und fair - Hans-Böckler

March 14, 2018 | Author: Anonymous | Category: N/A
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Mitbestimmung

Mitbestimmung 10/2013

oktober 10/2013

Postvertriebsstück D 8507 Entgelt bezahlt

DAS MAGAZIN DER HANS - BÖCKLER-STIFTUNG · WWW.MAGAZIN - MITBESTIMMUNG.DE

· Geizig und gewerkschaftsfeindlich Industrie · Gewerkschaften besorgt über Widerstände gegen Industrieprojekte Meyer Werft · Tarifvertrag sichert Mitbestimmung bei Werkverträgen

KONFERENZ am 5. DEZEMBER 9.30 BIS 17 UHR im HOTEL AQUINO, BERLIN-MITTE Rohstoffe sind für Deutschland überlebenswichtig. Doch viele Lieferungen kommen aus Schwellen- und Entwicklungsländern. Die Konferenz soll klären, wie bei der Beschaffung von Rohstoffen Menschenrechte, Arbeitsrechte und ökologische Standards eingehalten werden. Anwesend Vertreter aus Politik, ­Wirtschaft, Wissenschaft, ­Zivilgesellschaft und ­Gewerkschaften

Anmeldung: Hans-Böckler-Stiftung Steffi Nohl [email protected] Telefon: 02 21/77 78-123

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EDITORIAL

„Wer aus der lohnpoli­tischen Schmuddelecke herauskommen will“,

schreibt der Berliner So­zial­ wissenschaftler Markus Helfen der neuen Branche der industrienahen Dienst­ leister ins Stammbuch, für den führe„kein Weg

Foto: Karsten Schöne

vorbei an einem verbandlich organisierten Dialog mit den Gewerkschaften“. Helfen präsentiert hier erste Ergebnisse eines Projekts für die HansBöckler-Stiftung, in dem er die im Zuge von wach­ sender Unternehmens­ vernetzung ­entstehenden Dreiecksverhältnisse aus nachfragenden Unterneh­ men, Dienstleistern und Beschäftigten untersucht. Und der Frage nachgeht, wie sich die neue Branche der „Industrial Services“ zu den unübersichtlichen tarifpolitischen Parallelwelten verhält, die ihre Geschäftsmodelle heraufbeschwören. Auch Stefan Schaumburg, Leiter des Funktionsbereichs Tarif­ politik beim Vorstand der IG Metall, stellt in seinem Beitrag über die Metallindustrie (Seite 26) – immer noch eine der tarifpolitischen Leitbranchen – nüchtern fest, „dass die abnehmende Bindungs­ bereitschaft von Unternehmen die Gestaltung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Ganzen berührt und die Arbeitsbezie­

hungen verändert“. Eine Frage, die die Sozialpartner der Branche dringend klären müssen, lautet deshalb: Wie kann die fortschreitende Ausdifferenzierung in den Branchen und Regionen weiterhin im Flächentarif­ vertrag abgebildet werden? Und Korporatismusforscher Wolfgang Schroeder, der derzeit als Staatssekretär im Arbeitsministerium Brandenburg die politische Praxis auslotet, macht sich im Interview (Seite 10) Gedanken, was Tarifautonomie über die rein ökonomische Sphäre hinaus für die Ge­ sellschaft bedeutet. „Tarifautonomie und Flächentarif­ vertrag sind Instrumente, um die Verteilung von Arbeit und Einkommen gesellschaftlich sowie volkswirtschaft­ lich zu öffnen und das einzelwirtschaftliche Kalkül et­ was zu relativieren“, sagt Schroeder. „Ihr Fehlen führt zu einem wesentlich höheren Maß an Ungleichheit.“ Das allein ist Grund genug, alles dranzusetzen, die sozial­ partnerschaftlichen Strukturen kompatibel zu machen für die großen Herausforderungen der Demografie und der Globalisierung.

margarete hasel

[email protected]

Mitbestimmung 10/2013

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10

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T ITEL Erosion der Arbeitgeberverbände

A RBEIT

10  „Eine neue Idee von Sozialpartnerschaft“

4 0 Auffallend ruppig

Interview mit Wolfgang Schroeder, Politikwissenschaftler und Staatssekretär

Die Folgen der Erosionsprozesse im Arbeitgeberlager. Von Thomas Haipeter

Wie kritische Betriebsräte bei den Volks- und Raiffeisenbanken eingeschüchtert werden. Von Joachim F. Tornau

20 Neue Gesichter – neue Profile?

44  „Keine faire Chance“

Generationswechsel an der Spitze der wichtigsten Arbeitgeberverbände. Von Stefan Scheytt

Interview mit John Fetherston, ­Gewerkschafter im Opel-VauxhallWerk in Ellesmere Port

15 Schwächelnde Gegenspieler

24 Was kostet die Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband? Annäherungen an ein gut gehütetes Geheimnis. Von Martin Behrens

26 Zwischen Betrieb und Fläche Wie der Rückgang der tarifgebundenen Unternehmen in der Metall- und ­Elektroindustrie gestoppt werden soll. Von Stefan Schaumburg

28 Dann eben Häuserkampf Warum die Genese neuer Branchen im Dienstleistungssektor die ­Sozialpartner-Beziehungen strapaziert. Von Guntram Doelfs

32 Neue Dreiecksverhältnisse Unübersichtlichkeit bei den Industriedienstleistern. Von Markus Helfen

36 Lohndumping im Handwerk Wie tarifpolitische Abstinenz der Handwerksinnungen die Billigkonkurrenz stärkt. Von Lukas Grasberger

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Mitbestimmung 10/2013

RUBRIKEN 3 Editorial 6 Nachrichten 9 PRO & CONTRA 72 rätselhaftes fundstück 73 vorschau, impressum 74 MEIN ARBEITSPLATZ Manuel Vieira, portugiesischer ­Einzelhändler in Toronto

INHALT

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54

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P OLITIK

W ISSEN

AUS DER STIFTUNG

46 Umkämpfte Industrieprojekte

5 4 Druck auf die Werftleitung

58 Zur Sache

Über den ersten Tarifvertrag gegen den Missbrauch von Werkverträgen bei der Meyer Werft in Papenburg. Von Marc von Lüpke-Schwarz

Gustav Horn zu den wirtschafts­ politischen Aufgaben der neuen Bundesregierung

Gefragt sind die glaubwürdigen Argumente von Betriebsräten und Gewerkschaften. Von Andreas Schulte

51 Neue Mehrheiten für die Arbeitnehmer Wie sich die Gewerkschafts­­ kandidaten geschlagen und wie ­Ge­werk­schafter gestimmt haben. Von ­Andreas Kraft

60 Böckler-Tagungen Globaler Bedeutungswandel von Streiks Betriebsratswahl 2014

63 Tipps & Termine 64 Böckler-Nachrichten 66 Die Stahlfrau

POLITIK

Altstipendiatin Kathleen Kollewe ist Public-Affairs-Managerin bei ­ArcelorMittal. Von Karin Hirschfeld

Messlatte Mindestlohn Wer Deutschland künftig regiert, steht noch nicht fest. Fest steht hingegen, dass dem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn im Koalitionspoker große Bedeutung zukommt. Die Chancen für diese zentrale Forderung der Gewerkschaften stehen gut.  Seite 51

MEDIEN 68 Buch & mehr 70 Website-Check Mitbestimmung 10/2013

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Foto: Christian Engelke

BILD DES MONATS

Dieser Pizzabäcker zahlte 1,59 Euro Neuer Tiefpunkt im Niedriglohnsektor: Auslieferer bei Pizza Planet in Prenzlau mussten rund drei Stunden durch die Gegend kurven, um von ihrem Lohn eine dünn belegte Pizza kaufen zu können. Der Arbeitgeber zahlte zeitweilig 1,59 Euro Stundenlohn – in anderen Fällen 1,65 Euro oder 2,72 Euro. Damit ist jetzt Schluss. Die Klage des örtlichen Jobcenters hatte Erfolg. Das Arbeitsgericht Eberswalde

befand den Lohn für sittenwidrig und verurteilte den Betreiber, rund 11.000 Euro Aufstockungsleistungen für acht geringfügig Beschäftigte zurückzuzahlen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. „Wir untersuchen ständig ähnliche Fälle und behalten uns Klagen vor“, sagt der stellvertretende Pressesprecher des Jobcenters Jörg Brämer. Da wird womöglich noch so mancher Planet geerdet werden.  ■

K AR STADT

Hängepartie für 20 000 Mitarbeiter Die 20 000 Mitarbeiter der Warenhauskette Karstadt blicken weiter in eine ungewisse Zukunft. „Es sind viele Fragen offengeblieben“, sagt Arno Peukes, Mitglied der ver.di-Kommission für die Tarifgespräche mit dem Essener Konzern nach der ersten Verhandlungsrunde. „Die Arbeitgeber können uns nicht einmal sagen, was der Einstieg des österreichischen Immobilienunternehmers Benko für die Gesellschaftsform von Karstadt bedeutet.“ Mitte September hatte Karstadt-Eigentümer Berggruen überraschend seine Verkaufs-

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pläne mitgeteilt. Der Österreicher hält künftig 75,1 Prozent an drei Karstadt-Edelkaufhäusern und an den 28 Sporthäusern. „Diese Zerschlagung des Konzerns macht Tarifvertrag und Standortsicherung wichtiger denn je“, sagt Peukes. ver.di strebt die Rückkehr von Karstadt in die Tarifbindung an und den Abschluss eines Standortund Beschäftigungssicherungsvertrags. Karstadt will mit einem vorübergehenden Ausstieg aus dem Tarifvertrag Kosten in Millionenhöhe sparen. Noch ist eine Einigung nicht in Sicht. ■

NACHRICHTEN

drei z ahlen , drei meldu ngen WINDENERGIE

29,6%

Betriebsratswahlen bei Enercon Beim Windkraftanlagenhersteller Enercon hält die Mitbestimmung Einzug. Anfang November werden rund 3000 Monteure in allen neun Servicegesellschaften erstmals Betriebsräte wählen. Das größte deutsche Unternehmen der Branche mit Sitz im ostfriesischen Aurich beschäftigt bundesweit etwa 11 000 Mitarbeiter in zahlreichen Tochterfirmen. Betriebsräte gibt es kaum. Enercon galt bislang als gewerkschaftsfreie Zone. Für die IG Metall ist der Durchbruch ein Signal für die gesamte Branche: „Die Gestaltung der Arbeitsbedingungen in der Windindustrie ohne den Marktführer ist schwer möglich. Deshalb sind die Wahlen ein wichtiger Meilenstein“, sagt Sören Niemann-Findeisen, Leiter des Ressorts Strategische Erschließungsprojekte beim Vorstand der IG Metall in Frankfurt am Main. Die Gewerkschaft hatte am 2. September in allen Enercon-Servicetöchtern Betriebsratswahlen eingeleitet. Um eine hohe Teilnahme der häufig weit verstreut arbei­tenden Monteure zu erreichen und möglichen Ge-

des Bruttoinlandsprodukts entfallen auf Sozialleistungen – von den Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung bis zur Grundsicherung. Der Anteil der Sozialausgaben an der Wirtschaftsleistung ist seit Jahrzehnten etwa konstant.

E i n Dr i t t e l f ü r de n Soz i a ls ta at Anteil der versicherungs- und steuerfinanzierten Sozialausgaben am BIP 2010 31,5 % 2000 29,7 % 1995 28,3 %

2012 29,6 %

2005 29,0 %

Sozialpolitik aktuell, September 2013

3391

Euro brutto verdient der durchschnittliche Vollzeitbeschäftigte pro Monat. Während Männer auf knapp 3600 Euro kommen, ist der Durchschnittsverdienst von Frauen bei voller Arbeitszeit um fast 20 Prozent geringer.

F ü r e i n F ü n f t e l we n i g e r Bruttolöhne vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer in Deutschland in Euro, 2012

3391 €

2925 €

3595 €

Foto: privat

Quelle: Statistisches Bundesamt, August 2013

IG-Metaller beim „Organizing-Blitz“ nahe Hamburg

genmaßnahmen des Unternehmens zuvorzukommen, hatten rund 150 haupt- und ehrenamtliche Gewerkschafter in einem sogenannten „Organizing-Blitz“ 130 Wartungsstützpunkte besucht und die Beschäftigten über ihre Rechte informiert. Unternehmensgründer und Windenergie-Pionier Aloys Wobben ist laut „Forbes“ der reichste Mann Niedersachsens: Sein Vermögen wird vom „Manager-Magazin“ auf rund drei Milliarden Euro geschätzt. Er ist für seine negative Einstellung gegenüber Gewerkschaften bekannt. ■

47 %

der Mieter in Deutschland halten die von ihnen gezahlte Miete für zu hoch. Allerdings hängt die Beurteilung stark vom Wohnort ab: In Großstädten wie München, Köln oder Berlin klagen fast zwei Drittel über zu hohe Mieten, in kleineren Städten ist der Wohnungsmarkt deutlich entspannter.

G roSS e S ta dt, h o h e M i e t e n Zustimmung zu dem Satz „Die Mieten in meiner Gegend sind zu hoch.“ Stadt mit …

29 % … höchstens 20 000 Einwohnern

41%

64 %

… 100 000 bis ­500  000 Einwohnern

… mehr als 500 000 Einwohnern

Quelle: Allensbach Institut, August 2013

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JOURNALISMUS

outokumpu nirosta

IG Metall und Betriebsrat empört über Vertragsbruch

Foto: Paul Zinken/ddp images

Onlinejournalismus ist weniger wert als Journalismus bei Tageszeitungsredaktionen – zumindest beim Kölner Verlagshaus M. DuMont Schauberg (MDS). Das Unternehmen versucht, die Onlineredaktionen seiner Zeitungstitel „Kölner Stadt-Anzeiger“ und „Express“ in das nicht tarifgebundene Tochterunternehmen Du-

Vor dem Kölner Verlagshaus, DuMont-Zeitungen

Mont Net auszulagern. Dort würden sie nicht nach Tarif bezahlt, aber nach Vergütungsregeln, die der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) und die dju in ver.di mit dem Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) ausgehandelt haben. „Verleger unterlaufen diese Regeln in der Praxis aber“, befürchtet­ ver.di-Sekretär Stephan Otten. Die Mitarbeiter der Onlineredaktionen wurden Mitte September vom Verlag informiert, dass die digitalen Inhalte der beiden Zeitungen künftig nicht mehr in Eigenverantwortung produziert werden. Die betroffenen knapp 40 Journalisten sollen sich in der „Digital-Redaktion“ von DuMont Net neu bewerben. Hintergrund für das Vorgehen von DuMont dürfte diesmal das Programm „Schwarze Null“ sein. Damit will das Zeitungshaus sein Onlinegeschäft profitabel gestalten. „Der Verlag spart auf Kosten der Beschäftigten“, sagt Otten. Auch Stellen aus dem Anzeigenverkauf sollen ausgelagert werden. Noch schlimmer trifft es die Bereiche Druck, Verlag und Verwaltung. Hier streicht MDS 84 Stellen, wodurch es auch zu betriebsbedingten Kündigungen kommt.  ■

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Nicht einmal ein Jahr nach Übernahme der ThyssenKrupp-Edelstahlsparte will der finnische Konzern massiv Stellen streichen und das letzte deutsche Schmelzwerk in Bochum mit 450 Beschäftigten schon 2014 schließen – statt, wie tarifvertraglich zugesichert, frühestens 2016. Auch die weiteren Ankündigungen, mit denen Outokumpu-Chef Mika Seitovirta in der außerordentlichen Sitzung des Aufsichtsrates am 1. Oktober aufwartete, haben Sprengkraft: Weniger Investitionen und Produktionsmengen für die Nirosta-Standorte Krefeld und Dillenburg als im Standort- und Beschäftgungssicherungsvertrag des Unternehmens mit der IG Metall Anfang 2013 vereinbart, Schließung des Servicecenters im niedersächsischen Langenhagen sowie Abbau von weiteren 1000 Arbeitsplätzen in Europa, darunter allein 800 in Deutschland. Die NRW-Landesregierung nennt das Vorgehen des Konzerns einen „schweren Schlag gegen die sozialpartnerschaftliche Kultur in NRW“. Auch die IG Metall reagierte empört. „Die Ankündigungen würden den Bruch der geltenden Tarifverträge bedeuten, davor kann ich den Vorstand nur warnen“, sagt Knut Giesler, NRW-Bezirksleiter der IG Metall. „Die gültigen Verträge sind schlicht einzuhalten. Was das Unternehmen jetzt vorhat, ist pure Provokation“, so Giesler, „das werden wir nicht hinnehmen.“ ■ Mehr Informationen unter www.metaller-fuer-krefeld.de

GEWERKSCHAF TEN

Wechsel im DGB-Bundesvorstand Reiner Hoffmann wird im Februar 2014 neues Mitglied im Geschäftsführenden DGB-Bundesvorstand. Das hat der DGB-Bundesausschuss auf seiner Sitzung am 1. Oktober mit 91 Prozent der Stimmen beschlossen. Diesem höchsten Entscheidungsgremium des Dachverbandes zwischen den Bundeskongressen gehören der DGB-Vorstand, die neun DGB-Bezirkschefs sowie 70 Vertreter der Mitgliedsgewerkschaften an. Hoffmann tritt damit die Nachfolge von Reiner Hoffmann Claus Matecki an, der Ende Januar aus Altersgründen aus dem DGB-Vorstand ausscheidet. Der 58-Jährige leitet seit 2009 den Bezirk Nordrhein der IG BCE. Zuvor war er 16 Jahre in Brüssel tätig, zuletzt als stellvertretender Generalsekretär des EGB. „Gerade in der Wirtschafts- Struktur- und Finanzpolitik brauchen wir einen Kurswechsel, um dem sozialen Europa ein starkes Gewicht zu geben“, sagt Hoffmann. „Dazu können meine europäischen Erfahrungen einen Beitrag leisten, die ich gerne in die Arbeit des DGB einbringe.“ Er gilt auch als wahrscheinlicher Nachfolger von DGB-Chef Michael Sommer, der beim Bundeskongress im Mai nicht mehr kandidieren wird. ■ Foto: IG BCE

DuMont-Verlag stiehlt sich aus der Tarifbindung

PRO & CONTR A

Fotos: privat

Studieren in Deutschland zu viele junge Menschen?

Julian Nida-Rümelin, Kulturstaatsminister a. D. der rot-grünen

­Bundesregierung, ist Professor der Philosophie an der Uni München.

Johanna Wank a , CDU, Mathematikerin, ist seit Februar 2013 ­Bundesministerin für Bildung und Forschung.

„Ja. Wenn wir in Deutschland gleiche

„Nein. Es ist falsch, zwei große Stärken unseres

Studierendenquoten wie die USA haben, dann wracken wir – gewollt oder ungewollt – das international gepriesene duale System der Ausbildung ab. Die Abiturientenquote hat sich innerhalb einer Dekade in Deutschland verdoppelt und liegt unterdessen über 50 Prozent. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, steht in jedem Jahrgang weniger als ein Drittel für den beruflichen Bildungsweg zur Verfügung. Den damit verbundenen Umbruch auf dem Arbeitsmarkt müsste Deutschland teuer bezahlen, der Weg in die De-Industrialisierung nach britischem Muster, mit doppelt so vielen Akademikern und doppelt so hoher Jugendarbeitslosigkeit, wäre vorgezeichnet. Ich plädiere für ein Bildungssystem, das nicht selektiert, sondern differenziert, das von der Gleichwertigkeit von technischen, handwerklichen, sozialen und intellektuellen Berufstätigkeiten ausgeht und nicht suggeriert, dass jeder junge Mensch, der sich anstrengt und hinreichend begabt ist, studiert und die anderen als Bildungsverlierer markiert. Dies sollte mit einer Aufwertung nicht akademischer Berufe in den Unternehmen und auf dem Arbeitsmarkt, auch bei der Vergütung, einhergehen. Eine humane Bildung selektiert nicht, sondern schafft die Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben.“

Bildungssystems gegeneinander auszuspielen. Wir freuen uns über das große Interesse am Studium. Der akademische Abschluss gilt nach wie vor als bester Schutz gegen Arbeitslosigkeit. Deshalb ist es richtig, dass wir in neue Studienplätze und gute Studienbedingungen investieren. Das zeigt auch der internationale Vergleich: Obwohl in Deutschland immer mehr junge Menschen an die Hochschulen gehen, liegt die Studienanfängerquote in Deutschland immer noch unter dem OECD-Durchschnitt. Das wiederum hängt mit der Attraktivität der dualen Ausbildung zusammen. Es ist wichtig, dass wir uns ihren hohen Wert immer wieder bewusst machen. Sie gilt als wichtiger Grund für unsere niedrige Jugendarbeitslosigkeit. Aus aller Welt erreichen uns Anfragen, ob wir nicht beim Aufbau vergleichbarer Systeme helfen können. Entscheidend für das gute Zusammenspiel zwischen Berufs- und Hochschulbildung ist die Durchlässigkeit. Es muss leichter werden, vom Beruf in ein Studium zu wechseln. Auf der anderen Seite müssen Leistungen von Studienabbrechern besser anerkannt werden, wenn sie anschließend eine Ausbildung machen. Deutschland braucht beides: eine gute akademische und eine starke berufliche Bildung.“ ■

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Sta atssekretär Schroeder:

Fotos: Rolf Schulten

„Versuche, den ­Niedriglohnsektor einzudämmen“

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TITEL

„Eine neue Idee von Sozialpartnerschaft“ Wolfgang Schroeder, Politikwissenschaftler und Staatssekretär in Brandenburg, über die Krise des Flächentarifs, die Erosion der Arbeitgeberverbände – und seine Ideen, was dagegen getan werden kann.

INTERVIEW

Das Gespräch führten MARGARETE HASEL, Redakteurin des Magazins Mitbestimmung, und JOACHIM F. TORNAU, Journalist in Kassel.

Fotos: Rolf Schulten

Herr Schroeder, in Brandenburg ist ein sogenannter Sozialpartnerdialog ins Leben gerufen worden. Warum muss sich die Landesregierung einschalten, damit Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften miteinander reden? In Ostdeutschland gibt es derzeit nur wenig Arbeitsplätze auf tarifvertraglicher Grundlage. Der Niedriglohnsektor ist außerordentlich groß und gute Arbeit rar. In den neuen Bundesländern verdient ein Drittel der Beschäftigten weniger als 8,50 Euro pro Stunde. Für die Zukunft droht wegen der demografischen Entwicklung zudem ein erheblicher Fachkräftemangel. Mit dem Sozialpartnerdialog wollen wir gute Arbeit fördern, aber auch die Sozialpartner stärken. Denn es fehlen die starken Akteure, die man bräuchte, um eine Selbstregulation von Wirtschaft und Arbeitsmarkt zu erreichen. Was in Brandenburg gut funktioniert, sind gelebte Betriebspartnerschaften, aber die Sozialpartnerschaft befindet sich noch sehr in den Anfängen. Was meinen Sie damit? Wir haben den Rahmen, aber keine hinreichend handlungsfähigen Strukturen. Die Gewerkschaften in Brandenburg kommen auf einen Organisationsgrad

von etwa zehn Prozent. Und bei den Arbeitgeberverbänden sieht es nicht besser aus. In der Metallindustrie sind von insgesamt 1800 Unternehmen vielleicht 35 tarifgebunden. Unser erstes Ziel ist, die Mitgliedschaft in Verbänden als positives Gut in der öffentlichen Debatte zu platzieren. Wir wollen vermitteln, dass es nachhaltiger ist, auf Tarifverträge und auf qualitative Formen des Wettbewerbs zu setzen als allein auf den kurzfristigen Lohnwettbewerb. Gut ist, dass Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände in dieser Frage wirklich an einem Strang ziehen und beide ein hohes Interesse am Erfolg der Sozialpartnerschaft haben. Die Politik spielt den Moderator? Nicht nur. Wir stellen Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften auch Mittel zur Verfügung, damit sie mit Projekten zu Fragen der Arbeitsorganisation, zu Gesundheitsmanagement oder Weiterbildung in die Betriebe gehen können – um auf diese Weise Mitglieder zu gewinnen.

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Arbeitgeber wie Beschäftigte sollen erleben, dass man über die Verbände und über die Gewerkschaften eine Perspektive bekommt, die man allein nicht hat. Das sind natürlich zaghafte Bemühungen, die eine funktionierende Selbstorganisation nicht ersetzen können. Wir versuchen, Hebamme zu spielen, damit die Tarifpartner wieder selbst zu den zentralen Akteuren werden können. Allein auf die Sozialpartnerschaft wollen Sie aber offenbar nicht vertrauen: Seit Januar 2012 gilt in Brandenburg ein Vergabegesetz, das bei öffentlichen Aufträgen einen Mindestlohn vorschreibt. Nach Rheinland-Pfalz haben wir als zweites Bundesland eine Mindestlohnkommission geschaffen. Sie ist – nach dem Vorbild der „Low Pay Commission“ in Großbritannien – paritätisch zusammengesetzt aus Ministeriumsvertretern, Arbeitgebern, Gewerkschaftern und Wissenschaftlern. Im Juni hat sie für Aufträge von Landesregierung und Kommunen einen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde empfohlen. Außerdem sind Wirtschaftssubventionen in Brandenburg an die Bedingung geknüpft, dass neu entstehende Arbeitsplätze ein Jahresgehalt von mindestens 25.000 Euro bedeuten und eine bestimmte Leiharbeitsquote nicht überschritten wird. Das sind Versuche, den Niedriglohnsektor im Land einzudämmen. Inwiefern haben Sie es mit einem spezifisch ostdeutschen Problem zu tun? Das Besondere steckt nicht in einem einzelnen Punkt. Die ostdeutsche Ökonomie ist eine Dependenzökonomie, es

Wie wirkt sich das aus? Gewerkschafter und betriebliche Funktionäre genießen vielerorts keine hohe Wertschätzung. Dafür sind die Erwartungen an den Staat nach wie vor stärker ausgeprägt. Als Erster-Mai-Redner haben Sie in diesem Jahr die Tarifautonomie als „Fundament unserer Gesellschaft“ bezeichnet. Was passiert denn, wenn dieses Fundament fehlt? Hat das Folgen über die Ökonomie hinaus? Das hat auch Auswirkungen auf das Selbstverständnis einer Gesellschaft, auf die soziale Schichtung, auf Durchlässigkeit und Zusammenhalt. Tarifautonomie und Flächentarifvertrag sind Instrumente, um die Verteilung von Arbeit und Einkommen gesellschaftlich sowie volkswirtschaftlich zu öffnen und das einzelwirtschaftliche Kalkül etwas zu relativieren. Ihr Fehlen führt zu einem wesentlich höheren Maß an Ungleichheit. Für diejenigen, die von ihrer Herkunft wenig soziales und ökonomisches Kapital mitbringen, bedeutet das schlechtere Aufstiegsmöglichkeiten. Für eine Gesellschaft, die schrumpft, bedeutet es eine geringere Reproduktionsfähigkeit. Nicht zu vergessen sei zudem die Gefahr des Fachkräftemangels und damit sinkender Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Damit sind wir bei einer Analyse, die weit über den Osten Deutschlands hinausreicht. Auch in anderen Teilen des Landes wachsen die weißen Flecken in der Tariflandschaft. Ein Grund dafür sind die Erosionsprozesse im Arbeitgeberlager. Was verbirgt sich hinter dieser schwindenden Verpflichtungsfähigkeit den eigenen Leuten gegenüber? Immer weniger Unternehmen erscheint es noch selbstverständlich, dass die Bindung an Kollektivnormen einen Nutzen darstellt. Die Mitgliederzahl der Arbeitgeberverbände ist seit den 1980er Jahren rückläufig, ihr Einfluss auf die Mitglieder nimmt stetig ab. Das haben die Verbände zum Teil auch selbst verschuldet, weil sie sich unzureichend angepasst haben an die veränderten Wettbewerbsbedingungen und an die veränderten Bedarfe der einzelnen Unternehmen. Statt beispielsweise zusätzliche Serviceleistungen für kleine und mittlere Betriebe aufzubauen, haben sie sich für einen Prozess der Desorganisation entschieden und die Verbandsmitgliedschaft ohne Tarifbindung, die sogenannte OT-Mitgliedschaft, eingeführt – um sich wenigstens ihre Finanzausstattung zu erhalten. Das ist übrigens auch die entscheidende Zäsur in der Entwicklung unserer Arbeitsbeziehungen.

„Die Einführung der OT-Mitgliedschaft ist die entscheidende Zäsur in der Entwicklung unserer Arbeitsbeziehungen.“ gibt bei den größeren Betrieben fast nur Ableger von westdeutschen oder internationalen Konzernen. Die Betriebe sind wesentlich kleiner als im Westen – von den insgesamt rund 70 000 Unternehmen in Brandenburg haben gerade einmal rund 3000 mehr als 50 Beschäftigte. Auch Industrieanteil und Exportorientierung sind weitaus geringer. Das Bild ist immer noch geprägt von der Niedriglohnstrategie der ersten zwei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung. Hinzu kommt, dass die Kumulation dieser Faktoren eingekleidet ist in das schwierige Erbe 40-jähriger SED-Herrschaft.

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OT-Mitgliedschaften funktionieren auch als tarifpolitisches Druckmittel. Arbeitgeber können in Tarifverhandlungen damit drohen, dass sie in OTStrukturen wechseln – dann verliert die Gewerkschaft ihren Verhandlungspartner, und die Sache ist beendet. Wir haben in den deutschen Arbeitsbeziehungen jetzt drei Welten: In der ersten ist die Sozialpartnerschaft noch selbstverständlich, weil sie als nützlicher Beitrag zur Regulierung des Wettbewerbs begriffen wird. Das betrifft vor allem die exportorientierte Chemie-

TITEL

z u r PERSON

53, hat den Lehrstuhl „Politisches System der BRD – Staatlichkeit im Wandel“ an der Universität Kassel inne. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören unter anderem ­Verbände und Gewerkschaften. Seit 2009 ist er von seiner Professur beurlaubt und arbeitet als Staats­sekre­tär im Ministerium für Arbeit, Soziales, Frauen und Familien des Landes Brandenburg. Schroeder gehört der Grundwertekommission der SPD an und war jahrelang für die IG Metall tätig.

WOLFGANG SCHROEDER,

und Metallindustrie. Bei der zweiten Welt könnte man von Gelegenheitssozialpartnerschaft sprechen: Wenn’s nutzt, ja. Sonst nein. Und dann gibt es eine immer größer werdende dritte Welt, wo die Sozialpartnerschaft grundsätzlich abgelehnt wird. Da herrscht der reine Arbeitsmarkt, der reine Kapitalismus. Insofern kann man nicht von „der“ Sozialpartnerschaft sprechen. Wir haben Zonen mit unterschiedlich regulierten Arbeitsbedingungen. Wirkliche Sozialpartnerschaft gibt es nur in einer Zone. Und die wird immer kleiner. Wie wirkt sich diese Aufspaltung in „drei Welten“ auf die Arbeitgeberverbände selbst aus? Verbände bringen Wettbewerber von sehr unterschiedlicher Größe und Qualität zusammen – von multinationalen Unternehmen bis zu mittelständischen Betrieben. Diese kleineren Betriebe steigen nun zunehmend aus, sogar in den Branchen der sogenannten ersten Welt: Bei Gesamtmetall sind von den 6800 Mitgliedern mittlerweile fast 3200 im OT-Bereich. Wenn aber bald nur noch die großen, starken Unternehmen tarifgebunden sind, stellt sich die Frage: Hat der Verband für sie dann überhaupt noch eine Funktion? Noch profitieren sie ja davon, dass auch die Kleinen Mitglieder sind, weil dann nicht ihre Leistungsfähigkeit allein das Maß der Dinge ist, sondern eine Durchschnittsproduktivität. Was für sie natürlich günstiger ist.

Die Sozialpartnerschaft ist in der Krise. Gleichzeitig hat sie sich zuletzt jedoch als sehr belastbares Instrument zur Bewältigung der Finanzkrise erwiesen. Wie erklärt sich dieses Paradoxon? Diese Krisenkooperationspolitik fiel nicht vom Himmel, sondern ist in den betreffenden Branchen der Metallund Chemieindustrie schon vorher vorhanden. Tarifautonomie und Sozialpartnerschaft sind nicht einfach technische Veranstaltungen. Es hat sich gezeigt, dass man korporatistische Akteure braucht, die auf Vertrauen und Verhandlungserfahrung aufbauen und so gemeinsam handeln können. Das hat in dieser Situation beispielhaft funktioniert – und könnte nun als Episode einfließen in die große Erzählung, die davon handelt, wie es einmal mehr gelungen ist, unsere Gesellschaft vor sich selbst zu schützen. Und vor dem Markt. Manche Forscher sprechen deshalb von einer „Renaissance“ oder „Revitalisierung“ der Sozialpartnerschaft. Da wäre ich vorsichtig optimistisch. Der Niedriglohnsektor ist stabil, bei der Primärverteilung gibt es

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keine Bewegung. Die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften wachsen zwar etwas, aber auch das würde ich nicht überbewerten. Und bei den Arbeitgeberverbänden haben wir nach wie vor eine permanente Erosion. Damit nimmt die Regulationsfähigkeit der Verbände immer weiter ab – und die Bedeutung des Staates immer weiter zu. Doch es gibt derzeit keine offensive Politik, die es vermocht hat, die Sozialpartnerschaft nach vorne zu bringen. Dafür gibt es mittlerweile einen weiten Konsens über die Notwendigkeit eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns. Inwieweit könnte das helfen?

heißt, individuelle Interessen stehen im Mittelpunkt. Wie können die Arbeitgeber vor diesem Hintergrund zu einer positiven Vision von Sozialpartnerschaft kommen? Die Verbände müssen beweisen, dass der individuelle Nutzen, in einem Kollektiv organisiert, zu einem Mehrwert führt. Dafür müssen sie wacher, durchlässiger und beweglicher werden. Sie müssen aber auch erklären können, warum sich Unternehmen nicht direkt dem Markt oder dem Staat unterwerfen sollen. Und warum selbstgenügsame Betriebspartnerschaften, wie sie in Ostdeutschland bereits vorherrschendes Leitbild sind, für die Entwicklung einer dynamischeren Gesellschaft nicht ausreichen. Es braucht eine neue Idee von Sozialpartnerschaft als Modell, das sozialen Zusammenhalt, Dynamik, Wettbewerbsfähigkeit zum Inhalt hat – und damit neue Win-win-Situationen.

„Die Arbeitgeberverbände erodieren nach wie vor. Damit nimmt die Regulations­ fähigkeit der Verbände weiter ab.“ Ein Mindestlohn würde Druck wegnehmen vom tarifpolitischen Geschehen. Der freie Fall nach unten wäre abgebremst. Ob das für die Arbeitgeber in bestimmten Branchen eine Motivation wäre, sich verbandlich zu organisieren, das wissen wir noch nicht. An der Spitze der wichtigen Arbeitgeberverbände findet gerade ein Generationswechsel statt. Wird das politischideologisch frischen Wind bringen? Das ist offen. Für die Aufbaugeneration der Väter, die die Entwicklung bis in die 1980er Jahre geprägt hat, war die Sozialpartnerschaft die ideenpolitische Antwort auf den Klassenkampf und die Systemkonkurrenz angesichts der Spaltung Deutschlands und damit ein nützliches Gut. Auch konnten sie damit die Hypothek ihrer NS-Mittäterschaft relativieren. Danach folgten die Henkels und Rogowskis, die sich davon entschieden absetzten und einen umfassenden Bruch mit dem deutschen Modell versuchten. Die jetzt kommen, sind keine Ideologen, sondern eher Pragmatiker. Ob sie eine eigene Vision von Sozialpartnerschaft haben, ist bislang nicht erkennbar. Dabei wäre das dringend nötig: Es gilt, das deutsche Modell kompatibel zu machen mit den Herausforderungen der Demografie und der Globalisierung. Mit Pragmatik allein ist das nicht zu schaffen. In Ihren wissenschaftlichen Arbeiten nennen Sie das 21. Jahrhundert das „Jahrhundert der Mitglieder“ – das das „Jahrhundert der Verbände“ abgelöst habe. Das

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Mitbestimmung 10/2013

Taugen die bestehenden Institutionen zu einem solchen Neubeginn? Künftig wird es mehr Pluralität geben, aber auch schnellere Wechsel und Veränderungen. Verbände und Gewerkschaften, die naturgemäß eher langsam sind, werden das alleine nicht steuern können. Deshalb sollte man als Ergänzung über Netzwerke nachdenken, die schnell und lösungsorientiert auf aktuelle Probleme reagieren – und die auch kleinere Einheiten umfassen können. Weil aber auch das noch unzureichend sein dürfte, um flächendeckende Angebote machen zu können, könnte ich mir flankierend eine Arbeitskammer mit Pflichtmitgliedschaft für alle Arbeitnehmer vorstellen. Würde das keine Konkurrenz für die Gewerkschaften bedeuten? In Ostdeutschland haben rund 70 Prozent der Arbeitnehmer keinen Ansprechpartner für ihre Belange, weder einen Betriebsrat noch einen Gewerkschaftsvertreter. Das kann nicht sein. Mit einer Arbeitskammer würden sie eine erste Anlaufstelle für Fragen des täglichen Arbeitslebens erhalten, ähnlich wie es das mit den Arbeitnehmerkammern in Bremen und im Saarland schon gibt. Außerdem kämen sie damit auf Augenhöhe mit der Arbeitgeberseite, die solche Institutionen in Form der Industrie- und Handelskammern und der Handwerkskammern ja bereits hat. Natürlich darf das nicht dazu führen, die Gewerkschaften zu schwächen und ihre Kernkompetenzen anzugreifen. Vielmehr muss das Gegenteil der Fall sein. Dann wäre dies eine Chance für die Gewerkschaften. Das muss natürlich genau austariert werden. Aber ich finde, es wäre eine Debatte wert. ■

m e h r i n f o r m at i o n e n Wolfgang Schroeder/Bernhard Weßels (Hrsg.): HANDBUCH ARBEITGEBERUND WIRTSCHAFTSVERBÄNDE IN DEUTSCHLAND. Wiesbaden 2010 Wolfgang Schroeder: VORSORGE UND INKLUSION. Wie finden Sozialpolitik und Gesellschaft zusammen? Berlin 2012 Wolfgang Schroeder (Hrsg.): HANDBUCH GEWERKSCHAFTEN IN ­DEUTSCHLAND. 2. Auflage, Wiesbaden 2013

TITEL

Schwächelnde Gegenspieler Ohne handlungsfähige Arbeitgeberverbände ist es kaum möglich, fl ­ ächen­deckend ­Mindeststandards für Löhne und Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Doch ist die Verbands­mitgliedschaft von Unternehmen vom Regel- zum Ausnahmefall geworden. Braucht es künftig Häuserkampf und ­Allgemeinverbindlicherklärungen für „gute Arbeit“?

TARIFPOLITIK

Von THOMAS HAIPETER, Leiter der Forschungsabteilung Arbeitszeit und Arbeitsorganisation am Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen

West

76% 1998

67%

Ost

2005

1998

63% Sinkende Tarifbindung in Ost und West Tarifbindung nach Beschäftigten, 1998 – 2012, in Prozent, Branchen- und Haustarif

D

eutschland gehört neben Portugal und Slowenien zu den wenigen europäischen Ländern mit Flächentarifverträgen, in denen sowohl der gewerkschaftliche Organisationsgrad als auch die Mitgliedschaft in Arbeitgeberverbänden und die Tarifbindung zurückgegangen sind. In 2011 waren nur noch 29 Prozent der Betriebe in der Tarifbindung. Handlungsleitende Norm ist sie nach Daten aus dem IAB-Betriebspanel 2012 nur mehr für größere Betriebe: 49 Prozent der Betriebe mit

60% 2012 2005

53%

2012

48%

200 bis 499 Beschäftigten und 78 Prozent der Betriebe mit 500 und mehr Beschäftigten sind in Westdeutschland an einen Branchentarifvertrag gebunden, 51 resp. 49 Prozent in Ostdeutschland. Eine unverändert hohe Verbands- und Tarifbindung der Betriebe und der Beschäftigten weist der öffentliche Dienst aus, der allerdings mit den Privatisierungen deutlich geschrumpft ist. Hier sind seit einem Jahrzehnt über 85 Prozent ENTWICKLUNGSMUSTER_

Mitbestimmung 10/2013

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Entwicklung der Tariflandschaft

GroSSe U nter schiede beim B r anchentarif Tarifbindung nach Branchen, Prozent der Beschäftigten, 2012, nur Branchentarif Ost

West

17%

Landwirtschaft

51%

30%

Energie/Wasser/Abfall/Bergbau

24%

Verarbeitendes Gewerbe

54% 50%

Baugewerbe

14%

Großhandel

33% 41% 16%

Verkehr und Lagerhaltung

44%

10% 20%

Finanz- und Versicherungsdienstleistungen Gastgewerbe und sonstige Dienstleistungen Gesundheit und Erziehung/ Unterricht

64%

28%

Organisationen ohne ­Erwerbscharakter

31%

55%

47% 46% 29%

57%

Öffentliche Verwaltung/ Sozialversicherung

Gesamt

Quelle: IAB-Betriebspanel/WSI-Tarifhandbuch 2013

Mitbestimmung 10/2013

79%

42%

Wirtschaftliche, wissenschaftliche und freiberufliche Dienstleistungen

16

70%

42%

Einzelhandel

Information und Kommunikation

75%

85% 87%

36%

53%

der Betriebe organisiert. In der chemischen Industrie werden Organisationsgrade nach Betrieben von 90 Prozent und nach Beschäftigten von 95 Prozent berichtet. In diesen Sektoren und Branchen ist der Organisationsgrad nahezu flächendeckend. Auch bei den Finanzdienstleistungen, in der Energiewirtschaft oder im Baugewerbe ist die Tarifbindung und mit ihr der Organisationsgrad der Arbeitgeberverbände relativ stabil. Im beschäftigungsstarken Einzelhandel hingegen brach die Tarifbindung von über 50 Prozent der Betriebe auf nur noch unter 30 Prozent ein. Ausschlaggebend für diese Entwicklung war die Aufgabe der Allgemeinverbindlicherklärung Anfang des letzten Jahrzehnts, die vom Arbeitgeberverband durchgesetzt wurde. Eine Aufsplitterung der Verbände in der Branche war zunächst die Folge. Inzwischen gibt es mit dem Handelsverband Deutschland (HDE) nur noch einen Verband. Dieser will derzeit einen Mindestlohn für die Branche verhandeln, weist aber nicht den dafür erforderlichen Organisationsgrad von 50 Prozent der Beschäftigten auf – siehe Kasten. Der Verband schlägt deshalb eine Tarifgemeinschaft vor, der die Unternehmen beitreten können, die den Mindestlohn wollen, aber nicht die Verbands- und Tarifbindung. In der Holzindustrie setzte die Erosion der Verbandslandschaft bereits in den 1990er Jahren ein. In diesen Branchen sind die Arbeitgeberverbände kaum mehr stark – und teilweise auch nicht mehr willens – genug, die Flächentarifverträge zu erhalten. Daneben gibt es Arbeitgeberverbände, die zwar an Mitgliedern und Organisationskraft verlieren, die aber nach wie vor als Tarif­ akteure handlungsfähig sind. Sie schließen Tarifverträge ab und

Wachsende Interessendifferenzen zwischen Unternehmen ­entlang von Wertschöpfungsketten erschweren die Bündelung der Mitgliederinteressen im Arbeitgeberlager. erneuern mit den Gewerkschaften die Tarifstrukturen. Das Paradebeispiel ist die Metallindustrie. Dort ist der Organisationsgrad der tarifgebundenen Arbeitgeberverbände seit Anfang der 1990er Jahre stark gesunken, in Westdeutschland nach Beschäftigten von über 70 auf rund 53 Prozent und nach Betrieben sogar von knapp 50 auf nur noch rund 18 Prozent. Trotzdem gehört die Metallindustrie nach wie vor zu den tarifpolitischen Leitbranchen. In den neuen Branchen wie der IT-Industrie oder auch der Windkraftbranche hingegen haben sich bislang keine Arbeitgeberverbände herausgebildet. Sofern es Tarifverträge gibt, werden diese von einzelnen Unternehmen mit Gewerkschaften verhandelt, die dazu vertretungsstark genug sind. Eine Ausnahme ist die Zeitarbeit. Hier liegt der Organisationsgrad der Arbeitgeberverbände bei nahezu 100 Prozent. Verantwortlich dafür ist die Ausnahmeklausel des EqualPay-Grundsatzes, die als staatlicher Organisationsanreiz für die Unternehmen der Branche wirkt. Der Grundsatz sieht vor, dass

TITEL

Tarif l andschaf t Spez ial: Gesa mtme tall

Fa s t j e de r z we i t e B e t r i e b im V e r ba n d i s t ta r i f los

Dennoch Tariflohn für 8 von 10 Beschäftigten

Betriebe mit Tarifbindung Betriebe ohne Tarifbindung (OT) bei Gesamtmetall

Relation zwischen Beschäftigten: mit Tarifbindung ohne Tarifbindung (OT)

75,6 % : 24,4 %

53,2 % : 46,8 %

2005

2012

91,7 % : 8,3 % 2005

81,4 % : 18,6 % 2012

In einem Jahrzehnt hat sich die Zahl der Mitgliedsunternehmen ohne Tarifbindung (OT) im Verband mehr als verdoppelt und die Relationen verschoben. Tariflose und tarifgebundene Unternehmen halten sich im Verband fast die Waage.

Die Zahl der tarifgebundenen Beschäftigten in Gesamtmetall-Betrieben ist vergleichsweise stabil und lediglich um 10 Prozentpunkte zurückgegangen. Eine Ursache liegt darin, dass vor allem Klein- und Mittelbetriebe in die OT-Mitgliedschaft gewechselt sind bzw. den Verband verlassen haben.

Z a h l de r M i tgli e dsu n t e r n e hm e n vo n G esa mtm e ta ll

G e sa mtm e ta ll- B e t r i e b e m i t Ta r i f b i n du n g Zahl der Beschäftigten

mit Tarifbindung ohne Tarifbindung 4429

4214

4017

3897

3789

3712

3652

3604

2913

3170

2725 2304

2469

2005

1 822 000

2012

1 774 000

G e sa mtm e ta ll- B e t r i e b e o h n e Ta r i f b i n du n g

2545

Zahl der Beschäftigten

1899 1432 2005

2006

2007

2008

2009

2010

2011

2005

164 000

2012

406 000

2012

Quelle: Gesamtmetall

Mitbestimmung 10/2013

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A llg em e i n v e r b i n dli c h e r k l ä ru n g

Gewerkschaften fordern Wiederbelebung Nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes von 1949 können in Deutschland Tarifverträge vom Arbeitsministerium für allgemeinverbindlich erklärt werden. Dies bedeutet, dass die Tarifverträge nicht nur für die Mitglieder der jeweiligen Arbeitgeberverbände, sondern für alle B ­ etriebe im fachlichen und räumlichen Geltungsbereich der Tarifverträge verbindlich sind. Formale Voraussetzungen dafür sind ein Antrag mindestens einer der Tarifparteien, ein Organisationsgrad der Arbeitgeberverbände von 50 Prozent oder mehr der Beschäftigten sowie die Feststel-

lung eines öffentlichen Interesses. Zudem muss der zuständige Tarifausschuss (auf Bundes- oder Landesebene) zustimmen, der paritätisch mit Vertretern der Spitzenorganisationen der Tarifparteien besetzt ist. Dies gilt nicht für Mindestlohnfestlegungen nach dem Entsendegesetz, die allein vom Arbeitsministerium entschieden werden und bei denen nur eine unterste Lohngruppe allgemeinverbindlich wird. Wegen des anhaltenden Widerstands des Arbeitgeberdachverbandes BDA ist seit den 1990er Jahren Zahl und Geltung allgemeinver-

Tariflöhne der Leiharbeitsunternehmen die ansonsten zu zahlenden Tariflöhne der Anwenderunternehmen ersetzen können. Auf diese Weise ist es den Leiharbeitsunternehmen gelungen, mit Tariflöhnen die Löhne in vielen Anwenderbranchen zu unterschreiten.

bindlicher Tarifverträge stark geschrumpft. Inzwischen gibt es sie fast nur noch im Friseurhandwerk und im Wach- und Sicherheitsgewerbe. Wichtig für die notwendige Wiederbelebung der Allgemeinverbindlichkeit wären neben einer Senkung des bisher erforderlichen Quorums von 50 Prozent die Abschaffung der Veto-Position des BDA und die stärkere Einbindung der Branchen-Tarifparteien in die Entscheidungsfindung. Deren Bereitschaft zur Einführung der Allgemeinverbindlichkeit ist zumeist deutlich größer. ■

als hinreichender Grund für eine Mitgliedschaft, zumal sie auch von privaten Beratungsunternehmen angeboten werden. Darauf haben die deutschen Arbeitgeberverbände mit einer Dezentralisierung des Tarifsystems reagiert. Damit verfolgen sie das Ziel, die Betriebe als Ort der Festlegung von Arbeitsbedingungen zu stärken. Hier definieren Tarifverträge einen materiellen Rahmen, DOPPELSTRATEGIE_ Viel spricht dafür, dass die Bündelung der Mitgliederinteressen im Arbeitgeberlager schwieriger geworden ist. der in den Betrieben ausgestaltet werden kann. Dies ist bei der ArDafür sind zum einen wachsende Interessendifferenzen zwischen beitszeit oder in einigen Branchen auch bei Erfolgsentgelten der Fall. Unternehmen entlang von Wertschöpfungsketten verantwortlich. Auch können Tarifverträge Öffnungsklauseln für betriebliche UnSo existiert in der Automobilindustrie ein kaum mehr verborgener terschreitungen der Tarifvertragsnormen festlegen. Ein Beispiel daKonflikt zwischen Endherstellern und Zulieferern, der sogar öffent- für ist der Pforzheimer Tarifvertrag der Metall- und Elektroindustlich vom Verband der Automobilindustrie (VDA) beklagt wurde. rie aus dem Jahr 2004, der Tarifabweichungen bei Sicherung der So hieß es bereits im Jahresbericht 2006 ungewöhnlich deutlich: Beschäftigung und Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit ermöglicht. Ein anderes Beispiel sind die Korridore für Arbeitszeit- und Entgeltabweichungen, die in der Wenn Tarifverträge allgemeinverbindlich erklärt werden, bringt der Verbandsaustritt keine Vorteile, vielmehr sichert chemischen Industrie seit den 1990er Jahren vereinbart wurden. Und schließlich werden tarifliche die Mitgliedschaft Einflussmöglichkeiten. Abweichungen für bestimmte Beschäftigtengruppen getroffen. In der Metallindustrie gibt es bei„Gefragt ist die Bereitschaft aller beteiligten Parteien zum Dialog. spielsweise unternehmensbezogene Dienstleistungstarifverträge für Als Interessenvertreter der Automobilhersteller und der Zuliefer­ einfache Dienstleistungen. Aber auch vormalige Kernfunktionen unternehmen setzt sich der VDA innerhalb der Wertschöpfungsket- können davon betroffen sein, wie das Beispiel der Energiewirtschaft te für einen fairen Umgang miteinander ein.“ Zudem haben kleine zeigt. Hier sind jüngst gesonderte Tarifverträge für die Bereiche und mittlere Unternehmen in den letzten Jahrzehnten starke Kritik Personal und Controlling bei E.ON abgeschlossen worden. an den Flächentarifverträgen artikuliert. Die Serviceleistungen der Als ein deutsches Spezifikum im europäischen Vergleich haben Arbeitgeberverbände, die gerade von kleineren Unternehmen in die Arbeitgeberverbände seit Mitte der 1990er Jahre parallel dazu Anspruch genommen werden, dienen in vielen Branchen nicht mehr Mitgliedschaften „ohne Tarifbindung“ (OT) in ihren Reihen ver-

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Mitbestimmung 10/2013

TITEL

Die BDA täte gut daran, ihre Politik an den tariftreuen Unternehmen auszurichten, die interessiert sind, auf der Lohnseite nicht von Konkurrenten unterboten zu werden. ankert oder gesonderte OT-Verbände gegründet. Inzwischen gibt es OT-Verbände in den meisten Branchen. Ausnahmen sind die Energiewirtschaft oder der öffentliche Dienst. Im Einzelhandel oder in der Holzindustrie wurden die OT-Verbände bewusst und erfolgreich dazu eingesetzt, die vorhandenen Tarifstrukturen zu zerstören. In der Metallindustrie wiederum, die in den 1990er Jahren Vorreiter der OT-Bewegung war, steht im Vordergrund, Mitglieder zu halten und zu gewinnen. Daneben gibt es immer noch Branchen wie die chemische Industrie, in denen die OT-Mitgliedschaften wegen des hohen Organisationsgrades der Verbände nur eine marginale Rolle spielen. Verlässliche Zahlen liegen jedoch nur für die Metallindustrie vor: Dort sind von den insgesamt rund 23 000 Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten nach Angaben von Gesamtmetall über 13,3 Prozent in einem der OT-Verbände organisiert – und erreichen damit fast das Niveau der tarifgebundenen Verbände, die 15,1 Prozent dieser Betriebe organisiert haben. Bei den Beschäftigten allerdings ist die Differenz mit elf Prozent OT- und rund 48 Prozent „normalen“ Beschäftigten nach wie vor groß. OT-Verbände sind Sammelbecken vorwiegend kleiner Unternehmen. Beide Strategien sind zu einem guten Teil funktionale Äquivalente. Sofern es gelingt, mithilfe der Tarifdezentralisierung Unternehmen im Verband zu halten oder dafür zu gewinnen, scheinen OTVerbände entbehrlich. Die Verbände der Energiewirtschaft haben deshalb bislang keine OT-Verbände eingerichtet. Umgekehrt könnte die OT-Mitgliedschaft den Dezentralisierungsdruck lockern, weil die unzufriedenen Unternehmen gar nicht mehr in der Tarifbindung sind. Das hält viele Verbände – und darunter die der Metallindustrie – allerdings nicht davon ab, beide Strategien parallel zu verfolgen.

Wie also, so die zweite Frage, kann dort der Niedergang gestoppt werden? Aufschlüsse dazu liefert der europäische Vergleich. In Deutschland vollzieht sich derzeit eine Sonderentwicklung. In fast allen anderen Ländern sind die Organisationsgrade stabil oder waren es zumindest vor der Eurokrise und damit verbundenen Deregulierungsmaßnahmen in Ländern wie Spanien und Griechenland. Sofern dafür nicht – wie in den skandinavischen Ländern – hohe gewerkschaftliche Organisationsgrade verantwortlich zeichnen, liegt dies an der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen. Wenn Tarifverträge allgemeinverbindlich erklärt werden, bringt der Verbandsaustritt keine Vorteile; vielmehr sichert eine Mitgliedschaft die Möglichkeit, die Tarifpolitik zu beeinflussen und die Serviceleistungen der Verbände zu nutzen. Deshalb ist der anhaltende Widerstand der Verbände – genauer der Vertreter des Dachverbandes BDA im paritätischen Tarifausschuss – gegen Allgemeinverbindlicherklärungen nicht nur in vergleichender Perspektive ganz und gar untypisch, sondern auch das derzeit vielleicht größte Organisationshindernis der Arbeitgeberverbände. Dieser paradoxe Befund lässt sich nur so erklären, dass die BDA eine Politik für tarifkritische Unternehmen macht. Ob damit aber deren Bereitschaft gestärkt wird, in den Verbänden zu bleiben, darf bezweifelt werden. Die BDA täte besser daran, ihre Politik an den tariftreuen Unternehmen auszurichten, die ein Interesse daran haben, auf der Lohnseite nicht von ihren Konkurrenten unterboten zu werden. ■

PERSPEKTIVEN_ Warum konnten die Arbeitgeberverbände in einigen

Branchen dem allgemeinen Niedergang trotzen? In der chemischen Industrie fanden in den letzten Jahrzehnten in den Unternehmen ähnliche Restrukturierungen, Aus- und Verlagerungen oder Finanzmarktorientierungen statt wie in der Metallindustrie; trotzdem haben hier die Arbeitgeberverbände einen hohen Organisationsgrad erhalten können. Zwar ist die Unternehmensstruktur der Branche großbetrieblicher geprägt, doch erklärt dies nicht, warum die Kleinbetriebe in den Verbänden geblieben sind. Der zentrale Unterschied dürfte die kollektive Orientierung an der Sozialpartnerschaft sein, zu der die Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband gehört. Offensichtlich ist es den Verbänden der Chemiebranche gelungen, bei ihren Mitgliedern diese Orientierung aufrechtzuerhalten. Kollektive Orientierungen sind jedoch nicht beliebig kopierbar und konstruierbar. Zudem haben sich in den anderen Branchen die Strategien der Dezentralisierung und der OT-Verbände bislang nicht als tauglich erwiesen, die Verbandsmitgliedschaft zu stabilisieren.

m e h r i n f o r m at i o n e n Martin Behrens: DAS PARADOX DER ARBEITGEBERVERBÄNDE. Von der Schwierigkeit, durchsetzungsstarke Unternehmens­ interessen kollektiv zu vertreten. Berlin 2011 Peter Ellguth/Susanne Kohaut: TARIFBINDUNG UND BETRIEB­ LICHE INTERESSENVERTRETUNG. Aktuelle Ergebnisse aus dem

IAB-Betriebspanel 2012. In: WSI-Mitteilungen 4/2013 Walther Müller-Jentsch: ARBEITGEBERVERBÄNDE UND SOZIALPARTNERSCHAFT IN DER CHEMISCHEN INDUSTRIE.

In: Wolfgang Schroeder/Bernhard Weßels (Hrsg.): Handbuch Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände in Deutschland. Wiesbaden 2010 Jelle Visser: WAGE BARGAINING INSTITUTIONS – FROM CRISIS TO CRISIS. European Commission; Economic Papers 488. Brüssel 2012

Mitbestimmung 10/2013

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Neue Gesichter – neue Profile? An der Spitze der wichtigsten Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände hat in den vergangenen Monaten ein Generationswechsel stattgefunden. Und im Herbst wird BDA-Chef Dieter Hundt von der politischen Bühne abtreten. Was versprechen die neuen Gesichter?

GENERATIONSWECHSEL

Von Stefan Schey t t, Journalist in Rottenburg am Neckar

Mittelständler mit Leib und Seele

Foto: Jens Schlueter/ddp images

Rainer Dulger, Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall

Er sei in erster Linie Ehemann und Vater, dann Unternehmer und erst an dritter Stelle Verbandsfunktionär, hat Rainer Dulger einmal gesagt, der seit einem Jahr Chef des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall ist. Was nicht heißt, dass der 49-Jährige sein Präsidentenamt nur halbherzig ausfüllt, im Gegenteil: Beobachter attestieren dem obersten Vertreter der mächtigen Branche der Metall- und Elektroindustrie (23 000 Betriebe, 3,7 Millionen Beschäftigte, über 1000 Milliarden Euro Umsatz), durchaus mit

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Mitbestimmung 10/2013

Lust im Rampenlicht zu stehen. Das nutzt der Zwei-Meter-Mann und Besitzer eines Jagd- und eines Helikopterscheins denn auch gerne für markige Worte: Die Grünen betrieben eine Politik der De-industrialisierung, vergleichbar dem Morgenthau-Plan der Amerikaner 1944 zur Umwandlung Deutschlands in ein Agrarland, hat Dulger unlängst gesagt; Aussagen des Wirtschaftsweisen Peter Bofinger über die Notwendigkeit kräftiger Lohnsteigerungen kanzelt er als „kompletten Unsinn“ ab; und die Kritik der IG Metall an Leiharbeit und Werkverträgen wertet er als „reine Wahlkampfhilfe“. Solche Aussagen lassen den Gesamtmetall-Chef als typischen Mittelständler erscheinen, dem die relativ hohen Durchschnittslöhne der Metaller Ausweis genug dafür sind, dass – bis auf die Praxis weniger „schwarzer Schafe“ – alles bestens bestellt ist in seiner Branche. Die Wochenzeitung „Die Zeit“ berichtete zu seinem Amtsantritt, in Dulgers Heidelberger Unternehmen für Dosierpumpen (rund 300 Millionen Euro Umsatz, weltweit 2300 Mitarbeiter) sei nach Aussagen aus dem Umfeld ein Firmenteil abgespalten worden, um mehr Mitbestimmung zu vermeiden. „Er hat zwar einen Betriebsrat“, sagt ein Gewerkschafter, „aber wie viele Mittelständler will er sich so wenig wie möglich dreinreden lassen.“ Offiziell bezeichne er die Mitbestimmung zwar als sinnvoll, „aber die Praxis ist eben oft eine andere Geschichte“. Insofern verkörpert der Maschinenbauingenieur mit Doktortitel ein Stück Kontinuität in der Auseinandersetzung mit den Arbeitnehmern und ihren Vertretern – aber eben auch darin, am Verhandlungstisch ohne Allüren nach Lösungen zu suchen. Über die IG Metall, mit der Dulger als Vorsitzender von Südwestmetall im Pilotbezirk Baden-Württemberg schon manchen Knoten gelöst hat, redet er respektvoll: Er schätze die „sehr professionelle und vernünftige Atmosphäre“, für die nicht zuletzt IG-Metall-Chef Berthold Huber verantwortlich sei.

TITEL

Souverän unter Männern Die Idee liegt nahe, dass diese Frau über reichlich Ellbogen und Ehrgeiz verfügen muss: Als Vorstandsmitglied der Deutschen Bahn war Margret Suckale lange Zeit die einzige Frau unter rund 550 Vorständen in den größten deutschen Unternehmen; 2009 dann stieg sie als erste Frau in der Geschichte des Chemie-Giganten BASF in den Vorstand auf; und jetzt, im Juni, wurde Margret Suckale an die Spitze des Bundesarbeitgeberverbands Chemie (BAVC) gewählt – wiederum als erste Frau. Sie ist jetzt eine mächtige Chemie-Lobbyistin, die die Interessen von rund 1900 Unternehmen mit 550 000 Beschäftigten vertritt, aber Menschen, die sie aus der Nähe kennen, beschreiben sie als sympathisch, offen, gewinnend – als eine, die sich angenehm abhebe vom Gehabe mancher Manager in der Männerwelt der Chemie. „Wo Männer sofort Heckenschützen vermuten, spaziert sie manchmal einfach weiter, als habe sie nichts bemerkt, und dann erledigen sich die Dinge von selbst“, sagt ein Beobachter anerkennend über die BASF-Arbeitsdirektorin. In ihrer Antrittsrede lobte die 57-jährige Juristin die Sozialpartnerschaft mit den Arbeitnehmern als den „schützenswerten Wettbewerbsvorteil“ einer Branche, in der der letzte Streik mehr als 40 Jahre zurückliegt, und sie warb für eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit: „Wir dürfen es nicht zulassen, dass wir durch Spartengewerkschaften ‚englische Verhältnisse‘ bekommen.“ Damit erinnerte sie auch an den Tarifkonflikt 2007 mit der Lokführergewerkschaft GDL, bei dem sie als Personalvorstand der Deutschen Bahn bundesweit Schlagzeilen machte. Gewerkschafter halten ihr Bekenntnis zur Sozial­ partnerschaft für keine Floskel: „Sie hat ein Grundverständnis für den Interessenausgleich und sieht in uns Partner, um Konflikte zu lösen.“ Entsprechend hoch sind die Erwartungen der Arbeitnehmervertreter an die Neue: Sie soll, so die Hoffnung, den „kreativen Kurs“ fortsetzen, den BAVC und IG BCE in der Vergangenheit pflegten, etwa durch den ersten umfassenden Demografie-Tarifvertrag in Deutschland oder, während der Krise 2010, durch eine Vereinbarung zur Übernahme von Auszubildenden, aber auch durch den sogenannten Wittenberg-Prozess, bei dem sich die Chemie-Sozialpartner 2008 auf einen Ethik-Kodex für die Branche verständigten, oder durch den einmaligen Dreierbund „Chemie hoch 3“ zwischen Arbeit­ gebern, Gewerkschaft und dem Wirtschaftsverband VCI.

Foto: BAVC

Margret Suck ale, Präsidentin des Bundesarbeitgeberverbands Chemie (BAVC)

Margret Suckales Geschick ist freilich nicht nur im Verhältnis zu den Gewerkschaften gefordert. Als Vorstandsmitglied des weltgrößten Chemiekonzerns BASF, der nun schon zum zweiten Mal in Folge den Präsidenten im BAVC stellt, muss sie auch verbandsintern für Balance sorgen zwischen den mächtigen und den weniger mächtigen Mitgliedsunternehmen. Es geht – auch da – um Interessenausgleich.

Mitbestimmung 10/2013

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Der Unprätentiöse

Foto: Fabrizio Bensch/Reuters

Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI)

Er wolle eher hinter den Kulissen agieren und kein Stammgast in Talkshows werden, hat Ulrich Grillo gesagt, bevor er Anfang 2013 neuer Präsident des BDI wurde. Das hat ihm die Kritik des Talkshow-erfahrenen Hans-Olaf Henkel eingebracht, der selbst einmal BDI-Boss war: Die Chefs großer Unternehmen und Verbände dürften nicht vor klaren Worten in der Öffentlichkeit kneifen, „die Vertreter der Gewerkschaften und Umweltverbände tun das doch auch nicht“, mahnte Henkel. Inzwischen ist Ulrich Grillo in den Medien sehr präsent, und das vor allem mit dem Thema Energiewende, deren Umsetzung er als „Elend“ bezeichnet. Wenn die Energiepreise wegen wachsender Steuern

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Mitbestimmung 10/2013

und Abgaben weiter stiegen, warnt Grillo, wären langfristig viele Hunderttausend Jobs in Gefahr, vor allem die energieintensive Industrie könnte abwandern. In einer seltenen Allianz mit den Gewerkschaften hat der neue Verbandschef bald nach seinem Amtsantritt im Schulterschluss mit IG-BCE-Chef Michael Vassiliadis die Politik aufgefordert, das umstrittene Fracking zur Schiefergasförderung nicht zu blockieren. Ein zweites großes Thema, für das er ebenfalls die Unterstützung der Industriegewerkschaften haben dürfte, ist die Rohstoffpolitik. Ulrich Grillo hat sich als Gründer der BDI-Rohstoffallianz einen Namen gemacht; darin sind ein gutes Dutzend großer Industrieunternehmen von BASF über ThyssenKrupp und Evonik bis zu VW und Südzucker zusammengeschlossen, um die Versorgung mit wichtigen Rohstoffen zu sichern. Der 54-jährige Grillo entstammt einer alten Gründerfamilie im Ruhrgebiet und führt in Duisburg als Vorstandsvorsitzender die Grillo-Werke AG (1600 Mitabeiter, 600 Millionen Euro Umsatz in den Bereichen Zinkverarbeitung und Schwefelchemie). Damit repräsentiert er die BDI-Mitgliedsunternehmen, die überwiegend Mittelständler und in Familienhand sind. Beobachter erwarten deshalb, dass der gelernte Bankkaufmann und Betriebswirt die Interessen des Mittelstands besonders stark vertreten wird, auch wenn seine Funktion oft als Stimme der Großkonzerne wahrgenommen wird. Tatsächlich muss der parteilose Grillo auch stark nach innen wirken und die oft gegensätzlichen Interessen von 38 Mitgliedsverbänden mit mehr als 100 000 Unternehmen moderieren – gerade bei seinem großen Thema, der Energiewende, unter der metallverarbeitende Betriebe wie jener von Grillo stöhnen, während andere davon stark profitieren. Die dafür nötige „Parkettsicherheit“ wird ihm allseits bescheinigt. Der schlanke und hochgewachsene Mann – Markenzeichen weißes Einstecktuch, Manschettenknöpfe mit der Grille, perfekte Frisur – gilt als pragmatisch, geradeheraus und sehr unkompliziert im Umgang und hebt sich damit deutlich von seinem Vorgänger Hans-Peter Keitel ab, den viele als kühl erlebten. Die Reporterin eines Wirtschaftsmagazins schrieb erstaunt: „So unprätentiös haben wir selten einen Firmenchef erlebt. Mails beantwortet er schnell, persönlich, direkt. Am Telefon lässt er sich nicht verbinden, ‚das kostet doch alles nur Zeit‘.“

TITEL

Einflussreich und reich Auf den ersten Blick erscheint Eric Schweitzer als einer, der frischen Wind und neue Ideen verheißt. Bevor der heute 48-Jährige im März dieses Jahres zum Präsidenten des DIHK gewählt wurde und damit zu einem der mächtigsten Wirtschaftslobbyisten Deutschlands aufstieg, beschrieb ihn ein befreundeter Unternehmer im Berliner „Tagesspiegel“ als einen „unkonventionellen“ Mann „mit lausbubenhafter Harry-Potter-Nickelbrille“, der in der „Vorstellungswelt der ergrauten Herren im Nadelstreif in der altehrwürdigen IHK zu Berlin viel alten Kammerstaub“ aufwirble; Schweitzer habe „Freude daran, Vorurteile und scheinbar in Stein gemeißelte Grenzen zu überwinden“. Als Beispiel nennt der Freund eine politische Initiative Schweitzers „mit den nicht wirklich geborenen Partnern Mieterverein und Bund für Umwelt und Naturschutz“, und gemeinsam mit dem DGB habe Schweitzer die Reindustrialisierung Berlins forciert. Eric Schweitzer selbst erzählte in einem Interview mit der „taz“ genüsslich von seinem Besuch eines Grünen-Parteitags: Anders als Leute, „die sich einen IHK-Präsidenten mit Zylinder und Zigarre vorstellen, quasi die Inkarnation des Unternehmers“, wolle er die Grünen nicht ins alte Bild der Müsli-Esser pressen, beim Parteitag habe man „eine ganze Menge Schnittmengen“ gefunden, zum Beispiel die Green Economy. Der Berliner Eric Schweitzer gilt als extrem ehrgeizig. Das Studium der Betriebswirtschaft schloss er mit 22 ab, mit 24 promovierte er, mit 38 wurde er Präsident der IHK Berlin. Mit seinem Bruder baute er die Firma seines Vaters zu einem Weltkonzern auf: Die Alba Group (bekannt als Sponsor des Basketballclubs Alba Berlin) gehört mit weltweit rund 200 Tochter- und Beteiligungsunternehmen, knapp 9000 Mitarbeitern und einem Umsatz von rund 2,9 Milliarden Euro zu den zehn größten Entsorgungs- und Recyclingunternehmen der Welt; der Sitz der Alba Group Europe ist London. Das „manager magazin“ schätzt Schweitzers Vermögen auf gut eine Milliarde Euro, und mit seiner Wahl zum Präsidenten des DIHK (der jüngste jemals) als Nachfolger von Hans Heinrich Driftmann gehört er auch zu den einflussreichsten Wirtschaftsführern mit direktem Draht zur Bundeskanzlerin, in deren Rat für nachhaltige Entwicklung er sitzt. Als Sprecher von 3,6 Millionen Unternehmen in 80 IHKs – und das ist der zweite Blick – vertritt Schweitzer allerdings Positionen, die erwartbar und keineswegs so unkonventionell sind, wie sein Image glauben macht. Eine Frauenquote in der Arbeitswelt? Falsch, weil

Foto: Steffens/ddp images

Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK)

dirigistisch. Eine Obergrenze für Managergehälter? Schädlich, weil dann die „guten Leute Deutschland verlassen“. Mindestlöhne? Gefährden Jobs für Geringqualifizierte. Vermögenssteuer oder höhere Erbschaftsteuer? „Ein Fluch für Familienunternehmen“ und arbeitsplatzvernichtend. Wachsendes Gefälle der Einkommen? „Das gibt die Statistik nicht her“, die Einkommen seien hierzulande gerechter verteilt als im OECD-Durchschnitt. So verwundert auch nicht, dass Gewerkschafter Eric Schweitzer kritisieren. Für „bedenklich, ja besorgniserregend“ hält ver.diChef Frank Bsirske, dass Alba Tarifverträge durch Tarifflucht oder durch den Einsatz von Leiharbeitern einer eigenen Firma umgehe und in etlichen Unternehmen der Alba-Gruppe untertariflich bezahle: „Wenn jemand, der die Wirtschaft der Bundesrepublik vertritt, Tarifflucht und tariffreie Räume duldet, schwächt er den Kern der Sozialen Marktwirtschaft in diesem Land.“ ■

Mitbestimmung 10/2013

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Was kostet die Mitgliedschaft im Arbeitgeberverband? Arbeitgeberverbände und Unternehmen reden ungern über Mitgliedsbeiträge. Gerade die Top-Zahler schweigen. Gerechnet wird nach Zimmern, Lohnsumme oder Hektolitern Bier.

FINANZIERUNG

Von MARTIN BEHRENS, Leiter des Referates Europäische Arbeitsbeziehungen am WSI in der Hans-Böckler-Stiftung

A

rbeitgeberverbände gelten als Vereinigungen von besonders ressourcenstarken Mitgliedern. Tatsächlich existieren in Deutschland rund 700 Arbeitgeberverbände, deren finanzielle Ausstattung sehr unterschiedlich ist. Doch die finanzielle Potenz vieler Arbeitgeber macht es für die Verbände nicht einfacher, Mitgliedsbeiträge einzuziehen. Im Gegenteil, die Verbandsmitglieder haben Kosten und Nutzen der Mitgliedschaft fest im Blick und achten teils eifersüchtig darauf, dass die jeweiligen Verbandskollegen nicht besser davonkommen als man selbst. Der Grund hierfür liegt auf der Hand, schließlich handelt es sich bei diesen Mitgliedern – anders als bei den meisten anderen Verbänden – zumeist um konkurrierende Unternehmen, die nicht allein auf Produkt- sondern auch auf Arbeitsmärkten miteinander im Wettbewerb stehen. Finanzielle Mittel für die Verbandsarbeit mobilisieren zu können erweist sich daher allzu oft als heikler Balanceakt. Wenn sich Beitragserhöhungen nicht mehr vermeiden

400 Illustrationen: Rina Roki/SIGNUM communication

Euro/Jahr

24

Kino, Bielefeld, 200 Besucher am Tag, für die Mitgliedschaft im HDF Kino e. V.

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1072

Euro/Jahr

Hotel, Berlin, 30 Zimmer. für die Mitgliedschaft im Hotelverband Deutschland (IHA) e. V.

lassen, folgen mit Sicherheit unangenehme Diskussionen zu den Themen Wirtschaftlichkeit, Notwendigkeit und Angemessenheit. Mancher Kleinverband kann sich nicht einmal eine eigene Geschäftsstelle leisten, während Schwergewichte wie Gesamtmetall keine Probleme damit haben, die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) mit einer Anschubfinanzierung von 100 Millionen Euro für die ersten zehn Jahre auszustatten. Mit der INSM versuchen die Arbeitgeber, Themen wie Fachkräftemangel, Strompreisanstieg und Steuerpolitik zu kommunizieren und in ihrem Sinne die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Ausgespart bleibt hingegen die Tarifpolitik, ein Thema, das sich die Verbände offensichtlich selbst zur Bearbeitung vorbehalten. Ein Grund für den ungleich verteilten Reichtum ist in der Verbandsgeschichte zu suchen: Einige Verbände konnten in fetten Jahren Mitgliedsbeiträge beispielsweise in Immobilien investieren. Auch mag eine Rolle gespielt haben, dass für die

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Unterstützung von Streiks und Aussperrun­gen vorgesehene Mittel kaum mehr im ursprünglich vorgesehenen Umfang benötigt werden. Denn seit 1990 kommen Aussperrungen fast nicht mehr vor. Die überwiegende Mehrzahl der Verbände muss jedoch immer wieder aufs Neue die finanziellen Ressourcen ihrer Mitglieder mobilisieren. Die Beitragsordnungen der Arbeitgeberverbände enthalten teilweise recht komplexe Regeln. So gibt es Bemessungsgrundlagen, Hebesätze, Mindest- und Höchstbeiträge ebenso wie Aufnahmegebühren. Wie die Auswertung von insgesamt 57 Beitragsordnungen von Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden ergab, machen die meisten Arbeitgeberverbände ihre Beiträge von der Beschäftigung der jeweiligen Mitgliedsunternehmen abhängig. Insgesamt 42 Prozent der untersuchten Verbände richten sich nach der Anzahl der Arbeitnehmer im Betrieb oder der Bruttolohn- und -Gehaltssumme. Zu entrichten sind, je nach Verband, zwischen 0,5 und fünf Promille der Bruttolohn- und -Gehaltssumme. Weitere 20 Prozent der Verbände richten die Beiträge nach dem Umsatz und leben damit recht gefährlich, denn der Umsatz ist stärkeren konjunkturellen Schwankungen ausgesetzt als die Beschäftigung. Andere wiederum wenden Kennziffern für die Produktionsleistung oder Kapazität an: die Zimmerzahl bei Hotels, den Bierausstoß in Hektolitern bei Brauereien, die Zahl der Leinwände bei Kinos. Wie sehr die Beteiligten darauf achten, nicht übervorteilt zu werden, wird schon am Procedere der Beitragserhebung deutlich: So lassen sich einige Verbände von ihren Mitgliedern die Erlaubnis erteilen, die zur Berechnung des Beitrages notwendigen Auskünfte zur Lohnsumme direkt bei den Berufsgenossenschaften einzuholen. So wird die Beitragsehrlichkeit durch externe Dritte abgesichert. Andere Verbände erreichen dieses Ziel durch die Androhung von Strafen: Wird beim Beitrag geschummelt, so eine Beitragsordnung aus der Bauwirtschaft, wird ein Strafzuschlag von 50 Prozent der zu zahlenkomplexe bemessungsgrundlagen_

AG: Keine Auskunft! Anfragen an mehrere DAX-30-Unternehmen und Arbeitgeberverände, die diese Unternehmen ­organisieren, blieben unbeantwortet. Auskünfte, auch anonymisiert, wurden strikt verweigert.

den Summe fällig. Während also die Beitragsstaffelung und die Regelungen zur Datenbeschaffung dafür Sorge tragen, dass sich die Mitglieder nicht ungerecht behandelt fühlen, dienen weitere Regeln dazu, den Bestand des Verbandes selbst zu sichern. So verfügt ein knappes Drittel der Verbände über Regelungen zum Höchstbeitrag, wonach entweder ein maximaler Mitgliedsbeitrag festgelegt wird oder aber ab einem Schwellenwert Beitragsrabatte gewährt werden. Höchstbeiträge dienen zum einen dazu, größere Unternehmen nicht zu verprellen und ihnen einen finanziellen Anreiz zur Mitgliedschaft zu bieten. Mehr noch dienen Höchstbeiträge aber auch dem Selbstschutz der Verbände: So sieht beispielsweise die Beitragsordnung eines Industrieverbandes vor, dass kein Mitgliedsunternehmen mehr als 15 Prozent des gesamten Beitragsaufkommens schultern darf. Die Logik ist klar: Bei einer derart großen Bedeutung einzelner Mitglieder macht sich der Verband abhängig, im schlimmsten Fall sogar erpressbar. Wie schwer allein schon die Abhängigkeit wiegt, wird am Beispiel der Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels (BAG) deutlich, der letztlich die Insolvenz seines größten Mitgliedsunternehmens, Karstadt, nicht lange überlebte. Kurzum: Zu wenig Geld schmälert die Wirksamkeit und Sichtbarkeit von Arbeitgeberverbänden, zu viel Geld von einzelnen Mitgliedern hingegen gefährdet ihre Unabhängigkeit und Stabilität. ■ Gedeckelte Beiträge machen unabhängig_

16.406 Euro/Jahr

Zeitungsverlag, München, Umsatz aus Anzeigen und Vertrieb 40 Millionen Euro/Jahr, für die Mitgliedschaft im Verband der Zeitschriftenverleger in Bayern e. V.

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Zwischen Betrieb und Fläche Die Tarifvertragsparteien der Branche haben sich verpflichtet, in der Tarifrunde 2014 strategische Zukunftsfragen zu verhandeln. Kann damit der Rückgang der tarifge­ bundenen Unternehmen gestoppt werden? METALL- UND ELEKTROINDUSTRIE

Von STEFAN SCHAUMBURG, Leiter des Funktionsbereichs ­ arifpolitik beim Vorstand der IG Metall T

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ie Zahl der tarifgebundenen Unternehmen geht kontinuierlich zurück. Verstärkt sieht sich die IG Metall mit den Herausforderungen des Häuserkampfes konfrontiert. Doch dürfen selbst organisationspolitische Erfolge in einzelnen Betrieben nicht darüber hinwegtäuschen, dass die abnehmende Bindungsbereitschaft von Unternehmen unser politisches System und die Gestaltung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Ganzen berührt und die Arbeitsbeziehungen verändert. Für Arbeitgeber hat die Beachtung politischer und gesamtwirtschaftlicher Faktoren nur eine Funktion, solange dies der Entwicklung der einzelnen Unternehmen nützt. Die Arbeitgeberverbände als tarifschließende Parteien der Flächentarifverträge stehen vor diesem Hintergrund mit ihrer Politik und Programmatik im Spannungsfeld zwischen Flächentarifvertrag und Betriebsinteressen. Dass sie in diesem Spannungsfeld ihre Position mitunter auch im Konflikt mit den Gewerkschaften suchen und stets neu definieren, zeigen ein Blick in die Geschichte von Gesamtmetall, nachzulesen in der Langfassung dieses Beitrags im Internet, wie auch die aktuellen tarifpolitischen Herausforderungen in und nach der Krise. Strategie, praktisches Handeln und auch das Selbstverständnis der Verbände der Metall- und Elektroindustrie haben sich stets gewandelt. Dieser Wandel wird

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Tarifrunde 2013 (Demo in Nürnberg):

Bessere Löhne und Arbeitsbedingungen mit Tarifvertrag

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beeinflusst durch die jeweilige ökonomische Situation, aber auch durch das jeweilige politische Kräfteverhältnis und Entscheidungen der Bundesregierung über Rahmenbedingungen für das Handeln der Tarifvertragsparteien. Vor diesem Hintergrund kann die Strategiebildung der Verbände der Metall- und Elektroindustrie nicht als abgeschlossen gelten. Insbesondere die ökonomischen Herausforderungen in Europa erfordern neue Antworten. Die IG Metall hat schon 1998 den ersten Versuch unternommen, die Lohnpolitik in Europa zu koordinieren – die Erfolge blieben bescheiden. Leitbild der Koordination ist die Orientierung an einer produktivitätsorientierten Lohnpolitik. Sie beruht auf der Annahme, dass Länder mit einer geringeren Produktivität eine Konvergenzstrategie einschlagen können, ohne dass es zu Wettbewerbsverzerrungen kommt. Diese Lohnkoordinierung hatte, soweit es um die tariflichen Entgelte geht, durchaus Teilerfolge, ökonomisch konnten die geplanten Ziele jedoch nicht erreicht werden, da die Staaten Europas keine Konvergenzstrategie verfolgten. In den südeuropäischen Staaten begründeten sich höhere Lohnsteigerungen nicht durch den stärkeren Anstieg der Produktivität, sondern durch höhere Preissteigerungsraten. In Deutschland wurde eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik durch den politisch geförderten Aufbau eines Niedriglohnsektors unterlaufen. Schwierigkeiten der tarifpolitischen Koordination haben auch verbandspolitische Ursachen. Sie liegen einerseits in unterschiedlichen Gewerkschaftstraditionen, andererseits aber auch darin, dass die Arbeitgeberverbände auf der europäischen Ebene bisher keine Notwendigkeit sahen, zu einer Koordinierung beizutragen. Mit der Initiative der EU-Kommission, die Koordinierung der Lohnpolitik an sich zu reißen, ändert sich diese Sichtweise aber auch bei Gesamtmetall. Wie die IG Metall, so weist auch Gesamtmetall Eingriffe in die Tarifautonomie durch die Europäische Kommission zurück: „Wir lehnen eine Einmischung der EU in nationale Lohnfindungsprozesse bzw. Tarifverhandlungen ganz entschieden ab“, heißt es in einem gemeinsamen Brief von Gesamtmetall und IG Metall an Kanzleramtsminister Pofalla vom Februar dieses Jahres. Der Weg jedoch, den die Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie in Europa gehen, ist keinesfalls klar vorgezeichnet. Die Richtung wird davon abhängen, welche Rahmenbedingungen die Politik auf der europäischen Ebene vorgibt. Notwendig ist ein Masterplan für die Weiterentwicklung der Arbeitsbeziehungen in Europa, mit dem das System autonom ausgehandelter Flächentarifverträge gestärkt wird und somit auch Ländern, in denen diese Tradition bisher nicht entwickelt ist, Anreize zum Abschluss von Flächentarifverträgen gibt. Foto: Werner Bachmeier

NEIN ZUR EU-EINMISCHUNG IN DIE LOHNFINDUNG_

Der Stellenwert der Tarifbindung, die seit Jahren leicht rückläufig ist, ist für die Beschäftigten nach wie vor eindeutig. So hat das Statistische Bundesamt erst kürzlich wieder festgestellt, dass „Arbeitnehmer mit Tarifvertrag in der TARIFPOLITISCHES STRATEGIEDEFIZIT_

Industrie einen besonders großen Lohnvorsprung gegenüber Arbeitnehmern ohne Tarifvertrag haben“ – wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) Anfang August berichtete. Neben der notwendigen Debatte auf europäischer Ebene und einer Europäisierung der Tarifpolitik ist auch in Deutschland ein Strategiedefizit festzustellen, das dringend bearbeitet werden muss. Dabei sind folgende Fragen zu klären: Wie kann die fortschreitende Ausdifferenzierung in den Branchen und Regionen weiterhin im Flächentarifvertrag abgebildet werden? Und wie kann die identitätsstiftende Wirkung von Auseinandersetzungen um Haus-, Anerkennungs- oder Firmentarifverträge auf den Flächentarifvertrag übertragen werden? Die IG Metall stellt fest, dass sie gerade dort, wo keine Tarifbindung besteht, Mitglieder gewinnen kann, um mit ihnen gemeinsam diese Tarifbindung in Form von Haus-, Anerkennungs- oder Firmentarifverträgen sicherzustellen. Dies gilt auch für Handwerksbereiche. Dort, wo der Tarifvertrag einzelbetrieblich erkämpft werden muss, steigen die Organisationsgrade deutlich höher als in Betrieben, die unter den Flächentarifvertrag fallen und in denen die Beschäftigten quasi automatisch in den Genuss von Tarifverträgen kommen. Inwieweit ist Gesamtmetall bereit, die Interessen von Unternehmen zu vertreten, die im Wertschöpfungsprozess der Metall- und Elektroindustrie immer wichtiger werden, wie Forschung und Entwicklung, Dienstleistungs- und Logistikbereich? Die Debatte dazu wird von einer Verhandlungsverpflichtung aus dem Jahr 2012 strukturiert und damit die tarifpolitische Debatte im Jahr 2014 dominieren. In dieser Verhandlungsverpflichtung haben die Tarifvertragsparteien übereinstimmend festgehalten, dass die Herausforderungen des demografischen Wandels und des absehbaren Fachkräftemangels aufgegriffen und gestaltet werden müssen, um langfristig als Branche wettbewerbsfähig zu bleiben und sichere Arbeitsplätze zu bieten. „Darüber hinaus sind aus Sicht der Tarifvertragsparteien Instrumente erforderlich, um dem fortschreitenden Strukturwandel in der Metall- und Elektroindustrie Rechnung zu tragen. Dabei stehen insbesondere die Sicherung einfacher und Förderung qualifizierter Tätigkeiten in Deutschland, die Zukunft industrienaher Dienstleistungen sowie alternsgerechte differenzierte und flexible Arbeitszeitmodelle unter der Berücksichtigung der demografischen Entwicklung im Vordergrund“, heißt es in der Verhandlungsverpflichtung. Die Tarifvertragsparteien haben ihre Spitzenorganisationen beauftragt, Gespräche über diese Aspekte zu führen und zu prüfen, ob und in welcher Form zusätzliche tarifliche Regelungen geschaffen werden können. Dieser Prozess beginnt aktuell in der IG Metall.■

m e h r i n f o r m at i o n e n Eine Langfassung dieses Tex tes finden Sie auf unserer Homepage unter: www.magazin-mitbestimmung.de

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Dann eben Häuserkampf In der Tourismusbranche herrscht Eiszeit zwischen den Sozialpartnern. Der Einzelhandel sucht sich willfährige Partner für seine Niedriglohnstrategie. Und in der Callcenter-Branche gibt es bis heute keinen Arbeitgeberverband: ver.di denkt über eine strategische Neuaufstellung nach.

DIENSTLEISTUNGsSEKTOR

Von GUNTRAM DOELFS, Journalist in Berlin

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anchmal schreiben sich beide Seiten noch einen Brief. Pro forma sozusagen, um grundsätzliche Gesprächsbereitschaft zu signalisieren. In der Sache bewegt sich jedoch seit drei Jahren zwischen ver.di und der Tarifgemeinschaft des Deutschen Reiseverbandes (DRV-T) so gut wie nichts mehr; die Fronten sind verhärtet. Seit der Arbeitgeberverband im Herbst 2010 den Entgelttarifvertrag der Tourismusbranche kündigte, ist das Klima zwischen den Sozialpartnern eisig. Volker Faßbender, Geschäftsführer der Tarifgemeinschaft, muss inzwischen angestrengt nachdenken, welche Verträge er gekündigt hat. „Ach, das ist schon so lange her“, sagt der Verhandlungsführer der Arbeitgeberseite. So wie in der Tourismusbranche kämpfen Gewerkschaften in einigen Dienstleistungsbereichen mit erheblichen Schwierigkeiten. Der rasante technologische und strukturelle Wandel sowie die Genese ganz neuer Branchen verändern die Beziehungen zum Sozialpartner. Mal redet man, wie in der Tourismusbranche, gar nicht mehr miteinander, weil man die Gewerkschaften am liebsten ganz aus den Unternehmen verdrängen würde. Mal umgeht man, wie im Einzelhandel, teilweise die DGB-Gewerkschaften und sucht mit christlichen Gewerkschaften einen willfährigen Partner für eigene Niedriglohnstrategien. Oder es fehlt, wie in der neu entstandenen Callcenter-Branche, überhaupt an einem Arbeitgeberverband, mit dem man einen Tarifvertrag abschließen könnte. Tarifpolitik im Dienstleistungssektor ist kein Zuckerschlecken.

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DISSENS ZWISCHEN DEN GROSSEN DREI IM TOURISMUS_ In den Hochglanzprospekten der Tourismusbranche ist die Welt traumhaft. Herrliche Strände und grüne Paradiese für die zahlende Kundschaft – und hoch motivierte Mitarbeiter, die dem Kunden alle Wünsche von den Lippen ablesen. Die deutsche Reisebranche zählte 2012 mit einem Umsatz von 24,4 Milliarden Euro zu den größten Branchen der deutschen Wirtschaft überhaupt. Nur bei den knapp 65 000 Beschäftigten in den Reisebüros und bei den Reiseveranstaltern sieht die Welt längst nicht mehr so rosig aus. Viele Beschäftigte kämpfen dort mit Lohneinbußen und Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen. „Die Unternehmen betreiben aktive Tarifflucht. Sie organisieren durch Umstrukturierung und Neugründung von Gesellschaften die Beschäftigten aus der Tarifbindung heraus“, sagt Ute Kittel, Bundesfachgruppenleiterin Tourismus bei ver.di. Auch viele Unternehmen der Tarifgemeinschaft, die rund 100 Mitglieder zählt, würden dazu gehören. Bei Kündigung des Entgelttarifvertrages 2010 waren laut Kittel nur noch 15 000 Beschäftigte tarifgebunden, mit fallender Tendenz. Der Zusicherung der Arbeitgeberseite, man sei weiterhin an einem Flächentarifvertrag interessiert, traut die Gewerkschaftsseite daher nicht. „Unsere Gegenseite löst sich langsam auf“, urteilt Gabriele Landen, Betriebsratsvorsitzende bei DER Touristik. Trotz der hohen Zahl an Mitgliedsunternehmen im Arbeitgeberverband bestimmen de facto die drei Branchenriesen TUI, Thomas Cook und die zur Rewe-Gruppe gehörende DER Touristik

Fotos: Geisser/imago (o.), Jens Koehler/ddp images

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Regalauffüller im ­Superm ark t, c allcenter-mitarbeiterinnen: Branchen, in denen Tarifpolitik kein Zuckerschlecken ist

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mit einem Marktanteil von zusammen 44,5 Prozent die Linie der Tarifgemeinschaft. Nach Einschätzung von ver.di sind sie aber untereinander zerstritten. Die großen Drei könnten sich aus Konkurrenzgründen nicht mehr einigen. Bei den Verhandlungen um einen Entgelttarifvertrag müssten die Unternehmen Details über ihre Produkte und Arbeitsabläufe offenlegen. „Das wollen sie nicht, weil die Mitbewerber mit am Tariftisch sitzen“, so Ute Kittel. In einem Punkt herrscht Einigkeit auf der Arbeitgeberseite. „Wir wollen eine andere Entgeltstruktur“, so Faßbender. Meint: das Grundgehalt absenken und gleichzeitig einen höheren Anteil einer Leistungs- oder Provisionskomponente am Einkommen der Beschäftigten im Vertrieb einführen. Die Arbeitgeber begründen die Lohnkürzungen beim Grundgehalt mit dem schwierigeren wirtschaftlichen Umfeld und dem wachsenden Preisdruck durch das Internet. Die Branche boome doch, wie man den Erfolgsmeldungen des DRV entnehmen könne, widerspricht ver.di. Laut DRV buchen immer noch 92 Prozent der Deutschen im Reisebüro. Der eigentliche Grund ist für Ute Kittel der ruinöse Preiswettbewerb, „den Mitarbeiter mit ihren Löhnen subventionieren. Die Arbeitgeber fordern 17 Prozent des Gehaltes als Leistungsvergütung. Da der Leistungsanteil aber abhängig vom reinen Ertrag ist, kann der betroffene Mitarbeiter das gar nicht direkt beeinflussen. So etwas können wir nicht zulassen.“ Schon deshalb nicht, weil die Mitarbeiter in den Jahren zuvor viele Zugeständnisse gemacht hätten. Weitere Verschlechterungen kämen nicht infrage. Als warnendes Beispiel gilt Thomas Cook. Dort wird mit Provisionsanteilen gearbeitet, weil der Konzern bereits sechs seiner acht Unternehmen in tariffreie Zonen überführt hat. Von 600 Mitarbeitern im Vertrieb unterliegen nur noch 70 einem Tarif, erzählt Jürgen Knickel, Vize-Betriebsratschef der Thomas Cook AG. Er beobachtet massive Einbußen beim Grundgehalt von Mitarbeitern. „Das Modell Thomas Cook führt dazu, dass die Mitarbeiter 1400 bis 1600 Euro Grundgehalt bekommen. Das ist fast 1000 Euro unter dem Tarif. Dafür müssen sie wie die Kannibalen gegenseitig über sich herfallen und sich Kunden klauen, um wieder auf ihr altes Gehalt zu kommen“, ergänzt Ute Kittel. Beim Konkurrenten DER Touristik wird neben der forcierten Ausgliederung von Unternehmensbereichen derzeit massiv der Druck auf die Betriebsräte erhöht. So kündigte der Konzern sogenannte Paragraf-3-Tarifverträge, die für die Mitbestimmung von Betriebsräten in den Regionen wichtig sind. Ziel ist es, für alle 450 Reisebüros bundesweit nur einen gemeinsamen Betriebsrat in Frankfurt/Main einzurichten und die etablierten „Betriebsratsstrukturen zu zerschlagen“, kritisiert die ver.di-Expertin. Anders ist die Situation beim Branchenprimus TUI, auch wenn dort gerade durch

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Foto: Stefan Simonsen/ddp images

UNGEWISSE ZUKUNFT DES FLÄCHENTARIFS_

tui-mitarbeiterinnen a m flughafen hannover:

Arbeitgeber ­drängen auf eine neue Entgeltstruktur.

Umstrukturierung Stellen abgebaut werden würden. Dort will man Gesellschaften wieder zusammenführen. „TUI sagt aber deutlich, dass sie in allen Gesellschaften eine Tarifbindung anstreben und die Betriebsratsstrukturen sichern wollen“, sagt Ute Kittel. Angesichts der Situation ist eine Rettung des Flächentarifvertrags fraglich. Was bleibt, ist der Häuserkampf in einzelnen Unternehmen. „Als Gewerkschaft geben wir das Tarifgeschäft nicht auf, nur weil der Arbeitgeberverband nicht bereit ist, die Fläche ohne Verschlechterung weiterzuentwickeln“, sagt Ute Kittel. Von einem Tarifvertrag können viele Beschäftigte in der Callcenter-Branche nur träumen. „Krankenkassen, Telekommunikationsunternehmen, Banken und Versicherungen – alle geben Aufträge an die Callcenter-Dienstleister und damit in eine tariffreie Zone“, schildert Ulrich Beiderwieden, der bei ver.di als Bundesfachgruppenleiter für die Branche zuständig ist. Tarifpolitisch gibt es jedoch einige Unterschiede. Viele Unternehmen betreiben eigene Callcenter, ohne diese an externe Dienstleister auszulagern. Diese sogenannten Inhouse-Callcenter haben

KEIN ARBEITGEBERVERBAND IN SICHT_

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häufig eine tarifliche Bindung in der Branche, in der das Unterneh- „Instore und Logistik Service“ (ILS) an ver.di aufgegriffen, weil die men überwiegend agiert. In diesen firmeneigenen Callcentern sind Gewerkschaft mit dem ILS keinen Mindestlohn für sogenannte Warenräumer abschließen will. Diese Mitarbeiter füllen die Regale in derzeit rund 415 000 Menschen beschäftigt. Probleme bereiten die reinen Callcenter-Dienstleister, die im Auf- den Supermärkten mit Waren. Nach Auffassung des ILS sind Watrag anderer Firmen arbeiten und gemäß Einordnung der Bundes- renräumer Teil einer neuen Branche. „Seit mehr als 25 Jahren hat agentur für Arbeit als Callcenter-Branche bezeichnet werden. In sich die Branche der Instore-Logistik als eigenständige Dienstleistung diesem Bereich arbeiten laut Bundesregierung derzeit rund 105 000 entwickelt und umfasst heute rund 100 000 Arbeitsplätze“, sagt Menschen, überwiegend ohne jede Tarifbindung. Einzige Ausnahme ILS-Verbandsvorsitzender Michael Jeurgens. In einem Papier „Hinwar bislang die Walter Services GmbH, wo es ver.di 2009 erstmals tergründe und Fakten“ beschreibt der ILS die Tätigkeit als Bestandgelang, einen Tarifvertrag abzuschließen. Leider rutschte ausgerech- teil einer „optimierten, hoch effizienten Ablauforganisation“ und net Walter dieses Jahr in die Insolvenz (siehe Mitbestimmung 9/2013). erweckt den Eindruck, die Dienstleistung sei Bestandteil einer komBislang gibt es noch nicht mal einen Arbeitgeberverband, sondern plexen Logistikkette. Andererseits rechtfertigt der Verband die mit dem Callcenter Verband (CCV) und dem Deutschen Dialog- niedrigen Löhne mit dem einfachen Charakter der Tätigkeit. „Das sind klassische Jobs im Einzelhandel. Unser Ansprechpartmarketing Verband (DDV) nur zwei Interessenverbände. „Wir reden mit beiden seit Jahren auch über die Gründung eines Arbeitgeber- ner als Arbeitgeberverband ist deshalb der Handelsverband Deutschverbandes, aber passiert ist bislang nichts“, sagt Beiderwieden. Ein land (HDE), nicht der ILS“, sagt dagegen Ulrich Dalibor, BundesGrund dafür liegt in den unterschiedlichen Positionen der beiden fachgruppenleiter Einzelhandel bei ver.di. Er verweist auf den Verbände sowie in Differenzen zwischen Unternehmen innerhalb Charakter vieler Arbeitsverträge der Warenräumer. In den Superder Verbände. Während der DDV einen Mindestlohn ablehnt, plä- märkten werden immer mehr dieser Beschäftigten mit Werkverträdieren viele Unternehmen im CCV dafür. Eine Umfrage des CCV gen beschäftigt, sind also formal selbstständig. Bei vielen dieser ergab, dass 77 Prozent der Mitglieder sich für einen gesetzlichen Verträge handelt es sich nach Auffassung von ver.di jedoch häufig Mindestlohn aussprechen, dessen Höhe im Mittel bei 8,60 Euro nur um Schein-Werkverträge, weil die Werkvertragsarbeiter nur liegen sollte. „Wir hätten gern einen gesetzlichen Mindestlohn. Nicht für ein Unternehmen arbeiten und wie reguläre Arbeiter in die Araus Sozialromantik, sondern weil wir endlich die Abwärtsspirale bei den Preisen in der Branche stoppen müsNeue Branchen verändern die Beziehungen der sen“, sagt CCV-Sprecher Jens Fuderholz. Sozialpartner. Oft fehlt es – wie in der CallcenterIm November 2011 beschloss die MitgliedervereiniBranche – an einem Arbeitgeberverband. gung des CCV, einen „Prozess zur Gründung eines Arbeitgeberverbandes zu moderieren“, sagt Fuderholz. Seitdem sind zwei Jahre vergangen – und ein Arbeitgeberverband immer beitsabläufe des Betriebes eingebunden sind. Zudem werden in der noch nicht in Sicht. „Der Prozess läuft noch, weil es rechtlich kniff- Realität selbst die vom ILS mit der christlichen Gewerkschaft DHV lige Dinge zu regeln gilt“, beschwichtigt der CCV. Bei ver.di ist die ausgehandelten Dumping-Tarifentgelte von 6,63 Euro pro Stunde Geduld mit der Arbeitgeberseite bald am Ende. „Wir hätten gern einen im Westen und 6,12 Euro im Osten häufig nicht erreicht, weil die Branchentarifvertrag, sehen aber keinen Fortschritt auf Arbeitgeber- Beschäftigten äußerst flexibel eingesetzt werden. Seit Monaten kurseite. Deshalb müssen wir wohl auf einzelne Dienstleister zugehen sieren in den Medien Berichte, wo Journalisten im Selbstversuch für und um Haustarifverträge kämpfen“, sagt Ulrich Beiderwieden. Eine reale Stundenlöhne von drei bis vier Euro Waren einräumten. Umfrage von ver.di zu Beginn des Jahres deutet an, dass die Bereitschaft Der Arbeitgeberverband versucht daher, aus den schlechten bei den Beschäftigten dafür steigt, weil viele die unhaltbaren Zustän- Schlagzeilen zu kommen, und forderte ver.di mehrfach zu Verhandde nicht länger akzeptieren wollen. Immerhin 6676 Mitarbeiter in lungen „ohne Vorbedingungen“ für einen Mindestlohn auf. ver.di 52 Callcenter-Standorten sprachen sich offen für einen tariflichen lehnt Gespräche zwar nicht grundsätzlich ab. „Wir können gern mit dem ILS über tarifliche Bedingungen sprechen, die den jeweils gelMindestlohn aus. tenden Tarifkonditionen des Einzelhandels in den Ländern entspreMINDESTLOHN FÜR WARENRÄUMER?_ Auf den ersten Blick wirkte chen“, sagt Rüdiger Wolff, Bereichsleiter Branchenpolitik bei ver.di. die Schlagzeile absurd: Da fordert ein Arbeitgeberverband einen Man könne und werde auch nicht die eigenen Flächentarifverträge Mindestlohn – und ver.di lehnt ab. So zu lesen in der „FAZ“ im mit einem Mindestlohn für diese Tätigkeiten unterbieten. „Für DumJuli 2013. Die Zeitung hatte die Kritik des Arbeitgeberverbandes pinglöhne à la DHV stehen wir nicht zur Verfügung.“ ■

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Neue Dreiecksverhältnisse Die industrienahen Dienstleistungen mausern sich zu einer ­eigenständigen Branche. Tarifpolitisch finden die Arbeitgeber und Gewerkschaften der Branche aber selten zueinander. Die Folge sind zersplitterte Tarifstandards. Auch Dumpinganbieter wittern ihre Chance. TARIFPOLITIK

Von MARKUS HELFEN, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Unternehmenskooperation an der FU Berlin

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Foto: Jens Schlu ter/da pd/dd p

n der Wirtschaft hat sich mittlerweile ein Segment unternehmensnaher, arbeitsintensiver Dienstleistungsunternehmen entwickelt. Sie heißen Facility-Dienstleister, Industriedienstleister oder Personaldienstleister, wobei Kombinationen auch bei den Kunden, die solche Dienste nachfragen, eher erwünscht als verpönt sind. Die unterschiedlichen Bezeichnungen haben häufig mit der Geschichte dieser Unternehmen zu tun, von denen viele durch die Auslagerung von Servicetätigkeiten im Baugewerbe oder im verarbeitenden Gewerbe entstanden sind. Doch es gibt etwas, das alle diese Anbieter eint: die Tatsache, dass sie für andere Unternehmen, meist Industrieunternehmen, tätig werden – und dass sie sich selbst als Dienstleistungsunternehmen verstehen. Die Vielseitigkeit ihrer Aufgaben führt jedoch zu Bilfinger Industrial Services GmbH + einem lohnpolitischen Dilemma: Wie sieht ein fairer Bilfinger Facility Services Gm Lohn aus für Dienstleister, die zugleich Werkshallen bH München + Frankfurt · ca. 23 000 Mitarbeiter reinigen, Grünflächen pflegen oder Kantinenessen in Deutschland A n g e b o t ( Au s wa h zubereiten? Wer organisiert Arbeitnehmer von Firl) : men, die sich um die Klimaanlage kümmern, den   Fertigung und Instandhal  Messtechnik tung von Industrieanlagen, Einlass zum Unternehmensgelände regeln, aber auch   Korrosionsschutz Maschinen und Apparaten   Facility-Management Produktionsanlagen montieren und warten? Damit   Rohrleitungsbau   Gebäudetechnik nicht genug: Es gibt bereits Anbieter, die Werkstücke   Gerüstbau   Wassertechnik und Bauteile bis ans Band anreichen, Wertstoffe recyceln, Kontraktarbeiter für einzelne Fertigungsschritte bereitstellen und Beschäftigte als Flexibilitätspuffer überlassen. Manche Anbieter betreiben bereits einzelne Produktionsanlagen im Auftrag ihres Kunden. erkennen, die Stammbelegschaften um ein Fünftel bis ein Drittel zu Die Firmen, die solche Dienste einkaufen, wollen so effizienter reduzieren. Das geschieht durch Leiharbeit und zunehmend durch werden. Und sie wollen sparen, indem sie billigere Anbieter einset- Ausgliederungen von Aufgaben und Fremdvergabe in Form von zen, wo sonst der Branchentarif gilt. Der Arbeitgeberverband Süd- Werkverträgen.“ westmetall erklärte in einer Pressemitteilung vor Kurzem, „dass es für unsere Firmen schlicht zu teuer wäre, wenn sie alle Schritte DIE NEUEN ARBEITGEBER_ Nimmt man jedoch die im Zuge von entlang der Wertschöpfungskette im Metalltarif erledigen müssten“. wachsender Unternehmensvernetzung entstehenden DreiecksverDie IG Metall sieht das anders: „Dahinter ist die Zielstellung zu hältnisse aus Kundenunternehmen, Dienstleistern und Beschäftigten

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WISAG-Unternehmensgruppe

rbeiter in Deutschland Frankfurt · ca. 40 000 Mita

A n g e b o t ( Au s wa h l) :

ernst, stellt sich die Frage, wie sich die neuen Dienstleistungsfirmen als Arbeitgeber verhalten. Wie stehen sie zu den tarifpolitischen Parallelwelten, die ihre Geschäftsmodelle heraufbeschwören? In welchem Maße könnten die neuen Dienstleister und ihre Organisationen mit den Gewerkschaften zusammenwirken, um den tarifpolitischen Flickenteppich zu ordnen? Blickt man auf die Vielzahl der Spezialverbände der Dienstleistungsbranche, geben die Industriedienstleister ein unübersichtliches Bild ab, verglichen mit der klassischen Tarifpolitik auf Branchen­ ebene, wo idealerweise ein Verband einer Gewerkschaft gegenübersteht. So gibt es für den Kern der Industriedienstleistungen neben dem Unternehmerverband Industrieservice (UIS) den Wirtschaftsverband für Industrieservices e.V. (WVIS), die German Facilities Management Association e.V. (GEFMA) und den Bundesindustrieverband Technische Gebäudeausrüstung e.V. Die Sicherheitsdienste sind im Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW) organisiert. Dazu kommt der Bundesinnungsverband des Gebäudereinigerhandwerks. Bei den Personaldienstleistern gibt es zwei kooperierende Verbände: den Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP) und den Interessenverband Zeitarbeit (IGZ). Etliche Betriebskantinen wiederum sind in der Fachabteilung Gemeinschaftsgastro-

Fot o: An dre as Rentz/Ge tty Ima ges

  Wartung von ­Industrieanlagen   Produktionslogistik   Industriemontagen   Standortverlagerung

e Foto: Jürgen Loesel /picture allianc

  Bodennahe Flughafendienstleistungen   Anlagenbau   Facility-Management/ Catering/Gartenpflege

Adecco Germany Holding SA & Co. KG

Dü sseldorf · ca. 41 000 Mitarbei ter in Deutschland

A n g e b o t ( Au s w a h l) :   Personalvermittlun g   On-Site-Managem ent   Betrieb von Callce ntern   Support   Produktrückrufe

  Arbeitsschutz   Umweltschutz-­ Dienstleistungen

nomie beim Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) vertreten. Mehrfachmitgliedschaften kommen genauso vor wie die fortgesetzte Mitgliedschaft in den Verbänden der Ursprungsbranche. Zum Beispiel wenn die Dienstleistungsgesellschaften der Chemieparks im Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) oder einzelne Dienstleistungssparten bei den Mitgliedsverbänden von Gesamtmetall Mitglied sind. Ein großer Teil der Dienstleistungsunternehmen freilich bleibt verbandsabstinent. WAS TARIFPOLITIK SCHWIERIG MACHT_ Diese Heterogenität wäre für sich alleine aus tarifpolitischer Perspektive nicht problematisch, wenn jeder dieser Verbände eine durchgriffsstarke und eigenständige tarifpolitische Kompetenz hätte. Und wenn sich die Geschäftsmodelle der Unternehmen nicht so stark überlappen würden. So erbringen einige Unternehmen die gesamte Palette der unternehmensbezogenen Dienstleistungen von der Gebäudereinigung bis zur Industriemontage, von der Leiharbeit bis zur Immobilienverwaltung. Andere Unternehmen bewegen sich von einer Ursprungsdienstleistung, etwa Reinigung, Personaldienstleistungen oder Sicherheit, über Zukäufe oder Werkvertragsmodelle ebenfalls in Richtung eines erweiterten Dienstleistungsspektrums. Betrachtet man die

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industrienahen Dienstleistungen als einen Wirtschaftszweig, der sich zu einer eigenen Branche entwickelt, wird klar, warum die Sozialpartner bislang erhebliche Schwierigkeiten mit ihnen haben. Manche der neu entstehenden Konzerne schließen verschiedene Tarifverträge gleich mit mehreren DGB-Gewerkschaften ab. Andere Unternehmen bleiben tariflos. Zugleich zögern die neu entstandenen Unternehmensverbände teilweise, eine tarifpolitische Funktion zu übernehmen. Der UIS, der BDSW und auch der Bundesinnungsverband des Gebäudereinigerhandwerks sind tarifschließende Verbände, der WVIS und die GEFMA hingegen verzichten darauf, ihre Mitglieder tarifpolitisch zu vertreten. Dies kann nur teilweise dadurch erklärt werden, dass sich die darin organisierten Unternehmen grundsätzlich einer Tarifbindung verweigern. Genauso gewichtig erscheint der Umstand, dass einige der größeren Mitgliedsunternehmen durch Haustarifverträge und Übergangsregelungen tarifvertraglich gebunden sind. Ausgehend von den Ursprungsbranchen der einzelnen Firmen wirken dann unterschiedliche tarifpolitische Traditionen fort, was einem gemeinsamen Verständnis als Dienstleistungsunternehmen und einem einheitlichen Tarifwerk entgegensteht. Hinzu kommt eine verbandspolitische Konkurrenz der Art, dass verschiedene Verbände unterschiedliche Regelwerke mit konkurrierenden Arbeitnehmerorganisationen unterhalten.

Aus kollektiver Sicht der neuen Dienstleistungsunternehmen wäre eine Tarifpolitik wünschenswert, die eine Dumpingkonkurrenz nachhaltig unterbindet, die Gefahr der Durchsetzung partikularer Ansprüche einzelner Arbeitnehmergruppen zugunsten einer Tarifeinheit minimiert, die allseits erhobenen Forderungen nach gesetzlicher Regelung dämpft und – nicht zuletzt – gegenüber den Kunden transparent macht, welchen Wert die erbrachten Dienstleistungen haben. Aber wie angesichts der bestehenden Unübersichtlichkeit dahin kommen? Eine gemeinsame institutionelle Arbeit in Dialog und Verhandlung mit den Gewerkschaften wäre ein Anfang. Tarifpolitische Ansätze zeichnen sich in einzelnen Fällen bereits ab. Zum Beispiel der Weg einer Mindestlohnfestsetzung über das Entsendegesetz, der in der Gebäudereinigung seit 2007 und im Sicherheitsgewerbe seit 2009 genutzt wird. In der Gebäudereinigung beträgt der Mindestlohn nach dem Entsendegesetz pro Stunde derzeit zwischen 7,56 und 11,33 Euro je nach Tarifgebiet und Tätigkeitsprofil; in der Sicherheitswirtschaft liegen die allgemeinverbindlichen Mindestlöhne je nach Tarifregion zwischen 7,50 und 8,90 Euro. In der Leiharbeit ist ebenfalls auf Grundlage des 2011 geänderten Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes seit Anfang 2012 ein Mindestlohntarifvertrag allgemeinverbindlich, der – ab Januar 2014 – eine Lohn­ untergrenze von 7,86 Euro (Ost) und 8,50 Euro (West) festlegt. TARIFPOLITISCHE PERSPEKTIVEN_

Randstad Deutschland GmbH & Co. KG Eschborn · ca. 66 000 Mitarbeiter in

Deutschland

A n g e b o t ( Au s wa h l)

Foto: pa/obs/ran dstad deutschlan d gmbh & co.

  Überlassung von Zeit­arbeitern und Spezialisten   Rekrutierung und Auswahl

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von Mitarbeitern   Abbau von Personal­überhängen   Reduktion von ­Personalkosten   Inhouse-Bewertung von Mitarbeitern   Reduzierung des ­Krankenstandes

In diesen Fällen ist der Antrag zur Allgemeinverbindlicherklärung jeweils von beiden Seiten getragen worden. Allerdings sind die Abläufe durchaus komplex und zeitaufwendig, da neben den Tarifparteien auch der Gesetzgeber und die Exekutive involviert sind. Die einzelnen Verfahren sind auch keinesfalls Selbstläufer, wie der Bereich Briefdienstleistungen besonders dramatisch aufzeigt: Hier ist bislang keine Allgemeinverbindlichkeit zustande gekommen, da sich ein Teil der Arbeitgeber widersetzte und der andere Teil keine wasserdichte Repräsentativität nachweisen konnte. Ein anderer Weg ist das Instrument des unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrages, bei dem ein Rahmentarifvertrag jeweils auf ein Unternehmen bezogen modifiziert wird. Ein Beispiel hierfür ist etwa der vom UIS mit der Tarifgemeinschaft aus IG BAU, IG BCE und IG Metall vereinbarte Rahmentarifvertrag, der dann jeweils auf einzelne Unternehmen angepasst wird. Danach liegt bei der WISAG Produktionsservice GmbH die für Beschäftigte ohne Berufsausbildung vereinbarte Mindestvergütung derzeit zwischen 9,00 und 12,26 Euro pro Stunde. Den Unterschied zum reinen Haustarifvertrag machen vor allem die zugrunde liegenden Mantel- und Rahmenvereinbarungen, die als erster Schritt einer branchenweiten Angleichung gesehen werden können. Des Weiteren gibt es das Instrument der sogenannten Dienstleistungstarifverträge, in denen die Sozialpartner der angestammten Branchen im Zusammenspiel mit den Dienstleistungsunternehmen bzw. -einheiten die Tarifbedingungen für einzelne Dienstleistungssparten modifizieren. Ein Beispiel hierfür ist der Tarifvertrag der Hochtief Solutions AG Segment Service Solutions Facility Management mit der IG BAU von 2011, in dem 8,85 bis 11,69 Euro als stundenmäßige Mindestvergütung der unteren Lohngruppen festgelegt sind. Schließlich treten auch Kombinationen dieser Instrumente auf, etwa in der komplex geregelten Arbeitnehmerüberlassung, wo neben den Mindestlohntarifvertrag und den regulären Tarifvertrag nunmehr auch sogenannte Zuschlagstarifverträge treten, mit denen die Lücke zwischen den untersten Lohngruppen der jeweiligen Branchentarifverträge der Kundenunternehmen und den Lohngruppen der Leiharbeit, nach Einsatzzeit gestaffelt, durch prozentuale Zuschläge reduziert wird. Beispielsweise erhält dann ein Leiharbeitnehmer nach neunmonatiger Einsatzzeit bei einem tarifgebundenen Metallunternehmen statt derzeit 8,19 Euro einen Stundenlohn von mindestens 12,29 Euro. Unabhängig davon, welcher dieser Wege sich auf Dauer als praktikabel und angemessen durchsetzen wird, steht wohl fest, dass die verbandlich organisierten Unternehmen der industrienahen Dienstleistungsbereiche gut beraten sind, ihren Worten und Imagekampagnen auch Taten folgen zu lassen, wenn sie aus der lohnpolitischen

Foto: ddp images

TITEL

Piepenbrock-Unternehmensgruppe GmbH & Co. KG Osnabr ück · ca. 27 000 Mitar beiter in Deutschland

A n g e b o t ( Au s wa h l) :   Facility-Management   Gebäudereinigung   Industriereinigung   Instandhaltung von ­Maschinen und Anlagen

  Kostenreduzierung durch Prozessanalysen   Maschinenumzüge   Trockeneisreinigung

Quelle: Lünend onk 2013, eigene Recherchen

Schmuddelecke kommen wollen, in die sie sich zu Unrecht gedrängt fühlen. An einem verbandlich organisierten Dialog mit den Gewerkschaften führt in diesem Zusammenhang kein Weg vorbei. ■ m e h r i n f o r m at i o n e n Der Autor leitet das Projekt Tariflosigkeit auf dem Weg zum Normalzustand? Die tarifpolitischen Folgen personalpolitischer Flexibilisierung und verbandlicher Fragmentierung, das von der Hans-Böckler-Stiftung gefördert wird. Mehr zum Projekt unter: http://bit.ly/1aEhrhE

Reinhard Bispinck/Heiner Dribbusch: TARIFKONKURRENZ DER GEWERKSCHAFTEN ZWISCHEN ÜBER- UND UNTERBIETUNG.

Zu aktuellen Veränderungen in der Tarif- und Gewerkschaftslandschaft. In: Sozialer Fortschritt, Vol. 57 (6), 2008 Markus Helfen: TARIFPOLITISCHE PARALLELWELTEN. In: Magazin Mitbestimmung 7/8, 2011 Hajo Holst: VON DER BRANCHE ZUM MARKT. Zur Regulierung überbetrieblicher Arbeitsbeziehungen nach dem organisierten ­Kapitalismus. In: Berliner Journal für Soziologie 21, 2011 Hagen Lesch/L. M. Petters: DIE KONFLIKTINTENSITÄT VON ­TARIFVERHANDLUNGEN BEI TARIFPLURALITÄT.

In: Wirtschaftsdienst 92(5), 2012

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Lohndumping im Handwerk Besonders in der Kraftfahrzeug-Branche ist die Flucht aus der Tarifbindung weit fortgeschritten. Die Lohnentwicklung im Handwerk bricht ein, seit immer mehr Innungen sich als Tarifpartner verabschieden. Wie kriegt man sie an den Verhandlungstisch zurück?

billigkonkurrenz

Fotos: Stephan Pramme

Von LUKAS GRASBERGER, Journalist in Berlin

Betriebsr at Fechner in der werkstat t des Audi-zentrums berlin-lichtenberg: Die Billigkonkurrenz rückt auf die Pelle.

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u Wolfgang Fechner in die Werkstatt kommen die in etwa gleich viel wie andere Berufstätige, so bekamen sie 2006 nur richtig schweren Fälle: Autos, die in den Gegenver- mehr drei Viertel des gesamtwirtschaftlichen Durchschnittslohns – im kehr gekracht sind, hängt der 56-Jährige mit den Osten gar nur die Hälfte. Der Verlust der Tarifbindung in weiten Teilen des Handwerks rauen Händen an eine der massiven Ketten. Dann wird gezogen, „bis das Ursprungsmaterial spannungsfrei ist“, wie hat daran maßgeblichen Anteil, glauben Fachleute wie Helmut Dittes der Chefklempner im Audi-Zentrum im Osten von Berlin erklärt. ke vom Bereich Handwerkspolitik beim DGB-Bundesvorstand. Brachiale Kräfte walten hier. Doch auch Millimeterarbeit mit Neben Dumpinglöhnen durch Pseudogewerkschaften wie der christHightech-Maschinen leisten die Mitarbeiter im Werkstattbereich lichen CGM macht Dittke vor allem Sorgen, dass Innungen ihre Karosserie: Wenn Fechner einen neuen Kotflügel einbaut, befestigt Rolle als Tarifpartner immer mehr aufgeben. er ihn mit einer Punktschweißzange, die Dicke und Beschaffenheit des bearbeiteten Materials selbststänIm Kfz-Handwerk erklärten sich gleich mehrere dig erkennt. Nähte und Löcher werden akribisch verLandesinnungsverbände für „nicht mehr zuständig“ schlossen, sodass keine Feuchtigkeit und damit Korin puncto Tarifverhandlungen. rosion eindringen kann. „Hinterhofwerkstätten haben solche Geräte gar nicht. Wenn die das machen, sitzt nach ein paar Jahren der Rost Damit kommt den DGB-Gewerkschaften zunehmend das Gegenüber drin“, sagt Fechner verächtlich. Noch könne das Audi-Zentrum mit für Tarifverhandlungen abhanden. Denn laut Gesetz können Tarifguter Arbeit bei den Kunden punkten, sagt Wolfgang Fechner, der verträge für das Handwerk nur von Innungen, Innungs- oder Fachsich seit 15 Jahren als Betriebsrat und IG-Metaller um die Belange verbänden abgeschlossen werden. Doch immer mehr Innungen der 87 Mitarbeiter kümmert. Der Standort biete einen Rundum- bieten Betrieben sogenannte OT-Mitgliedschaften (= ohne TarifbinService vom Reifenwechsel über den Neuwagenverkauf bis zum dung) an. Dabei können Unternehmen alle Vorteile einer MitgliedErsatzwagen. Und hält sich an Umwelt-, Sicherheits- und Tarifstan- schaft genießen – ohne dass der Betrieb auch die vereinbarten dards – wofür die Kunden höhere Preise zu zahlen bereit seien. Tarifverträge übernehmen muss: ein Lockangebot, um dem grassieDoch die Billigkonkurrenz rückt Fechners Betrieb auf die Pelle: renden Mitgliederschwund entgegenzuwirken. Wie ein Menetekel ragt ein schwarzer Neubau an das Audi-Zentrum heran: Bald wird hier eine Werkstattkette mit Autoteilehandel er- ABSICHTSVOLLER RECHTSBRUCH_ „Tarifverträge nicht übernehmen öffnen. Und nur ein paar Kilometer entfernt macht ihnen ein Mit- zu müssen hat die Tariflandschaft im Handwerk nachhaltig gebewerber zu schaffen, der nicht tarifgebunden ist: In dem Autohaus schwächt“, schimpft DGB-Vorstandsmitglied Dietmar Hexel. OTgebe es Arbeit auf Abruf je nach Auftragslage: „Da wird dann schon Mitgliedschaften seien ein „Rechtsbruch durch Innungen und Handmal am Samstag oder bis um 22 Uhr gearbeitet. Hauptsache, der werkskammern, der beendet werden muss“. Die Gesetzeswidrigkeit Wagen wird schnell fertig. Und wenn ein Mitarbeiter mal 14 Tage solcher OT-Mitgliedschaften untermauert ein neues Gutachten des krank ist, kann er sich danach gleich die Papiere holen“, weiß der Rechtsprofessors Winfried Kluth von der Uni Halle-Wittenberg für bestens vernetzte Betriebsrat. die Hans-Böckler-Stiftung (siehe Seite 38). Handwerkskammern und Landesregierungen müssten ihrer Überwachungspflicht nachkommen und diese rechtswidrige Praxis beenden, fordert Hexel. MASSIVER STRUKTURWANDEL_ Die Kfz-Branche steht exemplaDoch ob die juristische Keule allein wirkt, darf bezweifelt werden: risch für den massiven Strukturwandel, den das Handwerk in den letzten Jahrzehnten erlebt hat. Und sie ist ein warnendes Beispiel Denn die Mitgliedschaft von Betrieben in der Innung ist – anders als dafür, wie im Zuge dessen Tarif und Mitbestimmung unter die bei der Handwerkskammer – freiwillig. Unternehmen, die der TarifRäder kommen können. bindung ausweichen wollen, können einfach austreten. Und im Kfz1,4 Millionen Arbeitsplätze gingen zwischen 1996 und 2010 Handwerk erklärten sich Mitte des letzten Jahrzehnts gleich mehrere insgesamt im Handwerk verloren: Neue Handwerkskonzerne trie- Landesinnungsverbände einfach für „nicht mehr zuständig“ in puncto ben einerseits Konzentrationsprozesse voran. Andererseits führte Tarifverhandlungen: Wer sich mit der Gewerkschaft an einen Tisch eine Abschaffung der Meisterpflicht für etliche Gewerke wie etwa setzen wolle, könne ja in eine der neu gegründeten TarifgemeinschafFliesenleger dazu, dass die Zahl der Kleinstbetriebe explodierte, in ten eintreten. Helmut Dittke treibt diese Verweigerung die Zornesdenen scheinselbstständig oder zu Niedriglöhnen gearbeitet wird. röte ins Gesicht. Der DGB-Handwerkssekretär spricht von „ParallelÜberhaupt verlor das Handwerk seit Anfang der 80er Jahre in punc- strukturen, die ebenfalls dem Willen des Gesetzgebers widersprechen“. to Lohnentwicklung an Boden: Verdienten damals Handwerker noch Und: „Man tritt die Tarifautonomie mit den Füßen.“

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GUTACHTEN

OT-Mitgliedschaften sind gesetzeswidrig Seit ein paar Jahren bieten auch Handwerksinnungen zunehmend sogenannte „OT-Mitgliedschaften“ an, um Betriebe zum Eintritt zu bewegen. Um die Rechtmäßigkeit solcher Mitgliedschaften, bei denen Unternehmen die Vorteile einer Innung wie Fachberatung oder Weiterbildungsangebote genießen können, ohne die ausgehandelten Tariflöhne zu bezahlen, gibt es seitdem Streit: Die Innungen verweisen darauf, dass Arbeitgeber in der Industrie OT-Mitgliedschaften seit Längerem anwenden – eine Praxis, die das Bundesarbeitsgericht 2010 gebilligt hat. In Niedersachsen dagegen untersagte die zuständige Handwerkskammer Innungen eine Satzungsänderung, die OT-Mitgliedschaften erlaubt hätte. Das Verwaltungsgericht Braunschweig bestätigte die Handwerkskammer 2010 in der Auffassung, dass die Innungen keine Mitgliedschaften ohne Tarifbindung anbieten dürfen. Zum gleichen Schluss kommt jetzt auch Winfried Kluth, der an der Universität Halle-Wittenberg öffentliches Recht lehrt, in einem Gutachten für die Hans-Böckler-Stiftung. „Der Zweck der öffentlich-rechtlichen Einrichtung Innung, nämlich Tariffähigkeit zu fördern, würde dadurch konterkariert“, betont Kluth. Der Gesetzgeber habe mit der gesetzlichen Sonderstellung der Innungen gerade beabsichtigt, Tarifabschlüsse im kleinen und mittelständisch geprägten Handwerksbereich zu ermöglichen. Eine Satzungsänderung für OT-Mitgliedschaft könne die „Grundstruktur der Mitgliedschaft“ von Innungen verändern. Eine Entscheidung darüber könne aber keine Innung oder Handwerkskammer, sondern nur der Gesetzgeber treffen. Der DGB hofft, dass das Kluth-Gutachten „einen wichtigen Beitrag, vielleicht sogar einen Schlusspunkt zur Debatte um OT-Mitgliedschaften in Innungssatzungen“ darstellt. ■ Winfried Kluth: DIE ZULÄSSIGKEIT EINER MITGLIEDSCHAFT OHNE TARIFBINDUNG IN HANDWERKSINNUNGEN. Eine handwerks- und verfassungsrechtliche Untersuchung. Arbeitspapier 283 der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf 2013

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Auch IG-Metall-Vertreter an der Basis sind noch immer verblüfft, wie schnell sich mithilfe solcher Tarifgemeinschaften tariflose Zustände in die Fläche gefressen haben. „Wir haben anfangs noch geglaubt, das wäre so ein Ost-Ding“, sagt Friedhelm Ahrens, der als Tarifsekretär Küste auch das Kfz-Handwerk in MecklenburgVorpommern betreut, wo nur noch fünf Betriebe einer Tarifbindung unterliegen. Doch bald stand er auch in seinen westdeutschen Bezirken vor einer Situation, „wie es sie vorher im Handwerk gar nicht gegeben hat“. In Hamburg sind von 350 Betrieben nur noch zwölf tarifgebunden – allerdings arbeitet hier die Hälfte aller Beschäftigten. In Berlin und Brandenburg weigert sich die Landesinnung seit 2005, mit der IG Metall zu verhandeln. Nicht einmal ein Zehntel der Betriebe und Beschäftigten hat dort mit der „Tarifgemeinschaft Mitteldeutsches Kraftfahrzeuggewerbe“ einen Tarifvertrag abgeschlossen. Vor allem größere Unternehmen sind dies, zusätzlich haben ein paar Betriebe – wie auch der von Wolfgang Fechner – Haustarifverträge abgeschlossen. INNUNGEN DULDEN DUMPING_ Fragt man die Innungsführung nach

ihrem tarifpolitischen Auftrag, den ihr immerhin der Gesetzgeber zugestanden hat, so bekommt man nur schmallippige Antworten. Die von der IG Metall verlangten Tarife „nehmen unseren Betrieben die Luft zum Atmen“, sagt der hörbar aufgebrachte Präsident des Landesverbandes Berlin-Brandenburg des Kraftfahrzeuggewerbes, HansPeter Lange. So hohe Löhne gingen vielleicht im Speckgürtel von Berlin – nicht aber in wirtschaftsschwachen Regionen wie der Lausitz und der Uckermark. „Die Lage ist schwieriger geworden“, schimpft Lange. „Erst gestern sind wieder zwei Betriebe insolvent gegangen.“ Dieses krisenhafte Bild will Peter Friedrich vom IG-Metall-Bezirk Berlin-Brandenburg so nicht stehen lassen: Insgesamt gehe es dem Kfz-Gewerbe gut, die Umsatzrendite liege bei einem Prozent. Wie in anderen Handwerksbereichen gebe es zwar einen Trend zur Konzentration, zu größeren Einheiten, was einen stetigen Rückgang an Betrieben und Arbeitsplätzen mit sich bringe. „Das hat aber nichts mit Insolvenzen wegen zu hoher Löhne zu tun – sondern eher mit Marktbereinigung der Hersteller.“ Weniger und größere Autohäuser, die effektiver arbeiteten, seien die Folge. Da die Händler den Kfz-Betrieben aber zahlreiche Vorgaben machen – von Werkzeugen über elektronische Geräte bis zur Qualifikation der Mechaniker –, geht die Konkurrenz zunehmend auf Kosten der Mitarbeiter. „Die Löhne sind die einzige Stellschraube, die sie haben“, erklärt Friedrich. Da regulierende Instanzen wie die Innungen versagten, werde an dieser Stellschraube zuweilen rücksichtslos gedreht, ergänzt sein Kollege Joachim Fichtner, der jahrelang als Betriebsrat in einer größeren Niederlassung gearbeitet hat. „Die Innungen dulden dieses Dumpinggeschäft“, sagt Fichtner bitter. „Wettbewerb wird wieder über Menschen gemacht, nicht über Innovationen.“ Größere Autohäuser in der Stadt, in denen es keinen Betriebsrat, keine Sonderzahlungen, keine Kostenerstattung für

TITEL

KFZ-Werkstat t in Br andenburg:

Verweigerungshaltung der Kfz-Landesinnung

„Die Hoffnungen der Innungen, durch Dumpingmitgliedschaften und die Aufgabe der Tarifverantwortung mehr Mitglieder ­anzuziehen, haben sich nicht erfüllt.“ Joachim Fichtner , Ex-Betriebsrat und IG -Metaller

Auszubildende gibt, Hinterhofwerkstätten auf dem Land, in denen Schwarzarbeit geduldet und mit Hartz-IV-Aufstockern gearbeitet wird: Für die IG Metall sind dies zwei Seiten der gleichen Medaille. Das Lohndumping führe dazu, dass Beschäftigte in nicht tarifgebundenen Betrieben Gehaltseinbußen von 20 bis 30 Prozent hinnehmen müssten, sagt Fichtner. „Die Hoffnungen der Innungen, durch Dumpingmitgliedschaften und die Aufgabe der Tarifverantwortung mehr Mitglieder anzuziehen, haben sich nicht erfüllt“, sagt Joachim Fichtner. Im Kfz-Handwerk sei nur noch die Hälfte der Betriebe Innungsmitglieder, beklagte die IG Metall auf ihrer Bundeshandwerkskonferenz im November 2012. „Die Tarifpolitik ist für Innungen nicht mehr identitätsstiftend“, sagt Clemens Kraetsch, der im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung Mitgliederentwicklung und Tarifpolitik von Bau-, Metall- und KfzInnungen untersucht hat. Kraetsch hat hier eine „tarifpolitische Unübersichtlichkeit und Beliebigkeit“ ausgemacht: Manche Innungen schlössen Tarifverträge mit Gewerkschaften ab, andere nicht. Und ob die Mitgliedsbetriebe die vereinbarten Tarife dann auch wirklich zahlten, stehe zudem auf einem anderen Blatt. ÖFFENTLICHE AUFTRÄGE ALS DRUCKMITTEL_ Doch wie lassen sich

Innungen stärken, wie die Tarifflüchtigen zurück an den Verhandlungstisch bekommen? Gewerkschaftsexperten setzen hier zum einen auf juristische und politische Leitplanken, vor allem aber auf Ent-

wicklungen in den Innungen selbst. IG-Metall-Tarifsekretär Ahrens etwa will – neben dem Verbot von OT-Mitgliedschaften – Vergabegesetze der Länder als Druckmittel nutzen. „Öffentliche Gelder sollten nur noch an tarifgebundene Betriebe gehen“, fordert Ahrens. Wenn so einem tarifflüchtigen Betrieb etwa ein öffentlicher Auftrag für 60 Polizeifahrzeuge durch die Lappen gehe, könne dies durchaus Signalwirkung haben. Und Forscher Kraetsch bringt einen ermäßigten Innungsbeitrag für Betriebe ins Spiel, die bereits Pflichtmitglied in der Handwerkskammer sind. „Dann würden vielleicht auch mehr Neu-Betriebe eintreten.“ Die Innungen bräuchten ein attraktives Dienstleistungs- und Beratungsangebot – und müssten dies auch nach außen kommunizieren, bekräftigt DGB-Handwerkssekretär Helmut Dittke. Ob Innungen wieder mit Leben erfüllt werden können, hängt auch daran, wie sehr sie sich in Zeiten des demografischen Wandels für den Nachwuchs engagieren, sagt Clemens Kraetsch. Dass zuletzt 24 000 Ausbildungsplätze im Handwerk unbesetzt blieben, in Ostdeutschland selbst Autowerkstätten ohne Erfolg Azubis suchen, obwohl Kfz-Mechatroniker zu den beliebtesten Lehrberufen zählt, wundert den Betriebsrat Wolfgang Fechner nicht. Der Branchenkenner spricht von Billigarbeit statt Ausbildung, von „Lehrlingssklaven“, denen nicht einmal Ausbildungskosten erstattet würden. Wenn die Innungen in die Betriebe gehen würden, würden sie das sehen, sagt Fechner. „Doch das passiert nicht.“ ■

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Auffallend ruppig Volks- und Raiffeisenbanken werden gerne für ihr genossenschaftliches ­Geschäftsmodell gelobt. Übersehen wird dabei die dunkle Seite: Fragwürdige Tarifverträge ­drücken die Löhne, ver.di wird übergangen, kritische Betriebsräte werden eingeschüchtert.

FINANZBRANCHE

Von JOACHIM F. TORNAU, Journalist in Kassel

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arbeit

Fotos: Angelika Osthues (l.), Karsten Schöne (u.r.)

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verdi-bankexperte roach, BETRIEBSRÄTIN LINNEMANN (l .), dbV-Werbem aterial (o.), sitz des AVR IN BONN: Mit ver.di will der Verband nichts mehr zu tun haben.

ie Bescheidenheit ist dick aufgetragen. „Wir bauen“, werben die Volks- und Raiffeisenbanken, „auf genossenschaftliche Werte wie Fairness und Solidarität. Oder Fair Play und Teamwork, wie sie Genossenschaftsmitglied Jürgen Klopp nennen würde.“ Der Chefcoach des Fußballbundesligisten Borussia Dortmund dient den Genossenschaftsbanken als Werbemaskottchen. Das Image des Kulttrainers mit dem großen Grinsen und dem noch größeren Selbstbewusstsein hätten sie auch gern: erfolgreich, zugleich bodenständig und sympathisch. Mit ihrem im Vergleich zur Konkurrenz zurückhaltenderen Geschäftsmodell sind die Volks- und Raiffeisenbanken (kurz: VR-Banken) die Gewinner der Finanzkrise, ökonomisch wie moralisch: Das vergangene Jahr schlossen sie mit einem Überschuss von 7,38 Milliarden Euro ab, und auch ihr Ruf könnte besser kaum noch sein. Dennoch ärgert sich Veronika Linnemann über die Werbekampagne. „Die Genossenschaftsbanken stehen in der Öffentlichkeit als die Guten da“, klagt die Betriebsratsvorsitzende der Volksbank Münster. Auch das Magazin Mitbestimmung berichtete positiv über das genossenschaftliche Geschäftsmodell (Ausgabe 1+2/2013). Doch Linnemann sagt: „Innendrin stinkt es ohne Ende.“ Wenn es um den Umgang mit ihren Beschäftigten geht, vergessen die Genossen ihre Werte offenbar schneller, als der skrupelloseste Finanzmarktjongleur Millionen verzocken könnte. Trotz Milliardengewinnen will der Arbeitgeberverband AVR am Lohn sparen. Von „zeitgemäßen inhaltlichen Anpassungen der tariflichen Vergütungsregelungen“ ist die Rede, von der „Beschäftigungsfähigkeit der Banken“, die gesichert, und dem „Ausgliederungsdruck“, der gemildert werden müsse. Schon seit Jahren schließt der AVR neue Tarifverträge darum nur noch mit dem Deutschen Bankangestellten-Verband (DBV) und der selbst ernannten „Berufsgewerkschaft“ DHV ab – einer Organisation, die ihre Wurzeln bis zu dem im Kaiserreich gegründeten antisemitischen „Deutschnationalen Handlungsgehilfen-Verband“ zurückverfolgen kann. Heute gehört sie zum Christlichen Gewerkschaftsbund (CGB) und mischte auch mit, als die DumpingTarifgemeinschaft CGZP die Leiharbeitslöhne ins Bodenlose senkte. Mit ver.di möchte der AVR dagegen nichts mehr zu tun haben. Zum 28. Februar 2013 kündigten die Arbeitgeber mit dem Manteltarif auch den allerletzten Vertrag, der mit der Gewerkschaft noch bestand. „Das ist historisch ohne Vorbild“, sagt Beate Mensch, die im ver.di-Bundesvorstand den Fachbereich Finanzdienstleistungen vertritt. „Wir nehmen das als Kampfansage auf.“ Überall sonst in der viel gescholtenen Branche der öffentlichen und privaten Banken gelte ein ver.di-Flächentarif, sagt sie, bei den Sparkassen werde der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) angewandt. Allein die viel gelobten Volks- und Raiffeisenbanken hätten es gerne billiger. „Ein immenser Widerspruch“ zu den proklamierten Werten sei das, meint Mensch. Es begann mit der Forderung der Arbeitgeber, einen erheblichen Gehaltsanteil in eine leistungsabhängige Vergütung umzuwandeln. Als sich ver.di darauf 2008 auch nach drei Verhandlungsrunden nicht einlassen wollte, zog der Arbeitgeberverband noch am selben Abend weiter zu den gelben Verbänden DBV und DHV. Die haben zwar kaum Mitglieder bei den VR-Banken. Doch sie ließen sich nicht lange bitten: Binnen weniger Stunden bekam der AVR die Unterschrift unter einen Tarifvertrag nach seinem Gusto. Seitdem verhandeln die Arbeitgeber nicht mehr mit ver.di und haben zahlreiche weitere Verschlechterungen

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durchgesetzt. Ausbildungszeiten werden nicht mehr auf die Berufsjahre angerechnet. Ältere Mitarbeiter können, anders als früher, nach einer Versetzung auch tariflich niedriger eingruppiert werden. Vor allem aber wurde eine neue Berufsjahresstaffel für rund 40 Tätigkeiten im Backoffice – etwa im Kreditservice oder in der Kontobearbeitung – eingeführt. „Das bedeutet für manche Beschäftigte über 500 Euro im Monat weniger“, sagt ver.di-­ Bankenreferent Mark Roach. Noch gilt all das nur bei Neueinstellungen. Doch nach der Kündigung des ver.diManteltarifs legten einige Genossenschaftsbanken ihren Angestellten komplett neue Arbeitsverträge vor, die fast beiläufig auf die „ab dem Jahr 2012 vereinbarten Tarifverträge für Kreditgenossenschaften“ verwiesen. Gemeint, obwohl nicht ausdrücklich erwähnt, war der Abschluss mit DBV und DHV. Wer das nicht bemerkte und unterschrieb, verlor auch als ver.di-Mitglied die Nachwirkung des Manteltarifvertrags. Und wo es mit dem Übertölpeln nicht klappte, scheute man auch vor rüderen Methoden nicht zurück: Rechtsanwalt Dietrich Manstetten weiß von Fällen, in denen nur auf eine bessere Stelle befördert werden sollte, wer einen neuen Arbeitsvertrag unterzeichnete. „Man hat versucht, die Leute über den Tisch zu ziehen“, sagt der Arbeitsrechtler. „Mit List und mit Druck.“ Manstetten berät den Betriebsrat der Volksbank Münster, der in der Auseinandersetzung um die fragwürdigen Verträge zu den aktivsten im Lande gehört. Die ArbeitDIE BANKEN ARBEITEN MIT LIST UND DRUCK_

arbeitsgericht. Der Ausgang ist offen. Das zeigt der Verlauf zweier weiterer Verfahren, die mit dem gleichen Ziel wie in Westfalen angestrengt wurden. Im Fall der Volksbank Kraichgau schlug sich das Arbeitsgericht Mannheim auf keine Seite, sondern verwies an die Einigungsstelle. Die Berufung, die beide Parteien eingelegt haben, ist noch anhängig. Bei der VR-Bank Südniedersachsen endete der Rechtsstreit hingegen recht schnell mit einer außergerichtlichen Einigung: Die Eingruppierung soll nach dem Manteltarif erfolgen. „Ein 100-Prozent-Sieg, nur ohne Urteil“, kommentiert ver.di-Sekretär Roach.

Rund 1100 Geldinstitute mit 170 000 Beschäftigten zählen zum Verbund der Volks- und Raiffeisenbanken. Dass trotzdem nur in drei Banken bundesweit die Arbeitsgerichte angerufen wurden, wurmt die engagierten Arbeitnehmervertreter. „Es müssten noch mehr Kollegen unseren Weg gehen“, sagt Torsten Wacker, Betriebsratsvorsitzender der Volksbank Kraichgau. „Wenn es 30 oder 40 Gerichtsverfahren gäbe, hätten die Arbeitgeber ein echtes Problem.“ Das, meint auch seine Münsteraner Kollegin Linnemann, wäre „genial“. Denn damit könnte gelingen, was auf anderem Wege nur schwer möglich ist: Druck auszuüben auf den Arbeitgeberverband AVR. Zwar hat ver.di durch die Kündigung des Manteltarifs eine Eintrittswelle sondergleichen erlebt: 5400 Bankangestellte wurden noch rechtzeitig Mitglied, um sich die Nachwirkung des alten Vertragswerks zu sichern. Und mit einem durchschnittlichen Organisationsgrad von jetzt immerhin 15 Prozent hat die Gewerkschaft mehr Mitglieder bei den Genossenschaftsbanken als der DBV in der gesamten Branche. Doch für einen flächendeckenden Arbeitskampf, mit dem ein neuer ver.di-­ Tarif erzwungen werden könnte, reicht das noch nicht – zumal es sich bei den VR-Banken nicht um einen großen Konzern handelt, sondern um viele eigenständige Institute mit meist nur wenigen Hundert Mitarbeitern. Freimütig attestiert Lothar Hemmen, Betriebsrat bei der Berliner Volksbank, der Gewerkschaft eine „gewisse Ohnmacht“ im aktuellen Tarifgeschehen. Doch im Vergleich zur gelben Konkurrenz sei ver.di immer noch stark. „Dem DBV muss man eine nicht wahrnehmbare Durchsetzungsfähigkeit bescheinigen“, sagt er. Dabei ist TORSTEN WACKER , BETRIEBSR ATSVORSITZENDER DER VOLKSBANK KR AICHGAU der Deutsche Bankangestellten-Verband in der Berliner Volksbank für nehmervertretung will gerichtlich durchsetzen, dass das seine Verhältnisse überdurchschnittlich gut vertreten mit einer Mitgliederzahl neue Eingruppierungssystem in ihrer Bank ausschließlich „im kleineren zweistelligen Bereich“, wie Hemmen schätzt. Zum Vergleich: für Mitglieder von DHV und DBV gilt – und das sind nicht Die ver.di.-Betriebsgruppe zählt 250 Köpfe. DBVler sitzen auch in Betriebs- und Aufsichtsrat der Berliner Volksbank; viele. „Angeblich“, sagt Betriebsratsvorsitzende Linnemann, „soll es bei uns ein Mitglied geben.“ Für ver.di- einer von ihnen ist Heinz Buff, stellvertretender Vorsitzender des Verbands Mitglieder wie für Nicht-Organisierte dagegen beruft sich und Verhandlungsführer bei den Tarifverhandlungen. Buff ist der Mann, der der Betriebsrat auf sein Mitbestimmungsrecht bei „Fragen seine Unterschrift unter das setzte, was sein ver.di-Kollege unverhohlen als der betrieblichen Lohngestaltung“. Für diese Beschäftigten, „Mistzeugs“ bezeichnet. Dennoch, sagt der Gewerkschafter, arbeite man im fordert er, soll die Eingruppierung weiter nach den Grund- Betriebsrat sachlich zusammen. Und habe dafür gesorgt, dass die Verschlechterungen, die der Tarifvertrag ermöglicht, bei der Berliner Volksbank nicht sätzen des alten Manteltarifs geregelt werden. Kürzlich ging vor dem Landesarbeitsgericht NRW angewandt werden. Mit der Stimme von Heinz Buff. „Da ist eine gewisse Schiallerdings auch die Berufungsverhandlung verloren. Jetzt zophrenie in seinem Handeln“, sagt Hemmen. „Was er bundesweit macht und ruht die Hoffnung der Münsteraner auf dem Bundes­ was er im Betrieb macht, sind zwei paar Schuhe.“ Auch bei der DZ BANK – 5400 NEUE MITGLIEDER FÜR VER.DI_

„Es müssten mehr Kollegen unseren Weg gehen und klagen. Wenn es 30, 40 Gerichtsverfahren gäbe, hätten die Arbeitgeber ein echtes Problem.“

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Fotos: Angelika Osthues (l.), Kay Herschelmann/ver.di

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dem Zentralinstitut der Genossenschaftsbanken und mit 28 000 Beschäftigten die derzeit viertgrößte Bank in Deutschland – kommt der neue DBV-/DHVTarif bislang nicht zum Einsatz. Der Betriebsrat aber will sich damit nicht zufriedengeben: Er will einen Haustarif. „Hier läuft jetzt die Maschinerie an“, sagt Rüdiger Beins, Betriebsratsvorsitzender in Hannover und Chef des Konzernbetriebsrats. Schon in den nächsten Wochen will ver.di die Mitgliederbefragung starten. „Dann sind die Banker gefordert – einen Haustarifvertrag bekommen wir nur, wenn dem Vorstand deutlich wird: Die rühren ihren PC nicht mehr an, die gehen auf die Straße.“ An Masse für einen wirkungsvollen Streik mangelt es nicht: In Hannover sind mittlerweile mehr als 60 Prozent der Belegschaft ver.di-Mitglied geworden, am Hauptsitz in Frankfurt sind es rund 40 Prozent, und auch an den anderen Standorten hat die Gewerkschaft einen ungewöhnlich großen Zulauf erlebt. Über diese „zweitbeste, aber sehr wirkungsvolle Lösung“, wie ver.di-Bundesvorstand Mensch einen Haustarifvertrag nennt, denken auch die Betriebsräte einiger Volksbanken nach – etwa in Münster, wo der Organisationsgrad ebenfalls auf stolze 40 Prozent angestiegen ist. Denn hier drängt die Zeit: Schon im kommenden Jahr soll über eine Fusion mit der Vereinigten Volksbank im benachbarten Telgte entschieden werden. Und dort gibt es so gut wie keine ver.di-Mitglieder; der DBV-/DHV-Tarif mit all seinen Grausamkeiten wurde von Anfang an voll umgesetzt. „Die Fusionsverhandlungen sind ein Riesenklotz, der uns am Bein hängt“, sagt Betriebsratschefin Linnemann. „Dadurch sind wir als Betriebsrat noch mehr strapaziert.“ Dabei sei es auch so schon strapaziös genug, sich in einer Volksbank für die Interessen der Arbeitnehmer einzusetzen – und sich dabei nötigenfalls auch gegen den Vorstand zu stellen. „Du musst ein wahnsinniges Rückgrat haben, um das auszuhalten“, sagt Linnemann. „Das geht an die Schmerzgrenze.“ Die Münsteranerin erzählt von persönlichen Angriffen. Von einer Unterschriftensammlung, die der Vorstand gegen sie startete. Von Kollegen, die sich nicht mehr trauten, sie in der Bank zu grüßen. „Ich wurde psychisch und physisch an den Rand gedrängt.“ Ein Einzelfall? Wohl eher nicht. Denn aus anderen VR-Banken sind ganz ähnliche Geschichten zu hören. „Es ist ein dickes Brett, das man da permanent bohrt“, sagt eine Betriebsrätin, die ihren Namen aus Angst vor Repressalien nicht gedruckt sehen will. „Wenn man sich auf Mitbestimmungsrechte beruft, wird man als Paragrafenreiter beschimpft.“ Offen zeige ihr der Bankvorstand seine Abneigung und streue auch MEHRERE STANDORTE SIND STREIKFÄHIG_

anwalt M anstet ten, Ver.di-Vorstand mensch:

„Man versucht, die Leute über den Tisch zu ziehen – mit List und Druck.“

falsche Informationen, um ihrem Ruf zu schaden. „Ich habe schon einige Unverschämtheiten einstecken müssen.“ Die Volksbank Ludwigsburg engagierte vor einigen Jahren sogar den berüchtigten Arbeitgeberanwalt Helmut Naujoks, der als Spezialist für die „Kündigung von Unkündbaren“ und Betriebsräten durchs Land zieht. Er sollte an der Betriebsratsvorsitzenden Andrea Widzinski, die der ver.di-Tarifkommission angehörte, ein Exempel statuieren. Doch der Versuch, die Gewerkschafterin wegen angeblicher Verfehlungen aus dem Unternehmen zu drängen, scheiterte: Die Vorwürfe, sie habe ihren Vorstand mit Erich Honecker verglichen und bei einer Fahrtkostenabrechnung betrogen, waren allzu offensichtlich unhaltbar. „Danach“, sagt Widzinski, „sah der Vorstand ein, dass es besser ist, mit mir zusammenzuarbeiten.“ Heute, berichtet sie, sei das Verhältnis wieder gut: „Der Vorstand weiß selber nicht mehr, warum er das damals gemacht hat.“ Vorgänge wie diese, sagt ver.di-Vorstand Beate Mensch, habe sie weder bei Großbanken noch bei Sparkassen erlebt. „Der Umgang mit starken Betriebsräten ist bei den Genossenschaftsbanken auffallend ruppig.“ Nach ihrem Eindruck herrscht hier eine Führungskultur, in der Mitbestimmung als Autoritätsverletzung verstanden wird. Hinzu kommt, dass es wegen der überschaubaren Größe der Banken meist sehr persönlich wird, wenn es Ärger gibt. Mit feudalen Strukturen vergleicht das ver.di-­ Bankenreferent Mark Roach: „Etliche Vorstände“, erklärt er, „fühlen sich wie die Lehnsherren aus früheren Zeiten: Ich schütte gerne meine unendliche Güte über dir aus – aber nur, wenn du ein braves Kind bist!“ ■

m e h r i n f o r m at i o n e n Wer den Kampf für faire Arbeitsbedingungen bei den VR-Banken unterstützen will, kann im Internet einen Appell an die Bank vorstände unterschreiben: www.der-vorstandsappell.de

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„Keine faire Chance“ John Fetherston, Gewerkschafter bei der GM-Tochter Opel-Vauxhall, über persönlichen Ärger, vertragsbrüchige Manager und warum die Solidarität im Eurobetriebsrat nicht zerbröseln darf

INTERVIEW

Mit John Fetherston sprach MARGARETE HASEL in Rüsselsheim.

Im Mai 2012 haben Sie in einem Interview mit der BBC Ihre Freude zum Ausdruck gebracht, dass Ihr Standort Ellesmere Port den Zuschlag für die Produktion von jährlich 160 000 Opel Astra erhält. Das haben wir in der April-Ausgabe dieses Magazins in einem Beitrag über die Schwierigkeiten grenzüberschreitender Solidarität aufgegriffen. Darüber haben Sie sich geärgert. Warum? Ihr Magazin suggeriert, dass mich die Erleichterung über die Entscheidung blind gemacht hätte für alles, was um uns herum passiert. Ja, es war ein guter Tag für Ellesmere Port. Das habe ich im Interview mit der BBC zum Ausdruck gebracht. Von Bochum oder den anderen Standorten war dabei nicht die Rede. Die Unterstellung, wir hätten gegen die Interessen der anderen verhandelt, weise ich entschieden zurück. Erleichtert zu sein, wenn man selbst verschont geblieben ist, ist doch eine sehr menschliche Reaktion. Vorsicht! Die Entscheidung für Ellesmere Port war eine gute Nachricht, aber keine Erleichterung. Wir wussten, dass unser Überleben das Ende eines anderen Standortes bedeuten konnte. Doch das hatten nicht wir zu entscheiden. Opel-Vauxhall hat uns die Pistole auf die Brust gesetzt. Entweder ihr akzeptiert das Paket, oder ihr verliert die Produktion der nächsten Astra-Generation. So einfach war das? Verpflichtet bin ich zuallererst den 2000 Gewerkschaftern in Ellesmere Port, die mich gewählt haben, um ihre Interessen zu vertreten. Und die haben keinen Zweifel daran gelassen, wo ihre Interessen liegen, als sie mit einer überwältigenden Mehrheit von 94 Prozent die Konditionen des Managements akzeptierten. Welche Kröten mussten sie schlucken? Im Gegenzug für garantierte Investitionen und Arbeitsplätze wurden die Löhne eingefroren, neue Arbeitszeit- und Schichtmodelle eingeführt – Dinge, um die es danach auch an den Opel-Standorten in Deutschland oder Spanien ging. Und die mit ähnlich hohen Zustimmungsraten der Beschäftigten auch in Kaiserslautern und Rüsselsheim akzeptiert wurden.

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Und in Bochum? Opel-Vauxhall hatte den Entschluss wohl längst gefasst, Bochum zu schließen. Wie es vor zehn Jahren Luton in Großbritannien getroffen hat und die Motorenfabrik in Ellesmere Port. 2006 schlossen sie das Werk im portugiesischen Azambuja, 2010 Antwerpen. Es wird immer enger. Ohne Absatzprobleme sähe das anders aus. So hatte der EBR nur sehr bescheidene Möglichkeiten. Wie haben Sie Ihren Kollegen im EBR Ihr Verhalten erklärt? Als GM uns damit konfrontierte, dass sie die Astra-Produktion abziehen könnten, war uns die europäische Dimension sehr wohl bewusst. Ich habe sofort den EBR über die Erpressung informiert. Jedem im Eurobetriebsrat war klar, dass wir in Ellesmere Port leer ausgehen, wenn wir nicht zu Zugeständnissen bereit sind. In Zeiten von Überkapazitäten und Absatzproblemen ist kämpfen nicht einfach. Noch vor vier Jahren ist es uns gelungen, in einer gemeinsamen Kraftanstrengung 65 Millionen Euro einzusparen. Alle Standorte haben dazu beigetragen. Im Gegenzug erhielten wir Arbeitsplatzgarantien und die Zusage, dass bis 2014 kein Werk geschlossen wird. Schon bei der Schließung von Antwerpen wurde dagegen verstoßen. „Share the pain“, die gerechte Verteilung der schmerzhaften Einschnitte, lautete damals die Losung des EBR. Trotzdem kam GM Europe nicht zur Ruhe. Hat der Kampf um das Überleben jedes einzelnen Werkes, der unvermindert weiterging, dieses ehrgeizige Kooperationsprojekt überdehnt? Ich erinnere mich noch gut an ein EBR-Treffen vor sechs Jahren hier in Rüsselsheim. Vertreter aller Standorte waren gekommen, um gemeinsam zu überlegen, wie wir die Einschnitte verteilen könnten. Opel-Vauxhall hatte gerade öffentlich darüber nachgedacht, eine Produktionslinie zu verlagern. War die transnationale Solidarität in Europa im Jahr 2007 belastbarer als heute?

arbeit z u r PERSON

Foto: Alexander Paul Englert

JOHN FETHERSTON, 61, ist Vorsitzender des gewerkschaftlichen Shop-StewardKomitees bei Opel-Vauxhall im englischen Ellesmere Port – und damit einem deutschen Betriebsratsvorsitzenden ­vergleichbar. Seit 2002 ist er ­Mitglied des Eurobetriebsrats der GM-Tochter Opel, dessen stellvertretender Vorsitzender er heute ist.

Leicht war das auch damals nicht. Doch haben wir Gewerkschafter im EBR sehr ernsthaft beraten, wie wir vermeiden können, dass es nur einen Standort trifft. Wir waren überzeugt davon, dass wir eine Lösung präsentieren können, wenn alle Zugeständnisse machen. Mitten in unsere Diskussion hinein platzte der damalige Vorstandsvorsitzende Carl-Peter Forster mit der Bekanntgabe, dass die 1000 Arbeitsplätze in Ellesmere Port gestrichen werden. Weil in Großbritannien Werksschließungen und Entlassungen vergleichsweise günstig zu haben waren.

Der Opel-EBR hatte Rechte weit jenseits der EU-Richtlinie ausgehandelt. Ist das Scheitern deshalb besonders schmerzhaft? Ist es unserem europäischen Gremium in der letzten Restrukturierungs- und Sparrunde gelungen, allen Standorten Sicherheit zu geben? Nein. Aber sollten wir deswegen die Idee aufgeben? Nochmals nein. Eurobetriebsräte werden gebraucht. Sie brauchen sogar mehr Einfluss auf Entscheidungen, als dies heute der Fall ist. Doch gerade als Vertragspartner ist man auf Gegenüber angewiesen, die es ehrlich meinen und Wort halten.

Zählt die transnationale Solidarität zu den Krisenverlierern? Sie war schlicht nicht effektiv, wir konnten uns ja nicht durchsetzen. Und wer verliert, wirft Steine auf alles, was zur Niederlage beigetragen haben mag.

Soll heißen? Wenn die Firmenleitung mit dem Angebot auf uns zugekommen wäre, die Konditionen für die Produktion der nächsten Astra-Generation auszuhandeln, dann hätten wir Nein gesagt und auf die mit dem Eurobetriebsrat ausgehandelten Rahmenbedingungen für solche Entscheidungen verwiesen. Denn die gab es, und die funktionierten bisher beim Astra sehr gut. Stattdessen hat das Management darauf gesetzt, den EBR zu spalten. Das ist ihnen ja auch gelungen.

Was kann ein EBR realistischerweise in Krisenzeiten leisten? Wäre Opel-Vauxhall die erfolgreichste Automobilmarke in Europa, hätten wir viele solidarische Instrumente. Stattdessen haben wir in vielen Ländern Europas eine Rezession. Das macht die Schwerter eines EBR stumpf. In Ellesmere Port hatten wir keine faire Chance zu Verhandlungen. Doch alle – Gewerkschaften, Interessenvertreter wie Beschäftigte – sollten darüber nachdenken, was seither an den übrigen Standorten passiert ist: Überall haben die Kollegen getan, was getan werden musste, um ihre Leute zu schützen. Und Zugeständnisse gemacht.

Was könnte die Zusammenarbeit im EBR wieder voranbringen? Wir Arbeitnehmer haben nichts davon, wenn wir uns zerstreiten. Doch es ist nicht leicht, Menschen dazu zu bewegen, Schmerzen auf sich zu nehmen, solange es Hoffnung gibt, diese zu vermeiden. „Share the pain“ – das ist schon die richtige Idee, denn es wird immer wieder schmerzhafte Prozesse geben. ■

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Fotos: Stephan Horst/BASF Plant Science (l.), Volker Hartmann/ddp images

Umkämpfte Industrieprojekte Überall im Land stemmen sich Protestgruppen gegen industrielle Großprojekte. Gewerkschaften und Betriebsräte sollen nun stärker an die Diskussionfront. Sie sind glaubwürdiger.

INDUSTRIEpolitik

Von Andreas Schulte, Journalist in Köln

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politik

Protest gegen BASF-Gentechnik-K artoffel in Zepkow, Landwirt gegen die Bayer-Pipeline in Monheim : Zunehmender Widerstand

D

ie Gemeinde Haßleben in der Uckermark macht ihrem Namen in diesen Tagen alle Ehre. Im vollen Galopp geht die Initiative „Pro Vieh“ auf ihre Gegner von „Pro Schwein“ los. Das Ziel: die geplante Schweinemastanlage des Investors Harry van Gennip zu verhindern. 30 000 Vierbeiner will der Niederländer hier in der Uckermark mästen, um sie anschließend zu schlachten. „Pro Vieh“ und eine ganze Reihe anderer Organisationen befürchten wegen der gigantischen Güllemengen säuischen Gestank und eine verpestete Umwelt. „Pro Schwein“ indes wüsste die rund 30 neuen Arbeitsplätze gerne in dieser strukturschwachen Region. Schließlich war die Agrarindustrie schon zu DDR-Zeiten hier saustark. Seit zehn Jahren tobt der tierische Streit der Widerborstigen nun schon. Ein Ende ist nicht in Sicht. Ende August dieses Jahres nun haben die Gegner 47 000 Unterschriften im Potsdamer Landtag abgegeben. Dabei ist die Anlage bereits seit Juni genehmigt. „Pro Vieh“ und Co. ist das wurscht: Man sei überzeugt, dass sich die Inbetriebnahme noch immer verhindern lasse, teilte die sammelnde „Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt“ mit. Juristische Schritte seien vorbereitet.

Die Zuversicht der Agrarindustrie-Gegner ist keine Eigenheit dieser Branche. Ob Widerstand gegen Innovationen aus der Chemie- und Pharmabranche, Demonstrationen gegen Kraftwerksbauten und Stromtrassen oder sogenannte „Wutbürger“, die gegen Infrastrukturprojekte auf die Barrikaden gehen: „Alle Zweige der Industrie stoßen zunehmend auf Widerstand“, sagt Reiner Hoffmann, Landesbezirksleiter der IG BCE Nordrhein. Und der hat weitreichende Folge: „Wenn die Umsetzung neuer industrieller Prozesse wegen Widerständen zu lange dauert, leidet die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen. Die Folge sind Arbeitsplatzverluste“, fürchtet auch IG-Metall-Vorstand Jürgen Kerner und verweist auf das verarbeitende Gewerbe, wo schon seit Längerem Jobs verloren gehen. Wie Industrie und Gewerkschaften diesem Prozess entgegensteuern können, war denn auch Thema einer Tagung der Hans-Böckler-Stiftung in Kooperation mit IG BCE und IG Metall Ende Juni in Hannover.

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naturschutzbund-Vor­ sitzender Tumbrinck (R.) wie auch die Betriebsr äte wurden frühzeitig in die Planung der Connec t-Pipeline von Shell in Köln einbezogen, Links: Koos Beurskens, Geschäf tsführer der Foto/Copyright: Shell

Rheinland-R affinerie:

„Nicht gegen den Willen der ­Bevölkerung“

„Alle Zweige der Industrie stoßen zunehmend auf Widerstand; darum muss das Werben um Verständnis für die Industrie auch Teil der Mitbestimmung werden.“ Reiner Hoffmann, L andesbezirksleiter IG BCE Nordrhein

GLAUBWÜRDIGE MULTIPLIKATOREN_ Vor allem den Ge-

werkschaften kommt beim Ringen um Akzeptanz eine besondere Rolle zu. Denn ihr Image ist besser als das der Unternehmen. Nach einer Umfrage der Meinungsforscher von Infratest haben 81 Prozent der Bevölkerung wenig bis gar kein Vertrauen in Großunternehmen. „Firmen wird oft unterstellt, zugunsten einer Gewinnsteigerung alle anderen Aspekte zu vernachlässigen“, sagt Kai vom Hoff, Inhaber einer Düsseldorfer PR-Agentur. „Mitarbeiter und Betriebsräte sind aber glaubwürdige Multiplikatoren.“ Zudem wächst die Beliebtheit der Gewerkschaften. Vor zehn Jahren hatten in einer Untersuchung des Instituts für Demoskopie Allensbach nur 23 Prozent der Befragten eine gute Meinung von den Gewerkschaften. 2012 waren es 41 Prozent. Und es könnten noch mehr sein, findet IG-BCE-Landesbezirksleiter Hoffmann. „Wir werden in den Medien und der Öffentlichkeit noch zu sehr als reine Arbeitsplatz­ erhalter wahrgenommen.“ Sein Ziel: Gewerkschaften als Problemlöser zu positionieren. Zum Beispiel beim Klima-

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wandel. „Wir müssen noch deutlicher machen, dass wir mit unseren energie­ intensiven Industrien wie zum Beispiel Aluminium einen Beitrag gegen den Klimawandel leisten, weil Aluminium – etwa wegen seiner Recyclingquote – äußerst ressourceneffizient ist.“ Hier sieht er neue Herausforderungen für Betriebsräte. „Industriepolitik und das Werben um mehr Akzeptanz für die Industrie müssen Teil der Mitbestimmung werden.“ Bei manchen Projekten sei das bereits gelungen. So zum Beispiel beim Bau der Pipeline „Connect“ des Ölriesen Shell im Jahr 2009. Um Produktionsprozesse zu verbessern, wollte Shell zwei seiner Standorte im Kölner Süden durch eine 3,8 Kilometer lange Pipeline miteinander verbinden. Shell bezog frühzeitig Umweltverbände wie den NABU Nordrhein-Westfalen, Betriebsrat und die Bewohner in die Planung ein. „Wir waren in allen Gremien des Unternehmens zu diesem Projekt miteinbezogen und hatten überall Mitspracherecht“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Wolfgang Koenn. Der Betriebsrat stellte sich auch öffentlich in der Presse hinter das Projekt und trug schließlich die umweltfreundlichere Entscheidung der Geschäftsführung für den Trassenverlauf unter dem Rhein hindurch mit – obwohl die Kosten dafür deutlich teurer waren als eine oberirdische Lösung. Proteste bleiben seither weitgehend aus. „Es nützt nichts, so ein Projekt gegen den Willen der Bevölkerung anzugehen“, sagt Betriebsrat Koenn. Auch Josef Tum-

politik

brinck vom NABU NRW erkennt an, dass „unsere Änderungsvorschläge ernst genommen und auch umgesetzt wurden“. Gemeinsam habe man so für den Naturschutz viel erreicht und die Wirtschaftskraft in der Region gestärkt. Doch solche Beispiele sind noch die Ausnahme. Bei der BASF SE, dem weltgrößten Chemiekonzern, verließen in den vergangenen 15 Jahren rund 20 000 Mitarbeiter das Unternehmen. Ein Grund: die „grüne Gentechnik“, also Pflanzenzucht für die Ernährung mithilfe von Gentechnik. Diese Technologie konnte sich in Deutschland und in Europa nicht durchsetzen. Anfang 2012 gab der DAX-Konzern bekannt, sein komplettes Geschäft mit grüner Gentechnik in die USA zu verlagern. Rund 400 Arbeitsplätze wanderten aus Ludwigshafen über den großen Teich, weil grüne Gentechnik in Deutschland keine Akzeptanz fand. „Nach 15 Jahren Entwicklung war die Gen-Kartoffel Amflora reif, aber schließlich ohne Bedeutung. Gentechnik ist in Deutschland ein kulturelles Unding“, resümiert der stellvertretende BASF-Konzernbetriebsratsvorsitzende und Aufsichtsrat Wolfgang Daniel. Das Geschäft mit grüner Gentechnik werde längst im Ausland gemacht. Hierzulande hätten fast alle dagegen protestiert, vom Bauernverband bis zum Kirchenverband. „In Deutschland herrscht der Glaube, man könne den Lebensstandard auch ohne Industrie sichern.“ „Die Lobbyarbeit der Gentechnik hat versagt“, sagt der BASF-Betriebsrat. Zwar stritten Experten in unzähligen öffentlichen Diskussionsrunden über die Risiken und Chancen der grünen Gentechnik. „Doch die Verbraucher hat niemand erreicht. Die waren immer dagegen“, sagt Daniel. Und sie zogen die Politik in ihr Fahrwasser. Keine der etablierten Parteien bekennt sich heute uneingeschränkt zur Gentechnik. SPD, Linke und Grüne lehnen sie grundsätzlich ab. „Je populärer ein Protest wird, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich auch Politiker industriefeindlich geben. Sie wollen die Wählerstimmen“, sagt dazu PR-Berater Kai vom Hoff aus Düsseldorf, dessen Agentur sich unter anderem auf Industrie-Kommunikation konzentriert. KOMPLEXITÄT NICHT NACHVOLLZIEHBAR_ Dass Experten Widerstände nicht brechen können, überrascht Ortwin Renn nicht. Der Soziologe und Akzeptanzforscher an der Universität Stuttgart vertritt die These, technische Abläufe würden zunehmend komplizierter. Kaum jemand könne sie noch nachvollziehen oder gar überprüfen, beispielsweise bei der Risikobewertung von Kraftwerksprozessen. „Deshalb wird die Glaubwürdigkeit von Interessenvertretern immer wichtiger. Kommunikationsprofis werden nicht zwangsläufig als glaubwürdiger wahrgenommen.“ Gewerkschaften empfiehlt der Akzeptanzforscher – wie im Fall Shell geschehen –, Projektbeteiligte an die Diskussionsfront zu schicken. Er sieht Betriebsräte und Gewerkschaften in einer Vermittlerposition. „Auf der einen Seite arbeiten sie im Unternehmen und kennen die Situation dort gut. Sie sind aber gleichzeitig Anwohner und von den Nebenwirkungen eines Projekts genauso betroffen wie jeder andere.“ In Trainings sollen Gewerkschafter und Betriebsräte fit gemacht werden für öffentliche Auftritte, schlägt Renn vor – nicht um zu reden wie Politiker, sondern um das nötige Selbstbewusstsein für öffentliche Auftritte zu erlangen. „Denn manche Reaktionen werden negativ sein, und dann ist es wichtig, damit richtig umzugehen“, sagt Renn.

Der Grund dafür ist einfach: Die Gegnerschaft ist stark und erfolgreich. Denn seit einigen Jahren wächst in Deutschland eine gut organisierte Protestkultur. Allein im Baugewerbe konnten 2011 ganze 53 Infrastrukturprojekte mit einem Investitionsvolumen von 46 Milliarden aufgrund von „Akzeptanzproblemen“ nicht umgesetzt werden, teilt der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie mit. Felix Butzlaff, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Demokratieforschung in Göttingen, hat die neuen Protestbürger in einer Studie typologisiert. Das Ergebnis: Profi-Protester, wie er sie nennt, haben deutlich bessere Voraussetzungen als Arbeitnehmer, ihre Interessen lautstark zu vertreten. „Wer sich engagieren will, braucht Zeit“, sagt Butzlaff. Unter den befragten Protestbürgern fanden sich auffällig viele Vorruheständler, Hausmänner, Teilzeitangestellte, Freiberufler und Lehrer – die meisten durchaus gebildet. Durch die neuen Medien scharen sie viel leichter Anhänger um sich als in früheren Tagen. GUT ORGANISIERTE PROTESTKULTUR_

Bö c k le r-Tagu n g e n

Akzeptanz von ­Industrieprojekten Die Hans-Böckler-Stiftung veranstaltet in Kooperation mit der IG Metall und der IG  BCE eine Reihe von Workshops zur „Akzeptanz von Industrie und Technologie“. Dabei erörterten Betriebsräte und Gewerkschafter ihre Rolle (und die der Politik) beim Werben um mehr Verständnis für Industrieprojekte; Wissenschaftler beteiligten sich mit Projekten aus der Akzeptanz-Forschung. Nach den Treffen in Berlin und Hannover im Sommer 2013 bildet eine Konferenz zur „Europäischen Industriepolitik“ in Brüssel am 28./29. Oktober den diesjährigen Abschluss dieser Veranstaltungsreihe.■

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„Profi-Protester sind mehrheitlich Akademiker, die ­gelernt haben, sich öffentlich in Szene zu setzen. ­Dagegen sind die kleinen Leute kaum mehr vertreten.“ Felix Butzlaff, Institut für Demokratieforschung, Göttingen

So bietet die Internetseite campact.de beispielsweise vorformulierte E-Mails an Politiker, die User nur noch mit ihrem Namen versehen und abschicken müssen. Zudem versorgen PR-Agenturen Protester mit professionellen Plakaten. Krassestes Beispiel: die Internetseite www.demonstrantenmieten.de, auf der sich willige Demonstranten-Söldner für bestimmte Themen gegen wenig Geld anheuern lassen. Profi-Protester kennen diese neuen Möglichkeiten. 55 Prozent von ihnen sind Akademiker. „Viele haben gelernt, zu netzwerken und sich öffentlich in Szene zu setzen“, sagt Butzlaff. Das jahrelange Engagement in einer Protestbewegung sorge für weitere Qualifikation auf diesem Gebiet. „Aber die kleinen Leute“, sagt Butzlaff, „sind kaum mehr vertreten.“ Das zeigt sich auch beim Protest gegen die Nano­ technologie, gegen die derzeit gleich mehrere Nicht­ regierungsorganisationen (NGOs) Sturm laufen. So wendet sich etwa die „Coordination gegen Bayer-Gefahren“ gegen den Leverkusener Konzern. Der Vorwurf: Dessen winzige Röhrchen aus Kohlenstoff als Zusatz für Lacke könnten die Entstehung von Krebs fördern. Bayer stellt diese sogenannten Carbon Nanotubes (CNT) seit Januar 2010 in Leverkusen in der weltgrößten Produktionsanlage für diese Materialien her. Greenpeace indes fordert, Nano­partikel aus Sonnencremes zu entfernen, weil sie gesundheitsschädlich sein könnten. Und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, der BUND, betreibt eine eigene Datenbank, anhand der Verbraucher Nanoprodukte identifizieren. Gewerkschaften fürchten nun, dass die deutsche Nano­ technologie das gleiche Schicksal ereilen wird wie die Gentechnologie zuvor. „Der Wettbewerbsvorteil unseres hochtechnologischen Standorts Deutschland leidet unter den Widerständen der NGOs“, sagt Iris Wolf, Ressortleiterin Innovation/Technologie beim Haupt­vorstand der IG BCE. Gemeinsam mit dem Verband der Chemischen Industrie (VCI) hat die IG BCE ein Positionspapier zum

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verantwortungsvollen Umgang mit Nanotechnologie herausgegeben. Dieser Schulterschluss mit den Berufsverbänden ist in den Augen von Kai vom Hoff unerlässlich: „Botschaften entfalten dann ihre Wirkung, wenn sie von verschiedenen Akteuren mit unterschiedlichen Perspektiven vorgetragen werden.“ Beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) scheint diese Botschaft aber noch nicht angekommen. Dort verteilt man zwar ein „Strategiepapier Planungsbeschleunigung“ für Verkehrsinfrastrukturvorhaben, eine entsprechende Kampagne für die Industrie sei indes nicht in Planung, sagt Sprecher Marcel Bertsch. In Düsseldorf ist man weiter. Dort arbeiten Verbände, Unternehmen und Gewerkschaften bereits Seite an Seite – im Verein „Zukunft durch Industrie“. Der versteht sich ausdrücklich als Gesellschaftsinitiative. „Wir wollen anders als Verbände auf die gesamtgesellschaftliche Bedeutung von Industrie hinweisen“, sagt Geschäftsstellenleiterin Marion Hörsken. Deshalb zeigen auf der Vereins-Website viele Beteiligte Gesicht: Werksleiter von Unternehmen, Gewerkschafter wie DGB-NRW-Chef Meyer-Lauber, Vertreter von IHKs und Branchen-Verbänden bis hin zu Privatpersonen. Der Zusammenschluss möglichst vieler Mitspieler ist in den Augen von Berater Hoff ein wichtiger Schritt: „Nur wenn Unternehmen, Gewerkschaften und weitere Akteure an einem Strang ziehen, kann Vertrauen und Akzeptanz entstehen.“ „Zukunft durch Industrie“ wird am 17. Oktober die „Lange Nacht der Industrie“ Rhein-Ruhr veranstalten. Dann öffnen 39 regionale Unternehmen – von ThyssenKrupp über Henkel bis hin zu den Grillo-Werken – ihre Werks­tore für jedermann. Die nächtlichen Bus-Touren von einem Betrieb zum anderen sind kostenlos – Industrie zum Anfassen. Veranstaltet wird die Industrienacht von IHKs, Unternehmerverbänden und den Industriegewerkschaften unter der Schirmherrschaft von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Es geht um Fachkräftewerbung und darum, dass die Bürger sich mit der Industrie wieder stärker identifizieren, weshalb vielfach Werksmitarbeiter, die in der Nachbarschaft der Werke leben, die Führungen übernehmen. Letztlich will die Initiative bei Menschen aller Altersgruppen Verständnis für die Belange der Industrie wecken – jenseits der allgegenwärtigen Konflikte um Pipelines, Gentechnik oder Kraftwerksprojekte. ■ LANGE NACHT DER INDUSTRIE_

politik

Neue Mehrheiten für die Arbeitnehmer Wer Deutschland künftig regieren wird, ist noch unklar. Doch ohne die FDP dürften Arbeitnehmer-Themen künftig mehr Gehör finden. Dafür werden auch die ­Abgeordneten aus den Gewerkschaften sorgen, die wir im letzten Heft vorgestellt haben. Bundestag

Foto: Jose Giribas/picture alliance

Von Andreas Kraft, Redakteur des Magazins Mitbestimmung

CDU-WahlPlak at: Ruhe allein wird nicht helfen. Merkel muss sich bewegen.

A

m Montagmorgen um sieben Uhr klingelt bei Uwe Lagosky das Telefon. Der Betriebsratsvorsitzende der Braunschweiger Stadtwerke hat kaum geschlafen. Gestern war Bundestagswahl. Im Wahlkreis WolfenbüttelSalzgitter ist der CDUler gegen SPD-Parteichef Sigmar Gabriel angetreten. Dass es für das Direktmandat nicht reichen würde, war klar. Doch als sich der ver.di-Mann um drei Uhr von der CDUWahlparty auf den Heimweg machte, sah es danach aus, dass er es über die Landesliste schaffen könnte. Jetzt ist sein Schwager am anderen Ende der Leitung: „Das Ergebnis ist da. Herzlichen Glückwunsch zum Einzug in den deutschen Bundestag!“ Heute darf Lagos-

ky sich freuen, morgen geht es nach Berlin. In Cottbus hat am gleichen Abend Ulrich Freese ähnlich angespannt wie Lagosky die Hochrechnungen verfolgt. Für die SPD wollte der stellvertretende IG-BCE-Vorsitzende den Wahlkreis in der Niederlausitz holen. Doch auch er muss sich geschlagen geben, aber auch für ihn reicht der Listenplatz. Gegen 22.30 Uhr ist Freese sich sicher, dass er ein Büro in Berlin beziehen wird. Und seine To-do-Liste gleicht der von Lagosky aufs Haar: Beide wickeln ihre bisherigen Tätigkeiten ab, beide suchen Mitarbeiter für ihre neuen Büros, und womöglich treffen sie sich demnächst beide als Mitglieder der Regierungsfraktionen im politischen Berlin.

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Wa s aus den K andidaten wu rde , die wir im le t z ten Hef t Vorges tellt haben

Simone M a as

UWe Lagosk y (CDU)

Gabriele Katzmarek

Hans-Joachim

hessische GEW-Vorsitzenden zieht nicht für die Linke nach Berlin.

(Grüne) konnte sich in Suhl-Schmalkalden nicht durchsetzen.

verliert den Wahlkreis, schafft es aber dennoch ins Parlament.

hat ihren Wahlkreis nicht geholt, zieht über die SPD-Liste ein.

Schabedoth sitzt für

Mögliche Themen einer großen Koalition sehen beide beim Mindestlohn, der Regulierung von Leiharbeit oder dem Kampf gegen Schein-Werkverträge – und auch bei der Rente halten sie Kompromisse für möglich. Eine große Koalition könnte den Arbeitnehmern also durchaus weiterhelfen. Doch noch ist vieles offen. Etwa, ob sich die SPD-Basis davon überzeugen lässt. Sicherlich auch deshalb erhebt die SPD klare Forderungen. Für den frisch gewählten SPDAbgeordneten Hans-Joachim Schabedoth, der bislang in der IGMetall-Zentrale in Frankfurt für Grundsatzfragen der gewerkschaftlichen Politik zuständig ist, steht jedenfalls fest, dass eine große Koaltion nur möglich ist, wenn Merkel einsehe, dass sie ihre bisherige Politik nicht fortsetzen kann. „Für ihre Symbol-Politik gibt es im Bundestag keine Mehrheit mehr“, sagt Schabedoth. „Ohne einen Politikwechsel wird es nicht gehen. Jetzt muss sich zeigen, wie beweglich die Union ist.“ OFFERTEN VON LINKS_ Die Linkspartei spielt mit den Stimmungen unter den Genossen. „Mit uns könnte die SPD viel mehr für die Arbeitnehmer durchsetzen als mit der CDU“, sagt Klaus Ernst, der früher hauptamtlich für die IG Metall arbeitete. „Dass sich Gewerkschafter für eine große Koalition starkmachen, kann ich nicht verstehen.“ Und auch aus Sicht der SPD macht für den Franken eine große Koalition keinen Sinn. Die SPD müsse sich vielmehr zur Linkspartei hin öffnen. „Denen muss doch mal klar sein“, er­eifert sich Ernst, „dass sie ohne uns niemals einen Kanzler stellen werden.“ Zumindest Teile der SPD sehen das ähnlich. Die Jusos etwa fordern von der Parteispitze, endlich damit aufzuhören, Koalitionen mit der Linkspartei kategorisch auszuschließen. Auch Wolfgang Uellenberg-van Dawen, Leiter der politischen Planung bei ver.di, empfiehlt der SPD mehr Offenheit. Sie solle die Linkspartei in die Pflicht nehmen, beispielsweise in der Friedenspolitik. „Diese Ausschließeritis jedenfalls tut der Demokratie nicht gut“, sagt der ver.di-Mann. Annäherungen in Einzelfragen kann er sich gut vorstellen. So könnten SPD, Linke und Grüne schon vor

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die hessische SPD im 18. Bundestag.

C ansel KizilTepe ist über die Landesliste der Berliner SPD in den Bundestag eingezogen.

der Wahl Merkels zur Kanzlerin einen Mindestlohn ab 8,50 Euro beschließen. Yasmin Fahimi, die bei der IG BCE für die politische Strategie zuständig ist, sieht rot-rot-grüne Planspiele hingegen kritisch. Bei Arbeitnehmer-Themen gebe es viele Überschneidungen. „Aber es geht ja nicht nur um Gewerkschaftsfragen“, sagt Fahimi. In der Außen- und Sicherheitspolitik seien die Positionen der Linkspartei einfach nicht regierungsfähig. Die Diskussionen innerhalb der SPD kann sie aber durchaus verstehen. „Sicher, es darf keinen Automatismus hin zu einer großen Koalition geben“, sagt Fahimi. „Aber von der Irrationalität der Debatte bin ich doch überrascht.“ Und was ist mit Schwarz-Grün? In etlichen Punkten liegen die Parteien sehr weit auseinander, wie Beate Müller-Gemecke betont, die in der Grünen-Fraktion für Arbeitnehmerfragen zuständig ist. „Es dürfte schwierig werden, einen gemeinsamen Nenner zu finden“, sagt sie. „Bei Arbeitsmarkt- und Asylfragen, bei der Energiewende oder beim Geld. Wir werden mit Blick auf die Schuldenbremse sicher keine Kürzungsorgie mitmachen, und ob die Union zu Steuererhöhungen bereit ist, ist derzeit ziemlich unübersichtlich.“ So viel in Berlin derzeit ungewiss ist, so scheint doch eines ziemlich sicher: Deutschland wird noch einige Wochen auf seine neue Regierung warten müssen. Die SPD will jetzt mit der Union verhandeln und den Koalitionsvertrag dann ihren Mitgliedern zur Abstimmung vorlegen. Erst danach soll es um Personalfragen gehen – etwa ob Klaus Wiesehügel von der IG BAU tatsächlich Arbeitsminister wird. Bis Mitte November wird das allemal dauern. Der neue Bundestag wird bis dahin seine Arbeit aufgenommen haben. Spätestens am 22. Oktober muss er zum ersten Mal zusammentreten. Dann werden auch die frischgebackenen Abgeordneten Lagosky und Freese ihre Büros bezogen haben. Und bis dahin werden sich vielleicht auch die Gemüter in der SPD etwas beruhigt haben. Darauf hofft zumindest Freese. „Wir müssen uns rational mit einer möglichen großen Koalition auseinandersetzen“, sagt der Gewerkschafter. „Und uns dabei an den Themen orientieren. In der Opposition werden wir nichts für die Arbeitnehmer durchsetzen können.“ ■

Fotos: Die Linke, David Ausserhofer, Peter Heller, K-F Schneider, privat, Michael Hughes (v. l. n. r)

Jochen Nagel: Der

politik

So s tim mten gewerk schaf ter bei der bu ndes tagswahl

S t e i n b rü c k wä r e k n a pp K a n z le r g e wo r de n Ergebnis der Bundestagswahlen nach Gesamtwählerschaft und nach Gewerkschaftsmitgliedern (Zweitstimmen in %) Gesamtwählerschaft      ■ Gewerkschaftsmitglieder   41,5 %

CDU/CSU   32,4 %   25,7 %

SPD

  35,9 %   4,8 %

FDP

  2,5 %   8,6 %

Linke

  11,0 %   8,5 %

Grüne

  8,4 %   4,7 %

AfD

  4,5 %

Im Os t e n i s t d i e CDU d i e s tä r k s t e k r a f t, n o c h vo r de r li n k e n Zweitstimmen von Gewerkschaftsmitgliedern nach Ost- und Westdeutschland (Zweitstimmen in %) West-Gewerkschafter      ■ Ost-Gewerkschafter   32,1 %

CDU/CSU

  33,7 %   38,8 %

SPD   21,2 %   2,8 %

FDP

  1,0 %   7,0 %

Linke

  30,7 %   9,3 %

Grüne   3,9 %   4,6 %

AfD

  4,6 %

FDP u n d Li n k e s i n d d i e v e r li e r e r

Bei jüngeren Gewerkschaftern ist die CDU beliebter als die SPD

Zweitstimmen von Gewerkschaftsmitgliedern (Änderungen gegenüber der Wahl von 2009 in %)

Unterstützung von Gewerkschaftsmitgliedern für die beiden Volksparteien (Zweitstimmen in %)

18– 29 Jahre

  +2,0 %

SPD FDP Linke Grüne

30–44 Jahre

45–59 Jahre

60 Jahre und älter

  + 8,0 %

CDU/CSU

42,2 % 35,6%

36,4%

37,5%

  −7,0 %   −6,0 %

29,9 %

32,7 % 28,0%

28,5%

  −2,0 %

Quelle: Forschungsgruppe Wahlen, eigene Berechnung

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Gut organisierte Stamm­b elegschaft der meyer Werf t bei einer MITARBEITERVERSAMMLUNG, Wohnhaus der Werksvertr agnehmer

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Fotos: Michael Wessels/Meyer Werft (o.), Marc von Lüpke-Schwarz

aus Rum änien: Das ­ randunglück förderte die B hässlichen Seiten der mo­ dernen Arbeitswelt zu Tage.

wissen

Druck auf die Werftleitung Auf Drängen von IG Metall und der niedersächsischen Landesregierung kam bei der Papenburger Meyer Werft jetzt ein Haustarifvertrag zustande, der die ­Mitbestimmung ausweitet – ­gegenüber Werkverträgen und deren Missbrauch. Der Anlass: der Tod von zwei rumänischen Werkvertragsarbeitern. Globalisierung

Von MARC VON LÜPKE-SCHWARZ, Journalist in Hamburg

D

ie friedliche Idylle in der Landsbergstraße im niedersächsischen Papenburg hat Mitte Juli 2013 deutliche Risse bekommen. In einem Einfamilienhaus, das jetzt als Brandruine in den Himmel ragt, kamen zwei Menschen ums Leben. Das tragische Unglück lenkte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf verheerende Zustände. Die beiden toten Männer, 32 und 45 Jahre alt, stammten aus Rumänien und arbeiteten auf der in Papenburg ansässigen Meyer Werft – beschäftigt als Werkvertragsarbeiter bei dem Emdener Dienstleister SDS des Schiffbauunternehmens. Zahlreiche Arbeiter aus den EU-Armenhäusern Bulgarien und Rumänien sollen auf der Werft tätig sein – über Werkvertragskonstruktionen und zu Stundenlöhnen zwischen 3,50 und 5,50 Euro und Arbeitzeiten von bis zu zwei Schichten hintereinander. Die offiziellen Ermittlungen dauern an, auch darüber, ob zutrifft, dass zeitweise bis zu 30 Personen im Haus untergebracht waren. Niedrigstlöhne, Massenunterkünfte, überlange Arbeitszeiten – das Brandunglück hat die hässlichen Nebenwirkungen der modernen Arbeitswelt ans Tageslicht gezerrt. Ein „Geschwür auf dem Arbeitsmarkt“ nennt der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil, SPD, dessen Bundesland immer wieder von Skandalen um solche ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse betroffen ist, den Missbrauch von Werkverträgen. Berüchtigt war bislang vor allem die Fleischindustrie, in der Menschen aus Osteuropa im Akkord schlachten – zum Dumpinglohn und oft per Werkvertrag. Das Thema ist aber komplizierter, als es aussieht. „Man muss differenzieren“, sagt Meinhard Geiken, Bezirksleiter Küste der IG Metall. Nicht alle Werkverträge dienen dem Dumping. „Es gibt jede Menge Werkverträge, in denen ein Betrieb eine Leistung ab­fordert, über die er selbst nicht verfügt“, sagt Geiken. Gerade auch in der Werftindustrie. Für den Bau und die Fertigstellung eines Kreuzfahrtschiffes sind unterschiedlichste Arbeiten notwendig, die per Werkauftrag bei externen Dienstleistern eingekauft werden, wie beispielsweise der Einbau eines Kinosaals. Mehrere Hundert Firmen wirken so beim Bau eines KreuzfahrtSUB UND SUB UND SUB_

schiffes mit. Auch in den Augen der Gewerkschaft ein vollkommen legitimes Vorgehen. Doch es gibt auch die dunkle Seite. „Wir stellen allerdings fest, dass es mittlerweile Werkverträge gibt, die dazu benutzt werden, die Leiharbeit zu umgehen“, betont Bezirksleiter Geiken. Vor allem die Einführung eines Mindestarbeitsentgelts und tarifliche Zuschläge haben die Leiharbeit deutlich teurer werden lassen. Auch deswegen greifen manche Unternehmen gern zu Werkverträgen – gerade mit osteuropäischen Arbeitskräften, um die Kosten niedrig zu halten. IG-Metall-Bezirksleiter Geiken kritisiert die Auswüchse dieser Praxis: „Man gibt auch seine Verantwortung ab und schaut nicht mehr darauf, was der jeweilige Vertragspartner eigentlich macht. Dieser Werkvertragsnehmer gibt den eigentlichen Auftrag weiter an Sub- und Sub- und Sub-Unternehmen. Letztendlich weiß man gar nicht mehr, was für Leute eigentlich auf dem eigenen Betrieb tätig werden.“ Das schwächste Glied in der Kette des Subunternehmertums sind am Ende diejenigen, die die eigentliche Arbeit leisten – aber mit ihrer Tätigkeit das Wenigste verdienen. „Letztendlich sahnen da Subunternehmen zulasten der Beschäftigten ab“, urteilt Geiken über diese schwarzen Schafe. Noch ein weiteres Merkmal der Werkvertragsvergabe ist den Gewerkschaften ein Dorn im Auge: wenn Unternehmen reguläre Arbeitsplätze abbauen, nur um diese Arbeiten kurz darauf von Werkvertragsarbeitern erledigen zu lassen. Wie viele Menschen in Deutschland per Werkvertrag beschäftigt werden und wie hoch das Ausmaß des Missbrauchs ist, weiß kein Mensch. Eine solche Statistik existiert bislang nicht.

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Fotos: Meyer Werft (l.), Markus Scholz/IG Metall (M.), Hochschule Koblenz/Campus Remagen

EINE SOZIALCHARTA SOLL ES RICHTEN_ Für die Meyer Werft war das Brandunglück im Juli ein PR-Desaster ersten Ranges. Normalerweise hört man vor allem dann von dem Unternehmen, wenn es seine luxuriösen Amüsierschiffe aus den Papenburger Hallen unter den Augen Tausender Schaulustiger über die Ems auf die Weltmeere entlässt. Schnell erarbeitete das Unternehmen nach dem Brand eine Sozialcharta, deren Inhalt auf den ersten Blick an die Zustände in Entwicklungsländern statt an das wohlhabende und arbeitsrechtlich hochregulierte Deutschland denken lässt. Die Rede ist vom Verbot von Kinderarbeit, Zwangs-, Pflicht- sowie Häftlingsarbeit. Die Arbeitsumwelt soll in Sachen Sicherheit und Hygiene den „nationalen Standards“ genügen, die Arbeitszeit das gesetzliche festgelegte Maß nicht überschreiten. „Dies gilt ausnahmslos für alle auf der Werft arbeitenden Menschen“, heißt es – auch für Werkvertragsarbeiter, was anscheinend der besonderen Betonung bedarf. Angemessene und lebenswürdige Unterkünfte für „entsandte Beschäftigte der Nachunternehmer“ sowie einen Mindestlohn von 8,50 Euro (brutto) pro Stunde sieht die Sozialcharta der Meyer Werft ebenfalls vor. Durch einen Verhaltenskodex, den die Lieferanten der Werft in ihren Verträgen künftig unterzeichnen müssen, will das Unternehmen die Einhaltung dieser Punkte erreichen. Vieles wäre eigentlich selbstverständlich. Ansprüche weist die Werft genauso zurück wie

burger Sozialcharta meint Stasiewicz: „Dass man im Jahre 2013 in einem demokratischen Land, in dem die soziale Markwirtschaft herrschen sollte, solche Chartas schreiben muss, ist schon eine ethische Bankrotterklärung.“ Der Sozialarbeiter weiß von vielen Fällen zu berichten, in denen Osteuropäer in Massenunterkünften untergebracht sind, in Zelten schlafen und zu Dumpinglöhnen schuften. So zum Beispiel von Menschen aus Bulgarien, die für 1,80 Euro die Stunde deutsche Hotelzimmer putzen. Oder von einem Arbeiter, der statt Geld Schläge kassierte, als er seinen Lohn einforderte. „Moderne Sklaverei“ nennt Stasiewicz die Bedingungen, unter denen viele Osteuropäer in Deutschland arbeiten – fern von Heimat und Familie, rechtlos, ohne soziale Absicherung, der Sprache kaum mächtig und immer der Ehrlichkeit ihres Auftraggebers ausgeliefert.

„Mitbestimmung bei Werkverträgen fürchten andere Unternehmen wie der Teufel das Weihwasser.“

Meyer-WERFT unter Druck_ Das Brandunglück führ-

te zu einem gewaltigen Druck auf die Meyer Werft. Westefan sell , SOZIALWISSENSCHAFTLER nige Tage danach bot der IG-Metall-Bezirk Küste, der über seine Mitglieder auf dem Werftgelände eine starke Schuld. „Aus dieser Erklärung können durch Dritte Position hat, der Geschäftsführung Verhandlungen über einen Tarifvertrag keinerlei Ansprüche geltend gemacht werden“, heißt es. für die Werkvertragsbeschäftigten an. Auch der niedersächsische WirtschaftsPressesprecher Peter Hackmann betont zudem, dass die minister Olaf Lies, SPD, lud zügig am 22. Juli Gewerkschaft, Geschäftsfühbeiden rumänischen Arbeiter in ihrer Unterkunft ums Le- rung sowie den Betriebsrat der Meyer Werft zu einem Gespräch ein, als ben kamen, ihr Tod in keiner Verbindung zur Meyer Werft dessen Ergebnis alle ihre Unterschriften unter eine Vereinbarung setzten. steht. Auch eine mangelnde Aufsicht seitens des Unter- Neben der Erstellung einer Sozialcharta seitens der Meyer Werft verpflichnehmens über die Höhe der Löhne weist er zurück: „Wir tete das Dokument alle Seiten auf den Abschluss eines verbindlichen Tarifhaben von der Firma SDS eindeutig belegte Informationen, vertrags. Dem Management der Werft blieb kaum eine andere Wahl. Zu fünf Verhandlungsterminen kamen die Geschäftsführung der Meyer nicht nur mündlich, sondern auch schriftlich, was die EntWerft, die IG Metall, darunter die erste Bevollmächtigte für den Bezirk Leergeltabrechnung angeht: acht bis zehn Euro netto.“ Der Hamburger Sozialarbeiter Andrea Stasiewicz küm- Papenburg, Evelyn Gerdes, sowie der Betriebsratsvorsitzende der Meyer Werft, mert sich in seiner Beratungsstelle um diese Opfer des Thomas Gelder, zusammen – bis am 12. September die Tarifparteien ihre europäischen Arbeitsmarkts. Angesprochen auf die Papen- Unterschriften unter einen fünfseitigen Haustarifvertrag setzten: Den ersten

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wissen

SCHIFFBAU BEI DER MEYer WERFT, IG-metall-BEZIRKS­ LEITER GEIKEN (l .):

„Man weiss nicht, wer überhaupt auf dem Werksgelände tätig ist.“ Wissenschaf tler SELL (r.): „Der

neue ­Tarifvertrag ist ein ­Durchbruch.“

in Deutschland, der die Situation von Werkvertragsarbeitern regelt. Einfach war die Einigung offenbar nicht. Meinhard Geiken meint: „Die Verhandlungen waren schon hart.“ Nicht zuletzt der politische Druck der rot-grünen Landesregierung bewog Bernard Meyer als Vorsitzendem der Geschäftsführung der Meyer Werft zur Unterschrift unter den Haustarifvertrag. Das enorme Interesse seitens des Wirtschaftsministeriums lässt sich auch daran erkennen, dass der Tarifvertrag in Anwesenheit von Minister Olaf Lies in Hannover vorgestellt wurde, wie auch die erste Pressemeldung dazu aus seinem Wirtschaftsministerium kam. Olaf Lies scheint vorerst zufrieden zu sein, er sieht in dem Tarifvertrag einen „Meilenstein bei der Bekämpfung des Werkvertragsmissbrauchs“. Zwar nicht am Verhandlungstisch dabei, zeitigte der enorme Druck seitens der Landesregierung und der Öffentlichkeit, gegen ausbeuterische Arbeitsverhältnisse vorzugehen, offenbar Wirkung. LOHN von 8,50 STEHT DRIN_ Um was wurde an fünf Verhandlungsterminen

so hart gerungen? Vor allem die entscheidende Frage der Entlohnung, die in der Sozialcharta noch eine unverbindliche Absichtserklärung war, wurde jetzt auf eine verbindliche rechtliche Basis gestellt. Ein wichtiger Punkt dabei: Werkvertragsbeschäftigten, die länger als einen Monat auf dem Werftgelände tätig sind, steht laut Haustarifvertrag nun eine Entlohnung von mindestens 8,50 Euro brutto pro Stunde zu. Zusätzlich sieht der Tarifvertrag eine dauerhaft eingerichtete Beratungsstelle auf der Werft eigens für die Werkvertragsarbeiter vor. Gleich zu Beginn ihrer Tätigkeit sollen sie zudem über die Möglichkeit, Beschwerden bei dem Unternehmen einzureichen, informiert werden. Unterkünfte müssen behördlichen Vorschriften entsprechen, eigentlich eine Selbstverständlichkeit, sollte man denken. Für besondere Unruhe im Arbeitgeberlager wird aber vor allem ein weiterer Passus des Haustarifvertrages sorgen. Der Betriebsrat der Meyer Werft darf den Verantwortlichen künftig bei der Vergabe von Werkverträgen auf die Finger schauen. Die gewählte Arbeitnehmervertretung der Werft erhält so

Einblick in die Werkverträge beziehungsweise die Personal- und Stundenplanung. Der Sozialwissenschaftler und Arbeitsmarktexperte Stefan Sell, der an der Hochschule Koblenz lehrt, hält den Tarifvertrag darum neben dem garantierten Mindestbruttolohn von 8,50 Euro für einen Durchbruch: „Weil eine der wichtigsten Forderungen, nämlich die betriebliche Mitbestimmung auszuweiten auf den Bereich der Werkvertragsarbeitnehmer, mit diesem Tarifvertrag erfüllt wird.“ Ein Zugeständnis der Meyer Werft an Gewerkschaft und Betriebsrat, das bei anderen Unternehmern in Deutschland auf wenig Zuspruch stoßen dürfte. „Das fürchten die wie der Teufel das Weihwasser“, meint Stefan Sell. Würde dieser Tarifvertrag Schule machen, müssten die Unternehmen Einblicke in ihre Kalkulation gewähren. „Wir werden unsere neuen Möglichkeiten nutzen, damit ein Missbrauch von Werkverträgen verhindert wird“, zeigt sich der Betriebsratsvorsitzende der Meyer Werft Thomas Gelder kämpferisch. Eine vierköpfige, paritätisch besetzte „Arbeitsgruppe Werkverträge“ soll über die Einhaltung der Mindeststandards bei der Meyer Werft wachen. Bei Missachtungen oder Verletzungen der Bestimmungen gehen die Sank­tionsmöglichkeiten bis hin zur Kündigung eines Subunternehmens. Am 1. Oktober 2013 trat der Vertrag in Kraft. Allerdings kann ein solcher Haustarifvertrag nur ein erster Schritt zur Bekämpfung ausbeuterischer Arbeitsverhältnisse sein. Viele Unternehmen und Betriebe agieren im tariflosen Raum, auch Betriebsräte sind dort häufig unbekannt. „Da ist der Gesetzgeber gefordert“, meint Stefan Sell. ■

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Foto: Peter Himsel

Gustav Horn ist Direktor des ­Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK)

zur Sache

Gustav Horn zu den wirtschaftspolitischen Aufgaben der neuen Bundesregierung

„In der kommenden Legislaturperiode braucht Deutschland massive Investitionen in die Verkehrs­ infrastruktur, Bildung und die Energiewende.“ Noch ist unklar, welche Koalition sich ergibt. Doch im Hinblick auf die wirtschaftspolitische Agenda hat die Bundestagswahl ein klares Ergebnis hervorgebracht: Ohne die FDP dürfte vieles leichter fallen. Denn ihr dezidiert neoliberaler Kurs hat mit ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag und dem Nichteinzug der AfD ins Parlament kaum noch Anhänger. Und das ist auch gut so. Denn die anstehenden Entscheidungen sind mit neoliberalen Denkmustern nicht zu treffen. Ja, sie widersprechen ihnen sogar in vielen Fällen. Das drängendste wirtschaftspolitische Problem ist nach wie vor, die Krise des Euroraums zu überwinden. Nach den desaströsen Erfahrungen mit dem bisherigen Kurs einer neoliberalen Austeritätspolitik bedarf es eines raschen Richtungswechsels, um die Krisenländer wirtschaftlich auf die Beine zu bekommen. Hierzu gehört, dass keine weiteren Sparauflagen erfolgen, die die binnenwirtschaftliche Nachfrage immer wieder zusätzlich belasten. Dies ist auch zu rechtfertigen, da die Effekte der bisherigen Sparrunden selbst von ihren Befürwortern deutlich unterschätzt wurden. Der zweite Schritt besteht darin, sicherzustellen, dass die Volkswirtschaften der Krisenländer wieder wettbewerbsfähig werden. Sinnvoll wäre es, dort, wo es möglich ist, Lohnpakte anzubieten. In denen sollte einerseits ein Schutz vor weiteren Entlassungen angeboten werden, andererseits sollten die Löhne auf längere Sicht nur wenig steigen. Auf diese Weise verwandelt sich jeder Produktivitätsanstieg in höhere Wettbewerbsfähigkeit. Zugleich wird die Abwärtsspirale bei Löhnen und Einkommen gestoppt. Als dritter Schritt, der sich in Verbindung mit seinen positiven Wirkungen auf den Euroraum zusätzlich mit dringenden Bedürfnis-

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sen der Wirtschaft in Deutschland trifft, ist ein Programm öffentlicher Investitionen erforderlich. Aus deutscher Sicht bedarf es teilweise massiver Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, in Bildung und in die Energiewende. Dies muss im Laufe der kommenden Legislaturperiode geleistet werden. Ansonsten drohen auf Dauer erhebliche Wachstumsverluste. Ohne eine intakte Infrastruktur für Verkehr oder Energie und im Zuge des demografischen Wandels besonders gut ausgebildete Arbeitskräfte erleidet die Wirtschaft in Deutschland Wohlstandsverluste. Wichtig ist dabei, dass Deutschland frühzeitig Ressourcen schonende Pfade der wirtschaftlichen Entwicklung einschlägt, um im Kampf um knapper werdende Rohstoffe gewappnet zu sein. Ein solches Investitionsprogramm ist daher primär wegen seiner Wirkung auf die längerfristige Expansion der Wirtschaft von Bedeutung als unter konjunkturellen Gesichtspunkten. Letztere sind derzeit ohnehin aus ökonomischen und rechtlichen Gründen nicht besonders relevant, da zumindest ein bescheidenes Wachstum erwartet wird. Daher besteht vor dem Hintergrund der Schuldenbremse kein Spielraum, ein solches Programm durch höhere Schulden zu finanzieren. Folglich sind Steuererhöhungen der einen oder anderen Art unvermeidlich. Für die neue Bundesregierung ergibt sich aber noch ein weiteres wichtiges Betätigungsfeld: der Arbeitsmarkt. Hier ist vieles aus der Balance geraten. Zwar gibt es heute mehr Arbeitsplätze als vor zehn Jahren. Folglich sind auch weniger Menschen arbeitslos. Die Qualität dieser Arbeitsplätze ist jedoch vielfach zweifelhaft. So ist der Anteil der im Niedriglohnsektor Beschäftigten mittlerweile auf

aus der stiftung

europäische Rekordwerte gestiegen. Vor allem aber hat die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen in Deutschland deutlich zugenommen. Auch wenn der Trend zu immer ungleicheren Einkommen in den vergangenen Jahren aufgrund der Finanzmarktkrise zum Stillstand gekommen ist, droht diese Tendenz wieder zum Durchbruch zu kommen. Zum einen weil die Ungleichheit bei den Löhnen immer noch stark zunimmt und zum Zweiten weil die Umverteilungswirkung des Steuer- und insbesondere Abgabensystems zu schwach ist. Aus diesen Gründen sollte die kommende Bundesregierung vor allem anderen einen Mindestlohn einführen, von dem gerade die Niedriglohngruppen profitieren würden. Zugleich ist aber auch eine Reform unseres Abgabensystems in Richtung Bürgerversicherung notwendig, um die höheren Einkommen an der Finanzierung des Sozialsystems zu beteiligen. Darüber hinaus wären auch Steuererhöhungen für höhere Einkommen und Vermögen hilfreich. Die nächste Bundesregierung sollte mithin einen Weg einschlagen, der die Balance zwischen den auseinanderdriftenden Einkommen aus Arbeit und Vermögen wiederherstellt. Dann wäre wirtschaftspolitisch einiges gewonnen. ■

Foto: Karsten Schöne

WIR – DIE HANS-BÖCKLER-STIFTUNG

Drehscheibe fürs IMK Zu Europa hat Andrew Watt ein ganz besonderes Verhältnis. Der gebürtige Engländer hat in Berlin studiert und später in Freiburg gewohnt, während er in Basel seine Magisterarbeit geschrieben hat. Anschließend arbeitete er zwölf Jahre beim Europäischen Gewerkschaftsinstitut in Brüssel. Seit einem Jahr ist der Ökonom und Politikwissenschaftler Abteilungsleiter des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK). Neben eigenen Forschungen zu europäischer Wirtschaftspolitik organisiert er die Arbeit am Institut. Dazu gehört auch die Koordination der Veröffentlichungen des Instituts, nicht zuletzt die Leitung der Redaktionstreffen für den regelmäßig erscheinenden IMK-Report. Unterstützt wird er dabei von Sabine Kurzböck, die seinen gut gefüllten Terminplaner im Blick hat sowie die Reports von der Redaktionssitzung bis zur Fertigstellung organisatorisch begleitet und layoutet. ■

Abteilungsleitung IMK

Andrew Watt, Telefon: 02 11/77 78-264, [email protected] Sabine Kurzböck, Telefon: 02 11/77 78-312, [email protected]

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Fotos: Peter Frischmuth/argus

Heftige Streikdynamik In den informellen Beschäftigungssektoren nehmen die Arbeitskonflikte zu in Indien genauso wie in Italien. Auch hierzulande ist das Streikgeschehen fragmentierter, betrieblicher und weiblicher geworden, so das Fazit einer WSI-Tagung.

Internationale Tagung

Auch der Streik – als Kampfmittel um Verteilung, Teilhabe und Emanzipation – unterliegt einem Wandlungsprozess. Wie aber hat sich das Streikgeschehen in Deutschland, in Europa und weltweit verändert? Dieser anspruchsvollen Frage ging eine internationale Tagung des WSI der Hans-Böckler-Stiftung und des Zentrums für Ökonomische und Soziologische Studien (ZÖSS) der Universität Hamburg nach. WSI-Referent Heiner Dribbusch, einer der Organisatoren, benannte als einen der Treiber des Wandels den weltweiten neoliberalen Siegeszug und damit einhergehende veränderte Arbeitsund soziale Kräfteverhältnisse. Dominierte vorher die fordistische Produktion mit Großbetrieben und relativ hoch organisierter (männlicher) Arbeiterschaft, so hat sich seither ein Prozess der Informalisierung der Arbeitsverhältnisse vollzogen und damit ein weltweiter Abbau arbeitsrechtlicher Standards und sozialer Sicherheiten. Das gilt nicht nur für die reichen Länder oder die südeuropäischen Krisenländer, sondern auch für die BRICS-Staaten – Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika. So wurden die formellen Arbeitsverhältnisse in den traditionellen Industriesektoren Indiens über Jahrzehnte ausgehöhlt. In der Textilindustrie der Region Bombay wurde formelle Arbeit abgebaut und die Produktion an anderer Stelle in neuen, eigentumsrechtlich aufgesplitterten Produktionsstätten mit ungelernten Migranten aus

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dem unerschöpflichen Arbeitskräftereservoir der ländlichen Bevölkerung wieder aufgebaut. Ravi Ajuha vom Göttinger „Centre for Modern Indian Studies“ stellte die Folgen dar: Elendslöhne, informelle, ungesicherte Arbeitsverhältnisse, weitgehend unorganisierte Belegschaften. Traditionelle Gewerkschaften verloren Einfluss, auch wenn die von ihnen erkämpften sozialen Standards eine Vorbildfunktion behalten haben. In den informellen Beschäftigungssektoren nehmen Arbeitskonflikte oft die Form spontaner Revolten an, mit unübersichtlichen, flüchtigen Gruppenbildungen und deutlich höherem Gewaltpotenzial. Ob daraus langfristig eine organisierte gewerkschaftliche Bewegung hervorgeht, ist nicht abzusehen. Auch in China verlieren die staatlichen Großbetriebe einschließlich der parteieigenen Gewerkschaftsorganisationen an Bedeutung. Dafür schießen weltmarktorientierte Produktionsstätten in küstennahen Sonderwirtschaftszonen aus dem Boden. Die Beschäftigten sind meist Wanderarbeiterinnen und Wanderarbeiter aus dem Binnenland, häufig in Wohnheimen untergebracht. Angesichts der oft katastrophalen Arbeits- und Lebensbedingungen steigt die Zahl der betrieblichen und überbetrieblichen Arbeitskonflikte, wie der ChinaExperte Daniel Fuchs von der Universität Wien erklärte. Darauf lässt der deutliche Anstieg von sogenannten Massenvorfällen und Schiedsfällen schließen. Die offiziellen Gewerkschaften spielen dabei

aus der stiftung

m ario becksteiner (l .) und Kristin c arls vom mit ver anstalter zöss:

Reaktionen auf den weltweiten Abbau ­arbeitsrechtlicher Standards und sozialer ­Sicherheiten Referent R avi Ajuha (m .): Spontane

Revolten im informellen Sektor in Indien

kaum eine Rolle. Die Staatsführung gewährt jedoch informellen Gruppierungen einen gewissen Spielraum, sodass sich in den letzten Jahren eine Schicht von erfahrenen Streikaktivisten herausbilden konnte. Ihrem Wirken ist es zu verdanken, dass 2008 ein sogenanntes Arbeitsvertragsgesetz erlassen wurde, mit dem zum Beispiel Befristungen eingeschränkt wurden. Neue Aktionsformen_ Obwohl sich die soziale Situation in allen südeuropäischen Krisenländern deutlich verschlechtert hat, gab es nicht überall mehr Streiks. In Italien fehlen im Gegensatz zu früheren Jahren Massenstreiks in der Industrie, wie Mitveranstalterin Kristin Carls vom ZÖSS berichtete. Die Arbeitskämpfe sind fragmentiert, haben sich auf Kleinunternehmen und auf Bürgerproteste außerhalb der Arbeitssphäre verlagert. Ein Beispiel für selbst organisierte neue Streiktaktiken sind die Aktionen in den Logistik-Kooperativen Norditaliens, von denen Anna Curcio vom linken Kollektiv „Uninomade Bologna“ berichtete. Die oft prekär beschäftigten Migranten, zusätzlich von latentem Rassismus und Abschiebung bedroht, haben 2012 und 2013 ohne gewerkschaftliche Unterstützung die wichtigsten Transportstrecken des norditalienischen Wirtschaftsraums blockiert. Mit Erfolg: Die Arbeitsbedingungen und der arbeitsrechtliche Status der Beschäftigten wurden verbessert. In Griechenland richten sich Streikaktivitäten vor allem gegen die nationale und europäische Politik. Seit Ausbruch der Schuldenkrise hat es, so referierte Mario Becksteiner vom ZÖSS, nicht weniger als 38 Generalstreiks gegeben – wobei offenblieb, was die griechischen Gewerkschaften unter Generalstreik verstehen: den landesweiten Streik aller Beschäftigten oder den allgemeinen Aufruf zur Demonstration während der Arbeitszeit. Jedenfalls handelt es sich um politische Streiks gegen die dem Land aufgezwungene neoliberale Umgestaltung. Adressaten sind die griechische Regierung und die europäischen bzw. internationalen Institutionen. Diese aber sind weit weg und waren bislang durch die Mobilisierung der Bevölkerung kaum zu beeinflussen.

In Deutschland ist, wie Heiner Dribbusch referierte, der Streik an strikte Regeln gebunden. Beschäftigte dürfen die Arbeit nur dann niederlegen, wenn sie dazu von einer Gewerkschaft im Rahmen einer Tarifauseinandersetzung aufgefordert wurden. Politische Streiks sind verboten und werden – auch im Selbstverständnis der Gewerkschaften – nur in höchster Not eingesetzt. Zwar hat es auch in der Bundesrepublik politische Streiks gegeben, etwa die sogenannten Willy-Streiks 1972 anlässlich des gescheiterten Misstrauensvotums gegen SPD-Kanzler Willy Brandt oder die spontanen Arbeitsniederlegungen in Großbetrieben 1996, als die Kohl-Regierung die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall einschränken wollte. Aber in der Regel sind Streiks eingebunden in Tarifkonflikte der traditionellen Industrien, etwa der Metall- oder Druckindustrie. Für Deutschland werden zwar immer noch die meisten streikbedingten Ausfalltage durch die großen Arbeitskämpfe im Organisationsbereich der IG Metall gezählt, aber bei der Anzahl der Streiks gibt es eine deutliche Verlagerung in den Dienstleistungsbereich, also zu ver.di. Ursache sind das Anwachsen des Dienstleistungsbereichs und die Ausweitung prekärer Beschäftigung, also die Aufkündigung der Sozialpartnerschaft durch einen Teil der Arbeitgeber. Das Streikgeschehen in Deutschland ist fragmentierter, betrieblicher und, entsprechend der Zusammensetzung der Belegschaften im Dienstleistungsbereich, weiblicher geworden. Gleichzeitig ist der früher typische „Tapezierstreik“, den die Beschäftigten für den Rückzug ins Eigenheim und Renovierungsarbeiten nutzten, dem Beteiligungsstreik gewichen, den die Beschäftigten selbst gestalten. Sie verstärken durch spontane Aktivitäten die öffentliche Wahrnehmung und damit den Druck auf die Arbeitgeber. Und sie streiken oft nicht nur für materielle Verbesserungen, sondern – etwa in den Pflegediensten, Krankenhäusern oder Kindertagesstätten – für gute Arbeit, also gegen die Verletzung ihres Berufsethos durch die Arbeitgeber.  ■ Von MARTIN KEMPE, Journalist in Hamburg

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Update für Betriebsratswahlen 2014 Wie haben sich die Rechtsgrundlagen für die Betriebsratswahlen verändert? Das diskutierten Experten aus Betrieben, Gewerkschaften und Anwaltskanzleien genauso wie mögliche Behinderungsstrategien der Arbeitgeber.

FACHGESPRÄCH

Foto: Ulrich Baatz

Zwar regelt das Betriebsverfassungsgesetz die Modalitäten einer Betriebsratswahl, aber sie korrekt durchzuführen ist selbst für Mitbestimmungsroutiniers eine anspruchsvolle Aufgabe. Von daher war es das erklärte Ziel eines Fachgesprächs der Hans-Böckler-Stiftung, betriebliche wie gewerkschaftliche Praktiker und Juristen mit Informationen zu versorgen – über mögliche Fallstricke und die aktuellen Rechtsgrundlagen für die Betriebsratswahlen 2014. Eingeladen hatten die Arbeitsrechtsexperten der Stiftung, Andreas Priebe aus der Mitbestimmungsförderung und Nadine Zeibig vom WSI, und 85 Interessierte kamen. Neun aktuelle Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) stellte die Fachanwältin für Arbeitsrecht Stefanie von Halen vor. Besonders nachhaltig verändert eine BAG-Entscheidung vom März die Rechtslage: Bei der Bemessung, wie groß ein Betriebsrat sein muss, zählen die Leiharbeitnehmer der Belegschaft künftig mit. Da diese ab einer dreimonatigen Betriebszugehörigkeit wahlberech-

tigt sind und vom Betriebsrat vertreten werden, entstehe dem Gremium mehr Arbeit, argumentierte das BAG. Wie heikel eine EDVgestützte Wahl sein kann, zeigte das Urteil zur Betriebsratswahl bei VW in Hannover. Dort hatte es mehr Stimmen als registrierte Wähler gegeben. Die Berechtigung zur Stimmabgabe war durch Einscannen eines Barcodes auf dem Werksausweis und einen Vermerk auf der Wählerliste kontrolliert worden, aber das Computersystem patzte und gab nicht alle gescannten Codes weiter. Obwohl diese Unregelmäßigkeit keinen entscheidenden Einfluss auf das Wahlergebnis hatte, erklärte das BAG die Wahl für anfechtbar. Ob ein Fehler eine Wahl im Nachhinein anfechtbar oder gar nichtig macht, führe zu unterschiedlichen Konsequenzen, erläuterte der Fachanwalt für Arbeitsrecht Christopher Koll bei seinem Überblick über häufige Fehler im Verfahren. „Wenn sie nur anfechtbar war, wirkt das nicht zurück“, erklärte er. „Aber wenn die Wahl nichtig war, ist es so, als hätte es nie einen Betriebsrat gegeben.“ Das könne dramatische Folgen haben. „Eine fehlerhafte Wahl nutzt immer dem Arbeitgeber“, betonte Koll. Seiner Erfahrung nach der häufigste Fehler: eine zu kurze Frist zur Einreichung der Wahlvorschläge. Diese betrage genau zwei Wochen ab Aushang des Wahlausschreibens und dauere exakt bis 24 Uhr des letzten Tages dieser Frist. Den hohen Einfluss, den der Betriebsbegriff für die korrekte Wahl eines Betriebsrats hat, führte die Juristin Ingrid Heinlein vor Augen: Was heißt im juristischen Sinne Betrieb, was Unternehmen, was Konzern, was Hauptbetrieb, was Betriebsteil – und welche Auswirkungen hat das? „Hier können schwere Fehler passieren“, mahnte die Juristin. Aus der verbreiteten Praxis der Be- und Verhinderung von Betriebsratsarbeit berichteten Martin Behrens vom WSI und Walter Scheuer, ehemaliger NGG-Gewerkschaftssekretär. Scheuer gab einen Einblick, wie er Beschäftigten beim vereinfachten zweistufigen Wahlverfahren half. „Es ist wichtig, dass vor der Wahlversammlung alles vertraulich bleibt“, betonte er. Sonst sei die Gefahr von Entlassungen zu groß. Zur Kündigung müsse der Arbeitgeber meist nicht greifen, um Betriebsratswahlen zu verhindern, berichtete Martin Behrens. Ergebnisse eines Forschungsprojektes über Betriebsratsbashing zeigten, dass es in den prekären Beschäftigungsstrukturen des Handels ausreiche, mögliche Kandidaten einzuschüchtern und ihnen Druck zu machen. Aber auch im verarbeitenden Gewerbe sei Betriebsratsbashing längst angekommen.  ■

Arbeitsrechtsexperten von halen, zeibig, priebe, stoppkot te, heinlein, koll , scheuer ( v. l .): Betriebsratswahlen bringen selbst Mitbestimmungsroutiniers ins Schwitzen.

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Von CARMEN MOLITOR, Journalistin in Köln

aus der stiftung

TIPPS & TERMINE

RHEIN - MAIN - RUNDE Die Veranstalter laden zur Diskussion mit dem österreichischen Schriftsteller Robert Menasse über sein aktuelles Buch „Der europäische Landbote“ ein, das von der Friedrich-Ebert-Stiftung zum politischen Buch 2013 gekürt wurde.

AM 17. OKTOBER

FREMDFIRMEN AUF DEM WERKSGELÄNDE Seit Leiharbeit nicht zuletzt durch gewerkschaftliches Engagement zunehmend reguliert wird, weichen Unternehmer vermehrt auf Werkverträge zur Kostensenkung aus. Die Veranstaltung nimmt diese Entwicklung in den Blick.

AM 25. OKTOBER

EUROPÄISCHE INDUSTRIE P OLITIK Der dritte Workshop der Reihe „Mitbestimmung und Industriepolitik“, die in Kooperation mit IG Metall und IG BCE organisiert wird, rückt den europäischen Kontext in den Mittelpunkt. Es beteiligen sich Betriebsräte aus sechs Unternehmen. NACHHALTIGE LEBENSMITTELINDUSTRIE Die Tagung will Fragen nachgehen, die sich rund um das Thema gute Arbeit und ökologischer Wandel in der Lebensmittelindustrie stellen – immerhin der viertgrößte Industriezweig hierzulande.

RE PRÄSENTATIONEN DER ARBEIT Im Rahmen des interdisziplinären Kooperationsprojektes von HansBöckler-Stiftung und dem Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung zur Gewerkschaftsgeschichte wird das Thema Arbeit aus verschiedenen kulturellen Blickwinkeln betrachtet. RISIKOMANAGEMENT IM UNTERNEHMEN Die Veranstaltung für Aufsichtsratsmitglieder geht den Fragen nach, wie Unternehmen ihre Risiken managen und welche Aufgaben dem Aufsichtsrat in diesem Zusammenhang zufallen.

VERANSTALTUNG IN FRANKFURT/MAIN

FACHTAGUNG IN DORTMUND

KONFERENZ VOM 28. BIS 29. OKTOBER IN BRÜSSEL

FACHTAGUNG AM 4. NOVEMBER IN KREUZTAL

FACHTAGUNG VOM 7. BIS 8. NOVEMBER IN DÜSSELDORF

TAGUNG AM 13. NOVEMBER IN ESSEN

Rhein-Main-Runde Renate Hebauf Telefon: 069/43 78 58 [email protected]

Hans-Böckler-Stiftung Stephanie Telaar Telefon: 02 11/77 78-633 [email protected]

Hans-Böckler-Stiftung Katharina Jakoby Telefon: 02 11/77 78-124 [email protected]

Hans-Böckler-Stiftung Steffi Nohl Telefon: 02 11/77 78-123 [email protected]

Hans-Böckler-Stiftung Stephanie Telaar Telefon: 02 11/77 78-633 [email protected]

Hans-Böckler-Stiftung Alexander Sekanina Telefon: 02 11/77 78-168 [email protected] (Betreff: Risikomanagement)

* Weitere Veranstaltungstipps unter www.boeckler.de und Fachtagungen für Aufsichtsräte unter www.boeckler.de/29843.htm

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PROMOTIONSKOLLEG

Foto: Universität Erlangen

Lernorte und Bildungslandschaften

Pädagogik-Professorin Annette Scheunpflug (r.) eröffnet das Promotionskolleg „Bildung als Landschaft“.

Es war großer Bahnhof: Mit über 100 Gästen aus Hochschulen, Bildungsinstitutionen und Politik wurde das neue Promotionskolleg „Bildung als Landschaft“ an der Universität Erlangen-Nürnberg eröffnet. Den Festvortrag über „Bildungslandschaften – eine Herausforderung für die Bildungsforschung“ hielt Thomas Rauschenbach, Direktor des Deutschen Jugendinstituts. Acht Promotionsstipendidaten der Hans-Böckler-Stiftung werden sich in ihren Dissertationen – gemeinsam mit assoziierten Promovierenden- mit dem Zusammenspiel von formellen und informellen Lernorten befassen

(www.bildungslandschafterforschen.de). Das Kolleg ist das zweite in der Promotionsförderung der Stiftung, das durch die Kooperation der beteiligten Universitäten und Fachhochschulen einen Beitrag zur Durchlässigkeit des Hochschulsystems leistet. Denn es wird auch qualifizierten Fachhochschulabsolventen die Möglichkeit zur Promotion in einem Kollegverbund eröffnet. „Die Zusammenarbeit wird von uns allen als partnerschaftlich, anregend und als persönlicher Gewinn wahrgenommen“, erklärt die Sprecherin des Kollegs Pädagogik-Professorin Annette Scheunpflug. ■

Forschungsförderung

Forschungsberichte neu gestylt Der Forschungsinformationsdienst (FID) erscheint jetzt in neuem Layout. Die Broschüre sieht damit nicht nur schicker aus, auch die Lesefreundlichkeit wurde deutlich verbessert. Entlang der sechs Forschungsschwerpunkte informiert der FID über laufende oder abge-

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schlossene Forschungsprojekte aus der Förderung der Hans-BöcklerStiftung. Der FID kann über die Homepage der Stiftung kostenlos bestellt oder direkt heruntergeladen werden. ■ http://www.boeckler.de/4175.htm

aus der stiftung

FOR SCHUNGSFÖRDERUNG

Arbeitnehmerbeteiligung global

Foto: Michaela Kuhnhenne

Sie präsentierten und verglichen zwei nach Südafrika exportieren, wo ein SysTage lang Formen von Arbeitnehmertem von Shop Stewards und andere kulpartizipation im Betrieb – etwa in Russturelle Traditionen existieren. Den Erland, Großbritan­nien, Korea, Brasilien fahrungsaustausch organisiert haben und Südafrika.Wissenschaftler aus allen Stefan Berger, Direktor des Instituts für Kontinenten trafen sich vom 21. bis 23. soziale Bewegungen in Bochum, LudAugust in Bochum zu einer Konferenz ger Pries, Soziologie-Professor an der über „Workers’ Participation at Plant Ruhr-Universität und Manfred Wannöffel, der Leiter der gemeinsamen ArLevel. An International Comparison“, um beitsstelle von RUB und IG Metall. Finationale Besonderheiten der Arbeit- Wissenschaftler aus aller Welt in Bochum nanziell unterstützt wurde er von HBS, nehmerbeteiligung zu identifizieren und zu diskutieren. „Dabei wurde klar, wie stark die Partizipations- FES und VW, wo die Wissenschaftler bei einem Werksbesuch in modelle national und historisch verankert sind“, sagt Michaela Wolfsburg auch das deutsche Mitbestimmungssystem kennenKuhnhenne, die den Erfahrungsaustausch von Seiten der Stiftung lernten. Eine englischsprachige Dokumentation wird demnächst in koordiniert hat. So könne man deutsche Vorstellungen nicht einfach der Reihe „History of Social Movements“ erscheinen. ■

MITBESTIMMUNGSFÖRDERUNG

IMK

Keynesianer-Treff

Norbert Kluge, 58, ist seit Anfang Oktober neuer Leiter der Abteilung Mitbestimmungsförderung. Für seine neue Aufgabe ist der promovierte Sozialwissenschaftler bestens vorbereitet: Er vereint Erfahrungen in der Mitbestimmungspraxis mit profundem Forschungswissen über die Mitbestimmung. So hat er zuletzt die Arbeit des Betriebsrats beim Edelstahlhersteller Outokumpu Nirosta koordiniert und war davor in der gleichen Funktion beim Eurobetriebsrat von ThyssenKrupp. Mitte der 90er Jahre leitete er das wissenschaftliche Sekretariat der „Kommission Mitbestimmung“, die – anNorbert Kluge geregt und getragen von Hans-Böckler- und Bertelsmann Stiftung – Entwicklungstendenzen und Problemfelder identifizierte sowie praxisnahe Problemlösungen präsentierte. „Ohne starke Gewerkschaften kann auch die starke deutsche Mitbestimmung wenig bewirken“, sagt Kluge. Für seine künftigen Aufgaben kann er nicht zuletzt auch auf Ergebnisse eigener Forschungen am Europäischen Gewerkschaftsinstitut (ETUI) in Brüssel zurückgreifen, in denen er die verschiedenen Spielarten der Beteiligung von Arbeitnehmervertretern in den Entscheidungsgremien der Unternehmen in den EU-Mitgliedstaaten untersucht hat. Kluge hat sich viel vorgenommen: „Die Stiftung muss noch stärker zur Anlaufstelle für die Interessenverteter in den Betriebs- und Aufsichtsräten sowie für die Arbeitsdirektoren werden, wo sie Unterstützung und Antworten auf ihre handfesten, praktischen Fragen erhalten.“ ■

Rund 40 Studierende und Promovierende diskutierten bei der Summer School des Forschungsnetzwerks Makroökonomie und Makropolitik (FMM) mit international renommierten Wirtschaftswissen­schaftlern über europäische Wirtschaftspolitik und keynesianische Makroökonomik. In der Bildungsstätte der IG Metall am Pichelssee in Berlin hörten die Teilnehme­ rinnen und Teilnehmer in der letzten Juli-Woche Überblicksvorlesungen unter anderen von Steven Fazzari von der Washington University, St. Louis, Eckhard Hein von der Hochschule für Wirtschaft und Recht, Berlin und Marc Lavoie von der University of Ottawa. Die Teilnehmer der IMK-Summerschool diskutierten lebhaft in Arbeitsgruppen, wie auch im Rahmen einer Podiumsdiskussion über die Zukunft des Euro. Zudem stellten junge Ökonomen eigene Projekte vor. Das Forschungsnetzwerk wird von der Hans-Böckler-Stiftung finanziell unterstützt. Andrew Watt und Till van Treeck vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) sind Mitglied in der Koordinierungsgruppe des FMM. ■

Foto: Ulrich Baatz

Mit e­ uropäischem Horizont

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ein Herz schlägt für den Stahl.“ Die Frau, die das sagt, trägt keine Schutzkleidung und bekommt die Glut der Hochöfen nur manchmal zu Gesicht: Das nächste Hüttenwerk liegt von ihrem Berliner Büro gut 100 Kilometer entfernt im brandenburgischen Eisenhüttenstadt. Doch der Werkstoff Stahl bewegt die 42-jährige Politikexpertin. „Über 2000 neue Stahlsorten wurden in den vergangenen zehn Jahren entwickelt“, schwärmt sie für die Innovationskraft der Branche, die schon lange nicht mehr „old economy“ ist. „Manager Public and Governmental Affairs“ steht auf ihrer Visitenkarte, eine Tätigkeit, zu der Öffentlichkeitsarbeit ebenso gehört wie Informationsaustausch und

Die Stahlfrau Kathleen Kollewe ist Public-Affairs-­ Managerin bei ArcelorMittal. Immer im Blick: gute Argumente für die Stahlindustrie.

PORTRÄT

Von K arin Hirschfeld, Journalistin in Berlin

Kontaktpflege zu Politik, Verbänden und Verwaltungen. Vor fünf Jahren kam Kollewe zu ArcelorMittal, dem größten Stahlproduzenten weltweit, der hierzulande mit knapp 8000 Beschäftigten in Bremen, Hamburg, Duisburg und Eisenhüttenstadt produziert. Anfangs arbeitete die quirlige Frau, die in ihrer offenen Art kaum dem Klischee des glattzüngigen Lobbyvertreters entspricht, im Personalbereich, angebunden an die montanmitbestimmte Institution des Arbeitsdirektors, in der Kollewe eine besondere Stärke der Branche sieht. Nun ist sie Public-Affairs-Managerin und befasst sich insbesondere mit Industrie-, Klima- und Energiepolitik. Derzeit stehen der Emissionshandel auf der Agenda, der Anreize zur Begrenzung des CO2-Ausstoßes setzt und das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). „Viele Konzepte sind umwelt- und energiepolitisch gut gemeint, aber in der konkreten Umsetzung problematisch.“ So mahnt die Stahlbranche technisch realisierbare Reduktionsziele beim Schadstoffausstoß an und befürchtet Standortnachteile im globalen Wettbewerb. Zugleich streben die Unternehmen nach verbesserten Rahmenbedingungen für umweltfreundliche Innovationen – zum Beispiel bei der Verstromung von Reststoffen im Produktionsprozess.

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Foto: Bernd Geller

aus der stiftung

Zu Kathleen Kollewes Ansprechpartnern zählen Verbände sowie Referenten des Bundesumwelt- und Wirtschaftsministeriums ebenso wie Abgeordnete des Bundestags. „Ich sehe mich als Vermittlerin und Brückenbauerin“, sagt Kollewe, „denn Politiker sind auf Expertise aus der Wirtschaft angewiesen.“ Als studierte Politikwissenschaftlerin und Volkswirtin spricht sie die Sprache beider Welten. Die Analyse des politischen Rahmens nimmt einen großen Teil ihres Arbeitsalltags ein – ob es nun um Kosten der Reststoffverstromung geht oder potenzielle Jobeffekte der EEGUmlage. Vom „Power-Lobbying“ aber, bei dem Entscheidungsträger regelrecht belagert werden, grenzt Kollewe sich ab: „Zu unserer Arbeit gehört der Respekt vor der Willensbildung unseres Gegenübers. Da hilft aufdringliches Intervenieren nicht.“ Auch auf Abendveranstaltungen ist sie kaum anzutreffen: „Wir machen keine Deals bei einem Glas Bier.“ Als Mutter eines vierjährigen Sohnes kommt ihr das sehr entgegen: „Die Stunden nach dem Kindergarten gehören dem Jungen.“ Später am Abend arbeitet sie dann oft am Computer weiter – ein mitunter anstrengendes Arrangement, das sie aber durchaus positiv bewertet: „Die männergeprägte Präsenzarbeitszeit aufzubrechen ist ein wichtiger Schritt hin zu mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf.“ In Wurzen bei Leipzig geboren, wuchs Kollewe in einem einfachen Elternhaus auf. Ihre Mutter war ungelernte Anwalts­ sekretärin, der Vater Schlosser in der Maschinenfabrik Wurzen. „Er brachte mir das Schweißen und Löten bei. Und er nahm mich mit in die Eisengießerei.“ Dort sah das junge Mädchen begeistert, wie die Sandformen entstanden und das Eisen unter sprühenden Funken hineingegossen wurde. Eine prägende Erfahrung. Doch zunächst lernte sie den Erzieherinnenberuf und war ehrenamtlich in der Kinder- und Jugendhilfe tätig. Als sie sich entschied, auf dem zweiten Bildungsweg das Abitur zu machen, fiel ihr Blick auf ein Poster der Hans-Böckler-Stiftung. Sie bewarb sich und war von da an mehrfach Stipendiatin – vom Abitur über das Studium in Berlin bis zur anstehenden Promotion – Kollewe promoviert derzeit über Corporate Social Responsibility. Sie war auch Praktikantin beim Europäischen Metallgewerkschaftsbund und am Europäischen Gewerkschaftsinstitut, wo sie sich mit Industriepolitik und Mitbestimmung befasste – Themen, denen sie treu blieb. Kathleen Kollewe trat in die IG Metall ein und engagierte sich bei der Hans-Böckler-Stiftung in Stipendiatengruppen, Auswahlausschüssen und im Kuratorium. „Die Gremienarbeit hat mich sehr geprägt: Ich lernte, wie man konstruktiv streitet, und habe sehr interessante Menschen getroffen“, betont die heutige Publc-Affairs-Vertreterin von Arcelor Mittal. Freizeit? Wenn sie sich mal so richtig entspannen will, zieht es Kathleen Kollewe nicht unbedingt in den Wald. Auf einer Anhöhe sitzen, ein Stahlwerk vor Augen – einen erhebenderen Anblick gebe es für sie nicht. ■

ALTSTIPENDIATEN STIFTUNG aus derDER stiftung

PR-Vertreterin Kathleen Kollewe vor dem Stahlwerk von ArcelorMittal in Eisenhüttenstadt:

„Man muss zwischen Wirtschaft und Politik übersetzen.“

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Wegmarken einer Disziplin Von der „Polarisierungsthese“ bis zur „innovativen Arbeitspolitik“: Der Industriesoziologe Michael Schumann lässt gewerkschaftlich-wissenschaftliche Debatten Revue passieren.

RÜCKSCHAU

Von Walther Müller-Jentsch, emeritierter Professor für Soziologie an der Universität Bochum

Michael Schumann: Das Jahr­ hundert der Industriearbeit.

Soziologische Erkenntnisse und Ausblicke. Mit einem Nachwort von Klaus Dörre. Weinheim und ­Basel, Beltz Juventa-­Verlag 2013. 200 Seiten, 19,95 Euro

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Ein relativ schmaler Band will Auskunft über ein und nicht zuletzt die „innovative Arbeitspolitik“, Jahrhundert Industriearbeit geben und zugleich das die für teilautonome Gruppenarbeit und Entfaltung Lebenswerk eines bedeutenden deutschen Indust- beruflicher Fähigkeiten steht. Sie alle wurden – keiriesoziologen dokumentieren. Wie ein distanzierter neswegs kritiklos – von der industriesoziologischen Rückblick auf eine vergangene Arbeitswelt liest Zunft, aber auch von Gewerkschaftskreisen aufsich dieses Buch des seit Jahrzehnten als Spiritus gegriffen und breit diskutiert. Selbst sprachlich Rector am Soziologischen Forschungsinstitut (SOFI) waghalsige Wendungen – etwa die vom „Credo der in Göttingen noch immer tätigen Sozialforschers neuen Produktionskonzepte“ –, auf die Schumann Michael Schumann. Für die aktuelle Publikation nun wieder zurückgreift, bereicherten das metahat der 2002 emeritierte Professor aus fünf großen phernarme industriesoziologische Vokabular. Abgeschlossen wird die historische Textsammund gewichtigen Untersuchungen, an denen er maßgeblich beteiligt war und die seinerzeit die Pro- lung mit einem langen Nachwort Klaus Dörres. fession mit großem Respekt aufnahm, zentrale Aus intimer Kenntnis skizziert der ehemalige Mitarbeiter, heute tätig als Soziologieprofessor an der Abschnitte ausgewählt. Am Anfang steht das Forschungsprojekt „Indust­ Uni Jena, die Persönlichkeit Schumanns, seinen riearbeit und Arbeiterbewußtsein“ (1970/1973), Teamgeist und kooperativen Arbeitsstil, bevor er gefolgt von der Werftstudie (1982) über „Das Ende sich dem „Göttinger Ansatz“ zur Industriesoziologie der Arbeitsteilung?“ (1984) und den „Trendreport nähert. Als zentral für das wissenschaftliche Denken Rationalisierung“ (1994), endend mit der Unter- Schumanns identifiziert er das Konzept der „Arsuchung über das VW-Projekt „Auto 5000“ (2006). beitspolitik“, deren Ausgestaltung nicht nur vom Vorangestellt ist diesen Texten eine Einleitung, in Niveau der technisch-organisatorischen Produktivder die Entwicklung von Industrie und Industrie- kräfte, sondern auch durch Prozesse politischer arbeit kursorisch am Beispiel der Autoindustrie Kompromissbildung auf Betriebsebene bestimmt geschildert wird. Sie war Michael Schumanns wich- werde. So könne man Schumanns letzte VW-Untigstes empirisches Untersuchungsfeld; seine Sicht tersuchung als „einen Praxistest für die Arbeitspoauf andere Industriezweige lässt eine vergleichbare litik-These“ verstehen. „Geradezu trotzig“ habe er „an der Möglichkeit eines progressiven RationaliTiefenschärfe vermissen. In gedrängtem Abriss wird dem Leser noch ein- sierungskompromisses zugunsten einer innovativen mal vor Augen geführt, was Schumann in konge- Arbeitspolitik festgehalten“, schreibt Dörre mit nialer Zusammenarbeit mit Horst Kern und später unüberhörbar kritischem Unterton. mit jüngeren Kollegen zum Erkenntnisstand der Wer sich über einen Hauptstrang der deutschen deutschen Industriesoziologie beigetragen hat. Dazu Industriesoziologie in der zweiten Hälfte des letzten zählen die „Polarisierungsthese“ über die Qualifi- Jahrhunderts einen informativen Überblick verkationsentwicklung der Industriearbeit (derzufolge schaffen will, der findet in diesem Band ein komdie fortschreitende Automatisierung die Arbeiter- primiertes Resümee – freilich nur über einen schaft in einen kleineren Teil von Hochqualifizierten Hauptstrang. Die Forschungsinstitute in München und einen größeren Teil von unqualifiziert Arbei- und Frankfurt bereicherten die damals noch als tenden aufspalten würde) wie auch die „neuen Pro- Königsdisziplin der Soziologie geltende Industrieduktionskonzepte“, die einen Bruch mit der tay- soziologie mit ihren eigenen Paradigmen. Aber das loristisch-fordistischen Arbeitsteilung anzeigten, ist eine andere Geschichte. ■

medien

Auf jung getrimmt Peter Pugh und Chris Garratt: KEYNES – EIN SACHCOMIC. Überlingen, Tibia­Press Verlag 2012. 176 Seiten, 10,00 Euro

Wer der Auffassung ist, dass in wirtschaftspolitischen Diskursen die makroökonomische Sichtweise häufig unterbelichtet ist, sollte eigentlich jeden Beitrag willkommen heißen, der John Maynard Keynes und seine Theorien bekannter macht. Keynes’ Hauptwerk, seine „Allgemeine Theorie“, ist kein einfaches Buch. Viele Versuche wurden unternommen, es verständlicher darzubieten. Von John Hicks und seinem berühmt gewordenen IS-LM-Diagramm bis hin zu unzähligen Lehrbüchern. Aber lassen sich Keynes und seine Ideen in Form eines Comics darstellen und damit einem breiten Publikum sachgerecht näherbringen? Der britische Autor Peter Pugh und Illustrator Chris Garratt haben gar nicht erst versucht, in ihren Sachcomic viele Details über die Keynes’sche Theorie hineinzupacken. Sie beschränken sich im Wesentlichen auf zwei Aspekte: auf die Biografie von Keynes sowie auf den Einfluss der Keynes’schen Ideen auf die Wirtschaftspolitik der USA und Großbritanniens und die dadurch ausgelösten Kontroversen mit den Monetaristen. Grafisch ist das Buch durchaus gelungen. Auch wenn Sprechblasen und SchwarzWeiß-Zeichnungen nicht jedermanns Sache sein dürften. Jüngere Leser sind wohl eher das Zielpublikum eines solchen Comics. Diese werden jedoch den früheren britischen Premierminister John Major nicht unbedingt kennen, der häufiger erscheint. Dies liegt daran, dass der deutsche Band eine unveränderte Übersetzung der bereits 1993 erschienenen englischen Originalausgabe ist. Dass in den letzten 20 Jahren viel passiert ist, wird in den Passagen zur Geld- und Währungspolitik besonders deutlich. Statt um den Euro und die Europäische Zentralbank dreht sich hier alles um das längst untergegangene Europäische Währungssystem und die damalige geldpolitische Dominanz der Bundesbank in Europa. Das aktualisierte, aber etwas wirre Nachwort kann diesen Mangel nicht heilen. Das Büchlein erfüllt dann seinen Zweck, wenn es jüngere Leser neugierig macht und zu informativerer Lektüre anregt. Neben den Klassikern von Hansen und der exzellenten Biografie von Robert Skidelsky dienen dazu auch die leicht zugänglichen Beiträge der Keynes-Gesellschaft im Internet. ■ Von Hagen Krämer, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Karlsruhe, Gründungsmitglied der Keynes-Gesellschaft

Foto: Edith Stenhuys/Speakers Academy

DREI FRAGEN AN …

… MICHAEL BRAUNGART, Verfahrenstechniker und Chemiker,

der mit Co-Autor William McDonough das Cradle-to-CradleKonzept entwickelte, das auf Öko-Rohstoffen basiert.

SIE SAGEN, DIE DEUTSCHEN SEIEN IN UMWELTDINGEN ZU ROMANTISCH. WAS MEINEN SIE DAMIT? Die Deutschen haben den Wald seit dem 18. Jahrhundert romantisiert, um ihn unter einer ideologischen Schutzglocke aufforsten zu können. Die Ökobewegung setzt diese Tradition fort. Sie verklärt die Umwelt zur „Mutter Natur“. Umweltschutz wird Schuldmanagement. Das blockiert unsere Kreativität. NEHMEN WIR ALS BEISPIEL CO2. HEISST DAS, ES lohnt GAR

Nur wer nicht existiert, hat keine Emissionen. CO2 ist nicht in erster Linie ein Giftstoffproblem, sondern ein Fall von Missmanagement. Der Stoff befindet sich am falschen Ort. Kohlenstoff ist für das Leben des Menschen ja entscheidend – nur leider haben wir ihn im Überfluss dort, wo wir seine Stärken nicht nutzen können: in der Luft und im Wasser. Wir müssen das System so umbauen, dass der Kohlenstoff auf der Erde bleibt. nicht, EMISSIONEN ZU VERMEIDEN?

WAS BEDEUTET „INTELLIGENTE VERSCHWENDUNG“ KON-

Wenn man Menschen statt einem Autos 100 000 Kilometer automobile Mobilität verkauft inklusive Wartung, Treibstoff und Reparaturen, das Auto aber im Besitz des Unternehmens bleibt, kann man viel hochwertigere Werkstoffe verwenden als heute: Öl, das man nicht wechseln muss, sondern in einem neuen Auto weiterverwenden kann, Filter, die in der Umgebung aktiv Feinstaub einsammeln. Klebstoffe, die später einmal in der Fabrik durch Enzyme zerlegt werden können. Es geht weniger darum, etwas zu vermeiden, sondern darum, etwas zu tun, das dem Leben dient und keinen Abfall hinterlässt. ■

KRET, ETWA FÜR UNSERE AUTOS?

Die Fragen stellte ingo zander.

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Interne t

Berater der Belegschaft Bundesverband Arbeitsorientierter Beratung e. V. (Hrsg.): MITBESTIMMUNG BRAUCHT BERATUNG. Stand und Perspektiven arbeitsorientierter Beratung. Berlin, Graewis Verlag 2013. 192 Seiten, 19,95 Euro

wir testen …

www.tumblr.com Die Blogging-Plattform tumblr – „tumble“ heißt im Englischen „durcheinanderbringen“ – wurde 2007 gegründet. Fast 140 Millionen Blogger sind mittlerweile bei tumblr registriert und posten Texte, Bilder, Audio- oder Videoclips zu allen möglichen Themen. Zuletzt sorgten sie in Deutschland mit der „Merkel-Raute“ für Furore: Das überdimensionale Wahlplakat der CDU am Berliner Hauptbahnhof, das die typische Pose der Kanzlerin zeigte, diente als Vorlage für schrille Fotomontagen mit Promis wie Jack Nicholson oder Comic-Helden wie Hulk mit Merkels Händen. Nachrichten, Modetrends oder Fotos ungewöhnlicher Orte werden hier verbreitet. Alle Inhalte lassen sich „rebloggen“, also weiterverwenden. Wer nach gewerkschaftlichen Themen sucht, findet vielerlei Nachrichten und Fragmente in englischer Sprache. Das deutsche Angebot zum Thema Gewerkschaft ist noch mager. Es gibt Posts zum Internet-Video der IG Metall zur Bundestagswahl („Hätte ich der guten alten IG Metall nicht zugetraut“), das Foto einer ver.di-Jugendgruppe oder eine Reportage über den Arbeiterstrich in München, die 2012 den Nachwuchspreis der „SZ“ gewonnen hat. Anfang dieses Jahres wurde tumblr von Yahoo gekauft – für knapp eine Milliarde Dollar. Fazit: Ein globales, fantasievolles Durcheinander!

Von mat thias helmer , Journalist in Göttingen

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Arbeitsorientierte Beratung ist kein geschützter Begriff. Als „Anders-Beratung“, die ihren „Schwerpunkt darin sieht, einen Beitrag zur qualifizierten Sicherung und Gestaltung des Themas Arbeit und Mitbestimmung zu leisten“, bezeichnet sie Eva-Maria Stange, Beiratsvorsitzende des Bundesverbandes Arbeitsorientierter Beratung (BAB) im Vorwort. Für Peter Brückner-Bozetti, Geschäftsführer eines Bremer Beratungsinstituts, ist sie aktivierend, partizipativ und strategisch ausgerichtet, wobei „Mitbestimmung und Beteiligung der Belegschaften eine wichtige Schlüsselfunktion haben“. Das vorliegende Buch dokumentiert die erste Jahrestagung des Bundesverbandes Arbeitsorientierter Beratung e. V. und gibt Einblicke in diese Beraterlandschaft. Den Mitgliedern des BABVorstandes, Renate Hakvoort, Uwe Knape, Klaus Kost, Rolf Plake, geht es darum, „wirtschaftliche Fragen mit den Interessen der Belegschaft zu verbinden“. Die Gewerkschaften und die Arbeitnehmervertreter sind – genau wie das Management – immer häufiger auf externen Sachverstand angewiesen. Detlef Wetzel, zweiter Vorsitzender der IG Metall, weist darauf hin, dass es mit der Unterstützung arbeitsorientierter Berater gelingen kann, „ursprünglich als alternativlos bezeichnete Horrorszenarien des Managements wirkungsvoll zu hinterfragen“. Doch werden diese Berater oft nicht strategisch eingebunden, sondern erst in verfahrenen Konflikt- und Krisenlagen gerufen, wobei sie „in eine Art Nothelfer-Situation“ geraten, in der „kein Raum für unabhängige Kompetenz bleibt“, wie der Kommunikationsexperte Hans-Jürgen Arlt in seinem Beitrag schreibt. Der Markt für die arbeitsorientierte Beratung ist unübersichtlich. In Deutschland stehen rund 300 Beratungsgesellschaften mit um die 1000 Mitarbeitern im Wettbewerb. In mehreren Beiträgen wird deshalb thematisiert, dass es eine Institution wie den BAB braucht, um die Transparenz und Qualitätssicherung in der arbeitsorientierung Beratung zu verbessen. Das Buch gibt wertvolle Hinweise für alle, die diese Art Beratung in Anspruch nehmen und die in diesem Feld tätig sind – in den Gewerkschaften, der Wissenschaft oder in Beratungsunternehmen. ■ Von ROLF REPPEL, ehemaliger Personalvorstand ThyssenKrupp Services AG

medien

bu chtipps

Lehrer unter Kostendruck Karin Lohr/Thorsten Peetz/Romy Hilbrich: Bildungsarbeit im ­Umbruch . Zur Ökonomisierung von Arbeit und Organisation in Schulen, Universitäten und in der Weiterbildung. Berlin, edition sigma 2013. 282 Seiten, 19,90 Euro

Welche Folgen haben Veränderungen im Bildungssystem auf die tägliche Arbeit der dort Beschäftigten, und wie gehen diese damit um? Anhand zweier Thesen analysieren die Arbeitssoziologen Karin Lohr, Thorsten Peetz und Romy Hilbrich diese Fragen: Sie bestätigen den oft formulierten Befund der Ökonomisierung des Bildungssystems. Dort lassen sich verstärkt Kostenbewusstsein und teils sogar Gewinnmaximierung als Handlungsziel von Führungskräften identifizieren. Die Forscher erkennen zudem Anzeichen dafür, dass die Arbeit „entsubjektiviert“ wird, das heißt, dass Prozesse der Hierarchisierung und der Leistungsüberprüfung die Handlungsfreiheit der Beschäftigten einengen. In den untersuchten Gymnasien, Universitäten und Weiterbildungsunternehmen – Kitas fehlen in der Untersuchung leider – unterscheiden sich die Prozesse deutlich. Besonders kritisch ist die Situation den Autoren zufolge in der Weiterbildung. Doch auch in den Gymnasien präsentieren sich Schulleitungen als Bildungsmanager. Durch Vergleichsstudien, zentrale Prüfungen, Leistungsverdichtung sowie die steigende Zahl befristeter Verträge erhöht sich der Druck auf Lehrer, sich konform zu verhalten. Dass die Autoren sehr genau hinschauen, wie die Beschäftigten mit den Veränderungen umgehen, macht die Studie besonders spannend: Sie identifizieren eigensinnige Praktiken, mit denen Verhaltenserwartungen unterlaufen, umgedeutet oder abgeblockt werden. Die Beschäftigten versuchen so, ihrem pädagogischen Ethos gemäß zu handeln und Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben aufrechtzuerhalten. Offenen Widerstand entdecken die Forscher nicht, offene Konflikte hingegen schon. Die Studie richtet sich vor allem an Soziologen, dürfte aber auch Gewerkschaftern und Beschäftigten des Bildungssystems neue Einsichten anbieten. Erstere lädt sie ein, empirisch in Bildungsorganisationen zu forschen und sich vertieft mit Eigensinn und Widerstand auseinanderzusetzen, Letztere, die vorgeschlagenen arbeitspolitischen Ansatzpunkte aufzugreifen und gewerkschaftliche Ansätze weiterzuführen. ■ Von Stefan Kerber-Clasen , Soziologe am Iso-Institut Saarbrücken

Arbeitskampf

Der schmale Band erzählt, wie die Beschäftigten der Lebenshilfe Berlin gGmbH über neun Jahre für einen Haustarifvertrag streiten mussten – ein Protokoll und eine Ermunterung für alle, die in tariflosen Betrieben arbeiten. Der Betriebsrat führte seinen Kampf gegen geplante Lohnkürzungen bis vor das Bundesarbeitsgericht.

„WIR SIND KEINE SCHNÄPPCHEN“. Von Karl

Kamp, Klaus Schroeder und Benedikt Hopmann. Hamburg, VSA Verlag 2013. 9 Euro

Leistungsentgelt

Seit 2007 können Beschäftigte in den Kommunen leistungsgerecht bezahlt werden. Die bundesweite Studie zeigt, wie verbreitet Leis­tungsentgelte in der Praxis sind und welche Erfahrungen damit gemacht wurden. Die unterschiedlichen Methoden, solche Entgeltsysteme einzuführen, werden in ihrer Wirksamkeit analysiert. LEISTUNGSORIENTIERTE BEZAHLUNG IN

DEN KOMMUNEN. Von Werner Schmidt und Andrea Müller. Berlin, edition sigma 2013. 24,90 Euro

Rente mit 67

Feuerwehrleute haben einen Job, der auf die Knochen geht. Daher stellt sich die Frage, wie sie gegebenenfalls vorzeitig in Rente gehen können. Das Rechtsgutachten vergleicht flexible Übergänge für kommunale Berufsfeuerwehrleute und Werkfeuerwehrleute. Rentenzugangsmöglichkeiten für hauptberufliche Feuerwehrleute. Von Dietmar Röhricht und Hans Riegel. Arbeits­ papier der Hans-Böckler-Stiftung. Bestell-Nr. 11280. 15 Euro (Print)

Veröffentlichungen mit Bestellnummer sind nicht im Buchhandel ­erhältlich, sondern ausschließlich über SETZKASTEN GMBH , Düsseldorf, Telefon: 02 11/408 00 90-0, Fax: 02 11/408 00 90-40, [email protected] oder über www.boeckler.de. Hier sind auch alle Arbeitspapiere der Hans-Böckler-Stiftung kostenlos herunterzuladen.

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Foto: Ullstein Bilderdienst

R ÄTSELHAFTES FUNDSTÜCK

Bei Kaffee und Zigarren treffen im November 1966 die Spitzenpolitiker von CDU, CSU und SPD zusammen, um eine Vernunftehe zu schmieden: die erste große Koalition nach dem Krieg. Die schwarz-gelbe Regierung unter Kanzler Ludwig Erhard war nach nur einem Jahr über einem Streit um das Haushaltsdefizit zerbrochen; alle FDP-Minister sind zurückgetreten. Während CDU und CSU mit höheren Steuern die Kasse aufbessern wollen, geht die FDP nicht mit. Der Staatshaushalt ist nur auf dem Papier ausgeglichen. „Tatsächlich“, schreibt „Der Spiegel“, klafft „im Scheinbudget eine Deckungslücke von mindestens vier Milliarden Mark.“ Am 1. Dezember 1966 steht eine neue Regierung. Kanzler ist Kurt Georg Kiesinger, Vizekanzler und Außenminister Willy Brandt. CSU-Hardliner Franz-Josef Strauß muss als Finanzminister eng mit SPD-Wirtschaftsminister Karl Schiller zusammenarbeiten. 1967 wird das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz erlassen, das der Steuerung der Wirtschaft eine gesetzliche Grundlage gibt, orientiert an Ideen von John Maynard Keynes. Vier Ziele sollen gleichberechtigt verfolgt werden: Preisstabilität, hohe Beschäftigung, ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht, ein angemessenes Wirtschaftswachstum. Es gibt erste Signale der Entspannung gegenüber dem Ostblock. Doch zugleich gärt es. Kanzler Kiesinger wird wegen seiner Rolle im NS-Staat angegriffen – von Parteifreunden und der DDR, die mit gefälschten Dokumenten nachhilft. Eine außerparlamentarische Opposition formiert sich gegen die Notstandsgesetze, mit denen im Krisenfall die Grundrechte eingeschränkt werden. Pläne für ein neues Wahlrecht, nach dem in der Regel eine Partei die absolute Mehrheit erringt, sollen die untreue FDP strafen. Sie scheitern an der SPD, die nach den Wahlen von 1969 selbst mit der FDP koaliert. ■ KAY MEINERS

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RÄTSELFRAGEN ■

Das ungleiche Ministerduo Strauß-Schiller nannte man nach einer Bildergeschichte von Wilhelm Busch auch wie?



 ie hieß die Frau, die Bundeskanzler Kiesinger ohrfeigte, W um ­dessen Rolle im NS-Staat zu kritisieren?



 ei den Wahlen von 1969, die Willy Brandt zum Kanzler B machten, zogen drei Parteien in den Bundestag ein. ­Welche hatte die meisten Stimmen?

Alle richtigen Einsendungen, die bis zum 28. Oktober 2013 bei uns eingehen, nehmen an einer Auslosung teil. PREISE

1. Preis: Gutschein der Büchergilde Gutenberg, Wert 50 Euro, 2.– 4. Preis: Gutschein der Büchergilde Gutenberg, Wert 30 Euro SCHICKEN SIE UNS DIE LÖSUNG

Redaktion Mitbestimmung, Hans-Böckler-Straße 39, 40476 Düsseldorf, E-Mail: [email protected] Fax: 02 11/ 77 78-225

AUFLÖSUNG DER RÄTSELFRAGEN 9/2013

Dokumerica – 22. April – Minoru Yamasaki Den 1. Preis hat Elsa Schmidt aus Berlin gewonnen. Je einen Gutschein im Wert von 30 Euro erhalten Siegfried Goldmann aus Schwerin, Michael Eberhard aus Berlin und Roland Walter aus Rastatt.

VORSCHAU

IM PRESSUM

Herausgeber: Hans-Böckler-Stiftung, Mitbestimmungs-,

Forschungs- und Studienförderungswerk des DGB, Hans-Böckler-Straße 39, 40476 Düsseldorf Verantwortlicher Geschäftsführer: Wolfgang Jäger

titelthema 11/2013

Aus Arbeitnehmersicht

Die Energiewende

Redak tion:

Cornelia Girndt, Telefon: 02 11/77 78-149 Margarete Hasel (verantwortlich), Telefon: 02 11/77 78-192 Andreas Kraft, Telefon: 02 11/77 78-575 Kay Meiners, Telefon: 02 11/77 78-139 Konzeption des titelthemas: Margarete Hasel co-Redak tion dieser ausgabe: Meiners/Kraft Redak tionsassistenz: Astrid Grunewald Telefon: 02 11/77 78-147 Fa x: 02 11/77 78-225 E-Mail: [email protected] Mitglieder des Redak tionsbeir ats: Birgit Grafe-Ruhland, ­ olfgang Jäger, Rainer Jung, Birgit Kraemer, Michaela Kuhnhenne, Manuela W Maschke, Sabine Nemitz, Karin Rahn, Susanne Schedel, Sebastian Sick Projek tmanagement/Layout/Produk tion/Artdirec tion:

SIGNUM communication Werbeagentur GmbH, Mannheim, Torsten Walker, Roger Münzenmayer, Jörg Volz Titelgestaltung:

SIGNUM communication Werbeagentur GmbH, Mannheim, Jörg Volz Druck: Offset Company, Wuppertal Verlag: Bund-Verlag GmbH, Postfach, 60424 Frankfurt/Main Anzeigen: Bund-Verlag GmbH, Peter Beuther (verantwortlich)

Christine Mühl Telefon: 069/79 50 10-602 E-Mail: [email protected]

Mit der Energiewende werden Milliarden Euro umverteilt und die traditionellen Machtverhältnisse im Energiesektor erschüttert. Werden die erneuerbaren Energien die Gewinner sein und die Großkonzerne mit ihrem kapitalintensiven Geschäftsmodell zu den Verlierern zählen? In allen Energieunternehmen und bei den Netzbetreibern stehen die Arbeitnehmervertreter vor einer immensen Herausforderung. Wie die gestemmt und die Energiewirtschaft der Zukunft auch nachhaltig sozial gestaltet werden kann, erörtern wir mit Experten von ver.di und aus der IG BCE. Wir diskutieren die Entwicklung von Strompreisen und der EEG-Umlage, erörtern soziale Schieflagen und die Folgen für die energieintensive Industrie. Wir sondieren, welche Chancen sich durch die Energiewende für die Stadtwerke ergeben, wir fragen Arbeitnehmervertreter aus Kraftwerken, wie sich Arbeitsbedingungen und Qualifikationsanforderungen verändern. Und thema­ tisieren mit IG-Metall-Vertretern und Wissenschaftlern, was man aus der verfehlten Industriepolitik in der Solarbranche lernen muss.

Abonnentenservice und Bestellungen:

Bund-Verlag GmbH Telefon: 069/79 50 10-96 Fa x: 069/79 50 10-12 E-Mail: [email protected] Preise: Jahresabonnement 50 Euro inkl. Porto, Einzelpreis 5 Euro.

Der Bezugspreis ist durch den Fördererbeitrag abgegolten. Abbestellungen mit einer Frist von sechs Wochen zum Jahresende Für Spenden und sonstige Förderbeiträge an die Stiftung: SEB AG Düsseldorf, BLZ 30010111, Konto-Nr. 1021125000 Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck nur mit Genehmigung der Redaktion. Dies gilt auch für die Aufnahme in elektronische Datenbanken und Newsletter. ISSN 0723 5984

der heisse dr aht zur redak tion

0211/77 78-147 [email protected]

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Gibt es in Ihrem Betrieb etwas, über das wir unbedingt einmal berichten sollten? Etwas, das richtig gut läuft, oder etwas, über das Sie sich ärgern? Vermissen Sie ein Thema im Magazin? Dann schreiben Sie uns oder rufen Sie uns an.

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MEIN ARBEITSPL ATZ

Toronto, Kensington Avenue.

M anuel Vieir a , 48, angelernter

Einzelhändler, zog im Alter von vier Jahren mit seinen Eltern von São Miguel, der größten der zu Portugal gehörenden Azoren­ inseln, nach Toronto. Die ganze Familie ist in Kanada geblieben. Heute ist er Käsehändler, verheiratet und hat vier Kinder. Textdokumentation und Foto: Jeannet te Goddar

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„Ich bin Portugiese! Ich war ein kleines Kind, als meine Eltern auswanderten – doch Portugiese werde ich immer bleiben. Jeder hier im Laden hat europäische Wurzeln. Europäer sind gute Arbeiter – das weiß unser Boss, das weiß jeder in Kanada. Wer aus Europa hierherkommt, ist sich für nichts zu schade. Wir kommen, weil wir eine bessere Zukunft wollen. Und dafür muss man nun einmal klein beginnen. Mein Vater hat auf dem Bau gearbeitet; ich verkaufe schon Käse und stehe hinter einem Tresen! Und meine Kinder, die werden alle einmal studieren! Dafür stehe ich hier, 40, häufig 50 Stunden in der Woche. Wenn ich drei Wochen Urlaub im Jahr habe, ist das viel. Der Job ist in Ordnung dafür, dass ich schnell und jung Geld verdienen wollte. Gerade einmal 17 war ich, als ich hier angefangen habe, und das war schon mein dritter Job. Was ich am Verkaufen mag, ist, dass ich mit Menschen in Kontakt bin. Kensington ist so etwas wie ein kleines multikulturelles Dorf, ganz in der Nähe von Chinatown und auch nicht weit von den hohen Bürogebäuden hier in Toronto. Hier geht es beschaulich zu, die Menschen sprechen miteinander, bleiben auf einen Plausch stehen. Sehen Sie, da bringt mir gerade ein Nachbar einen Kaffee, einfach so! Und das Geschäft boomt auch: Als ich begonnen habe, war der Laden nicht einmal halb so groß. Die Menschen hier in Kanada werden immer verrückter nach europäischem Zeug, nach Käse, nach Wein! Und jetzt kommen immer mehr Portugiesen. Genau wie meine Eltern verlassen sie das Land, um der Krise in Südeuropa zu entkommen. Vor 20, 25 Jahren sah man Portugiesen zurück in die Heimat gehen, weil die Lage dort besser war als hier. Jetzt kommen ihre Kinder alle wieder nach Kanada. Ein bisschen verrückt ist das schon. Es ist nicht schwer, in dieses Land zu kommen, damals nicht, heute nicht. Wer bereit ist, zu arbeiten, der findet hier etwas. Und arbeiten, das kann man nicht oft genug sagen, das können wir. Gehen Sie nur mal auf eine Baustelle und zählen durch: Drei von vier Jungs, die dort anpacken, kommen garantiert aus Europa!“ ■

Ganz nah dran.

www.betriebsratswahl2014.de

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Das Datenschutzrecht kompakt und kompetent kommentiert Neuauflage!

Der Kompaktkommentar erläutert das gesamte Datenschutzrecht prägnant und verständlich. Im Zentrum steht das Arbeitnehmerdatenschutzrecht. Die technischen Neuerungen im Bereich der Datenüberwachung im Arbeitsverhältnis sind enorm. Arbeitgeber nutzen vielfältige und kaum noch überschaubare Instrumente, um Beschäftigte zu kontrollieren. Datenschutzrechtlich wirft das viele Fragen auf. Die Autoren, allesamt Experten mit langjähriger Erfahrung im Datenschutzrecht, widmen sich allen neueren Themen – vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung und der Diskussion in der Literatur. Die Autoren geben Arbeitnehmern und Betriebsräten konkrete Empfehlungen, wie der geltende Datenschutz im Rahmen der betriebsverfassungsrechtlichen Rechte umgesetzt werden kann.

Die Autoren: Dr. Wolfgang Däubler, Professor für Arbeitsrecht, Zivil- und Wirtschaftsrecht an der Universität Bremen. Dr. Thomas Klebe, Justitiar im Vorstand der IG Metall.

Betriebsratswahl 2014: Einfacher geht‘s nicht

Dr. Peter Wedde, Professor für Arbeitsrecht und Recht der Informationsgesellschaft, Direktor der Europäischen Akademie der Arbeit in der Universität Frankfurt/M. Dr. Thilo Weichert, M.A. pol., Landesbeauftragter für Datenschutz Schleswig-Holstein.

tware Jetzt zum Sofort-Download! Top Sof (inklusive Formulare) für € 39,90! nload www.betriebsratswahl2014.de/dow

Die wichtigsten Themen:

Wolfgang Däubler / Thomas Klebe / Peter Wedde Thilo Weichert Bundesdatenschutzgesetz Kompaktkommentar zum BDSG 4., überarbeitete Auflage 2013. Ca. 800 Seiten, gebunden Subskriptionspreis gültig bis 31. Januar 2014: ca. € 79,– Danach: ca. € 89,– ISBN 978-3-7663-6097-7 Lieferbar ab Oktober 2013

• Neuere Überwachungsmethoden im Beschäftigtenverhältnis • Kontrollrecht des Betriebsrats contra Arbeitnehmerdatenschutz • Videoüberwachung • Cloud Computing • Überwachung durch Social Media • Auftragsdatenverarbeitung • Probleme bei Datenverkehr mit Auslandskontakten • Einwilligung der Beschäftigten

Das Paket macht Wahl-Sieger: »Betriebsratswahl 2014« · Top Software · Formularmappe · Leitfaden zur Wahl

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Mitbestimmung

Mitbestimmung 10/2013

oktober 10/2013

Postvertriebsstück D 8507 Entgelt bezahlt

DAS MAGAZIN DER HANS - BÖCKLER-STIFTUNG · WWW.MAGAZIN - MITBESTIMMUNG.DE

· Geizig und gewerkschaftsfeindlich Industrie · Gewerkschaften besorgt über Widerstände gegen Industrieprojekte Meyer Werft · Tarifvertrag sichert Mitbestimmung bei Werkverträgen

KONFERENZ am 5. DEZEMBER 9.30 BIS 17 UHR im HOTEL AQUINO, BERLIN-MITTE Rohstoffe sind für Deutschland überlebenswichtig. Doch viele Lieferungen kommen aus Schwellen- und Entwicklungsländern. Die Konferenz soll klären, wie bei der Beschaffung von Rohstoffen Menschenrechte, Arbeitsrechte und ökologische Standards eingehalten werden. Anwesend Vertreter aus Politik, ­Wirtschaft, Wissenschaft, ­Zivilgesellschaft und ­Gewerkschaften

Anmeldung: Hans-Böckler-Stiftung Steffi Nohl [email protected] Telefon: 02 21/77 78-123

5,00 €   56. 5,00 €   59. €   56. Jahrgang   Bund-Verlag €   57. Jahrgang   Bund-Verlag

r i a f d n u r e h c i s Rohstoffe –

Schwächelnde Gegenspieler · Erosionsprozesse im Arbeitgeberlager

VOLKS- UND RAIFFEISENBANKEN

Schwächelnde Gegenspieler Erosionsprozesse im Arbeitgeberlager

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