,EinsatzstabderKLVGauHamburginWien,ClausHartlef,Inspekteurder NSLBGauHamburginWienandieGauwaltungdesNSLBinHamburg29.11.1940;Sahrhage anHartlef3.12.1940.

626 627

StAHbg,36110KLV,2.

StAHbg,3612VIOSBVI,1547,BerichtSahrhage,Anlage6:RundschreibenSenatorKarl Witt vonderSchulverwaltungandieLeitungenderVolksschulen24.10.1940.Diesoausge wähltenLehrerwarendazuverpflichtet,dieihnenzugedachteAufgabezuübernehmen.

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Die staatliche Taubstummenschule

WilhelmBandholt,dermitseinerFrauMathilde undseinenKindernden erstenZugderKinderbegleitete.EhefrauenvonLehrernwurdenals„La gerhelferinnen“eingesetzt.SiedurftenihreMännerbegleiten,wennsiedie Wirtschaftsführung,ReinigungundInstandhaltungderWäschederKinder übernahmen.628Bandholtwurde,daeralsSpielleiterbeieinerniederdeut schenTheatergruppe,der„StormarnerSpeeldeel“,gebrauchtwurde,durch denHamburgerTaubstummenlehrerFritzSchmidt(1892–1973)abgelöst.629 Am31.Januar1941begleitetedieserdieKinderdasersteMalundbliebmit ihnenbiszuihrerendgültigenRückkehrimAugust1945zusammen.630 BisDezembergingenfasttäglichZügemitHamburgerKindernindie vierHamburger„Aufnahmegaue“ab.Inden„Aufnahmegau“dergehörlo senKindernachWienfuhreninsgesamtneunZügemit4.670Kindern.Die weitausmeistenHamburgerKinderwurdenaberindie„BayrischeOst mark“verschickt:58Zügemitinsgesamt29.475Kindernfuhren1941indie GegendumBayreuth.631 BeieinerInspektiondesKLVHeimesimWienerwald,welchedurchden NSLBam15.Juni1942durchgeführtwurde,632stelltederKontrolleurfest, dassesdenKinderninKaltenleutgebensehrgutgingeunddassihreLern bereitschaftinderVerschickungvielgrößerseialszuHause.Sosahdie KLVLeitstellekeinenGrundfürihreRückkehrnachHamburg,dieSchul leiterPaulJankowskibeantragthatte.GezähltwurdeninWien29Kinder. SiekehrtenerstAnfangSeptember1942nachHamburgzurück.

628

StAHbg,36110KLV,53a,DienststelleKLVMünchen,SchulbeauftragterWiegankanSchu linspektorKLVHamburg,Sahrhage10.6.1943.AuchBandholtsNachfolgerFritzSchmidtwur devonseinerFrauNellyindieKinderlandverschickungbegleitet. 629

StAHbg,36110KLV,84,AufzählungderInhaltederFerngesprächevonHartlefmitSahr hageam22.1.1941undam27.1.1941. 630

StAHbg,36110KLV,21,LehrerbogenfürFritzSchmidtmitAngabeseinerDienstzeitenfür dieKLV(31.1.19415.9.1942KaltenleutgebenbeiWien,14.6.1943–15.8.1945NiddenundCranz inOstpreußen,WaldkirchenundNeidberginBayern).

631

 DievierAufnahmegauewarenSachsen,München/Oberbayern,„BayrischeOstmark“um BayreuthundWien.Insgesamtwurden50.917KinderalleinindenerstenzweiMonatender KLVverschickt(StAHbg,3612VIOSBVI,1547,Anlage8desBerichtesvonSahrhage:Sit zungsprotokollderGauhauptstellenleiter,FachschaftsleiterundKreiswalterdesNSLB,Gau waltungHamburg13.12.1940).

632

StAHbg,36110KLV,84,BerichtüberdieInspektionsfahrtHamburgWienBerchtesgaden HamburgdesParteigenossenHartlef26.6.1942.

Im „Dritten Reich“ (1933–1945)

197

Abbildung 37: Kinderferienheim Kaltenleutgeben bei Wien

DieKinderlandverschickungnahmmitderZeitimmermehrdenCharakter einerEvakuierunggroßenStilsan.DieVerschickungenwarenoffiziellauf sechsMonatebegrenzt,dochrichtetedieKLVLeitstellesichmitderDauer derVerschickungennachderLuftsicherheitindenStädten.MancheKlas senbliebendannlängeralseinJahrvonzuHausefort.NachdemdieKin derderGehörlosenschulezeitweisewiedervollzähliginHamburgwaren, begann1943inderVorahnunggroßerLuftangriffeaufHamburgdieAk tionderVerschickungkompletterKlassenverbände,undimJuni1943ging es  für  52  der  74  Schüler  und  Schülerinnen  der  Hamburger  Gehörlo senschulenachOstpreußen.ImVorwegehatteesDiskussionengegeben, welchederKinderdieReisemitmachendurften.Somussten22Kinderaus Krankheitsgründen,  weil  sie  Bettnässer  waren  oder  aus  nicht  näher  be schriebenen„sonstigenGründen“zuHausebleiben.633 633

StAHbg,36110KLV,51,SchulleiterJankowskianSahrhage7.6.1943.Allgemeinsolltenzu AnfangderKLVnurKinderverschicktwerden,dieaufGrundihresBetragens(„Lügen,Wi

198

Die staatliche Taubstummenschule

Die  Kinder  wurden  klassenweise  mit  den  eigenen  Lehrkräften  ver schickt,  damit  ein  geregelter  Unterricht  im  Lager  gewährleistet  war.  In HamburgzurückgebliebeneRestklassenderGehörlosenschulehattenzu vormangelsanwesenderLehrkräfteunterUnterrichtsausfallgelitten.Daes nichtmöglichwar,verschiedeneKlassenmitunterschiedlichenLeistungs ständenzusammenzufassenundesauchnichtmöglichwar,diegehörlosen KinderinNachbarschulenzuschicken,sowieesmitanderenRestklassen von  Volks  und  Höheren  Schulen  geschah,  hatten  die  Kinder  durch  die NichtbeschulungihreKenntnissederLautsprache,diesiesonsttäglichin der Schule übten, zum Teilwieder verlernt, undihr„geistiger Entwick lungsstand“warnachDafürhaltenihresSchulleitersgesunken, 634 sodass Nachhilfenötiggewordenwar.Daraushattemangelernt, ausschließlich solcheKlassenbeiderVerschickungsauswahlfürdieerneuteKLVzumel den,beidenennurgeringeRestklassenzurückblieben.Jankowski trafim EndeffektdieAuswahlfürdieKinderlandverschickung.Dieswurdevon SeitenderLehrerkritisiert.SobeschwertesichAlwinHeinrichsdorff dar über,dassdieInternatskinderbenachteiligtwerdenwürden.DochJankow skibehieltdienachseinerBeurteilunginihrenLeistungenzurückgebliebe nenKlassen2bis4zurückundfasstedierestlichenKinderderKlassen5 bis7ineinerKlassezusammen–nichtohnezubetonen,dassdiezurück bleibendenKinderbeidernächstenVerschickungimJanuar1944berück sichtigtwerdenwürden–undmeldetediemeistenSchülerundSchülerin nenderKlassen1,5,6und7,insgesamt34MädchenundJungen,fürdie nächsteKinderlandverschickungnachOstpreußen.635 ImJuni1943kamendieseKindermitihrenvierBegleitern,DoraHar nack,AlwinHeinrichsdorff sowieFritz undNellySchmidt überKönigs bergmitdemZugnachNiddenandieKurischeNehrunginOstpreußen. 636 DererstekurzeBerichtnachHamburgbesagte,dassdieGegenddortsehr schönundauchdieVerpflegunggutsei.AlleinderprimitiveZustanddes derspenstigkeit“)  oder  negativen  Eigenschaften  („Bettnässen,  Unsauberkeit“)  keine  „Belas tungderLagergemeinschaftdarstellten“.DochnachdemJuli1943,alsHamburgunterLuft angriffenmassivzuleidenhatte,wurdenalleKinderverschickt,umsieausderGefahrenzone zubringen(StAHbg,3612VIOSBVI,1546,JürgenFrüchtenicht,SchulinspekteurBayreuth 6.4.1944). 634

StAHbg,36110KLV,51,SchulleiterJankowskianSahrhage7.6.1943.

635

Ebd.

636

Ebd.,SahrhageanIdeler,KLVInspekteurfürOstpreußen4.6.1943.

Im „Dritten Reich“ (1933–1945)

199

Lagers,einerehemaligenJugendherberge,wurdebemängelt.637 MitteJuni sandteSchmidtdanneinelängereBeschreibungdesLagerszurKLVLei tungnachHamburg,dieeinengutenEindruckdavongibt,wiesichdasLe ben  im  Lager  abspielte:638 Die  zweigeschossige  Herberge  lag  auf  einem „schmutzigsandigen“GrundstückdirektanderHauptstraßeinderNähe desHafens.ImErdgeschossdesHausesbefandensichdieWirtschaftsräu me,einegeschlosseneVeranda,welcheimSommeralsSpeiseraumgenutzt wurde,dreiSchlafräumemitinsgesamt36Betten,einWaschraumundder Tagesraum,vondemzweiTreppenindenerstenStockführten.Dortwaren dannsechsweitereSchlafräume,vondenendreivondenLehrerngenutzt wurden.DieTagesräumewurdenalshellundfreundlichbeschrieben,doch gabesamHauseinigeszubemängeln:SowarendieRäumenichtfürden Winterausgerüstet,alleinderTagesraumwarbeheizbar.DieSchlafräume warenmithölzernenDoppelbettenausgestattet,diekeineMatratzenhat ten.DieKinderschliefenaufaltenStrohsäcken,derenFüllungbereitsstau bigundzermürbtwar.ZudemwurdekeineBettwäschegeliefert.Jeweils zweioderdreiKinderteiltensicheinenSpindfürdieKleidung.Auchdie sanitärenVerhältnissewarenmehralsmangelhaft:DieWasserleitungim Hausfunktioniertenicht,wodurchdieKindergezwungenwaren,dasWas servoneinerPumpevomHofzuholen,derenKolbenzudemundichtwar. DieWaschräumebesaßennureinpaarWaschschüsseln.DadieAusgüsse nichtbenutzbarwaren,schüttetendieKinderdasbenutzteWasserkurzer handausdemFenster.AußerdemwarendieToiletten–GrubenohneDes infektionsmöglichkeit–35MeterentferntvomHausunddieWegedorthin nichtbefestigt.Schmidtbeschreibt,dass„unglücklicherweise“oftundichte Marmeladeeimer  im  Haus  die  Nachttöpfe  ersetzten.  So  war  es  schwer, HausundKindersauberzuhalten,zumaleswederFeudelnochordentli cheBesenoderFußmattengab.AlsletzteserläuterteSchmidtdienichtvor handeneärztlicheVersorgung.EsgabkeineMedikamenteundkeinenVer bandsstoff–dernächsteArztlebteim30KilometerentferntenNachbarort. AllesinallemhieltSchmidtdieNiddenerJugendherbergefüreinKLVLa gernichtgeeignet.

637

Ebd.,SchmidtanSahrhage19.6.1943.

638

StAHbg,36110KLV,50,SchmidtanSahrhage,eingegangen21.6.1943.

200

Die staatliche Taubstummenschule

Abbildung 38: Schülerinnen mit Nelly Schmidt in der Kinderlandverschickung in Nidden, 1943

InderFolgezeitgabesimmerwiederKompetenzstreitigkeitenzwischen HamburgunddenostpreußischenKLVInspekteuren.Hamburgkümmerte sichumseineKinder,dochdieswurdevonOstpreußenalsEinmischung empfunden.639 Die  Hamburger,  die  sich  über  die  Qualität  der  Lager  be schwertenoderdarüber,dassostpreußischeWehrmeldeämter„sehrscharf“ seienundLehrerständigGefahrliefen,eingezogenzuwerden, 640 wurden alsüberheblicherachtet.DieseStreitigkeitenspieltensichnichtnuraufder Verwaltungsebeneab,auchvorOrtspürtendieHamburger,dasssienicht sorechtwillkommenwaren.SosahsichSchmidtschonimJuliveranlasst, 639

StAHbg,36110KLV,51,Mandel,MitarbeiterderHamburgerDienststelleKLV,dereineIn formationsreisedurchOstpreußenmachte,anSahrhage16.12.1944,sowieSahrhageanIdeler 28.6.1943,IdeleranSahrhage1.7.1943.Sahrhagehatte–andersalsinanderenStädten–Gau beauftragtedesNSLBein,dieKontaktzwischenHamburgerKLVDienststellenundlokalen Organisationsgremienherstellten(Kock,Kinderlandverschickung,S.258).

640

StAHbg,36110KLV,51,SahrhageanSchulverwaltung21.6.1943.

Im „Dritten Reich“ (1933–1945)

201

privatanSahrhagezuschreiben–jederamtlichedirekteSchriftverkehrmit derKLVLeitunginHamburgwareigentlichuntersagt,mansolltemitden Dienststellen  vor  Ort  kommunizieren  –  und  sich  über  die  Gebiets beauftragtenderKLVinOstpreußenzubeschweren.641Schmidtbezeichne tedenfürseinLagerzuständigenOberbannführerThiesalsgrobundun freundlich.DerLehrererwartete„eineBerücksichtigungderberechtigten WünscheundeineanständigeBehandlung“,dochThieswürdekeineeige nen  Meinungen  dulden.  Zur  Illustration  für  dessen  groben  Ton  legte SchmidtseinemBriefeinNachrichtenblattderKLVGebietOstpreußenbei, indemThiesdarlegte,esseiihm„unverständlich,dass[er]daraufhinwei senmuss“,dassLagerundLagerleiterbedingungslosdemGebietsbeauf tragenunterstelltseien.ThiesschimpfteindemBlattdasVerhalteneiniger Lager,dienochnichtihreLagerschilderangebrachthatten,als„interesselos undunkameradschaftlich“.Er,Thies,sei„nichtdazuda,jedenEinzelnen mitderNaseaufdieDingezustoßen“.642 MitteJunibesuchteimAuftragderGebietsführungderKLVHamburg Gebietsführer  Burmeister mit  einer  Schriftleiterin  des  Hamburger  Frem denblattesfüreinenStimmungsbericht20KLVLagerimGebietOstpreu ßen.ImGesprächmitThieswurdedeutlich,dassjenermeinte,dieKLVsei vielzuschnellnachOstpreußengekommenundmanseinichtvorbereitet gewesen.SoerklärtensichBeschwerdenüberMängelandenLagern,die nichtnurausNiddenHamburgerreichten.Burmeister besuchteauchdas Lager  der  Gehörlosenschule.643 Er  fand  die  Gegend  um  das  Lager  sehr schönundfreutesichanderBadegelegenheit,ersahaberauchein,dass dasLagersehrprimitivunddieRäumedarinverwohntseien.DerVersuch, HandwerkerfürdieArbeitandenLagerhäusernheranzuziehen,scheiterte, dadiesenurfürdieWehrmachtarbeiteten.Burmeisterbesuchteauchdas katholischeKlosterinCranzanderSamlandküste,inwelchesdiegehörlo senKinderalsnächsteskommensollten.DiesesLagerwurdeals„wunder bar“bezeichnet,nurdreiMinutenentferntvomStrandmiteiner–imGe gensatzzuanderenLagern–nettenundfreundlichenUnterbringung. EineVerlegungderGehörlosenschulewurdebaldnötig,dennindem fürdenWinternichtausgerichtetenLagerinNiddenkonntendieHambur 641

Ebd.,SchmidtanSahrhage22.7.1943.

642

Ebd.,NachrichtenblattKLVGebietOstpreußen,Folge1/43,9.7.1943.

643

Ebd.,InspektionsberichtvonNSGebietsführerBurmeister1.7.1943.

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Die staatliche Taubstummenschule

gernichtbleiben.AucheineRückkehrnachHamburgschiennichtwün schenswert,  denn  inzwischen  hatte  die  englische  Luftwaffe  im  Juli  1943 schwereLuftangriffegegenHamburggeflogen.ZehntausendevonHam burgernwarenindenBombennächtenumsLebengekommen,ganzeStadt viertelwarenniedergebrannt.AuchdasGebäudederTaubstummenanstalt anderBürgerweidewarzerstörtworden. NachdemSchmidtimJuliSahrhageunddieGebietsführunginKönigs berg  erneut  auf  die  üblen  Missstände  im  Heim  hingewiesen  hatte  und KreisleiterundKreisamtsleiterderNSVMemelzurBesichtigunginNid den  waren  und  trotzdem  keine  Änderung  der  Umstände  herbeigeführt werdenkonnte,batSchmidtimSeptemberdringendumeineVerlegung aufdasFestland,„weileshierbaldungemütlichwird“.644Sokamendiein zwischen34Kinder645 –nachdemsichPläne,dieKindernachDanzigzu bringen,zerschlagenhatten–imSeptembernachCranzimKreisSamland in  das  von  katholischen  Nonnen  geführte  Lager  „Heim  der  Grauen Schwestern“.IndennächstenTagenwurdennoch20weitereKindererwar tet,dieausdemzerstörtenHamburgaufswenigerdurchLuftangriffege fährdeteLandgebrachtwerdensollten.646 KönigsbergundUmgebungerschieninzwischenaufGrundderKriegs lage–dierussischeArmeeerobertedievonDeutschenbesetztenGebiete wiederzurück–nichtmehrderrichtigeVerschickungsortzusein.DieEl terndernachOstpreußengebrachtenKindererhielteneinenRundbrief,in demeshieß,dass„aufgrundderSchwierigkeitenindenKLVLagernOst preußen“sichdieDienststelleKLVderNSDAP,GauleitungHamburg,ent schlossen  hatte,  „die  Kinder  in  das  Gau  Bayreuth  zu  überführen.“647 So wurdenalsodieKinder,derenüblicheRückführungnachHalbjahresfrist wegenderZerstörungeninHamburgnichtmehrmöglichwar,weiternach Westenverlegt.ErstimNovembererfuhrdasLagerinCranzvondiesen 644

Ebd.,SchmidtanSahrhage13.9.1943.

645

EinMädchenwarvondenElternabgeholtworden,weildieFamilienachLeipzigumzog, undzweineueMädchenwarendazugekommen.EineskamausdemInternatderGehörlo senschuleundeinesausKönigsberg,wohinderenMutterausHamburggezogenwar.Diedor tigeGehörlosenschulewarvölligüberfüllt,weshalbdieMutterdasKindnachCranzgeschickt hatte. 646

StAHbg,36110KLV,50,SchmidtanSahrhage20.9.1943.

647

 StA  Hbg,  36110  KLV,  51,  Elternbrief  der  NSDAP,  Gaubeauftragter  der  KLV  Bahrs 18.10.1943.

Im „Dritten Reich“ (1933–1945)

203

Plänen.Schmidtzeigtesichnichtangetan,dennKinderundBetreuerfühl tensichinCranzsehrwohl.Schmidt erfuhrvonderKLVDienststellein KönigsbergwederdenGrundderVerlegungnocheineneueAdresseim GauBayreuth,indiemanverlegtwerdensollte.648 Am14.November1943beganndiegroßeRückführungsämtlicherHam burger  Kindern  aus  Ostpreußen  nach  Bayreuth.  Mit  dem  Transport  am 25.NovemberwurdeauchdasLagerCranzderGehörlosenschulemitih ren  Lehrern  und  35  Kindern  verlegt.  Mit  einem  Sonderzug  kamen  die Hamburgeram26.November1943inInsterburgbeiRegensburgan.Nach widersprüchlichenInformationenüberdasZielderLagerverlegungkamen KinderundLehrerschließlichnachHaidmühle.649 DernächsteBerichtüberdieKinderlandverschickungderGehörlosen schuledatiertdannausdemJahr1945.SchmidthatteeinenSchlussbericht fürdieSchulverwaltunginHamburgverfasst,indemerdieletztenMonate inderKinderlandverschickungbeschrieb.ErbezeichnetedieseletztenMo natealsschwerundverantwortungsvoll,dennesgabkeinenNachrichten verkehrundkeineUnterstützungausHamburg.DieGruppewarinden letztenTagendesKriegesaufsichalleingestellt.650ImApril1945lebtendie HamburgerKinderinWaldkirchen,GauBayreuth,ineinerBauernschulein sehrbeengtenVerhältnissen–nebenden35KindernausHamburgwaren dortnoch55KinderausdemdeutschenWaisenhausvonPressburg(Bratis lava)mituntergebracht.KreisleiterundKreisverwaltungsführerinderKLV BayreuthwollteninderBauernschulePlatzfürFlüchtlingeausdemOsten schaffenundversuchten,dieHamburgerKinderineinanderesLagermit nochbeengterenVerhältnissenundunzureichendenVerpflegungsmöglich keitenumzuquartieren.Schmidt konntediesdurchGesprächeerfolgreich verhindern,musstedannaberam24.AprildochdasLagerkurzfristigräu menundmitdenKindernteilweisezuFußbeihörbarnäherrückender amerikanischer  Front  in  das  22  Kilometer  entfernte  Neidberg  im  Kreis Wolfsteinumsiedeln.IndieBauernschulekamenindeskeineFlüchtlinge, sondern150KindereinerEssenerOberschule. 648

Ebd.,SchmidtanSahrhage6.11.1943.

649

 Ebd.,TelegrammSahrhage anSchmidt 18.11.1943undIdeler anSahrhage,eingegangen 20.11.1943. 650

ZudieserZeitwarennochca.5000HamburgerKinderinBayreutherLagernundebenso vieleHamburgerKinderinBayreutherPflegefamilienuntergebracht(StAHbg,3612VIOSB VI,1546,Bl.33:RundschreibenSahrhage8.6.1945).

204

Die staatliche Taubstummenschule

Abbildung 39: KLV-Lager der Hamburger Gehörlosenschule, die Bauernschule Waldkirchen

DiefolgendeZeitwurdesehrschwerfürdieKinder.InNeidbergwarendie Hamburgerim„KlosterderTöchterdesallerheiligstenHeilands“unterge bracht.DieNonnen,nichtdarüberinformiert,nochzusätzlichfremdeKin derundihreBegleiteraufnehmenzumüssen,warennichtbegeistertvon dieserSituationundließenihreUnzufriedenheitmitderungewolltenLage die  Hamburger  deutlich  spüren.  Die  Klosterschwestern  versorgten  sich selbstmitNahrungsmitteln,gabenabernurseltenetwasvondemselbstge zogenenGemüseab,sodassdieKinderhungerten.Schmidtbeschriebdie Nonnenalsunfreundlich,jafastgehässig.WennsieetwasvonihrenVorrä tenabgaben,dannnurgegenGeld.DieKinderwarenfürsienurunbeque meGäste.WeiteWegemusstengegangenwerden,umsichLebensmittelzu beschaffen,oftbisindas44KilometerentferntgelegeneWaldkirch.Zudem funktioniertenwederBahnnochTelefonundkeinePostsorgtefürNach richtenausdenFamilienderKinder.651 651

 StA Hbg,  36110  KLV,  64  Band  2,  Schlussbericht  des  KLVLagers  der  Gehörlosenschule HamburginderBauernschuleWaldkirchenundKlosterNeidberg,Schmidt anSchulverwal tung,DienststelleUmquartierung(KLV)o.D.[ca.August1945].

Im „Dritten Reich“ (1933–1945)

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NachderdeutschenKapitulationunddemEndedesKriegesimMai 1945wolltenLehrerundKinderendlichwiedernachHause.Dochauchdie BehördenwarendemLagernichtwohlgesonnen.DasLandratsamtgabkein GeldmehrfürdenUnterhaltdesLagersundriet,dieKinderzuFußnach HamburginMarschzusetzen.652ErstnachmehrerendringendenBesuchen Schmidts  erhielt  er  das  zuvor  beschlagnahmte  Geld  zur  Lebensmit telbeschaffungzurück.ZweiElternpaare,dienachBayernevakuiertwor denwaren,kamen,umihreKinderabzuholen.Auchdie„Mädelführerin nen“(BDMMädchen,diealsLagermannschaftsführerinnendieSchülerlager begleiteten)machtensichaufdenWegnachHause.Dann,amFreitag,den 10.August,kameinBus,umdieKinderineinerfünfeinhalbtägigenReise nachHausezurückzubringen.653 SchmidtzognachAbschlussderKinderlandverschickungtrotzdemeine positiveBilanzdieserVerschickungsjahre.654AuchdieEltern,soSchmidtin einem  „einige  Gedanken  zum Abschluss  der  KLV“  betitelten  Bericht  an SahrhagevomDezember1945,hättendieVerschickung,trotzallerSorgen, die  sie  sich  in  den  letzten  Monaten,  als  die  Verbindung  abriss,  machen mussten,  nicht  bedauert.  Hervorgehoben  wurde  die  „erzieherliche  Wir kungdesLageraufenthalts,diejetzt,nachlängeremAufenthaltimEltern haus  wieder  nachlässt:  Fügsamkeit,  Gehorsam,  gutes  Benehmen,  Ord nungsliebe,GewöhnunganArbeit“.655 TatsächlichwarendieKinderwäh rendderVerschickung,dieeinemintensivenInternatsverhältnisglich,stets unterAufsichtundinihrerSprachentwicklungnachRückkehrnachHam burgdendortzurückgebliebenenKindernnichtnurdiezweiJahreder Verschickung,sondernfastvierJahreinVersprachlichungundUmgangs sprachevoraus.GelobtwurdevonSchmidtauch,dassdasLagerinschuli 652

TatsächlichgabesvieleLagerundeinzelneHamburgerKinder,auchausBayreuth,diesich aufeineabenteuerlicheOdysseeeinließenunddenFußmarschnachHausewagten(StAHbg, 361.2VIOSBVI,1547,Bl.19).Siehedazuauch:Larass,DerZugderKinder;inRomanform: FrankBaer,DieMagermilchbande,Hamburg1979. 653

StAHbg,3612VIOSBVI,BerichtTransportleiterFriedrichPellavom17.8.1945.

654

IneinerBeurteilungvonSahrhagefürFritzSchmidt(StAHbg,36110KLV,21,Lehrerbogen vonFritzSchmidt)hießes:„SchmidthatjahrelangdenverschicktenTeilderHamburgerGe hörlosenschulevorzüglichgeleitetundmitUnterstützungseinerEhefrauundwenigenleider rechtältlichenFachlehrerndieschwierigenKinderbetreutundunterrichtet.Erbewiesrestlose HingabeanseineAufgabe,vielGeschickundEnergie,besondersauchwährendderKriegs ereignisse,BesatzungszeitundwirtschaftlichenSchwierigkeiteninBayern.“ 655

StAHbg,3612VIOSBVI,1548,SchmidtanSahrhage16.12.1945.

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Die staatliche Taubstummenschule

schenBelangendemHamburgerKLVInspekteurfürBayern,JürgenFrüch tenicht,  unterstellt  waren,  und  nicht,  wie  eigentlich  vorgeschrieben,  der BayrischenRegierung,sodasssiesich„stetsalsHamburger“fühlten.656

4. 4 Zu G a st i n a nde re n S c hu le n ( 19 45 – 19 6 4 ) 4.4. 1 Wiedera ufbau der Schule DievölligeZerstörungdeseigenenSchulgebäudesbedeutetedasvorläufi geEndederHamburgerGehörlosenschule,derKriegmachteeinengeord netenUnterrichtunmöglich.NachseinemEndewurdendie„Parteigenos sen“derNSDAPausihrenÄmternentfernt.657Jankowskimusste,daerim Mai1933derNSDAPbeigetretenwarundverschiedeneParteistellungen innegehabt  hatte  –  so  war  er  GaubundesPropagandist  im  Gaubund  9 HamburgundGausachbearbeiterfürGehörlosenbetreuunginderNSV– seineStellungalsSchulleiterabgeben,658bliebaberweiterhinalsLehrerund imVorstandderStiftungTaubstummenanstaltfürdieHamburgerSchule tätig.DieerstenSchulen,diemitGenehmigungderbritischenMilitärregie rungwiedereröffnetwerdendurften,warendieUnterstufenderGrund schulenunddieSchulenfürimLernenbehinderteKinder–auchdieGe hörlosenschule659.BisderfürdieSchulleitungvorgeseheneFritzSchmidt ausderKinderlandverschickungkam,führtevorübergehendderLeiterder im  selben  Gebäude  an  der  Karolinenstraße  untergebrachten  Sprachheil schule,AdolfLambeck,auchdieGehörlosenschule.660 656

 Ebd.Sahrhage hatte,andersalsesinanderenStädtenorganisiertwurde,KLVGaubeauf tragtedesNSLBalsKontaktpartnerzwischenHamburgunddenlokalenKLVOrganisationen eingerichtet(Kock,Kinderlandverschickung,S.258).

657

GrundlegendzudiesemKapitel:StaatlichePressestelle,150JahreGehörlosenbildung.

658

StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A1225,LeiterderSchulverwaltunganJankow ski24.7.1945.Pensioniertwurdeer–alsDirektor–nachVollendungseines65.Lebensjahres am30.4.1946(ebd.,SchulratGustavSchmidtanJankowski25.3.1946).

659

StAHbg,3612VIOSBVI,370,Militärregierung(Comd.609L/RMil.Gov.Det.)anBürger meister19.5.1945.

660

StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A1225,BerichtSchulratGustavSchmidtanSe natorLandahl,PräsesderSchulverwaltung,betreffendJankowski9.8.1945.ÜberJankowski wirddortgesagt,dasser„nieeinAnregerundFördererderTaubstummenbildunggewesen“

Zu Gast in anderen Schulen (1945–1964)

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DerersteSchultagam27.August1945begannfür67gemeldeteKinder, davon20,dienichtinHamburgwohnten,infünfKlassen.AufGrunddes unterschiedlichen  Entwicklungsstandes  wurden  die  Schülerinnen  und SchülernichtnachAlter,sondernnachlautsprachlichemKönneninKlassen eingestuft.661 Es  hatte  sich  im  Schulleben  viel  geändert.  Das  alte  Schul gebäudewarbisaufdieKellerräume,dieanausgebombteHamburgerver mietetwordenwaren,662 zerstörtworden.NurfünfLehrkräftewarenwie der  anwesend.  Vier  Lehrer  waren  pensioniert,663 zwei  Lehrer  waren  zur Wehrmachteinberufenwordenunddortgefallen(FritzBartels undWil helmBandholt)undeineLehrerinwarmitdemvonrussischenUBooten versenktenFlüchtlingsschiff,der„WilhelmGustloff“,untergegangen(Ella Catter).UndesgabLehrer,dienichtmehrkommenkonnten,weilsie–wie beschrieben–zuOpferndesNationalsozialismuswurden,entwederweil sieals„nichtarisch“klassifiziert(DorotheaElkan)oderweilihnen„mar xistischeUmtriebe“nachgesagtwordenwaren(AlfredSchär). DirektorindieserZeitdesWiederaufbauswurde–zuerstbis1947kom missarisch–FritzSchmidt,664derdieKinderwährendderZeitinderKin derlandverschickungbetreuthatte.ErhattebeiElternundLehrerneinen sei.ErhabesichderalsNebenbeschäftigungzugelassenenLeitungdesInternatsmehrgewid metalsderSchule.SeinDesinteressezeigtesichauchdarin,dasserKinderindieKLVbeglei tethatte,mitdemgleichenZugaberwiederzurückfuhr,ohnedasLagergesehenzuhaben oderdieKinderzumLagerstandortbegleitetzuhaben(Pehle,LeiterdesAmtesfürVolks wohlfahrtderNSDAP,anSahrhage13.12.1944).–ZuLambeckseierwähnt,dasserspätestens seit1938GaufachschaftsleiterfürSonderschulenimGauamtfürErzieher(NSLB)derNSDAP undinden1940erJahreninderSchulverwaltungtätigwar(StAHbg,3613SchulwesenPerso nalakten,A1225;HamburgischesLehrerverzeichnisvon1938/39).ZuLambecksStellungzum NSStaatvgl.auchseineÄußerungenzumGzVeNimKapitel4.3.4undS.142. 661

StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Mappe5„BunddeutscherTaub stummenlehrerSchriftverkehr“(Ablieferungsverzeichnis),FritzSchmidtanGehörlosenschule Essen25.11.1945.EsunterrichtetendieLehrerJankowski,Schmidt undMartens (letztererab Oktober1945)sowiedieLehrerinnenHarnack(geb.1889)undReinmann(geb.1894).Diekin derlandverschicktenSchülerinnenundSchülerwarendenandereninderSprachfähigkeitweit voraus,dasielängerundintensiverunterrichtetwordenwaren(StAHbg,36210/3Samuel HeinickeSchule  für  Gehörlose,  Protokollbuch  1945–1948  (Ablieferungsverzeichnis  Nr.  15), S.2:Lehrerkonferenzvom23.8.1945). 662

StAHbg,3518Stiftungsaufsicht,B893,Vermerkvom11.2.1948.

663

SchmidtgibtalsGründederPensionierungKrankheitbzw.ErreichungderAltersgrenzean (StAHbg,362–10/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Protokollbuch1945–1948(Abliefe rungsverzeichnisNr.15),S.2:Lehrerkonferenzvom23.8.1945).

664

StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A1375.

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Die staatliche Taubstummenschule

gutenRuf,hattegrundlegendeSchriftenundVorträgezumnaturwissen schaftlichenUnterrichtgehörloserSchülerpubliziert–seineumfangreiche Lehrmittelsammlungwurde1943zerstört–undberiefimJuli1946dieerste ZusammenkunftvondeutschenTaubstummenlehrkräftennachdemKrieg inHamburgein.ErwarderjüngsteLehreranderSchuleundhattetrotz demeinelangeBerufserfahrung.SoschienerdergeeigneteMannfürdie Schulleitungzusein. Die  erste  Notunterkunft  fanden  Kinder  und  Lehrkräfte  im  Gebäude derSprachheilschuleKarolinenstraße35.IndiesemGebäudewarbis1939 dieMädchenschulederdeutschisraelitischenGemeindeundvon1939bis 1942  die zwangsweise vereinigte  jüdische Schule für Jungen  undMäd chenzuHausegewesen.665DiebritischeMilitärregierungüberprüftezum SchulstartsämtlicheSchulen,inwieweitnochnationalsozialistischeTen denzenzuspürenseienundoballenAnweisungenderMilitärregierung Folgegeleistetwürde.DerBerichtanlässlicheinersolchenRevisionder SchulederTaubstummenanstaltimFebruar1946gibteinBildvonden Lebens  und  Unterrichtsverhältnissen  nach  Ende  des  Krieges.666 Das SchulhauswurdetrotzderwinterlichenKältenichtgeheizt,sodassdie KinderderSprachheilschuleundderGehörlosenschulenurzweimalin derWocheindieSchulekamen,umsichHausaufgabenabzuholenund dieerledigtenAufgabenkorrigierenzulassen.EinregelmäßigerSchulbe suchwarnichtmöglich.G.M.Ellis,dieimAuftragderbritischenMilitär regierungdieRevisiondurchführte,warzuerstbeiderSprachheilschule zuBesuch,fragtenachOrganisation,SchwierigkeitenbeiderBelieferung mitUnterrichtsmaterialundnachwelchemPlanGeschichtsunterrichtge gebenwerde.SieüberzeugtesichvomschlechtenZustanddesGebäudes undsagteihreHilfebeiReparaturarbeitenzu.Konkretbemängeltesie, dass  kein  Fensterglas  vorhanden  war,  sich  aber  die  Wandbilder  hinter Glasbefänden.AußerdemsahsieesalsLuxusan,dassdieMütterder Kinder  beider  Schulen  bei  den  zweimal  wöchentlich  stattfindenden SchultagenineinemeigenenRaumaufihreKinderwarteten.Lambeckals Leiter  der  Sprachheilschule  konnte  Ellis von  der  Notwendigkeit  dieser Einrichtung  überzeugen,  denn  schließlich  könne  die  Schule  die  Mütter 665

Vgl.dasKapitel4.3.6überdasEndederSchuleanderBürgerweide.

666

 StAHbg,3612VIOSBVI,16,BerichtderSprachheilschuleandieSchulverwaltungüber eineRevisionderSchuleKarolinenstraße35durchG.M.EllisvonderbritischenMilitärregie rungvom8.2.1946.

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nichtimWinterfürzweiStundenaufdieStraßeschicken.Ellishattekei neweiterenBeanstandungen.EineWochespäterbesuchtesieindemsel benGebäudedieGehörlosenschule667 undbefragteeineStundelangdie anwesenden  Lehrkräfte  über  Anzahl  der  Schüler,  der  Klassen,  welche Lehrerunterrichteten,wiederLehrplanausseheundobdieVersorgung mitLehrmittelngesichertsei.AnschließendbesuchtesieeinigeKlassen undsahsichdenArtikulationsunterrichtdesehemaligenSchulleitersJan kowski an.Sie ließsichdavonüberzeugen,dassBücher,diefürVolks schülergeschriebenwordenwaren,nurbedingtfürdenUnterrichtgehör loserKinderbrauchbarseien.Dadasalte,fürgehörloseSchülergeschriebene SchulbuchvonderbritischenMilitärregierungnochnichtwiederfürden Unterrichtgenehmigtwar,668musstendieSchülerimprovisieren.Siebas teltensich,wieinderFrühzeitderSchule,ihreFibelnselbst.Künftigsoll tederUnterrichtbeibesserenWitterungsbedingungentäglichvon10bis 15Uhrstattfinden–andereZeitenwarenwegenderVerkehrssperrenicht möglich.SchulleiterSchmidt,dersichmitdemVorstandseitdenersten TagendesUnterrichtsdafüreingesetzthatte,dasInternatwiederaufle benzulassen,versuchteauchEllis davonzuüberzeugen,dassesdrin genderforderlichsei,eineigenes,genügendgroßesGebäudefürSchule undAnstaltzuerhalten.Erargumentierte,dassdieauswärtigengehörlo senKinderschonseitfastdreiJahrenunbeschultseien,dafürsiekeine Unterbringung  in  Hamburg  möglich  sei.  Ellis versprach  auch  hier  ihre Hilfe.Weitererfuhrsie,dassdieTurnhallevermietetwarundsomitfür denTurnunterrichtnichtgenutztwerdenkonnte.BeigutemWetterturn tendieKinderaufdemHof.ZuderZeitbekamennurzehnProzentder SchülerinnenundSchülerinderSchuleihrMittagessen.Normalitätwar längstnochnichteingekehrt.FürSchülerinnenundSchüler,dieOstern 1946  ihre  Schulpflicht  beendet  hatten,  wurde  mit  Rücksicht  auf  die 667 Ebd.,BerichtdesSchulleitersderGehörlosenschuleanSchulratGustavSchmidtüberden InspektionsbesuchvonEllisvom14.2.1946. 668

Das„ReichslesebuchfürGehörlosenschulen“war1938eingeführtworden(StAHbg,3617 StaatsverwaltungSchulundHochschulabteilung,402323).Am23.5.1945hattedieSchulbe hördeverfügt,dassalleLehrbücherunterVerschlusszunehmenseien,bevoram30.7.1945aus BüchereienundLehrmittelsammlungenderSchulennationalsozialistischeVeröffentlichungen entferntwurden(StAHbg,36210/2SprachheilschuleZitzewitzstraße,BerichtüberdieTagung derVertreterderSchulenfürGehörundSprachgeschädigteinderbritischenZoneDeutsch landsvom18.und19.7.1945inHamburg,VortragvonDr.SchmählüberLehrbücher,Lernbü cher,Fachbücherei,S.8).

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schlechteArbeitsmarktlageunddievielenUnterrichtsausfälleeinneuntes Schuljahrangeordnet.669 AuchdiereligiöseErziehungderKinderwurdebaldwiederaufgenom men.VordemKrieghattenErzieherundPastorenim„Reichsverbandder Taubstummenseelsorge“zusammengearbeitet,nunwarderVerbandauf gelöst,undeinPastorbetreutediegehörlosenMenschenallein.6701928leb tencirca1.000GehörloseinHamburg,diereligiösbetreutwurden,also SeelsorgeundspezielleGottesdiensteerhielten.DieZahlderGehörlosen, diePastorFriedrichWapenhensch(1893–1962)nachdemKriegkirchlichzu versorgenhatte,waraufetwa500gesunken–200davonwarenihmder Anschrift  nach  bekannt.671 Pastor  Wapenhensch  predigte  in  Lautsprache undGebärdenundversuchte,inderWahlseinerWorteundinderSatzstel lungsichauchderAuffassungsgabederjenigenseinerGemeindemitglieder anzupassen,  die  die  Lautsprache  nur  unzureichend  beherrschten.  Die Konfirmandenkonntenab1946direktanderSchulewährendderSchul zeit unterrichtet  werden.  Doch  auch  in  der  Zeit  der  Kinderlandverschi ckungwarendieHamburgerKindernichtohnereligiöseBelehrunggeblie ben:WährendderZeitderVerschickunghatteLehrerHeinrichsdorff den KindernReligionsunterrichtgegeben.672 Diezweitenotdürftige,wennauchräumlichgrößereUnterkunftfan dendiegehörlosenKinderab24.April1946inderVolksschuleAnger straße3133.WiederwurdedieSchulevoneinemVertreterderMilitärre gierungbesucht.673 EsfehltedenSchülernnochimmeranLehrbüchern, auchÜbungshefteundBuntstiftegabesnicht.Das1888erbauteGebäude der  neuen  Unterkunft  hatte  zwar  die  Bombenangriffe  des  Jahres  1943 669

StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Mappe5„BunddeutscherTaub stummenlehrerSchriftverkehr“(Ablieferungsverzeichnis),SchmidtanalleLeitungenderGe hörlosenschulendesbritischenBesatzungsgebietes9.2.1946.

670

DieAngabenzumThemaReligionstammenaus:StAHbg,36210/2SprachheilschuleZitze witzstraße,BerichtüberdieTagungderVertreterderSchulenfürGehörundSprachgeschä digteinderbritischenZoneDeutschlandsvom18.und19.7.1945inHamburg,Vortragvon PastorWapenhensch,Bl.14. 671

Ebd.,ZahlenvonJuli1946.

672

StAHbg,36210/2SprachheilschuleZitzewitzstraße,BerichtüberdieTagungderVertreter der  Schulen  für  Gehör  und  Sprachgeschädigte  in  der  britischen  Zone  Deutschlands  vom 18.und19.7.1946inHamburg,Bl.14f.:VortragvonPastorWapenhensch.

673

ÜberdieZeitinderAngerstraßesieheStAHbg,3612VIOSBVI,24Band2,Inspektionsbe richtvonM.R.CameronimAuftragderMilitärregierunganSchulratSchmidtvom22.6.1946.

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überstanden,waraber–wiedasvorigeinderKarolinenstraße–ineinem schlechten  baulichen  Zustand:  Das  Dach  war  undicht  und  im  oberen StockwerkwarenvieleReparaturennötig,umeinengeregeltenUnterricht durchführenzukönnen.EsfehltenzumBeispielTürklinken,meistsogar dieganzeTür.AuchwennzuderZeitzweidersechsanderSchuleunter richtenden  Lehrer  im  Schulgebäude  wohnten,  war  dennoch  an  die  ge planteWiedereinrichtungdesSchülerheimsnichtzudenken.Alleindie regelmäßige  Stromversorgung  war  ermöglicht  worden.  Im  April  1946 wurden61KinderinsechsKlassenunterrichtet.SeitdemEinzugindas VolksschulgebäudekonntenwenigstensalleKinderanderSchulspeisung teilnehmen,sodassdieGesundheitderSchülerinnenundSchülersichge besserthatte.

Abbildung 40: Hamburger Schüler der Gehörlosenschule mit Essgeschirr, um 1947

DieInspektionbemängeltenurnochdasdürftigeSchuhwerkderKinder. TurnunterrichtkonnteinzwischenzweimalinderWochegegebenwer den.  Übungen  wurden  in  der  Klasse  oder  auf  dem  Hof  geturnt,  denn

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auchhierwardieSporthalledurcheineFirmabelegt.Währenddesnor malenUnterrichtssaßendieKinderwiegewohntimKreis,umsojeden ansehenzukönnen,deretwassagte.DieLehrkräftewurdendurchden Inspektoralssehrgeduldigundfähigbezeichnet,Spurennationalsozia listischenGedankengutskonntennichtausgemachtwerden. ImAugust1946wurdeimZugederVerlegungderGewerbeschulen, dieauchdasSchulgebäudeinderAngerstraßebeanspruchten,einUm zugderGehörlosenschuleindasErdgeschossunddenerstenStockder VolksschuleBurgstraße33notwendig.674DieSchulestimmtediesemUm zugnurunterderBedingungzu,dassdasWirtschaftsamt,welcheszuder Zeit  noch  die  Erdgeschossräume  der  Schule  an  der  Burgstraße  bean spruchte, am 1.August ausziehen würde.  Doch die Räumung erfolgte, nachdemdieGehörlosenschuleindieBurgstraßeumgezogenwar,weder am  1.  August  noch  zum  zweiten  Räumungstermin,  dem  3.  Oktober. Schulleiter  und  Elternrat  beschwerten  sich  bei  der  Schulverwaltung,675 dennanstattdiedringendnotwendigeErweiterungderSchuledurchden Umzugzuerreichen,hattensichdieVerhältnisseimGegenteileherver schlechtert.IndemBeschwerdebriefwurdedieNotwendigkeitdesEinbe ziehensdernochvomWirtschaftsamtbelegtenRäumeindenSchulbetrieb derGehörlosenschulemitdemgroßenPlatzmangelbegründet.Gehörlo senschulklassenbrauchteneinfachmehrFläche,dawenigerKinderinei nerKlasseunterrichtetwerdenkonnten.676

674

DieAngabenzurSchuleinderBurgstraßein:StAHbg,3612VIOSBVI,187Band5.

675

 Ebd.,SchulleiterSchmidt undfürdenElternratJohannesReise andieSchulverwaltung 23.4.1947. 676  SechsKlassenderGehörlosenschulemusstenimWinter1946/47inderSprachheilschule RostockerStraße62untergebrachtwerden(StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchule,Map pe  15  [Ablieferungsverzeichnis]  Lehrerkonferenzen  1945–1948,  Konferenzen  vom  15.1.1947 und18.1.1947).

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Abbildung 41: Gehörlose Schüler auf dem Schulhof der Schule Burgstraße (hier Eingang Ritterstraße), 1950

NeueRäumeseiendringendnotwendig,auchdamiteinSchülerheimfür dienun15schulpflichtigengehörlosenKinderausHamburgsUmlander bautwerdenkönne.EinSchichtunterrichtbeijetztschonsiebenKlassen sei  auf Grund  weiter Schulwege und  nachkriegsbedingter  Verkehrsver hältnisse–88ProzentderGebäudeimUmfeldgaltenalsvölligzerstört und  zwölf  Prozent  als  „schwer  beschädigt“677 –  nicht  möglich.  In  der 677

Brunswig,Feuersturm,S.404.DiegroßenLuftangriffeaufHamburgimJuli1943trafenvor allemdieGegendumHamm,BorgfeldeundHammerbrook.DiesebevölkerungsdichteGe gendwareinArbeiterviertel,indemindenNächtendesgroßenBombardementsdurchdie englischeAirForceüber40.000Menschenumkamen.ZudiesemThemenkomplexsiehe:Hau schildThiessen,Katastrophe.IndiesemBuchschilderteinAugenzeuge(OskarWeber,Das EndedesHausesMittelstraße32,in:ebd.,S.63–69),dassdieganzeGegendnurausTrümmern

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VolksschuleBurgstraßewurdezudieserZeitauchnocheineHilfsschule beherbergt,undaufdemSchulhofstanden30Wellblechund16Nissen hütten,indenenausgebombteHamburgerinnenundHamburgerwohn ten.ZahlreicheMenschenhattensichinderehemaligenTurnhalleoderin anderenSchulräumeneineWohnunggeschaffen.Sodringendeineigenes Gebäudegebrauchtwurde,begannendocherstimApril1956erstekon krete  Verhandlungen  über  einen  Neubau  für  die  Gehörlosenschule  in Wandsbek,dessenersterBauabschnitt1964–zweiJahrzehntenachder ZerstörungdeseigenenGebäudes–eingeweihtwurde. NachdemnochimFebruar1947dieSchulewegenKohlenmangelsge schlossenwerdenmusste,678normalisiertensichdieVerhältnissebald.Von 1948  bis  1950  ging  die  Entwicklung  der  Schule  –  trotz  aller  vor  allem räumlichenProbleme–mitgroßenSchrittenvoran:Dasallgemeineneun teSchuljahrwurde–gleichzeitigmitdenanderenHamburgerSchulen– eingeführtundVersuchsklassenfürmehrfachbehindertegehörloseKin der  wurden eingerichtet. Durch das  Schulgesetz vom 25. Oktober  1949 wurdefestgelegt,dassbehinderteKinder,dieindenNormalschulennicht genuggefördertwerdenkonnten,Sonderunterrichtbekommensollten.679 InderFolgestiegdieAnzahlderSchülerinnenundSchüleranderGehör losenschule.1951wurdeauchderKindergartenalsEinrichtungderJu gendbehördewiedereröffnetunddiepraktischeAusbildungdesLehrer nachwuchsesanderSchuleübernommen.DieStudierenden,dieander Hamburger  Universität  das  wissenschaftliche  Studium  aufnahmen,  um späterGehörlosenlehrkräftezuwerden,kamenausallenTeilenderBun desrepublik  und  wurden  an  der  Gehörlosenschule  in  die  Praxis  einge führt.

bestandund„alleindiegroßeSchuleBurgstraßeeinigermaßenheil“ausdemTrümmerfeld ragte. 678

 StAHbg,36210/3 SamuelHeinickeSchule, Mappe 15 (Ablieferungsverzeichnis) Lehrer konferenzen1945–1947,Konferenzvom12.2.1947.

679

 HansDuus,DieHamburgerSonderschulen,in:JohannesWulff,Gehörlose,schwerhörige undsprachkrankeSchülerinHamburg.EhrengabederSchulbehördederFreienundHanse stadtHamburgfürdieTeilnehmerderGemeinschaftstagungfürallgemeineundangewandte Phonetikanläßlichdes50jährigenBestehensdesPhonetischenLaboratoriums,Hamburg1960, S.8–10,hierS.8.

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Abbildung 42: Naturkundeunterricht mit Otto Schmähl, 1952/53

In den folgenden Jahren erlangte die Schulesomanche öffentlicheAuf merksamkeit.1952übertrugdasNDRFernsehenliveAusschnitteauseiner ArtikulationsstundesowiedasPantomimenundSchattenspiel„Maxund Moritz“.FürdieWeihnachtsfeier1959,dieinderVolksschuleAngerstraße veranstaltetwurde,zogenKinderundErwachsenederSchuleineiner„Lei terkarawane“durchdieStraßenvonderBurgstraßezurAngerstraßemitall denzumFestnötigenKostümenundRequisiten.IndiesemJahrzehntgab es  einige  Weiterentwicklungen:  1955  richtete  die  Hamburger  Volkshoch schule  Sonderkurse  für  Gehörlose  ein,  die  im  Gebäude  der  Gehörlosen schulestattfanden:KurseüberDeutscheSprache,Rechtswesen,ErsteHilfe undVerkehrserziehungzumErwerbdesFührerscheinswurdenHambur gerGehörlosenangeboten.DieseKursewarensehrbeliebtundinderRegel überfüllt,sodasseinzelneKursegeteiltwerdenmussten.Fürdas–bisda hineingeschränkte–Recht,amStraßenverkehralsAutoundMotorradfah rerteilzunehmen,musstenGehörlosekämpfen.UmdieÖffentlichkeitzu informieren,wurde1956der„HamburgerGehörlosenMotorclub“gegrün det–wienötigdieswar,zeigteineZeitungskampagneausdemJahr1960, dieeinGesetzforderte,welchesGehörlose„zuihrereigenenSicherheit,zur

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allgemeinenSicherheitvomSteuerfernhalten“sollte.680 AlsProtestgegen diesenArtikelkameszueinerdererstenDemonstrationenvonGehörlosen überhaupt.681 InderSchuleBurgstraßewurdeimFebruar1960eineGehörlosenbüche reieingerichtet,dieallerdingsnurbisEnde1961bestand.682Esgab1960an derGehörlosenschule13Klassenmit115Schülern.WeitereNeuerungen ließendieBedeutungderSchulewachsen,sowiedieEinrichtungeinesfrei willigen10.Schuljahres:InHamburgkonntemitderBegabtenförderung begonnenwerden.NeunausgewählteSchülerinnenundSchülerausden Volksschulklassen7und8wurdenmitdemZieldesErwerbsderMittleren ReifeinklusiveErlernenderFremdspracheEnglischausgewähltundinder AufbauklasseA7zusammengefasst.HamburghattedamitdiezweiteSchu leinderBundesrepublik,andergehörloseSchülerinnenundSchülerihren Realschulabschlusserwerbenkonnten.KlassenlehrerwurdeHellmuthStar cke.683BegabtegehörloseKinderausallenBundesländernkamenjetztnach Hamburg,umhierihrenAbschlusszumachenundumsoaufneueBerufe alsdiefürGehörlosebisdahintypischenHandwerksberufehinzuarbei ten.684AusdieserRealschulklassebildetesichaucheineLaienspielgruppe, dieerfolgreichTheaterstückeinszenierteundaufführte–fürHörendemit Simultanübersetzern.DieGruppegestalteteFeiern,tratimFernsehenauf undspieltejedesJahrbeiderWeihnachtsfeierderMitgliederderHambur gischenStaatsoper,derenTheaterfundusihnenfürihreAufführungenzur Verfügungstand.EineehemaligeBallettmeisterinderStaatsopergabder GruppeHinweisefürihrSpiel.DieMitgliederdieserLaientheatergruppe trateninnorddeutschenStädtenmitGastspielenaufundwurdensorecht bekannt.EinebreiteÖffentlichkeitwurdeangesprochenundsodasVer ständnisfürGehörlosegeweckt.AberauchdiefinanzielleSeitekamnicht zukurz:DurchSpendeninfolgederöffentlichenAufmerksamkeitwurde derBaudesGehörlosenKulturzentrumsmitgefördert.685 680

Kampagneder„BildamSonntag“.ZitiertnachHannen,Gehörlosenbewegung,S.108.

681

Ebd.,S.109.

682

StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Mappe6(Ablieferungsverzeich nis),HamburgerÖffentlicheBücherhallenanMaeße24.2.1960undNotizvom23.12.1961.

683

Erwurde1969Schulleiter.

684

HamburgerAbendblattvom26.5.1977.

685

ZumKulturzentrumsieheKapitel8dieserArbeit.DasTheaterspielenwarstetseinebeson dereHerausforderung.ZuallenZeitengabesgehörloseSchauspielgruppen.Seit1990gibtes

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NachderEinrichtungeines10.SchuljahresimJahr1960wurdedreiJah respäteraucheinefreiwillige11.FörderklassefürBegabteanderSchule fürGehörloseeingerichtet.686InErwartungeinerAufbauschulefürGehör losewar1959einElternkontaktzwischenHamburgundSchleswigentstan den,dem1961auchHildesheimbeitrat.DieerstegroßeTagungderEltern vertreter  norddeutscher  Taubstummenanstalten  und  Gehörlosenschulen fandimNovember1961inHamburgstatt,aufderdieElterndenoffiziellen Zusammenschlussproklamierten.687 DieseArbeitsgemeinschaftunterFüh rungdesHamburgerElternratvertretersDr.HerbertFeuchte (1914–1996) setztesichfürihregehörlosenKinderein,indemsiezumBeispielGesprä chemitFernsehvertreternüberGehörlosenschulfernsehenführte.688 Inder HauptsachewolltesiedieSchuleninallenBereichenunterstützenundbei Problemenhelfen.BalddehntesichdieseArbeitsgemeinschaftbundesweit aus.TagungeninformiertenundunterrichtetenEltern,zumBeispielüber denWertderFrüherfassungundförderung.AuchÄrzteundLehrerschaft beteiligtensichandenVersammlungen.Da90ProzentderElterngehörlo serKinderselbsthörendsind,warendieseVeranstaltungen,wieauchdie derErzieherundLehrkräfte,aufdenOralismushinausgerichtet.Undso sehrsie„immernurdasBeste“fürihreKinderundSchützlingewollten,so wurdedochübersehen,dasssichinzwischeneineeigeneWeltderGehörlo senentwickelte,eineeigeneKultur,indergehörloseKinderselbstbewusst undfreierwerdenkonnten.Langewurdedasverdrängt.Eswurdenicht mit Gehörlosen,sondern über siegesprochen.AusdruckfindetdieseEin inHamburgdas„VisuelleTheaterHamburg“,dasTheaterstückeoderGedichteinGebärden sprachebzw.einerbesonderenpoetischenGebärdensprachevorträgt. 686

StAHbg,3612VIOSBVI,2986Band1,SchulratskonferenzNr.14vom19.7.1963,Schulrat HansDuus.

687

StAHbg,3612VIOSBVI,709,Bl.99f.:BerichtvonHellmuthStarckeüberdieTagungder Elternvertreteram26.und27.Mai1962inOsnabrück.

688

OberstudienratDr.HerbertFeuchte,VatereinesgehörlosenKindes,widmetesichmitviel EngagementdenGehörlosen,warVorstandsundhäufigauchGründungsmitgliedinregiona lenundüberregionalenElternvertretungenundGesellschaftenzurUnterstützungGehörloser (imVorstandderStiftungTaubstummenanstalt,derFamilieMadjeraStiftung,derGesellschaft zurFörderungderGehörloseninHamburg,derdeutschenGesellschaftzurFörderungder HörSprachGeschädigten,diealsMitgliedauchdieArbeitsgemeinschaftderElternvertreter DeutscherTaubstummenanstaltenundGehörlosenschulenhatte).Feuchtewarrichtungswei sendfürdieHamburgerGehörlosenfürsorge.UnteranderemwarerauchMitbegründerdes KulturundFreizeitzentrumsfürGehörloseundhattedenVorsitzimStiftungsverbundmehr fachbehinderterGehörloser,SchwerhörigerundTaubblinder.

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stellungineinemEigenlobderLeiterindesBremerKindergartens,dieauf derElterntagung1963ihre„gebärdenfreieErziehung“betonte.Schondie KindergartenkinderwurdenmitHilfeelektrischerHörgeräteunddesmög lichstfrühenÜbensdesAbsehensalleinindasErlernenderLautsprache eingeführt,währendGebärdenweitgehendausgeklammertblieben.689 Bereitsinden1950erJahrenmischtensichmehrundmehrFachärztefür HalsNasenOhrenMedizin  in  das  Leben  der  Gehörlosen.  Durch  techni scheWeiterentwicklungwurdenHörgeräteunddamitdiegenaueDiagno se  des  Schwerhörigengrades  auch  für  die  Gehörlosenpädagogik  immer wichtiger.1950hattenbereitsHNOÄrztederGesundheitsbehördeeinen Vorschlag  zur  Errichtung  eines  Zentralinstitutes  für  Gehörlosenberatung vorgelegt.DiesessolltezurRegistrierung,Beratung,Funktionsprüfungdes Gehörs mitDiagnose und Empfehlungen für Maßnahmen dienen.690 Die Hörgeräteanpassung  vor  allem bei  Schwerhörigen  hatte  seit Einrichtung derSchwerhörigenschuleindenHändendesdortigenDirektorsgelegen, ab 1920  wurde sieAngelegenheit  des  Bundes der Schwerhörigen,  bevor 1938dieSozialbehördemitderEinrichtungeinerGehörbehindertenfürsor gedieseAufgabeübernahm.DieÄrztedesUniversitätskrankenhausesEp pendorfwurdenzurBegutachtunghinzugezogen.691Diesehieltenesnicht fürrichtig,dieimmerwichtigerwerdendeHörgeräteberatungderSozialbe hördezuüberlassen.692 SowurdeaufDrängenderÄrzteschaftdieBera tungsstellederSozialbehördeab1.Januar1951umeinemonatlicheärztli cheSprechstundeerweitert,dieeinHNOFacharztehrenamtlichübernahm und  die  bald  auf  eine  wöchentliche  Tätigkeit  ausgeweitet  wurde.693 Das Bundessozialhilfegesetzvom30.Juni1961untermauertedieForderungen derÄrzte.Esbestimmte,dassauchBlinde,Seh,HörundSprachbehinderte unterdiesesGesetzfielen,welcheszuvornurdenKörperbehindertenzuge dachtwar.694 EsmussteeinezentraleBeratungsundBetreuungsstellege 689

StAHbg,3612VIOSBVI,709,Bl.131.

690

StAHbg,3526Gesundheitsbehörde,1271Band1,PrivatdozentDr.HansE.Zangemeister anGesundheitsbehörde10.7.1950. 691

Ebd.,Sozialbehörde,ArbeitsfürsorgeanGesundheitsbehörde31.7.1950.

692

 Ebd.,Dr.FriedrichBödecker,derspäterdasEhrenamtderberatendenärztlichenSprech stundederSozialbehördeübernahm,anGesundheitsbehörde16.2.1951.

693

Ebd.,NotizEdithRöder,OberinspektorinderGesundheitsbehörde,8.3.1951.

694

 StAHbg,3526Gesundheitsbehörde,1270Band1,SozialbehördeLandesfürsorgeamtan Gesundheitsbehörde24.7.1961.

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schaffenwerden,wiesieesfürdieKörperbehindertenbereitsindeneinzel nenGesundheitsämterngab.AlsvertrauensärztlicheDienststellefürMen schen  mit  Hörbehinderung  wurde  die  HNOKlinik  des  Allgemeinen KrankenhausesSt.Georgeingeschaltet.695Am15.Mai1963nahmdanndie „BeratungsstellefürBlinde,Seh,HörundSprachbehinderte“unterder LeitungdesKinderarztesDr.HellmutKellner ihreTätigkeitauf.696 Dieser sahdasZielseinerBeratungsstelleimErfassenderKinderdurchFürsorge rinneninderKleinkindberatungundinderZuführungdieserKindermit ihrenElternzurBeratungsstelle.Esfolgte„sodannfroheZusammenarbeit dersonderpädagogischen,fachärztlichen,kinderärztlichen,fürsorgerischen und  verwaltungstechnischen  Maßnahmen  zum  Wohle  jedes  behinderten Kindes“.697EineErfassunggehörloserKinderwarinderVergangenheitbe reits1911durchdasGesetzzurBeschulungblinderundtaubstummerKin derpraktiziertworden.698Ärzte,Pfarrer,FürsorgerinnenundLehrerwaren zur  Auflistung  gehörloser  Kinder  vorgesehen.  Durch  Verordnung  vom 17.April1924wurdedannauchinHamburgdieSchulpflichtfürgehörlose Kindervom7.bis15.Lebensjahreingeführt.AllegehörlosenKinderwur dendamalsjedesJahrzueinemfestenTermingemeldet.699 DasErfassen undMeldenwurdewiederalseinesderZielederneuenBeratungsstelle festgehalten.DieseneueBeratungsstellewarfürKindergedacht,während dieschonvorherexistierende„BetreuungsstellefürBlindeundTaubstum me“  in  der  Sozialbehörde  eher Anlaufstelle  für  Erwachsene  war. 700 1961 wurdedanneineGesamtverkabelungderKinderdurchelektroakustische Hilfsmittelgeprüft.ZumerstenMalbekameineganzeKlassederHambur ger  Gehörlosenschule,  auch  die  volltauben  Kinder,  kollektiv  Einzelhör 695

Ebd.,NiederschriftderBesprechungvonVertreternderGesundheits,Sozial,Schulund Jugendbehörde6.12.1961.

696

Ab1.9.1964übernahmseineStelleeineFachärztinfürPsychiatrie.

697

StAHbg,3526Gesundheitsbehörde,1270Band2,Bl.15:ReferatDr.KellnerausAnlassder Arbeitstagung der Arbeitsgemeinschaft  für  Sprachheilpädagogik über  die Arbeit der  Bera tungsstelle27.11.1963.

698

GesetzbetreffenddieBeschulungblinderundtaubstummerKindernebstAusführungsan weisungen,Berlin1912.

699

StAHbg,3526Gesundheitsbehörde,1271Band1,SchulratDr.Jeiler,HandbuchdesVolks schulwesens,1928.

700  DieGehörlosenschuleunddieBeratungsstelleunterstütztensichgegenseitiginihrerAr beit.

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apparate.AußerdemwurdeeineVerstärkeranlageindenKlassenraumein gebaut.AnsonstenwurdedieHörerziehungvonKindernmitHörrestenin Sondergruppen  durchgeführt,  während  Kinder  ohne  Hörreste  während dieserZeitSprach(Sprech)stundenerhielten.701 4. 4. 2 D ie Bem ühu ng en u m den Wied era u fba u des Int e rnats Die  ersten  Bemühungen  des  Vorstands  der  ehemaligen  Milden  Stiftung Taubstummenanstalt  um  die  Wiedererrichtung  eines  eigenen  Schulbaus mitInternatdatierenindasJahr1949.Am10.November1949saßendie VorsitzendenderStiftungmitVertreternderWiederaufbaukasse,derFi nanzbehörde,derJugendfürsorgebehördeunddesDeutschenHilfswerks zusammen,umdasweitereVorgehenzubesprechen.702KonkreteBeschlüs sekonntennochnichtgefasstwerden,aberfürdieZukunftwurdeeinIn ternatmitzweiSchlafräumenfürdieKinderderGehörlosenschulevorge sehen. Vorausgegangen war ein Brief des Vorsitzenden derStiftung, Dr. GüntherMarr,dernacheinemEntwurfdesehemaligenSchulleitersJan kowski einSchreibenandieSozialbehördegeschickthatte,indemerdie SituationdergehörlosenSchülerschilderteunddieBehördeumUnterstüt zungbat.703MarrbeschriebindiesemBriefdasEndedesaltenInternats,in dem1943zuletzt32Kindergelebthatten.AngegliedertwardortderTages hortmit15bis20SchülernfürKinderberufstätigerEltern.NachderZer störungvonSchuleundAnstaltwurdeversucht,diegehörlosenKinder außerhalbHamburgszuunterrichten,dochwardiesemUnternehmenkein Erfolgbeschieden,dawederinHamburg,nochinHamburgsUmgebungge eigneteRäumegefundenwurden.SowurdedasInternat1943geschlossen. AuchnachKriegsende,alsdieSchuleihreArbeitwiederaufgenommen hatte,kamennichtalleKinderzumUnterricht,davieleFamilien,dieaus 701

StAHbg,3612VIOSBVI,Abl.1981/2,699,BerichtüberBesprechunginderSozialbehörde vom5.6.1995überGehörlosenundSchwerhörigenFragen19.6.1961.ImNeubauhatte1964 jedeKlasseelektroakustischeHöranlagen.

702  HierundimFolgenden:StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Map pe9(Ablieferungsverzeichnis),Taubstummenanstalt,Kinderheim,hier:Aktennotizo.D. 703

 Ebd.,MarranSozialbehördevom26.10.1949undEntwurfvonJankowskivom21.7.1949. Jankowskiwar,nachdemer1945ausseinemAmtentlassenwordenwar,nochbiszuseinem ausGesundheitsgründenerfolgtenAustrittimNovember1956Vorstandsmitgliedderehema ligenStiftung.

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gebombtwaren,nunamStadtrandlebtenunddieKinderdenweitenWeg zurSchulescheuten.EinInternatwurdealsbesteLösungangesehen,um denKinderndenSchulbesuchwiederzuermöglichen.AuseigenenMitteln ein  Internat  aufzubauen,  war  der  Stiftung  Taubstummenanstalt  jedoch nicht möglich  –nichtzuletztdurchdie Währungsreform1948 besaß sie keinVermögenmehr.DieSozialbehördewurdeumUnterstützunggebeten. SiestanddieserIdeenichtabgeneigtgegenüberunderwartetevonderStif tungVorschlägefürdenStandortdesInternatsundPlänefürdenWieder aufbau.  Da  das  ehemalige Direktorenwohnhaus  in  seinen  Grundmauern noch  stand,  hoffte  der Vorstand  der Anstalt, es  als  Internat wieder her richten  zu  können;  das  Bauordnungsamt  hatte  gegen  diesen  Plan  keine grundsätzlichenBedenken.704 DochdieÜberlegungenzogensichhin:DerEntwurffüreinenWieder aufbaukosteteGeld,dasdieAnstaltnichthatte.Am8.Mai1950drohtedie SozialbehördemitderAuflösungderStiftungTaubstummenanstalt,würde nichtbaldeinPlanvorgelegtwerden.705 NunerhieltdieStiftungvonder DeutschenHilfsgemeinschafteineBeihilfe,sodasseinKostenvoranschlag einesArchitektenfürdenUmbaudesaltenDirektorenwohnhausesinein Heimfür25bis30Internatskindereingeholtwerdenkonnte. 706BeiderSo zialbehördewurdeeinZuschussfüreinengenauerenBauplanbeantragt. DochdannmussteMarrausderZeitungerfahren,dassdieBaubehördedie Räumung  und  Bergung  der  Trümmer auf  dem ehemaligen  Gelände  der Taubstummenanstalt durchführenwollte.707 Auch die stehen gebliebenen TeiledesGebäudes,diezurWiederverwertungvorgesehenwaren,sollten abgerissenwerden.ErneutwurdeeineBesprechungmitsämtlichenzustän digenBehördennötig.EineweitereLösungwurdeinAugenscheingenom men:ImneueinzurichtendenHeimderJugendbehördeamHornerWeg sollte  abApril 1952  Platz  für zehn  bis  fünfzehn  gehörlose  Kinder  über gangsweiseeingerichtetwerden.708

704

Ebd.,MarranDeutscheHilfsgemeinschaftvom5.5.1950.

705

Ebd.,SozialbehördeanMarr8.5.1950.

706

Ebd.,DeutscheHilfsgemeinschaftanMarr26.5.1950.

707

AmtlicherAnzeigerNr.179vom2.10.1950.

708

StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Mappe9(Ablieferungsverzeich nis),Taubstummenanstalt,Kinderheim,Dr.KäthePetersen,OberregierungsrätinderSozialbe hörde(Landesfürsorgeamt),anMarr27.12.1951.

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Die staatliche Taubstummenschule

InzwischenwurdedieTaubstummenanstaltindenJahren1948bis1952 immer  wieder  ermahnt,  Grundsteuern  für  das  brachliegende  Trümmer grundstückanderBürgerweidezuzahlen,wozusieabernichtinderLage war.DerVorstand wollte eine endgültigeLösungabwarten,konnte sich wederzurRäumungnochzumVerkaufentschließen.EinneuerPlanwur deerarbeitet:DieGehörlosenschulesollteausihremBesucherdaseininder SchuleBurgstraßeerlöstwerdenundeineigenesSchulhauserhalten,wo dannauchdasInternatPlatzfindensollte.DasalteBürgerweidengrund stücksolltemiteinemGebäudefürdieSozialverwaltungbebautwerden. DieIdeewar,dassdieStadtaufSteuernundAbgabenfürdasGrundstück verzichtete,dafüraberderAnstaltdasGeländesamtdaraufbefindlichen Ruinenübertrug.709WenndieSchuleeinenNeubaubekäme,könntedasIn ternat  auf  demselben  Grundstück  liegen,  und  traditionelle  Verhältnisse könntenwiederrealisiertwerden.DochauchjetztstocktendiePlanungen fürdenSchulneubauimmerwieder.NachdemfürdasinBaubefindliche HeimamHornerWegdieUnterbringungvongehörlosenKindernzuge sagtwordenwar,betrachtetedieBehördedieInternatsfragealsgelöst.Bei einemNeubauderGehörlosenschulesolltegegebenenfallserneutüberdie Wiedereinrichtungberatenwerden.710 DochderVorstandderAnstaltgabsichdamitnichtzufrieden:ImMärz desfolgendenJahresfandenwiederGesprächestatt,indenenMarrandie 17gehörlosenKindererinnerte,diezuderZeitaußerhalbHamburgswoh nen  mussten.  Die  Behördenvertreter  verwiesen  ihrerseits  auf  die  freien PlätzeimKinderheimHornerWeg,dienichtgenutztwurden,unterande rem,weil–lautAussagederKinderheimleiterin–dieElternihregehörlo senKindernichtineinHeimgebenwollten.SowurdeamEndederBespre chungabermalseinInternatsbauinAussichtgenommen–soferndieSchule einneuesGebäudebekommensollte.711WiedervergingMonatumMonat, dochindenBehördenschiensichnichtszurühren. 712Erst1957setztenkon kreteÜberlegungenfürdieErrichtungeinesSchulneubausein–ohneBe rücksichtigung  des  Internats.  Sofort  schickten  Vorstand,  Lehrer  und  El 709

Ebd.,NotizübereineBesprechungzwischenPetersenundMarr2.1.1952.

710

Ebd.,SenatorGerhardNeuenkirch(Sozialbehörde)anMarr15.1.1952.

711

Ebd.,Notizvom5.3.1953übereineBesprechungMarrsmitDr.KäthePetersenundOber inspektorHansMüllervonderSozialbehörde.

712

 Ebd.,PetersenanSchulbehörde10.3.1953,AktennotizüberBesprechungPetersen,Müller undMarram6.12.1954.

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ternratderSchuleeinenBriefandieJugendunddieSozialbehörde,der dieFolgendesFehlenseinesInternatesschilderte:Kinderwürdeninande reBundesländerumgeschultoderdieSchulpflichtnichterfülltwerden.713 DiesmalkonntensichdieverschiedenenBehördennichteinigen:Während SozialundSchulbehördederMeinungwaren,dasseinInternatfürgehör loseSchülerinnenundSchülernotwendigsei,meldetedieJugendbehörde BedenkenwegendesUmfangsdesVorhabensan.714 DieAnstalt,diesich aufAnregungderSozialbehördedemDeutschenParitätischenWohlfahrts verbandangeschlossenhatte,715 umsounteranderemdurchdessenVer mittlungGelderausMittelnderGemeinschaftshilfezuerhalten,konnte finanzielleUnterstützungbeidenPlanungenanbieten.716Leiderwarweder genugGeldfürdieErrichtungdesInternatsvorhandennocheingeeigneter BauplatzfürdengemeinsamenNeubaukomplexvonInternatundSchule. AberaufeinmaldrängtendieBehörden:SchulundJugendbehördewoll ten  eine  Entscheidung,  ob  die Anstalt  die  Bewirtschaftung  übernehmen werde.DasBauvorhabensolltenunstraffdurchgezogenwerden.DieJu gendbehördehattesichfüreinenmodernenNeubaufür30bis40Kinder entschlossenundwolltedieLeitung„erstklassigausgebildetemPersonal“ übergebenundsoeinDeutschlandweitesBeispielfürmoderneInternatser ziehungwerden.717 DerVorstandderAnstaltmussteeingestehen,dassdieMittelzurEin richtungundErhaltungeinesHeimes,erstrechteinesmodernenAnsprü chengenügendenHeimesmithöherenKostenaufGrundkleinererGruppen, mehrErzieherinnenundbesterAusrüstung,fehlten.BereitsimSeptember 1951hattedieVereinigungstädtischerKinderundJugendheime inenger ZusammenarbeitmitderSchulbehördeinderGehörlosenschuleBurgstra ßeeinkleinesTagesheimmit16Plätzenfürgehörlosevorschulpflichtige Kindereingerichtet.13schulpflichtigeKinder,dieausverschiedenenGrün denineinVollheimeingewiesenwerdenmussten,wurdenimKinderheim HornerWeguntergebracht.DiesePlätzewurden1956fürdieallgemeine 713

Ebd.,Briefvom31.1.1955.

714

Ebd.,AktennotizüberBesprechungPetersen,SchmidtundMarram23.4.1955.

715

 Ebd.,  Deutscher  Paritätischer  Wohlfahrtsverband  an  Marr  6.4.1955  und  Antwort  vom 7.5.1955. 716

Ebd.,AktennotizüberBesprechungPetersen,SchmidtundMarram23.4.1955.

717

Ebd.,AktennotizvonMarro.D.[ca.August1955].

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Einweisungbenötigtundmusstendaherzurückgegebenwerden.Diege hörlosenKindersolltenfürdie„normaleKinderheimbelegung“Platzma chen,alsowurdedas„ProjektInternat“wiederzurSprachegebracht,und derVorstandderAnstalterklärtezwardiegrundsätzlicheBereitschaftfür dieihrangetrageneTrägerschaft,mussteaberwiederauffehlendeGeld mittelhinweisen.718 DiezuerststürmischvorangetriebenenPlanungenfürdenNeubauder Schuleverzögertensichweiter.NochimJuli1957beschwertesichderEl ternratunterdemVorsitzDr.HerbertFeuchtes,dasswederdieaufdemfür denSchulbauvorgesehenGeländebefindlichenBewohnergekündigtnoch dasWohnungsamtwegenderenneuenUnterbringunggefragtwordenwar. DerElternratwargegendenBauinAbschnitten,umVerzögerungenzu vermeiden.719 AlsosolltendieInternatsplanungenzurückgestellt,undder Schulneubauumsoschnellervorangetriebenwerden.ImSeptember1957 fertigtederArchitektderSchule,WilliHöppl,eineBauskizzefürdasHeim an,720 dochwarzudiesemZeitpunktnichteinmaldieRäumungdesBau geländes erfolgt.721 Während  der  Schulneubau  in  der  Folgezeit trotz  der schlechten  Behördenkommunikation  verwirklicht  wurde,  war  der  Inter natsbauanGeldmangelundfehlenderZusammenarbeitgescheitert. DennochwurdederGedankeandieEinrichtungeinesInternatsfürGe hörloselangenichtfallengelassen:1966warendieRaumverhältnissewiedie sanitärenEinrichtungenimSondertagesheimungenügend.DieKinderwa renaufmehrereEinrichtungenverteilt:21gehörloseKinderwareninvier verschiedenenHeimen,16nochnicht,zweiprivatundneunauswärtigun tergebracht:DieBeschulungallerKinderwarnichtgesichert. 722Daherwurde 1969dasInternatalsdritterBauabschnittdesSchulkomplexesgeplant.723 DreiJahrespäter,1972,wurdeeinInternatsbauvomLehrkörperderSa muelHeinickeSchule  als  nicht  mehr  notwendig  angesehen.  Diese  neue 718

Ebd.,JugendbehördeanParitätischenWohlfahrtsverband17.10.1956undMarranParitäti schenWohlfahrtsverband17.11.1956. 719

Ebd.,AktennotizüberElternratssitzungam1.7.1957.

720

Ebd.,SchulleiterSchmidtanMarr17.9.1957.

721

Ebd.,Dr.Feuchte(Elternratsvorsitzender)anMarr26.9.1957.

722

 StA  Hbg,  3612  VI  OSB  VI,  Abl.  1981/2,  699,  Maeße an  Schulbehörde,  Bauabteilung 6.12.1965;SondertagesheimanOberschulratFrank10.3.1966. 723

 Hier  werden  Taubstumme  zu  lebenstüchtigen  Menschen,  in:  Die  Welt  Nr.  136  vom 30.6.1964.

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Einstellunggründetesichdarauf,dassauswärtigeKinderpädagogischund finanziellbesserinKleinheimenmitFamiliencharakterundinPflegefami lien  untergebracht  werden  sollten.  Die  Anzahl  auswärtiger  gehörloser Kinderhattesichdazuseit1967stetsverringert,dadiesonstaufHam burgangewiesenenRealschülerinnenundschülerinzwischendieAuswahl zwischenmehrerenGehörlosenRealschulzügeninDeutschlandhatten. Die GesellschaftzurFörderungderGehörloseninHamburgunddieFamilie MadjeraStiftungplantenErweiterungenvonInternatsplätzendurchEin richtungneuerKleinheime.724 ImJanuar1981begrüßtederFachkreisder Gehörlosenlehrer  in  der  Gewerkschaft  für  Erziehung  und  Wissenschaft (GEW)einenReferentenentwurfzurSchulentwicklungsplanung,derein malmehrankündigte,dieHamburgerGehörlosenschuleineineGanztags schuleumzuwandeln.725Dasistbisheutenochnichtgeschehen. 4 . 4. 3 D er S ch u ln e u b a u – e in e un en d li c h e G es ch i cht e SeitdasalteGebäudeanderBürgerweidezerstörtwordenwar,bemühte sichdieSchuleumeineigenesGebäude.Dochwurdesiestattdessen–wie geschildert–inverschiedenenVolksschulgebäudenuntergebrachtundlitt ständigunterRaumnot.ImFolgendenwirdderlangeWegzumeigenen Gebäudenachgezeichnet. 1956begannendieerstenkonkreterenVerhandlungenmitdenBehörden umeineneigenenSchulbau.ZuerstbatOberschulratWilhelmDresseldas LandesplanungsamtumZuweisungeinerFlächefürdenSchulneubauin derNähederSchuleBurgstraße,alsoinHammNord,wodieGehörlosen schuleseit1946ihrenPlatzgefundenhatte.DadasBezirksamtHamburg MittekeinengeeignetenPlatzzurVerfügungstellenkonnte,wurdedie SuchenacheinempassendenBaugeländeaufdenBezirkWandsbekausge weitet.726ZweiFlächenkameninBetracht,wovonderPlatzanderHinrich senstraße,derzuerstfürdenNeubaufavorisiertwurde,schließlichalszu 724 StAHbg,3612VIOSBVI,Abl.1981/2,700,Bl.4:SchulleitunganBehördefürSchule,Ju gendundBerufsbildung10.3.1972. 725

 StA Hbg,  36210/3  SamuelHeinickeSchule  für  Gehörlose,  Mappe  25  (Ablieferungsver zeichnis),Diverses,StellungnahmedesFachkreisesderGehörlosenlehrer(GEW)zumReferen tenentwurfzurSchulentwicklungsplanung,Januar1981,Bl.1. 726

StAHbg,3612VIOSBVI,202Band65,OberschulratWilhelmDresselanLandesplanungs amtderBaubehörde2.2.1956.

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klein  für  einen  zu  der  Zeit  noch  in  Planung  befindlichen  Komplex  von Schulneubau,InternatundKinderheimerkanntwurde.727Alsoentschieden sichdieBehördenfüreinGebietanderHammerStraßeinWandsbek.Die seswarmitbehelfsmäßigzuWohnraumausgebautenSchreberlaubenbe baut.DernördlicheTeildesGeländesgehörtebereitsderStadt,dersüdli cheTeilsolltedenBesitzernabgekauftwerden.DasGeländeschiengenug PlatzzubietenfürSchuleundInternat,unddasnördlichderEisenbahn streckegelegenenochmitNissenhüttenbebauteGeländedesehemaligen EilbekerSportplatzeskönnespätereineFußwegverbindungerhaltenund alsSchulsportplatzausgebautwerden.728 AuchLehrkräfteundElternder SchulesowiederVorstandderStiftungTaubstummenanstalthieltenden PlatzanderHammerStraßefürgeeignet.729 SielobtendieVerkehrslage, denneineSchule,dieKinderausdemgesamtenStadtgebietunterrichtet, mussentwederzentralgelegenodergutmitBusundBahnerreichbarsein. ZuderZeithattedasGrundstückAnschlussandieStraßenbahn,Busund SBahn,lagabertrotzdemineinerdamalsnochruhigenGegend.Begrenzt wurdedasGebietdurcheinVillengebiet,KleingärtenunddieGüterumge hungsbahn.AuchdieGrundstücksgröße,zuderZeitnochmit2,8haange geben,  bot  Platz  für  künftige  Erweiterungsbauten,  wie  einem  Lehrlings heimodereinerweiterführendenSchule,undkonntedamitgemeinsamen PlanungenmitbenachbartenBundesländerndienlichsein.Lehrkräfteund Elternrat  baten  Oberschulrat  Dressel,  der  die  Abteilung  Schulbau  der Schulbehördeleitete,umeinezügigeDurchführungvonPlanungundBau, da  die  Schülerzahl der  Gehörlosenschule  sich  seit 1945  verdoppelt habe undderPlatzinderVolksschuleBurgstraßeknappgewordensei,sodass zumTeilschoninSchichtunterrichtgelehrtundLehrerundHausmeister zimmer  als  Klassenräume  genutzt  werden  mussten.  Da  das  Grundstück Hammer  Straße  noch  mit  festen  Gebäuden  sowie  Behelfsheimen  bebaut war,wurdeumeinemöglichstschnelleKündigungundRäumunggebeten. DieStadtplanungsabteilungdesBezirksbauamtesstimmtedemPlanzu, dasLandesfürsorgeamtderSozialbehördeebenso,legteaberdieletzteEnt 727

 Ebd.,DresselanJugendundSozialbehörde1.6.1956undBauratFriedrichMey,Bezirks bauamtStadtplanung,anBaubehörde,Landesplanungsamt27.6.1956.

728  Ebd.,  Oberbaurat  des  Bezirksbauamtes  Wandsbek,  Theodor  Schüler,  an  Schulbehörde 24.2.1956. 729

HierundimFolgenden:ebd.,LehrkörperundElternratderGehörlosenschuleanSchulbe hörde25.4.1956.

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scheidungindieHändederJugendbehörde.Dieseaberkonntedenange strebten Platz  für  den  Neubau  nicht  gutheißen,  da  der  Schulweg  für busfahrendeKindertagesheimkinder–dienächsteHaltestellelag1.000mwei ter–zuweitsei,außerdemseidieHammerStraßealskünftigerAutobahn zubringerbaldzustarkbefahren.ErstnachdemderElternratdasGelände besichtigthatte,einewesentlichkürzereEntfernungzuBushaltestelle,Stra ßenundSBahnerrechnethatte,undnocheinmaldiegünstigenVerhält nissefüreinenSchulbaulobte730undauchdieGesamtElternschaftaufihrer Vollversammlungam25.Juni1956einstimmigfürdiezügigeVerwirkli chungdesBauvorhabensvotierte,731erhobauchdieJugendbehördekeinen Einspruch  mehr.732 Daraufhin  beantragte  die  Schulbehörde  im  Juli  1956 beimBezirksliegenschaftsamtWandsbekdenAnkaufdereinenTeilfläche und  Freimachung  des  Kleingartengeländes733 und  der  Architekt  Willi HöpplwurdemitderPlanungdesSchulneubausbeauftragt.734 EinJahrverstrich.EinElternratsbeauftragtererkundigtesichnachdem StandderPlanungenunderfuhrdabei,dassdenSiedlernaufdemGelände anderHammerStraßeimmernochnichtgekündigtsei.735DasLandespla nungsamtberichteteaufAnfrage,dassaufdemausgewähltenGeländeauf GrundgeänderterVerkehrsplanungenkeineSchulemehrerrichtetwerden könne.736 OberbauratFriedrichMey schlugeinneuesGeländenordöstlich der  Horner  Rennbahn  vor.  Oberschulrat  Dressel antwortete,  dass  dieser PlatzbereitsfüreinenVolksschulbauvorgesehensei.737Trotzdembeharrte Meydarauf,dieKleingärtnernichtkündigenzukönnen,dadiePlanungen

730

Ebd.,FeuchteanSchulbehörde27.6.1956.

731

Ebd.,ResolutionderElternschaftvom25.7.1956.

732

 Ebd.,  Leitender  Regierungsdirektor  der  Jugendbehörde,  Gottlieb  Raloff,  an  Feuchte 7.7.1956.

733

Ebd.,DresselanBezirksliegenschaftamt25.7.1956.

734

 Ebd.,SchulbehördeanBezirksamtWandsbek,Stadtplanungsabteilung,20.9.1956.Aufei nemtechnischenGutachtenvom31.7.1956(ebd.)fragteinehandschriftlicheRandnotiz:„Ist Jugendheim,Internatusw.dabeiberücksichtigt?“AnscheinendkonnteschonzudiesemZeit punktnichtmehrmiteinemInternatsbaugerechnetwerden,daderRaumbedarffüreinsol chesProjektnichtgedecktwurde. 735

Ebd.,SchulleiterDr.HermannMaeßeanDressel21.6.1957.

736

Ebd.,Vermerkevom19.7.1957und22.7.1957.

737

Ebd.,SchwarzmayranDressel24.7.1957.

228

Die staatliche Taubstummenschule

sichgeänderthätten.738DresselschriebnunandasTiefbauamtundberich tetevondenbereitseineinhalbJahredauerndenPlanungenfürdieGehör losenschuleanderHammerstraße,vondemnahezufertigenEntwurfdes Architektenunddavon,dassderBaueigentlichinKürze–imFrühjahr 1958–begonnenwerdensollteundnundasGeländeaufGrundderneu geplantenStraßenführungzukleinfüreineSchulewerdenwürdeundso diePlänezuscheiterndrohten.739 InmehrerenBesprechungenkonntedas BezirksliegenschaftsamtWandsbekdavonüberzeugtwerden,dasSchulge ländeweiterandieGüterumgehungsbahnzusetzen.740 DerElternratwarwütend.EsherrschtenseinerMeinungnachunhaltbare SchulverhältnisseanderGehörlosenschuleinderBurgstraße–esgabauf GrundfehlenderundzukleinerRäumekeineHörerziehung,Werkunter richt  fand  im  Keller  statt,  die  Turnhalle  war  nur  für  drei  Stunden wö chentlichbenutzbar,KriegsschädenamBaumachteneineReiheImprovisa tionennötig.741DazukamdieunklareLagedesBauvorhabens.DerElternrat dergemeinsamimSchulgebäudeuntergebrachtenVolksschuleBurgstraße fasste  bereits  Protestversammlungen  und  Warnstreiks  ins Auge,  konnte aber  vom  Elternrat  der  Gehörlosenschule  zurückgehalten  werden,  der einenAusschusszurKlärungderoffenenFrageneinsetzte. 742Ergebniswar eineElternversammlungam10.Oktober1957,diediePressedaraufauf merksammachte,dassderSchulebereitsseitachtJahreneinNeubauver sprochenseiunddiezuständigenBehördendasNeubauprojektstetsver zögerten.743EinSchulstreikkonntenurdurcheinenTrickderSchulleitung abgewendetwerden,diedenSchulkindernfürdiesenTagfreigab. ImJanuar1958hieltdasLandesplanungsamtdasHammerGeländefür einenSchulbaunochimmerfürungeeignet.744 WiederwurdenneueFlä chenvorgeschlagen,diewiedersämtlichanderweitigverplantwaren.Nach 738

Ebd.,VermerkSchwarzmayrvom24.7.1957.

739

Ebd.,DresselanBaudirektorHermannPeschges,Tiefbauamt2.8.1957.

740

 Ebd.,  Besprechung  am  6.8.1957;  Bezirksliegenschaftsamt  Wandsbek  an  Schulbehörde 14.8.1957;DresselanBezirksliegenschaftamt5.9.1957. 741

StAHbg,3612VIOSBVI,Abl.1981/2,699,MaeßeanDressel29.5.1957.

742

StAHbg,3612VIOSBVI,202Band65,BriefvonFeuchteanalleEltern17.8.1957.

743

 HamburgerAbendblattNr.246vom22.10.1957;HamburgerMorgenpostvom18.10.1957 und23.10.1957. 744

StAHbg,3612VIOSBVI,202Band65,DresselanBezirksliegenschaftsamt9.1.1958,Notiz betreffendLandesplanungsamt.

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einemBriefdesElternrates,deraufsiebenSeitendieGeschichtederSchul neubauplanungenzusammenfasste,sagteSenatorHeinrichLandahl(1895– 1971)alleUnterstützungzu.745Nungingesvoran.DasLandesplanungsamt teiltedemLiegenschaftsamtzwarnochseineerheblichenBedenkenmit,bat aber  trotzdem  darum,  das  Grundstück  zur  Verfügung  zu  stellen.  Ober schulrat Dressel schrieb  an  das  Bezirksliegenschaftsamt  und  bat um die Kündigung  der  Kleingärtner,  und  Architekt  Höppl bat  das  Landespla nungsamt  um  einen  verbindlichen  Lageplan,  in  dem  festgelegt  wurde, dassdernördlicheTeildesGrundstücksinWandsbek,dasursprünglich fürdasInternatvorgesehenwar,nunzurAnlegungder Stadtautobahn dienensollte.746 Im  Juli  1958  wurde  den  Kleingärtnern  gekündigt,  die  Räumung  und ÜberweisungdesGrundstückskonntevorgenommenwerden.DerBausollte nunimFrühjahr1960begonnenwerden.DieGrundsteinlegungverzögerte sich,alsnochweitereSchwierigkeiten,unteranderemmitdenKleingärtnern, die  ihre  Gärten  nicht  hergeben  wollten,  auftauchten.  Im  September  1960 wurde  dann  doch  noch  ein  Schulstreik  von  den  Eltern  beschlossen  und durchgeführt,denninderSchuleBurgstraßewarnichtnurkeinPlatz,auch diebaulichenZuständewarenunerträglich,sowarzumBeispieldasDach undicht.747 DieSchuldamNeubaudebakelwurdeinZeitungsartikelnnicht nur  den  Behörden,  sondern  auch  dem Architekten  gegeben,  der  Termine nichteinhaltenunddasProjektimmerwiederverzögernwürde.748 Am23.September1961wurdeschließlichnachjahrelangenBemühungen umeinenNeubaudurchSenatorHeinrichLandahl derGrundsteinfürdas neueSchulgebäudeanderHammerStraßegelegt, 749am3.Oktober1962fand dasRichtfeststatt.InzwischenwardieSchulsituationinderSchuleBurgstraße nochbeengtergeworden,denndasGebäudebeherbergtenundreiSchulen unddazudenGehörlosenkindergartensowiedieGehörlosenberufsschule. DerGehörlosenschulemitfünfzehnKlassenstandennursiebenKlassenzim

745

Ebd.,FeuchteanLandahl14.4.1958;LandahlanFeuchte19.4.1958.

746

 Ebd., Landesplanungsamt anLiegenschaft 15.4.1958; Dressel an Bezirksliegenschaftsamt 22.4.1958;ArchitektWilliHöpplanLandesplanungsamt3.6.1958.

747

HamburgerAbendblattvom29.6.1960.

748

HamburgerMorgenpostvom14.9.1960;HamburgerEchovom14.9.1960.

749

StAHbg,3612VIOSBVI,202Band65,DresselanOberschulratHansDuus15.9.1961.

230

Die staatliche Taubstummenschule

merzurVerfügung.750 FürdasEndedesJahres1963wurdefestzugesagt, dassdieerstenKlassenindieneueSchuleeinziehenkönnten.751

Abbildung 43: Eine Schulklasse vor dem Schulhof an der Burgstraße im Juni 1964

4. 5 D ie S amu e l- He inic k e-Sch ule ( 1 96 4–2 00 0 ) 4. 5. 1 Sc hu l e i m Neu ba u Am1.April1964warderNeubaubezugsfertig.DerersteBauabschnittwar mitzwölfKlassenräumenfertiggestelltworden.EndlichwardieMöglich keitgegeben,dieGehörlosenschuledenErfordernissenentsprechendaus zubauen.  Es  wurden  Fachräume  für  Werken,  Physik/Chemie  sowie  ein Hörerziehungsraumeingerichtet,undinjedemKlassenraumwurdeeine Höranlage  aufgestellt,  wodurch  eine  individuelle  Hörerziehung  in  allen Klassenmöglichwurde.DurchdiejetztzurVerfügungstehendenRäume konnteauchdieAnzahlderVolkshochschulkursefürGehörloseerweitert werden.ZunächstzogenzwölfKlassenindasneueSchulgebäudeum,vier verbliebenimVolksschulgebäudeanderBurgstraße.Am30.Juni1964wur 750

Ebd.,MaeßeanSchulbehörde29.11.1962.

751

Ebd.,DresselanGehörlosenschule12.9.1963.

Die Samuel-Heinicke-Schule (1964–2000)

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dedieneueSchule,dienachdemVorschlagvonElternratundLehrerkolle giumdenNamenvonSamuelHeinickeerhielt,752feierlicheingeweiht.Die FestansprachehieltSenatorDr.WilhelmDrexelius. DochdieweiterenBautenließenaufsichwarten:1967verzögertesich derBeginndeszweitenBauabschnitteserheblich,sodassesnötigwurde, aufdemSchulgeländezweiBarackenaufzustellen,indienundieander BurgstraßeverbliebenenvierKlasseninihreneuealteSchulezogen.Am 14.Februar1968konntedasRichtfestdeszweitenBauabschnittsaufdem Schulgeländestattfinden.SeineEinweihungimSeptember1969brachteder Schule  eine Aula  mit  Bühne  und  einen  Filmvorführraum.  1969  wurden auchdie1962eingerichtetenPflegestellenfürauswärtigeSchüler,dieauf GrunddesfehlendenInternatsnichtgemeinsamwohnenkonnten,erwei tert.ZuOstern1969wurdenerstmalsSchulbussedurchdieSchulbehörde eingesetzt,umKindernausganzHamburgdenSchulwegzuerleichtern. EineweitereSchulwegserleichterungwarmitderEinführungder5Tage Wochezum1.April1970erreicht,überdiebereits1960diskutiertunddie seit1968vondenElterngefordertwordenwar.753

Abbildung 44: Artikulationsunterricht mit Lehrer Georg Männich an der Samuel-Heinicke-Schule, 1976 752 753

StAHbg,3612VIOSBVI,Abl.1981/2,699,MaeßeanSchulbehörde3.7.1961.

StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Mappe40„Elternrat“(Abliefe rungsverzeichnis).

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Die staatliche Taubstummenschule

1977wurdenanderSchule25Klassenmitinsgesamt186Schülerinnenund Schülern–nichtmehralsachtKinderineinerKlassengemeinschaft–vonin zwischen40LehrerinnenundLehrernunterrichtet.DieLehrkräftebemühten sich,neueTendenzenwiedenEinsatz„manuellerKommunikationsmittel“ mitundnebenderlautsprachlichenBildungzuberücksichtigen. DieSamuelHeinickeSchuleverfügtenebenderSchulemitRealschul zugauchübereineBeratungsstellefürEltern,einenSchulkindergarten,ein SondertagesheimfürgehörloseKleinkinderundKlassenfürmehrfachbe hindertegehörloseKinder.DanebengabeseinenaktivenSchulverein,zu demdieElterngehörloserSchulkinder,LehrkräfteundehemaligenSchüle rinnenundSchülergehörten.InderSchulvereinsSatzungvom20.Oktober 1977nanntederVereinalsseinenZweckdieFörderungderErziehungder Schuljugend.SeinZielwarunteranderem,dieBelangederSchulezuför dern,indemgemeinschaftlicheUnternehmungenorganisiertoderBeschaf fungenfürdenUnterrichtfinanziertwurden754.DasZielderSchule,diebe rufliche  und  soziale  Rehabilitation  Gehörloser  zu  erreichen,  wollte  die SchuleimMiteinandervonKindern,ElternundLehrernerreichen.Dader RealschulzugdamalsimnorddeutschenGebieteinzigartigwar,besuchten Kinder  aus  SchleswigHolstein,  Niedersachsen,  Bremen  und  Berlin  die WandsbekerSchule.17ProzentderSchülerkamen1977nichtausHam burg,siewarenzumeistinHamburgerPflegefamilienuntergebracht.In dieserZeitgabesbedingtdurch eineRötelnepidemiebeiSchwangeren besondersvieletaubgeboreneKinder.SoentstandtrotzdergroßenRäum lichkeitenwiedereineRaumundLehrerknappheitanderSchule.Weiter hinklagtedieSchuleüberVermittlungsproblemederausgebildetenSchü ler,denndieGehörlosenschuletrafdieLehrstellenknappheitdieserZeit besondersstark.755 Gebautwurdestets:Seit1.August1972hattedieSchuleeineigenesGe bäudefürihrenSchulkindergarteninFormzweierSchulpavillonsaufdem erweiterten  Schulgelände.  1974  war  die  Genehmigung  zum  Bau  einer Schulkücheerteiltworden.DasiebishernurimKelleruntergebrachtwar, wurdegeplant,diesegemeinsameEinrichtungvonGehörlosenundSprach

754

 StA Hbg,  36210/3  SamuelHeinicke  Schule  für  Gehörlose,  Mappe  24  (Ablieferungsver zeichnis),SatzungdesSchulvereinsvom20.10.1977.

755

HamburgerAbendblattvom17.5.,26.5.und20.6.1977.

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heilschule  ab  1976  auszubauen.756 Nun  also  schien  wieder  ein  Erweite rungsbaunotwendiggewordenzusein.AnfangderachtzigerJahrewur dendiePlanungenaufgenommen,dochsolltenwiederJahrevergehen,bis derNeubaustand.ManhattezuBeginnnochmiteineranderenSchüler strukturgerechnet,miteinergrößerenSchülerzahlundimVergleichdazu wenigerKlassenfürMehrfachbehinderte.WährendnochzehnJahrezuvor über250SchülerundSchülerinnendieSchulebesuchten,waren1994nur noch99KinderindenverschiedenenSchulklassenanderGehörlosenschu le,757darunterkaumnochauswärtigeKinder,denndiegroßenGehörlosen schulenindernorddeutschenUmgebung–SchleswigundBremen–hatten ihre  eigenen  Realschulklassen  eingerichtet,  so  dass  die  begabten  Kinder nichtmehraufdieHamburgerSchuleangewiesenwaren.Inzwischengab esalsowenigerKinder,undauchdieam1.April1965ursprünglichinden RäumenderGehörlosenschuleeingerichteteHörundHörgeräteberatung, die  „Pädoaudiologische  Beratungsstelle“,758 war  als  gemeinsame  Bera tungsstelle  von  Schwerhörigenschule  und  Gehörlosenschule  an  der SchwerhörigenschuleimSchultzweguntergebrachtworden.Diesgeschah, als unterAnregung des inHamburg errichteten Zentrums für Deutsche Gebärdensprache  begonnen  wurde,  an  der  SamuelHeinickeSchule  die Deutsche  Gebärdensprache  einzuführen.  Daraufhin  hatten  beratende HNOÄrzteselbstElterngehörloserundvölligertaubterKindergeraten, diesezurSchwerhörigenschulezuschicken,damitdieKindernichtmitder GebärdenspracheinBerührungkämen.Befürchtetwurde,dassdasErler 756

 StA Hbg,  36210/3  SamuelHeinickeSchule  für  Gehörlose,  Mappe  13  (Ablieferungsver zeichnis),InformationenderSchulleitung,Nr.1,März1975.1977allerdingswardieseKüche immernochnichtgebautundsowurdeweiterinder1972ineinemehemaligenUmkleide raum  eingerichteten  provisorischen  Küche  unterrichtet  (StA  Hbg,  3612  VI  OSB  VI,  Abl. 1995/1,1126). 757

 ImSchuljahr2006/2007warenes71gehörloseSchülerinnenundSchülerinsiebenRegel klassen,zweiKleinklassenundvierKlassenmitErziehern(BehördefürBildungundSport, HamburgerSchulstatistikimÜberblick,S.12)

758

ZwischenzeitlichgabesanbeidenSchulenBeratungsstellenfürdieFrüherziehung.Erstin den1990erJahrengingdieBeratungvölligandieSchwerhörigenschuleüber.DieerstePä doaudiologischeBeratungsstellewar1959inHeidelbergeingerichtetworden.Hierwurde,vor EinführungdesBerufsbildeseinesHörgeräteakustikers,sowohldiepädagogischeKinderau diometriealsauchdieHörgeräteversorgungfürKinderdurchgeführt.Seit2002werdenalle hörgeschädigtenHamburger Kinder indenBeratungsstellenerfasst (Michaela Neuberger / UteJung,ZusammenfassungderBasisliteraturzumThema:„PädagogischeAudiologie–Hö renlernen“,Seminararbeit,maschinenschriftlich,Heidelberg2003).

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nendieserSprachezueinerKommunikationsbarrierezwischengehörlosen Kindern  und  hörenden  Eltern  führen  würde.759 Die  Beratungsstelle  der SchwerhörigenschulewarauchvonElterngehörloserKinderzunehmend frequentiertworden,sodassvonSeitenderSchulenüberlegtwordenwar, die  Frühförderung  von  Schwerhörigenschule  und  Gehörlosenschule  zu sammenzulegen.DiegemeinsamepädoaudiologischeBeratungsstellewur deausPlatzgründeninderSchwerhörigenschuleeingerichtet.Zwischenzeit lichwarsieinderSamuelHeinickeSchulezufinden,bevorsiewiederder Schwerhörigenschuleangegliedertwurde. DorthinwendensichElternmit kleinen  Kindern,  die  einen  diagnostizierten  Hörschäden  haben  –  circa 60bis70KinderimJahr.EinfrühesErkennenderGrößedesHörschadens seifürdiegezieltefrühzeitigeFörderungunddamitfürdieEntwicklung desKindessehrwichtig.SchoneingehörgeschädigterSäuglingkönnemit entsprechendenHörgerätenfrühlautsprachlichgefördertwerden.Jefrüher einhörgerichteterAnsatzangewandtwerdenkönne,umsogrößerseidie Wahrscheinlichkeit,dassdasKindnochHörresteentwickelnkönne.760 In dersehrfrühenKindheitsinddieNeuronen,diedieHörnervenverbinden, nocherweiterungsfähig,sodassderKörpereineseigentlichtaubenKlein kindes–soerklärtendieÄrzteundPädagogen–durchausfähigsei,fehlende Hörverbindungenherzustellen.DerSchulleiterderSamuelHeinickeSchule, GeorgMännich(geb.1931),warausgehendvonVersuchenmitspeziellfür Säuglingeangefertigten Hörgerätendavonüberzeugt,dassHörnervenso weitwiederhergestelltwerdenkönnten,dasseigentlichtaubeKindersogar ineineRegelschuleeingeschultwerdenkönnten.761 1994war der Schulneubauinallen Bauabschnitten fertiggestellt.Die SchulehatteeinenneuenarchitektonischmodernenFachraumtrakterhal 759

Eltern,sodiebittereErkenntnisdergehörlosenSozialpädagoginAngelaStaab,wolltenihre taubenKinderzuhörendenKindernmachen(GesprächmitAngelaStaabam20.3.1995).

760

Inden1930erJahrensorgteeineMethodedesUngarnGustavBarczi(1890–1964),dertaube KleinkinderangeblichzumHörenbrachte,fürAufsehen.Ermeinte,dassTaubheitdurchStö rungderHirnrindezuständekäme,dienurimHörenungeübtsei.AlfredSchär berichtete darüberinderHamburgerLehrerzeitungNr.35(1937),S.363–367.Währenddernationalso zialistischenVerfolgungwarBarcziaufanderemGebieterfolgreich:ErrettetejüdischeKinder durchAufnahme und  Verstecken in seinerBudapester Taubstummenanstalt (ArminLöwe, DerBeitragjüdischerFachleuteundLaienzurErziehungundBildunghörgeschädigterKin derinEuropaundNordamerika.EinhistorischerÜberblickvom18.bisins20.Jahrhundert, Frankentalo.D.[1995]). 761

GesprächmitSchulleiterGeorgMännicham10.10.1994.

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ten.HiergabesnungroßzügigeFachräumefürPhysikundInformatik– fürletzteremitComputernmitbedienungsfreundlichergraphischerBild schirmgestaltung, im Gegensatzzusämtlichen anderenSchulen,die mit denüblichenDOSRechnernarbeiteten–,undesgabneueRäume,diefür dieDurchführungvonHörtestsundHörgeräteanpassunggenutztwerden sollten.DergroßzügigundmoderngestalteteSchulkomplexanderHam merStraßehattesich–wieineinerInformationsbroschürederSchulevon 1987gewünscht–zueinemZentrumfürschulischeBildungdergehörlosen KinderundJugendlichenimGroßraumHamburgentwickelt.Nichtnurdie SchulemitGrundstufe,Beobachtungsstufe,Klassenfürmehrfachbehinderte Kinder,HauptschulundRealschulzugwarenindenBautenuntergebracht, auchBerufsschulklassen,vorübergehenddieRäumefürdiepädoaudiologi sche  Beratungsstelle  und  das  Sonderkindertagesheim  des Amtes  für  Ju gend.762 DiegrößteVeränderunginderOrganisationderSamuelHeinickeSchu lewurdemitdemSchuljahr2000/2001vollzogen.Zum1.August2000wur denmitVerordnungvom5.Juli2000dieSchulefürSchwerhörigeunddie SchulefürGehörlosezur„SchulefürHörgeschädigte“organisatorischzu sammengeführt.DieSamuelHeinickeSchulewurdezurAbteilungIIder SchulefürSchwerhörigeundGehörlose,indersowohllautalsauchgebär densprachlicherUnterrichterteiltwird.763DieZusammenlegungderbeiden SchulenwurdeinsbesonderevonSeitenderSchwerhörigenschuleungern gesehen. ElternvonschwerhörigenKindernbefürchteten,dassderzuer wartende  erhöhte  Einsatz  von  Gebärden  in  gemeinsamen  Unterrichts stundenmitgehörlosenKinderndieEntwicklungderSpracheihrerKinder gefährdenkönne.EineinderFolgegeführteKlagegegendieZusammenle gungführtezueinerRückweisungdurchdasOberverwaltungsgericht.Das Gerichtführteaus,dassdiejeweiligenFörderschwerpunktebeiderSchular tenzurGenügebeachtetwordenseien,dassesAbteilungenfürlautsprach lichenUnterricht(Schwerhörige),gebärdenbegleitetenlautsprachlichenso 762 763

SamuelHeinickeSchule,Informationsbroschürevon1987,Rückseite.

DrucksacheNr.17/794derHamburgerBürgerschaftvom7.5.2002.Die„SchulefürHörge schädigte–SchulefürSchwerhörigeundSchulefürGehörlose“gliedertsichindreiAbteilungen: derAbteilungfürlautsprachlichenUnterricht(Schwerhörige),derAbteilungfürgebärdenbe gleitetenlautsprachlichen,sowiebilingualenUnterricht(GehörlosesowieHörgeschädigtemit weiteren  Behinderungen)  und  der Abteilung  für  Frühförderung,  pädagogische Audiologie undambulanteFörderung.

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wie  bilingualen  Unterricht  (Gehörlose)  weiterhin  getrennt  voneinander gäbe.DieswürdeeinedifferenzierteFörderungweiterhingewährleisten.764 4. 5. 2 Vergang enheitsb ewä lti gung? Am1.Oktober1966verließDirektorDr.HermannMaeßedieSchule,dieer seit1957geleitethatte.IndieserZeithatteerdenNeubauderSchuleinitiiert und  sich  für  die  Einrichtung  eines  Realschulzuges  stark  gemacht.  Maeße gingalsStudienleiterandasPädagogischeInstitutderUniversitätHam burg.WährendseinerSchulleitungwarHermannMaeßeunumstritten,ob wohlseinenationalsozialistischeVergangenheitdurchausbekanntwar.765 MaeßesRolleinderZeitdesNationalsozialismus,alsBefürworterdesGe setzeszurVerhütungerbkrankenNachwuchses,alsReichsfachgruppenlei terderFachschaftV(Sonderschulen)desNSLBfüreinJahrbisEnde1935 (Leitspruch:  „Nichts  für  uns,  alles  für  Deutschland!  Adolf  Hitler  die Treue!“)undaktiverVerfechterderIdealederNationalsozialistenwurde erstinden1980erJahrenaufarbeitendbehandelt.766 HermannMaeße wurdeam9.Februar1905inPareyanderElbebei Genthin  in  der  Mittelmark  als  Sohn  des  Schiffseigners  Hermann  Maeße undseinerFrauKlarageboren.767ErbesuchtedieVolksschuleinParey,Lü beckundHamburg.Seit1919wurdeerinGenthinalsLehrerausgebildet. ImMärz1925bestanderdieVolksschullehrerprüfung.SeitOktober1925 unterrichteteerfürzweiJahreeingehörgeschädigtesKindinLetschin(Oder 764

PressestellederVerwaltungsgerichteamHamburgischenOberverwaltungsgericht,Presse mitteilungvom25.4.2002,Entscheidung1Bf389/01und390/01.

765

GesprächmitdemErfurterGehörlosenlehrerHorstThorwartham4.Juli2000.Dieserwar ab1949vorwiegendanderSprachheilschuleKarolinenstraße/Zitzewitzstraße,aberauchein halbesJahrlanganderGehörlosenschuletätig. 766

 Biesold,KlagendeHände,S.16,100,104,124–127;WolfgangSchinmeyer,DieTaubstum menlehrerinNSLBunddieFolgennachdemKrieg–KarriereeinesPädagogen,Posterbeitrag währendder2.InternationalenTagungzurGeschichtederGehörlosenimOktober1994in Hamburg;PeterPape/StefanRomey,Einer,dergleichsamäußerlichmitmachte,umzuretten, waszurettenwar?(AnmerkungenzuHermannMaeße),in:Lehberger,Reiner/deLorent, HansPeter,DieFahnehoch,SchulpolitikundSchulalltaginHamburguntermHakenkreuz, Hamburg1986,S.250–255,insbesondereS.252. 767 AngabenzumLebenslaufMaeßesstammenausseinerPersonalakte,diesichunterderSi gnatur3222anderUniversitätHamburgbefindet,undaus:AlexanderHesse,DieProfessoren undDozentenderpreußischenPädagogischenAkademien(1926–1933)undHochschulenfür Lehrerbildung(1933–1941),Weinheim1995,S.488–489.

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bruch)aufWunschvondessenEltern,1926kameinzweitesgehörlosesKind dazu.AbApril1927lehrteeralsSchulamtsbewerberanderVolksschule PareyundanderHeilerziehungsundSchulabteilungderLandesheilan staltUchtspringebeiStendal(Altmark)„schwachsinnige,psychopathische undepileptische“Kinder,wobeiseinbesonderesInteressederErteilungdes Sprachheilunterrichtsgalt.768NachdemerdiezweiteLehrerprüfungimJuni 1928bestandenhatte,begannMaeße imApril1929inBerlineinsechsse mestrigesStudiumderPsychologie,Philosophie,PsychiatrieundPädagogik. ImJuni1930bestanderdieRealgymnasiumsReifeprüfungamProvinzial schulkollegium  BerlinBrandenburg  und  nahm  am Ausbildungslehrgang fürTaubstummenlehrerteil.DiePrüfungfürTaubstummenlehrerlegteer an  der  TaubstummenlehrerBildungsanstalt  in  BerlinNeukölln  im  März 1931ab.ImAnschlusslehrteMaeßevonOstern1931bisJuni1935ander StaatlichenTaubstummenanstaltinBerlinNeukölln.Unterbrochenwurde seineLehrtätigkeitdurchzweiStudiensemesteranderLudwigsUniversi tätGießen.Hierwurdeeram19.März1935zumDr.phil.promoviertmit einerArbeitüber„DasVerhältnisvonLautundGebärdenspracheinder EntwicklungdestaubstummenKindes“.Maeße heiratete1933inStendal GertrudBuchholz,mitdererzweiKinderbekam. Am1.Mai1933tratMaeßeindieNSDAPunddieSAein.ErwarabDe zember  1933  zuerst  kommissarischer  Fachgruppenleiter  für  Lehrer  an SprachundGehörgeschädigtenschulenundseitHerbst1934Reichsrefe rentfürTaubstummenweseninderReichsfachschaftV(Sonderschulen)im NSLB,769bevorerzum1.Juli1935alsDozentfürGrundschulmethodikan dieHochschulefürLehrerbildunginLauenburg(Pommern)berufenwur de.770DieseStellebehielterbis1945.NebenbeiunterhieltereineBeratungs undÜbungsstellefürSprachundHörgeschädigte.Maeße setztesichöf fentlichfürdieSterilisation„erbkrankerGehörloser“ein.Von1941bis1945 warerStudienratanderLehrerbildungsanstaltLauenburg.Seit1.August 1939dienteMaeßealsUnteroffizier,zuletztalsOberleutnantderReservein derArtillerie.Seit1.September1940warMaeße alsKriegsverwaltungsrat 768

UniversitätHamburg,PersonalakteDr.Maeße,AbschriftdesZeugnissesdesDirektorsder Landesheilanstaltvom12.4.1929.

769 770

Maeßewarseit1932MitgliedimNSLB.

DamitwechselteerimNSLBvomReichsfachgruppenleiterzumReichsfachschaftsreferen ten  (vgl.  Die  Deutsche  Sonderschule.  Zeitschrift  der  Reichsfachschaft  V  Sonderschulen  im NSLB1936,Nr.1,S.4und5).

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fürEignungsuntersuchungensowiebiszurAuflösungderLuftwaffenund HeerespsychologiealsErgänzungsPersonalgutachterzumWehrkreiskom mandoHamburgversetzt.VonApril1945bisJuni1947warMaeßeinfran zösischerKriegsgefangenschaft.SeinerstesAmtnachEndedesnationalso zialistischenRegimesübteHermannMaeßeabMai1948alsKonrektorund abNovember1950RektoranderKanntorHelmkeSchuleinRotenburgan derWümmeaus,bevoreram1.April1954alsLehreranderGehörlosen schule  Hamburg  eingestellt  wurde.  Dort  wurde  er  mit  Wirkung  vom 1.April1957zumDirektorgewählt.Vom1.Oktober1966biszuseinem EintrittindenRuhestandwarMaeßeStudienleiteramPädagogischenInsti tutderUniversitätHamburg.

Abbildung 45: Hermann Maeße mit der Einschulungsklasse, April 1954

ObwohlMaeßesAussagen zurStellung Gehörloser in dernationalsozia listischen  Ideologie  und  seine  Rolle  als  Amtsträger  im  „Dritten  Reich“ durchaus auch in Hamburgbekannt waren, erhieltMaeße hier die Mög lichkeit,seineStellunginderGehörlosenpädagogikauszubauen,zuerstals

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LeiterderHamburgerGehörlosenschule,dannalsStudienleiteramPädago gischen  Institut.  Die  Lehrkräfte  wussten  von  der  Vergangenheit  Maeßes, ohnediesezuthematisierenodergarsichmitihrauseinanderzusetzen. 4 .5 . 3 S c h ül e ra kt iv it ät e n 1979initiiertederLehrerunddamaligeGEWVorsitzendederAbteilung Sonderschulen,PeterPape (geb.1945),eineSchülerzeitung.771 Esentstand der„HammerReport“,dervondenSchülerinnenundSchülernderSamu elHeinickeSchuleherausgegebenwurde.DieBerichteinderSchülerzei tungwurdenimmermutiger,undschonabderdrittenAusgabezeigtesich das  wachsende  Selbstbewusstsein  der  Redakteurinnen  und  Redakteure, dennsieäußertensichzunehmendauchkritischgegenüberUnterrichtund MethodikundforderteneinegrößereAkzeptanzderGebärdensprache.Sie verlangtenmehrWissen,dennesgingzuvielZeitmitdemErlernendes Sprechens  der  Lautsprache  verloren,  die  dann  im  fachlichen  Unterricht fehlte.772KritischäußertensichdieSchülerinnenundSchülerüberdasGe bärdensprachverbotwährendderAbschlussfeierimDezember1981.773Spä tereAusgabenwurdenmitBeispielenfürGebärdenausderDeutschenGe bärdensprache  (DGS)  illustriert.774 Die  Gebärden  wurden  an  der  Schule zwar nichtimmer gerne gesehen,  schließlich aber auch  nichtvöllig  ver bannt.Sogabes1985amNachmittagallgemeineGebärdenkurseinlaut sprachbegleitenden  Gebärden  (LBG)  und  DGS.  In  diesem  Jahr  fand  in HamburgderersteKongressfürGebärdensprachestatt,aufdemdaserste Malklardargestelltwurde,dassdieDeutscheGebärdenspracheeinunab hängigesvollentwickelteslinguistischesSystemsei,genausowiediedeut scheLautsprache.775GehörlosefordertenzunehmendselbstbewusstdieAn 771

PeterPapeistheute(2007)alsOberschulratinderBehördefürBildungundSportunteran deremzuständigfürdieSchulaufsichtundBeratungderspeziellenSonderschulen.

772

HammerReportNr.4,Februar1981,S.3f.

773

HammerReportNr.6,Dezember1981,S.15.

774

AbAusgabeNr.11,Oktober1983.

775

 GertrudMally,DerlangeWegzumSelbstbewußtseinGehörloserinDeutschland,in:Fi scher,Renate/Lane,Harlan(Hg.),Blickzurück.EinReaderzurGeschichtevonGehörlosen gemeinschaftenundihrenGebärdensprachen(InternationaleArbeitenzurGebärdensprache undKommunikationGehörloserBand24),Hamburg1993,S.211–237.Aufder25.Bundesver sammlungderTaubstummenlehrerschaftimMai1976wardieGebärdeanerkanntworden.Im

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erkennungderGebärdenspracheundderenNutzungimUnterricht.Die Lautsprachvertreter  wehrten  sich  und  organisierten  einen  Monat  später einen„KongresszumErhaltderLautsprachMethodeundderenWeiter entwicklungbeiGehörlosen“,aufdemsiesichdagegenaussprachen,Kin derzurGebärdensprachbenutzungzuermutigen.DerSüdenDeutschlands schiensichindieserEntwicklungeineszunehmendenSelbstbewusstseins der  Gehörlosengemeinschaft  zurückzuhalten,  während  im  Norden  ver mehrtkontroversdiskutiertwurde.InHamburgbegann1987aufInitiative vonProf.Dr.SiegmundPrillwitz(geb.1942)vonderUniversitätHamburg dieErforschungderGebärdenspracheunddieerstepraktischeUmsetzung dergewonnenenErkenntnisse.WährendBayernsMinisterfürArbeitund Sozialesnoch1987einenBerichtherausbrachte,indemer„Taubstummeals emotionalverarmt“bezeichnete,776 da„SpracheundEmotioneinsseien“, gründetesich am11.MaidesselbenJahresin Hamburg das Zentrum für Deutsche  Gebärdensprache  und  Kommunikation  Gehörloser,  das  mit  hö rendenundgehörlosenMitarbeiterinnenundMitarbeiternbesetztwurde.777 DasZentrumbegann,dievisuelleSprachederGehörlosenzuerforschen,Bü cherundZeitschriftenzumThemafürTheoretikerundPraktikerzuveröf fentlichen,ebensoBücherundVideosinGebärdensprachefürgehörloseKin dersowieGehörlosezuLinguistenauszubilden.Gehörlosekonntenjetztmit HilfevonGebärdensprachdolmetschernanderHamburgerUniversitätstu dieren:DieerstenviergehörlosenStudentenbegannenimHerbst1987an derUniversitätHamburgihrStudiumderPsychologieundPädagogik.778 DieBemühungenumdieGebärdensprachebliebenanderSchulenicht unbeachtet,auchwenndieLehrerschaftsichzunächstdagegensträubte, ihrvielRaumzugewähren.AuchandereSprachenfandenmitgrößerwer September1982wardasersteTreffenvon–fastnurhörenden–Lehrkräften,dieinGebärden sprachelehrten,vorausgegangen. 776

Mally,in:Fischer/Lane,Blickzurück,S.229.

777

SiegmundPrillwitz,ZurGründungdesüberregionalenZentrumsfürDeutscheGebärden sprache  und  Kommunikation  Gehörloser  der  Universität  Hamburg,  in:  Das  Zeichen.  Zeit schriftzumThemaGebärdenspracheundKommunikationGehörloser1(1987),S.9–12.

778 SiegmundPrillwitz,ZurEinrichtungvonStudienschwerpunktenfürHörgeschädigteanbun desdeutschenHochschulen,in:DasZeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheundKom munikationGehörloser3(1988),S.60–61.ErfahrungsberichtederStudierenden:ChristophHeesch (u.a.),ZurStudiensituationgehörloserStudentInnenanderUniversitätHamburg,in:DasZeichen. ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheundKommunikationGehörloser4(1988),S.33–42.Vgl. auchdasKapitel9:„DasInstitutfürDeutscheGebärdenspracheundKommunikationGehörloser“.

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denderAusländerzahlanderSchuleihrenEinzug.Sogabes1987fürdie türkischenSchülerFörderunterrichtinihrerHeimatsprache.IndiesemJahr wurde  auch  der  Schüleraustausch  zwischen  den  Gehörlosenschulen  in WarschauundinHamburgzueinerständigenEinrichtung.DasersteMal warenSchülerinnenundSchülerausHamburgimSeptemberundOktober 1984zuBesuchinPolengewesen,derGegenbesuchWarschauerKinderer folgteimMai/Juni1985.779 ImFrühjahr1993hattederElternkreishörgeschädigterKindereinKon zeptfürein„HamburgerZentrumfürHörgeschädigte(Zentrumfürhörge richtete  Früherkennung)“ vorgelegt,  welches  in  der  Öffentlichkeit einige Beachtungerhielt.DaraufhinersuchteeineKommissionvonAbgeordneten der  Bürgerschaft den Senat  um Stellungnahme, welche Angebote  in  der hörgerichtetenFrühförderunginHamburggemachtwerdenwürden,wie dieseAngeboteangenommenwürdenoderobeinebessereVernetzungder bisherigenAngebotenützlichseinkönnte.ManbatdenSenatumPrüfung, inwieweiteinZentrumfürhörgerichteteFrüherkennungeffektiverarbeiten könnteundobeinesolcheEinrichtungnötig,nützlichundmachbarsein würde.780 DieserElternkreislehnteinderFolgejeglicheGebärdenanwen dunganderSchuleabundsetztesichfüreinengrößerenEinsatzvonhör gerichtetenFördermöglichkeitenfürihreKinderein. 4. 5. 4 Unt er richt : Lauts p ra che, Geb ärden und Gebä rd enspra che 4 . 5 . 4 . 1 K u r ze r g e s c h i c ht l i c h e r Ü b e r b l i c k ü b e r d i e p ä d a g o g i s c h e Methodik an deutschen Gehörlosenschulen

Im  Mittelalter  wurden  Gehörlose  als  „sprachlose“  Menschen  angesehen undnichtbesondersbeachtet.781DerUnterrichtvonKindernwarSacheder 779  StA Hbg,  36210/3  SamuelHeinickeSchule  für  Gehörlose,  Mappe  12  (Ablieferungsver zeichnis),SchulleiterGünterCors(geb.1924)anLandesschulratWolfgangNeckel29.1.1987. 780 781

DrucksacheNr.15/2740derHamburgerBürgerschaft.

GrundlegendfürdasfolgendeKapitel:OttoKröhnert,DiesprachlicheBildungdesGehör losen(PädagogischeStudienBand13)Weinheim1966;HarlanLane,DieMaskederBarmher zigkeit(InternationaleArbeitenzurGebärdenspracheundKommunikationGehörloserBand 26),Hamburg1994;ders.,MitderSeelehören.DieLebensgeschichtedestaubstummenLau rentClercundseinKampfumAnerkennungderGebärdensprache,München1988;Annette Leonhardt,EinführungindieHörgeschädigtenpädagogik,Stuttgart2002.

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KircheundauchbehinderteKinderkamenoftinKlöster,wosiemehrver wahrtalsunterrichtetwurden.ErstRenaissanceundAufklärungszeitent decktendieIndividualitätdeseinzelnenMenschen;derUnterrichtanden Schulenwurdeverweltlicht.DeritalienischeMathematiker,Philosophund ArztHieronymusCardanus (1501–1576)erkanntediegrundsätzlicheBil dungsfähigkeit  Gehörloser  und  legte  erstmals  dar,  dass  Gehörlose  auch ohneLautsprachelesenunddenkenlernenkönnen.Einenerstenschriftli chen NachweisdesUnterrichtsGehörloserinLautsprachefindetsichin Spanien:DerspanischeMönchPedroPoncedeLeon(1520–1584)unterrich tetedreigehörloseSöhneeinesspanischenAdeligeninderLautsprache, damitdiesealsmündigeBürgeranerkanntwurdenunddamitdasErbeih resVatersantretenkonnten.FrühereBildungsversuchehattensichaufein facheGebärdenoderdieSchrifteinfacherLautsprachebeschränkt.Ponce deLeonundauchManuelRamirezdeCarrion(1578–1652)verbanden,so wirdauseinerspäterenschriftlichenAbfassungdeutlich,inihremUnter richtalleAnsätze:SielehrtendasHandalphabet,782dieSchrift,dieGebärde unddasSprechen.DerenglischeArztundSchriftstellerJohnBulwer(1614– 1684)entwickelteim17.JahrhundertdienachPoncesHeimatlandbenannte „spanischeMethode“weiter,indemerfeststellte,dassGehörlosenichtnur dasSprechen,sondernauchdasAblesendesgesprochenenWortesvonden Lippenerlernenkönnen.JohnBulwerwardererste,dersichfürdieGrün dungeinerSchulefürGehörloseaussprach.783 ErstellteebensoTheorien zum  gebärdensprachlichen  Unterricht  auf.784 Dies  verwirklichte  dann  im größerenMaßeAbbéCharlesMicheldel´Epée,derseinInstitut1771inPa riseröffnete.785 ErwareinAnhängerDescartes,derfüreinenDualismus vonSpracheundZeicheneintrat,undRousseaus,derdieErziehungnatur 782

DasspanischeFingeralphabet,dasdieGrundlagefürvieleweitereHandalphabetewurde, hatseineWurzelnimIrandes16.Jahrhunderts,eswurdevondenMaurenausdemMittleren OsteninsnördlicheAfrikamitgenommenundvondortnachSpanien„exportiert“(Vortrag vonRouzbehGharemanaufdemDeafHistoryInternationalKongressinParisam2.7.2003,Berichte dazu:http://gibzeit.de/aktuell/wie_wissen.htm,abgerufenam15.9.2007undhttp://kugg.de/down load/DHI_Kongress_Bericht.pdf,abgerufenam15.9.2007). 783

ZuPonceundBulwersieheauchHansWerner,GeschichtedesTaubstummenproblemsbis ins17.Jahrhundert,Jena1932.

784  GüntherList,TaubstummeundGebärdensprache.RegistergeschichtenimÜbergangzur Moderne,in:List,Gudula/ders.(Hg.),Quersprachigkeit.ZumtranskulturellenRegisterge brauchinLautundGebärdensprachen(Tertiärsprachen.DreiundMehrsprachigkeitBand5), Tübingen2001,S.163–185.

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gemäßgestalten,alsodieAnforderungenaufdieKräfteundFähigkeiten desSchülersabstimmenwollte.Del´EpéenutzteSchriftundGebärden sprache  sowie  ein  kompliziertes  System  künstlicher  Zeichen,  um  seinen SchülernBildungzuvermitteln.786GebärdenundSchriftsprachewarenda beikompatibelunddieeineSprachewurdealsÜbersetzerinderanderen genutzt.Del´EpéesSchülerAbbéRocheAmbroiseCucurronSicard(1742– 1822)erweitertediesenUnterrichtdurchdieSchriftinsofern,alsdassdie Schülerlernten,dieSchriftsprachedirektzubenutzenundGedankenauch schriftlichfestzuhaltenundsomitschriftlichmitHörendenkommunizieren zukönnen.DasErgebniswardiesogenannte„französischeMethode“,sie vereintedenGebärdensprachunterrichtdel´EpéesunddenSchriftsprach unterrichtSicards. Zur gleichenZeitentwickelte sich in den deutschsprachigenLändern eingänzlichandererAnsatz,umGehörloseschulischzubilden,diesoge nannte  „deutsche  Methode“,  wobei  Samuel  Heinicke nicht  der  Erfinder, wohlaberderjenigewar,derdieseMethodegegendieumgebendenLänder durchsetzte.787 HeinickewolltedieSchüler „durchArtikulationen in den SprechorganenzumDenkenbringen“.788VorausgegangenwarendieVersu chedesArztesJohannesConradAmman (1669–1724),derentdeckte,dass Kehlkopfvibrationenabgefühltwerdenkönnen.DurchTasten,Fühlenund AnschauungbrachteerGehörlosenSprechenundAblesenbei.Erkehrte praktischzudenerstenVersuchender„spanischenMethode“zurück,er weitertesieundwurdedamitzumWegbereiterder„deutschenMethode“. MitHilfenwieTasten,FühlenunddemAbsehspiegelwollteauchHeinicke Sprache  anschaulich  machen  und  gehörlosen  Schülern  das  „Denken  in Lautsprache“beibringen.DochwurdedieseMethodeunterdenNachfol gernAmmansundHeinickesmitderZeitmehrzueinem„Lautsprechen“ 785

Kröhnert,SprachlicheBildung,S.29–37.Zudel`Epéevgl.auchKapitel2überSamuelHei nicke.

786

Gessinger,Auge&Ohr,S.283f.undS.291f.

787

SporadischeVersuche,GehörloseinDeutschlandzuunterrichten,erfolgtenim18.Jahrhun dertdurchTheologenwiedenLüneburgerPastorGeorgRaphel (1673–1740),OttoBenjamin Lasius(gest.1779)ausBurgdorfoderJohannLudwigFerdinandArnoldi(1737–1783)ausGie ßen(vgl.PaulSchumann,GeschichtedesTaubstummenwesensvomdeutschenStandpunkte ausdargestellt,herausgegebenvonderReichsfachschaftVSonderschulenimNSLB,Frankfurt amMain1940,S.111–117). 788

Kröhnert,SprachlicheBildung,S.39–54,hier:S.52f.

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statteiner„Lautsprache“,einemAuswendiglernendesSprechens,stattei nemDenkeninSprache.DochzuerstwaresHeinicke, der,wiebeschrie ben,1778dieerstedeutscheTaubstummenanstaltgründete,diesichander durchihnweiterentwickeltenLautsprachmethodeorientierte. BisPestalozzis ElementarmethodesichauchinderGründungvonSe minartaubstummenanstalten  auswirkte,  wurde  die  „deutsche  Methode“ immermehrzurückgedrängt.MitPestalozzi(„durchErziehungeinbesse resLeben“)kamderElementarunterrichtzumTragen,eswurdebuchsta biert.FürdieTaubstummenanstaltenhießdas,dasszunächstdieTechnik desLesens,Schreibens,SprechensundAblesens(Laute,SilbenundBuch staben)gelehrtwurde,bevordanndie„geistigeSeitederSprache“,also WörterinihrerBedeutunggeklärtwurden.ErstimdrittenSchrittwurden GrammatikundAnwendungerläutert.DieseMethodedesElementarunter richtesbliebbisMittedes19.JahrhundertsfürdenVolksschulunterricht wieauchfürdenTaubstummenunterrichtwirksam.Siewandtesichinder AuslegungderhörendenTaubstummenlehrergegendieGebärdeunddas Fingeralphabet. EsfolgteeinePhase,indernebenderoraleneinekombinierteLehrme thodeeingesetztwurde,führendwarendieSchuleninLeipzigundBerlin, anderauchgehörloseLehrerunterrichteten.789 TheoretischwardieLaut sprache  Unterrichtsmethode,  praktisch  wurde  im  Unterricht  der  ersten Hälftedes19.JahrhundertseinNebeneinandervonGebärdensprache,Fin geralphabet,SchriftundLautsprachegenutzt.790 Den  deutschen  Taubstummenunterricht  reformierte  Friedrich  Moritz Hill(1805–1874).Erwarab183044JahrelanganderTaubstummenanstalt inWeißenfelstätig.SeineneueIdeewar,dieSprachedesgehörlosenKin des,ähnlichwiedieSprachentwicklungbeimhörendenKind,„organisch zuentwickeln“.791 SosolltenvonAnfanganWorteundBildergekoppelt werden:ZuerstwurdenWorteausdemLebensraumdergehörlosenSchü lergelernt.AusFragenunddemtäglicherlebtenGeschehensolltesichmit derZeiteinimmergrößererSprachschatzergeben.DieEntwicklungsah alsodenWegvor,AnschauungundSprechenzukoppeln,dannfolgteder 789

JohannesKarth(Hg.),DasTaubstummenbildungswesenimXIX.Jahrhundertindenwich tigstenStaatenEuropas.EinÜberblicküberseineEntwickelung,Breslau1902,S.86. 790

Ebd.,S.87.

791

Kröhnert,SprachlicheBildung,S.75.

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erweiterte Anschauungs  und  Sachunterricht  bis  hin  zu  abstrakten  The men:792Nachdemmateriellen(materialem)Sprachunterrichtsolltederfor melle(formale)Unterrichtfolgen.DabeiwandteHillauchnatürlicheGe bärdenan,warnteaberdavor,diesezurDenkformwerdenzulassen. 793Mit MoritzHillundseinenweitgestreutenTheorieschriftenzum„empirischen Sprachunterricht“hattedieoraleMethodeihrenDurchbruch. Nachdem  die inhaltliche Seite der Sprache betont wurde, entwickelte sicheinedoppelgleisigeLautsprachMethodik,diediematerialeunddie formaleSeitederSpracheindenLernprozessdesSprachaufbauseinbezog. AlsBeispielseiderTaubstummenlehrerJohannesVatter (1842–1916)aus Frankfurt  am  Main  genannt,  der  das  Prinzip  der  unmittelbaren  Laut sprachassoziationförderte.ErließSachundSprachunterrichtzusammen fließen,gleichzeitigsolltendietechnischen,begrifflichenundformalenSei tenderSprachanbahnunggefördertwerden.VatterwarbisinshoheAlter ein  energischer  Vertreter  der  gebärdenfreien  Lautsprachmethode, 794 der die  Gebärde  als  „Krebsschaden“  des  Taubstummenbildungswesens  be zeichnete.795 Die„Verallgemeinerungsbestrebung“nachPestalozzi,diezwischen1820 und1860eineIntegrationGehörloserindieallgemeinbildendenSchulen Hörenderforderte,unddavonausging,dasszuerstdieTechnikendesLe sens,SchreibensundSprechensgelerntwerdensollte,eheandenwirkli chenInhaltvonSpracheeingegangenwerdensollte,zielteaufeinetechnik orientierte„orale“AusbildungGehörloserundhattesicheuropaweit ver breitet  und  durchgesetzt.  Die  immer  weiter  ausgearbeitete  „deutsche Methode“wurdeschließlichinternationalalswichtigstegehörlosenpäd agogischeMethodeanerkannt:AufdenfolgenreichenTaubstummenleh 792

Ebd.,S.77.

793

Ebd.,S.81.

794

Berichtüberdie9.BundesversammlungdeutscherTaubstummenlehrerinWürzburgdurch LouisSatow:HamburgsSchulenfürGehörleidende,in:1.BeilagezurNr.40derPädagogi schenReformvom2.10.1912,in:StAHbg,6221GustavMarr,1;PaulSchumann,Geschichte des  Taubstummenwesens  vom  deutschen  Standpunkte  aus  dargestellt,  herausgegeben  von derReichsfachschaftVSonderschulenimNSLB,FrankfurtamMain1940,S.387–397.(Anmer kung:IndiesemWerkwurdenallesogenannten„Nichtarier“miteinemSternimTextge kennzeichnet,GehörlosemitdemBuchstabenTfürTaubstummeabgekürzt). 795

JohannesVatter,DiedeutscheSpracheundihremethodischpraktischeBehandlunginder Taubstummenschule,FrankfurtamMain1881,S.14,zitiertnach:Breiner,Lautspracheoder Gebärden,S.16.

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rerkongresseninParis1878undvoralleminMailand1880setztesichdas Heinicke’schePrinzip,denGehörlosendurchArtikulationzu„entstum men“unddurchSprechenzumDenkenzubringen,durch.Aufden er wähnten  Kongressen  wurde  durch  Mehrheitsbeschluss  der  anwesenden hörendenTaubstummenlehrkräftefestgesetzt,dassdieserlautsprachliche Ansatzvorder„Zeichensprache“derVorzugzugebensei.796InderFolge tratendie„Oralisten“aufderganzenWeltihrenSiegeszugan,wasvor allemindenVereinigtenStaatenvonAmerika,wodie„französischeMe thode“zuvormehrheitlichfürdenUnterrichtGehörlosergenutztwurde, starkeVeränderungenbewirkte.Gehörlosewurdenauchdortwiederzu „ObjektenderErziehung“:ÜberallinderWeltverlorengehörloseLehrer ihreArbeit.

Exkurs: Die Folgen des Mailänder Kongresses Welche  Situation  bestand  zur  Zeit  des  Mailänder  Kongresses?  Heinicke hatte  seine  von  Amman übernommene  „deutsche  Methode“  gegen  die ÜberzeugungderumgebendenLänderdurchgesetzt.797Dochhattesichmit der  zunehmenden  Bildung  ein  Selbstbewusstsein der  Gehörlosen  entwi ckelt,dassichinFrankreichdurchÜbernahmevonLehrerstellenundda mitverbundenerAnwendungverschiedensterMethoden–vomFingeral phabetüberGebärdenzurLautsprache–imUnterrichtauswirkte.Auch HeinickesSchwiegersohnErnstAdolphEschke (1766–1811)hattesichge geneinereinoraleLehrmethodeausgesprochenunddieAnwendungder GebärdenspracheineinerkombiniertenMethodeinseinerBerlinerAnstalt durchgesetzt.Sein Nachfolger LudwigGraßhoff bewertetediekünftigen TaubstummenlehrerauchanhandihrerGebärdensprachkenntnis.798InBer linundinLeipzig,wodiekombinierteLehrmethodeangewandtwurde, wurdennebendenhörendenauchgehörloseLehrkräfteausgebildet.Euro 796

 Kröhnert,SprachlicheBildung,S.51.DieErgebnissedesMailänderKongresses,diezur VeränderungderSchulpolitikhinzuroralenMethodeaufderganzenWeltführten,wurden voneinerVersammlunggefällt,aufderdieBefürworterdergebärdensprachlichenMethode unddiegehörlosenLehrerkeineStimmebekamen. 797

HierundimFolgendennachKarth,Taubstummenbildungswesen,S.84–160.

798

Karth,Taubstummenbildungswesen,S.86.

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paweitwarenGehörlosedurchausbisindasspäte19.JahrhundertalsLehr kräfteodersogarSchulgründeranderEntwicklungderGehörlosenschulen unddemAusbauderGehörlosengemeinschaftenbeteiligtundlehrtenna türlichauchihreundinihrerSprache,derGebärdensprache.1848entstand danninBerlinaufInitiativedesgehörlosenBerlinersEduardFürstenberg dererstedeutscheTaubstummenverein.Gehörlosetrafensichseit1873auf Taubstummenkongressen  und  jährlich  auf  speziellen  Kirchentagen.  Hier konnten  Erfahrungen  ausgetauscht  und  Meinungen  gebildet  werden  – auchkritische.799 MittedesJahrhundertshattenBemühungenhörenderdeutscherTaub stummenlehrerwieFriedrichMoritzHilleinerreinenLautsprachmethode durcheuropaweiteKontaktedenWeggeebnet.800Dieszeigtesichauchauf dem  internationalen  Mailänder  Kongress,  der  vom 6.  bis  11.  September 1880stattfandundaufdemsich255TaubstummenlehrkräfteausallerWelt, darunterdreigehörloseLehrer,dienuralsBeobachterzugelassenwaren, trafen.AlsErgebnisdesKongresseswurde–mitGegenstimmenausden USAundSchweden–folgendeResolutionveröffentlicht:„InderÜberzeu gungderunbestrittenenÜberlegenheitderLautsprachegegenüberderGe bärdensprache,insofernjenedieTaubstummendemVerkehrmitderhö rendenWeltwiedergibtundihneneintieferesEindringenindenGeistder Spracheermöglicht,erklärtderKongreß:daßdieAnwendungderLaut sprachebeidemUnterrichtundinderErziehungderTaubstummender Gebärdensprachevorzuziehensei.“801 GegnerdieserResolutionhobendie vernachlässigte geistige Bildung hervor,  dass der reine Lautsprachunter richtbeitatsächlichGehörlosenkeinenErfolghabenkönne,unddassder MethodenstreitZügenationalerBestrebungenhabe.DochdieResolution wolltedurchgesetztwerdenundwurdedurchgesetzt,selbstinFrankreich wurdenSprechübungenzurRegel.802VoralleminDeutschland,wozuvor derAusschlussderGebärdeauchnurvereinzeltverlangtwurde,wurde dieMethodikderGehörlosenbildungstarkeingeschränkt,hierwurdedie 799  ThomasWorseck,DiedeutscheGehörlosenbewegungvon1848bis1945,in:Hamburger GehörlosenZeitung4(2003),S.4–7. 800

Ebd.,S.104–115und420.

801

EdmundTreibel,DerzweiteinternationaleTaubstummenlehrerKongressinMailand,Ber lin1881.Dr.TreibelundseinLehrerkollegeDr.HartmannwarendiedeutschenVertreterauf demKongress(Schumann,GeschichtedesTaubstummenwesens,S.407). 802

Lane,MitderSeelehören,S.467.

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reineLautsprachmethoderaschzureinziganerkanntenBildungsmethode erhoben.803NurwenigeJahrespäterhattesicheuropaweitdieLautsprach methode  durchgesetzt.  Gehörlose  Lehrer wurden  entlassen. Der  erste Allgemeine  Deutsche  TaubstummenlehrerKongress  in  Berlin,  der  am 26.September1884stattfand,804berichtete,dassin96deutschenTaubstum menanstaltennachderreinenLautsprachmethodegelehrtwerde.Der„Sieg überdieGebärde“wurdeauchalsSiegüberdenKriegsgegnerFrankreich gesehen:„DieGebärdeziehtsichnacheinemhundertjährigenKampfim mer  mehr  zurück.  [...]  Ein  Rückschritt  ist  nicht  mehr  möglich  [...]  Doch müssenwirunsbewußtwerden,daßwirnochvielzuarbeitenhaben,um demdeutschenNamenEhrezumachen.Siewissen,welcheMüheunser Kanzlerhat,denSiegvonSedanzuerhalten.DenMailänderSiegzube haupten,erfordertvonunsnocheineRiesenarbeit“.805DiedeutscheGehör losenschuleentwickeltesichzueiner„Sprechschule“,diedasSprechenin denMittelpunktstellteunddabeiInhalteaberauchdieSchriftsprachever nachlässigte.GeradezuverkrampftführteesandeutschenTaubstummen schulenzueinerÜberspitzungderLautsprachmethode.DerAusschlussder GebärdewurdeallgemeindurchgeführtundzumKriteriumdergesamten Methode.806 * DiePädagogikbliebabernatürlichnichtstehen.Anfangdes20.Jahrhun dertswurdenneueWegegegangen,denndieklassischeLautsprachmetho debrachtenichtdieerwünschtenErgebnisseinderLautsprachkompetenz. GehörlosebliebennachwievortrotzderunmittelbarenLautsprachassozia tion„Sprachkrüppel“.807 NunwurdenGebärde,SchriftundMundHand System808alsEinstiegindieSprachegenutzt(das„imitativePrinzip“).Der 803

Schumann,GeschichtedesTaubstummenwesens,S.409–414,hierS.411.

804

 Die  erste  Taubstummenlehrerversammlung,  auf  der  Pädagogen  aus  Nord  und  Süd deutschlandsowiederSchweizzusammenkamen,fand1846statt.NacheinerFolgetagung 1847wurdenüberregionaleTreffenerstwieder1884aufgenommen(ebd.,S.632f.). 805

Ebd.,S.409.

806

Ebd.,S.410f.

807

Kröhnert,SprachlicheBildung,S.178.

808

MundHandSystemmeint,dassmitderLautgewinnungzugleicheineGesteeingeübtund fortanbeimLesenmitgezeigtwird(UlrichBleidick,LesenlernenuntererschwertenBedingun gen,3.AuflageEssen1972,S.121)

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Unterschiedzuralten„französischenMethode“lagdarin,dassdieLehrer eineZeichensprachealsSprungbrettzurSprache,zumAblesenundSpre chen,nutzten.DieReformpädagogenerstrebtendanneinen„naturgemä ßenUnterricht“:DiesprachlicheEntwicklungeineshörendenKindeswurde zugrundegelegt–auchdasgehörloseKindsollteindieSprache„hinein wachsen“.DerUnterrichtsollte„mutterschulgemäß,ganzheitlichunder lebnisbetont“seinmitdemZiel,nichtdasSprechenzu„lernen“,sondern sichdieSprache„anzueignen“unddenSinnzuerfassen. 809DiesenPädago genwaresnichtwichtig,obderUnterrichtmitdemAblesen,demSchrift bildoderdemMundHandSystemanfing.Siewarenesauch,diezurFrüh förderungaufriefenundKindergärtenerrichteten. Die  nächste  Methode  des  Lautsprachorientierten  Unterrichts  war  die „neueSachlichkeit“,dienichtdenstarren„verbundenenSachundSprech unterricht“nacheinemder„VäterderLautsprache“,JohannesVatterwoll te,auchnichteinenUnterricht,deralleinvondenEreignissendesAugen blickslebte,wobeidieSpontaneitätwichtigerwaralsdieGrammatik.Diese Methodesahsichinder„goldenenMitte“.DerAnfangsunterrichtwurde stattmitLautenmitderErfassungdes„Sinnganzen“gestartet.DerUnter richtumfasstedie„natürlichenGebärden“,SchriftundMundHandSys tem,umimZieldieLautsprachezuerreichen.WichtigwarderVorschlag derGehörlosenlehrkräfte,ihreSchülerüberdieSchulehinauszufördern undBeratungsstellen,KindergärtenundBerufsschuleneinzurichten. 810Die neueSachlichkeitzeigtesichkonkretimallgemeinenLehrplanfürdieGe hörlosenschulen,der1929entwickeltwurdeunddersichfürdieindividu elleLehrerentscheidungaussprach.DemLehrerwurdenichtvorgegeben, obervonEinzellauten,SilbenoderdemSprachganzenimSprachunterricht fürGehörloseausgehensolle.811DennochwareineumfassendegeistigeBil dungauchindieserMethodiknuramRandegewünscht.Konkretsollteder Unterricht„nichtsunmöglicheswollen,nichtdieganzeSprachedenGehör losenerschließen,sondernsichaufdieElementarsprachebeschränken.Die GehörlosenschulehatnichtdasselbeZielwieSchulenfürVollsinnige“.812 809

Kröhnert,SprachlicheBildung,S.180.

810

Ebd.,S.169f.

811

Ebd.,S.174.

812

 Ebd., S.181. DieheutigePädagogikmitderMöglichkeitdesRealschul,Gymnasialund StudienabschlussesfürGehörlosesiehtihrZielzumindestfüreinenelitärenTeilderGehörlo sensowohlineinerhöherenBildungalsauchinderIntegrationindiehörendeWelt.

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Abbildung 46: Artikulationsklasse: Sprechen und Lesen mit Lehrerin Käthe Reinmann, 1938

InsgesamtgabesumdieJahrhundertwendebisindie1920erJahrehinein eineFülleanmethodischenAnregungen.NachdemEndedes„DrittenRei ches“ und deren behinderungsverneinenden Ideenundlebensverachten den Ausführungen,  folgte  der  zweite  „unterrichtstheoretische  pädagogi scheSchub“.813 DieReformMethodewurdedifferenziert,undMethodikersuchtennach wissenschaftlichenBegründungen.VierProblemebeschäftigtendenGehör losenlehrer  in  der  Nachkriegszeit:  die  Hörerziehung,  der  ganzheitliche Sprachunterricht,dievorschulischeErziehungunddieFrage,obundwie weitdieLautspracheinein„anderesMedium“fürGehörlosezuüberfüh rensei.Nach1945kamesallerdingszukeinemBruchinderUnterrichts methodik: InderGehörlosenpädagogiksetztesich dieHörbewegungan die Spitze. Jeder Hörrestsollte vor demHintergrund vorangeschrittener technischerMöglichkeitenausgenutztundfürdieSpracherziehungnutz bargemachtwerden.TechnischeVerbesserungenundneuartigeIdeenwar tenbisheutemitimmerneuenErgebnissenauf.Dieakustischapparativen 813

Kröhnert,SprachlicheBildung,S.211–213.

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Möglichkeitenwurdenundwerdenstetigvermehrt.814Dashörgeschädigte Kindsolltemöglichstfrüherfasstwerden,umlautsprachlicheTendenzen entwickelnundentfaltenzukönnen;undschonvordemKindergartensoll te  die  Früherziehung  im  Familienkreis  einsetzen. Angestrebt  wurde  ein „ganzheitlicher“  Sprachunterricht,  mit Sprache  sollte  das  hörgeschädigte Kindfrühundandauerndkonfrontiertwerden.Wennauchdieklassische „Tastfühlstruktur“,in der TönedurchVibrationenundAnschauung er fahrbargemachtwurden,alsnichteffektivzurückgestuftwurde,versuch ten Pädagogenweiterhin,dieSpracheineinensichtbarenbzw.fühlbaren Ansatzumzusetzen. AndenSchulengabesinden1970erund1980erJahrenimWesentlichen zwei  lautsprachliche  pädagogische  Verfahren,  angewandt  wurde  die „ganzheitlicheMethode“(dienachdemKriegdieBrüderArturundErwin KernausHeidelbergentwickelthatten),diedieSprachvermittlungvordie Artikulationsarbeit  setzte,  sowie  die  „aufbauende  Methode“  nach  einer IdeevonClemensSchuyausEuskirchen,diedieSprachinhalteerstvermit telte,wenndieartikulatorischeVoraussetzunggegebenwar.DochdieVer meidung  der  Gebärdensprache  und  der  „systematische  Sprachaufbau“ Schuyswarennichtgeeignet,GrundproblemederoralenMethodezulösen– GrundklassenkonntenbeispielsweisenurimImperativsprechen,Teileder Sprachewurdenweggelassen,„weil“wurdeinderdritten,„obwohl“in der  zehnten  Klasse  gelehrt.  Doch  wie  brauchbar  ist  das  Weglassen  von SprachteilenfürdiePraxis?SofunktioniertSprachenicht.815Durchdieim mer bessereFrüherziehung–immer mehrElternfördertengezieltunter fachlicherAnleitungihregehörlosenKleinkinder–setztesichdieMethode durch,dieerstdieSprachinhaltevermittelt.816VorbilderbliebendasSchrift 814

ErwähntwerdensollteandieserStelledasCochleaImplantat.DiesesisteinkünstlichesIn nenohr,dasvorallemgehörlosenKinderneingepflanztwird.DiesesImplantathatsowohlin nerealsauchäußerlicheBestandteileundführtübereinMikrofonSchallwellenzuElektroden, dieelektromagnetischeFelderaufbauen,diedieNervenzellenimOhrstimulieren.DieseNer venreizewerdenvondemfürdasHörenzuständigenTeildesGehirnsalsLautmustergedeu tet.DieserLautallerdingsistnurschwerzudeutenundzulokalisieren,sodassderNutzen desImplantatsvorallemvonGegnernderoralenMethodeangezweifeltwird.Siehedazu: Lane,MaskederBarmherzigkeit,KapitelVII,S.259–302. 815

VortragvonKlausB.GüntheraufdemDeafHistoryKongressinBerlin2006,derTagungs banderscheintvoraussichtlichEnde2007.

816

ArminLöwe,Gehörlose,ihreBildungundRehabilitation,in:DeutscherBildungsrat,Gutach tenundStudienderBildungskommission,Band30,Sonderpädagogik2,Stuttgart1974,S.96.

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bild (Kindergarten),  das Mundbild  (Früherziehung),  die  Tastfühlstruktur (zum  Beispiel  Worte  in  die  Hand  gesprochen)  und  die  Tasthörstruktur (Restgehörausnutzen,verschiedeneoptischeundvibrativeHilfen). ImGegensatzzuden1960erJahrenwurdeabMitteder1970erJahredie Meinunglaut,dassdieZielsetzungderBildungsarbeitfürgehörloseKin derdieVermittlungdesgleichenWissenswiederhörendenKindersein müsste,817wobeidasSpätzielweiterhindieIntegrationblieb,umGehörlose nichtineinerisoliertenGemeinschaftzubelassen. 818KlausB.Günther(geb. 1944)nenntesdieoffeneKrisedesOralismus,alssichEhemalige,Eltern undSchülergemeinsamfürdieAnnahmederDeutschenGebärdensprache indenSchulenstarkmachten.819 Abden1970erJahrenentwickeltensichschließlichinderGehörlosen pädagogikdreiMethodiken,dieteilweiseheutenochaktuellsind,vonde nendererste,dieErziehungzurSubkultur,einengänzlichneuenAnsatz bot.DiesprachlicheKommunikationsolltesichdemKindanpassen,nicht dasKinddenvonderGesellschaftvorgegebenenKommunikationsnormen. DieDGSsolltealseigenständigeSpracheinSchulewieGesellschaftaner kanntwerdenundgehörlosenKindersolltenaufgezeigtwerden,wiesiein diesereigenenSpracheselbstbewusstundausgeglichenihrLebenineigener Kulturlebenkönnen.820 DerzweiteAnsatzbliebaufeinemtraditionellen WegderErziehungzurNormalität.DasgehörloseKindsolltezurTeilnah me an der hörenden Welt erzogen werden.Dies sollte durch Früherzie hung,Hörerziehung(deren–technische–Möglichkeitenbisheutenoch langenichtausgeschöpftsind)undIntegrationerreichtwerden.Schließlich gibtesdenmittlerenWeg:dieErziehungzurTeilnahmeamLebenderHö rendenundderGehörlosen.Gehörlose,soheißtes,sollteneineHeimatin dergehörlosenGesellschaftfinden,abersichauchmitdenHörendengut verständigenkönnen.UmIntegrationzuerreichen,wirdnichtmehrauf dasDefizitBehinderter,sondernaufdieGemeinsamkeitengeachtet–der vierteBerichtüberdieLagederBehindertenunddieEntwicklungderRe habilitation  des  Bundesministeriums  für Arbeit  und  Sozialordnung  von 1998  schreibt  fest,  dass  „begriffliche  Abgrenzungen  nicht  als  […]  Aus 817

Ebd.,S.124.

818

Ebd.,S.141ff.mitBeispielenausanderenLändern.

819

VortragvonKlausB.GüntheraufdemDeafHistoryKongressinBerlin2006.

820

HierzusieheauchKapitel9zumZentrumfürGebärdensprache.

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grenzungen von Menschen mit Behinderungen wirken dürfen, sondern – nachvorrangigerBetrachtungihrerFähigkeiten–alsHinweisaufihre individuellen  Probleme  und  Chancen  […]“,  um  eine  „größtmögliche SelbstverwirklichungdurchpersönlicheAutonomiebeimöglichstumfas sendersozialerIntegrationinFamilie,GemeindeundGesellschaft“zuer reichen  –  Selbstbestimmung  statt  aufgezwungener  Fremdbestimmung.821 GehörlosealsPartner–solltedanichtauchzurSelbstbestimmungdieAk zeptanzdereigenenSprachegehören? 4 . 5 . 4 . 2 L a u t s p ra c h e , L a u t s p ra c h b e g l e i t e n d e G e b ä rd e n u n d G e b ä rd e n i m Ko n s e n s

Den  konsensfähigen,  einzig  richtigen  pädagogischen Ansatz  gab  es  nie. AuchanderHamburgerGehörlosenschulewurdenunterschiedlicheMe thodikenvonverschiedenenLehrkräftenfavorisiert.Gemeinsamwarihnen alleindasZiel,ihrenSchülerndieLautsprachesoweitwiemöglichbeizu bringen.  In  den  1960er  Jahren  wurde  zum  Beispiel  der  ganzheitliche SprachaufbauvondenHamburgerLehrkräftenbevorzugt,dervonsprach licheinfachenWörternausging.822DieseZeitwargeprägtdurcheineHör erziehung,  die  in  „Vielhöreranlagen“  und  angepassten  Einzelhörgeräten auchinHamburgihrentechnischenAusdruckfand. Dochwurdeauchangefangen,überverschiedeneGebärdensystemezu diskutieren,diezuvorjederLehrerfürsichentworfenundimUnterricht angewandthatte,umverständlichererklärenzukönnen.1967wurdeinei nerLehrerkonferenzbeschlossen,dasFingeralphabetalszusätzlicheHilfe erstinderAnwendungananderenSchulenzubeobachten,eheesspäter auch  in  Hamburg  gebraucht  wurde.823 Ab  1970  wurde  verstärkt  das phonembestimmteManualsystemalsVereinheitlichungderLautgebärden erprobt.ImfolgendenJahrwurdevomdamaligenHamburgerSchulleiter Hellmuth Starcke, der daserste vereinheitlichende „HandbuchderGe bärden“,dassogenannte„BlaueBuch“zusammenmitseinemKollegen 821

 FranzB.Wember,BildungundErziehung beiBehinderung.Grundfragen einer wissen schaftlichenDisziplinimWandel,in:Leonhardt,Annette/ders.,GrundfragenderSozialpäd agogik.Bildung,Erziehung,Behinderung.EinHandbuch,Weinheim,Basel,Berlin2003,S.14.

822

 StAHbg,36210/3 SamuelHeinickeSchule,Mappe 15 (Ablieferungsverzeichnis) Lehrer konferenzen1969–1974,Konferenzvom23.1.1970.

823

Ebd.,Lehrerkonferenzen1966–1969,Konferenzvom26.5.1967.

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GünterMaisch(geb.1941) entwickelte,denKollegenanderSchuleein Gebärdensprachkurs  angeboten.824 Es  war  nicht  selbstverständlich,  dass Gehörlosenlehrkräfte  in  ihrer  Ausbildung  die  Gebärdensprache  kennen lernten.1978wurdeschließlichüber„strukturierteGebärden“,alsolaut sprachbegleitendenGebärden(LBG)diskutiert,indenenMaischKursefür ElternundKollegengab.825 InzwischenhabensichandeutschenGehörlosenschulenzweikonkur rierendepädagogischeAnsätzedurchgesetzt:InderZeit,als–indenVerei nigtenStaatenabMittedersechzigerJahre,inDeutschlandabMitteder 1980erJahre–dieBedeutungderGebärdensprachefürdieErziehung,Ent wicklungunddasLebenderGehörlosendurchForschungsergebnissever deutlichtundindenSchuleneingesetztwurde,entwickeltesichauchdie hörtechnischeBewegungraschweiterunderbrachteneueErgebnisse.Da beideVerfahrensichinderEntwicklungbefindenundbeideHoffnungen aufein„mehr“wecken,stehensichdiebeidenLagergeradezuverfeindet gegenüber,weiljederdieeigeneMethodealsdie„einzigwahre“ansieht. AberscheintdieklassischeLautsprachmethodenichtanihreGrenzen gestoßenzusein?DieMethode,GebärdenspracheabzulehnenunddenUn terricht  für  Gehörlose  allein  in  gesprochener  Sprache  durchzuführen, brachtenichtdenErfolg,dendieVerfechterderoralenMethodebehauptet hatten.SelbstdieAnhängerdeslautsprachlichenPrinzipsräumenein,dass vielegehörloseKinderdadurch,dasssiedieLautsprachenichtrichtigbe herrschenlernen,durchdasBildungsrasterfallen.LediglichbeieinemVier telderGehörlosen,dieinderoralenMethodeunterrichtetwerden,istdiese Methodesoerfolgreich,dassdieseeineinigermaßenintegriertesLebenin derhörendenGemeinschaftbietet.Dochdiemeistengehörlosenoralunter richtetenKinderhabenesschwer:SiewerdennieeinvollständigesMit gliedderhörendenGemeinschaftwerden,abersiewerdenauchnieein deutigesMitgliedderGehörlosengemeinschaftwerden,dasiewederdie Lautsprache  noch  die  Gebärdensprache  befriedigend  beherrschen.  Es  ist Zeitumzudenken,sagendieGehörlosen. DurchdieForschungsarbeitdesInstitutesfürDeutscheGebärdenspra cheundKommunikationGehörloser,daserstmalsdieSprachederdeut schenGehörlosenwissenschaftlichuntersuchteundversuchte,dieregional 824

Ebd.,Lehrerkonferenzen1969–1974,Konferenzvom18.2.1971.

825

Ebd.,Lehrerkonferenzen1975–1981,Konferenzvom26.1.1978.

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unterschiedlichenFormenderDeutschenGebärdensprache(DGS)zueiner „Hochsprache“ zu vereinen– sowie die verschiedenen mittelalterlichen deutschenMundarteneinstzueinerkünstlichenSprache„Hochdeutsch“ zusammengefasstwurden–erlebtedieDGSeineArtReform.DasInstitut setztesichdafürein,dassausgehendvonderDGS,diealsMuttersprache derGehörlosenbezeichnetwird,ohnedasssieesimNamenssinnewirklich ist,dieFremdspracheDeutschandenSchulenerlerntwird.Unterrichtsoll tealsoinDGSgehaltenwerden.ZuerststräubtesichdieHamburgerSchule gegen  solche  Reformen,  denn  man  befürchtete,  dass  Gehörlose  dadurch nochweiterindieIsolationgetrieben,dieLautsprachenochwenigerernst nehmen  und  weniger  mit  der  Umwelt  kommunizieren  würden.  Zudem gibteskeineanwendungsfreundlicheVerschriftlichungderDGS,826sodass geradederSachunterrichtaufDGSalleininderUnterrichtssituationge lehrtwerdenkönnte,ohnedassdieMöglichkeiteinesschriftlichenFixie rensbestehenwürde. TrotzdemfandenGebärdenwieGebärdenspracheEingangindieSchu len,daesohnesienichtmehrmöglichschien,zielorientiertaufhöherem Niveauzuunterrichten.1980gabeseineEmpfehlungderKultusminister konferenz,dassGebärdenzumVerdeutlichenderLautspracheerwünscht seien,allerdingsdachtedieKonferenzdabeinichtandieGebärdensprache, sondernan„Lautgebärden,phonemundgraphenbestimmtemanuelleZei chen“  und  andere  „Ersatzgebärden“827 Die  Richtlinien  der  Hamburger SchulefürGehörlosewurdenerst1986dahingehendverändert,dassdie Gebärden  positiver  beurteilt  wurden.  Der  Satz  „Die  Gehörlosengebärde wirdimUnterrichtnichtverwandt“wurdedurch„alleZeichensystemeha benderLautsprachbildungzudienen,dasgiltauchfürdenEinsatzvon Gebärden,dieimUnterrichtverwendetwerdenkönnen“ersetzt. 828DieDis kussionumdieMethodikverschärftesichmitGründungdes„Zentrums 826

AmInstitutfürDeutscheGebärdenspracheundKommunikationGehörloserwurdeunter demTitel„HamNoSys“einNotationssystemfürGebärdensprachenentwickelt(„Hamburg Notation System  for  Sign  Languages“). Siehe auch:  Chrissostomos  Papaspyrou,  Gebärden sprache  und  universelle  Sprachtheorie.  Vergleichende  generativtransformationelle  Inter pretationvonGebärdenundLautsprachesowieEntwurfeinerGebärdenschrift(Internatio naleArbeitenzurGebärdenspracheundKommunikationGehörloserBand8),Hamburg1990. InzwischenhatdasInstitutverschiedeneGebärdenFachlexikaherausgegeben,diesinnvoller weiseauchalsmultimedialeCDserhältlichsind.

827 StAHbg,3612VIOSBVI,Abl.1995/1,5058,Schreiben2.10.1985undNotizvonOberschul ratJürgenvonMelle7.10.1985.

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fürDeutscheGebärdenspracheundKommunikationGehörloser“imMai 1987undführtedazu,dasssichdieGegnerbeiderLager–hierdie„Laut sprachler“,dortdie„Gebärdensprachler“–unversöhnlichgegenüberstan denundvorDiffamierungenallerArtnichtzurückschreckten.Dajedoch derKindergartenunddasZentrumzusammenarbeiten,kamüberdiesen UmwegdieDGSauchandieSamuelHeinickeSchule.Seit1993gabesnun an  der  Schule  eine  bilinguale  Versuchsklasse.  Dieser  Versuch  war  zu nächstaufsechsJahreangelegtundsollteherausfinden,obdieKinder,die zweisprachigaufwachsen,ebensooderbesserlernenundsichentwickeln können. 4.5.4.3 Der bilinguale Schulversuch

In  der SamuelHeinickeSchule wurde  bis 1993der hörgerichtete Ansatz bevorzugt,829dasKindalsoindieLageversetzt,durchdasBeherrschender Lautsprache,durchLippenlesen,HilfedurchspeziellangepassteHörgeräte, durchdieFähigkeitzumLesen,SchreibenundSprechenderLautsprache, Hörende  zu  verstehen  und  mit  ihnen  zu  kommunizieren.  Ziel  des  Un terrichtswar,dassdiegehörlosenKindersichinderhörendenWeltzurecht finden,sieverstehenunddarinlebenkönnten,mithindieIntegrationder hörbehindertenKinderindiehörendeGemeinschaft.Deshalbwurdevon derSchuledieFrühförderungschonimSäuglingsalterangesetzt,dieTen denz,bereitsSäuglingenHörgeräteanzupassenundsomitdieHörnerven zuneuenVerbindungenanzuregen,begrüßt. UnterrichtfindetindenNormklassenderGehörlosenschuleinderdeut schenLautspracheinVerbindungmitderlautsprachbegleitendenGebärde (LBG)  statt.  Diese  Gebärden  folgen  der  Satzstruktur  der  gesprochenen Sprache.FürjedesgesprocheneWortgibteseineGebärde.DieseGebärden entsprechennichtderKommunikation,diedieGehörlosenuntereinander gebrauchen.DieDeutscheGebärdensprache(DGS)isteineeigeneSprache miteigenerStruktur,diesichnichtanderdeutschenLautspracheorientiert. ImAugust1993starteteanderSamuelHeinickeSchuleeinfürDeutsch landbiszudiesemZeitpunkteinzigartigerModellversuch:Eswurdenach 828

StAHbg,3612VIOSBVI,Abl.1995/1,5058,SchulleiterGünterCorsanBehördefürSchule, JugendundBerufsbildung26.6.1986.

829

 Dies  betonte  der  damalige  Schulleiter  Georg  Männich noch  in  einem  Interview  am 10.10.1994.

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dänischem  Vorbild  eine  bilinguale  Versuchsklasse  eingerichtet,  die  den SchülernUnterrichtsinhalteinundüberLautspracheundinundüberGe bärdensprachevermittelt.830 Bereits1977hatteFritzHelmutWisch(geb.1943),LehreranderSamuel HeinickeSchuleundselbstVatereinesgehörlosenKindes,dieFrüherzie hunggehörloserKinderinHamburgübernommen.831ErwarfürdieEltern beratungzuständig,botGebärdenkursefürElternanundsahseinZielin derdoppeltenIntegrationdergehörlosenKinder–einmalindieGehörlo senwelt,einmalindieWeltderHörenden–,inderVerbesserungderfami liären  Kommunikation  und  in  der  Akzeptanz  des  Kindes.832 Ende  der 1970erJahrewurdenaufseineInitiativehinnebendieLautundSchrift spracheauchdasFingeralphabetunddielautsprachbegleitendenGebärden (LBG)indieFrüherziehungaufgenommen.ImOktober1990wurdenim KindergartenfürGehörlose,demSonderkindertagesheim,zusätzlichzwei gehörloseErzieherinneneingestellt.DaswareingroßerSchritt,dennzuvor waren in derAusbildunggehörloserKinderin Hamburg allein hörende PädagoginnenundPädagogenbeschäftigtgewesen,833daderKindergarten, inHinblickaufdiespätereEinschulungandieSamuelHeinickeSchule,be reitsdieBasisfürdieErwerbungderLautsprachelegensollte. MitdengehörlosenErzieherinnengabesjetztauchAnsprechpartnerder Kinder,dieinDGS kommuniziertenund nicht nurinLautspracheoder LBG.AlsdieElternderKindergartenkinderdaraufhineineschnelleregeis tigeEntwicklungihrerKinderfeststellten–siewurdenlebhafter,aufge weckterundlerntenmehr–organisiertenzehnElternpaareimMärz1991 einTreffenmitdemschwerhörigenSoziologenKlausB.Günther,seitdem 830

DiesesKapitelschildertdenWerdegangdesSchulversuchs,wennnichtandersangegeben, durchInformationenaus:KarinWempe,Hamburg,DerlangeWegzumSchulversuch,in:Das Zeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheundKommunikationGehörloser24(1993), S.  204–211;  KlausB.  Günther,  Bilingualer  Unterricht  mit  gehörlosen  Grundschülern.  Zwi schenberichtzumHamburgerbilingualenSchulversuch,Hamburg1999.

831

FritzHelmutWisch,LautspracheUNDGebärdensprache.DieWendezurZweisprachigkeit in  Erziehung  und  Bildung  Gehörloser  (Internationale Arbeiten  zur  Gebärdensprache  und KommunikationGehörloserBand17),Hamburg1990,S.218f. 832 833

Ebd.,S.220f.

 WolfgangSchmidt waralsgehörloserSozialpädagogeelfJahrevorhereingestelltworden undhatte„sozialfürsorgerischeAufgaben“übernommen,dieaußerhalbdesUnterrichtensla gen(StAHbg,3612VIOSBVI,Abl.1995/1,Az.5346,VermerkvonOberschulratJürgenWurst 21.9.1979).

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Wintersemester1990/91ProfessorfürGehörlosenpädagogikamInstitutfür BehindertenpädagogikdesFachbereichsErziehungswissenschaftderUni versität  Hamburg.  Mit  dem  habilitierten  Grundschulpädagogen  bespra chensieihrenWunschnachEinbeziehungderDGSfürihreKinderauchim kommendenSchulunterricht.DaraufhinwurdeeinbilingualesUnterrichts konzeptentwickelt.DieSchulleitungwurdedarüberinformiert,standdie sen  Wünschen  anfangs  aber  ablehnend  gegenüber.  Es  folgten  drei Jahre heftiger  Kontroversen  der  Gegner  und  Befürworter  einer  zweisprachigen AusbildungdergehörlosenKinder.Am12.November1991wurdevonder ElterngruppezusammenmitProfessorGünthersUnterrichtsentwurfeinoffi ziellerAntragaufDurchführungeinesbilingualenSchulversuchszumSchul jahr1992/93andieBehördefürSchule,JugendundBerufsbildunggestellt, dervomDeutschenGehörlosenBundunddem Elternverband Deutscher Gehörlosenschulenunterstütztwurde.DaraufhinerfolgteinderBehördeein Gespräch  der  Elternvertreter  mit  Oberschulrat  Jürgen  Wurst  (geb.1937), SchulleiterGeorgMännichunddemPräsidentendesDeutschenGehörlo senBundes,demJuristenundPädagogenDr.UlrichHase(geb.1955). EinProblemlagdarin,dasseszuderZeitnochkeinefertigausgebilde tengehörlosenLehrkräftegabundsichOberschulratJürgenWurst gegen dieEinstellungberufsfremderGehörloseraussprach.Trotzdemlehntener undauchdiezuständigeSenatorinRosemarieRaab (geb.1946)denzwei sprachigenSchulversuchnichtvölligab,imGegensatzzuSchulleiterMän nich.DiesersahindenAugenderElternvertreterunteranderem„denRuf seinerSchulegefährdet“,834vorwiegendaberdieGefahr,dassdurchdieGe bärdensprachedasErlernenderLautsprachebedrohtsei.Erbefürchtete, dassdieohnehinsehreigeneGemeinschaftderGehörlosennochweiterin dieIsolationgetriebenwerdenwürde.835ZudemliefanderSchuleseiteini genJahrenderVersuch,intensiverLBGimUnterrichtzunutzen.Diesen Versuch  wollte  er  nicht  gefährden  und  meinte,  dass  dieser  methodische AnsatzzuEndegeführtundausgewertetwerdenmüsse,bevordieSchule sichneuenVersuchsprojektenzuwendenkönne,unddassdieDGSnoch nichtgenugerforschtsei,alsdassmansieschonalsUnterrichtsmittelein setzenkönne.836DieBehördenvertreteraber,diesichschondurchdieEin stellungvongehörlosenErzieherinnenamSondertagesheimfürdieGebär 834

ElternvertreteranSenatorinRaab18.1.1992,nach:Wempe,Schulversuch,S.205.

835

InterviewmitGeorgMännicham10.10.1994.

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denspracheausgesprochenhatten,ließendurcheinSchreibenandieSchule wissen,dassdiese„gehalten[sei],inihrerpädagogischenArbeitauchder deutschenGebärdenspracheRaumzugebenundinsbesondereaufdieVor erfahrungenausdervorschulischenErziehungRücksichtzunehmen“.837 DieFolgenwarengravierend:DieElternundLehrerschaftspaltetesich inzweiLager.Dieeinen,zudenenauchSchulleiterMännichgehörte,spra chensichvehementgegenDGSinderSchuleausundwolltendieGebär densprachenuraußerhalbdesUnterrichtseinsetzen,dieanderensahenin derEinführungvonDGSindieSchuleeineErweiterungundVerbesserung des  Schulunterrichts.  Die  erste  daraufhin  einberufene  Lehrerkonferenz stimmtenochmehrheitlichgegeneinenUnterrichtinDGSabdemSchul jahr1992/93.TrotzdemwardasKollegiumbereit,einbilingualesKonzept mitzuentwickeln.838AufeinerSchulkonferenzimApril1993wurdeeinem bilingualenSchulversuchgrundsätzlichzugestimmt.Inzwischenhattedas ZentrumfürDeutscheGebärdenspracheundKommunikationGehörloser unterVorsitzvonProfessorSiegmundPrillwitzihreUnterstützungfürden SchulversuchzugesagtundeineArbeitsgruppezudiesemThemagebildet, indernebenVertreternmehrererteilweisebundesweiter Verbändeauch LehrkräftederSamuelHeinickeSchulesaßen.839 DasgrößteProblemdesSchulversuchsbliebweiterhin,dasskeineaus gebildetengehörlosenLehrkräftezurVerfügungstanden.Zwarwurdeeine gehörloseKandidatingefunden,diedasZentrumfürDeutscheGebärden sprachevorgeschlagenhatte,JuttaSchwarz(geb.1946), dochdurftesiein dermittlerweileeingerichtetenerstenKlassevonSusannaTollgreef(geb. 1957) lediglich  hospitieren,  bevor  die  Schulbehörde  die  Beteiligung  von FrauSchwarzamUnterrichtzusagte.DerBeginndesSchulversuchsver zögertesich,undesbegannenernstlicheAuseinandersetzungen,esgab Verbandsaustritte  und  kleinere  Demonstrationen  –  der  Streit  zwischen Lautsprach  und  Gebärdensprachanhängern  wurde  öffentlich.  Inzwi schenbeschäftigtesichauchdieBürgerschaftmitdenDurchführungsbedin gungendesSchulversuchs.AufeinerPressekonferenzstelltendieVersuchs 836

GeorgMännich,IstbilingualerUnterrichtinderEinschulungsklassederSamuelHeinicke Schulemöglich?In:DasZeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheundKommunika tionGehörloser20(1992),S.192–193,hier:S.192.

837

SchulbehördeanSchulleitung14.1.1992;nach:Wempe,Schulversuch,S.205.

838

Männich,BilingualerUnterricht,S.192.

839

Wempe,Schulversuch,S.211.

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gegner ihreArgumentedar,woraufhindieHamburgerZeitungenArtikel drucktenmitTitelzeilenwie„FührtGebärdenspracheKinderindieIsola tion?“oder„CDUFDPGALunisonogegenSchulversuch“.DieElternder Kinder,dieindiebilingualeKlassesollten,warenbeiderPressekonferenz nichteingeladen.840

Abbildung 47: Demonstration für die gehörlose Lehrassistentin Jutta Schwarz an der Gehörlosenschule, 1994

AllemUnbillzumTrotzwurdederAntragandieSchulbehördeaufEinfüh rungdesSchulversuchsabSommer1993mitEinbeziehungGehörloserauf derLehrerkonferenzam14.AprilundderSchulkonferenzam15.Aprilbe schlossen.  Im  Frühsommer  1993  genehmigte  die  Behörde  den  Schulver such,derdannimAugustohnefinanzielleUnterstützungbegann.Zwar wurdedasKonzeptderZweisprachigkeitnichtvölligumgesetzt,aberim merhinbekamendieerstenbeidenKlassendesSchulversuchsjevierStun denUnterrichtüberDGSundvierSachunterrichtsstundeninDGSzuge 840

Ebd.,S.210f.

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sagt.KlassenlehrerinnenwarenhörendePädagoginnen,alsLehrassistentin fungiertein beidenGrundschulklassendie gehörloseJuttaSchwarz.Der Unterrichtsahpraktischsoaus,dassbeideLehrerinnenanwesendwaren, diehörendeKraftdielautundschriftsprachbezogenenAspektedesSach unterrichtsunddenDeutschunterrichtdurchführte,währenddiegehörlose Kraft  die  DGSAnteile  im  bilingualen  Sachunterricht  sowie  den  reinen DGSUnterrichtübernahm.841 DerUnterschieddesHamburgerVersuchesgegenüberskandinavischen bilingualenProjektenmitgehörlosenSchulkindern842wardiedoppelteUn terrichtssprache:DiehörendeLehrerinunddiegehörlosePädagoginarbei tetenin einemDrittel des Gesamtunterrichtsgemeinsam inderKlasse. DanebengabesUnterrichtinDGSundinderHörSprachErziehung.Kon kretwarimerstenSchulversuchsjahrderzweisprachigeUnterrichtinden Gesamtunterricht,dasheißtSchriftspracherwerbundSachunterricht,einge bunden.GebärdensprachefungiertealsGrundsprache,dochlerntendieKin der,zwischenDGS,LBG,SchriftspracheundFingeralphabetzuwechseln. Nach  einem  Jahr  zogen  die  beiden  Klassenlehrerinnen  der  Schulver suchsklasseneineBilanz:843DieKinderseiensehraufgewecktundkommu niziertenundhinterfragtenviel.TrotzdemkämedieLautsprachenichtzu kurz,dieKinderseienmotiviert,auchdieseSprachezuerlernen,zumBei spielumBücherlesenzukönnen.Lautbzw.Schriftspracheseiimmernoch dasZiel,dochdasZwischenmenschliche,dasErklärende,geschäheinGe bärdensprache. ImGegensatz zuanderen bilingualen  Kursen wurde bei diesemSchulversuchzwischendenSprachenscharfgetrennt.DieKinder solltendeutscheSchriftspracheundDeutscheGebärdenspracheverstehen lernen  und  sich  wirklich  zweisprachig  ausdrücken  können.  Inzwischen hattesichauchaußerschulischetwasgetan,einkontinuierlicherDGSKurs fürdieElternderSchülerinnenundSchülerderbilingualenKlassewarein 841

EvelineGeorge,ZumzweisprachigenSchulversuchanderHamburgerGehörlosenschule, in:DasZeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheundKommunikationGehörloser25 (1993),S.342.EinEinblickindieUnterrichtsarbeitfindetsichinderSendung„SehenstattHö ren“Nr.973vom10.10.1999 (http://www.taubenschlag.de/SSH/1010.htm,abgerufen imDe zember1999).

842

 InSkandinavienwardieGebärdenspracheUnterrichtssprache,währenddieLautsprache zumUnterrichtsfachwurde,wobeiderSchwerpunkthierbeiaufderSchriftlichkeitlag.

843

VerenaThielHoltz/SusannaTollgreef,DerbilingualeSchulversuchanderHamburgerGe hörlosenschule,in:dfgsforum,HalbjahreszeitschriftdesDeutschenFachverbandesfürGehör losenundSchwerhörigenpädagogik,Nr.2,1994,S.116–120.

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gerichtetworden.AuchkonntennebendenKlassenlehrerinneneinezweite gehörlose  Lehrassistentin  mit  13  Wochenstunden  (inklusive  Vorberei tungsundEinzelförderstunden)undstundenweisenochweitereGehör losenlehrerinnenfürMathematik,SportoderHör/Sprecherziehungein gestelltwerden.844 SeitdemSchuljahr1994/95hattendieKlassenzusätzlicheinegehörlose Sozialpädagogin,AngelaStaab(geb.1964),alsvolleLehrkraft,diedieKin derinDGSunterrichtete.AlsIdentifikationspersonwurdesieVorbildund ersteAnsprechpartnerinfürdieKinder,klärteauchAlltagsfragen,erzählte ausderTraditionderGehörlosenundbrachteihnensospielerischdieBe herrschungderDGSbei.845 Schon  der  Zwischenbericht  des  Hamburger  Versuches  aus  dem  Jahr 1999  wurde  positiv  aufgenommen.846 Der  niedersächsische  Landtag  be schloss,dasHamburgerBilingualismusmodellrichtungweisendfürnieder sächsischeSchuleneinzuführen.TatsächlichwaresaberBerlin,inderals nächsteStadtinDeutschlandimSchuljahr2001/2002einebilingualeKlasse eingerichtetwurde.ImBerlinerLandesgleichberechtigungsgesetz,dasam 29.April1999verabschiedetwurde,wurdezudemdieAnerkennungder Gebärdensprachefestgeschrieben.Seit2005habengehörloseBerlinerKin dereinenRechtsanspruchaufDGSimUnterricht.847 DerAbschlussberichtdesHamburgerSchulversuchszeigte,dassdiebi lingualeKlasseinihremWisseneinerSchwerhörigenklassegleichzustellen war.848DieswareingroßerErfolg,dennimselbenTestschnittendiegehör losenKinderderoralenKlassevorallemimTextverständnisklarunterle 844

 KlausB.  Günther  /  Eveline  George,  Zum  Stand  des  Bilingualen  Schulversuches  an der HamburgerGehörlosenschule,in:DasZeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheund KommunikationGehörloser30(1994),S.474–477.

845

 InformationsveranstaltungzumbilingualenSchulversucham2.3.1995imPädagogischen InstitutderUniversitätHamburg.WährendderDiskussionsrundekameswiederzuheftigen AuseinandersetzungenzwischendenGegnerndesSchulversuchsunddenBefürwortern,die sichvorallemgegendenAngriffwehren,dassdieKinder,diebilingualunterrichtetwerden, keineLautsprachelernenwürden.HiersollteklarunterschiedenwerdenzwischenLautspra cheundSchriftsprache.NichtdasperfekteSprechen,sonderndasperfekteBeherrschender DGSundderdeutschenSchriftsprachesollteZielsein.EinblickindenUnterrichtgibtauch derArtikelvonRafaelPilsczek,DenLöwenjagen,in:DieWocheNr.17vom21.4.1995. 846

 KlausB.Günther,BilingualerUnterrichtmitgehörlosenGrundschülern.Zwischenbericht zumHamburgerbilingualenSchulversuch,Hamburg1999.

847

 Folge1134derSendung„SehenstattHören“am26.5.2003,http://www.taubenschlag.de/ ssh/1134.htm,abgerufenam15.9.2007.

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genab.LehrerundElternwarenüberzeugtvomErfolgderganzheitlichen FörderungihrergehörlosenKinder,dieeinweitgehendfürGrundschüler normalesUnterrichtsangebotinallenschulischenLernundLeistungsbe reichenrealisierthatten,dazueinealtersgemäßeBildungundKommunika tionsentwicklung.849DasErgebniswarsopositiv–vierderzehngehörlosen KinderwechseltenaufdiegymnasialeKollegstufefürHörgeschädigtein Essen,diegesamteKlasseschnittbeidenHamburgerVergleichsarbeiten mithörendenVergleichsklassenungewöhnlichgutab–,850dassdieLehrer konferenzderHamburgerGehörlosenschulebeschloss,dassdasbilinguale ModellzumRegelmodellgemachtwerdensollte.851 4. 5. 5 Sc hu lkinde rga r t en u nd Son der ta g es hei m MitderEinrichtungeineseigenenSpielzimmersimJahr1915undderAn stellungeinerFröbelKindergärtnerinfürdiejüngstengehörlosenKinder wurdedasFundamentfüreinenKindergarteninderTaubstummenanstalt geschaffen.Gemeinsamwurdegespielt,aberauchschonmitderSprachför derungbegonnen,umdenjüngstengehörlosenKinderndenWegaufdie Taubstummenschulezuerleichtern.ImJanuar1919wurdedieOberschul behördevomLehrkörperderTaubstummenschuleundvonderHeilpäd agogischenVereinigunggebeten,offizielleinenKindergartenfürgehörlose Kindereinrichtenzukönnen,umdieseschulreifzumachen,Sprachrestezu pflegenundumeinSprachfundamentschaffenzukönnen,welchesden ÜbergangaufdieSchuleerleichternsollte.852 DieseAnregungwurdevom zuständigenSchulratsofortaufgenommenundnochimOktoberdesselben Jahresverwirklicht.853DieKinderwurdenzunächstdurcheineKindergärt

848

KlausB.Günther,BilingualeErziehungalsFörderkonzeptfürgehörloseSchülerInnen.Ab schlussberichtzumHamburgerBilingualenSchulversuch,Hamburg2004.

849

Günther,Zwischenbericht,S.177und179.

850

VortragvonKlausB.GüntheraufdemDeafHistoryKongressinBerlin2006.

851

 Folge  1134  der  Sendung  „Sehen  statt  Hören“  am  26.5.2003, http://www.taubenschlag.de/ ssh/1134.htm,abgerufenam15.9.2007.

852 853

StAHbg,3612VOSBV,499g,DanckertanSchulratProf.Dr.KarlUmlauf20.1.1919.

Ebd.,SchulratUmlaufanDanckert31.1.1919undStAHbg,3612VOSBV,499f,Danckert anSchulratUmlauf2.3.1920.

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nerin,späterauchdurcheinenGehörlosenlehrerlautsprachlichgefördert undindenSchulbetriebeingewöhnt.854

Abbildung 48: Kindergartenkinder und untere Schulklassen mit Alfred Schär, Käthe Reinmann, Franz Brix und Wilhelm Behrens, circa 1926

DieersteKindergarteneinrichtunghattenochSchwierigkeiten,genügend Kinderzusammenzubekommen.ErstMitteder1920erJahrekonnteder Schulkindergarten,derenErzieherinnendurchdieSchulbehördeeingestellt wurden,sichetablieren.855

854

Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.62.

855

 StA Hbg,  3612  V  OSB  V,  499  a  Band  2,  laut  Vermerk  von  Oberschulrat  Götze vom 18.11.1922warderKindergartenbereitsgeschlossenworden,lautJahresberichtderAnstalt ausdemJahr1926/27lebtedieserdannwiederauf.

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Abbildung 49: Kindergartengruppe mit Kindergärtnerin Agathe Günther (rechts), 1951

NachdemdieFrühbetreuungvongehörlosenKindern1943durchdieZer störungderSchuleundsomitauchdesersteninHamburgbestehenden KindergartensfürgehörloseKinderzwangsweisegeruhthatte,wurdeim August  1951  der  Gehörlosenschule  wieder  ein  Kindergarten  angeglie dert.856 ObwohldiesereineVorstufezurSchulewar,wurdeer–wiealle anderenHamburgerKindergärten–alsEinrichtungderJugendbehörde unterstellt.EineJugendleiterinundeineKindergärtnerinbetreutendieKin der.FürdieälterenKindergartenkinder,diebaldzurSchulekommensoll ten,kamjedenTagfüreineStundeeineLehrkraftausderGehörlosenschu le,umsiegesondertdurchsprachlicheÜbungenaufdenSchulunterricht vorzubereiten.1960wurden20KinderimKindergartenbetreut,wosiewei terhinnichtnurspielenundsozialeKontakteknüpfensollten,sondernauch „sprachlicheÜbungenineinerlockerenAtmosphäre“vermitteltbekamen. 856

 EingerichtetwurdedasHamburgerSonderkindertagesheimdurchAgatheGünther(geb. 1907).FolgendeAngabenzumKindergartensindentnommen:AgatheGünther,Sprachanbil dungimGehörlosenKindergarten,in:Wulff,Schüler,S.91–95.

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DieKinderwurdendaraufvorbereitet,SprachevomMundablesenzu können:EinZielderErzieherinnenwar,dieKinderzu„optischerAufmerk samkeit“zubringen.UmLippenlesenzukönnen,isteinegroßeKonzentra tionsundKombinationsfähigkeitnötig–unddennochkönnen,dasseihier bemerkt,vondendeutschenLautennurcirca15ProzentamLippenbilder kanntwerden.857DendarausresultierendenLückentextkönnenHörgeschä digtenurdurchvielErfahrungauffüllen–aufdieseWeisekönnenbiszu30 ProzenteinesTextesvondenLippenabgelesenwerden. Demgehörlosen Kindsollteinden1960erJahrenschonimKindergartenalterdurch„sprech technischeLockerungs,AtemundBlasübungen“dieeigeneStimmebe wusstgemachtwerden.JedesKindlegteseineeigeneFibelan,inderder individuelle  Wortschatz  bebildert  dargestellt  wurde.  Der  Kindergarten wolltesoeineSprechfreudigkeiterreichenunddieKindervondergewohn ten  Verständigung  durch  die  Gebärde  abbringen.  Kinder  mit  Hörresten wurdengesondertgefördert. SolangederKindergarteninderSchuleBurgstraßeuntergebrachtwar, herrschteRaumnot.Ende1965wareineErweiterungdesKindergartensun umgänglich  geworden.  Es  mussten  sechs  Kinder  zurückgestellt  werden, denn  viele  so  genannte  „ConterganKinder“  waren  auch  hörgeschädigt undkamenjetztindasKindergartenalter.858IndiesemJahrwurdeauchein Gehörlosenlehrereingestellt,deralsFrühspracherzieherzuden(hörenden) ElterngehörloserKindernachHausekam.1969zogdasSondertagesheim schließlichineinen Holzpavillon auf dasGeländederSamuelHeinicke Schule.  Somit  war  das  Sonderkindertagesheim  wieder  mit  der  Schule räumlichvereint.859Ab1.August1972erhieltderSchulkindergarteneinei genesfestesGebäudeinFormzweierSchulpavillonsaufdemerweiterten 857

 EineinteressanteWebseitevonderschwerhörigenIngridAdlkoferverdeutlichtdieÄhn lichkeitvonMundbildernundthematisiertmultimedialdieBedeutungeinerHörschädigung: http://www.typolis.de/hear/hear.htm(abgerufenam15.9.2007).

858

StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchule,Mappe26(Ablieferungsverzeichnis),Protokoll einerSitzungvonElternratsvertretern,ElfriedeBlasius(Kindergarten)undFrauSplieht(Ver einigungHamburgerKindertagesheimeundKindergärten)am17.12.1965.InHamburgund Umgebungwurden39,inganzDeutschlandca.800durchdasinderSchwangerschaftdurch dieMuttereingenommeneMedikamentContergankörperundhörgeschädigte Kinderge zählt(ebd.,ReferatWalterEckelaufdem1.InternationalenKongreßderElternhörgeschädig terKinderinKöln19.6.1965).

859

StAHbg,3612VIOSBVI,Abl.1995/1,1126,SchulleiterHelmutStühmeyeranBehördefür Schule,JugendundBerufsbildung24.4.1974.

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GeländederSchuleinWandsbek.IndiesenzweitenKindergartenkamendie schulpflichtigen,  vom  Schulbesuch  zurückgestellten  Kinder  ab  sechs Jah ren,860währenddiekleinenKinderdasSonderkindertagesheimbesuchten. DieElternderKinderfandenimKindergartenzudemHilfeundRatbei erzieherischenundanderenpraktischenFragen.DasvomAmtfürSchule betreuteSonderkindertagesheim,welchesvoneinerSozialpädagogingelei tetwird,istorganisatorischnichtderSamuelHeinickeSchuleangegliedert. DieErzieherinnenhabendieAufgabe,diedreibissechsjährigenKinderzu sozialisierenunddieSprachanbahnungzufördern.VorallemdieSozialisa tionderKinderistdemKindergartenwichtig:EingehörlosesKindsollein einerhörendenWeltnichtzumAußenseiterwerden,weilesdiesozialen Rollennichtdurchschaue,wennessichalleinaufdiesprechendePerson konzentriere.Dasheißt,dassdasKindnuretwasmitbekomme,wennesdi rektangesprochenwerde.DasganzeUmfeldbleibeihmfremd.Schlechte SprachbeherrschungführedirektzufalschodernichtverstandenenInhal tenundInformationen.ZudemhabenKindermitHörbehinderungdiverse SchwierigkeitenmitderAussprache–sieredenzulaut,zuleise,nichtbe tont.SowerdensievonunwissendenHörendennichtverstandenundnur zuoftfürgeistigbehindertgehalten.SchließlichmussdieLautsprachewie eineFremdsprachemitallihrenVokabelngelerntwerden,sieistkeinNe benprodukt  wie  bei  aufwachsenden  hörenden  Kindern.  Schwerhörigkeit oderTaubheitgehörtdamitzudenverstecktenBehinderungen.Einsolches Kindfälltnichtsofortauf.OftwerdenhörbehinderteKinderinUnkenntnis ihrerwahrenBehinderungalslernoderkonzentrationsschwachodergar alsverhaltensgestörtbezeichnet.SowaresderFrühförderungstetswichtig, dassderwahreGrundeinesVerhaltenserkanntwird.DiePädoaudiologi scheBeratungsstellearbeiteteengmitHNOÄrzten,Mütterberatungsstel len  und  Gesundheitsämtern  zusammen,  so  dass  gehörlose  Kinder  mög lichstfrüherkanntundsogleichbetontlautsprachlichgefördertwurden, zumBeispielmitHörgerätenfürSäuglinge. Dassogenannte„HamburgerModell“, indemnochnichtschulreife, aberschulpflichtigeKinderimSchulkindergartenuntergebrachtunddort ihrenMöglichkeitenentsprechenddurchErzieherinnenundLehrkräfteder Schulegefördertwurden,sodassderspätereKlassenlehrerunddieKinder 860 BerichtvonHelmutStühmeyer,DieSamuelHeinickeSchuleinHamburg.EineSchulefür Gehörloseheute,in:HammerReport,SondernummerzumRathausfestJuni1980,S.10f.

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sichaneinandergewöhnenkonnten,existiertebisAnfangder1980erJahre. Dannliefesaus,daesnichtmehrgenugKindergab,dienichtdirekteinge schult  werden  konnten.861 So  eine  Vorklasse  wurde  in  späteren  Jahren durchausvonderSchulleitungwiederfürsinnvollerachtet–dochwardie Zusammenarbeit  mit  dem  Sondertagesheim  trotz  der  räumlichen  Nähe zeitweisenichtsehreng862–denndortwurde,wiebeschrieben,dieGebär densprachefrüheralsanderSchulewiedereingesetzt.Heutewerdendie KinderimSonderkindertagesheiminZusammenarbeitmitdemZentrum fürDeutscheGebärdenspracheinderDGSunterrichtet,undsofindeteine FrühförderunginHinblickaufSprachanbahnungundinHinblickaufdie EinschulungnichtmehrindemMaßewiefrüherstatt.EineweitereEin richtungzurBeratungvonElterngehörloserKinderhatHamburgmitdem „BeratungszentrumSehen,Hören,Bewegen,Sprechen“,derTeilderBehörde für  Soziales,  Familie,  Gesundheit  und  Verbraucherschutz  ist.  Eine  El ternberatungfindetauchinderAbteilungIIIderSchulefürHörgeschädigte, „Frühförderung,  pädagogische  Audiologie,  Unterstützung  Hörgeschä digterinallgemeinenSchulen“,dieräumlichinderehemaligenSchwerhö rigenschuleuntergebrachtist,statt. InderKindertagesstätte,inderheutezwölfgehörloseund20hörende KinderimKindergartenalterbetreutwerden,lernenhörgeschädigteKin der,derenElternsichzumTeilerstsehrspätmitderendgültigenDiagnose „Taubheit“  arrangiert  hatten,  zu  kommunizieren:  Hier  lernen  sie  laut sprachbegleitendeGebärdenundDeutscheGebärdensprache.Diegehörlo sen  Mitarbeiterinnen  gebärden,  die  hörenden  Mitarbeiterinnen  sprechen LautspracheundunterstützendiesedurchbegleitendeGebärden863.Dabei könntedurchfrühenEinsatzvonlautsprachbegleitendenGebärden–be reitsimerstenLebensjahr–einefürbeideSeitenanregendeKommunika tionzwischenElternundKindbeginnen.

861

StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Ordner47„Elternarbeit“(Ablie ferungsverzeichnis),ProtokollElternratvom10.6.1982.

862

GesprächmitSchulleiterGeorgMännicham10.10.1994.

863

SandraWilsdorf,RedenkostetKraft,in:tazhamburgvom4.1.2000,S.23.

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4. 5. 6 D er Gr un d - und Haup ts ch u lz ug IndenvierJahrenderGrundschulelernengehörloseKinderindenNorm klassenderSamuelHeinickeSchuledieSprachederHörendenkennen.864 DieSprachemusswieeineFremdsprachegelerntwerden,jedesWortmuss inseinerBedeutungerläutertwerden.Indenklassischlautsprachlichorien tiertenKlassenwirdeinemanderenAnsatzalsinderbilingualenKlassege folgt:  Integration  wird gefordert.  Um integriert zu werden,  um mit den meisten  Menschen  in  der  Umgebung  kommunizieren  zu  können,  muss auchderGehörlosedieLautsprachebeherrschen,dennnurwenigHören dekennenkommunikativeHilfsmittelwieFingeralphabet,Gebärdeoder lautsprachbegleitende  Gebärde. Also  muss  das  Kind  lernen,  sich selbst sprachlichäußernzukönnenunddemGesprächspartnerdieWorte„von denLippen“abzulesen,wennesnichtnurinderisoliertenGemeinschaft derGehörlosenlebenwill.ErstmussdasKinddieGrundlagenderübli chenKommunikationbeherrschen,sodiePädagogen,eheesSachthemen imUnterrichtfolgenkann.InderSchulewirdjederHörrestdurchHörge räteverstärkt.Dabeiwerden in dieGehörlosenschule nursolche Kinder eingeschult,dieselbstmitHörgeräteinegesprocheneUnterhaltungnicht verstehen,dasHörgeräthatsomitnurunterstützendeWirkung.Auchder Schall,derdurchdieSpracheentsteht,wirdgenutztundinVibrationen umgesetzt,umsodenKindernzuhelfenundWortefühlbarzumachen. Mit  Hilfe  verschiedener  optischer  und  technischer  Hilfsmittel  sollen  ge sprocheneWortekontrollierbarerunderkennbarerwerden.InderGrund schule  muss  jedes  Wort  inhaltlich  erklärt  werden,  denn  lautsprachliche WortefürDingederUmweltsindzuerstnichtgefördertengehörlosenKin dernnichtbekannt.Diesheißtauch,dasseingelesenerTextnichtunbe dingt  verstanden  ist,  wenn  die  lautsprachliche  Bezeichnung  der  Worte nichtgelerntwordenist.DieerstenKlassenderSchulesollenalsoden„na türlichenSpracherwerbnachahmen“,eheinhaltlicherUnterrichtgegeben werdenkann.SolerntdasKindWorte,InhalteundSatzstrukturenkennen. AuchUmgangssprachewirdhierWortfürWorterlernt –mitdemZiel, einensprechendenHörendenzuverstehen.DiegesamtenerstensechsJah 864

 DiefolgendenKapitelüberdieHaupt,RealundBerufsschuleanderSamuelHeinicke Schulefolgen,wennnichtandersangegeben,Dierks/Fester/Männich/Fahs,Bildungschan cen.ZumbilingualenSchulzugvgl.Kapitel4.5.4.3.

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re(vierJahreGrundschule,zweiJahreBeobachtungsstufe)anderGehörlo senschulewidmensichdieserGrundlage.IndenerstenvierJahreninder Grundschule,inderSprachaufbau,AbsehenundSprechenmitHilfeder lautsprachbegleitendenGebärdengelehrtwird,desWeiterenLesen,Schrei ben,RechnenundderersteSachunterrichtgegebenwird,wirddieKlasse inderHauptsachevoneinemeinzigenKlassenlehrerunterrichtet.Indiesen JahrenmachendieKinderauchklassenweiseKuren,ehesieindieBeob achtungsstufekommen.HierwirdderSprachaufbaugefestigt,undMathe matik  sowie  von  Fachlehrkräften  Sachkunde  unterrichtet.  In  der  7.  bis 9.KlassederHauptschulehabendieSchülerundSchülerinnenKernunter richt,diedenInhaltendesHauptschulabschlussesentsprechen.DesWeite ren  können sie aus verschiedenen  Wahl  und  Wahlpflichtkursen weitere Unterrichtsfächerwählen.MeistwirdzumErreichendesAbschlussesnoch einfreiwilliges10.Schuljahrbenötigt,welcheszuOstern1961erstmalsein gerichtetwurde.WährendderSchulzeitabsolvierendieJugendlichenPrak tikazurBerufsfindung.HeutewirdzudemderbilingualeAnsatzabKlas se1eingesetzt. 4. 5. 7 Der Rea ls chulz ug InHamburgwurde–wieberichtet–1960mitderBegabtenförderungbe gonnen,alsneunSchülerinnenundSchülerausdenVolksschulklassen7 und8ausgewähltwurdenundindieneueAufbauklasseA7kamen.Die zweite Aufbauklasse  wurde  1962  eingerichtet.  Diesmal  waren  nicht  nur SchülerinnenundSchülerausHamburg,sondernbereitsausdemganzen Bundesgebietdabei.InderFolgezeitwurdejedesJahreineMittelschulklas seeingerichtet,diesichjeweilsausSchülerinnenundSchülernausBerlin, Bremen,Hamburg,NiedersachsenundSchleswigHolsteinzusammensetz te.865 1965konntengehörloseSchulabsolventenvordemDezernentender SchulbehördedieerstemündlichePrüfungfürdieMittlereReifeablegen. DerenErgebnissewarensogut,dassderRealschulzug(R7bisR10)abOs tern1965zueinerfestenEinrichtungwurde.Hamburghattedamitnach Dortmund  die  zweite  Gehörlosenschule  in  der  Bundesrepublik,  die  ihre SchülerinnenundSchülerbiszurMittlerenReifeführte.DieseEinrichtung konntebisheute,obwohlesinzwischenanmehrerennorddeutschenGe 865

EmpfehlungderKultusministerKonferenzvom5.10.1973.

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hörlosenschulenRealschulzügegibt,erhaltenbleiben.InderEingangsklas se,derR7,wirdalsFremdspracheEnglischaufgenommen.DieRichtlinien fürdenUnterrichtfolgendenenderRealschulederHörenden.Auchhier gibtesheuteeinfreiwilliges11.und12.Schuljahr,undeswerdenmehrere dreibisvierwöchigeBerufspraktikadurchgeführt. AnregungenzurErrichtungeinesMittelschulzugesgabinden1950er JahrendieArbeitsgemeinschaftderDeutschenLandesfürsorgeverbände.866 DieGehörlosenschulenwarensicheinig,dassauchgehörloseKinderdas Recht  auf  eine  höhere  Bildung  hätten.  Allerdings  hielten  viele  Schul direktorendasAbiturfürGehörlosenichterreichbar,denMittelschulab schluss  machbar.867 Die  norddeutschen  Schulen  wollten  in  dieser  Frage zusammenarbeiten.AufAnregungHamburgsgründetensieeineInteres sengemeinschaft,wobeiHamburgalsZentralefungierensollte.Wenndie Hamburger Gehörlosenschuleeinen Neubauerhielte, wolltenNiedersach sen, SchleswigHolstein,HamburgundBremenihrebegabtengehörlosen Schüler  alljährlich  zur  Bildung  einer  Mittelschulklasse  nach  Hamburg schicken.868 DieIdeezuhöhererBildungfürGehörlosewarnichtneu.DerPreußi scheMinisterfürWissenschaft,ErziehungundVolksbildunghattebereits ineinemErlassvom30.August1923AnregungendesBundesDeutscher TaubstummenlehrerundderGehörlosenverbändeaufgenommenunddie seunterdemMotto„WeiterbildungbesondersbegabterTaubstummer“an dieProvinzialschulkollegienweitergegeben.869EineMittelschulklassesollte versuchsweiseeingerichtetwerden,indiedieLänder–unterGarantieder 866

StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Mappe28„Mittelschulzug“(Ab lieferungsverzeichnis),  Direktor  der  Landesgehörlosenschule  Schleswig,  Gustav  Heidbrede, an  Landeswohlfahrtsamt  SchleswigHolstein  4.10.1957;  und  ebd.,  Maeße an  Schulbehörde 4.12.1958,Bl.1.

867

Ebd.;SchulleiterMaeßegehörtezunächstzudenen,diezweifelten.ErrietalsSprecherdes LehrkörpersderHamburgerGehörlosenschulevonderGründungeinerhöherenSchuleab (ebd.,MaeßeanSozialbehörde18.11.1957).

868

 Ebd.,  Wilhelm  Heitefuß,  Direktor  der  Niedersächsischen  Taubstummenanstalt  Braun schweiganMaeße2.1.1958undHeidbredeanMaeße2.12.1957.

869

 HierundimFolgendennachdemBerichtHeidbredesin:StAHbg,36210/3SamuelHei nickeSchulefürGehörlose,Mappe28„Mittelschulzug“(Ablieferungsverzeichnis),Heidbrede anLandeswohlfahrtsamtSchleswigHolstein4.10.1957;GeorgRammel,Untersuchungenüber dieBegabtenförderungbeiTaubstummen,in:XX.TagungdesBundesDeutscherTaubstum menlehrer  zu  Dortmund,  Bericht  erstattet  vom  geschäftsführenden Ausschuß  des  Bundes DeutscherTaubstummenlehrer,Dortmund1961,S.160–168.

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Pflegekosten  –  geeignete  Schüler  schickten,  die  bereits  eine  mindestens sechsjährigeAusbildunghintersich,undnochvierJahreSchulunterrichtin Berlinvorsichhatten.DieserVersuchsolltezeigen,obeinesolcheSchule fürbegabteGehörlosesichlohnenwürde.Ostern1927wurdedieersteAuf bauklasse  in  der  staatlichen  Taubstummenanstalt  BerlinNeukölln  eröff net.870 Aus  Hamburg  waren  keine  Schüler  dabei.  Ostern  1928  kam  eine zweiteKlassehinzu.1931konntenschließlichvonzehnSchülernderersten AufbauklassesiebendiemittlereReifeerwerben,einJahrspäterbestanden dreivonfünfSchülernderzweitenKlassediePrüfung.ObwohlbeideAb schlussprüfungenindenLeistungsergebnissengenausogutwarenwiedie derhörendenSchüler,wurdenkeineweiterenKlasseneingerichtet.Eska menausdenSchulendereinzelnenLänderzuwenigeMeldungengeeigne terSchüler.DerPreußischeMinisterwarzwarweiterbereitzueinerdauer haften  Einrichtung,  sollte  „ein  dauerndes  Bedürfnis  vorhanden  sein“,871 doch  nicht  zuletzt  wegen  der  angespannten  wirtschaftlichen  und  politi schenLagederZeitwurdedieMittelschulideenichtweitergeführt.Erstin den1950erJahrenkamen–wieobenberichtet–ausNorddeutschlandwie derAnregungenfüreinengemeinsamenMittelschulzug.DieElternräteder Gehörlosenschulen  wurden  eingeschaltet,  warben  für  die  höhere  Aus bildungGehörloserundnahmenKontaktzuinteressiertenElternauf. 872 ZuvorhattederElternratderHamburgerGehörlosenschuleaufeinerge meinsamenSitzungmitdenKlassenelternvertreternam27.November1958 einstimmigdenSchulleiterbeauftragt,beiderSchulbehördedieEinrich tungeinesMittelschulzugeszubeantragen,wasdieseraucham4.Dezember 1958mitderBitteumbaldigeVerhandlungsaufnahmemitdenumliegenden norddeutschenLänderntat.873 AußerdemstellteDirektorMaeße durchdie neugegründeteGesellschaftzurFörderungderGehörloseninHamburgmit EinverständnisdesLandesschulratsErnstMatthewes(1901–1983)andenDi rektor der Niedersächsischen Landestaubstummenanstalt Osnabrück, Wil helmSchnegelsberg,inseinerFunktionalsstellvertretenderVorsitzenderdes „RehaAusschusses“  des  Bundesministers  für  Arbeit  und  Sozialordnung einenAntrag,dassHamburgalspassendeStadtfürdiezuerrichtendeüber 870

Erlassvom11.3.1927,nach:Heidbrede,ebd.

871

Erlassvom2.6.1930,nach:Heidbrede,ebd.

872

Ebd.,u.a.RundschreibendesHamburgerElternrats30.12.1957und6.3.1958.

873

Ebd.,MaeßeanSchulbehörde4.12.1958,Bl.2.

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regionaleMittelschulefürGehörloseberücksichtigtwerde.874 Diese„Reha Ausschuss“genannteArbeitsgemeinschaftprüftedieMöglichkeitenundBe dürfnissefürhöhereSchulenfürGehörlose.Maeße konntebeiderEinrich tungeinesRealschulzugesaufseineArbeitinBerlinzurückgreifen.Erwar bereitsanderBerlinerTaubstummenanstalttätig,alsdortderVersuchmitei ner  höheren  Klasse  durchgeführt  wurde.875 Die  dort gemachte  Erfahrung zeigteMaeße,dassdasEinzugsgebietzueinerEinrichtungfürhöhereBil dungGehörlosergroßseinmusste,daeswenigesoweitgefördertegehörlo seSchülerinnenundSchülergab,diedasKlassenzielerreichenkönnten,dass andererseitsKlassensehrwohlmitEnglischalsFremdsprachezurMittel schulreifegeführtwerdenkönnten.InzwischenwarinDortmundeinerster MittelschulzugfürNordrheinWestfalenimAufbau,alsBesprechungenun teranderemmitdemLandeswohlfahrtsamtSchleswigHolsteinzurErrich tungdererstenBegabtenförderklasse(Aufbauklasse7)inZusammenarbeit mitderSchleswigerTaubstummenanstaltzuOstern1960inHamburgführ ten.876DainderHansestadtkeinInternatsbaubestand,wurdenfürdieaus wärtigenKindersechsPlätzeimKinderheimHornerWegbereitgestellt, spätermusstendieKinderinverschiedenenHeimenuntergebrachtwer den.877 JedesJahrwurdennunKinderindieBegabtenklasseaufgenommen.Am Ende  stand  für  die  Schülerinnen  und  Schüler  die  Mittelschulprüfung.878 Englisch  war  kein  Pflichtfach,  da  es  sowohl  den  „vollen  Mittelschulab schluss“mitFremdsprachegab,aberaucheinTeilabschlussmöglichwar. 874

Ebd.,MaeßeanSchnegelsberg12.1.1959.

875

Ebd.,MaeßeanSozialbehörde,Arbeitsfürsorge,o.D.[ca.Ende1958].

876

 Ebd.,RundbriefvonMaeßeandienorddeutschenTaubstummenanstalten18.1.1960.Die SchwerhörigenschulehatteseitOstern1957einenMittelschulzugimAufbau. 877 Ebd.,RundschreibenMaeßeandienorddeutschenTaubstummenanstalten18.1.1960;ebd., Maeße anTaubstummenOberlehrerFerdinandSattler inNürnberg28.10.1965.1967wurden dieMädchenimWohnheimdesevangelischenLandesverbandesfürdieweiblicheJugend,die JungenimRauhenHausuntergebracht(ebd.,Mappe31„Mittelschule“[Ablieferungsverzeich nis],HildegardHiort,UnterbringungvonauswärtigenRealschülernderHamburgerSamuel HeinickeSchule12.10.1967). 878

NichtjedesLandsaheinePrüfungalsnotwendigan,soführtedieLandesgehörlosenschule inDortmunddieAbschlussprüfungnur„auspsychologischenGründen“durch.IndenAb schlusszeugnissenstandderVermerk:„HatdasZielderAufbauabteilungerreicht,esistdem derRealschulealsgleichwertiganzusehen“(ebd.,Mappe28„Mittelschulzug“[Ablieferungs verzeichnis],  Dr.  Schmähl,  Direktor  der  Landesgehörlosenschule  Dortmund,  an  Maeße 24.9.1963).

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IndiesemFallwarderMittelschulabschlussnurindengewähltenFächern erlangt.879 Unterrichtssprache  war  allein  die  Lautsprache,  so  wurde  der Sachunterricht  „auf  das  Wesentliche“  beschränkt,  da  Lehrkräfte  davon überzeugtwaren,dass„derSprachaufundausbauimVordergrundste henmuss“.880

Abbildung 50: Abschlussprüfung der ersten Realschulklasse an der Hamburger Gehörlosenschule, März 1965

DendreiSchülerinnenundsechsSchülernder11.AufbauklasseinHam burgwurde1965vomDezernentenderSchulbehördediemündlichePrü 879

Ebd.,MaeßeanBayerischesStaatsministeriumfürUnterrichtundKultus26.11.1965,Bl.2.

880

Ebd.,Bl.1.DerfürdieErrichtungeinerBayrischenMittelschulefürGehörlosebeauftragte LehrerFerdinandSattlerhatteausdenUSAgehört,dassdortmehrereKommunikationsmit tel,vorallemaberdieGebärdeimUnterrichteingesetztwerdeunddamitsehrhilfreichzur Wissensvermittlungbeitrug.Erwolltenunwissen,wasHamburgvondieserMethodehielt (ebd.,SattleranMaeße 9.11.1965).IneinerAntwortandasBayerischeStaatsministeriumfür UnterrichtundKultusvom26.11.1965warbMaeßedeutlichfürdieLautsprache.

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fungfürdieMittlereReifeabgenommen.SechsvonihnenhattenEnglisch alsWahlfachgenommen.DiemündlichenundschriftlichenPrüfungener brachteneinsogutesErgebnis,dassdieSchuledieGenehmigungerhielt, abOsterneinenRealschulzug(R7bisR10)einzurichten. HamburgergehörloseKinder,dieeinegymnasialeOberstufebesuchen möchten,habenheutedieseMöglichkeitaufderKollegstufeanderBerufs fachschuleinEssen.InDeutschlandgibtesnurnochinMünchenundin WaldkirchStegen,einemInternatamRhein,dieMöglichkeitzumAbitur.881 4 . 5. 8 D ie K la s s e n fü r m e h r fac hb eh i nd er t e K i nd er IndieGehörlosenschulewerdenauchschulpflichtigeKindereingeschult, die  neben  ihrer  Hörbehinderung  noch  andere  Behinderungen  haben,  so werdenhiergeistigoderkörperbehinderte,blindeoder„verhaltensauffäl lige“  Kinder  unterrichtet.882 Die  Hörbehinderung,  davon  war  auch  der Schulleiter  in  den  1990er  Jahren,  Georg  Männich,  überzeugt,  sei  unter mehrfachbehindertenKinderndiegrößteEinschränkung,dennohneMög lichkeit  der  Kommunikation  könne  mit  diesen  Kindern  nicht  gearbeitet werden,  können  sie  sich  weder  verständigen  noch  verstehen.  Um  diese Kinderrichtigfördernzukönnen,musserstdiegrundlegendeMöglichkeit zur  Kommunikation  an  der  Gehörlosenschule  hergestellt  werden.  Die SchulefindetauchheutebeiKindern,derenHörbehinderungnichtunbe dingtfeststeht,einenWegderKommunikation.Sieerreicht,dassdasKind entwederanfängtzusprechen–oderzugebärden.SomitwirdanderSchu leeineersteKommunikationsundBildungsmaßnahmegeschaffen. Endeder1980erJahrenhäuftensichdieKlassenfürmehrfachbehinderte Kinder  im  Vergleich  zur  gesamten  Schülerschaft  der  SamuelHeinicke Schule:1983gabesanderSchuleneunRealschulklassen,14Grundund HauptschulklassenunddreiKlassenfürmehrfachbehinderteKinder.Zehn JahrespätersahdieRelationandersaus:Esgab1993/94fünfRealschulklas sen,elfGrundundHauptschulklassenundsiebenSonderklassen.Gründe fürdieseVerlagerungderSchulklassensindeinigezunennen.Anfangs 881

 SchwerhörigeJugendlichehabenesindieserHinsichtleichter,denninHamburgbesteht fürsiedieMöglichkeit,amLohmühlenGymnasiumeineIntegrationsklassebiszumAbiturzu besuchen.

882

InformationenzudiesemKapitelvonSchulleiterGeorgMännich(Gesprächam10.10.1994).

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Die staatliche Taubstummenschule

erhieltvorallemderRealschulzugeinenregenZulaufanSchülernaus dem  Hamburger  Umland.  Dann  richteten  Gehörlosenschulen  vermehrt eigeneRealschulklassenein,sodassjedesKindimeigenenLandgeför dertwerdenkonnte.ZudemistdiemedizinischeMöglichkeit,starkbe hinderteKindernachderGeburtzubetreuenundso imGegensatzzu früherenZeitendasLebendesKindeszuretten,verbessertworden.So kameszumehrAnmeldungenmehrfachbehinderterKinder.DieSchüler strukturanderSamuelHeinickeSchulehattesichmitderZeitverändert: 1994  gab  es  insgesamt  99  Kinder  an  der  Schule.  Von  diesen besuchten 29SchülerinnenundSchülersechsRealschulklassen,41Kindergingenin neunGrundundHauptschulklassenund29mehrfachbehinderteKinder wurdeninsiebenspeziellenKlassengefördert.AuchdasBewusstseinder ElternhattesichmitderZeitverändert.Währendfrühermehrfachbehin derteKinderlieberineinemHeimuntergebrachtwurden,lebeninzwi schenvieleKinderbisindasErwachsenenalterbeidenEltern.Hierver suchenStiftungen,Gemeinschaftswohnungeneinzurichtenundandere ArbeitsundFörderstättenzuschaffen,umbehindertenMenscheneine Möglichkeitzuschaffen,ihreigenesLebenzulebenunddenElterndie Sorge  nehmen,  was  mit  ihren  (dann  erwachsenen)  Kindern  geschieht, wennsieeinmalnichtmehrfürsiesorgenkönnen. Inden1990erJahrenkamenauchwiederKinderindieGehörlosenschu le,dieüberlangeJahrehindurcheinfachnichtpräsentwaren,weilbeiih neneinegeistigeBehinderungdiagnostiziertundsieinAnstaltenunterge brachtwurden–wiezumBeispieldiehörstummenKinder.Diesekönnen zwarhören,sprechenabernicht.UmauchmitdiesenKinderneineKom munikationsbasisaufbauenzukönnen,wurdenauchsieindieGehörlosen schuleeingeschult. TaubstummblindeKinder aus demdeutschsprachigen Raum wurden, wenn  das  Geld  dazu  ausreichte,  traditionell  in  das  Oberlinhaus  in  No wawes,einemVorortvonPotsdam,gegeben.Seit1887wurdentaubstumm blinde Personen imdortigen Diakonissenmutterhaus  soweit unterrichtet, dasssiebedingterwerbstätigseinkonnten.AbJuli1906gabesinNowawes das  erste  deutsche  Taubstummenblindenheim  nach  schwedischem  und amerikanischemVorbild.HamburgschickteaberkeineKinderdorthin.883 883

EinKindausAltonaallerdingskamnachNowawes(3.und4.JahresberichtdesdeutschenTaub stummblindenheimszuNowawes,1910,in:StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.RfNo.311Vol.2).

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1908lebtenzweigehörlosestarkschwachsichtigeKinderinderHamburger Blindenanstalt.884Nach1945hattenTaubblindeimwestlichenTeilDeutsch landsnurvon1951bis1961dieMöglichkeitzurAusbildunginderStutt garter  Nikolauspflege.  Während  im  Ostteil  Deutschlands  das  Heim  in Nowawesweiterbestand,gabeslangeZeitkeinesolcheEinrichtungim Westen  Deutschlands  mehr.  Erst  nach  Einrichtung  des  Sonderheims  für taubblindeundblindeKinderinTensbüttel,KreisDithmarschen,konnten taubblindeKinder,diezusätzlichgeistigeBehinderungenhatten,dortUn terkunftundAusbildungerhalten.TaubblindeSchülerinnenundSchüler besuchenheutediefürganzDeutschlandzuständigestaatlichanerkannte privateSchulefürTaubblindeinHannover. 4. 5. 9 Beru fssc h ul e

Abbildung 51: Die Berufsfortbildungsschüler mit Lehrer Fritz Schmidt, circa 1923

Schon  1893  wurde  an  der  Taubstummenanstalt  eine  freiwillige  Fortbil dungsschulefürschulentlasseneGehörlosegegründet.885AnzweiAbenden inderWochekamendieJungenfürjezweiStundenindieSchuleunder 884

StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit,RfNo.311Vol.1,Dr.OttoJosephLohse,Direktordesöffent lichenArmenwesens,  an  Senator  Heinrich Alfred  Michahelles,  Präses  des Armenkollegiums, 30.5.1908.

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hieltendortUnterrichtinSprachübung,AufsatzmitgeschäftlichemInhalt, RechnenundBuchführung.1913wurdedieseFortbildungseinrichtungver staatlicht.886 Siebekam1921eineMädchenabteilungundbildetedieBasis füreinespätereGehörlosenberufsschule. DiegehörlosenLehrlinge,dienochderSchulpflichtunterlagen,beka men  zusammen  mit  den  hörenden  Lehrlingen  an  den  entsprechenden FachgewerbeschulenUnterrichtinZeichnenoderGewerbekunde,während derUnterrichtinDeutsch,RechnenoderBürgerkundevondenLehrernin derTaubstummenanstaltgegebenwurde.887 1932wardieWeiterführungderFortbildungsschulemitderAnsetzung allgemeinerSparmaßnahmenungewissgeworden.DiefünfanderFortbil dungsschulelehrendenLehrkräftearbeitetenseit1931unentgeltlichweiter, damitdiegehörlosenBerufsschülerinnenundschülernichtandiestaatli chenFortbildungsschulengehenmussten,wosiedemUnterrichtnichtfol genkonnten.DieLehrkräftewurdendurchdenAnstaltsvorstandmiteiner kleinenGeldsummeentschädigt.DieskonnteabernurvonkurzerDauersein. Die  Lehrerschaft  forderte  die  gesetzliche  Anerkennung  der  Fortbil dungsschule,dieschonvordergesetzlichenRegelungdesFortbildungs schulwesensgegründetwordenwar.888AuchimSchuljahr1932wurdekein regelmäßiger  Fortbildungsunterricht  an  der  Gehörlosenschule  durch  die Landesschulbehördeeingerichtet,stattdessenwurdevonderBehördemit geteilt,dassdieGehörlosen„mitdemUnterrichtindenBerufsundFach

885

 StaatlichePressestelle,150JahreGehörlosenbildung,S.76;BerichtderTaubstummenAn stalt1895/96,S.2.

886

ImGesetzüberdieFortbildungsschulpflichtvom18.7.1913(AmtsblattderFreienundHan sestadtHamburgNr.110,1913,S.449–452)wurdedieallgemeineFortbildungsschulpflichtfür alleschulentlassenenmännlichenPersonenunter18Jahrenfestgelegt.DasGesetztratinTei lenam1.1.1914inKraft(JürgenBrühns,ErziehungderUngelerntenimSpannungsfeldgesell schaftlicherInteressen.ZurEntstehungundEntwicklungderallgemeinenFortbildungsschule inHamburg1900bis1923,Hausarbeitzur1.StaatsexamensprüfungfürdasLehramtanGym nasien,maschinenschriftlich,Hamburg1982,S.55).DasNachfolgegesetzwurdeam20.10.1919 erlassenundweitetedieseSchulpflichtaufalleschulentlassenenJugendlichenfürdieDauer vondreiJahrennachEndederSchulpflicht,beiLehrverhältnisdarüberhinausbiszudessen Beendigungaus(AmtsblattNr.259,1919,S.1802–1804).Am31.5.1920wurdedieersteallge meineHamburgerFortbildungsschuleeröffnet. 887

So1928(StAHbg,3613SchulwesenPersonalakten,A1375).

888

 StAHbg,3612VIOSBVI,2342,WilhelmBehrens anLandesschulbehörde20.1.1932und TaubstummenschuleanSenatorKrause,PräsesderLandesschulbehörde,20.5.1932.

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schulen  fürlieb  nehmen  [sollten]“.889 Obwohl  Elternrat,  Lehrerschaft  und Anstaltsvorstand„schwereBedenken“dagegenhatten,geschahesso.Die SchulenmusstensichaufdieneuenSchülerinnenundSchülereinstellen,so wiedieGewerbeschuleGVIIfürTischler,MalerundTapezierer,diedie GehörlosenzuerstnuramFachzeichnenteilnehmenließundsiespätermit HilfevonLehrbüchernschriftlichunterrichtete.890

Abbildung 52: Unterricht in der Mädchenfortbildungsschule, 1938

DieMädchenanderStaatlichenallgemeinenBerufsschulefürdieweibliche JugenderhieltennurpraktischenUnterrichtundwurden,soweitdieZeit reichte,weiternebenbeivondenTaubstummenlehrkräftenanderGehörlo senschuleunterrichtet.891ImJanuar1933erklärtensichdieGehörlosenlehr kräfteaufGrunddieserschlechtenLagebereit,auchbeistarkherabge setzterVergütung,diezuerstdurchderAnstaltgezahltwurde,weiterwie zuvorUnterrichtfürdieSchulentlassenenzugeben,Bedingungsolltedie

889

Ebd.,LandesschulbehördeanTaubstummenschule12.4.1932.

890

Ebd.,NotizSchulleiterJohannGrünbergGVII,27.6.1932.

891

Ebd.,SchulleiterinEllaWinkelmannanLandesschulbehörde24.6.1932.

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staatliche Anerkennung dieser  Kurse sein.892 Mitverminderter  Gruppen zahl,dashießwenigerKursenmitmehrTeilnehmern,erteiltedamitdie FortbildungsschuleweiterdenUnterricht,wasderAnstaltalsMaßnahme der  Taubstummenfürsorge  galt,  der  Hauptaufgabe  der  mildtätigen  Stif tung.893 Inden1960erJahrenetabliertensichSammelklassenfürgehörloseLehr lingeeinigerBerufszweige.ImWinterhalbjahr1963/64gabeseinesolche SammelklassefürgehörloseTechnischeZeichnerundDreher,dieteilweise UnterrichtgemeinsammitdenhörendenLehrlingen,teilweiseSonderun terrichtdurchLehrkräftederGehörlosenschuleerhielten.894Die33männli chen  und  elf  weiblichen  berufsschulpflichtigen  Gehörlosen  in  Hamburg wurden  1965  vorwiegend  in  eigenen  Berufsschulklassen  an  der  Samuel HeinickeSchuleunterrichtet, es gabmehreregehörloseBerufsschüleran der  Gewerbeschule  für  Kraftfahrzeug  und  Flugzeugtechnik  und  an  der GewerbeschulefürMechanikundElektrotechnik,diezuKleinklassenzu sammengefasst  wurden.895 In  diesem  Jahr  wurde  durch  die  Anregung Hamburgs  die  Einrichtung zentraler Gehörlosenberufsschulen diskutiert, aberwegender„GefahrzustarkerIsoliertheit“schließlichnurdieEinrich tunggehörloserBerufsschulklassenverwandterBerufeinBerufsschulenfür Hörendeangestrebt.896AbHerbst1967gabesdanninHamburgdenersten zentralisiertenBerufsfachschulunterrichtineinerreinenGehörlosenklasse fürDreherundimTextilgewerbe.897DochbliebinderFolgedieBerufsaus bildungSachedereinzelnenLänder.VomAngebotHamburgsaufEinrich tungeinerbundesweitenbesonderenAusbildungfürgehörloseJugendli cheanderStaatlichenBerufsfachschulefürTechnischesZeichnenwurde 892

 Ebd.,Jankowski anLandesschulbehörde18.10.1932undTaubstummenanstaltanBehörde 24.5.1933.

893

HamburgerTageblattNr.147vom3.6.1937.

894

StAHbg,3624/6GewerbeschuleKraftfahrzeugtechnik,Abl.2002/1,MappeGehörlose.

895

 SowurdenJungarbeiter,alsoberufsschulpflichtigeJugendlicheohneLehrvertrag,ander SamuelHeinickeSchuleunterrichtet.DieSchulewaraußerdemfüralleallgemeinbildenden FächerderLehrlingezuständig(StAHbg,3612VIOSBVI,2539,Bl.13f.:Schulbehördean KMK17.9.1965). 896

Ebd.,Bl.14.

897

 Ebd.,HermannWegbrod (GesellschaftzurFörderungderGehörlosen)anLandesschulrat Ernst  Matthewes,  o.  D.,  eingegangen  am  10.1.1967  und  Notiz  Oberschulrat  Rellensmann 14.3.1968.

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keinGebrauchgemacht,auchnichtvonspeziellenKursenfürGewerbe lehrkräfteinGehörlosenpädagogik.898 VielederLehrer,dieanderTaubstummenschuletätigwaren,unterrich tetenauchanderBerufsschule.AndennachBerufszweigenaufgeteilten berufsbildendenSchulenHamburgsgabenGehörlosenlehrervierWochen stunden  allgemeinbildenden  Unterricht,  während  der  mindestens  zwei WochenstundenumfassendeberufsbezogeneSonderunterrichtindenBe rufsschulen  von  den  dortigen  Gewerbeschullehrkräften  abgehalten  wur de.899 TrotzdemempfahlHamburgweiterhineineZentralberufsschulezu mindestfürdasnorddeutscheGebiet,fürdiedieHansestadtderrichtige Ortsei.DaaberdieumliegendenLänderdieseAktionnichtfinanziellun terstütztenundzudemeigeneEinrichtungennichtverlierenwollten,wur deeinesolcheZentralisierungnichtrealisiert.900 1979konntenRealundHauptschüler,diekeineLehrstellebekamen,in den  Berufsbildungswerken  in  Husum,  Nürnberg  oder  München  oder  in den  Berufsfachschulen in  Hamburg, Heidelberg  oder  Essen eineAusbil dungerhalten.DiesePlätzevermitteltedieBundesanstaltfürArbeit.Das ArbeitsamtübernahmdieKosten.901 InHamburgwurdederBerufsschul unterrichtsogeregelt,dassJugendlichemiteinemAusbildungsvertragan denBerufsschulenfürHörendeoderanderRheinischWestfälischenBe rufsschulefürHörgeschädigteinEssenBlockunterrichterhielten.Jugendli che mit einemArbeitsvertragerhielten allgemeinbildendenUnterrichtin denBerufsschulklassenderSamuelHeinickeSchule.ImJahr2000wurde esdurchdengezieltenEinsatzvonGebärdensprachdolmetschernmöglich, auchinHamburggehörlosenJugendlichenBerufsschulunterrichtandenje weilszuständigenberuflichenSchulenanzubieten.902

898

StAHbg,3612VIOSBVI,6101,Ergebnisprotokollüberdie4.SitzungdesArbeitsausschusses „NeuordnungdesBerufsschulunterrichtsfürGehörloseinNordDeutschland“am1.12.1969in Hamburg.HamburgwarauchIdeenundGastgeberdererstenKonferenzdiesesAusschus ses. 899

StAHbg,3612VIOSBVI,Abl.1995/1,1126,Aufstellungvom15.10.1973.

900

Ebd.undVermerkvom16.2.1972.

901

Dierks/Fester/Männich/Fahs,Bildungschancen,unpaginiert.

902

 Bürgerschaft  der  Freien  und  Hansestadt  Hamburg,  16.  Wahlperiode,  65.  Sitzung  vom 19.1.2000,BerichtdesSPDAbgeordnetenWilliWitte,S.3215.

5 Die Ausbildung zum/zur „Taubstummenlehrer/lehrerin“

DieersteamtlicheRegelungzurAusbildungvonTaubstummenlehrkräften erschienineinemErlassvom20.Dezember1811inPreußen.903 Ab1812 wurdenAkademikeranderBerlinerKöniglichenAnstaltzumTaubstum menunterrichtausgebildet,umihrWissendanninanderen,neuaufzubau endenTaubstummenanstaltenanwendenzukönnen.ProminenteBeispiele sind  Dr.  Anton  Weidner (Münster)  und  Dr.  Karl  Ferdinand  Neumann (1788–1833,Königsberg).Von1822anwarenauchSeminarabiturientenin BerlinzurAusbildungzugelassen.Seitdem14.Mai1828bildetendiedrei HauptanstalteninBerlin,KönigsbergundMünsterinzweiJahrenTaub stummenlehreraus,dienunihrerseitsSeminaristenzuTaubstummenleh rernweiterbildensollten.904Von1828bis1832wurdenaufdieseArt33Se minarlehrerausgebildet.DieseFortbildungskursedientenderAnregungzu eigenerWeiterarbeit,diedannselbstständigzuerfolgenhatte.1831führte PreußendieTaubstummenlehrerprüfungfür dieLehrerein,dienichtin Berlin,KönigsbergoderMünsterausgebildetwurden.MitdemJahr1836 gabesinBrandenburgauch„Sechswochenkurse“fürVolksschullehrer,die nachBeendigungdiesesKursesalsTaubstummenlehrergalten. Neben  den  hörenden  Taubstummenlehrern  gab  es  gerade  in  der An fangszeit  der  Gehörlosenbildung  selbstverständlich  auch  im  Deutschen ReichgehörloseLehrer,wiedieschonvorgestelltenLehrerSenß,Kruseund Habermaß,  den  Entwickler  der  „Methodischen  Bildertafeln“  zum  Un terrichtGehörloserCarlHeinrichWilke(18001876)oderdenSchulgründer FreiherrHugovonSchütz.905

903

 HierundimFolgenden,wennnichtandersangegeben,nach:Schumann,Geschichtedes Taubstummenwesens,S.642–653.ZuPreußensieheJanetteBrauer,ZwischenBildungsauftrag undStandesinteresse.EinebildungshistorischeStudieüberdieInstitutionalisierungderTaub stummenbildung  und  die  Professionalisierung  der  Taubstummenlehrer  in  Preußen  1788– 1911,Berlin2001.

904

Vogel,Taubstummenpädagogik,S.31.

284

Die Ausbildung zum/zur „Taubstummenlehrer/lehrerin“

HamburgbildetedeneigenenLehrerbedarfselbstaus.AmSeminarvor gebildete  Volksschullehrer  wurden  für  ihre  Tätigkeit  in  der  Gehörlosen schuledirektinderpraktischenArbeitmitdengehörlosenKinderngeschult. DieForderungnachwissenschaftlicherAusbildungderLehrerwurdeje doch  immer  dringender,  je  komplexer  der  Unterricht  und  je  größer  die Taubstummenanstaltenwurden.1878erschienreichsweiteineneuePrü fungsordnungfürLehrer und VorsteheranTaubstummenanstalten, die besagte,dassTaubstummenlehrernurnochnachAblegungderTaubstum menlehrerprüfunglehrendurften.DieAusbildungdazuwurdeandenein zelnenSchulenbelassen,dieAusbildungderVorsteheraberinBerlinzentra lisiert.Seit1887warenauchLehrerinnenzurTaubstummenlehrerprüfung zugelassen.DieAusführungderRegelungenfürdieLehrerbildungblieb dabeistetsLändersache.Am1.April1912tratdanndiepreußischePrü fungsordnungfürLehrerundLehrerinnenanTaubstummenanstaltenvom 20.Dezember1911inKraft.906ZurPrüfungwurdennurnochsolcheLehr kräfte  zugelassen,  die  einen  zweijährigen  theoretischen  und  praktischen AusbildungskursanderKöniglichenTaubstummenanstaltinBerlinabsol vierthatten.SomitentfieldiebisherinHamburgbestehendeMöglichkeit, alsHilfslehreraneinerTaubstummenanstaltangestelltzuwerden,sichdie TheorieselbstanzueignenunddanndiePrüfunginBerlinabzulegen.Auch inHamburggaltdieRegel,dassLehrkräftenurdannfestangestelltwur den,wennsiediePrüfungfürdenVolksschuldienstunddieErweiterungs prüfungfürTaubstummenlehrkräfteaneinerdeutschenAnstaltabgelegt hatten.DieHamburgerAnwärtermusstenihrePrüfunginBerlinablegen, daHamburgselbstkeinePrüfungskommissionhatte.NungabeszweiMög lichkeiten:  Hamburg  könnte  eine  eigene  Prüfungskommission  einrichten undsomitdenLehramtsanwärternauchdieMöglichkeiteinertheoreti schen  und  praktischen  Ausbildung  mit  Hilfe  des  Allgemeinen  Vorle sungswesenseinräumen,oderdasAngebotBerlinsannehmen,Hamburger angehendeTaubstummenlehrkräfteinzweiJahrenohnezusätzlicheKosten auszubilden.907HamburgentschiedsichfürdiezweiteMöglichkeit,wobei währendderAusbildungdenAnwärternihrGehaltalsHilfslehrerweiter 905

 Rehling,HörgeschädigteLehrer;Vogel,Taubstummenpädagogik;NachrufaufCarlHein richWilke,in:DerTaubstummenfreundNr.3vom8.2.1876.

906

 StAHbg,3612VOSBV,498aBand1,Protokollder2.SitzungderKommissionzurPrü fungderVerhältnissederSchulederTaubstummenanstalt[…]am15.4.1913.

907

Ebd.,SchulratProf.Dr.AhlburganSenatssyndikusDr.Buehl10.9.1913.

Die Ausbildung zum/zur „Taubstummenlehrer/lehrerin“

285

gezahltwurde.DochschonbaldmehrtensichdieEingabenandieBehörde, diefüreineEinrichtungvonAusbildungskurseninZusammenarbeitmit demPhonetischenLaboratoriumundmitdemKolonialinstitutsowiefür eineEinsetzungeinerPrüfungskommissioninderHansestadtplädierten:908 DieBerlinerAusbildungwar,daReisekostenundAufenthaltnichtbezahlt wurden,teuerundbedeuteteeinenZeitverlust.EinegrundlegendeÄnde rungerfolgteabererstnachdemErstenWeltkrieg:DasBedürfnisnachjun genLehrkräftenwar–auchinFolgedesKriegesdurchdasFehlenvonLeh rern,diegefallenoderdienstunfähiggewordenwaren–rechtgroß.909 EineerstePrüfungsordnungfürSprachheillehrkräftewurde1919vom LeiterderVolksschulefürSprachkranke,WilhelmCarrie(geb.1865),bei derOberschulbehördeeingereicht.910ErfordertefürdieZulassungderfest angestelltenLehrerinnenundLehrerzurPrüfungeinemindestenseinjähri ge  Tätigkeit an  der Sprachheilschule  und  den  Besuch heilpädagogischer Vorlesungen.  Auch  die  Heilpädagogische  Vereinigung  erarbeitete  einen Entwurf,  der  für  Lehrerinnen  und  Lehrer  an  Schulen  für  gehör  und sprachleidendeKindergeltensollteundnachMaßgabeeinesBeschlusses derIX.BundesversammlungdeutscherTaubstummenlehrervomSeptem ber1919einedreijährigeAusbildunginTheorieundPraxisvorsah.911Neu andieserKonzeptionwar,dassdieVereinigungWertdarauflegte,dassdie angehenden  Taubstummenlehrkräfte  „Kenntnis  der  Gebärde  und  ihre[r] BedeutungfürdiegeistigeundsprachlicheEntwicklungderMenschheit überhaupt  und  des  gehörleidenden  Kindes  im  besonderen“  erhielten.912 SchließlicheinigtensichdieHeilpädagogischeVereinigungundderVerein nordwestdeutscher  Taubstummenlehrer  auf  die  Forderung  nach  einer zweijährigenAusbildung an denspeziellen Schulenund ein mindestens achtsemestrigesUniversitätsstudium.913DieOberschulbehördeerfragtezu nächst  die Ausbildungsvorschriften  anderer  Länder.914 1921  wurde  dann 908 StAHbg,3612VOSBV,498aBand1,Bl.10f.:ErnstDanckert,DirektorderHamburger Schule,anOSBSektionIII18.2.1915. 909

Ebd.,Bl.17:DanckertanSchulratProf.Dr.KarlUmlauf12.6.1917.

910

Ebd.,Bl.20:CarrieanOSBSektionIII16.9.1919.

911

Ebd.,Bl.26ff.:AlfredSchärundPaulJankowskiimAuftragderHeilpädagogischenVerei nigunganOSB30.11.1920.

912

Ebd.,Bl.29.

913

Ebd.,Bl.43d:Ausschusssitzungsprotokoll25.5.1921,Anlage.Bl.43g:EntwurfStudienplan.

914

Ebd.,Bl.58:RundschreibenOSB8.9.1921.

286

Die Ausbildung zum/zur „Taubstummenlehrer/lehrerin“

dieersteSonderprüfungfürSprachheillehrkräfteabgehalten,915derenAble gung1923unterbrochenwurde,alseineReformderLehrerbildungimall gemeinen  diskutiert  wurde  und  die  Behörde  diese  Ergebnisse  abwarten wollte.916AuchkonntendieLehrkräfteVorlesungenanderUniversitätbe suchen,dochdieseunddieHeilpädagogischePrüfungwurdennuralsAn rechnungaufdiekünftigePrüfungsanforderunggewertet.917DieSchaffung einerPrüfungsordnungwurdeimmerdringendernotwendig,abererstam 16.Februar1928nachAusarbeitungeinereigensdazuinderOberschulbe hördeeingesetztenKommissionerlassen.BereitsimMärzlegtendieersten fünfSprachheillehrerdiesePrüfungab.918 Nun  wurde  auch  eine  Regelung  für  die  Taubstummenlehrerprüfung notwendig.WiederergriffdieHeilpädagogischeVereinigungdieInitiative undbat1930dieOberschulbehörde,dieKommission,dieschonzurAuf stellung  einer  Prüfungsordnung  für  Sprachheillehrer  zusammengetreten war,dafürerneuteinzusetzen.AnliegendsandtemaneinenAusbildungs entwurffürTaubstummenundSprachheillehrkräfte,dereinmindestens zweijährigesHochschulstudiummitVorlesungenundÜbungeninPhiloso phie  und  Psychologie,  Phonetik,  Anatomie  und  in  Stimmbildung  und SprecherziehungsowiewöchentlichachtStunden schulpraktischeÜbun genandenentsprechendenSonderschulenvorsah.919 1932wurdenkeine neuenKursefürSprachheillehrermehreingerichtet,daesnachMeinung derBehördeschonzuvieleSonderlehrkräftegab.920 DochschoneinJahr späterwendetesichdasBlatt:1933wardurchPensionierungundEntlas sung–zumBeispieldurchdas„GesetzzurWiederherstellungdesBerufs beamtentums“  –  ein  Mangel  an  Lehrkräften  an  den  Taubstummen, 915

Ebd.,Bl.42:ProtokollauszugOSB30.4.1921.

916

Ebd.,Bl.97:ProtokollauszugOSB22.12.1927.

917

Ebd.,Bl.93ff.:TheodorHinzpeterfürHeilpädagogischeVereinigunganOSB20.9.1927.

918

DieVerlegungderVolksschullehrerausbildungandieUniversitätsollteeineGrundausbil dungfüralleSonderschullehrkräftesein.WilliBeske vonderSchwerhörigenschuleforderte fürdieTaubstummen,SchwerhörigenundSprachheillehrkräfteeineviersemestrigeZusatz ausbildung  (StA Hbg,  36210/3  SamuelHeinicke  Schule  für  Gehörlose,  Ordner  3  (Abliefe rungsverzeichnis)  „Korrespondenzen“,  Willi  Beske,  Die  Neuordnung  unserer Berufsausbil dung,o.D.). 919

 StAHbg,3612VOSBV,498aBand2,Bl.7ff.:HeilpädagogischeVereinigunganOSB 6.1.1930.

920

Ebd.,Bl.40:AusschnittausderSchulrätekonferenz8.2.1932.

Die Ausbildung zum/zur „Taubstummenlehrer/lehrerin“

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Schwerhörigen  und  Sprachheilschulen  auch  in  Hamburg  eingetreten.921 ZudemstandenweitereAbgängebevor,dennvieleLehrkräftederTaub stummenundSchwerhörigenschulestandenbereitskurzvordemPensio nierungsalter.EsmussteadäquaterErsatzfürdieausscheidendenKollegen bereitgestelltwerden. DadieArbeitslosigkeitunterdenHamburgerJunglehrerngroßwar,ent schiedsichdieLandesunterrichtsbehördedazu,diefreiwerdendenStellen mitHamburgerLehrkräftenzubesetzen.DazumussteHamburgselbstdie dafür  notwendigen  Fachlehrkräfte  ausbilden.  Während  die  Sprachheil lehrer  seit 1928 eine  amtliche Prüfungsordnung hatten,  fehlte  es für  die AusbildungvonLehrkräftenanTaubstummenundSchwerhörigenschulen noch immerannötigenEinrichtungen,obwohldieAusbildungsordnung derSprachheillehrerbereitsdieZusammenarbeitzwischendeneinzelnen Bereichenvoraussetzte.Seit1919gabesBestrebungendahingehend,dass derLehrernachwuchsdieserdreiFachrichtungendiegleicheAusbildung durchlaufen  sollte.  Schließlich  gebrauchten  die  verwandten  Schularten ähnlichemethodischeMittel.DiezuständigeBehördelegtewiederholtVor schlägezurVereinheitlichungvor.EinWunsch,derbereitsseitEndeder 1920erJahregeäußertwurde,wardieVerlegungderAusbildungandie Universität. Eine  gründliche praktische Ausbildung  sollte  mit Unterstüt zungderwissenschaftlichenEinrichtungenderUniversitätvollendetwer den.DazuderZeitnochkeinLehrermangelbestand,begnügtemansich abervorerstmitderRegelungderAusbildungzumSprachheillehrer. 1933  brauchte  Hamburg  jedoch  speziell  ausgebildete  Lehrkräfte  und wollte  dazu  Hamburger  Junglehrer  fortbilden.  Die  Landesunterrichtsbe hörde  wandte  sich  zuerst  an  die  Gaufachgruppe  für  Taubstummen, Schwerhörigen  und  Sprachheillehrer  des  Nationalsozialistischen  Lehrer bundes(NSLB),damitdieseeinenEntwurffüreineneuePrüfungsordnung vorlege,undstelltedreiBedingungen:DerEntwurfsollte„1.demGeist unddenAufgabendesneuenStaates[...]entsprechen,2.derZersplitterung imSchulwesendurchZusammenfassungartverwandterSchulartenentge genarbeiten,3.dieMöglichkeitschaffen,denSonderschullehrervielseitiger

921

 DiefolgendenAusführungennach:StAHbg,36210/2Sprachheilschule Zitzewitzstraße, Ordner„Ausbildung“,LandesunterrichtsbehördeandenReichsundPreußischenMinister für Wissenschaft,Erziehung und Volksbildung  am 26.8.1936 mit  derBitte,die Hamburger Ausbildungsregelungzubelassen.

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Die Ausbildung zum/zur „Taubstummenlehrer/lehrerin“

zuverwendenundihndamitvorderIsolierung[...]bewahren“.922 Sowie imNSLBdieLehrerdieserSchulartenineinerGruppezusammengefasst waren,sosolltendieLehrerauchimSchulwesenalseinheitlicheGruppe miteinheitlicherAusbildungbehandeltwerden.Der„ArbeitskreisderLeh rerandenSchulenfürGehörundSprachgeschädigtederFachschaftSon derschulenimNSLBGauHamburg“,zudemunteranderemAdolfLam beckalsLeiter,sowiePaulJankowski,HeinrichMöhring,PaulThomsund AlfredSchärgehörten,setztesichdasersteMalam19.Januar1934zusam men923undarbeiteteeinenEntwurfaus.DabeistütztensiesichaufdieVor arbeiten  der  Heilpädagogischen  Vereinigung,  die  unter  der  Leitung  von TheodorHinzpeter(18831952)bereits1930Richtlinienerarbeitethatte.Der soinZusammenarbeitdesNSLBundderBehördeentstandeneEntwurf wurdebereitsam1.April1934 vorläufiginKraft gesetzt.EinJahrlang wurde  diese Ausbildung  ausprobiert  und  daran  Verbesserungen  vorge nommen.DertheoretischeTeilderAusbildungzumGehörlosen,Schwer hörigenundSprachheillehrerwurdeandieUniversitätverlegt,dieprakti sche Ausbildung  erhielten  die  zukünftigen  Taubstummenlehrer  ein  Jahr langanderGehörlosenschuleundjeeinhalbesJahrandenanderenbeiden Schularten.Am27.März1935wurdedieAusbildungsordnungmitGeneh migungdesHamburgerReichstatthaltersKarlKaufmann(1900–1969)end gültiginKraftgesetzt.924BewerbenkonntensichfürdieseAusbildungpäd agogisch  erfahrene  junge  Menschen  mit  abgeschlossener  Lehrerbildung, diedannanderPhilosophischenundderMedizinischenFakultätderUni versitätundandenSchulenunterderAnleitungvonerfahrenenFachlehrern ausgebildetwurden.SiewarenhauptamtlichandenjeweiligenSchulenmit 18Wochenstundenangestellt.DaallgemeineKenntnissevorausgesetztwur den(genanntwurdenhierRassenhygieneundVererbungslehre),925 wurden hauptsächlichSprachphilosophie,Phonetik,Aufbau deszentralenNerven systems,  Bildungsarbeit an gehör undsprachgeschädigten Kindern und anderessonderpädagogischesWissenvermittelt.926 922

Ebd.,Bl.2.

923

Ebd.,Protokollder1.SitzungdesArbeitskreisesam19.1.1934inderTaubstummenanstalt.

924

HamburgerGesetzundVerordnungsblatt1935Nr.19vom31.3.1935,S.78–80.

925

 StA Hbg,  36210/2  Sprachheilschule  Zitzewitzstraße,  Ordner Ausbildung,  Landesunter richtsbehörde  an  den  Reichs  und  Preußischen  Minister  für  Wissenschaft,  Erziehung  und Volksbildungam26.8.1936,Bl.3. 926

HamburgerGesetzundVerordnungsblatt1935,Nr.19vom31.3.1935,§7,S.79.

Die Ausbildung zum/zur „Taubstummenlehrer/lehrerin“

289

Als  am  12.  Juni  1936  ein  Erlass  die Ausbildung  dieser  Sonderlehrer reichseinheitlichregelte,kamenvondenHamburgerSonderschulpädago genProteste,dieihrekostengünstigeundspeziellaufdieHamburgerSi tuationzugeschnittenePrüfungsordnungnichtaufgebenwollten.Aufdie ZusammenarbeitzwischenTheoretikernundPraktikern,wiesieschonseit langemamPhonetischenLaboratoriumpraktiziertwurde,warmanstolz. DainHamburgbeiVeröffentlichungderreichseinheitlichenAusbildungs ordnungbereitseinLehrerdieHamburgerPrüfungbestandenhatte,zwei LehrerkurzvorderPrüfungstandenundachtweitereLehrerundLehre rinnendieAusbildungbegonnenhatten,erreichtemaneineÜbergangsfrist biszum31.März1938.9271938versuchteHamburgdurchBerufungaufdas GroßHamburgGesetz  und  „unerwarteten  Abgang  von  Lehrkräften“928 unddendamitgewachsenenBedarf,dieHamburgerRegelungbeibehalten zukönnen.DochausgrundsätzlichenErwägungenwurdediesemErsuchen nichtstattgegeben929–seit1938wurdediemindestenszweiJahredauernde AusbildunginBerlinzentralisiert.NunwarsowohleinereichsweiteMo dernisierungalsauchIdeologisierungderBerufslaufbahnderTaubstum menlehrkräfteimnationalsozialistischenSinnemöglich. NachEndedesZweitenWeltkriegswurdeHamburgwiederzurAusbil dungsstadt:BeidererstenZusammenkunftderLehreranSchulenfürGe hörundSprachgeschädigteinNorddeutschlandnachdemKriegimJuli 1946wurdeberichtet,dasseineeinheitlicheAusbildungsundPrüfungs ordnunggeplantseiunddiesenurnochvonderBürgerschaftangenom men  werden  müsse.  Die  Lehrkräfte  für  Gehörlose,  Schwerhörige  und Sprachkranke  sollten  wieder  eine  einheitliche Ausbildung,  Prüfung  und gleicheBezahlungerhalten.Dieseam1.April1947inKrafttretendeAus bildungsordnung  folgte  im  Wesentlichen  der  Hamburger  Prüfungsord nungvon1935.Ostern1947wurdeninHamburgTaubstummenlehrkräfte fürdienordwestdeutschenBundesländer,einschließlichHessenundNord rheinWestfalen,ausgebildet.ZusammenmitdemPädagogischenInstitut 927

 StA Hbg,  36210/2  Sprachheilschule  Zitzewitzstraße,  Ordner Ausbildung,  Landesunter richtsbehörde  an  den  Reichs  und  Preußischen  Minister  für  Wissenschaft,  Erziehung  und Volksbildungam26.8.1936undAntwortam22.9.1936. 928 929

ErinnertseiandenTodAlfredSchärs(vgl.Kapitel4.3.3).

StAHbg,36210/2SprachheilschuleZitzewitzstraße,OrdnerAusbildung,Briefentwurfvon 1937andenReichsundPreußischenMinisterfürWissenschaft,ErziehungundVolksbildung undAntwortenvom2.9.37und27.1.1938.

290

Die Ausbildung zum/zur „Taubstummenlehrer/lehrerin“

der  Universität  war  die  Gehörlosenschule  Trägerin  der  schulpraktischen Ausbildung.ProSemesterwurdenzehnbiszwanzigKandidatinnenund Kandidatengeschult,diebereitseinJahranGehörlosenoderSprachheil schulenalsHilfslehrkräfteunterrichtethattenundnichtälterals30Jahre altseinsollten.DieTheoriewurdeinmindestensvierSemesternander Universitätgelehrt.930 Bisindie1970erJahrehineinhattenalleinausgebildeteVolksschullehre rinnenund lehrerdie Möglichkeit,sich zueiner Taubstummenlehrkraft weiterzubilden.NacheinereinjährigenProbezurEignungzudiesemBe ruf,  den  die  Lehrkräfte  bereits  an  Schulen  für  Gehörlose,  Schwerhörige oderSprachkrankeabsolvierten,gingensiefürmindestenszweiJahrean dieUniversitätundbelegtendortVorlesungenundÜbungenausdenBe reichen  Psychiatrie,  HNOHeilkunde,  Phonetik,  Psychologie  und  Erzie hungswissenschaft.931 Zwischenzeitlich  besuchten  sie  ein  Jahr  lang  zur praktischenAusbildungdieGehörlosenschuleundjeeinhalbesJahreine SprachheilundeineSchwerhörigenschule.Siewurdendabeischonvollals Lehrkraft  eingesetzt:  Sie  gaben  bereits  18  Wochenstunden  Unterricht  an denSchulenunterAnleitungeinererfahrenenLehrkraft.Außerdemhospi tiertensievierWochenstundenimUnterrichtvonFachlehrern,umdann amEndederAusbildungeineschriftlichePrüfung–einewissenschaftliche HausarbeitundeineStellungnahmezueinemEinzelfallodereinempäd agogischenThema–undeinemündlichetheoretischePrüfungabzulegen. Absolventenwaren,wennsieindieArbeitswelteintraten,meistschonüber 30Jahrealt. UmdiesesAlterherabzusetzenundaußerdemdenjungenLeuten,die bereitsdasZielihrerAusbildung,denBerufderSonderschullehrkraft,si cherwussten,dieMöglichkeitzugeben,direktinihrBerufsfeldeinzustei gen,richteteHamburgeingrundständigesStudiumfürLehreranSonder schulenein.DasalteAufbaustudiumgabesdaherseit1980nichtmehr.Bis dahinlagderAnteilvon„Späteinsteigern“,LehrkräftenmitBerufserfah rung,aberohnebesondereAusbildung,beicirca40ProzentallerLehrkräf

930

Ebd.,Bl.21:Ausbildungsordnungvom13.3.1947.Ab1968/69warHamburgdurchEinrich tungweitererAusbildungsortenurnochfürdienorddeutschenLänderzuständig.

931

StAHbg,36210/2SprachheilschuleZitzewitzstraße,OrdnerAusbildung,Berichtüberdie TagungderVertreterderSchulenfürGehörundSprachgeschädigteinderbritischenZone Deutschlands18.und19.7.1946,Bl.15–18:VortragvonDr.HeinrichMöhring.

Die Ausbildung zum/zur „Taubstummenlehrer/lehrerin“

291

teanspeziellenSonderschulen.932 SeitdemstanddasAusbildungszielfür dieStudierendenvonvornhereinfest.DieuniversitäreAusbildungzurSon derschullehrkrafthateineRegelstudienzeitvonneuneinhalbSemestern.Das erste  Staatsexamen  wird  erfahrungsgemäß  zwischen  dem  zehnten  und zwölftenSemesterabgelegt.BelegtwerdenmüssendieFächerPädagogik undein Unterrichtsfach  sowiezwei sonderpädagogische Zusatzbereiche, auswählbarsindzumBeispielGehörlosen,SchwerhörigenoderSprach heilpädagogik.NachvierSemesternsolltedieEntscheidungfürdenson derpädagogischenSchwerpunktgefallensein.NachdemExamenschließt sicheinzweijährigesReferendariat–einhalbesJahranderRegelschule, jeeindreiviertelJahrandenzweigewähltenFachrichtungen–an,wel chesmitdemzweitenStaatsexamenabgeschlossenwird.Nebendiesem grundständigenStudiumgibtesdasZusatzstudiumfürBewerberinnen undBewerber,diediezweiteStaatsprüfungfürdasLehramtbestanden haben und von der  Schulbehörde  zu diesem Studium  abgeordnet wer den.933 ImJahr2004wurdendie88SchülerinnenundSchülerderSamuelHei nickeSchulein13Klassenvon33vorwiegendweiblichenLehrkräftenun terrichtet.934 Unter den Studierendender Sonderpädagogikist das Fach Gehörlosen/Schwerhörigenpädagogikmit66Studienplätzenambeliebtes ten.935HeutewerdennichtnurSpezialistenfürGehörlosenpädagogikinder Gehörlosenschule  gebraucht,  sondern  ebenso  Musiklehrer  (Rhythmik), Sportlehrer,FachlehreroderLehrerfürkörperlichundgeistigBehinderte. DieLetztgenanntensindbesondersnötig,dasichdieStrukturderSchüler schaftimmermehraufdiemehrfachbehindertenKinder(alsogehörlos körperbehindert,  gehörlosgeistig  behindert,  gehörlosblind  etc.)  hin  än dert.EineLehrkraftanderGehörlosenschulesiehtsichnochheutenicht 932

StAHbg,3612VIOSBVI,Abl.1988/4,Az.2200,KreiselternratderspeziellenSonderschu lenanSenatorJoistGrolle(PräsesderBehördefürSchuleundBerufsbildung)14.4.1980;Pro testschreibengegenNeuerung. 933  Künftig wirddieLehrerausbildunginHamburgaufeinBachelor/MasterSystemumge stellt. 934

 SekretariatderSchulefürHörgeschädigte,AbteilungII,ElkeSchumacher,am18.2.2004; StatistischeInformationderBehördefürBildungundSport4a/2003StaatlicheSonderschulen Schuljahr03/04,S.5. 935

Nr.15/2601derHamburgerBürgerschaft.ZumVergleich:StudienplätzeinBlinden/Sehbe hindertenpädagogik:32,Sprachbehindertenpädagogik:50.

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Die Ausbildung zum/zur „Taubstummenlehrer/lehrerin“

„nur“alsLehrkraftfürseineSchülerinnenundSchüler,sondernbietetihm undseinenElterneineBetreuungvonfrühesterKindheitundspäterinal lenLebenslagenan.Er–odersie–siehtnebendenpädagogischenAufga benauchsozialePflichten.936 GehörloseLehrerarbeitetenvorMittedes19.Jahrhundertsindeutschen SchulenmiteinerkombiniertenMethodik,diedenheutigenVorläuferder bilingualenMethodemitderAnwendungvonGebärdensprache,Lautspra cheundSchriftsprachedarstellt.DieseLehrerwaren,wieihrehörenden Lehrerkollegen,  individuell  an  den  Taubstummenanstalten  ausgebildet worden.AuchheutewerdenwiedergehörlosePädagogenanderHambur gerSchulebeschäftigt,daeinweitererSchwerpunktderSchulediebilin gualeMethodikist,diedieBeteiligungvonstudiertengehörlosenGehörlo senlehrkräftenundErziehernimUnterrichtderGehörlosenschulefordert. Diese  sind  den  Kindern  Ansprechpartner  und  Identifikationsfigur  und übernehmendenUnterrichtinundüberGebärdensprache.

936

FritzSchmidt,DieGehörlosenschuleinHamburgimDienstderTaubstummenbildung,in: Wulff,Schüler,S.15.

6 Einrichtungen für Schwerhörige und Sprachbehinderte

6. 1 S c hw e r h ö ri g e n sc hu le Infolgeder„Hörbewegung“,diefürdieAusnutzungundFörderungder Hörresteplädierte,wurdenmehrschwerhörigeKinderindenTaubstum menschulen„entdeckt“.UmdiesesowieanVolksschulenlernendeschwer hörigeKindermehrundindividuellerfördernzukönnen,entstandenin derFolgeerstespeziellaufSchwerhörigezugeschnitteneSchulen–dieers tePrivatschule1894inJena,dieerstestaatlicheSchwerhörigenschule1902 inBerlin.937 InHamburgwares1911soweit:Am19.April1911wurden– aufAnregungundstetesBemühenderTaubstummenlehrerWilhelmFeh lingundRichardJust(1864–1940)938–inderVolksschuleCapellenstraßein St.GeorgzweiKlassenfürschwerhörigeKindereingerichtet,dienichtdem DirektorderVolksschule,sonderndemSchulinspektorHansHeinrichAu gust  Fricke (1854–1914)  unterstellt  wurden.939 Bereits  im  Oktober  wurde einedritteKlasseeröffnet,zuOstern1912einevierte.Undnochimmerwa ren  nicht  alle  hörgeschädigten  Volksschülerinnen  und  schüler  in  den Schwerhörigenklassenuntergebracht.Am27.Juni1913wurdeschließlich inderCapellenstraßemitGenehmigungvonSenatundBürgerschaftdie Schwerhörigenschulegegründet.Diesewarmit107KinderninzwölfKlas

937

StAHbg,3612VIOSBVI,404:HeinrichWitthöft,DerTaubstummenlehreralsSchwerhöri genlehrer,o.D.[ca.1958];StAHbg,35110IISozialbehördeII,012.7340Band1,Bl.15:Ham burgerNachrichtenNr.148vom31.5.1937„25JahreSchwerhörigenbewegunginHamburg“.

938

 StAHbg,6221FamilieLandahl,46,ManuskriptzurAnspracheanläßlichdes50jährigen BestehensderHamburgerSonderschulefürSchwerhörigeam11.3.1961,Bl.3.

939

Ebd.,Bl.4.Frickewarvon1907bis1914MitgliedderBürgerschaft,VorsitzenderderSchul kommissionen  der  Stadtbezirke Altstadt  und  St.  Georg  und  Schulinspektor  für  das  Volks schulwesen.ErwarBeraterundVertrauensmannderOberschulbehördezuallenFragenüber dieAusbildunghörgeschädigterKinder,wobeiersichmitNachdruckfürdieschwerhörigen SchülerinnenundSchülerunddereneigenständigeSchuleeinsetzte(StAHbg,6221Gustav Marr,1,SitzungsprotokolldesVorstandesderTaubstummenanstaltvom19.6.1914,S.3).

294

Einrichtungen für Schwerhörige und Sprachbehinderte

senzwarnichtdieerste,aberdochdiegrößteSchuleihrerArtimdeut schenReich.ErsterSchulleiterwurdeWilhelmFehling.940 DieschwerhörigenKinderwarenvorderGründungeinereigenenSchu legemeinsammitdengehörlosenKindernaufderTaubstummenschuleun terrichtetworden,bereitsab1836teilweiseineigenenKlassen.941Auch1899 gabesgesondertenHörunterrichtfürschwerhörigeKinderanderGehörlo senschule,dieabernacheinigenJahrenaufgegebenwurde,daesnichtge nügendgleichaltrigeschwerhörigeSchüleranderSchulegab.942 Mitder Gründung  der  Schwerhörigenschule  trennten  sich die  Kompetenzen  der beidenSchulen,dieTaubstummenschulenahmdievonGeburtantauben odervordemSpracherwerbertaubtenKinderauf,dienichtüberakustische Signalelernenkonnten,währendKinder,dienachdemSpracherwerber taubtwarenoderHörrestehatten,indieSchwerhörigenschuleeingeschult wurden.943 1920musstedieSchwerhörigenschulegegendenWillenihresLehrerkol legiumsausdemGebäudeanderCapellenstraßeausziehen. 944AlsProviso rium  zogen  die  meisten  Klassen  in  das  Gebäude  der  ehemaligen  Rum baumschenPrivatschuleinderKampstraße58aufSt.Pauli.DasGebäude warallerdingszuklein,undsomusstenvierKlassenzuerstimSchulhaus inderAnnenstraße2,ebenfallsaufSt.Pauli,dannalsNachmittagsklassen indenRäumenderTaubstummenschuleuntergebrachtwerden.ZweiJahre späterwardasGebäudeinderKampstraßeaufgestocktworden,sodass 1922 alleKlassenin einerSchule zusammengefasst werden konnten. Da dasGebäudeallerdingsschlechtgelegenundvorallemaufDauerimmer nochzukleinwar,zogdieSchule1939wiederumum:indieFelixDahn StraßeinEimsbüttel.AberauchdiesesgeeigneteGebäudemusstewieder 940

 P[aul]Jankowski,EntwicklungundgegenwärtigerStanddesSchwerhörigenbildungswe sensinHamburg,in:Festgabe,S.38.

941

Heinrichsdorff,HamburgunddasHamburgerGebiet,S.36.

942

Jankowski,Schwerhörigenbildungswesen,S.29.

943

UrsprünglichhattedieTaubstummenanstaltdieEinweisungvongehörlosenwiehochgra digschwerhörigenKindern,dienichtüberdasOhrunterrichtetwerdenkonnten,indieTaub stummenanstaltgefordert,egal,obdiesetaubgeborenoderspätertaubtwaren(ebd.,S.39–41). DiesichdarausergebendenStreitigkeitenwerdenu.a.indenKapiteln4.1.7(Lautspracheund Gebärden)und4.2.2(DieArbeitderSchulleiter)geschildert. 944

 ImFolgendenzurGeschichtesieheStAHbg,6221FamilieLandahl,46,Manuskriptzur Anspracheanläßlichdes50jährigenBestehensderHamburgerSonderschulefürSchwerhörige am11.3.1961,S.8–12;Jankowski,Schwerhörigenbildungswesen,S.29–49.

Schwerhörigenschule

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verlassenwerden,dadort1942dieLehrerbildungsanstalteinziehensollte. VieleSchülerinnen undSchülerderSchwerhörigenschulewurdenindie Kinderlandverschickungverschickt,dieDaheimgebliebenenzogenindie benachbarteMädchenschuleSchanzenstraße105um. ImGebäudederSchuleSchanzenstraße,derheutigenAltonaerStraße, wurdenachKriegsendederUnterrichtmit45Kindernerneutaufgenom men.Erstam1.Oktober1952hattedieSchwerhörigenschulewiedereinei genes,verkehrsgünstiginderNähedesHauptbahnhofsgelegenesSchulge bäudeinderMünzstraße6erhalten.Dort,imsichinzwischenalssozialer Brennpunkt  herauskristallisierten  Stadtteil  St.  Georg,  ist  die  Schwerhöri genschule–heutealsAbteilungder„SchulefürHörgeschädigte“–mitih rerangegliedertenRealschulenochimmerzufinden.945 DieSchwerhörigenschulehattebereitsvorderGehörlosenschuleeinen Realschulkurseingerichtet:NachdenOsterferien1957hattedieSchwerhö rigenrealschule  ihren  Unterricht  aufgenommen,  dann  wurden jedes  Jahr RealschulklassenmitdenFremdsprachenEnglischundLateineingerich tet.946Dieersten14schwerhörigenundertaubtenSchülerinnenundSchüler legten,pünktlichzum50jährigenBestehenihrerAnstalt,imFebruar1961 ihre  Mittelschulprüfung  ab.947 1965  nahm  das  LohmühlenGymnasium schwerhörigeRealschülerinnenundschülerauf,dievierJahrespäterihr Abiturerreichten.DieserintegrativeGymnasialzugwurde1971zugunsten einesspeziellenOberstufenzweigsfürHörgeschädigteaufgegeben.Heute können  sich  hörbehinderte,  vor  allem  schwerhörige  Schülerinnen  und SchülerindiesemspeziellaufihreBedürfnisseangelegtenZweigderOber stufeamLohmühlenGymnasiumgezieltaufdasAbiturvorbereiten.2000 wurdedieSchwerhörigenschuleorganisatorischmitderSamuelHeinicke Schulezusammengeführt.DiesePlanungführtezueinererbittertenDebat teunterdenBeteiligten,dieaufSeitenderSchwerhörigenschulezunächst damit endete, dass derenSchulkonferenzdie Planungder Schulbehörde

945

1986wurdederHaupteingangindenSchultzweg9verlegt.

946

 Heinrich  Witthöft,  Hamburgs  Mittelschule  für  Schwerhörige  in  weiterem  Aufbau,  in: SchwerhörigeundSpätertaubte,ZeitschriftdesDeutschenSchwerhörigenbundesNr.6,Juni 1959,S.112–114. 947

 StAHbg,6221FamilieLandahl,46,ManuskriptzurAnspracheanläßlichdes50jährigen BestehensderHamburgerSonderschulefürSchwerhörigeam11.3.1961,Bl.1.

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Einrichtungen für Schwerhörige und Sprachbehinderte

ablehnteundstattdesseneineintegrativeSchuleaufdemGeländedernahe gelegenenHeinrichWolgastSchuleforderte.948

6. 2 S prac h he il s c h u le n AuchdieGeschichtederSprachheilpädagogikistengverzahntmitGehör losenpädagogen.  Gehörlosenschulen  waren  ursprünglich  auch  Sprach heilschulen,  schon  Samuel  Heinickes  Leipziger  Institut  war  gedacht  für „taubstummeundanderemitSprachgebrechenbehaftetePersonen“und TaubstummenlehrermusstenlautPreußischerPrüfungsordnungfürVor steheranTaubstummenanstaltenauchKenntnisseimUnterrichtvonStotte rern,StammlernundLisplernnachweisen.949 DerBerlinerTaubstummenleh rerAlbertGutzmann(1837–1910)undseinSohn,derArztProf.Dr.Hermann Gutzmann (1865–1922),  waren  die  ersten  Förderer  einer  eigenständigen Sprachheilarbeit  in  Deutschland.950 Gemeinsame  Wurzeln  führten  dazu, dass  reichsweit  Taubstummen,  Schwerhörigen,  und  Sprachheillehrer einengemeinsamenAusbildungsganginBerlindurchliefen.951 Aberauch mitderStadtHamburgistdasSprachheilwesenengverknüpft.1927wurde während derSamuelHeinickeTagungdesBundes Deutscher Taubstum menlehrerinHamburgdie„ArbeitsgemeinschaftfürSprachheilpädagogik inDeutschland“gegründet,ausderderheutigeDachverband,der„Deut scheBundesverbandderakademischenSprachtherapeuten“entstand.952In 948

DrucksacheNr.16/4297derHamburgerBürgerschaftvom24.5.2000.

949

Schumann,GeschichtedesTaubstummenwesens,S.622f.

950

 HansWendpap,KurzerAbrissderGeschichtedesSprachheilwesensinHamburg,in:Jo hannesWulff,Gehörlose,schwerhörigeundsprachkranke SchülerinHamburg.Ehrengabe derSchulbehördederFreienundHansestadtHamburgfürdieTeilnehmerderGemeinschafts tagungfürallgemeineundangewandtePhonetikanläßlichdes50jährigenBestehensdesPho netischenLaboratoriums,Hamburg1960,S.23–27,hierS.23. 951

VerordnungdesReichsministersvom12.6.1936(Schumann,GeschichtedesTaubstummen wesens,S.628).DieakademischeAusbildungderSprachheilpädagogeninDeutschlandwie derum  begann  mit  der  Prüfungsordnung  für  das  Lehramt  an  Sprachheilschulen,  die  am 1.3.1928anderUniversitätHamburginKrafttrat(ManfredGrohnfeldt,Weichenstellungenin derSprachheilpädagogik.75JahreDeutscheGesellschaftfürSprachheilpädagogike.V.,Würz burg2002,S.74).

952

 Grohnfeldt,  Weichenstellungen,  S.  11.  Ursprünglich  „Deutscher  Bundesverband  der Sprachheilpädagogen“.

Sprachheilschulen

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derGründungszeitwarenesfastausschließlichHamburgerSprachheilleh rer,diedieGeschickedesVerbandesbestimmtenundsohattesichHam burgschonfrüheineführendeRolleinderdeutschenSprachheilpädagogik erarbeitet.953Bereitsam1.Oktober1912warinderHansestadt–zuerstver suchsweise–mit15starkstotterndenSchülerneineSonderklassefürsprach krankeSchülerunterLeitungdesVolksschullehrersWilhelmCarrie inder HilfsschuleanderBachstraße44eingerichtetworden.FürCarriewurdedar aufhineigenseineSonderprüfungeingerichtet,indererseineKenntnissein derHeilpädagogikalsSprachheillehrerbeweisenmusste.954 Auch  der  Direktor  der  Taubstummenanstalt,  Heinrich  Söder,  hatte großenAnteilanderFörderungsprachbehinderterSchüler.AufInitiative einer  Gruppe  Hamburger  Förderer  waren  zum 17.  September  1888  acht KlassenfürstotterndeSchülerhauptsächlichausOberklasseneingerichtet worden.955EineinhalbJahrenachdeminBerlinbegonnenwurde,dieersten Sprachheillehrerauszubilden,unterrichtetenvonSödereingewieseneLehr kräfteinHamburgsprachauffälligeSchülerinnenundSchüler.Nachihrer erfolgreichbestandenenAbschlussprüfungwurdenweitereKursefürJun genundMädcheneingerichtet,wobeiSöder dieArbeitderLehrerweiter beaufsichtigte,auch,alsdieKurseimJahr1900verstaatlichtwurden,und auch,  als  die  erste  Sprachheilschule  für  stotternde  Schulkinder  eröffnet wurdeunddamitdieschulbegleitendenKurseHilfefürKindermitande renSprachgebrechengab.956AnderHamburgerTaubstummenanstaltwie derumwaresderLehrerWilhelmHenz(1861–1943),derineinerumfang

953 Ebd.,S.12.VondenerstensechsVorstandsmitgliederndesVerbandeswarenfünfausHam burg,darunterAdolfLambeck.Gemeinsamkeitenwurdenauch1939betont,alsinHamburg inAnschlussaneineTagungderDeutschenGesellschaftfürSprachundStimmheilkunde auchdieFachtagungderLehreranGehörlosen,SchwerhörigenundSprachheilschulenstatt fand(Schumann,GeschichtedesTaubstummenwesens,S.628f.). 954

StAHbg,3612VOSBV,498aBand1,Bl.2:AbschriftNotizSchulinspektorH.Th.Matthä  usMeyer4.10.1912undBl.7:Dr.med.HermannGustavWilhelmChristophSinellanMeyer 15.1.1913).  Als  Gründer  der  ersten  Sprachheilklassen  und  Leiter  der  ersten  Hamburger SprachheilschuleseiWilhelmSchleuß(1869–1940)genannt.

955  Wendpap,Sprachheilwesen,S.24.AusführlichberichtetüberdieEinrichtungderersten SprachheilkurseundSprachheilschulen:Ad[olf]Lambeck,ZurGeschichtedesSprachheilwe sensinHamburg,in:Festgabe,S.53–95. 956

StAHbg,3612VIOSBVI,404,Bl.11:AlbertMansfeld,OrganisationderSchularbeitanGe hörundSprachgestörteninHamburg,Sonderdruckaus„DiedeutscheSonderschule“1939, Heft5/6;Wendpap,Sprachheilwesen,S.24f.

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Einrichtungen für Schwerhörige und Sprachbehinderte

reichen  Veröffentlichung  im  Jahre  1913  über  seine  30jährige  Praxis  mit sprachbehindertenKindernanderGehörlosenschuleberichtete.957 1915wurdealsweiterespezielleEinrichtunginderSchwerhörigenschu leeinesprachpädagogischeAusbildungsstellefürdie„imFeldetaubund schwerhörig  gewordenen  Kriegsteilnehmer“  eingerichtet,  um  diesen  das AblesenvondenLippenbeizubringen.Aufeiner„Kriegstagung“desBun desdeutscherTaubstummenlehrerimDezember1915inBerlinwurdedas Problemder„FürsorgefürdieimFeldegehörundsprachkrankgeworde nenKrieger“zumThema.WilhelmFehlingberichteteüberdieHamburger Einrichtung,diedenbetroffenenSoldaten–auchsolchen,die„hysterisch taub“waren–958Ableseunterrichtgab.SeitFebruargabesinZusammenar beitvonLandesausschussfürKriegsbeschädigteundSanitätsamtSammel stellen,UnterrichtundärztlicheÜberwachungbetroffenerSoldaten.Sowa renbeispielsweisealleErtaubtenundSchwerhörigendes9.Armeekorps zurTeilnahmeandenbiszudreiMonatendauerndenKursenverpflichtet worden.VonFebruarbisDezemberwurdenüber80SoldatenvonLehr kräftenderSchwerhörigenschuleunterrichtet.1917schlossensichdieer taubtenSoldatenzueinemVereinzusammen,um„ihreKameradschaftzu pflegen“.959 AusderFürsorgefürgehörgeschädigteKriegsteilnehmerent stand  in  Zusammenlegung  mit  dem  Schutzverband  der  Schwerhörigen e.V.am26.Mai1919einebis1933durchdenLeiterderSchwerhörigen schule,  Wilhelm Fehling,  und  das  Wohlfahrtsamt geleitete  halbstaatliche FürsorgestellefürBerufsberatung,UmschulungundHilfebeiderEntschei dungfürLippenlesenoderHörapparat.DerSchutzverbandderSchwerhö rigenwar1912gegründetwordenundfungierte,seitdiesichfürsoziale ProjekteengagierendeDruidenLogeHamburgs(einespezielleFormdes LogentumsnebenzumBeispieldenbekanntenFreimaurern)währendder InflationszeitdenDienstbetriebaufrechterhaltenhatte,unterdemNamen Druidenhilfe.960 DieseFürsorgestelleentwickeltesichzurAnlaufstellefür 957

Schumann,GeschichtedesTaubstummenwesens,S.623f.

958

DieTeilnehmeranderTagungwolltendiesevonderFörderungausnehmen,dochFehling fanddasAbsehtraininggeradefürsolchewichtig,umsievor„weiterenseelischenQualen“zu schützen(StAHbg,3612VOSBV,Bl.91–101:KriegstagungsberichtvonFehling,hierBl.96).

959

 BeiblattdesHamburgerEchosNr.85vom13.4.1917undHamburgischerCorrespondent Nr.186vom13.4.1917,in:StAHbg,3311PolitischePolizei,Sa2632.

960 StAHbg,35110ISozialbehördeI,AK60.12,Bl.59f.:WohlfahrtsamtanStadtratDresden 4.7.1924,Bl.131:DieFürsorgefürSchwerhörigeundErtaubte.DruidenhilfeinHamburg,1928.

Sprachheilschulen

299

GehörgeschädigteausHamburgundUmgebungundbetreuteimJahr1932 bereits5400Personen(darunter231„Taubstumme“).961 AusdenSprachheilklassenCarrieshattesichinzwischen1920dieSchule fürSprachkrankeBeimStrohhause80entwickelt,die1924indieStiftstra ße69und1930indasGebäudeRostockerStraße62umzog.Auchwareine zweiteSprachheilschulefürdierechtsderAlsterliegendenStadtteileinder Seilerstraße42,späterAltonaerStraße58,eingerichtetworden.962Ab1933,als dieArbeitsgemeinschaftfürSprachheilpädagogikindenNSLB,FachschaftV (Sonderschulen)eintrat,beganndievehementeAbgrenzungderSprachheil schulenzurdamaligenHilfsschule.InHamburgwurden1938gleichzwei neue  Sprachheilschulen  (als  „Schule  für  Sprachkranke“)  gegründet. 963 Mit derAbgrenzungwurdebezweckt,Sprachheilschülernichtalsminderintelli genteHilfsschülereinzustufen.SiewärendamitunterdasGesetzzurVerhü tungerbkrankenNachwuchsesgefallen.TrotzdemgabeseineReihePädago gen,diesichimSinnenationalsozialistischerIdeenengagierten.964 DerWiederaufbaudesSprachheilwesensnachEndedesZweitenWelt kriegesbeganninHamburgmitderWiedereröffnungdreierSprachheil schulen–darunterauchimgemeinsamenGebäudedieSprachheilschule LambecksunddieGehörlosenschule–EndeAugustundAnfangSeptem ber1945.965UndinHamburgerfolgteauchdieNeugründungderArbeits gemeinschaft1953aufInitiativeHamburgerSprachheillehrer966 sowieers terweiterführenderEinrichtungenfürsprachbehinderteSchülerinnenund Schüler:EineRealschulklasseimJahr1955undnachmittäglicheKursefür 961

StAHbg,35110IISozialbehördeII,012.7340Band1,Bl.4:ArbeitsberichtderDruidenhilfe vom15.3.1933.

962

HartmutDiekmann,80JahreSprachheilklasseninHamburg(1912–1992).BeiträgezurGe schichteundGegenwartdesHamburgerSprachheilwesens,Hamburg1992,S.9undS.53; KarlHeinzHahn,ÜberdenAufbauderHamburgerSchulenfürSprachkranke,in:Günther, Werner/ders.,AusderEntwicklungundArbeitdesHamburgerSprachheilwesens.Beiträge HamburgerFachpädagogenundFachärzte,Hamburg1962,S.8–18,hierS.8. 963

 InHarburgdieheutigeSprachheilschuleBaererstraßeundinAltonadieheutigeSprach heilschuleBernstorffstraße(Diekmann,Sprachheilklassen,S.30und33)

964

FürHamburgsieheKrämerKiliç:AdolfLambeck;HendrikHauschild/IngeKrämerKiliç, „Dustotterstja!“SprachbehindertenpädagogikimNationalsozialismus;eineexemplarische BetrachtungderHamburgerVerhältnisse(Konflikt–Krise–SozialisationBand11),Münster 2000.

965

Grohnfeldt,Sprachheilpädagogik,S.22.

966

Ebd.,S.25.

300

Einrichtungen für Schwerhörige und Sprachbehinderte

stotterndeGymnasiastenundBerufsschüler.967 SeitdemSchuljahr1991/92 gibtesnebendensechsHamburgerSprachheilschulen13integrativeRegel klassenfürdiefachpädagogischeVersorgungvonsprachauffälligenKin dern.968 Heute  gibt  es  in  Hamburg  sechs  Sprachheilschulen  mit  neun Zweigstellensowie15Beratungsstellen,969 diekaumnoch,wieinderAn fangszeit,  stotternde  Schülerinnen  und  Schüler  behandeln,  sondern  sich hauptsächlich  mit  „komplexen  Störungsformen  kindlichen  Kommunika tionsverhaltens“  beschäftigen,  also  mit  Kindern,  die  aus  verschiedenen GründendensprachlichenUmgangmitanderennichtbeherrschen.970

Abbildung 53: Artikulationsunterricht an der Sprachheilschule, 1936 967

Diekmann,Sprachheilklassen,S.54.

968

Ebd.,S.2.

969

Stand2002(Grohnfeldt,Sprachheilpädagogik,S.105).

970

Diekmann,Sprachheilklassen,S.3.

7 Gehörlose in der Gesellschaft

7.1 Selbsthilfeorg anisationen, Stiftungen un d Vere ine 7.1.1 Bröhan, Pa cher und die ersten Hamburger GehörlosenVerei ne DerersteHamburgerTaubstummenvereinwurde1875ineinemLokalam Zeughausmarktgegründet.971 DieAnregungdazugabenKommissionsrat JohnPacherundseinFreundPaulHirschfeld.AlsZieledesVereinswurden dieUnterstützungerkrankteroderverarmtergehörloserHamburgerund dieErrichtungeinerBibliothekgenannt.AllerdingshattederVereinkeine zehn  Jahre  Bestand.  Als  1883  der  Schriftsetzer  Gustav  Adolf  Claudius (1850–1912),derinSchleswigdurchOttoFriedrichKruseausgebildetwor denwar,den„TaubstummenVereinvonAltonaundUmgegend“gründete, gabesdenHamburgerVereinbereitsnichtmehr.PacherundandereHam burgerGehörloseengagiertensichfortaninClaudius´Verein. DieältestenochheutebestehendeOrganisationderHamburgerGehör losen ist der am11. April 1900indas Vereinsregisterbeim Amtsgericht Hamburgeingetragene„AllgemeineGehörlosenUnterstützungsvereinzu Hamburgvon1891e.V.“(AGUV),dersichausmehrerenkleinerenOrgani sationen  zusammensetzte:972 Aus  dem  „TaubstummenFreundschaftsclub von1894“wurde1897der„TaubstummenFreundschaftsbund“, 973dersich

971

Fischer,JohnE.Pacher,in:DasZeichen33(1995),S.254.

972

StAHbg,3313PolitischePolizei,Sa287.DerdeutschlandweitersteGehörlosenvereinwur deam30.April1848vonEduardFürstenberginBerlingegründet(ThomasWorseck,Diedeut sche Gehörlosenbewegungvon1848bis1945,in:HamburgerGehörlosenZeitung4[2003], S.4–7.)

973

DerTaubstummenFreundschaftsclubwiederumwareineAbspaltungHamburgerGehör loser  aus  dem  „TaubstummenTheaterclub  von AltonaHamburg“  und  hatte  ursprünglich einenreingeselligenHintergrund(StAHbg,3313PolitischePolizei,Sa287,BerichtdesPoli zeiOffiziersGrubeüberdieErkundigungüberdenneugegründetenTaubstummenFreund schaftsclubvon1894vom17.6.1894).

302

Gehörlose in der Gesellschaft

1906–seit1899hießer„TaubstummenbundzuHamburg“undwarseit 1900soindasVereinsregistereingetragen–mitdemam4.Januar1891auf InitiativevonJohnPacher gemeinsammitLehrernderHamburgerTaub stummenschulegegründeten„TaubstummenvereinzuHamburg“vereinig te,umso alte interneund meist persönliche Streitigkeitenzuschlichten und gemeinsam mehr für die Hamburger Gehörlosenerreichenzukön nen,974EinweitereswichtigesMotivfürdieVereinsgründungwarderbei derseitige  Wunsch  zur  Errichtung  eines  eigenen Altenheims,  da  das  in SchleswigauchmitHilfedes„TaubstummenVereinsvonAltonaundUm gegend“undseinerMitgliederbaldentstehendeAltenheimnurschleswig holsteinischenGehörlosenzugänglichseinsollte.9751913wurdederVerein in  den  „Allgemeinen  TaubstummenUnterstützungsverein  zu  Hamburg, gegr.1891e.V.“umgewandelt,derdieinNotgeratenenMitgliederunter stützenwollte,wasgeradeimErstenWeltkriegimstarkenMaßenotwen digwurde.DerVereinunterstützteunteranderemseinearbeitslosenund älteren  bedürftigen  Mitglieder  durch  finanzielle  Beihilfen.976 1922  wurde danneinAusschusszurMitarbeitanderöffentlichenWohlfahrtspflegege bildet,alleMitgliedersolltendarüberRatundHilfeinwirtschaftlichenund rechtlichenFragenerhalten.977 1891,zurZeitderGründungvonPachersTaubstummenverein,gabes bereitszweiandereHamburgerGehörlosenVereine,darunterden1890ge gründetenTaubstummenverein„Hephata“978.ZuAnfanghattedieserVer ein  unter  seinem  Gründer,  dem  Tischler  Johann  Heinrich  Bröhan (geb. 1862),einendenkbarschlechtenRuf,sowohlunterdenTaubstummenleh rernalsauchunterdenanderenGehörlosenvereinen.EinGrunddafürist inderdirektenKonkurrenzderVereinezusehen. Pachers Verein,derdurchdengehörlosen,inseinerFirmaangestellten Buchbindermeister Adalbert  Tomei geführt  wurde,  hatte  in  seinem  Vor standmitErnstDanckertaucheinenTaubstummenlehrer. 974

Ebd.,NeueZeitschriftfürTaubstummeNr.24vom15.3.1906.

975

ZudenAnfängensieheHannen,Gehörlosenbewegung,Kapitel1,S.3–32.

976

 StAHbg,3313PolitischePolizei,Sa287,HamburgerNachrichtenNr.437vom18.9.1913 undGeneralAnzeigerNr.73vom27.März1917. 977

EugenTellschaft,Festschriftzum100jährigenJubiläumdesAllgemeinenGehörlosenUnter stützungsvereinszuHamburgvon1891e.V.,Hamburg1991,S.18.

978

Hephata(„Tuedichauf“)isteinBibelzitat:JesusheilteeinenTaubstummendurchNennung diesesWortes(Markus7,32–37).

Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine

303

Abbildung 54: Adalbert Tomei

ZumanderenbestandderVorstanddesKonkurrenzvereinsausschlecht beleumdetenPersonen:BröhanwarbereitsunteranderemwegenSchwin delei(UnterschlagungundBetrug)inAltonazuGefängnisstrafenverurteilt und  aus  anderen  Vereinen  wegen  „ehrloser  Gesinnung“  ausgeschlossen worden.979EskamsogarzuSchlägereienzwischendenMitgliedernderri valisierenden  Vereine,  in  deren  Folge  Bröhan  und  seine  Freunde  wegen 979

StAHbg,3311PolitischePolizei,S2341,BeschwerdeüberneuenTaubstummenvereinund dessenGründer,Bröhan,vonGustavAdolfClaudius,VorsitzenderdesAltonaerHamburger TaubstummenvereinsandiePolizeibehörde1.1.1891.WeitereBriefeandiePolizeibehördevon KommissionsratJohnPacheram6.4.1891undvomHamburgerTaubstummenVereinunter AdalbertTomeiundJohnPacher,sowiedenVorständendesTaubstummenSparclubs„Fleißi geBiene“zuHamburgAltonaunddem„TaubstummenvereinAltonaundUmgegend“am 9.9.1891.ZumVerein„Hephata“sieheStAHbg,3313PolitischePolizei,V356.Auch1894gab eswiederimZusammenhangmitLotteriegeldernVorwürfegegenBröhan(Taubstummenzeit schrift„Hephata“Febrar1891,herausgegebenvonGustavAdolfClaudius,SchreibenvonJo hannHardenbergam24.11.1894).

304

Gehörlose in der Gesellschaft

Körperverletzungangeklagtwurden.TrotzzahlreicherProtestederande renOrganisationengegenBröhan undseinenVereinbekamdieserregen Zulauf.ErkonntebaldmehrMitgliederaufweisenalsdiedirektenKonkur renten,derAltonaerHamburgerTaubstummenvereinundderHamburger TaubstummenVerein.LetztererwaroffiziellschonimDezember1890von JohnPacherinGemeinschaftmitdemTaubstummenlehrerErnstDanckert unddemDirektorderTaubstummenanstalt,HeinrichSöder,initiiertwor den. Als  Vereinsziel  wurde  genannt,  die  Vereinsmitglieder  in  „sittlicher, moralischer  und  pekuniärer  Hinsicht“  zu  belehren  und  zu  fördern.980 BröhanhatteeinoffeneresKonzept,veranstaltetezumBeispieleineHelgo landFahrt  mit  guter  Beteiligung981 und  bunte Abende  ohne  belehrende Vorträgeundversuchte,aucheinenVereinfürgehörloseFrauenzugrün den,wasallerdingsmisslang.982Pacherzeigtesicheifersüchtigundbezich tigteBröhan,denVerein„Hephata“nurgegründetzuhaben,umseinem eigenenVereinSchwierigkeitenzubereiten.983Bröhandagegennannteden eigenenVereingeistigunabhängig,unddaermehrMitgliederhabe(im September1891warenes41Gehörlose),seierHamburgsHauptverein. 984 Der  Verein  „Hephata“  veranstaltete  Lotterien,  um  sich  ein  Vereinshaus bauenzukönnen,welchesdann–solautetedasentfernteZiel–alsHerber ge,Gewerbeschule,KrankenhausundAsyldienensollte.985 Undaufdem deutschen  Taubstummenkongress  in  Hannover  während  der  Pfingsttage 1892waresBröhan,derüberdieNotwendigkeitderGründungeinesZen tralverbandesdeutscher Taubstummenvereinereferierte.AndereThemen aufdieserTagungwarendieZulassungvonGehörlosenalsLehrkräfteund derKampfumdieGebärdensprache;Lautsprachewurdeals„geisttötend“ 980 StAHbg,3311PolitischePolizei,S2341,ClaudiusanPolizeibehörde1.1.1891.AlsHaupt zweckwirdaußerdemdieAnsammlungeinesKapitalsgenannt,dasbedürftigenGehörlosen zukommensoll(StAHbg,3311PolitischePolizei,Sa80,HamburgerFremdenblattNr.234 vom7.10.1891). 981

Ebd.,HamburgerFremdenblattNr.207vom5.9.1891.

982

Ebd.,BerichtdesPolizistenRosalowskyüberdenVerein15.9.1891.

983

Ebd.

984

Ebd.,Bl.23:UnbeschrifteterZeitungsausschnitto.D.[ca.14.9.1891].

985

 Ebd.,  Bericht  des  Polizisten  Bauernfind 7.9.1894,  Polizeinotiz  vom  1.9.1894,  Hamburger FremdenblattNr.232vom2.10.1894.Diesgelangabernicht.DasersteeigeneHamburgerGe hörlosenfreizeitheimwurdedas1969gegründeteKulturundFreizeitzentruminderBerna dottestraße.

Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine

305

zurückgewiesen.BröhansStellunginnerhalbderGehörlosengemeinschaft wurdeauchdadurchgefestigt,dasseraufdiesemKongressindessenper manentenAusschussgewähltwurde.986NurlangsamlöstensichdieStrei tigkeitenuntereinanderauf. ImVerein„Hephata“warspäter,zeitweisealszweiterVorsitzender,der gehörloseLithographLeviLöwenbergtätig.Erhatte,wieauchdreiseiner jüngerenBrüder,seineAusbildunginderHamburgerTaubstummenanstalt erhalten(1827–1835)undfielwegenseineszeichnerischenTalentesauf.Als BeilagezumsechstenBerichtderTaubstummenanstalthatteerimSeptem ber1837einGedichtmitdemTitel„UnserenWohlthätern“mitLithogra phienillustriert.EhemaligeSchüler,dieLithographenwurden,warenauch GustavCarlJoachimMetelmann(geb.1878),derdie„NeueZeitschriftfür Taubstumme“herausbrachteundderbereitsobenerwähnteJohnPacher. DaswarennichtdieeinzigengehörlosenHamburger,dieerfolgreichkrea tivwaren.FürdiespätereZeitsindauchdieKünstlerinnenRuthSchau mannundElisabethSeligmannzunennen.987 FürdenHarburgerBereichbestandseit1907derGehörlosenFürsorge verein  HarburgWilhelmsburg,  dessen  Aufgaben  sich  mit  denen  des HamburgerUnterstützungsvereinsdeckten:BeidewolltengehörlosenEr wachseneneingeselligesGemeinschaftslebenermöglichen,Pflegschaften vermitteln,Altenfürsorgegewährleisten,Dolmetscherhilfeanbietenund injederLebenssituationdenMitgliedernmitRatundHilfebeistehen.Im Januar1990schlosssichderHarburgerVereinwegenNachwuchsmangels mitdemAGUVzusammen.988 7. 1.2 Zeitschriften InDeutschlandwurdeamEndedes19.JahrhundertseinerelativgroßeAn zahlanZeitschriftenüberdasTaubstummenwesenherausgegeben.Esgab unteranderemFachzeitschriftenderTaubstummenlehrer,wiedas„Organ der  Taubstummenanstalten  in  Deutschland  und  den  deutschredenden 986 Ebd.,HamburgerFremdenblattNr.132vom8.6.1892.MehrüberdieErgebnissedesKon gressesimKapitel4.1.3LautspracheundGebärden. 987 988

DiesenbeidenKünstlerinnensindunter7.2zweieigeneAbschnittegewidmet.

TabellevonEugenTellschaft,AllgemeinerGehörlosenUnterstützungsvereinzuHamburg von1891e.V.vom25.7.2001.

306

Gehörlose in der Gesellschaft

Nachbarländern“seit1864(mitdemVorgänger„OrganderTaubstummen undBlindenAnstalteninDeutschlandunddendeutschredendenNachbar ländern“  seit  1855)  sowie  die  beiden  von  Gehörlosen  herausgegebenen Hefte,  den  Wiener  „TaubstummenCourier“  seit  1885  und  den  Berliner „TaubstummenFreund“seit1872.989 DieseundweitereZeitschriftendien tender„Erbauung“undFortbildungderGehörlosen.Siewarendazuda, „den SinnfürLektüreinden jüngeren Menschen[zu] wecken“, stellten aberaucheinForumfürdieBelangederBetroffenendar.1905existierten acht  Zeitungen  im deutschsprachigen  Raum,  die  zweimal  im  Monat er schienen,davonwurdendreivonTaubstummenlehrern,undviervonnach demSpracherwerbertaubtenMännernherausgegeben.990DerDirektorder HamburgerTaubstummenanstalt,HeinrichSöder,hieltdieseFüllefürun nötig,weildiemeistenZeitungensichaufGrunddesgeringenMarktesnur mühsamhaltenkonnten.EräußertesichnegativgegenübervonGehörlo senherausgegebenenZeitungen,dieanQualitätdenenderLehrerzeitun genfürGehörlosenachstünden.SöderhieltdieLehrerfür„besserbefähigt fürdieFortbildungderTaubstummen“.Diebekanntesteundverbreitetste dieserZeitschriftenwardieseitdem1.Oktober1887zweimalimMonater scheinenden„BlätterfürTaubstummenbildung“.Söder gabeinnegatives Urteilüberdieseit1905ebenfallszweimalmonatlichinHamburgerschei nende  „Neue Zeitschrift  für  Taubstumme“ des gehörlosen  Lithographen Gustav  C.  J.  Metelmann,991 da  die  inhaltliche  Qualität  dieser  Zeitschrift nichtgutgenugseiundzuwenigTaubstummeimvonMetelmannbeliefer tenGebietwohnten.InHamburggebees227Taubstumme,davon100Kin der,undsobezweifelteSöderdievonMetelmannangegebenen250Abon nentenimnorddeutschenRaum.992 MetelmannsZeitschriftwarallerdings OrganderverschiedenenTaubstummenvereine,unteranderemvonHam burg,AltonaundBremen,undkonntesichtrotzdernegativenBeurteilung Södersauchweiterhinbehaupten.Ende1912fusioniertedie„NeueZeit 989

Söder,Blinden,IdiotenundTaubstummenbildungswesen,S.319f.

990

StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.RfNo.215Vol.93,SöderanOSB,III.Sektion,28.10.1905.

991

ZuMetelmannsZeitschriftsieheStAHbg3313PolitischePolizei,S13190.DieNeueZeit schriftfürTaubstummewurdebis1913inHamburgverlegt,ab1.1.1913warVerlagsortBerlin. SowohlMetelmann(Schriftleiterund–bis1911–Herausgeber)alsauchBesitzerderDrucke reiunddessenSetzersowiediemeistenMitarbeiterwarengehörlos(ebd.,Hamburgischer CorrespondentNr.85vom16.2.1907). 992

StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.RfNo.215Vol.93,SöderanOSB,III.Sektion,28.10.1905.

Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine

307

schriftfürTaubstumme“993 mitdem1871erstmalsdurchEduardFürsten berg(1827–1885)herausgegebenen„TaubstummenFreund“zur„Allgemei nenDeutschenTaubstummenZeitschrift“.994DieersteNummerderneuen Zeitschrifterschienam1.Januar1913inBerlin.Sieentwickeltesichzum AustauschorganverschiedenerVerbände,„NordundSüd,OstundWest stehendurchdieseZeitschriftinstetemGedankenaustausch“unddruckte sowohl  Artikel  von  Gehörlosen  als  auch  von  Taubstummenlehrkräften ab.995Ab1929wurdesieals„DeutscheGehörlosenZeitschriftDieStimme“ vonLeipzigausherausgegeben.1935fusioniertesiemiteinerMünchner Zeitschrift zurebenfallsinMünchen herausgegebenenEinheitszeitschrift „DerDeutscheGehörlose“.996 7. 1. 3 S oz ia ld emo k rati s c h e Verei ne d e r Geh ö rl o s en InderGemeinschaftderGehörlosenwarenVereinealsTreffpunktzuallen Zeitensehrbeliebt,wasaucheinerEntwicklunginderdeutschenGesell schaftinsgesamtentsprach.Indenersten20Jahrendes20.Jahrhunderts wurdeninHamburg,HarburgundAltonaüber40GehörlosenVereinege gründet,dieSport,Geselligkeit,Wohltätigkeit,BildungoderdieSparsam keitaufihreFahnengeschriebenhatten. 997DochnichtnurGeselligkeitund gegenseitigeHilfewarenZieleverschiedenerVereine,esgabauchsolche, die sichpolitisch engagierten,wiedieSozialdemokratische Organisation derGehörlosen,diesichdasersteMalam11.Juni1911aufeinergroßen VersammlunginBerlintraf.Eswardieerstepolitischesozialdemokratische VersammlungdieserArt,zuder300gehörloseMännerundFrauenkamen. Es  herrschte  großer Andrang,  so  dass  nicht  alle,  die  gekommen  waren, einenPlatzbekamen.ThemenderzweiVortragendenwarendieReichs 993

 Diesehattesich1909mitdemTaubstummenCouriervereint(Schumann,Geschichtedes Taubstummenwesens,S.415f.).

994

JacobDols,Die„Allgemeine“alsLebensnervderTaubstummenanläßlichihres55jährigen Bestehensam1.Januar1926,in:AllgemeineDeutscheTaubstummenZeitschriftNr.1vom 1.1.1926. 995

Ebd.

996

Schumann,GeschichtedesTaubstummenwesens,S.415f.

997

AuflistungderGehörlosenvereine1875–2000durchEugenTellschaft,2002. DerersteGe hörlosenvereinderWeltwurdeübrigensbereits1834durchdengehörlosenGehörlosenlehrer FerdinandBerthierinParisgegründet.

308

Gehörlose in der Gesellschaft

tagswahlen,dieLebensmittelteuerungunddie„MachtdesKapitals“.Als ErgebnisderanschließendenDiskussionwurdebeschlossen,dasseinepoli tische  Organisation  notwendig  sei,  und  ein  sozialdemokratischer  Taub stummenwahlvereinwurdegegründet,indenvielederAnwesendensofort eintraten.998

Abbildung 55: Sozialdemokratischer Partei-Bund der Taubstummen Hamburg

Diese  politische  Betätigung  wurde  von  Hörenden,  vor  allem  Taubstum menlehrern,nichtgerngesehen.AuchdieHamburger„NeueZeitschriftfür Taubstumme“wandtesichscharfgegendieGründungpolitischer Taub stummenvereine,insbesonderesolcher,diederSPDnahestanden:Taub stummemüsstenalsMenschenbetrachtetwerden,die„vomWohlwollen derHörendenabhängen“,undsiewürdensichmiteinempolitischmoti viertenKampffürbessereZustände„derenSympathieverscherzen“.Au ßerdemhätten95ProzentderGehörlosensowiesokeinenBegriffvonPoli tik.Geradedeshalbaber,sodassozialdemokratischeBlatt„Vorwärts“,sei 998 StAHbg,3311PolitischePolizei,S18371,BerlinerTageblattNr.293vom12.6.1911undVor wärtsNr.135vom12.6.1911.

Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine

309

einpolitischerVereinfürGehörlosesowichtig.999AuchinHamburgexis tierte  eine  „SPDSektion  für  Taubstumme“  (auch:  TaubstummenPartei Bund),indersichunteranderemdiegehörlosenRichardWolfgangBar tosch(18831953)undCarlKarnap(geb.1881),wieimnächstenKapitelzu sehenseinwird,engagierten.1000 7. 1. 4 Fo rd er ungen der Gehö rlo s en-Vereine bi s in d ie 192 0er Ja hre DieGruppedererwachsenenTaubstummenmiteinergutenAusbildung hatteschonvordemErstenWeltkriegeineansehnlicheGrößeerreicht.Vie legehörloseHamburgerwaren,densozialenGewohnheitenihrerZeitfol gend,inVereinenorganisiert.1001 EngagierteHamburgerGehörlosebrach tenauchdenVIII.DeutschenTaubstummenkongress,deralledreiJahrein verschiedenenStädtenstattfand,vom19.bis23.August1911nachHam burg.1002 Mehrere  Komitees  bildeten  sich,  die  den  Kongress  vorbereite ten.1003AlsProgrammpunktewurden–nebenderKranzlegungamHeini ckeDenkmalanderJohannisKircheinEppendorf,anderSamuelHeinicke gewirkt  hatte, und  sonntäglichen  Gottesdiensten  –  auch  Ausflüge  nach BlankeneseundHelgolandangeboten.1004

999

Ebd.,VorwärtsNr.160vom12.7.1911.

1000

NochheuteisteineGruppepolitischinteressiertergehörloserHamburgerinderSPDim BezirkAltonapolitischengagiert.

1001

ÜberHamburgerVereinesieheHerbertFreudenthal,VereineinHamburg.EinBeitragzur Geschichte  und  Volkskunde  der  Geselligkeit  (Volkskundliche  Studien  Band  IV),  Hamburg 1968.ZumBegriffdesVereinssieheWolfgangHardtwig,Verein,in:OttoBrunneru.a.(Hg.), GeschichtlicheGrundbegriffe,HistorischesLexikonzurpolitischsozialenSpracheinDeutsch land,7Bände,Stuttgart1972–1992,Band6,Stuttgart1990,S.789–829.ZurGeschichteHam burgerGehörlosenvereinesiehev.a.Hannen,Gehörlosenbewegung.

1002

ÜberdenVIII.DeutschenTaubstummenKongresssieheStAHbg,3313PolitischePolizei, Sa287und3612VOSBV,121b.

1003 ImHauptkomitee(undspäterenständigenArbeitsausschuss)saßenderBuchbinderAlfred Gehrken(Vorsitz)undGustavC.J.Metelmann(Schriftführer),diezuderZeitdieHamburger Gehörlosenanführten.AlshörenderVertreterwarDirektorSöder vonderTaubstummenan staltdabei(StAHbg,3612VOSBV,121b). 1004  StAHbg,3313PolitischePolizei,Sa287,NeueZeitschriftfürTaubstummeNr.15vom 1.8.1911undNr.17vom1.9.1911.

310

Gehörlose in der Gesellschaft

Abbildung 56: Biedermeier-Aufführung auf dem Festabend des VIII. Taubstummen-Kongresses in Hamburg, 1911

HauptsächlichsolltederKongressGehörlosendieGelegenheitgeben,„in gemeinsamerArbeitüberdieWohlfahrtunddieInteressenderdeutschen Taubstummenzuberaten“,wobeiauchTaubstummenlehrerundseelsor germitwirkensollten,um„dieöffentlicheMeinungzugunstenderTaub stummen“positivzubeeinflussen.1005DabeimusstensichGehörloseselbst indiesemKreisgegenUnterstellungenwehren,sieseiennur„halbeMen schen“undihrerEinbildungskraftkönnekein„erfinderischesTalent“zu gesprochenwerden.1006 DergehörloseMalerundRadiererBernhardTho mas(geb.1879)hattezumKongresseineKunstausstellungmitWerkenge

1005 1006

Ebd.,NeueZeitschriftfürTaubstummeNr.6vom15.3.1912.

DieseAussagenstammtenauseinerdamalsaktuellenVeröffentlichungdesTriererTaub stummendirektorsJakobHuschens:DiesozialeBedeutungderTaubstummenbildung.EinBei tragzur richtigenBewertung des der menschlichen Gesellschaftwiedergegebenen sprechen denTauben.ZurAufklärungundBeherzigungfürallegebildetenStände,insbesonderefürdie hohen Behörden, die Herren Geistlichen, Juristen, Ärzte, die Lehrer des höheren Lehramtes unddieVolksschullehrerinnenundlehrer,Trier1911.

Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine

311

hörloser Künstler  organisiert.  Der  Besuch  dieserAusstellung  sollte  auch dazudienen,solcheVorurteilezuwiderlegen.1007 EinausgewählteraberdennochgroßerKreisvonGehörlosenberietsich währendderKongresstageüberdieOrganisationderWohlfahrtundder eigenenInteressen,umeinerVerschlechterungzumBeispieldergesetzli chenLagevorzubeugen.DerKongressstandunterdemMotto,dieFörde rungderrechtlichen,sozialenundgeistigenInteressenderGehörlosenzu bewirken.1008 Soreistendann etwa700Teilnehmendeaus ganz  Deutsch land,aberauchDelegationenausÖsterreich,Frankreich,Norwegenund derSchweiznachHamburg,mehralsaufallenfrüherenKongressen.Es wurdenVorträge–fürHörendeinLautspracheübersetzt–überdenSinn undBedarfvon Taubstummenheimengehaltenundregedarüberdisku tiert,wieeindauerndesKongresskomiteegebildetwerdenkönne.Weiter hin  wurden  mehrere  Anträge  erörtert:  So  wurde  beschlossen,  die  Re gierungenderdeutschenStaatenzubitten,dieFürsorge,insbesonderedie Schulpflicht  für  Taubstummblinde  gesetzlich  zu  regeln.  Darüber  hinaus sollten  Gehörlose  an  staatlichen  Werkstätten  und  in  staatlichen  Ämtern stärkeramöffentlichenLebenbeteiligtwerden–StaatundStadtsollten zum  Vorbild  für  die  Handwerksbetriebe  und  Fabriken  werden  und  der FortbildungsschulzwangaufGehörlosebeiderleiGeschlechtesausgedehnt werden.1009 DieThemenwurdendemneugewähltenständigenKongress ausschuss,einemständigenArbeitsausschuss,zurweiterenBeratungüber geben.DieserhatteunteranderemdieAufgabe,diegetroffenenBeschlüsse überdenKongresshinausöffentlichzumachenundletztlichfürihreAus führungenzusorgen.1010

1007

StAHbg,3612VOSBV,121b,Bl.8:NotizLangbein20.7.1911.

1008

StAHbg,3313PolitischePolizei,Sa287,HamburgischerCorrespondentNr.408,Abend ausgabevom12.8.1911.

1009 1010

Ebd.,GeneralAnzeigerNr.199vom25.8.1911.

DieserAusschussbestandaus14gehörlosenMitgliedern,darunterauchwiederdenHam burgernGustavC.J.Metelmann,Herausgeberder„NeuenZeitschriftfürTaubstumme“,und Alfred  Gehrken,  Vorsitzender  des Allgemeinen  Taubstummen(unterstützungs)vereins  (ebd., HamburgerFremdenblattNr.255vom29.10.1911).

312

Gehörlose in der Gesellschaft

Abbildung 57: Gehörlosenkongress, 1911

Im Dezember  1919  gründete  sich  in Hamburg  unter  Vorsitz Richard  W. Bartoschs der  zwölfköpfige  „Wohlfahrtsausschuß  für  Taubstumme“,  der erstmalsalsVertretungallerHamburgerGehörloseninderÖffentlichkeit auftratundalsZielenannte,den„Hörendenzuzeigen,dassTaubstumme ihnenebenbürtigsind“,Vorurteileabzubauen,dieBevormundungdurch TaubstummenanstaltsdirektorenundlehrerzubeseitigenundalleAngele genheitenderGehörlosenselbstzuregeln,daderGehörlose„selber[...]am besten  weiß,  was  seiner  Psyche  und  seiner  geistigsprachlichen  Veranla gungangepasstundförderlichist“.1011IneinerspäterenResolution,inder erneutbetontwurde,dassderAusschussdie„Interessenvertretungsämtli 1011  StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QdNr.433Vol.1,RichardW.BartoschanSenat11.4.1920. ChristianHannenvertrittdieMeinung,dassdievorSeptember1919gebildetezwölfköpfige KommissionderSPDSektionfürTaubstumme,derenMitgliedBartoschebenfallswar,derdirek teVorgängerdesWohlfahrtsausschussesist(Hannen,Gehörlosenbewegung,S.19–23).

Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine

313

cherTaubstummenGroßhamburgs“sei,wurdenMissständeangeklagtund Freiheitengefordert.DerSenatantwortete,dasswenndasWohlfahrtsamt seineTätigkeitaufnehme,derAusschusszudessenArbeitenhinzugezogen werdenwürde.1012

Abbildung 58: Richard Wolfgang Bartosch, 1952

AuchdieHamburger„SPDSektionfürTaubstumme“stellteForderungen anSenatundBürgerschaft,1013beispielsweise1924denBeschlusseinerPro testversammlungderGehörlosenHamburgs:1014IneinerResolutionwurde der  Senat  aufgefordert,  in  den  Elternrat  der  Hamburger  Taubstummen schuledreistattzweigehörloseVertreterzusenden,undeswurdebeklagt, 1012

StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QdNr.433Vol.1,PräsidentdesWohlfahrtsamtes,Oskar Martini,anWohlfahrtsausschuss13.9.1920.

1013 1014

StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QdNr.9Vol.5Fasc.12.

 Ebd.,  Bl.  9:  Resolution  des Allgemeinen  TaubstummenUnterstützungsvereins  und  der SPDSektion  der  Taubstummen  an  Senat  o.  D.  [1924].  Die  Protestversammlung  fand  am 6.7.1924statt.

314

Gehörlose in der Gesellschaft

dassesinzweiJahrennurdreiSitzungendiesesElternratsgegebenhabe unddieGehörlosennichtdasRechthätten,selbstSitzungeneinzuberufen. Auch  forderten  die  Gehörlosen  die  Vereidigung  eines  Gebärdensprach Dolmetschers,„dersichmitallenTaubstummenrichtiggehendverständi genkann“.1015 DerSenatließsichvonderOberschulbehördeberatenund vertratdanndieMeinung,dasseskeinendrittenGehörlosenimElternrat gebensolleundsichdieAntragstellerzurEinberufungeinesneuenanden VorsitzendendesaltenElternrateswendensollten.1016 Traditionell  waren  es die Lehrkräfte  der Taubstummenanstalt,  die  als „DolmetscherundSachverständige“vorGerichterschienen.1017 1919hatte die„12.KommissiondesTaubstummenParteiBundes“unterRichardW. Bartosch eineEingabeandieBürgerschaftgerichtet,indersiedieBestel lungeinesGebärdendolmetschersforderte,derdasVertrauenderGehörlo senHamburgsgenieße.1018AufeinerVersammlungderGehörlosensektion derSPDimGewerkschaftshaushatten175MitgliederdiesenAntragunter schrieben.AlsKandidatfürdenPosteneinesGebärdendolmetscherswurde derGenosseCarlKarnap vorgeschlagen,derderGebärdensprache„voll kommenmächtig“sei,mehralsdieTaubstummenlehrer,dieindieserSpra chenichtausgebildetwurden.1019DieGebärdensprachewurdealseinziges richtigesundangemessenesVerständigungsmittelGehörloserbezeichnet, dadieLautsprachkenntnissestetsunvollkommenseinwürden.Ihrenehe maligenLehrernstandendieVereinsmitgliederkritischgegenüber,„denn dieLehrerundDirektorenhabendasVertrauenunddenZusammenhang 1015

Ebd.

1016

Ebd.,Bl.11:Senatan1.VorsitzendendesTaubstummenUnterstützungsvereinsBorisTo mei17.4.1925. 1017 StAHbg,3612VOSBV,433c,DirektorSöderanSchulratDr.Kerstenam20.10.1888und Taubstummenanstalt  an  Vorstand  der  Verwaltung  des  Justizwesens  Dr.  Gustav  Ferdinand Hertzam28.8.1894. 1018 StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QdNo.468bVol.1,Bl.3:Eingabevom6.9.1919,unter schriebenvonRichardW.Bartoschund174Gehörlosen. 1019

Karnapwarauch1949noch,diesmalimAufragdesReichsbundesderKörperbeschädig ten,SozialrentnerundHinterbliebenen,FachgruppeGehörlose,alsDolmetscherundFürsor gerfürGehörlosetätig,daden„TaubstummenLehrer[n]diedenGehörloseneigeneGebär densprachenichtgeläufig[ist]und[sie]dieselbenichtbeherrschen“.Damitübernahmer erneuteineAufgabe,dieervor1933inderpolitischenGehörlosenbewegungderSPDinnege habthatte(StAHbg,35110IISozialbehördeII,012.7340Band1,RichardW.Bartosch,Fach gruppenleiterGehörloseimReichsbundderKörperbeschädigten,SozialrentnerundHinter bliebenenanSozialbehörde,AmtfürArbeitsfürsorgeam4.2.1949).

Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine

315

mitdenTaubstummenseitJahrzehntenverloren“.Gehörlosebefürchteten, dassvorGericht„wohlseineGebärde,abernichtauchseinSinnderGebär de  [durch  den  Lehrer]  verstanden  wird“.1020 Ein  Ausschuss,  als  dessen KommissarDirektorDanckerteingesetztwurde,kamzudemSchluss,dass einsolcherPostennichtnötigsei,da,fallsnötig,dieTaubstummenschule einenDolmetschervorGerichtstellte,derzusätzlichzudenÜbersetzungen „ein  sachverständiges  Urteil  über  die  Taubstummen“  abgeben  könne.1021 Über  die  geeigneten  Personen  für  eine  Dolmetschertätigkeit  war  immer wiedergestrittenworden.Schon1904wolltenAltonaerGehörlosevorGe richtlieberdurchgebärdensprachmächtigeHörendegehörloserElternvom Geschehen  unterrichtet  werden  als  von  den  Hamburger  Taubstummen lehrern,dienebenihrerDolmetschertätigkeitschließlichauch„alsSachver ständige“gehörtwurden.DochkönntendieLehrer„dieseBestrebungen wederimInteressederRechtslage,noch imInteressederTaubstummen selbstunterstützen“.1022 7. 1. 5 Der D a chve r b a nd R eg ed e un d d i e nat i ona ls oz ia li s t is c he Zeit ImJanuar1927trafensichVertretervon24GehörlosenvereineninWeimar, umdorteinengemeinsamenDachverband,den„ReichsverbandderGehör losenDeutschlands“(Regede)zugründen.1023 Vorausgegangenwaren,be gonnenmitdemerstendeutschenTaubstummenkongress1873inBerlin, einige  missglückte  Versuche,  den  Zusammenhalt  der Gehörlosen  durch einenreichsweitenVerbandzustärken.EsgabzuvieleinterneStreitpunkte– unddasobwohldieZieleallerVereinegleichwaren:Zusammenhalt,wirt 1020

StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QdNo.468bVol.1,Bl.3:Eingabevom6.9.1919,unter schriebenvonRichardW.Bartoschund174Gehörlosen.

1021

Ebd.,Bl.4:SenatskommissionfürdieJustizverwaltunganSenat16.10.1920.

1022

StAHbg,3612VOSBV,433c,Bl.44:ZeitungsausschnittausdemDeutschenTaubstum menKorrespondentenvom15.1.1904undBerichtdesDirektorsderTaubstummenanstalt,Sö der,betreffendDolmetschertätigkeitanOSB3.2.1904. 1023

DokumentezurGeschichtedesRegedefindensichinderJubiläumsschriftdes1950zum RechtsnachfolgerdesREGEDEerklärtenDeutschenGehörlosenBundes:DeutscherGehörlo senBund,75JahreDGB.Jubiläumsschriftanlässlichdes75jährigenBestehensdesDeutschen GehörlosenBundes,Kiel2002.DieseArbeitsgemeinschaftistdieVorläuferindesheutigenGe hörlosenverbandsHamburg.

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Gehörlose in der Gesellschaft

schaftlicheHilfestellung,Bildungsförderung,ÖffentlichkeitsarbeitundBe ratungüberdieZukunft.DafürstandauchderRegede.DieZeichenderZeit, vorallemdieallgemeineArbeitslosigkeitsowiedieöffentlicheDiskussion umdie„LexZwickau“betrafenauchundimBesonderendieGehörlosen. 1932gabesauchinHamburgmitder1930gegründeten„Arbeitsgemein schaft Großhamburgischer  Taubstummenvereine“  einen  Dachverband,  in denVertreterverschiedenerGehörlosenvereinegesendetwurden:Ausdem AllgemeinenTaubstummenUnterstützungsverein,denTaubstummenver einenausAltonaundHarburgundausverschiedenenGehörlosenSport vereinen.BereitsindiesemJahrverlorderjüdischeVorsitzendedesgrößten Hamburger  Vereins,  des  Allgemeinen  TaubstummenUnterstützungsver eins,derBuchbinderMaxEmilRosenstein (1872–1956),dieWahlumden VorsitzaneinNSDAPMitglied,denSchneiderCarlDolberg.1024

Abbildung 59: Gleichschaltungsveranstaltung des Altonaer Gehörlosenvereins

Im„DrittenReich“büßtendieVereineihreSelbstständigkeitein.Diedeut schen  Gehörlosenvereine  wurden  im  „Nationalsozialistischen  Reichsver 1024

Zaurov,GehörloseJuden,S.85.Hannen,Gehörlosenbewegung,S.87f.

Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine

317

bandderGehörlosenDeutschlands(Regede)“zusammengefasstundsomit MitgliedderNSVolkswohlfahrt.DieHamburgerVereinewurdenzusam mengeschlossenimNSReichsverbandderGehörlosenDeutschlandse.V., Sitz  Berlin,  Gau  Nord,  Kreis  ElbeTrave,  Ortsgruppe  Hamburg  (ab  1935 GaubundIX).1025InderNSVolkswohlfahrtwarnundiegesamteTaubstum menfürsorgevereint,sowohlderRegede,alsauchdieverschiedenenFür sorgevereineundderReichsverbandderGehörlosenwohlfahrt.Damitwur denaberauchalleMitgliederdesReichsverbandsderGehörlosendurch dieGleichschaltungundAufnahmeindieNSVolkswohlfahrtOstern1933 zuMitgliedernderNSDAP.1026 JüdischeVereinsmitgliederwurdendurch dennationalsozialistischenRegedeausgeschlossen,1935verbotderRegede seinenMitgliedernstriktdenUmgangmitJuden.1027

Abbildung 60: Fritz Albreghs

1025

Tellschaft,Festschrift,S.34f.

1026

Biesold,KlagendeHände,S.91f.

1027

Zaurov,GehörloseJuden,S.76f.

318

Gehörlose in der Gesellschaft

DerRegedewurdeunterihremReichsbundesleiter,FritzAlbreghs (1892– 1945),undanderenmaßgeblichenMännernwiedemVerbandsführerdes TaubstummenVerbandes  für  Leibesübungen,  Heinrich  Siepmann (1901– 1974),derdenTurnvereinalseinen„ErsatzfürdasbrauneEhrenkleidder SA“sah,1028zueinemtreuderneuenReichsführungergebenennationalso zialistischenVerein. Fritz Albreghs war  bereits  1927  auf  der  Gründungsversammlung  des RegedezumVorsitzendengewähltworden,musstediesenPostenundsei ne  Stellung  als  Mitherausgeber  der  GehörlosenZeitung  aber  bereits  ein Jahr  später  auf  Grund  seiner  nationalsozialistischen  Aktivitäten  aufge ben.10291933wurdederpolitischnunpassendeAlbreghswiederzurückge holt.DieFunktionäreerschieneninUniform,unddenBriefkopfzierteein mitStrahlenversehenesundsomitderSonnegleichgestelltesHakenkreuz. DieMitgliederzahlsteigertesichgeradezurasantvon3.900zuOstern1933 auf11.588am1.Januar1937.1030 DiesgeschahmitvielerleiMitteln,viele VereinewurdeneinfachvomgroßenRegedeübernommen,dieMitglieder werbungunterdengehörlosenJugendlichenwurdezumTeilmitfaster presserischenMethodenversucht.VielekamenauchausAngstvordem „GesetzzurVerhütungerbkrankenNachwuchses“indenVerband,inder– trügerischen  –  Hoffnung,  dort  vor  solcherlei  Verfolgungen  geschützt  zu sein.1031DochimGegenteilunterstütztendiehohenFunktionäredesRege de  die NSRassenideologie.1032 Sie  arbeiteten  eng  mit dem NSLB zusam 1028

Biesold,KlagendeHände,S.93.SiepmanngabdievereinigtenMitteilungsblätterdesRege de„DerdeutscheGehörlose“heraus(Zaurov,GehörloseJuden,S.77).DerimAltervon7Jah renertaubteDruckereibesitzerSiepmannwarab1950stellvertretender,undvon1952bis1953 VorsitzenderdeswiedergegründetenDeutschenGehörlosenBundes,1951VizeVorsitzender desWeltverbandesderGehörlosen(DeutscherGehörlosenBund,75JahreDGB.Jubiläumsschrift anlässlichdes75jährigenBestehensdesDeutschenGehörlosenBundes,Kiel2002,S.18f.).Nach ihmistheuteeineEhrenplakettedesGehörlosensportsbenannt,ohnedassSiepmannsRolle imNationalsozialismusrezipiertwurde. 1029 ZuAlbreghssieheAbstractzumVortragvonJochenMuhsaufder3.TagungzurDeafHis toryimOktober1997inTrondheim,Norwegen(http://dhi.gallaudet.edu/absten.html,abgeru fenam24.4.2003);JochenMuhs,DeafPeopleasEyewitnessesofNationalSocialism,in:Ryan, DonnaF./Schuchman,JohnS.,DeafPeopleinHitler´sEurope,Washington2002,S.78–97;Ge sprächmitJochenMuhsinder1113.SendungSehenstattHörenam24.11.2002(nachzulesen unterhttp://www.taubenschlag.de/SSH/1113.htm,abgerufenam24.4.2003). 1030

Biesold,KlagendeHände,S.95.

1031

Ebd.,S.94f.

1032

Ebd.,S.95ff.

Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine

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men,derenReichsfachschaftsleiterPaulRuckauundReichsfachgruppenlei ter  Hermann  Maeße von  Albreghs als  „die  treuesten  Kameraden  und Freunde[...],dieauchheutenachwievorzudenstarkenSäulenderOrga nisationgehören“,bezeichnetwurden.1033Bis1942leiteteAlbreghsdenRe gede.  Seine  Nachfolge  übernahm  ein  Österreicher.  1943  wurde  der  Ein heitsverband„DeutscheGehörundSprachgeschädigtenwohlfahrt(DGS) e.V.“gegründet,indenderRegedeeingegliedertwurde.FürdieGehörlo senwarnunmitDr.OttoSchmähleinhörenderGehörlosenlehrerzustän dig,derdenRegedeabwickelnsollte.DazukamesabererstmitdemZu sammenbruchdes„DrittenReiches“.

Abbildung 61: Versammlung des Taubstummen-Sportvereins, 1933

1033

Albreghs,VonWeimarbisBreslau,in:Festschrift2.DeutscherGehörlosentag,Breslau1937 (nach:Biesold,KlagendeHände,S.100).

320

Gehörlose in der Gesellschaft

InHamburggabesam25.November1933eineVollversammlungverschie dener  GehörlosenVereine,  um  über  die  Gleichschaltung  zu  diskutieren. Die  Argumente  der  Befürworter  waren  die  bessere  Integration  in  die „volksgenössischeSchicksalsgemeinschaft“sowiedieHoffnungaufmehr GeldundmehrGewichtinderÖffentlichkeit.1034Am29.Oktober1933kam derReichsbundesleiterFritzAlbreghs persönlich,umanlässlicheineröf fentlichenVersammlungderGehörlosenmiteinemReferatdienationalso zialistische  Ideologie  zu  erläutern.1035 Auch  in  Hamburg  wurde  mit  der GleichschaltungdieSatzungdahingehendgeändert,dassjüdischeGehör losenichtmehrMitgliedderGehörlosenvereineseinkonnten.1036Hierverlor derneueeinheitlicheGehörlosenverbandallerdingsstarkanMitgliedern. 1934traten–beizweiEintritten–bisAnfangOktober40Vereinsmitglieder aus,zusätzlichwaren80MitgliederderneuenOrtsgruppeausschlussreif, dasieihreBeiträgenichtmehrzahlten.1037 BisEndeOktoberwurdesogar aufdenBesprechungender„Amtswalter“desRegede–Vertreternderehe malseigenständigenVereine–vonbiszu150Mitgliederngesprochen,die ausgeschlossenwerdenmüssten–dieswürdeeineReduzierungderGe samtmitgliederzahldesOrtsbundesHamburgAltonaauf200bedeuten.1038 Den  Grund  für  diese  Unstimmigkeit  sah  die  Ortsbundleitung  in  einer großen  Wirbel entfachenden Gegengründung  für Hamburger Gehörlose. SchulleiterJankowski,derdieFunktioneinesGausachbearbeitersfüralle FragenderGehörlosenbetreuunginderNSVwahrnahm,warempört,von denAmtswalterneinenBerichtüberdiemitgroßemBeifallaufgenomme nenRedeseinesLehrersBehrenszuhören,diedieseraufderVollversamm lungderorganisiertenGehörlosenam14.April1934inBansGesellschafts

1034 ArchivdesAllgemeinenGehörlosenUnterstützungsVereins,HeftermitProtokollender AmtswalterSitzungen  der  Ortsgruppe  Hamburg  des  Reichsverbands  der  Gehörlosen Deutschlandse.V.,NiederschriftüberdiekombinierteSitzungderTaubstummenUnterstüt zungsvereineundSportvereineGrossHamburgsam25.11.1933. 1035

 Ebd.,  Niederschrift der  öffentlichen Versammlung der  Gehörlosen GroßHamburgs am 29.10.1933. 1036

Ebd.,Protokollder14.Sitzungam8.8.1934,Punkt2:„DieSachebetr.jüdischerMitglieder wurdedurchEntscheiddesGaubundesleitersWilhelmFunkegeregelt.“

1037 1038

Ebd.,Protokollder16.Sitzungam4.10.1934,Punkt4.

Ebd.,Protokollder18.Sitzungam25.10.1934,Punkt3.AufdererstenMitgliederversamm lungderOrtsgruppeHamburgdesRegedeam20.1.1934warennoch409Mitgliedergezählt worden(ebd.,BerichtüberdieersteMitgliederversammlungam20.1.1934).

Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine

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hausgehaltenhatte.1039DieNationalsozialistischeVolkswohlfahrthatteauf AnregungvonBehrens eineSektionGehörlosegegründet,einendirekten NSVStützpunkt  für  Gehörlose,  der  unter  den  Hamburger  Gehörlosen gleichgroßesInteressegefundenhatte.DieStreitigkeitenendetenmitder Auflösungsverfügung  der  Gauamtsleitung  des  NSV  für  den  Stützpunkt Gehörlose  im  NSV  und  einer  gesonderten  Versammlung  des  NSV  Gau HamburgimNovember1935.1040 7. 1. 6 Der Land esverb a nd und seine A rbeit NachdemKriegversuchtensichwiederdiealtenVereinezubilden:Am 13.Juli1947wurdemitErlaubnisderMilitärregierungdieersteVersamm lungderHamburgerGehörlosennachdemKriegabgehalten.Am3.April 1948gründetesichderTaubstummenUnterstützungsvereinerneutundbe kamimVereinsregisterseinealteRegistriernummerwieder. 1041DerVerein wurdeaufGrundderVerordnungzurWiederherstellungaufgelösterVer eineam22.November1948mitseinemVorsitzendenBorisTomei (1887– 1958)wiederindasVereinsregisterHamburgeingetragen.1042 DieZusam menarbeitzwischenSchuleundLehrkräftenaufdereinenunddenVerei 1039

ArchivdesAllgemeinenGehörlosenUnterstützungsVereins,HeftermitProtokollender AmtswalterSitzungen  der  Ortsgruppe  Hamburg  des  Reichsverbands  der  Gehörlosen Deutschlandse.V.,ProtokollderSonderSitzungvom17.April1934.ZumGausachbearbeiter: Regede(Hg.),DerGehörloseinderdeutschenVolksgemeinschaftNr.1vom7.1.1942,S.7,Nr. 2vom22.1.1942,S.24,Nr.3vom7.2.1942,S.117,Nr.11vom7.6.1942;BundesarchivBerlin,NS 371016,NSDAPHauptamtfürVolkswohlfahrtandieGauleiterundLeiterderVolkswohlfahr tämteram14.1.1941.Abdem1.1.1941gabesdieGausachbearbeiter,diebeidenGauamtslei tungenderNSDAPangeschlossenwaren.JankowskiwarsowohlvomReichsverbandfürGe hörlosenwohlfahrt  als  auch  von  der  GehörlosenHJ  vorgeschlagen  worden.  Der  Reichsver bandfürGehörlosenwohlfahrt,den Jankowski inHamburgvertrat,hattedieAufgabe„im AuftragvonParteiundStaat“dieGehörgeschädigtenvorallemideellimnationalsozialisti schenSinnzubetreuen. 1040

ArchivdesAllgemeinenGehörlosenUnterstützungsVereins,HeftermitProtokollender AmtswalterSitzungen  der  Ortsgruppe  Hamburg  des  Reichsverbands  der  Gehörlosen Deutschlandse.V.,Protokollder5.Sitzungam17.Juni1935,Punkt1a),Protokollder7.Sit zungam7.11.1935,Punkt1a).

1041

Tellschaft,Festschrift,S.44;ArchivdesAllgemeinenGehörlosenUnterstützungsVereins, Mappe  „Allgemeines,  Gesamtverein“,  Protokoll  der  Versammlung  zur  Wiederbegründung desVereinsam13.7.1947.

1042

StAHbg,23110AmtsgerichtHamburgVereinsregister,23,S.271.

322

Gehörlose in der Gesellschaft

nenaufderanderenSeitewarindieserZeitnichtmehreng,dadieVereins mitgliedersicheinerseitsbevormundetfühlten,andererseitseine„Einmi schungininnereAngelegenheiten“befürchteten.1043

Abbildung 62: Boris Tomei spricht vor dem Heinicke-Denkmal anlässlich des 60. Stiftungsfestes des Allgemeinen Gehörlosen-Unterstützungs-Vereins, 1951

Im  Dezember  1947  schlossen  sich  die  Hamburger  Gehörlosenvereine zwecksWahrnehmungihrerInteressenvorallemgegenüberdenBehörden zur  „Arbeitsgemeinschaft  der  GehörlosenVereine  GroßHamburgs“  zu sammen.1044 HierfandengehörloseHamburgerUnterstützung,seiesbei

1043

StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Mappe„SonstigeSchulangele genheiten“(Ablieferungsverzeichnis),FritzSchmidtanDr.Feuchte(Elternrat)20.1.1960.

1044 ZurGeschichtedesGehörlosenverbandes:75JahreGehörlosenverbandHamburge.V.,Ju biläumsFestschrift,Hamburg2005;Hannen,Gehörlosenbildung.

Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine

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derWohnungssuche,Arbeitsvermittlung,DolmetscherhilfeoderBeratung beiFragenjeglicherArt.1045 DieArbeitsgemeinschaftwurde1951in„LandesverbandHamburgim DeutschenGehörlosenBund“undimJuli 1957nachBeseitigungeiniger Unstimmigkeiten  in  „Verband  der  GehörlosenVereine  GroßHamburgs“ umbenannt.1046

Abbildung 63: Informationsversammlung über die Arbeit des Verbandes in der Handwerkskammer am 26.11.1949

SoerhieltendieeinzelnenVereine–1957wareneszehnMitgliedsvereine– einenDachverband.DieserwarMitgliedimDeutschenGehörlosenBund, dermitseinerGründungimJahr1950dieNachfolgedesfrüherenReichs verbandsderGehörlosen(Regede)antrat.1047IhmwarauchdieGesellschaft

1045

 StA Hbg,  35110  II  Sozialbehörde  II,  012.7340  Band  1,  Hamburger  Echo  Nr.  177  vom 28.11.1949undHamburgerAbendblattNr.178vom28.11.1949.

1046

 StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Mappe„SonstigeSchulangele genheiten“(Ablieferungsverzeichnis),BrunoKühne(VorsitzenderdesVerbandes),Überblick überdieGehörlosenBewegunginHamburg,o.D.[1957].

324

Gehörlose in der Gesellschaft

zurFörderungderHörundSprachgeschädigtenangeschlossen.1048DieBe liebtheitdesVereinswesensbeigehörlosenHamburgerinnenundHambur gern,dieaufdieseWeiseihreGemeinschaft,ihreKulturundnichtzuletzt ihreArtzukommunizierenpflegenkonnten,zeigtesichandergroßenAn zahlderGehörlosenvereine,diedurchalleJahrzehnterechthochwar.Im LandesverbandderGehörloseninGroßHamburgwaren1957zumBeispiel folgendeVereinemitinsgesamtetwa700Mitgliedernvertreten:DerHam burgerGehörlosenSportvereinvon1904,deralsTaubstummenTurnverein gegründetwordenwar1049und1933mitdemTaubstummenSchwimmver ein  von  1922  zum  Hamburger  GehörlosenSportverein  zusammengelegt wurde(derheuteübrigensmitüber400MitgliederneinerdergrößtenGe hörlosensportvereineDeutschlandsist),1050derHeimatvereindervertriebe nenGehörloseninGroßHamburgvon1949,derHamburgerGehörlosen Theatervereinvon1918,derHamburgerGehörlosenMotorclubvon1956, derGehörlosenSparclub„FleißigeBiene“,derAllgemeineGehörlosenUn terstützungsvereinvon1891,derGehörlosenFürsorgevereinHarburgund Wilhelmsburg,gegründet1907,derGehörlosenGeselligkeitsvereinunddie neueGehörlosenSchauspielbühnevon1957.SpäterkamendasHamburger GehörlosenFilmstudiovon1970unddieJugendgemeinschaftderGehörlo senJugendHamburgsdazu.1051 ErstmitdemGenerationswechselinden 1970erund1980erJahrenlöstensichtraditionelleVereinewiederHarbur gerFürsorgevereinoderderSparclub„FleißigeBiene“aufundmachten Platz  für  spezialisierte  Vereine  und  Gruppen  wie  Senioren,  Studenten 1047

 Resolution  des  Deutschen  GehörlosenBundes  am  25.8.1950,  in:  Deutscher  Gehörlosen Bund,75JahreDGB.Jubiläumsschriftanlässlichdes75jährigenBestehensdesDeutschenGe hörlosenBundes,Kiel2002,S.35. 1048

 DerzweitegroßeNachfolgeVerbandwardie1958gegründete„GesellschaftzurFörde rungderGehörloseninGroßHamburg“(sieheKapitel8). 1049

Bis1939nahmderTaubstummenTurnvereinanallendeutschenTurnfestenteil.Dererste GehörlosenSportvereinentstand1888inBerlin.1921entstandhieraucheineFußballAbtei lung(Turnen–Spiel–Sport,12.Jg.1921,S.113). 1050

EndedersiebzigerJahreumfasstederVereinbereits18SportartenvonWandernbisWas serball.ErwarderersteGehörlosenVerein,dessenMitgliederzahldie300überschritt(Infor mation  der  Gesellschaft  zur  Förderung  der  Gehörlosen  in GroßHamburg  e.  V.,  Hamburg 1976,S.11). 1051

StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Mappe„SonstigeSchulangele genheiten“  (Ablieferungsverzeichnis),  Bruno  Kühne,  Überblick  über  die  GehörlosenBewe gunginHamburg,o.D.(1957).

Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine

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undElterntreffpunkte,das„VisuelleTheater“oderdenVerein„RosaGe bärden“fürschwuleGehörlose. Der „Gehörlosenverband  Hamburg  e.  V.“,  wie  der  Verband  seit 1998 heißt,siehtsichauchheutealsVertreterdersozialpolitischen,kulturellen undberuflichenInteressenderrund2000GehörloseninHamburg. Erist InformationsundKoordinationsstellezwischenHörendenundGehörlo sen,indemerzumBeispielGebärdensprachDolmetschervermitteltoder Fortbildungskursedurchführt,aberauchAnsprechpartnerdesSenatsund derBehördeningrundsätzlichdieGehörlosenbetreffendenAngelegenhei tenist.SeineBeratungsundGeschäftsstellebefindetsichimKulturzen trumfürGehörloseinderBernadottestraßeinHamburgOthmarschen1052.

Abbildung 64: Eugen Tellschaft

Der  Landesverband  als  Vertretung  der  Gehörlosen  musste  oft  für  seine Rechtekämpfen–auchgegendieBevormundungdurchHörende,diesich für  Gehörlose  einsetzten.  Selbst  erwachsene  Gehörlose  fühlen  sich  –  bis heute–vonihrenhörendenehemaligenLehrkräftenodervondenhören 1052

FlugblattdesLandesverbandszumWeihnachtsbasar1994undAussagenaufderWebseite http://www.gehoerlosenverbandhamburg.de,abgerufenam23.9.2005.HieristauchderSitz desDeutschenGehörlosenBundes.SieheauchimfolgendenKapitel8.

326

Gehörlose in der Gesellschaft

denElternund„Förderern“nichternstgenommenundinihrenMeinun genübergangen.EinBriefdesLandesverbandsprechers,EugenTellschaft (1929–2005),1053 an  den  Vorsitzenden  der  Gesellschaft  zur  Förderung  der Gehörlosen,Dr.HerbertFeuchte,vorgelesen aufderenVorstandssitzung am29.Januar1981,machtedieseDiskrepanzunddieGefühlederGehörlo sendeutlich:Tellschaft,derseitderGründungderGesellschaft1962Mit gliedwar,hattezuAnfangnochaufeineZusammenarbeitgehofft,wäh renderimLaufederZeitsichmehrundmehrzurückgedrängtfühlte.So hatteererwartet,dassdasClubheimselbstständigdurchGehörlosever waltetwerdenwürde,aberimEndeffekthattendieBetroffenennichtviel zusagenundselbstdieimClubheimvorhandeneKneipewurdevonHö rendengeleitet.AuchschilderteerdieUnruheunterdenGehörlosen,daes anderZusammenarbeitvonGesellschaftundLandesverbandofthaperte. Erbeschwertesichdarüber,dassGehörlosenkeinGlaubengeschenktwür de,ihreWünsche,wieSpendenzunutzenseien–zumBeispielAnschaf fungeinerDruckmaschinefürInformationenundFlugblätter–übergangen werdenwürden.SosaherGehörloseals„Zaungäste“,dawoesumdieei genenBelangegingundforderteeineselbstständigeVerwaltungdesLan desverbandesunddesClubheims(desKulturundFreizeitzentrums)und einMitspracherechtbeiderSpendenverteilung.1054 ErstimJahr1988wur dendemLandesverbandmehrRechteübertragen.1055

1053

EugenTellschaft,1929inKönigsberg/Ostpreußengeboren,hattegehörloseEltern,sodass dasGebärdenvonAnfanganzuseinemLebengehörte.Als„erbkrank“gebrandmarkt,wurde seinVaterbereits1934sterilisiert.DennochwolltenundkonntendiedreiSöhneindieHitler jugendeintreten.1945flohdieFamilieindenWesten,zuerstnachSwinemünde,dannüber RostockundLudwigslustbisHamburg.AlseinzigerGehörloserunterHörendenabsolvierte ereineAusbildungalsTechnischerZeichner.TellschaftengagiertesichinderJugendarbeit undinderSportabteilungdesGehörlosenvereins.Von1975bis1987warerersterVorsitzen derdesLandesverbandsderGehörlosen,von1987bis2002ersterVorsitzenderdesAllgemei nenGehörlosenUnterstützungsvereinszuHamburgvon1891e.V.(InterviewmitEugenTell schaft,ausgestrahltam9.2.2003inder1121.Sendungvon„SehenstattHören“, http://ww w.taubenschlag.de/SSH/1121.htm,abgerufenam24.4.2003);„Undalsichendlichankam,wa renmeineElternnichtmehrda“,InterviewmitEugenTellschaft,in:DasZeichen.Zeitschrift zumThemaGebärdenspracheundKommunikationGehörloser62[2002],S.500–508). 1054

StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Ordner51,GesellschaftzurFör derung derGehörlosen(Ablieferungsverzeichnis), EugenTellschaft anDr.Feuchte,Anlage zurVorstandssitzungderGesellschaft29.1.1981.

1055 AuchhierzusiehedasfolgendeKapitelüberdieGesellschaftzurFörderungderGehörlo seninGroßHamburge.V.unddasKulturundFreizeitzentrumfürHamburgerGehörlose.

Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine

327

7. 1. 7 Das Ta ub s t u m m e na l t e nhei m Einer  der  Gründe  für  den  Zusammenschluss  der  beiden  Anfang  des 20.Jahrhunderts  bestehenden  TaubstummenVereine  zum  „Allgemeinen TaubstummenVereinzuHamburgvon1891“imJahr1906warderschon beidenVereinsgründungeninden1890erJahrengeäußerteWunschnach Errichtung  eines  Seniorenheims  für  ältere,  erwerbsunfähige  gehörlose HamburgerinnenundHamburger.1056UnterdemNamendesneuenVereins wurdenSammlungenzuwohltätigenZweckeninderBevölkerungdurch geführt  sowie  Theatervorstellungen  und  andere  Veranstaltungen  „zum BestenderTaubstummen“organisiert.DirektorSöder vonderTaubstum menanstaltäußertesichjedochkritischüberdieSammeltätigkeitdesVer eins,weil„dieEinwohnerschaftdadurchtatsächlichbelästigtwurde,zumal diehies[ige]Taubst[ummen]AnstaltgleicheZweckeverfolgt“.1057 ImJah resberichtderTaubstummenanstaltwirddannGeldmangelalsGrundfür diefehlendeUnterstützungdiesesProjektesgenannt.1058SöderhieltdieEr richtungeinesAltenheimsfürGehörlosezwarfürwünschenswert,wollte jedochdieTaubstummenanstaltbeteiligtsehen.ErhieltdenTaubstummen vereinfür„gänzlichungeeignet“,einsolchesUnternehmenvonsichauszu finanzierenundzuverwalten,dadieMitgliederdesVereins,unddasver deutlichtdieSichtdeshörendenLehrersaufGehörlose,„größtenteilsaus unselbständigenvielfachhiernurvorübergehendanwesendenjungenLeu ten“  bestehen  würde.1059 Tatsächlich  gab  es  Probleme  bei  der  Verwirkli chungdesgrößtenVereinswunsches,alsderKassenverwalterdasmühsam gesammelteGeldunterschlug.DerVorschlagDirektorSödersaufgemein sameGründungeines„FürsorgevereinsfürältereTaubstumme“durchden Vereinzusammenmit„angesehenenMitbürgernundMitgliedernunseres Vorstands“  stieß  auf  keine  Resonanz.1060 Der Allgemeine  Taubstummen 1056

Sostehtz.B.in§2bderSatzungendesTaubstummenBundeszuHamburgausdemJahr 1899alsZweckdesVereinsdieAnsammlungeinesFondszurErrichtungeines„Heimsfüral tersschwache,erwerbsunfähigeTaubstumme“(StAHbg,3313PolitischePolizei,Sa287).

1057

StAHbg,3518Stiftungsaufsicht,B893,Bl.III2:SöderanSyndikusDr.Buehl12.10.1909 am12.10.1909.

1058

BerichtderTaubstummenAnstalt1908/09,S.7.

1059

StAHbg,3518Stiftungsaufsicht,B893,Bl.III2:SöderanSyndikusDr.Buehl12.10.1909 am12.10.1909.

1060

Ebd.

328

Gehörlose in der Gesellschaft

VereinbeschlossdiealleinigeAufstellungeines„Heimfondskomitees“auf seinerGeneralversammlungam3.Oktober1909zurErrichtungeines„Hei mesfüraltersschwacheundarbeitsunfähigeTaubstumme“.1061InderFolge berichtete dieserAusschussals„AbteilungTaubstummenheim“desVer einsregelmäßigüberseineArbeit.1062 Aber  erst  ein  Vierteljahrhundert  später  konnte  das Altenheim  für  er werbsunfähigeGehörlosenachjahrzehntelangemSammelnvonSpenden undderfinanziellenwiemoralischenUnterstützungdurchdenVerein(seit 1913  als  „Allgemeiner  TaubstummenUnterstützungsverein  zu  Hamburg gegr.  1891  e.  V.“)1063 und  schließlich  auch  mit  Hilfe  der  Milden  Stiftung Taubstummenanstalt1064 imJahr1934errichtetwerden.DieGründungdes TaubstummenheimesfieljedochfastzusammenmitderGleichschaltung derVereine,sodassdasVereinsvermögen,welcheszurUnterstützungdes Heimszusammengekommenwar,durchdieAuflösungderVereineund das  damit  verbundene  Zusammenfließen  der  Gelder  beinahe  nicht  zum KaufeinesGrundstücksverwendetwerdenkonnte.Dochgelangnoch1933 durch  Initiative  des  Taubstummenlehrers  und  späteren Altenheimleiters, WilhelmBehrens,derseit1921MitarbeiterderWohlfahrtsbehördewarund seine  Kontakte  zur  Behörde  nutzte,1065 die  Umwandlung  der Abteilung TaubstummenheimdesAllgemeinenTaubstummenUnterstützungsvereins ineineMildeStiftung.1066 Am25.Juni1934wurdederKaufvertragzwi schenVorbesitzerundMilderStiftungunterzeichnet.Eskonntemitdem BaudesAltenheimesamMellenbergweg19begonnenwerden. 1067AlsVor 1061 Tellschaft,Festschrift,S.12;StAHbg,3313PolitischePolizei,Sa287,SchreibendesAmts gerichtsHamburgandiePolizeibehördeHamburgvom28.10.1909. 1062

StAHbg,3313PolitischePolizei,Sa287,GeneralAnzeigerNr.272vom20.11.1910.

1063

 GenanntwerdensolltehierdieunermüdlicheArbeitdesgehörlosenBuchbindersAlfred Gehrken(1869–1967),derdenVereinvon1900bis1920geleitethatteunddanachbiszumBau desHeimesVorsitzenderdesHeimfondsausschusseswar.

1064 StAHbg,3518Stiftungsaufsicht,B893,BilanzenderTaubstummenanstaltvom31.3.1929 und31.3.1933. 1065

StAHbg,22111StaatskommissarfürdieEntnazifizierungundKategorisierung,Ed4097.

1066

StAHbg,1111Senat,Cl.VIILit.QaNo.1Vol17bFasc1,Bl.3b:Landesjustizverwaltung anVerein2.12.1933.DeroffizielleAntragaufStiftungseinrichtungwurdeam29.10.1933von AlfredGehrkenundCarlDolbergdesAllgemeinenTaubstummenUnterstützungsvereinsge stellt(ebd.) 1067 Tellschaft,Festschrift,S.39.Satzungvom22.11.1933sieheStAHbg,1111Senat,Cl.VIILit. QaNo.1Vol17bFasc1.

Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine

329

sitzendenderStiftungschlugBehrensdendamaligenVizePräsidentender WohlfahrtsbehördeundspäterenSenatorOskarMartini (1884–1980)vor, ausgerechnet  den  Mann,  der  einer  der  Hauptverantwortlichen  für  die DurchführungderZwangssterilisationeninHamburgwerdenwürde.Mar tinibehieltseinAmtauchnach1945.1068

Abbildung 65: Altenheim am Mellenbergweg

1975/76begannderUmzugineinneuesGebäude,dadasalteGebäude unansehnlichundaufGrunddessennurnochvonzwölfgehörlosenMen schenbewohntwar.DasamWaldrandimMellenbergweg1921inHam burgVolksdorfgelegeneAltenheimistheuteeinesderwenigenSpezialein richtungenfürgehörloseSeniorinnenundSeniorenundbietet36Plätzefür gehörlosealteMenschen.1069 1068

Hannen,Gehörlosenbildung,S.64.

1069

DrucksacheNr.17/1607derHamburgerBürgerschaftvom5.11.2002

330

Gehörlose in der Gesellschaft

7. 1.8 Stiftung en fü r mehr fa chbehinder te Gehörlose DieMildeStiftungTaubstummenanstaltsuchtenachdemWegfalldesIn ternats  und  nachdem  immer  weniger  Kinder  Pflegefamilien  benötigten, nachneuenAufgabenundfanddieseinderFürsorgefüralteundbehin derte  Gehörlose.  Zusammen  mit  anderen  Gehörlosenstiftungen  (Familie MadjeraStiftung,JobstundAnnaWichernStiftung)bildetemannach1945 einenDachverbandundsorgtheutefürdieEinrichtungenfürSchwerstbe hinderteunterandereminHeide/Holsteinoder fürWohngemeinschafts projekteinHamburg.IndererneuertenSatzungderStiftungTaubstum menanstaltvon1976wurdealsZwecknichtnurdieErziehungundFürsorge fürgehörloseKinder,JugendlicheundErwachsene(Gehörlosewurdenin dieserSatzungimmernochals„taubstumm“bezeichnet),sondernauchfür mehrfachbehindertegehörloseundschwerhörigeKinderverankert.„Zu diesemZweckkanndieStiftungHeime,SchulungsundBegegnungsstät tenerrichtenundbetreiben“.1070 DieseSatzungsänderungwarwegender ÜbernahmederTrägerschaftdesHeimesinHeide/Holsteinfürmehrfach behinderteJugendlicheundErwachsenenötiggeworden.DurchInitiative derGehörlosenfürsorgewarderAufgabenkreisderStiftungmitderSat zungsänderung1976dengegebenenVerhältnissenangepasstworden.Da dieTrägerschaftderGehörlosenschuleweggefallenwar,wardieHauptauf gabederStiftungTaubstummenanstaltdieErrichtungvonEinrichtungen fürmehrfachbehindertehörgeschädigteErwachsene. Seit1969gibtesdasnachdemHamburgerPräsidentendesDeutschen Gehörlosenbundes,MitgründerdesKulturzentrums derGehörlosen und erstengehörlosenTrägerdesBundesverdienstkreuzesinHamburg,Bruno Kühne (1906–1968),  benannte  BrunoKühneHaus  in  HamburgOthmar schen.DiesesHausbeherbergteineWohngemeinschaftvonmehrfachbe hindertenGehörlosen,dieinEinZimmerWohnungenzwarfürsichallein, aberdochinengerNachbarschaftgemeinsamundmiteinanderleben.Den VorsitzhatderLandesverbandderGehörlosen.

1070

 StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,MappeAktenbetreffendStif tung  Taubstummenanstalt  (Ablieferungsverzeichnis),  Protokoll  der  Sitzung  vom  13.4.1976. Hier:§2(2).

Selbsthilfeorganisationen, Stiftungen und Vereine

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Abbildung 66: Bruno Kühne, um 1960

Ein  Jahr  zuvor  –  im Frühjahr  1968  –  hatte  die  1962  gegründete  Familie MadjeraStiftunginHeidedasHeimfürhörundsprachbehinderteKinder eröffnet.  Dieses  Heim  ist  für  Kinder  gedacht,  die  neben  ihrer  Hör  und SprachschädigungnochweitereBehinderungenhaben,seieskörperlicher odergeistigerArt,wiezumBeispielspastischeLähmungoderallgemeine Verhaltensstörungen.Außerdemgibtesseit1976dasSonderheimfürju gendlicheunderwachseneHörundSprachgeschädigte,diedieNachfolge einrichtung  der  zuvor  genannten  Stiftung  ist.  Träger  ist  die  Hamburger Taubstummenanstalt.DiesesHeimisteinVollzeitheimfürmehrfachbehin derteJugendlicheundErwachsene.WeitereWohngruppenundeinSonder heimfürmehrfachbehinderteblindeundtaubblindeMenschensindeben fallsinHeidebeheimatet. Wie  kamen  diese  Hamburger  Einrichtungen  nach  Heide  in  Holstein? NachdemZweitenWeltkrieglagdieBehindertenfürsorgeimArgen.Erst inden1860erJahreneröffneteHannovereineTaubblindenschule,dieaber schonbaldnichtgenugPlatzfürdieKinderbot,sodasseinigeindasSon derheimfürsprachundhörgeschädigteKindernachHeideinHolsteinka men,aberdortihrerschwerenBehinderungnichtentsprechendgefördert wurden.DieverschiedenenLeistungsstufenderKinderanderSchulega

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Gehörlose in der Gesellschaft

bendenAnstoßzumBaueineseigenenZentrums.TrägeristdieHambur gerJobstundAnnaWichernStiftung,die1975inTensbütteleinGebäude zumHeimumbauteundmitderZeitimmermehrPlätzefürmehrfach behindertetaubblindeKinderschuf.1979wurdedasSonderheimzurErfül lungderSchulpflichtanerkannt.HeutewohnenindenHäusernderStif tungfast 60mehrfachbehindertetaubblindeKinder,JugendlicheundEr wachsene.1071

Abbildung 67: Heim für taubblinde Kinder in Tensbüttel

1990schlossensichdieStiftungenfürmehrfachbehinderteGehörlosezum „Stiftungsverbund  zur  Förderung  mehrfach  behinderter  Gehörloser, Schwerhöriger  und  Taubblinder  e.  V.“  zusammen.  Gründungsmitglieder warennebenderStiftungTaubstummenanstalt,dasHamburgerTaubstum menaltenheim,dieFamilieMadjeraStiftungunddieJobstundAnnaWi chernStiftung.1072

1071

http://www.jobstundannawichernstiftung.de/about.htm,abgerufenam15.9.2007.

1072

http://www.stiftungsverbund.de,abgerufenam15.9.2007.

Gehörlose Künstler

333

7. 2 Ge hörlose Künstler AufderAusstellungvonWerkengehörloserKünstleranlässlichderSamu elHeinickeJubiläumsausstellung  1927  waren  auch  Werke  gehörloser Künstler,diemitHamburgverbundenwurden,zusehen.AufAnregung desVereinsgehörloserbildenderKünstlerDeutschlandskaufteHamburg einigevomDirektorderKunsthalleProf.GustavPauli(1866–1938)ausge suchteWerkedieserKünstlerauf:PlastikenvonWilliKöhler,Hamburg, AquarellevonHansBunge,Mölln,undGemäldevonFranzHartogh,Fi scherhude.DiesewurdenallerdingsinderFolgenichtgesamtöffentlichge zeigt,  sondern  der  Taubstummenanstalt  als  Dauerleihgabe  überreicht.1073 ErinnertseihierandenMalerFranzHartogh,andieBildhauerinElisabeth SeligmannunddievielleichtbekanntestegehörloseHamburgerKünstlerin: RuthSchaumann.AuffälligistbeiallendreierfolgreichenKünstlern,dass sienichtöffentlichzuihrerGehörlosigkeitstanden.SiewareninihrerEr ziehung  Oralisten  und  eine vollständige  Integration, ein  NichtAuffallen ihrerGehörlosigkeitinderGesellschaftwarüberJahreihrZiel. 7. 2. 1 Rut h Scha uma nn Die  geborene  Hamburgerin  Ruth  Schaumann war  eine  schaffensfrohe Künstlerin.Esgibtvonihr89BüchermiternstenunderbaulichenProsa stückenundGedichten.1074VorallemwarsieaberBildhauerin,diezahlrei chemeistreligiösmotiviertePlastikenschuf.AuchihrgrafischesWerk,ihre Zeichnungen,IllustrationenundScherenschnitte,machtenausRuthSchau manneinebekannteKünstlerinihrerZeit. RuthSchaumann wurdeam24.August1899inHamburgalsTochter des  Kavallerieoffiziers  Curt  Schaumann (1872–1917)  und  seiner  Ehefrau ElisabethSchaumann,geb.Becker (1875–1954),geboren.1075 IhreKindheit 1073

StAHbg,3632SenatskommissionfürdieKunstpflege,F3.

1074

HorstHoffmann,BibliographieRuthSchaumann,Uelzen1999,zählt150Bücherauf,inde nenschriftstellerischeWerkeRuthSchaumannszufindensind.

1075

AngabenzumLebenslaufwennnichtandersangegeben,stammenaus:RolfHetsch,Ruth SchaumannBuch,Berlino.D.(1933);IngeborgKoza,Schaumann,Ruth,in:BiographischBi bliographischesKirchenlexikonBandIX(1995),Sp.16–19;Nachwortin:RuthSchaumann,Der Kugelsack.MiteinemEssayvonTomasVollhaber,Hamburg1999.

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Gehörlose in der Gesellschaft

verbrachte sie in  Hagenau imElsaß, wohin die Elterngezogen waren – häufigerjedochlebtesiebeiihrenGroßeltern,denElternderMutter,inei nemkleinenOrtbeiUelzen.RuthSchaumann hattezweiSchwestern.Ihr Bruderverstarbfrüh.MitsechsJahrenerkranktesieschweranScharlach. SieertaubteinFolgedieserKrankheitam14.Oktober1905.1076EinJahrspä terwurdesievondenElternmitderKinderfrauIdaGoretzki(1881–1960) nachHamburggeschickt,wosieinderFamiliedesGroßkaufmannsEmil Seligmann,derselbstzweivonGeburtangehörloseKinderhatte,privat von  einem  Taubstummenlehrer  unterrichtet  wurde.  Bis  1913  blieb  Ruth SchaumanninHamburg,seltendurftesiezudenGroßelternnachUelzen, nochseltenerzudenElternnachHagenau.EswareinesehrschwereZeit fürdasalsbegabtaberaufmüpfiggeltendeMädchen.IhrLehrerReinhold LutzschriebimDezember1906ineinemerstenZeugnisüberdieSchülerin andieEltern:„DiesesKindhateinenBock,kaumauszusprechen,dochwir werdenihnzubrechenverstehen.“1077 ZurgleichenZeitwurdeRutheine Schwestergeboren.DochRuthsWunsch,zuWeihnachtennachHausezu kommen,wurdevonderMutterverwehrt,denn„ProfessorFreund,aus StraßburgzurGeburtherübergekommen,meint,daßderAnblickderTau be[n]mirimWochenbettschädlichseiunddieMilchdranversauernkön ne.“1078RuthlittsehrandieserAblehnung,wurde1907wiederkrankund erblindetesogarfüreinigeTage.1079 SchonindieserZeitwardiegeschriebeneSpracheeinHaltfürdasMäd chen,  das  später  zur  Passion  werden  sollte.  Mit  ihrer  Konfirmation  war RuthsSchulausbildunginHamburgbeendet.SiezogzuihrerFamilienach Hagenau.IndieserZeitschriebsie,diesichvonSpracheerfülltsah,ihre erstenNovellen–aberauchKriegsgedichte.1915gingRuthSchaumann mitIdaGoretzkinachLahr,imFrühjahr1917nachMünchen.Diebayrische LandeshauptstadtsollteihrLebensmittelpunktwerden.Hierbesuchtesie aufWunschderElternwenigeMonatediesiekaumbefriedigendeprivate DebschitzSchulefürModezeichnen.Sieschriebnebenbeivielundwurde durchPastorDr.AloisWurmangeregt,religiösePlastikenzuschaffen.Im Januar1918bestandRuthSchaumanndieAufnahmeprüfunganderKunst 1076

Schaumann,Kugelsack,S.269.

1077

RuthSchaumann,DasArsenal,Heidelberg1968,S.176.

1078

Ebd.,S.180.

1079

Ebd.,S.183.

Gehörlose Künstler

335

gewerbeschule  und  kam  in  die  BildhauereiKlasse  von  Prof.  Joseph Wackerle (1880–1959).Wiedererkranktesieschwer,musstemitdemStu diumpausieren,undkamerstimSeptember1920nachMünchenzurück. IhreKrankheithatteRuthSchaumannsReligiositätnochvertieft–sieverar beitetediesinihrenSkulpturenundihremschriftstellerischemWerk.1920 erschienihrersterGedichtband.ImJanuar1921wurdesieMeisterschülerin undbekameineigenesAtelier.SiebegegnetedemSchriftleiterderZeit schrift„Hochland“Dr.FriedrichFuchs(1890–1948),derdieKünstlerinin terviewte  –  die  beiden  verliebten  sich.  Ostern  1924  konvertierte  Ruth Schaumann zumKatholizismus,imHerbstheiratetendiebeidenundim SommerdesdarauffolgendenJahreswurdederältesteSohngeboren.Fünf KinderbekamdasEhepaar. GroßeAufträgefürRuthSchaumannwarenSkulpturenwiediePietàfür dieKryptaderFrauenfriedenskircheinFrankfurtamMain(1928)oderdie MadonnafürdieFranziskanerpfarrkircheinHagen(1931)–beideüber standendenKriegundkönnenheutenochvorOrtbewundertwerden.Ihre PlastikenfindensichgenausoinSt.Louis,USA,wieinderEremitageinLe ningrad.1080 Ihre  Bilder  und  Skulpturen  zeigen  Sinn  für  eine  nicht  ver niedlichende  Romantik.  Sie  sind  eindringlich  und  ohne  Schnörkeleien  – ganz  im  Gegensatz  zu  ihrem  schriftstellerischen  Werk,  das  wegen  der reichhaltigenAssoziationennichteinfachzulesenist.1081 IhreInhaltesind religiöserNatur,ihreThemenstammenausdemeigenenErfahrungskreis. Indem1932veröffentlichtenRoman„Amei“schildertesieihreKindheit. RuthSchaumannbekämpftemitihrerArbeitdieTaubheit.Siegrenztesich bewusstvonGehörlosenab,1082 äußertesicherstspät,1968,in„DasArse 1080

 RobertMariaWagner,RuthSchaumannalsMenschunterMenschenundZeuginihrer Zeit,in:Bossle,Lothar/Pottier,Joël(Hg.),DeutschechristlicheDichterinnendes20.Jahrhun derts.GertrudvonleFort,RuthSchaumann,ElisabethLanggässer(FestschriftfürFriedrich KieneckerausAnlaßseines70.Geburtstages),Würzburg,Paderborn1990,S.60100,hierS.80.

1081

JoëlPottier,Wiedergelesen:RuthSchaumannsRoman„Elise“.EinBeitragzurWesensbe stimmungdesWiderstandesderdeutschenchristlichenDichtergegendasDritteReich,in: Bossle,Dichterinnen,S.111;UrsulaAckermann,DasbildhauerischeundgraphischeWerkvon RuthSchaumann,in:Bossle,Dichterinnen,S.93–125,hierS.98. 1082 GesprächmitihrenSöhnenAndreasundDr.PeterFuchsundeinemgutenFreund,Gott friedWeileder.Gesendetinder966.FolgederSendung„SehenstattHören“am22.August 1999,nachzulesenimInternetunterhttp://www.taubenschlag.de/SSH/2208.htmam14.8.2003, sieheaucheinweiteresInterviewmitdenSöhnen„Zum100.GeburtstagvonRuthSchau mann(1899–1975),in:DasZeichen.ZeitschriftzumThemaGebärdenspracheundKommuni kationGehörloser48(1999),S.206–223.

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Gehörlose in der Gesellschaft

nal“,dasihrLebenbiszuihrerVerheiratungbeschreibt,überihrGefühle alsGehörlose.IhrLebenlanghattesiedarumgekämpft,Hörendengleich wertiggegenübergestelltzuwerdenunddieGehörlosigkeitzuverbergen. SpäterarbeiteteRuthSchaumannaneinerFortsetzungihrerBiografie,die aberunvollendetbliebunderstnachihremTodveröffentlichtwurde.1083 1931erhieltsie–alsersteFrau–denDichterpreisderStadtMünchen.Spä ter  fertigte  Ruth  Schaumann auch  Zeichnungen,  Grafiken  und  Scheren schnittean.1933ändertesichdasKlima,indemdieFamilielebte.1935 wurde  ihr  Mann  entlassen,  er  arbeitete  fortan  als  Privatgelehrter.  Ruth SchaumannsBilderwurdenals„entartet“bezeichnet,Neuauflageneiniger ihrerBücherverboten,soihrbekanntestes:„Amei“.DortsolltesiedasKa pitel„Der gefalleneIsmael“entfernen,indemsie beschrieb, wiesie als Kind  dafür  bestraft  wurde,  Mitleid  mit  einem  jüdischen  Jungen  zu  ha ben.1084InihrenassoziativenGeschichten,indenensiedurchreichhaltige VerwendungsprachlicherFormenganzleiseKritikübt–seiesanderKir che,seiesanderPolitik–,zeigtSchaumannVorliebefürBenachteiligteje derArt.1085 Der  Tod  ihres  Mannes  am  1.  November  1948  traf  Ruth  Schaumann schwer.AusfinanziellenGründenbegannsie,auchkunstgewerblicheAr beiten  anzufertigen.1086 1959 wurde ihr das  Bundesverdienstkreuz  verlie hen,1960derGoldeneKoggeRingderStadtMinden,1964derBayerische Verdienstorden.RuthSchaumannstarbam13.März1975inMünchen.Erst indenletztenLebensjahrenhattesiebegonnen,ihreGehörlosigkeitzuak zeptieren. 7. 2 . 2 Elisabet h Sel i gm a nn ImHausedesHamburgerGroßkaufmannsSeligmannerhieltRuthSchau mann ihreersteAusbildung.EswarihreGroßmutter,diedenKontaktzu dergroßbürgerlichenFamiliemitdemHinweisaufdieVerwandtschaftmit

1083

RuthSchaumann,DerKugelsack.MiteinemEssayvonTomasVollhaber,Hamburg1999.

1084

Wagner,Schaumann,in:Bossle,Dichterinnen,S.72.

1085

Ebd.,S.78,87und90.

1086

Ackermann,Werk,in:Bossle,Dichterinnen,S.95.

Gehörlose Künstler

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Bürgermeister  Dr.  Carl  Mönckeberg (Ruth  Schaumanns  Onkel  war  der SohndiesesHamburgerBürgermeisters)herstellte.1087 DerHamburgerEmilFelixSeligmann (1847–1923)hatteinParisseine NichteerstenGrades,„dieschöneIsabella“ClaraHahn(1826–1915)1088aus Caracas,geheiratet.1089 AlsevangelischgetaufterJudebestandSeligmann gegenüberseinerkatholischenEhefraudarauf,dassdiegemeinsamenKin derevangelischgetauftwürden.SogeschahesbeiCarl(geb.1881),Helene (geb.1882),Eduard(geb.1885),Olga(geb.1887),Felix(geb.1889),Elisa beth,Herbert(geb.1892)undMarie(geb.1895).ErstalsEduardbereitsvier Jahrealtwar,erkanntendieEltern,dassihrSohntaubwar.1090TochterElisa beth,genanntLisa,wurdeam19.September1893geboren.Sehrbaldwur deklar,dassauchsiegehörloszurWeltgekommenwar.1091 Währenddie MutteroftzumBetenfürihreKinderinsKlosterfuhr,machtesichderVa ternachFrankfurtamMainauf,umdenbestenLehrerderdortigenTaub stummenanstaltfürdenUnterrichtseinergehörlosenKinderzuengagie ren.Für13JahreunterrichteteReinholdLutzdiebeidenKinderimgroßen PatrizierhausinderAltenRabenstraße18.ObdiegehörlosenGeschwister inderKommunikationuntereinanderaufeigeneGebärdenzurückgriffen? AngeblichbenutztendiebeidenkeineZeichen. ObwohldieGeschwister nichtinderHamburgerSchuleausgebildetwurden,unterstützteihrVater finanziellgroßzügigwährendvielerJahredieHamburgerTaubstummen anstalt.1092AlsEduardmit21JahrenindieväterlicheFirmaeintrat,bekam ElisabethzurLernunterstützungfürtäglichvierStundendieschwerhörige BäckerstochterMinnaBachdazu,Ende1906diesiebenjährigeRuthSchau mann.1093ElisabethsBruderEduardhattegelernt,deutlichzusprechenund 1087

Schaumann,Arsenal,S.169und188.

1088

 http://www.maxehrlich.org/genealogy/g1288.html,  abgerufen  am  15.9.2007; StA  Hbg, 3328Meldewesen,A30,Meldekartei1892–1925,MeldeEinträgeEmilFelixSeligmannund IsabellaClaraSeligmann,geb.Hahn.

1089

Schaumann,Arsenal,S.165;StAHbg,5221JüdischeGemeinden,992b,„blaueSteuerkar tei“,EintragEmilSeligmann.

1090

Schaumann,Arsenal,S.166.

1091

Ebd.,S.167.

1092

ImBerichtderTaubstummenAnstaltüberdasSchuljahr1908/09istderBeitragEmilSelig manns mit50MarksehrvielgroßzügigeralssämtlicheanderenUnterstützungen,diesich zwischen2und10Markbewegen.

1093

Schaumann,Arsenal,S.167–169.

338

Gehörlose in der Gesellschaft

zu  lesen,  er  gebärdete  nicht  und  begleitete  fortan  den  Vater  in  dessen Büro.1094Dochbereitsam13.Dezember1907starbEduard.1095Erwurdein einerschneereichenNacht,alsermitdemFahrradzwischendenStraßen bahnschienennachHausefuhr,vonderTrambahnüberfahren,derenKlin gelnernichtgehörthatte.1096 1910warendieUnterrichtsstundenmitLisaaufzweiinderWocheredu ziertworden,LisasolltebaldnachMünchengeschicktwerden,umdasMa len  zu  erlernen1097 –  dort  studierte  bereits  ihr  älterer  Bruder  Felix (18891914)1098.LeideristnochnichtsüberdiekünstlerischeAusbildungEli sabethSeligmannsbekannt.SiewurdespäterMitgliedderHamburgischen Künstlerschaft.1099Ausstellungenhattesievon1927bis1929alsGastinder HamburgerSezession,ab1935imJüdischenKulturbundHamburg.1100 Im Mai1936stelltesiemitzwölfanderenHamburgerKünstlernimJüdischen MuseumBerlinaus.ElisabethSeligmann entwarfSkizzenundZeichnun genalsVorbereitungaufihrePlastiken,diesiedann–Torsi,Madonnen, Tiere,Mädchen–inGips,HolzundTonmodellierte.EinigeArbeitenwur deninBronzegegossen.1928bekamsiedenAuftrag,Portraitsbekannter Hamburgeranzufertigen.IhrAtelierhattedieZeichnerinundBildhauerin zusammenmitErnaLautrupWittmaack(1870–1957)imKünstlerhausBir kenau24,dasnachdemErstenWeltkriegalsHallierstiftungerrichtetwor den  war.1101 1933  wurde  Elisabeth  Seligmann aus  der  Hamburgischen Künstlerschaftausgeschlossen.1102 NachdenNürnbergerGesetzengaltsie fortanalsJüdin.DieReichskammerderBildendenKünsteschlosssievor 1094

Ebd.,S.167.

1095

StAHbg,3328Meldewesen,A30,Meldekartei1892–1925,MeldeEintragEduardFelixSe ligmann.

1096

Schaumann,Arsenal,S.177–179.

1097

Ebd.,S.225undS.273.

1098

StAHbg,3328Meldewesen,A30,Meldekartei1892–1925,MeldeEintragEduardFelixSe ligmann.

1099 HierundimFolgenden,wennnichtandersangegeben,nachdemLexikoneintragin:Mai keBruhns,KunstinderKrise,2Bände,Band2:KünstlerlexikonHamburg1933–1945,Ham burg2001,S.353–354,hierS.353.ZumJüdischenKulturbundsieheMaikeBruhns,Kunstin derKrise.Band1:HamburgerKunstim„DrittenReich“,Hamburg2001,S.313–320. 1100

ÜberdieverschiedenenAusstellungensieheBruhns,Kunst,Band1,S.315.

1101

Ebd.,S.134.

1102

Ebd.,S.105.

Gehörlose Künstler

339

Juni1938aus.Bis1936lebteElisabethimElternhaus,zum1.Januar1937 zogsiezuihrerinzwischenverheiratetenSchwesterMarieWolfindieWer derstraße65.1103SiebereitetesichmitSpanischunterrichtaufdieEmigration vor–am16.Oktober1941konntesieDeutschlandverlassen.Nurwenige Dingewarenihrgeblieben.Die„Vermögensverwertungsstelle“derDevi senstelledesOberfinanzpräsidentennahmihrGeldundentschieddarüber, wasausihremHausstandbeiihnenverbleibendurfte.ElisabethSeligmann listeteauf,wassieindieEmigrationmitnehmenwollte,vonKleidungbis zupersönlichenDingen,auchihrArbeitsmaterialundzwölfkleineSkulptu ren,daruntereineMadonna,SkizzenundFotos.1104IhrenFotoapparatdurf tesienichtbehalten,auchnichtdenSchmuckundihreKunstsammlung. DiemeistenWertpapierewurdenandiePreußischeStaatsbankabgeliefert, einigedurftesieihrerSchwesterOlgaWerner schenken.Olga,ihrMann undeineihrerTöchterwurdenneunTagenachElisabethsAuswanderung nachLodzdeportiertunddortumgebracht.1105ÜberBarcelonareisteElisa beth–ohneBegleitung–nachKuba,dannweiternachEcuador,woinder HauptstadtQuitoihrältesterBruderCarllebte.1106Dortstarbsieam14.Juli 1947.ElisabethSeligmanns Werke,dieinHamburgüberdierenommierte KunsthandlungCommeterverkauftwurden,sindheutenichtmehraufzu finden. 1952stelltenihreErbeneinenWiedergutmachungsantrag,dernachei nemRechtsstreiterst1960anerkanntwurde.1107DieSchwesternHeleneund Olgawarentot,dereninHamburggeboreneundevangelischgetaufteKin derlebtenvonBrasilienbisNeuseelandüberdieganzeWeltverstreut.Der Älteste,Carl,kamausEcuadornachHamburgzurück,derJüngste,Her bert,bliebinLosAngeles,MarieWolfinNewYork. 1103 StAHbg,StAHbg,5221JüdischeGemeinden,992b,„blaueSteuerkartei“,EintragElisa bethSeligmann. 1104

StAHbg,31415Oberfinanzpräsident,FVg8738,ListederUmzugsgegenstände.

1105

Olga,Viktorunddie1923geboreneTochterMarionwurdenam25.10.1941nachLodzde portiert(http://www.rrz.unihamburg.de/rz3a035/bogenstrasse1.html,abgerufen am15.9.2007). Deportiertwurdeauchdie1905geboreneTochterLeni(http://www.maxehrlich.org/genealo gy/g1285.html#I1293,abgerufenam15.9.2007).VondenfünfKindernüberlebtenvier.

1106

NachEcuador,einemarmenLandmitFeudalstruktur–99ProzentindianischeUreinwoh nerwurdenvoneinemProzentGrundherrenregiert–emigrierten3.500bis4.000Deutsche.Die größte Gruppe bildete diejüdischeGemeindeinQuito,die1938gegründet wurde (Bruhns, Kunst,Band1,S.346).

1107

StAHbg,31415Oberfinanzpräsident,S139.

340

Gehörlose in der Gesellschaft

7. 2. 3 Fra nz Ha r t ogh DerinHamburggeborenebildendeKünstlerRudolfFranzHartogh(1889– 1960)wareinSchülervonLovisCorinthundHansOlde.AufGrundseiner jüdischenHerkunftwurdeHartoghvondenNationalsozialistenausdem Künstlerbund  ausgeschlossen,  ihm  wurde  die  Malerei  verboten  und  er wurdeindasKonzentrationslagerTheresienstadtdeportiert.

Abbildung 68: Franz Hartogh, Bauernhof, um 1915

Am31.Mai1889wurdeRudolfFranzHartogh alsdrittesKinddesKauf mannsFranzHartoghundseinerauswohlhabendemHausstammenden FrauMary,geboreneGoldschmidt,inHamburggeboren.1108 SeineEltern warenaus Holland indieHansestadt gekommen. Derjüngste Sohnder HartoghsverlorinFolgeeinerKrankheitimAltervonsechsJahrenseinGe hör.DaererstnachdemSpracherwerbertaubte,behieltereineverständli che Aussprache  und  lernte  rasch  das  Lippenlesen,  in  den Augen  seiner 1108

InformationenzuHartoghaus:FischerhuderKunstkreise.V.,RudolfFranzHartogh1889– 1960,Fischerhudeo.D.;http://www.washausen.de/fischerhude/deutsch/fku59n.htm,abgeru fenam15.9.2007;AllgemeinesLexikonderbildendenKünstlerdesXX.Jahrhunderts,Leipzig 1953–1962,Band2(1955)S.382.

Gehörlose Künstler

341

Um(undNach)welt„wurdeer[damit]keinTaubstummer“.1109 Nachdem derJungezuerstPrivatunterrichterhielt,besuchteervonNovember1897 bisOktober1899dieprivateVorschuleeinerFrauKrüger,anschließenddie privatehöhereWahnschaffscheRealschuleinderNeuenRabenstraßeund schließlichvon1902bisOstern1905dieOberrealschulevordemHolsten tor.DiehöhereSchulebeendeteermitdemErwerbderBefähigungfürden EinjährigFreiwilligenDienst.1110 Sein Wunschwar es,die Kunstgewerbe schulezubesuchen.1111 GleichnachAbschlussderSchulebegannHartogheineAusbildungbei dem  jüdischen  Landschafts  und  Interieurmaler  Hermann  Bruck (1875– 1953).  Der  Direktor  der  Hamburger  Kunsthalle Alfred  Lichtwark (1852– 1914),derseinenSchwerpunktaufKünstlerausdemnorddeutschenRaum setzte,ermöglichteHartogheineAusbildunginBerlin.VonSeptember1906 bisApril1910studierteerindenStudienateliersfürMalereiundPlastikin BerlinCharlottenburg.DurchVermittlungdesMalerFreundesundGrün dersderBerlinerSecession,MaxLiebermann(1847–1935),konnteerbeiLo visCorinth (1858–1925)lernen,einemMaler,derzwischenImpressionis musundExpressionismusinseinenBilderneineBrückeschlugundgroßen Einfluss  auf  das  bildnerische  Werk  Hartoghs  haben  sollte.  Von  1910 bis 1912studierteHartoghanderStaatlichenHochschulefürbildendeKünste inWeimar,dannfolgteerseinem(mitCorinthbefreundeten)LehrerHans Olde (1855–1917),  der  einen  impressionistischen  Freiluftstil  lehrte,  nach Kassel,woerbisJanuar1916blieb.HartoghkehrtewiedernachHamburg zurückundarbeitetehiermitUnterstützungvonLichtwarksNachfolger GustavPaulialsfreierMaler.VonOktober1917bisJuni1919warerwieder zumStudiumanderHochschuleinWeimar. ImSommer1911warHartoghdasersteMalmitseinemStudienfreund AugustHaake(1889–1915)zumMalenindemkleinenzumFleckenOtters bergimLandkreisVerdengehörendenOrtFischerhude.Hierentwickelte sichein Künstlerdorf,dasseineRuheund denbäuerlichenHintergrund überdieJahrebehielt,daesnichtdenBekanntheitsgraddesNachbarortes

1109 KarlVeitRiedel,EinzuUnrechtvergessenerKünstlereinerschicksalsschwerenZeit,in:Fi scherhude,S.5–8,hierS.5. 1110

MitdemErwerbderSekundareife(MittlereReife)konntenHamburgerjungeMännerden dreijährigenMilitärdienstaufeinJahrabkürzen.

1111

StAHbg,3622/2OberrealschulevordemHolstentor,AbgangslisteNr.331905.

342

Gehörlose in der Gesellschaft

Worpswedeerreichte.FischerhudebliebfürdienächstenJahredasZielvon HartoghsSommermonaten. 1920hatteHartogh,derinzwischenübereinenerneutenHamburgAuf enthaltnachWeimarandasBauhausgegangenwar,inseinerHeimatstadt seineersteAusstellung.AmBauhausbegannHartogh eineSchreinerlehre undstudiertedortbisOstern1925.Ab1923arbeiteteerdortinderVerwal tungdesArchivs,derBibliothekundderLichtbildsammlungundkonnte seineKenntnisseinHolländisch,EnglischundFranzösischinderfremd sprachlichen  Korrespondenz  einsetzen.  Es  folgte  eine  Hospitanz  an  der BaugewerkschuleWeimarundimArchitektenbürodeszuvoramBauhaus lehrendenArchitektenAdolfMeyer(1881–1929). 1925  hatte  Hartogh seine  zweite Ausstellung  in  der  ProvinzialTaub stummenanstaltSchleswig,dievonihmzweiBildersowieHolzschnittezur DekorationihrerRäumeerwarb.ZweiJahrespäterstellteerimRahmenei ner Künstlerausstellunganlässlich der SamuelHeinickeJubiläumstagung inderHamburgerKunsthalleaus.AuchhierwaresdieTaubstummenan stalt,inderÖlbilderdesKünstlersalsDauerleihgabederStadtausgestellt wurden.EineeigeneAusstellunghatteerdannimFrühjahr1928inder BremerKunsthalle,1929stellteerinmehrerenGemeinschaftsausstellungen aus,darunterauchinHamburg.HartoghwareinvielseitigerMaler,ermal tePortraitsundStillebenundschufHolzschnitte.Vorwiegendmalteeraber Landschaften:emotionale,aberdennochstrengkomponierteBilderinsat tenFarbenundmitklarenFlächen.Seinefrühexpressionistischeundemo tionaleMalweiseändertesichindenspäten1920erJahrenzuGunsteneines illustrativerenStils.Inden1930erJahrenarbeiteteerineinerreduzierteren Formensprache.1112 EinkunstinteressierterJournalistausBremen,derihn auchinden1940erJahrendurchunerlaubteBildkäufeunterstützte,nannte HartogheinenhervorragendenniederdeutschenKünstler,deralstypischer VertretereinesniederdeutschenLandschaftsmalersseinerZeitohnegroße ÖffentlichkeitseinenpersönlichenStildurchdie„stille[n]Reizedernord deutschenLandschaft“entwickelnkonnte.1113 1926warHartoghohneAbschlussderBauwerkschulevonWeimarnach Bremengegangen,umauchhierineinemArchitektenbürozuarbeiten.Im merwiederkameraberinseineHeimatstadtHamburg,umhieralsfrei 1112

Fischerhude,S.7f.

1113

ArtikelvonDr.BrinkmannohneQuellenangabe,in:FischerhudeS.28f.

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schaffenderKünstler,aberauchindenArchitektenbürosvonErnstHentze undFreiherrHeribertvonLüttwitz(geb.1891)alsAushilfezuarbeiten. 1931heirateteHartoghEvaPfitzner,dieTochtereinesBremerKonzert meisters,derenFamilieebenfallsdieSommerinFischerhudeverbrachte.Es folgten  mehrere Auslandsaufenthalte,  bevor  die  Nationalsozialisten  1936 erstmalsaufHartoghaufmerksamwurden.1937wurdeFranzHartogh,da erseine„arischeAbstammung“nichtausreichendbelegenkonnte,nahege legt,ausdemBremerKünstlerbundauszutreten.1938legteerseineMit gliedschaftohneAngabevonGründennieder.Konkretbedeutetedas,dass HartoghkeinAnrechtaufMalmaterialmehrhatte,keineAusstellungmehr bestückenund keine Bilder verkaufen durfte.  1942 wurde ihmdie Aus übungseinesBerufesverboten,aberausgerechnetvonderBremerGestapo erhielt  der  Maler  Aufträge  für  die  Gestaltung  ihrer  Einladungen  und Glückwunschkarten.ImApril1943wurdedurchdas„Sippenamt“festge stellt,dassHartogh„Volljude“sei.ErverlorseinAtelier.1944wurdeHartogh verhaftet  und  über  das  Lager  BremenFarge  in  das  Konzentrationslager Theresienstadtgebracht.1114 ImFrühjahr1945wurdeHartogh ausdemKonzentrationslagerbefreit undbegannsofortwiedermitderMalerei.Erbliebbeiseinerausdrucks starkenMalweise,diezwischenRealismusundExpressionismusangesie deltwar,fandjetztaberneueMotiveinBergundKüstenlandschaften,die erdurchseineReisennachItalien,Frankreich,HollandoderEnglandken nenlernte.1953ließersichinFischerhudenieder.Dortmalteerweiterund wurdealsVerfassereinerOrtschronikbekannt.RudolfFranzHartoghstarb am20.Januar1960.

1114

Über  gehörlose  Juden  im  KZ  forschen  Dr.  Simon  J.  Carmel,  USA,  und  Marc  Zaurov, Deutschland.DieBerichteüberihrebisherigeArbeitwerdenimTagungsbandzumDeafHis toryKongressinBerlin2006veröffentlicht.

8 Die Gesellschaft zur Förderung der Gehörlosen in Groß-Hamburg e. V. und das Kulturund Freizeitzentrum für Hamburger Gehörlose

1957gründeteninHamburgVertreterderGehörlosenvereine,Elterngehör loserKinderundGehörlosenlehrkräfteeineArbeitsgemeinschaftmitdem Ziel,dieAusbildungihrerKinderzuverbessern,Gehörloseleichterindie hörendeGesellschafteinzugliedernundihreSelbstständigkeitzufördern. AusdieserArbeitsgemeinschaftgingdieGesellschaftzurFörderungder GehörloseninGroßHamburghervor,dieam1.April1959gegründetund alsVereineingetragenwurde.SiesolltealsDachverbandalleinderHam burgerGehörlosenfürsorgetätigenfreienOrganisationenvereinen1115 und derenArbeitkoordinierterunddamiteffektivergestaltensowieihreMit gliedereinheitlichnachaußen,zumBeispielgegenüberBehörden,vertre ten.MitdemgeschlossenenAuftretenwurdeerreicht,dassdieSozialbehör deeineinderDeutschenGebärdensprachekundigeMitarbeiterinanstellte, diedannanbestimmtenTagengehörlosenHamburgerinnenundHambur gern  mit  Rat und  Hilfe  in  Behördenfragen  beiseite  stand.1116 Die  Gesell schaftvereinigteimeinzelnendietraditionelleTaubstummenseelsorgeder evangelischlutherischen Landeskirche  in  Hamburg  und  der  römischka tholischenGemeindeHamburgs,das1933inVolksdorfgegründeteHam burger  Taubstummenaltenheim,  den  Ortsverband  Hamburg  des  Bundes deutscherTaubstummenlehrer,denVerbandderGehörlosenvereineGroß Hamburgse.V.,denSchulvereinbzw.denElternratderHamburgerGehör losenschuleunddieStiftungTaubstummenanstalt.1117 Späterkamennoch 1115

 DenVorsitzhattenDr.HerbertFeuchteundPastorArnoldDummann (Hamburger Echo Nr.77vom3.4.1959).

1116

InformationderGesellschaftzurFörderungderGehörloseninGroßHamburge.V.,Ham burg1980,S.10.

1117  Tätigkeitsbericht 1959/60derGesellschaftzurFörderungderGehörloseninGroßHam burge.V.,Hamburg1960.

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Das Kulturzentrum für Gehörlose

zweiStiftungendazu,währenddiekirchlichenVerbändeherausfielen:1980 wurdenalsMitgliederzusätzlichdieFamilieMadjeraStiftungsowiedie JobstundAnnaWichernStiftunggenannt.1118 DieGesellschaftsiehtsichinersterLiniealsElternundSelbsthilfeorga nisation,diealsihreZieledieVerbesserungderGehörlosenbildungund derGehörlosenfürsorgenennt.DieGesellschaftleistetAufklärungsarbeit, Dolmetschertätigkeit,  Rechtsberatung,  Erholungsfürsorge  (“Altenverschi ckungenundorganisierteFerienaufenthaltefürgehörloseKinder“1119),all gemeineUnterstützung,kulturelleFürsorgeundHeimbau.

Abbildung 69: Herbert Feuchte

Ende1967konstatiertederVorsitzendederGesellschaftzurFörderungder Gehörlosen,Dr.HerbertFeuchte:„VonderHamburgerTaubstummenfür sorgegehengegenwärtigentscheidendeImpulseaus“.1120Hamburgwurde, vorallemdurchdenEinsatzFeuchtes,derinmehrerenVereinenführend vertretenwar,zumVorbildfüranderedeutscheLänder.InHamburgwur devielesgeplantundauchverwirklicht,zumBeispieleinHeimfürmehr fachbehindertegehörloseKinder,einebessereFörderungschwerhöriger 1118

Information,1980,S.13.

1119

InformationderGesellschaftzurFörderungderGehörloseninGroßHamburge.V.,Ham burg1976,in:StAHbg3612VIOSBVI,Abl.1995/1,Az.5347. 1120

StAHbg3612VIOSBVI,2535,FeuchteanLandesschulratErnstMatthewes4.12.1967.

Das Kulturzentrum für Gehörlose

347

Kinder,AnregungenzumAusbaudeszentralenBerufsschulwesensfürGe hörloseund–vorallem–derBaueinesKulturzentrums:ImFrühjahr1969 konntevonderGesellschaftzurFörderungderGehörloseninderBerna dottestraßeinOthmarschendasdeutschlandweitersteKulturundFrei zeitzentrum  für  Gehörlose  eingeweiht  werden.1121 Dieses  ist  auch  heute noch  die  bekannteste  Einrichtung  der  Hamburger  Gehörlosengemein schaft.MitdiesemGehörlosenzentrumpräsentiertesichdieGehörlosenge meinschafterstmalsselbstbewusstinallerÖffentlichkeit.1122BeiihrerGrün dunghattedieGesellschafthauptsächlichdreiZieleimSinn:DasZentrum solltevorallemzumgeselligenMittelpunktderHamburgerGehörlosenal lerAltersstufenwerden.Essollte„RückhaltundHeimat“derGehörlosen werden.DiegehörlosenHamburgersolltenimZentrumeinenTreffpunkt sehen,indemsiesichgebenkonnten,wiesiewarenundihreeigeneKultur undIdentitätalsGemeinschaftausübenkonnten.DerzweiteZweckdes Zentrumssolltesein,besonderekulturelleundgesellschaftspolitischeAkti vitätenzuentfalten;undschließlichsollteeseinTagungsortfürregionale undüberregionaleKonferenzenzumThemaderRehabilitationGehörloser sein.AlledieseZieleerreichtedasGehörlosenzentrumineinemmitder ZeitimmergrößerenMaße.EswarundistBegegnungsstättefürGehörlose, indemseit1980einRestaurant,ClubundHobbyräume,einSaalmitBüh ne,eineKegelbahnundeinSchießstandfürSportschützenintegriertist.Hier finden fast alle Veranstaltungen  der Gehörlosenvereine statt, hier werden Volkshochschulkurse,  Diskussionsabende,  Seminare  und  Wochenendta gungenfürGehörloseveranstaltet.EsgibtFrauen,ElternundStudenten gruppen  sowie  Seniorennachmittage.  Angeboten  werden  Fortbildungs programmewieGesundheitsfürsorge,KochkurseaberauchGebärdenkurse. Die  Othmarschener  Einrichtung  war  das  erste  Zentrum  dieser  Art  in Deutschland,indemvonAnfangintensivundoffensivinDeutscherGe bärdensprachekommuniziertwurde.DieGehörlosenimZentrumzeigten denHörenden,dassnichtdieLautsprache,sonderndieGebärdensprache ihrKommunikationsmittelwar.DieDiskrepanzzwischenschulischerTra dition  und  gelebter  Wirklichkeit  wurde  aufgehoben  und  die  Gebärden sprachedurchdasKulturundFreizeitzentrumaufgewertet. 1121

DieGesellschafthattedasGrundstückimOktober1966gekauft.ImFolgendenwirdden AngabenausInformation,1980,undHannen,Gehörlosenbewegung,S.131172,gefolgt.

1122

WeitereZentrenentstandenindenfolgendenJahreninFrankfurtamMain,Essen,Berlin, Münster,BraunschweigundHildesheim.

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Das Kulturzentrum für Gehörlose

MitdemKulturzentrumhatteauchderseit1950bestehendeTheater vereineinenProbenplatzgefunden.Erfolgreichwurdengebärdensprachli cheStückederTheatergruppebzw.späterdes„VisuellenTheaters“aufge führt.11231970entstandaucheinFilmstudio. Aber dasZentrumhattenochandereweitreichendeFolgen. Ein Ar beitskreisunterLeitungderHamburgerGehörlosenlehrerHellmuthStar ckeundGünterMaischversuchte1970,diebislangregionalstarkvonein ander  abweichenden  Gebärdenzeichen  zu  vereinheitlichen  und  so  ein NachschlagewerkfürDolmetscherundHörendezuschaffen.Maischund FritzHelmutWisch entwickeltendasnachihremUmschlagsogenannte „BlaueBuch“,das„HandbuchderGebärden“.IndiesemGebärdenlexikon werden  auf  480  Seiten  5.000  Begriffe  in  ihren  Gebärdenzeichen  dar gestellt.1124ImGebäudedesKulturundFreizeitzentrumsetabliertesichin derFolgeder„VerlaghörgeschädigtekindergGmbH“,derursprünglich TeilderDeutschenGesellschaftzurFörderungderHörSprachGeschädig tene.V.war.1125 DieBundesgeschäftsstelledieserGesellschafthatteihren Sitzvon1964bis1979inHamburgamKulturundFreizeitzentrumund gabvondortauchdieseit1963erscheinendeVierteljahresschrift„hörge schädigtekinder“heraus.1126 1977löstesichderVerlagalsselbstständige GesellschaftmitSitzinHamburgvonderMuttergesellschaft.DerVerlagin derBernadottestraßegibtauchheuteRatgeberundKinderbücherheraus. Ab2003erweitertesichdieZeitschriftinTitelundInhaltzu„hörgeschä digtekinder–erwachsenehörgeschädigte“.Alsweitererthemenspeziali sierterVerlagsei derSignumVerlaggenannt, der1989inHamburgge gründetwurdeundsichzueinerinternationalenmultimedialenEinrich tung  mit  dem  Themenbereich  Gehörlosenkultur  und  Gebärdensprache 1123

2003habensichMitgliederdieserGruppemitdemEssener„TrioArt“zu„VisualArt“zu sammengetanundführenabstrakteTheaterkunstvor. 1124

DasumfangreicheGebärdenlexikonliegtheuteinvierBänden(Grundgebärden,Mensch, Natur,Aufbaugebärden)undaufverschiedenenThemenCDRomsvor. 1125

 EinPhysikerentwickelteimAuftragdieserGesellschaftdasfürdieKommunikationGe hörloserwichtigeSchreibtelefon,dasseit1977erhältlichwar.

1126 DerSitzderGesellschaft(1976wurdesieumbenanntinDeutscheGesellschaftzurFörderung der  Gehörlosen  und  Schwerhörigen,  2005  in  Deutsche  Gesellschaft der Hörgeschädigten  – SelbsthilfeundFachverbändee.V.)befindetsichstetsandemOrt,andemderVorsitzendetä tigwar,alsounterFeuchte inHamburg,ab1979inFrankfurtamMain,ab1991unterPeter DonathinMünchen(freundlicheInformationvonFrauDonathOktober1995).Heutebefindet sichdieGeschäftsstelleinRendsburg,1.VorsitzenderistDr.UlrichHase.

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weiterentwickelt  hat.  Während  heute  der  Verlagssitz  zwar  nicht  mehr Hamburgist,soarbeitetdochdieRedaktionder1987gegründetenviertel jährlich  erscheinenden  Zeitschrift  „Das  Zeichen.  Zeitschrift  für  Sprache undKulturGehörloser“(später:ZeitschriftzumThemaGebärdensprache undKommunikationGehörloser)inderHansestadt.

Abbildung 70: Kultur- und Freizeitzentrum in der Bernadottestraße

DasZentrumistauchSitzdesLandesverbandesderGehörlosen.Anfangs gabesKompetenzstreitigkeiten,dadieGesellschaftEigentümerindesKul turzentrumswarundderVerbandderGehörlosenvereinevonGroßHam burge.V.alsMitgliedderGesellschaftnurMitspracherechthatte.11271971 wurdealsKompromisseineVereinbarunggetroffen,indemeinparitätisch besetzterVerwaltungsrateingesetztwurde.Dochgabesindenfolgenden JahrenweiterUnruhe,dasichMitgliederdesVerbandesdurchdieGesell

1127

Ab1.1.1972„LandesverbandderGehörlosenGroßHamburgse.V.“.

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Das Kulturzentrum für Gehörlose

schaftunmündigbehandeltfühlten.1128 DerVerbandveranstalteteInforma tionsveranstaltungen,TreffsundKurseverschiedenerArtfürGehörlose,aber auchKurse–zumBeispielindeutscherGebärdensprache–fürHörende,die sichfürdieWeltderGehörloseninteressieren.UnderorganisierteHam burgsAktivitätenamerstenbundesweiten„TagderGehörlosen“imSeptem ber1977.DerKonfliktzwischendemVerbandalsInteressenvertretungder Gehörlosen  und  der  von  Hörenden  geführter  Gesellschaft  schwelte  aller dingsweiter.Erst1988wurdeaufeinerschlichtendenTagungdasVerhältnis zwischenGesellschaftundVerbandneugeordnet– derVerband emanzi piertesichundübernahmdieVerantwortungfürdie„sozialeundpoliti scheArbeitfürdieGehörlosen“.1129 DerVerbandvorstandwurdeab1990 auchindenGesellschaftsvorstandgewählt.DieEmanzipationwargeschafft. EinegemeinsameForderungder1980erJahrenwardienachmehrbesser ausgebildetenGebärdendolmetschern–eineForderung,diesichbereitsüber JahrzehntehingezogenhatteunddienunindreiAusbildungsjahrgängen nachamerikanischemVorbildverwirklichtwurde,bevordieDolmetscher ausbildungandasneugegründeteZentrumfürDeutscheGebärdenspra chederUniversitätverlegtwurde.ImKulturzentrumwurdeeineDolmet scherEinsatzZentraleeingerichtet.HeutehatauchdieGeschäftsstelleder DeutschenGehörlosenBundesinderBernadottestraße126ihrenSitz. WeitereEinrichtungenderGesellschaftzurFörderungderGehörlosen inHamburgsinddasBrunoKühneHausinderBernadottestraße126–ein WohnhausmitzwanzigEinundZweizimmerappartementsfüralleinlebende Gehörlose,benanntnachdemam1.Dezember1968verstorbenenlangjähri genVorsitzendendesLandesverbandsderGehörlosenundPräsidentendes DeutschenGehörlosenbundes–unddasHamburgerTaubstummenalten heiminVolksdorfmit40Plätzen,deren TrägerdieStiftungHamburger Taubstummenaltenheim  ist.1130 Weitere  MitgliedsStiftungen  der  Gesell schaftsinddieFamilieMadjeraStiftung,diedasseitFrühjahr1968beste hende  Sonderheim  für mehrfach behinderte  hör  und  sprachgeschädigte KinderinHeideinHolsteinbetreibt,dieJobstundAnnaWichernStiftung, 1128

AusführlichdazusieheHannen,Gehörlosenbewegung,S.144–146.

1129

Ebd.

1130

FürdasersteTaubstummenaltenheimsammeltederAllgemeineTaubstummenUnterstüt zungsvereinseit1909Geldmittel,z.B.durchLotterien(siehedazuz.B.StAHbg,1111Senat, Cl.VIILit.QdNo.748Vol.1sowieTabellevonEugenTellschaft,AllgemeinerGehörlosenUn terstützungsvereinzuHamburgvon1891e.V.vom25.7.2001).

Das Kulturzentrum für Gehörlose

351

diedasSonderheimfürmehrfachbehindertetaubblindeundblindeMen scheninTensbüttel,KreisDithmarschenführt,unddieStiftungTaubstum menanstalt,dieTrägerdesSonderheimsfürjugendlicheunderwachsene HörgeschädigteundderWohngemeinschaftBüsumerStraßeinHeidein Holsteinist.1131

1131

ZudenHeimensieheauchimKapitel7.1.8StiftungenfürmehrfachbehinderteGehörlose.

9 Das Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser an der Universität Hamburg

Erstsehrspät–inden1980erJahren–setztesichinDeutschland,wotradi tionelldasLautspracheerlernenfürdieGehörlosenalsLernzielaneinziger Stellestand,1132dieErkenntnisdurch,dassdieGebärdensprachenichtlänger einSchattendaseinführendürfe.AndenSchulenlangeZeitnichtakzep tiertundinden1970erJahreninFormderLautsprachbegleitendenGebär den(LBG)alszusätzlicheHilfezumErlernenderLautspracheeingesetzt, begannensichLehrkräfteandenGehörlosenschulennunfürdieGebärden sprachezuinteressieren–zueinerZeit,indersichGehörlosezunehmend emanzipiertenundaufihreSprachealsAusdruckeinereigenerKulturbe sannen.  Nur  wer  die  Gebärdensprache  beherrscht,  kann  in  die  Gemein schaftundindieihreigeneKulturGehörlosereindringen.EinfrühErtaub terodergehörlosGeborenergehörtdieserGemeinschaftpersean.Eine Lehrkraftsolltesichbemühen,dortEinblickzuerhalten. DieGebärdenspracheistkeinHilfsmittelundkeineNotlösung,sieist eineeigeneSprachemitvielfältigenAusdrucksmöglichkeiten.1133Gebärden spracheistnichtankonkreteoderbildhafteInhaltegebunden,wiezum BeispieldiePantomime;siekannebensogutwiejedeanderevollständige SprachekomplexeIdeenausdrücken.NichtzuletztistdieGebärdensprache einenatürlicheSprache,sieistdasKommunikationsmittelderGehörlosen untereinanderundsomitdieeigentlicheMutter,vielmehrGrundsprache. Dasaberheißt,dassdasgehörloseKindimgünstigstenFallezweisprachig 1132

NachAnsichtdermeistenGehörlosenpädagogenmussderLautsprachenerwerbauchheu tenochanersterStellestehen,dennumineinerhörendenWeltzuleben,zuüberleben,sich beruflichundmenschlichzuentwickeln,istdiegenaueKenntnisderLautspracheauchfür NichtHörendeunerlässlich.StreitpunktisthierbeinurdieGewichtungeinerklarenAusspra cheimVergleichzuSchriftsprache,VerständnisundSachwissen.

1133

 DiePassageüberdieGebärdensprachealseigeneSprachefolgtdenAusführungenvon Penny  BoyesBraem,  Einführung  in  die  Gebärdensprache  und  ihre Erforschung,  Hamburg 1990.

354 Das Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser

aufwachsensollte,inGebärdenundderjeweiligenLandeslautsprache–wo beiergänztwerdenmuss,dassdieGebärdenspracheinallenLändernun terschiedlichistunddurchauskeine„erfundene“Sprachedarstellt. Die  linguistischen  Erkenntnisse  über  die  Deutsche  Gebärdensprache undihrDurchsetzenimBewusstseinderÖffentlichkeitwarendasErgebnis langjährigerForschungsundÜberzeugungsarbeitderHamburgerUniver sität.AusgangspunktwardieIdeeProf.OttoKröhnerts (19251993)Mitte der1970erJahre,dassGehörlosenpädagogikstudentenanderUniversität HamburgsprachwissenschaftlicheSeminarebelegensollten.AmSeminar fürdeutscheSprachewurdederAssistentSiegmundPrillwitzdamitbeauf tragt.ErschautesichamkünftigenArbeitsplatzderGehörlosenpädagogen um–undwarfasziniertvondengehörlosenSchülerinnenundSchülern undihrervisuellenSprache.1134MitdengehörlosenHamburgernAlexander vonMeyenn,HeikoZienertundWolfgangSchmidt,diesichinderDolmet scherausbildungengagierten,wurdeeineArbeitsgruppezuerstzurgram matischen  Erforschung  der  Gebärden  gebildet,  aus  der  1983  die  „For schungsstellefürDeutscheGebärdensprache“entstand. ImGegensatzzudenlautsprachbegleitendenGebärden,diedieLaut spracheinihrergrammatikalischenFormWortfürWortinGebärdenüber trägt,  istdie Gebärdensprache eine Sprache mit eigener Grammatik, die sehrkomplexistundfüreinWort,fürdasesinderLautsprachenureine gebrauchteFormgibt,vieleGebärdenhat,jenachdeminwelcherBedeu tungundinwelchemZusammenhangdasWortgenutztwird.Gebärden sprachebedeutetnicht,dassalleindieGebärde–UnterschiedeinHandform, HandstellungundBewegung–eingesetztwird,sondernebensoMimik,Be wegung,Mundbild,OrtderAusführunginBezugaufdenKörperdesGe bärdendenundeinigeElementemehr. DieKomplexitätdieserSprachezeigtsichaneinergrafischenAufstel lung,dieimKapitel„GebärdenspracheGehörloser“imBuch„Zeigmirbei deSprachen“vonSiegmundPrillwitzabgebildetist:DasSprachinstrument fürGebärdensprachewirdeingeteiltin1.Gesicht,unterteiltinMimik,Au gen  (Augenausdruck  und  Blickrichtung)  und  Mund  (Mundgestik  und Mundbilder),2.Hände,unterteiltinStrukturderGebärde(alsoHandform, Handstellung, Ausführungsstelle  und  Bewegung),  zweihändige  Gebärde 1134 Vgl.InterviewmitPrillwitzbei„SehenstattHören“am20.August2005,nachzulesenun terhttp://www.taubenschlag.de/html/ssh/1238.pdf,abgerufenam20.9.2005.

Das Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser 355

(Symmetrieform,Mittelform,Dominanzform,ZweihandKomplex),3.Kör perhaltung,eingeteiltinKopf,Schultern,OberkörperundGestik.Weiter zählenauchDeiktik,alsoBlickrichtung,KopfrichtungundZeigenderHän desowieKontextinBezugaufThema,PersonundSituation. Das  Hamburger  Institut  hatte  den  Begriff  Deutsche  Gebärdensprache wiederbelebt–unddamitunterGehörlosenpädagogen,Elterngehörloser Kinder,aberauchunterSpätertaubtenundGehörlosen,dieihreSpracheals „plaudern“bezeichnen,inein„emotionalesWespennest“gestochen.1135 DieErkenntnis,dassgehörloseKinderbesserzweisprachigaufwachsen sollten,setztesicherstindenletztenzwanzigJahrendurch. 1136DenAnstoß dazu  gab  die  oben  genannte  „Forschungsstelle  Deutsche  Gebärdenspra che“anderUniversitätHamburg,dienachzehnjährigerArbeitam11.Mai 1987  als  „Zentrum  für  Deutsche  Gebärdensprache  und  Kommunikation Gehörloser“unterihremLeiter,ProfessorSiegmundPrillwitz,demFachbe reich Sprachwissenschaftenangegliedertwurde.1137 1997wurdedasZen trumineineigenständigesInstitutumgewandelt.2003arbeitetendortbe reits  drei  Professoren,  15  hörende  fest  angestellte  Mitarbeiterinnen  und Mitarbeitersowierund30meistgehörlosebefristetbeschäftigteProjektmit arbeiter.1138DasInstitutistdieeinzigeEinrichtungdieserArtimdeutschen Sprachraum,inderdieGebärdenspracheinihrerEntwicklung,ihremAuf bauundihrerGeschichteerforschtwird,umsounteranderemdiepositive BedeutungdieserSprachefürdieGehörlosendeutlichzumachen.EinZiel, dieAnerkennungderdeutschenGebärdensprachealsvollwertigeSprache, konnte2002erreichtwerden.DasimInstitutintegrierteLektoratfürDeut scheGebärdensprachewirdvongehörlosenMitarbeiterngeleitet.Dankder ArbeitdesInstituts,andemdieDeutscheGebärdenspracheerstmalsnach amerikanischemVorbildlinguistischuntersuchtwurde,hatheutedieGe bärdenspracheinDeutschlandAnerkennunggefundenundsindGehörlose 1135

Ebd.

1136

Abca.1979gabesForschungsprojekte,diesichdiesesThemasannahmen.Hierzuundim FolgendenSiegmundPrillwitz(Hg.),ZeigmirbeideSprachen,Hamburg1991.

1137

„Affensprache“derGebärdenwissenschaftlichanerkannt,in:Unihh,Nr.4,Juni1987,S.3–5; Siegmund  Prillwitz, Zur  Gründung  des  überregionalen  Zentrums  für  Deutsche  Gebärden sprache  und  Kommunikation  Gehörloser  der  Universität  Hamburg,  in:  Das  Zeichen.  Zeit schriftzumThemaGebärdenspracheundKommunikationGehörloser1(1987),S.912.

1138 UweWestphal,HastduWorte?Nein,Gebärden!In:HamburgerAbendblattvom15.7.2003, BeilageS.7.

356 Das Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser

dadurchselbstbewusstergeworden.1139AuchinderPädagogikwurdebe gonnen,nebenderdeutschenLautsprachedieDeutscheGebärdensprache alsSpracheGehörloserimUnterrichtzulehrenundzuverwenden.AmIn stitutwurdezudemeinNotationssystemfürGebärdensprachen(Hamburg NotationSystemforSignLanguages„HamNoSys“)entwickelt,dasfürdie ErforschungundErläuterungderDGSunerlässlichgewordenist.Esfehlt allerdingsnochimmereinefürdenUnterrichtbrauchbareVerschriftlichung. Das„SuttonSignwirting“SystemderderAmerikanerinValerieSutton(geb. 1951)ist,dankVerbreitungdurchdasInternet,amgebräuchlichsten,um dreidimensionaleGebärdensprachenschriftlichunddamitzweidimensio naldarzustellen.WeitereProjekteamInstitutversuchen,denComputerals Kommunikatormiteinzubeziehen,derGebärdenerkennenundbewegte Bilderliefernsoll.NebeneinemComputerGebärdenlexikonerfassenMit arbeiterdesInstitutsauchdiedeutschenGebärdeninallihrenregionalen UnterschiedenineinemGebärdenlexikon.EinneuesProjekt–gestartetim September2002–istdieEntwicklungeinesvirtuellenGebärdensprachdol metschers,derInternetseiteninbewegteDGSamBildschirmdirektüber setzensoll.1140 InderPraxisrichtetsichdasInstitutmitseinenKursenan alle,diemitGehörlosenarbeiten,anMediziner,Soziologen,Sozialpädago gen,PsychologenundnatürlichSonderpädagogen.IhreArbeitkommtder WeiterbildungvonGehörlosenlehrkräftenzugute.SoistseitdemWinterse mester1993dem Zentrum derAusbildungsgangeines Gebärdendolmet schers,begonnenzunächstalsModellversuch,angeschlossenworden.Der AndrangbeidenGebärdenkursenwargleichzuBeginnsogroß,dassStu dierendeteilweiseandasKulturundFreizeitzentrumanderBernadotte straßemitdendortigenvonGehörlosengeleitetenKurseninDGSauswei chenmussten.InVerbindungmitdemStudiumdesGebärdendolmetschers wurdeaucheinStudienschwerpunktfürHörgeschädigteanderUniversi tätHamburgeingerichtet.SeitdemWintersemester1992kannjederHören de  oder  Gehörlose  –  mit  Zulassung  jeweils  zum  Wintersemester  –  den

1139 Vgl.„SehenstattHören“vom20.August2005:„ProfessorPrillwitzundseinTeam“.Hier wirdPrillwitzinseinerBedeutungfürDeutschlandmitdemamerikanischenSprachwissen schaftlerWilliamStokoe(1919–2000)verglichen,deralsersterdieVollwertigkeitderGebär densprachedurchseinelinguistischenForschungenbewies(Text der Sendungnachzulesen unterhttp://www.taubenschlag.de/html/ssh/1238.pdf,abgerufenam20.9.2005). 1140

Ebd.

Das Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser 357

sprachwissenschaftlichen  Studiengang  „Gebärdensprachen“  belegen.1141 2003studiertenrund250meistHörendeamInstitut,davonungefährdie Hälfte  im  DiplomStudiengang  Gebärdensprachdolmetschen,  der  sie  zu Gebärdensprachdolmetschernausbildet.1142 AuchwennDeutschlandnoch weitentferntistvoneinerGehörlosenUniversitätwiedem1864gegründe tenGallaudetCollegeinWashingtonD.C.indenUSA,einerHochschule fürGehörlose,welcheihreStudenteninderamerikanischenGebärdenspra che,derASL(AmericanSignLanguage),unterrichtet,soistdocheinSchritt indierichtigeRichtunggetanworden.BegabtenSchulabsolventensollte, egal  ob  sie  gehörlos,  hörend,  blind  oder  sich  anders  von  „vollsinnigen“ Menschenunterscheidend,eingleichwertigesStudiumermöglichtwerden. Allerdingsmussgesagtwerden,dassgehörloseHamburger,dieihrAbitur ablegenmöchten,umzustudieren,nachEssenoderMünchenindiedorti genInternateziehenmüssen,denninHamburggibtesnochkeineKlasse fürsie. DasimöffentlichenInteressegewachseneInstitutfürDeutscheGebär denspracheundKommunikationGehörlosererhieltam21.September1994 ein  weiteres,  eigenes  Gebäude  auf  dem  Campus  der  Universität  Ham burg.1143 DasInstituthatForderungenformuliertfürdieAusbildungvon Gehörlosen:Zweisprachigaufwachsenheißt,dassmitHilfeder„Mutter spracheGebärdensprache“dieLautspracheaufgebautwird.Schoninder Früherziehung  und  dann  im  Kindergarten  sollte  der  Lautsprachaufbau stattfindenmitHörübungen,LesenundSprechen.ZielistdieErweiterung 1141

DervorläufigeStudienplanfürdasFachGebärdensprachenmitAbschlussMagisterfindet sichin:DasZeichen20(1992)undimInternetunterhttp://www.signlang.unihamburg.de/ Info/STPMAG1998,  abgerufen  am  25.8.1999. Aktuelle  Studienordnungen  finden sich unter: http://www.signlang.unihamburg.de/Studium/index.html,  abgerufen  am  15.9.2007. Bis  1995 hatten70Hörgeschädigte,davonca.einDrittelGehörlose,dasStudiumanderHamburger Universitätaufgenommen(SiegmundPrillwitz,GebärdenspracheinErziehungundBildung Gehörloser.VersucheinerStandortbestimmung,in:DasZeichen32(1995),S.166–169,hier: S.166).  Die Bundesarbeitsgemeinschaft  Hörbehinderter  Studenten  und  Absolventen  e.  V. (BHSA)unterstütztseit1986alsSelbsthilfegruppeHörbehinderteinStudiumundBeruf.Der Vereinhatbereitsüber300Mitglieder.AnHamburgerHochschulenvertrittseit1994die„interes sengemeinschaftderDeafstudentenInnen“(iDeas)gehörloseStudierende.

1142

 Diplomprüfungsordnung sieheAmtlicher Anzeiger, Teil IIdes HamburgischenGesetz undVerordnungsblattesNr.46vom22.4.1998,S.1017–1022.Hamburgwardieersteundlange ZeiteinzigedeutscheStadt,inderdieuniversitäreAusbildungzumGebärdensprachdolmet scher/Gebärdensprachdolmetscherinmöglichwar.

1143

HamburgerAbendblattNr.222vom22.9.1994,S.19.

358 Das Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser

dersprachlichkommunikativenFähigkeiten.Ansonstensolltediespontane KommunikationinGebärdenspracheverlaufen.DieSchulesolltekomplexe Sachthemen  in  der  DGS  unterrichten,  Hauptgewicht  des  schulischen SprachunterrichtssolltedanndieLautsprachesein.WichtigistdasVerste henLernenderGrammatikundderBedeutungderLautundSchriftspra che  der  Hörenden,  um sich  in  dieser  hörenden  Welt zurecht  zu finden. Sprachunterricht  heißt  Artikulationstraining,  Sprech,  Grammatik  und Kommunikationsunterricht.  Wortbedeutungen  können  mittels  DGS  um schriebenunderklärtwerden.AmEndederAusbildung„solltederGehör loseselbstbewusstseinenStandortinderWirklichkeitsehen“,„vollspra chig“  in  der  Gebärdensprache  sein  und  über  darauf  aufgebaute  solide LautundSchriftsprachkenntnisseverfügen.DerGehörlosesolltenichtals behinderter  Mensch,  sondern  als  ein  anderssprachiger  Mensch  gesehen werden.UmseineIntelligenzundPersönlichkeitentfaltenzukönnen,muss voneinerMutterspracheausgehenddieFremdspracheerlerntwerden,hier dieLautsprache,die,umdieWerteunddasWisseneinerGesellschaftken nenlernenzukönnen,notwendigist.

10 Gehörlosenseelsorge

AlsAntriebsfederfürHörende,Gehörlosezuunterrichten,wirdseitAnbe ginndieReligiongenannt.SchonSamuelHeinickewolltemitseinemUn terrichterreichen,dassGehörlosekonfirmiertwerdenkonntenunddamit dasgleichefeierlicheEndedesSchullebenshattenwieHörende.WennGe hörloseamAbendmahlteilnahmen,warHeinickesBildungszielerreicht. AuchinspäterenJahrenhabensichhörendeLehrkräfteausgehendvonre ligiösenVorstellungenfürdieGehörlosenpädagogikinteressiert.1144 EineHamburgerGehörlosengemeindemusstedemnachnichtextrage gründetwerden.ImvorvergangenenJahrhunderterhieltenKinder„religi öse  Erbauungsstunden“ zusätzlich zum  täglichen  Umgang  mit  Religion. AuchinspäterenJahrenwurdegroßerWertaufdenReligionsunterrichtge legt.VieleGehörlosewurdenzugläubigenMenschenundhatteninder GlaubensgemeinschafteineweiteregemeinsameVerbindung. Die Seelsorge derGehörlosen wurde vomBund der deutschenTaub stummenlehrer1906und1912alsPflichtderKircheerklärt.VordemEnde des  Ersten  Weltkriegs  hatten  die  Taubstummenlehrkräfte  Religions  und Konfirmandenunterricht  an  den  Schulen  erteilt.  Die  Konfirmationen  in HamburgwurdenanderfürdenStadtteilinderdieGehörlosenschulelag zuständigenErlöserkirchezuBorgfeldeabgenommen.1145 1922wurdeein malimMonatimFestsaalderHamburgerTaubstummenanstalteinGottes dienstfürerwachseneGehörloseabgehalten.1146IndiesemJahrbekamder KirchenkreisStormarn,kurzdaraufauchAltona,einenvonderKirchebe 1144

StAHbg,6221GustavMarr,1,RedevonDr.GustavMarranlässlichdes100jährigenJubi läums,o.D.[1927],Bl.7f.:„EsmussnurdasgroßeGeheimnisunseresHerrnJesusnachge ahmtwerden,der[…]ihnabseitsführteundsichmitihmalleinbeschäftigte.InseinenSpuren versuchenunsereLehrerzuhandeln.SienehmenunserekleinenTaubstummeneinzelnvor undzeigenihnen,jedemfürsich,wiedasAundOgebildetwirdundwiedarausdieSprache sichlangsamentwickletundsobezwingensiediegrosseschwerefürchterlicheStilleundEin samkeit,dieumsieherumausgebreitetliegt.“

1145 1146

ZurHamburgerGehörlosenseelsorge:GesprächmitPastorMartinRehderam4.4.1995.

BerichtderTaubstummenAnstaltfürHamburgunddasHamburgerGebietfürdieJahre 1920/26,hierS.1,in:StAHbg,3612V,OSBV,508bBand2.

360

Gehörlosenseelsorge

stellten Gehörlosenseelsorger.MitderFeierdes100jährigenHamburger Schuljubiläums1927wurdeauchfürHamburgeineigenerGehörlosenseel sorger  eingesetzt.  Im  Juni  1928  wurde  der  Ohlsdorfer  Friedhofspastor Friedrich  Wapenhensch (1893–1962),  Pastor  am  Barmbeker  Krankenhaus alsnebenberuflicherSeelsorgerfürdieGehörlosenHamburgsinseinAmt eingeführt.1147EswardasJahr,indeminEisenachderReichsverbandevan gelischerTaubstummenseelsorgermitSitzinBerlingegründetwurde.1148 Dieserwurde1933alsReichsverbandderGehörlosenseelsorgerDeutsch landsderNSVolkswohlfahrtangegliedert.Danebengabesseit1936den ReichsverbandfürGehörlosenwohlfahrtmitSitzinMünchen.1149Auchdie Gehörlosenseelsorger  stellten  sich  während  der  nationalsozialistischen HerrschaftinihrenÄußerungenaufdie„neueZeit“ein.Siebefürworteten dasGzVeNundtrugendazubei,dassGehörloselangeZeitüberdasanih nen  begangene  Unrecht  schwiegen.  So  gab  es  ein  Informationsblatt  des ReichsverbandesderevangelischenTaubstummenSeelsorger,derdieGe hörlosenzurMeldungzurSterilisationaufforderte,unteranderemmitden Worten„[...]DudarfstDeinGebrechennichtnochweiteraufKinderoderGroß kindervererben;DumusstohneKinderbleiben.[...]DuwirstdieWahrheitsa gen, wennDugefragtwirst.DennsowillesGottvonDir!Duwirstdie Wahrheitsagenauchdann,wenndasunangenehmist.[...] Niemanddarf über  die  Unfruchtbarkeit  sprechen. Du  selbst  auch  nicht.  Merke  wohl:  Du darfstzukeinemMenschendarübersprechen![...]“.1150Andiesesauferlegte SchweigegebothieltensichgehörloseMenschen,diedurchdasGzVeNste rilisiert  wurden,  lange.  Scham,  Minderwertigkeitsgefühle,  seelische  und körperlicheSchmerzenverfolgtenundverfolgendieOpfervondamalsbis heute.1151 1147

HamburgerFremdenblattNr.27vom18.6.1928.FriedrichWapenhensch,dervor1928Pas torundTaubstummenseelsorgerinPommerngewesenwar,versahseinAmtbis1952.Danach warerbis1961alsSeemannspastorinCuxhaventätig(Gesetze,VerordnungenundMitteilun genderEvangelischlutherischenKircheimHamburgischenStaate,1962,S.33f.).

1148

Schumann,GeschichtedesTaubstummenwesens,S.670.

1149

Ebd.,S.675.

1150

„EinWortandieerbkrankenevangelischenTaubstummen“desReichsverbandesderevan gelischen  TaubstummenSeelsorger Deutschlands.  Hervorhebungen  im  Original  (nach:  Bie sold,KlagendeHände,S.30). 1151

HorstBiesoldwertetinseinerVeröffentlichung„KlagendeHände“eineumfangreicheFra gebogenaktionaus.Zielseiner1979begonnenenForschungüberZwangssterilisierungenGe hörloser  im  „Dritten  Reich“  unter bewusst  weitreichender  Einbeziehung  von  Opferbiogra

Gehörlosenseelsorge

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NachdemKriegwareswiederPastorFriedrichWapenhensch,derdie inHamburgverbliebenenGehörlosen–ihreZahlwarvoncirca1000im Jahr1928auf200imJuli1946gesunken–betreute,indemerseelsorgerisch tätigwarundab1946wiederGottesdiensteabhielt.ErpredigteinderLaut sprache  und  setzte  daneben  Gebärden  für  ein  besseres  Verständnis  ein. SeinZielwares,ineinfachenundeindringlichenWortendasEvangelium zuverkünden.Ab1946gabPastorWapenhenschauchwiederwährendder SchulzeitKonfirmandenunterrichtfürdieSchülerderGehörlosenschule.1152 Von1952anwarderhauptamtlichalsLeiterdesFriedhofspfarramtesOhls dorftätigePastorArnoldDummann(1908–1987)nebenamtlichfürdiege hörloseGemeindezuständig.1153 Schonseit1950hatteermehrundmehr dieseelsorgerischeArbeitmitGehörlosenübernommen.EinmalimMonat gaberhalbstündigeGottesdienste.Aucherbeherrschtedielautsprachbe gleitendeGebärdeundhieltseinePredigtenineinerMischungzwischen LautspracheundlautsprachbegleitenderGebärdeab.NebenGottesdiens

phienundGesprächenwar„dieAkzeptanzdeseigenenSchicksals“,dienurdurchErkennen undVerinnerlichungdes„historischenAblaufdesUnrechts“zuerreichenwarundsomit„ein HeraustretenausdemDunkelderOhnmacht,EntwürdigungundIsolation“möglicherschien (Biesold,KlagendeHände,S.7).AlseinerdererstenwarDr.Feuchteseitca.1967darumbe müht,GehörlosendieAnerkennungalsVerfolgtedesNationalsozialismusundWiedergutma chungzuverschaffen,dochwarkeinBundeslanddazubereit.Erst1980konntenzwangssteri lisierte  Gehörlose  eine  einmalige  Abfindung  von  5.000  DM  erhalten.  In  Berlin  werden Zwangssterilisierteseitdem1.1.1993alspolitisch,rassischundreligiösVerfolgteanerkannt undhabenAnspruchaufeineGrundrente(Dt.Arbeitsgemeinschaftev.Gehörlosenseelsorge, Zwangssterilisation,S.3und5). 1152

StAHbg,36210/2SprachheilschuleZitzewitzstraße,BerichtüberdieTagungderVertreter derSchulenfürGehörundSprachgeschädigteinderbritischenZoneDeutschlandsvom18. und19.7.1946inHamburg;Bl.14f.:VortragvonPastorWapenhensch.AuchevangelischeReli gionwurdeanderSchulevondenjeweiligenPastorenbzw.derGemeindehelferinAdaJessen (s.  u.)  unterrichtet.  Katholische  Kinder  bekamen  ihren  Religionsunterricht  ab  1958  durch KaplanHaneken(StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Mappe15(Ablie ferungsverzeichnis),Lehrerkonferenzen1956–1962,Konferenzvom14.1.1958),bis1968dann durchJosephaStephan,ab1968durchWalterEckel.NachKaplanHan(n)eken,derdiekatholi scheGehörlosengemeindeaufgebauthatte,warVikarKarlJosephRudolph fürdiekatholi schen  Gehörlosen  von  Lüneburg  bis  Kiel  zuständig  (Mitteilungen  der  Gesellschaft,  1968, S.10). 1153

 PastorDummann warbisEnde1969 geschäftsführender Pastor,bis1973Mitarbeiterdes Friedhofamtes(VerzeichnisderGemeindenundPastorenderNordelbischenEvangelischLu therischenKirche,1977,S.136)AußerdemwarerimVorstandderTaubstummenanstalttätig. UnterstütztinseinerGemeindearbeitwurdeervonPastora.D.ChristianBünz,derdieGe hörloseninWandsbekundLübeckbetreute.

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tenundKonfirmandenunterrichtfürdieKinderinderGehörlosenschule warerinseinersichüberganzHamburgerstreckendenGemeindeunter wegs,umHausbesuchezumachen,seelsorgerischtätigzuseinundfürdie ProblemederMitgliederseinerGemeindeAnsprechpartnerzusein.11541957 hießesineinemZeitungsartikel,dasseinPastor,dervoreinergehörlosen Gemeindesteht,sicheinereinfachenundanschaulichenSprachebedienen sollte.AlleineineschlichteDenkundRedeweiseseifürdieGehörlosen verständlich.1155 Gottesdienste  wurden  in  der  St.MartinsKapelle  in  der St.PetriKircheabgehalten.

Abbildung 71: Pastor Martin Rehder

1154

 StAHbg,36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose,Mappe17„Taubstummenan stalt“(Ablieferungsverzeichnis),Milberg,KlangundSprache.

1155  EngdahlThygesen,TaubstummenGottesdienst.DankbareGemeindeinderSt.Martins Kapelle,in:HamburgerAnzeigervom24.1.1957.

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AbOktober1964erteiltePastorMartinRehder(geb.1936)denKonfirman denunterrichtinderGehörlosenschule,1156 am1.Januar1965wurdeerals Gehörlosenseelsorgernebenberuflichangestellt.Rehderwarschoninsei nerStudienzeitmitderGebärdenspracheinKontaktgekommen.Während seinerAusbildungszeitalsVikarinSchleswigwurdeervonderKircheals künftigerGehörlosenseelsorgerausgesucht.ErwareinhalbesJahrander GehörlosenschuletätigundlernteinderFreizeitvondenKindernGebärden. 1961übernahmRehderdieStelleeinesGemeindevikarsanderChristuskir cheinWandsbekundhieltdortseinenerstenGehörlosengottesdienst.Der dortigeSeelsorgerChristianBünzhinterließihmeineSeelsorgerkartei,die dieZeitseinerTätigkeitvon1922bis1957dokumentierte.1964wurdendie KirchenkreiseStormarn,Niendorf,AltonaundBlankenesevereinigt,und Rehder übernahmmitseinemneuenPastoratinBarsbüttelWillinghusen, einerkleinenGemeindeamRandeHamburgs,auchdieGehörlosenseelsor gefürdasganzeHamburgerGebiet.1977kammitderGründungderNor delbischenEvangelischlutherischenKircheauchHarburgdazu.Während imIdealfallvor1964jederKirchenkreiseinenGehörlosenbeauftragtenbe schäftigte,1157 warendieseÄmterjetztineinerHandvereint.DieGottes dienstederGehörlosengemeindewurdenbis1982inderAltonaerOsterkir cheundinderChristuskirchezuWandsbekgefeiert.Dievorherüblichen Gottesdienste in  der St. MartinsKapelle zuSt.Petri hatte Pastor Rehder aufgegeben,weildortnichtdieMöglichkeitzuanschließendemgeselligen BeisammenseinbeiKaffeeundKuchengegebenwar,so,wieeresvonsei nenLandgemeindengewohntwarundwieeresauchfürdieHamburger Gehörlosengemeindeeinführte.AlsdanndieOsterkircheeineNutzungsge bührverlangte,zogdieGemeindenachGroßFlottbekindiedortigeKirche um.Ab1977predigtePastorRehderauchinderHarburgerSt.Johanniskir che. Als  Vorstandsmitglied  der  Milden  Stiftung  Taubstummenaltenheim hielterimAltenheimHausgottesdiensteab.1977umfasstederSeelsorge bezirkdieKirchenkreiseAltHamburg,Altona,Blankenese,Harburg,Nien dorfundStormarn,dochkamenauchGehörloseausdenumliegendenOrten Pinneberg,Bargteheide,Geesthacht,LüneburgundStade.1158 DiePredigt texteder34GottesdiensteimJahr–monatlichinderChristuskirche,im 1156 1157

GesprächmitPastorMartinRehderam4.4.1995.

 Vor1977warfürHarburgWalterVolkerding aus Hannover zuständig,vor1964fürdas AltHamburger Gebiet Pastor ArnoldDummann.Altona  wechselte seine Gehörlosenbeauf tragtendesÖfterenundBlankeneseundNiendorfhattenkeineGehörlosenseelsorger.

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Gehörlosenseelsorge

monatlichenWechselinderFlottbekerKircheundderHarburgerJohannis kirche–erscheinenseit1962zusammenmitAnkündigungenimGemein debrief.DieseTextehattePastorRehderursprünglichgeschrieben,umsie durcheinenGehörlosenfürdiePredigtindielautsprachbegleitendeGebär de(LBG)übersetzenzulassen.SoerweiterteerseineGebärdenkenntnisse undgewannmitderZeiteinenreichenWortschatz.DieErlöserkirchein BorgfeldewartraditionelldieKonfirmationskirchegewesen,bissie1943 zerstört  wurde.1159 Ein  Versuch,  später  an  diese  Tradition  anzuknüpfen, wurderaschwiederbeigelegt,undseit1968wardie„Heimatkirche“von PastorRehderinBarsbüttelauchKonfirmationskirche.PastorRehderhatte nebendereigenenGemeindeinWillinghusenunddemAmtderGehörlo senseelsorgenochmannigfaltigeandereAufgabenübernommen,sobetreu teerzusammenmitdemseit1969alsSchwerhörigenseelsorgereingesetz tenDr.DietfriedGewalt(geb.1939)dieSpätertaubten,Schwerhörigenund taubblindenGemeindemitglieder,1160außerdemwurdeer1981Missionsbe auftragterderDeutschenGehörlosenMission.1161 IndenGehörlosengottesdienstenwirdkeinUnterschiedzwischenden Konfessionengemacht,alleGehörlosensindzudenGottesdienstengela den.So,wieallegehörlosengläubigen Hamburgerbis2001zu denGe meindevorstandssitzungen  eingeladen waren.  Bei  diesen seit 1985  beste hendenSitzungenwarjederAnwesendeüber16Jahrestimmberechtigt.Als 1158 MartinRehder,ÜbersichtüberdieGehörlosenseelsorge1977inHamburg,in:150JahreGe hörlosenbildung,S.93. 1159 IrisGroschek,GemeindechronikderErlöserkircheBorgfelde.„JesusChristusgesternund heuteundderselbeauchinEwigkeit“(VeröffentlichungendesArchivsdesKirchenkreisesAlt HamburgBand8),Hamburg2000,S.60–67. 1160

DieTaubblindenwurdenvorherdurcheineselbstfasttaubblindePastorinbetreut.DieAr beitsgebietevonPastorRehderundDr.Gewaltwarennichtstrengzutrennen.Jenachdem,zu welcherGruppemansichzugehörigfühlt,sindSchwerhörigeauchindergebärdendenGe hörlosengemeinschaftintegriertoderGehörlose,diegutvondenLippenablesenkönnen,auch inderlautsprachorientiertenSchwerhörigengemeinschaftzufinden.AktuellgibteskeineGe meindederSchwerhörigen,wasmitdemgeringenOrganisationsgradderSchwerhörigenund Ertaubtenzusammenhängt(freundlicheMitteilungvonDr.DietfriedGewaltam15.4.2006). Zur  Geschichte  der  Schwerhörigenseelsorge  in  Hamburg  bis  1945  siehe  Dietfried  Gewalt, EvangelischeSchwerhörigenseelsorgeinHamburg biszumZweitenWeltkrieg(Veröffentli chungendesArchivsdesKirchenkreisesAltHamburgBand36),Hamburg2007.

1161

 1955warvonFinnlandundSchwedendieersteGehörlosenschuleinAfrikainderStadt KereninEritreagegründetworden,dieheuteeinGehörloseninternatist. Deutschland stieg 1980indieGehörlosenmissioneinundgründetezusammenmitdenschwedischenundfinni schenGehörlosenmissionenein„JointCommittee“.

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VorläuferdesGemeindevorstandsgabesdensogenannten„Mitarbeiter kreis“.HilfeninseinerseelsorgerischenArbeithatteinseinervierzigjähri genTätigkeitPastorRehderdurchdieGemeindepflegerinnen,von1970bis 1978durchAdaJessen(1918–1994),von1978bis1981durchGesineRam cke.SpäterübernahmseineEhefraudieseArbeit.Seit1.August1993stand PastorRehder einzweiterGehörlosenseelsorgerzurSeite,derehemalige MilitärseelsorgerEckartSchaade(geb.1941),derdiesenBerufhauptamtlich ausübt.Am25.Februar2001wurdePastorRehdervonseinerGehörlosen gemeindeinHamburgverabschiedet,währendersichschoneinJahrzuvor vonderLeitungderGehörlosenmissionhatteentbindenlassen.1162 Heute gibtesmitPastorRehdersTochterPastorinSystaEhm(geb.1965)undPas torEckartSchaadezweiSeelsorgeralsAnsprechpartnerfürdieHamburger Gehörlosengemeinde,dieihreGottesdiensteundGesprächskreiseinden verschiedenenGemeindenderHamburgischenLandeskircheabhalten.Als Hauptkirchefungiert dabeidieChristuskircheWandsbekmitachtGottes dienstenimJahr.WeitereKirchenmitjeweilsfünfGottesdienstenproJahr sinddieSt.JohanniskircheHarburg,dieKircheamNiendorferMarktund die  Groß  Flottbeker  Kirche.  Einmal  im Monat  halten  sie  zudem  Gottes diensteimTaubstummenaltenheimab.1163 Bis Anfang  1990  unterrichtete  Martin  Rehder als  evangelischlutheri scherPastorinderNachfolgeseinerGemeindehelferin,AdaJessen,diebis 1978einenLehrauftragfürReligionanderSamuelHeinickeSchulehatte, ReligionanderHamburgerGehörlosenschule.DaabervieleKinderande renGlaubensinderSchuleunterrichtetwerdenundesQuerelengab,ob diesedirektereligiöseBeeinflussunginderSchulegutzuheißensei,wurde der  eigenständige  Religionsunterricht  zunächst  als  Fach  aufgegeben.1164 VielmehrsollteReligionsfragenindennormalenUnterrichteinfließen,was nurinverschwindendemMaßegeschah.2003beendetedanndiegehörlose Religionslehrerin Anne  Bauermann ihr  Referendariat  an  der  Schule  für 1162

SystaEhm,…erzogaberseineStraßefröhlich.PastorRehderinHamburgverabschiedet, in:UnsereGemeinde,April2001.

1163

JedeszweiteJahrfindetzudemeingemeinsamerGottesdienstmitderhörendenGemeinde in  Volksdorf  statt.  Pfingstmontag  ist  Gottesdienst  in  Ochsenwerder,  Heiligabend  in  der HauptkircheSt.Katharinen.AberauchSt.KatharinenwarschoneinmalGastgeberinderGe hörlosenseelsorger(SchreibenvonSystaEhmandieVerfasserinvom17.2.2004). 1164  InformationenzuderZeitnach1990entstammendemGesprächmit Schulleiter Georg Männicham10.10.1994.

366

Gehörlosenseelsorge

Hörgeschädigte  und  wurde  anschließend  in  den  Schuldienst  übernom men.1165EinmalimMonatwirdzusätzlichdurchAnneBauermannunddie beidenGehörlosenseelsorgereinTaglangKonfirmationsunterrichtals„of fenerUnterricht“fürdieKonfirmandenundEhemaligenerteilt.Zweimal imJahrwerdenimGehörlosenseelsorgerkonvent,andemauchdieSchul leiterundderHamburgerSchwerhörigenseelsorgerDr.Gewaltteilnehmen, RichtlinienundGedankenzumReligionsunterrichtausgetauscht.1166 DieGehörlosengemeindeumfasstetraditionelldasgesamteHambur gerGebiet,alleevangelischenGehörlosenwarenindieserGemeinschaft zusammengefasst,  die  einen  eigenen  Kirchenvorstand  hatte  und  auch sonstwiejedeanderechristlicheGemeindearbeitete.HeutesindGehör lose Mitglieder ihrer  Ortsgemeinden.  Die Angebote,  die  die  Hamburger evangelischen  Gehörlosenseelsorger  machen,  richten  sich  heute  an  circa 2000MenschenimEinzugsgebietHamburgs–Gehörlose,Spätertaubte,hö rende Angehörige  und  zunehmend  Schwerhörige.  Darüber  hinaus  kom menevangelischeundkatholischeChristen,russischbzw.griechischor thodoxe, freikirchlicheChristenundAusgetreteneausdernordelbischen LandeskirchegenausowieausbenachbartenLandeskirchen–vorhandene Grenzenwerdendabeiüberschritten.UnddasistvonderderzeitigenSeel sorgerinausdrücklicherwünschtundTeilihresGemeindeverständnisses: Eine  Gemeinde  entsteht  durch  ihr  Zusammenkommen.1167 Schon  Pastor Rehder erwartetefürdieZukunftinAnlehnungandieherrschendeAuf wertungderGebärdenspracheeinestärkereNachfragenachDGSinden Gottesdiensten,allerdingswarzuseinerZeitdieSpracheseinercirca1000 MitgliederumfassendenGemeindemitvielenälterenGehörlosenmitora lerErziehungdieLBG.IndenHauptgottesdienstenwirdauchheutedie LBGbenutzt,währendindenviermaljährlichstattfindendenFamiliengot tesdienstenDGSodereineMischformgenutztwird.PastorinSystaEhmbe herrscht  die  DGS  und  setzt  Gebärdenpoesie  auch  während  ihrer Amts handlungenein.1168WeiterekirchlicheVeranstaltungensindBibelfreizeiten undimZweijahresrhythmusGehörlosenkirchentage(einerwurdeimJuni 1981inHamburgveranstaltet).DieseEinrichtungbestehtbereitsseitden 1165

SchreibenvonSystaEhmvom17.2.2004.

1166

GesprächmitPastorMartinRehderam4.4.1995.

1167

SchreibenvonSystaEhmvom17.2.2004.

1168

Ebd.

Gehörlosenseelsorge

367

1920erJahren,unterdenNationalsozialistenwurdendieKirchentageein gestelltunderst1964wiederaufgenommen.DieTraditionderKirchenfeste fürGehörlosegibtesschonseit1868,alsBerlinerGehörlosedasersteKir chenfestorganisierten,andemüber1000GehörloseausganzDeutschland teilnahmen.1169ImMai1994fanddervorerstletztespezielleKirchentagin Lübeckstatt,seit1975gibtesaufdemdeutschenevangelischenKirchentag ein  eigenes  GehörlosenProgramm.  1995  feierte  die  Gehörlosengemeinde ihren  Kirchentag  gemeinsam  mit  dem  allgemeinen  deutschen  evangeli schenKirchentaginHamburg.Esgabunterden47Eröffnungsgottesdiens tenspezielleGottesdienstefürGehörlose(ChristusKircheWandsbek)und fürSpätertaubteundSchwerhörige(St.GertrudUhlenhorst).

1169

 StA Hbg,  3311  Politische  Polizei,  Sa  80, Hamburgischer Correspondent  Nr.  467  vom 5.7.1892;Worseck,Gehörlosenbewegung,S.4.

11 Zusammenfassung und Ausblick

DievorliegendeUntersuchunggibterstmalseinenÜberblicküberdieEnt wicklungdersogenannten„Taubstummenbildung“,derGehörlosenpäd agogikinHamburgvondenAnfängenim18.Jahrhundertbisheute.Dabei istdieRolleHamburgsalsImpulsgeberinderEntwicklungderGehörlo senpädagogikinDeutschlanddeutlichgeworden.Beginnendmitderers ten  Schule  für  Gehörlose,  die  Samuel Heinicke im  heutigen Hamburger StadtteilEppendorfaufbaute,führtdieseArbeitvonderSchulgründung der  Milden  Stiftung  Taubstummenanstalt  über  die  Verstaatlichung  der Schule,überdieAdaptionschulpolitischerForderungenderWeimarerRe publikanderSchuleunddieselektierendeRolleihrerLehrerimNational sozialismus  bis  hin  zur  Aufgabe  der  Selbstständigkeit  der  SamuelHei nickeSchule(heuteSchulefürHörgeschädigteAbteilungII)imJahr2000. Endedes20.JahrhundertswareswiederdieHamburgerSchule,diemit derEinführungeinesbilingualenSchulzugesindergehörlosenpädagogi schenLandschaftinDeutschlandeinenneuenWegaufzeigteundsomitan zweiGrenzmarken–demBeginndeutscherGehörlosenpädagogikundin deraktuellenbilingualenEntwicklung–prägendwirkte:Hiernahmdie LautsprachmethodeihrenAnfang,hierwurdeaberauchinDeutschland erstmals  wieder  auf  die  Gebärdensprache  als  Unterrichtsgegenstand  zu rückgegriffen. Samuel  Heinickes zuerst  in  seiner  privaten  Schule  von  1769  bis  1778 praktischerprobteLehrmethodewurde,nachdemerinLeipzigeinestaatli cheTaubstummenanstaltaufbaute,raschals„deutscheMethode“weltweit bekannt.WeitereVersuche,gehörloseHamburgerschulischzubilden,ver sandeten.ErstaufAnregungdesArztesDr.HeinrichWilhelmBuek wurde 1827inHamburgdie15.deutscheTaubstummenanstalteröffnet.Inzwischen unterrichtetengebildeteGehörloseeuropaweitanTaubstummenanstalten,so auchinHamburg.DamitfolgtedieStadtdemgehörlosenpädagogischen Mainstream.AllerdingswareswiedereineBesonderheit,dass–zumindest kurzzeitig–nureingehörloserLehrerohneweiterehörendeKollegenden Unterrichtgestaltete.

370

Zusammenfassung und Ausblick

InderFolgewarenescharismatischeMänner,diejahrelangalsSchullei terdasGesichtderGehörlosenschuleunddasBildderGehörlosenbildung inderHamburgerÖffentlichkeitprägten.VerschiedenemethodischeAn sätzesindinderHansestadtentwickelt,angewandtundweiterausgebaut worden.ZumEndedes19.JahrhundertssetztesichraschdieLautsprach methode  im  Unterricht  Gehörloser  gegen  eine  kombinierte  Methodik durch.DieStreitigkeitenzwischendenAnhängernderreinenLautsprach methode  und  einer  kombinierten  Lehrmethode,  die  die  Gebärde  in  der Kommunikationbetonten,zeigtensichüberdieJahrzehntehinwegauchin derHansestadt.GehörlosewurdenalsObjektederMildtätigkeitangese hen,deneneineeigeneMeinungsäußerungnichtimmerzugestandenwur de.  Selbst  in  der  Weimarer  Republik  verhinderten  Lehrkräfte  der  Taub stummenanstalt  trotz  Selbstverwaltungsgesetzes  einen  größeren  Einfluss Gehörloser –seien es Schüler oder der Taubstummenanstalt bereitsent wachseneGehörlose–aufdasSchulleben.DieseaufMitleidundMitgefühl aufbauendeSichtderUmweltaufGehörloseradikalisiertesichimNational sozialismus.  Trotz  der  überwiegenden  Meinung  der  Taubstummenlehrer, ihregehörlosenSchülerseien„arbeitsfähig“,damitinderArbeitswelt inte grierbarundsomitfürdieGesellschaft„brauchbar“,trotzAnpassungan dieGesellschaft,AnnäherungannationalsozialistischeIdealeundSichtwei sen,trotzMitgliedschaftinHJundSS,galtderGehörlose,wennereineFa miliegründenwollte,alsBedrohung.Als„erbkrank“stigmatisierteGehör losesolltendemVolkalsArbeitskraftdienen,aberkeineeigenenKinder habendürfen.AuchSchülerderTaubstummenanstaltwurdenOpferdes „GesetzeszurVerhütungerbkrankenNachwuchses“. Nach1945wurdeHamburgwiederbedeutend,alsHamburgerGehörlo senlehrermiteineraktivenGemeinschaftspolitikeinDiskussionsundAus tauschklima  unter  den  Gehörlosenpädagogen  in  den  westlichen  Besat zungszonen  anregten und aufbauten. Schließlich wurde Hamburg in den neunziger  Jahren  mit  der  Einrichtung  der  ersten  bilingualen  Gehörlosen klasse  Deutschlands  und  der  erstmalig  begonnenen  gründlichen  Erfor schungdervisuellenDeutschenGebärdensprachezumVorreitereinerneuen Pädagogik  und  eines  neuen  Zweiges  der  Linguistik,  die,  wie  in  der An fangszeitderHamburgerSchulgründung,auchdieGebärdezuihremvollen Rechtkommenlässtundsowohllautsprachlichealsauchschriftsprachliche undvisuelleMöglichkeiteninderBildungGehörloseranwendet.

Zusammenfassung und Ausblick

371

Diese  Studie  hat  gezeigt,  welche  Durchsetzungskraft  es  kostete,  die deutschlandweit erste bilinguale Klasse für  gehörlose Kinder,  in der  so wohldiedeutscheLautsprachealsauchdieDeutscheGebärdenspracheun terrichtetundangewandtwerden,inDeutschlandzuinstitutionalisieren. NachdemindiesemLandjahrhundertelangkeinehöhereBildungfürGe hörlosezuerreichenwar,istesjetztGehörloseninbreiteremRahmenmög lich,anderUniversitätzustudieren.InHamburggibtesauchfürGehörlo sedieMöglichkeit,denStudiengangGehörlosenpädagogikamFachbereich SprachwissenschaftenmitdemZielabzuschließen,Lehrkraftzuwerden1170. WennzunehmendGebärdendolmetscherundUntertitelungenimFern sehenzusehensind,wenndieGebärdensprachealseineeigenständigevi suelle Sprache anerkannt ist und ihre Nutzung ausdrücklich  erwünscht, wennineinemLand,indemdieWorte„taub“und„dumm“denselben Namen  tragen,  inzwischen  gehörlose  Lehrer  hörende  Schüler  unterrich ten,1171 dannistdaseinZeichendafür,dassdieAkzeptanzGehörloserin derGesellschaftwächst.EineneueDebattebefasstsichmitdergemeinsa menBeschulunggehörloserundhörenderKinderunterBeachtungindivi duellerBedürfnisse.FürgehörloseKinderheißtdas,denZugangzuallen InformationendurchzweisprachigenUnterrichtauchanRegelschulenzu erhalten.1172 Und  auch  die  Möglichkeit,  dass  mit  dem Ausscheiden  von SiegmundPrillwitzamInstitutfürDeutscheGebärdenspracheundKom munikationGehörloserinHamburgdieProfessorenstellemiteinemgehör losenWissenschaftlerbesetztwerdenkönnte,zeigt,dassHamburgweiter hineineVorbildfunktionzukommt.1173

1170

InBerlingibtesseitdemWintersemester2006/07dieMöglichkeit,anderHumboldtUni versitätdenBachelorin„DeafStudies(SpracheundKulturderGehörlosengemeinschaft)“zu erwerben(AmtlichesMitteilungsblattderHumboldtUniversitätzuBerlinNr.66,2006).

1171

SoinHolland:http://www.deafworldweb.de/corrie/index.html,abgerufenam15.9.2007.

1172

PressemitteilungdesDeutschenGehörlosenBundesvom12.10.2007.

1173

ErstmalsbewarbsichmitDr.ChristianRathmanneingehörloserWissenschaftler.DieStel leistbishernochnichtbesetztworden(DeutscheGehörlosenZeitung3[2007],S.6668).

12 Quellen- und Literaturverzeichnis

1 2. 1 Q ue ll e n

12 .1 .1 Unged ruck t e Quellen  ArchivdesAllgemeinenGehörlosenUnterstützungsVereins:  ProtokollederAmtswalterSitzungenderOrtsgruppeHamburgdes ReichsverbandsderGehörlosenDeutschlandse.V.  ProtokolledesOrtsbundsHamburgAltonadesReichsverbandesder GehörlosenDeutschlandse.V.  UniversitätHamburg,PersonalundOrganisation:  3222PersonalakteDr.HermannMaeße  StaatsarchivHamburg: ArchivalienausfolgendenBeständen:  1111Senat  1132InnereVerwaltung  13111Personalamt  13119Pensionskassendeputation  1351IIVStaatlichePressestelleIIV  22111StaatskommissarfürdieEntnazifizierungundKategorisierung  2241Erbgesundheitsobergericht  23110AmtsgerichtHamburgVereinsregister  3112IIIIFinanzdeputationIIII  3112IVFinanzdeputationIV  3113IFinanzbehördeI  31415Oberfinanzpräsident  3212Baudeputation  3312PolizeibehördeKriminalwesen  3313PolitischePolizei  3518Stiftungsaufsicht  35110ISozialbehördeI  35110IISozialbehördeII

374

                                

Quellen- und Literaturverzeichnis

3523Medizinalkollegium 3526Gesundheitsbehörde 35211GesundheitsämterErbgesundheitsakten 3541Waisenhaus 3545IJugendbehördeI 3612IIOberschulbehördeII 3612VOberschulbehördeV 3612VIOberschulbehördeVI 3613SchulwesenPersonalakten 3617StaatsverwaltungSchulundHochschulabteilung 36110Kinderlandverschickung 3624/6GewerbeschuleKraftfahrzeugtechnik 36210/2SprachheilschuleZitzewitzstraße 36210/3SamuelHeinickeSchulefürGehörlose 3632SenatskommissionfürdieKunstpflege 4123ILandherrenschaftderGeestlande 4161/1LandherrenschaftenHauptregistratur 4215RegierungSchleswig 42424WohlfahrtsamtAltona 5127St.Michaelis 5131St.JohannisinEppendorf 5221JüdischeGemeinden 6111St.Johanniskloster 6112St.Georgshospital 5126St.Gertrudkapelle 6125/20GesellschaftderFreundedesvaterländischenSchulundEr ziehungswesens(GEW) 6221FamilieLandahl 6221FamilieGustavMarr 7311Handschriftensammlung 7412GenealogischeSammlungen 7414Fotoarchiv Plankammer Zeitungsausschnittssammlung(ZAS)

Quellen

375

12.1.2 Int er v iews  14.2.2001  Gespräch  mit  der  ehemaligen  Taubstummenlehrerin  Ursula ArpsinHamburgVolksdorf  10.2.2001GesprächmitHartmutBandholtinGroßhansdorf  2.3.2001TelefonatmitErikaFink,geb.Schär  14.6.2001GesprächmitErikaFink,geb.Schär,inHamburg  11.4.2002GesprächmitErikaFink,geb.Schär,inHamburg  20.3.1995GesprächmitProf.KlausB.Günther,EvelineGeorge(wissen schaftliche  Mitarbeiterin)  als  wissenschaftliche  Begleitung,  Verena ThielHoltz  (Gehörlosenpädagogin)  und Angela  Staab  (gehörlose  So zialpädagogin)alsLehrerinnenindenbilingualenSchulversuchsklassen an  der  SamuelHeinickeSchule  in  HamburgHorn  (SamuelHeinicke Schule)  6.9.2000GesprächmitdengehörlosenZeitzeuginnenderKinderland verschickung  Rosa  Kirchner, Anneliese  Pietz,  geb.  Stüven,  Ruth  Böh mert,geb.Werner,mitHilfederDolmetscherinKatjaSchneiderinHam burgOthmarschen(FreizeitundKulturzentrumderGehörlosen)  10.10.1994GesprächmitdemSchulleiterderSamuelHeinickeSchule, GeorgMännich,inHamburgHorn(SamuelHeinickeSchule)  16.12.2003TelefonatmitThomasMarr  4.4.1995  Gespräch  mit  dem  Gehörlosenseelsorger  Martin  Rehder  in Barsbüttel  19.7.2000  Gespräch  mit  dem  Ehrenvorsitzenden  des  Landesverbands der  Gehörlosen  in  Hamburg,  Eugen  Tellschaft,  in  HamburgOthmar schen(FreizeitundKulturzentrumderGehörlosen)  4.7.2000GesprächmitdemSonderpädagogenHorstThorwarthinHam burgHarburg  26.3.1999 Gespräch  mit  dem gehörlosen  Gehörlosenlehrer  Olaf Tisch mann,Dolmetscherin:UlrikeWalther,inBerlin  2.5.2001  Gespräch  mit dem ehemaligen  Taubstummenlehrer  Johannes WachholzinHamburgWilhelmsburg(KrankenhausWilhelmsburg)

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12 .1 .3 Ged ruck t e Quell en Abend,August,WassagtdieRassenhygienedemTaubstummenlehrer?,in: BlätterfürTaubstummenbildung1925,Nr.7,S.104112. AbrechnungüberdasVerwaltungsjahr1890derTaubstummenAnstaltfür HamburgunddasHamburgerGebiet,Hamburgo.D.[1890]. AbrechnungundBerichtderTaubstummenAnstaltfürHamburgunddas HamburgerGebietfürdasVerwaltungsjahr1891,Hamburgo.D.[1891]. AufbauderHamburgischenVerwaltung1934/35,1937/38,1946. AusstellungfürBildungundFürsorgederTaubstummen,Schwerhörigen undSprachgeschädigtenimMuseumfürKunstundGewerbe,Hamburg 1927(Ausstellungskatalog). Bär,  Curt,  Politische  Erinnerungen  an  die  Widerstandszeit,  in:  Gewerk schaft  Erziehung  und  Wissenschaft  (Hg.),  175  Jahre  Gesellschaft  der Freunde  des  vaterländischen  Schul  und  Erziehungswesens,  Hamburg 1980,S.141155. Ders.,VonGöttingenüberOslebnachGodesberg.PolitischeErinnerungen einesHamburgerPädagogen19191945,2.ergänzteAuflageHamburg 1981. Bäumer,Gertrud,DeutscheSchulpolitik(WissenundWirken.Einzelschrif tenzudenGrundfragendesErkennensundSchaffens53.Band),Karlsru he1928. Bandholt,Wilhelm,UnseregehörgeschädigteJugendinderHJ,in:Lam beck:GehörgeschädigteSchulkinder,1939,S.5558. BehördefürBildungundSport,StatistischeInformation4b,Hamburg2003. Bericht  des  VerwaltungsAusschusses  der  am  28.  May  1827  gestifteten TaubstummenSchule für  Hamburg und  das  Hamburger Gebiet,  erster Bericht  1828,  zweiter  Bericht  1829,  dritter  Bericht  1832,  vierter  Bericht 1834,fünfterBericht1836,sechsterBericht1838,siebenterBericht1841, achterBericht1844,neunterBericht1847,zehnterBericht1850,eilfterBe richt1853,zwölfterBericht1856. Berichtüberdieam28stenMai1827gestifteteTaubstummenAnstaltfür Hamburg  und  das  Hamburger  Gebiet,  dreizehnter  Bericht  1857,  vier

Quellen

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Literatur

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13 Anhang

A bk ü rz unge n Abl. AK ASL Az. BDM BDT Bl. DGS EGOG ev. Gestapo GEW GzVeN HGVbl HJ HNO IJB ISK KLV KMK LBG NS NSDAP NSLB NSV o.D. OSB Pg. Regede

Ablieferung AllgemeinesKrankenhaus AmericanSignLanguage Aktenzeichen BundDeutscherMädel BunddeutscherTaubstummenlehrer Blatt DeutscheGebärdensprache Erbgesundheitsobergericht evangelisch GeheimeStaatspolizei GewerkschaftfürErziehungundUnterricht GesetzzurVerhütungerbkrankenNachwuchses HamburgischesGesetzundVerordnungsblatt Hitlerjugend HalsNasenOhren InternationalerJugendbund InternationalerSozialistischerKampfbund Kinderlandverschickung Kultusministerkonferenz LautsprachbegleitendeGebärden Nationalsozialisten,nationalsozialistisch NationalsozialistischeDeutscheArbeiterpartei NationalsozialistischerLehrerbund NationalsozialistischeVolkswohlfahrt ohneDatum Oberschulbehörde Parteigenosse ReichsverbandderGehörlosenDeutschlands

408

RGBl SHD SS StAHbg ZAS

Anhang

Reichsgesetzblatt SicherheitsundHilfsdiensttrupp,Luftschutzpolizei Schutzstaffel StaatsarchivHamburg Zeitungsausschnittssammlung

Bildnachweis

409

Bildnac hwe is AlleAbbildungenstammenausdemArchivdesGehörlosenverbandes Hamburg,bisauf Abb.14,10,28,31,53,70: StaatsarchivHamburg. Abb.44:aus:150JahreGehörlosenbildunginHamburg18271977,Ham burg1977. Abb.6,7,8,11,13:aus:AlwinHeinrichsdorff:DieTaubstummenanstaltfür HamburgunddasHamburgerGebiet,Hamburg1927. Abb.24,26:VerwendungmitfreundlicherGenehmigungvonErikaFink. Abb.27:VerwendungmitfreundlicherGenehmigungvonAngelaAndresen Schneehage. Abb.32,37:VerwendungmitfreundlicherGenehmigungvonHartmut Bandholt. Abb.68:VerwendungmitfreundlicherGenehmigungvonRolandWashau sen.

Pe rs on en re g is te r A Abend,August..........................157 Ahlburg,August. .97,98,103,108, 139,284 Ahlers,Dora...............116,141,184 Alberti,JuliusGustav.................42 Albreghs,Fritz...........182,317320 Allwörden,Wilhelmvon.........189 Amman,JohannesConrad.......34, 243,246 Aristoteles....................................14 Arnoldi,  Johann  Ludwig  Ferdi nand........................................243 B Bach,Minna...............................337 Bahrs...........................................202 Bandholt,Mathilde...................196 Bandholt,Wilhelm...179,180,196, 207 Bär,Curt.............................150,152 Bar,JohannGottlob.....................48 Barczi,Gustav....................152,234 Barriés,Carl.................................54 Bartels,Fritz...............................207 Bartosch,RichardW.......113,309, 312315 Bauermann,Anne.............365,366 Bauernfind.................................304 Bébian,  RochAmbroise Auguste ...................................................56 Behrens,Bernhard......................74 Behrens,Friederike.....................74

Behrens,Wilhelm.....107,116,117, 120,121,124,126,128,175,264, 278,320,321,328 Behrmann,JohannHeinrichChris tian 50,56,57,60,65,66,70,71, 80 Behrmann,RudolphGerhard. . .57 Bell,AlexanderGraham...........155 Bergholter...................................189 Bergmann,Heinrich.................100 Berthier,Ferdinand...................307 Beske,Willi.........................117,286 Biesold,Horst..............................28 Binding,Karl......................156,157 Blasius,Elfriede.........................266 Bödecker,Friedrich...................218 Boeters,Gustav..................156,157 Bohne,Albert.............................168 Boldt,JohannHeinrich...............75 Bonne,Georg.............................159 Bormann,Martin.......................194 Bridgman,Laura.........................72 Brix,Franz............................98,264 Bröhan,JohannHeinrich. 302304 Bruck,Hermann........................341 Buchholz,Gertrud....................237 Buehl,WilhelmAdolfAlfredAl bert..................115,187,284,327 Buek,  Friedrich  Johann  Heinrich ...................................................67 Buek,HeinrichWilhelm23,52,53, 5658,60,75,79,369 Buek,JohannHeinrich...............49 Bulwer,John...............................242 Bunge,Hans...............................333

Personenregister

Bünz,Christian..................361,363 Burmeister..................................201 Büsch,JohannGeorg..................45 C Cameron,M.R..........................211 Cardanus,Hieronymus............242 Carrie,Wilhelm.........285,297,299 Catter,Ella..................................207 Chapeaurouge,Amide..............80 ChristianVII.............................186 Claudius,GustavAdolf. .301,303, 304 Corinth,Lovis....................340,341 Cors,Günter......................241,256 Cramer,JohannAndreas............35 D Danckert,Ernst.....93,97,187,263, 285,302,304,315 Darwin,Charles........................155 Day,GeorgeE.............................72 de  l´Epée, Abbé  Charles  Michel ......14,44,45,48,49,56,69,242, 243 Demnig,Gunter........................154 Diedrichs,  Carl  Christian Martin .............................................65,73 Diedrichs,JohannHeinrich.......73 Dilling,G.E.A.C.............186,187 Dolberg,Carl.....................316,328 Donath,Peter.............................348 Dressel,Wilhelm...............225229 Drexelius,Wilhelm...................231 Dummann,Arnold. . .345,361,363 Duus,Hans................................229

411

E Eckel,Walter......................266,361 Eggers,Auguste..........................78 Ehm,Systa..........................365,366 Eisermann,Heinrich.................178 Elkan,Dorothea..28,107,131136, 207 Ellis......................................208,209 Eschke,ErnstAdolph...............246 F Faaß,AugustHeinrich...............50 Fehling,Wilhelm......107,118,293, 294,298 Feige,HansUwe.........................26 Fellnagel,Wilhelm......................53 Feuchte,Herbert.......217,224,227, 228,322,326,345,346,348,361 Fischer,Paul.................................97 Flemming,R.F.O....................184 Frank...........................................224 Fricke,Hans.......103,137,187,293 FriedrichAugustII....................33 FriedrichAugustIII...................47 Früchtenicht,Jürgen.........198,206 Fuchs,Friedrich.........................335 Funke,Wilhelm.........................320 Fürstenberg,Eduard.247,301,307 G Gandesbergen,Johann.............113 Gehrken,Alfred.........309,311,328 Gehrmann,Caroline...................65 Gewalt,Dietfried...............364,366 Glitz,Cornelia.......................69,79 Glitz,Marie......................69,79,80

412

Glitza,FriedrichJohannHeinrich .....................63,65,67,68,71,79 Goeze,JohannMelchior.......41,42 Goldbeck,JohannChristian......54 Goretzki,Ida..............................334 Göttsch........................................195 Götze...........................................264 Granau,JohannDaniel.........41,42 Graßhoff,Ludwig...............59,246 Grefe,Otto..................................147 Grolle,Joist.................................291 Gröschner...................................184 Grubert,Wilhelm..............147,148 Grünberg,Johann......................279 Günther,Agathe........................265 Günther,KlausB......................258 Gutzmann,Albert.....................296 Gutzmann,Hermann...............296 H Haake,August...........................341 Habermaß,JohannKarl 59,60,68, 283 Hachmann,Gerhard...................99 Haneken,Kaplan......................361 Hansen,Ernst....................190,192 Hardenberg,Johann.................303 Harnack,Dora...141,144,198,207 Hartlef,Claus.....................195,196 Hartmann...........................146,247 HartmannBörner,Christiane. 174 Hartmann,CarlFriedrichAugust ...................................................57 Hartmann,Friedrich.................141 Hartogh,Eva..............................343 Hartogh,Franz. .126,333,340343 Hartogh,Mary...........................340

Anhang

Hase,Ulrich...............................258 Heidbrede,Gustav....................271 Heidsiek,Johann.......................104 Heinicke, Anna  Catharina  Elisa beth...........................................44 Heinicke,JohannaCharlotte.....47 Heinicke,  Johanna  Maria  Elisa beth.....................................35,44 Heinicke,Samuel.....14,18,23,24, 3335,3740,45,48,49,51,61, 67,125,126,231,243,244,246, 359,369 Heinicke,SamuelAnton............47 Heinicke,WilhelmineRosine....47 Heinrichsdorff,Alwin.......25,111, 115,119,126,128,141,157,198, 210 Heitefuß,Wilhelm.............178,271 Hensler,PhilippGabriel............45 Hentze,Ernst.............................343 Henz,Wilhelm...........................101 Herder,JohannGottfried.....40,44 Hertling,Helmut.......................150 Hertz,GustavFerdinand.........314 Hild,Hans..................................158 Hill,FriedrichMoritz......244,245, 247 Hinzpeter,Theodor..........286,288 Hirschfeld,Carl...........................77 Hirschfeld,ErnstAlphons.........77 Hirschfeld,Paul.............50,77,301 Hirschmann,FriedrichLudwig 53 Hoche,Alfred....................156,157 Hoffmann,Clara.......................141 Hollburg,Gustav......................187 Hollburg,Horst.........................134 Holm,Kurt.........................171,172

Personenregister

Holzmann,CarlWilhelmPhilipp .............................................65,68 Holzmann,Willy.......................170 Höppl,Willi...............224,227,229 Howe,SamuelGridley...............72 Humboldt,Wilhelmvon............44 I Ideler...........................198,200,203

413

Köhler,Willi...............125,126,333 Köhne,Friedrich.......................191 Kramer,Theodor.........................74 Krause,Emil.......................115,278 Kröhnert,Otto...........................354 Krupp,FriedrichAlfred...........156 Kruse,OttoFriedrich.....55,56,60, 283,301 Kühne,Bruno....................323,330 Kunstmann.................................152

J Jankowski,Paul 107,115,133,141, 162,  166,  167,  184,  191193, 196198,206,207,209,220,280, 285,288,320,321 Jeiler............................................219 Jessen,Ada.........................361,365 Just,Richard.......................120,293 K Kalbitzer,Hellmut............149,152 Kant,Immanuel...........................49 Kaphengst,August...................147 Karnap,Carl...............115,309,314 Kauffmann,JohannChristian...57 Kaufmann,Karl.........................288 Kausche,JohannChristoph.......81 Kellner,Hellmut........................219 Kempff,TheodorFriedrich......101 Kern,Artur.................................251 Kern,Erwin................................251 Kersten........................................314 Klockmann,AnnaMaria............48 Klopstock,FriedrichGottlieb...35, 40,42 Klopstock,Margarethe...............35

L Lambeck,Adolf 142,152,164,166, 182,207,209,288,297 Lambert,Käthe..........132134,141 Landahl,Heinrich.............207,229 Landolt,Ilsabe.............................46 Lasius,OttoBenjamin..............243 Lauterbacher,Hartmann..........176 LautrupWittmaack,Erna........338 Lehmann,Cläre.........................147 Lichtwark,Alfred......................341 Liebermann,Max......................341 Lipke,G.....................................195 Lippmann,Leo..........................132 Lohse,OttoJoseph....................277 Löwenberg,Levi.................74,305 Lutz,Reinhold...................334,337 M Maeße,Hermann 18,162165,216, 224,227,228,230,231,236238, 271274,319 Maisch,Günter..........105,254,348 Mally,Gertrud.............................13

414

Männich,Georg.......231,234,256, 258,259,275 Mansfeld,Albert........148,152,183 Marr,Günther..............98,220224 Marr,Gustav.97,98,101,107,112, 118,124,128,130,359 Martens,Walter.........................207 Martini,Oskar...........117,313,329 Massieu,Jean...............................56 Matthewes,Ernst......272,280,346 Meiners,Frau...............................68 Melle,Jürgenvon......................255 Mendel,Gregor.........................155 Metelmann,Gustav. .305,306,311 Metelmann,GustavC.J..........306 Metelmann,GustavJ.C..........309 Mey,Friedrich....................226,227 Meyenn,Alexandervon...........354 Meyer,Adolf..............................342 Meyer,H.Th.Matthäus...........297 Michahelles,HeinrichAlfred. .277 Milberg,PeterAugust................57 Millahn,H..................................147 Mittelstaedt................................157 Möhring,Heinrich....................288 Möller,Emil.........................81,137 Möller,PeterDaniel........68,80,83 Mönckeberg,Carl......................337 Muhs,Jochen...............................26 Müller,Hans..............................222 Mumssen,  Emil  Max  Gotthold Augustus..................................97 Münchhausen,Idavon...............78 Mutz,Heinrich..........115,144,183

Anhang

N Neckel,Wolfgang......................241 Neuenkirch,Gerhard...............222 Neuert,Georg............................156 Neumann,KarlFerdinand......283 Neumann,Paul..........................128 Noodt,  Christoph  Christian  Ul rich......................................57,69 Noodt,ValentinAnton...............69 O Olde,Hans.........................340,341 Ossenbrügge,Dietrich......190,191 Oswald,  Johann  Carl  Heinrich Wilhelm....................................47 Oswald,JohannFriedrich..........47 P Pacher,JohnErnest. .26,50,73,77, 104,301305 PanconcelliCalzia,Giulio.......138, 141,142 Pape,Peter..................................239 Pauli,Gustav......................333,341 Pehle............................................207 Pella,Friedrich...........................205 Peschges,Hermann..................228 Pestalozzi,JohannHeinrich......55, 244 Petersen,Carl.............................125 Petersen,CarlFriedrich..............80 Petersen,Käthe..................221223 Pfitzenmaier,F..........................126 Ploetz,Alfred.....................155,156 Pluder,Friedrich.........................91 PoncedeLeon,Pedro...............242

Personenregister

Prell,JohannesAndreas.............57 Preusse,Ernst............................191 Prillwitz,Siegmund. 240,259,354, 355 R Raab,Rosemarie........................258 Rahn,Jürgen..............................107 Raloff,Gottlieb..........................227 Rambach,AugustJacob.......58,62 Ramcke,Gesine.........................365 RamirezdeCarrion,Manuel...242 Raphel,Georg............................243 Rathmann,Christian................371 Rehder,Martin..................363366 Reich,Felix.................................135 Reimarus,  Johann  Albert  Hein rich............................................45 Reinmann,Käthe.......207,250,264 Reise,Johannes..........................212 Rellensmann..............................280 Rieckenberg,Hermann............115 Röder,Edith...............................218 Röhl,Henriette..........58,61,65,68 Röhm,Ernst...............................164 Rosalowsky................................304 Rosenstein,MaxEmil...............316 Ruckau,Paul......................164,319 Rudolph,KarlJoseph...............361 S Sahrhage,Heinrich. 194198,200 203,206 Sasse,ChristianLudewig...........63 Satow,Louis...............................107 Sattler,Ferdinand..............273,274

415

Schaade,Eckart.........................365 Schaller,CarolineLouise...........62 Schallmeyer,Wilhelm...............156 Schär,Alfred......28,121,136139, 142153,207,234,264,285,288, 289 Schär,Antonie....................145,147 Schaumann,Curt......................333 Schaumann,Elisabeth..............333 Schaumann,Ruth......305,333337 Scheibe,Fritz..............................127 Scheidt,Walter...........................171 Schemmann,ConradHermann 99 Schimmelmann,HeinrichCarl 36, 37,43 Schleuß,Wilhelm......................297 Schmähl,Otto....158,215,273,319 Schmidt,Fritz.....27,116,128,129, 137,141,142,153,196,198200, 202,203,205208,210,212,223, 224,277,322 Schmidt,Gustav........206,207,209 Schmidt,Nelly...196,198,200,205 Schmidt,Wolfgang...........257,354 Schnegelsberg,Wilhelm...........272 Schroeder,JoachimChristian....37 Schüler,Theodor.......................226 Schumacher,Elke......................291 Schumann,Paul.................126,158 SchützzuHolzhausen,Hugovon ...........................................61,283 Schuy,Clemens..........................251 Schwarz,Jutta....................259,261 Seligmann,Carl.................337,339 Seligmann,Clara.......................337 Seligmann,Eduard...........337,338

416

Seligmann,Elisabeth.......126,305, 333,337339 Seligmann,Emil........334,336,337 Seligmann,Helene............337,339 Seligmann,Herbert...........337,339 Senss,DanielHeinrich...............24 Senß,DanielHeinrich. . .57,59,60, 63,65,67,73,283 Sicard,RochAmbroiseCucurron ...........................................56,243 Siepmann,Heinrich..........180,318 Sinell,HermannGustavWilhelm Christoph...............................297 Söder,Heinrich...84,90,92,96,98, 103,107,108,118,128,138,139, 171,187,297,304,306,309,314, 315,327 Söder,Marie.................................97 Sorger,HeinrichCarlAdolph...82 Speckter,JohannMichael...........74 Spoerk,GottfriedBenjamin.......48 Staab,Angela.....................234,262 Starcke,Hellmuth....105,216,217, 253,348 Steffens,  Johanna  Margaretha Christine...................................65 Stephan,Josepha.......................361 Stolzenberg,Paul.......................113 Stühmeyer,Helmut...................266 T Tellschaft,Eugen...............325,326 Thies............................................201 Thomas,Bernhard.....................310 Thoms,Paul...............................288 Thorwarth,Horst......................236 Tischmann,Olaf..........................25

Anhang

Tohmfor,Ferdinand....................59 Tohmfor,J.M.B.........................59 Tollgreef,Susanna.....................259 Tomei,Adalbert...........50,302,303 Tomei,Boris......113,115,127,314, 321,322 Treibel,Edmund........................247 U Umlauf,Karl......111,171,263,285 Unzer,JohannChristoph...........45 V Vaîsse,Léon.................................72 Vatter,Johannes.................245,249 Vietinghoff,Dorotheavon...39,42 Vogel,Helmut..............................26 Volkerding,Walter....................363 vonLüttwitz,Heribert.............343 Voß,JohannHeinrich.................40 W Wackerle,Joseph.......................335 Wapenhensch,Friedrich. 210,360, 361 Wegbrod,Hermann..................280 Weidner,Anton...................62,283 Weinert,Herbert........162,163,169 Weld,Lewis..................................72 Wendt,JohannHeinrich.......73,75 Wenning,Franz...........................98 Werner,Leni...............................339 Werner,Marion.........................339 Werner,Olga..............................339 Werner,Viktor...........................339 Wienbarg,Ludolf........................49

Personenregister

Wilke,CarlHeinrich.................283 Winthem,JohannaElisabethvon ...................................................40 Wirsel,E.A.................................71 Wisch,FritzHelmut.........257,348 Witt,  Johann  Christian  Friedrich ...................................................76 Witt,Karl...115,133,147,152,184, 189,190,195 Witte,Willi.................................281

417

Witthöft,Heinrich.............174,177 Woedtcke,CarlPetervon...........50 Wolf,Marie................................339 Wurm,Alois...............................334 Wurst,Jürgen.............................258 Z Zangemeister,HansE.............218 Zienert,Heiko............................354

Über die Autorin IRIS GROSCHEK, geboren1968inMölln,hatinHamburgundPragKunst und  Geschichte  studiert  und  arbeitet  seit  1993  als Archivangestellte  am StaatsarchivderFreienundHansestadtHamburg.IhrbesonderesInteresse giltderArchivpädagogikundderhistorischenBildungsarbeit.SieistMit glied  in  der  Regionaljury  des  Geschichtswettbewerbs  um  den  Preis  des Bundespräsidenten.IhrForschungsschwerpunktliegtimBereichderneue renGeschichteNorddeutschlands.Buchveröffentlichungen:DieVeddelund wir.EindrückeausderGeschichtederSPDVeddel,Hamburg2007;(Mitver fasserin:)DerMichelbrennt!DieGeschichtedesHamburgerWahrzeichens, Bremen2006;„JesusChristusgesternundheuteundderselbeauchinEwig keit“.  Gemeindechronik  der  Erlöserkirche  Borgfelde  (Veröffentlichungen des  Archivs  des  Kirchenkreises  AltHamburg  Band  8),  Hamburg  2000; (Mitherausgeberin:)WilhelmHeydorn:„NurMenschsein!“Lebenserinne rungen1873bis1958,Hamburg1999.

Über den Reihenherausgeber RAINER HERING,geboren1961inHamburg,leitetdasLandesarchivSchles wigHolsteinundlehrt alsProfessor NeuereGeschichteamHistorischen Seminar derUniversität Hamburg. Der internationalprofilierteArchivar undHistorikeristVorsitzenderdesArchiveCommitteederGermanStu diesAssociationinNordamerika.Eristinzahlreichenregionalenundüber regionalenGremienaktivtätig,unteranderemimVorstanddesVereinsfür HamburgischeGeschichteundimBeiratzurErforschungderGeschichte desNordwestdeutschenRundfunks,undgibtverschiedenePublikationen mitheraus,sodieReihe ArbeitenzurKirchengeschichteHamburgs unddie Fachzeitschrift Auskunft.ZeitschriftfürBibliothek,ArchivundInformationin Norddeutschland.  Promoviert  wurde  er  mit  einer  Arbeit  zur  Hamburger Universitätsgeschichte,  er  habilitierte  sich  mit  einem  Standardwerk  zum Alldeutschen  Verband.  Seine  umfangreiche  Publikationstätigkeit umfasst schwerpunktmäßig  die  Bereiche  Kirchengeschichte,  Wissenschafts  und Universitätsgeschichte, Antisemitismusforschung,  Parteien und Verbands geschichte,Rechtsgeschichte,NorddeutscheGeschichteundArchivwissen schaft.

Erstmals wird in diesem Buch die Geschichte der Gehörlosenbildung in Hamburg dargestellt: von Samuel Heinickes Schule für Gehörlose in Lautsprache bis zur Anerkennung der Deutschen Gebärdensprache. Anschaulich wird das Leben Gehörloser in Hamburg vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart geschildert.

ISBN 978-3-937816-45-6 ISSN 1865-3294

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