TÜRKEI BULLETIN 05/16 Berichtszeitraum: 01.

March 15, 2018 | Author: Anonymous | Category: N/A
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TÜRKEI BULLETIN 05/16 Berichtszeitraum: 01.-15. März 2016 Inhalt u. a.: Weiterer Anschlag mit vielen Toten – Türkei versinkt im Strudel der Gewalt, K.O.-Schlag gegen Gülen? ‚Zaman‘ wird zum Schweigen gebracht, Weiterer Fall von Majestätsbeleidigung, Familie Erdoğan und der Weltfrauentag, Ankara und Teheran wollen Wirtschaftsbeziehungen erweitern, Russische Sanktionen schmerzen die türkische Wirtschaft, Bau-Industrie - Hoffnungsträger der türkischen Wirtschaft Überblick Die Türkei ist ein weiteres Mal von einem Terroranschlag erschüttert worden. Auf dem zentralen Kızılay-Platz der Hauptstadt sprengte sich ein Selbstmordattentäter in die Luft und riss mehr als 30 Menschen mit in den Tod. Dies ist schon der dritte verheerende Anschlag in Ankara in weniger als einem Jahr. Bei Redaktionsschluss hatte sich noch niemand zur Tat bekannt; die türkische Luftwaffe flog aber dennoch wenige Stunden später Angriffe auf Stellungen der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK im Nordirak. Erdoğans Hexenjagd gegen Institutionen der Hizmet-Bewegung seines einstigen Weggefährten Fethullah Gülen geht weiter. Anfang März wurde die auflagenstärkste Zeitung des Landes – „Zaman“ und ihre englischsprachige Schwesterzeitung „Today’s Zaman“ - von der Polizei gestürmt und unter staatliche Kontrolle gestellt. Das Sprachrohr der Gülen-Bewegung wurde dann über Nacht auf Regierungslinie gebracht. Die Zukunft der Zeitung ist ungewiss. Angesichts des enormen Drucks auf die Pressefreiheit sprechen Kritiker von einer „Gleichschaltung“ der Medien. Im zentralanatolischen Kayseri nahm die Polizei vier leitende Manager der Unternehmungsgruppe Boydak Holding fest. Das Familienunternehmen, das vor allem Möbel produziert und rund 14.000 Angestellte haben soll, wird „terroristischer Aktivitäten“ im Dienste des Predigers Fethullah Gülen verdächtigt. Auch die Naksan Holding aus Gaziantep hat es getroffen: Vier Unternehmen des Konzerns wurden durchsucht, neun Personen festgenommen. Boydak, Naksan und viele andere Unternehmen werden immer wieder zu Opfern von Präsident Erdoğans persönlichem Rachefeldzug gegen seinen einstigen Gefährten und jetzigen Todfeind Gülen. Der türkische Präsident Erdoğan hat unverhohlen dem Verfassungsgericht seines Landes gedroht, das zuvor die Freilassung der beiden „Cumhuriyet“-Journalisten Can Dündar und Erdem Gül angeordnet hatte (siehe Bulletin Nr. 04/16). Der Gerichtsbeschluss sei „eine Entscheidung gegen die Türkei und ihr Volk“ gewesen, sagte er auf einer Kundgebung in der westanatolischen Stadt Burdur. Sollten sich derartige Dinge wiederholen, würde dies die „Legitimität und Existenz“ des Gerichts zur Diskussion stellen, warnte das Staatsoberhaupt. Das Verfassungsgericht veröffentlichte derweil seine Begründung für das Urteil. Es befand, die Untersuchungshaft stehe in keinem angemessenen Verhältnis zur eigentlichen „Tat“ der Journalisten, dem Verfassen eines Zeitungsartikels. Das EU-Mitglied Zypern hat eine Öffnung weiterer Kapitel in den EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ausgeschlossen, solange Ankara Zypern nicht anerkenne. Weitere Verhandlungen könnten nur geführt werden, wenn die Anerkennung vorliege - oder die Teilung der Insel überwunden würde, sagte der zyprische Regierungssprecher. Die Türkei hatte beim jüngsten Gipfel mit der EU zur Flüchtlingskrise u. a. die Erweiterung der Beitrittsverhandlungen mit Brüssel als Gegenleistung gefordert, damit Ankara den Flüchtlingsstrom über die Ägäis nach Griechenland einschränke und Migranten zurücknehme.

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Weiterer Anschlag mit vielen Toten – Türkei versinkt im Strudel der Gewalt Nach weniger als nur einem Monat wurde die türkische Hauptstadt ein weiteres Mal von einem schweren Terroranschlag erschüttert. 37 Menschen wurden am Abend des 13. März laut Gesundheitsminister Müezzinoğlu bei der Explosion einer Autobombe auf dem zentralen Kızılay-Platz in Ankara - unweit vom Februar-Tatort - getötet, 125 Personen z. T. schwer verletzt. In sozialen Medien war sogar von einer weit höheren Opferzahl die Rede. Nach dem Anschlag folgten die üblichen, hilflos wirkenden Reflexe der türkischen Regierung. Ein „Sicherheitsgipfel“ wurde einberufen, eine Nachrichtensperre verhängt. Der dritte Terroranschlag in der Hauptstadt - und der fünfte seit Beginn der Anschlagsserie im vergangenen Sommer - bringt die Regierung unter Zugzwang. Ministerpräsident Davutoğlu kündigte daraufhin umfassende neue Sicherheitsvorkehrungen für die arg gebeutelte Hauptstadt an. Innenminister Efkan Ala versuchte dem Eindruck entgegenzutreten, die Sicherheitskräfte seien mit der neuen Bedrohungslage überfordert. Tatsächlich hätten Polizei und Geheimdienst seit Jahresbeginn bereits 18 Terroranschläge verhindert, gab der Innenminister an. Der türkische Präsident Erdoğan kündigte ein entschlossenes Vorgehen gegen den Terror an: Er werde den „Terrorismus in die Knie zwingen“; die Türkei werde ihr Recht auf Selbstverteidigung wahrnehmen, um künftige Attacken zu verhindern. Er rief seine Landsleute zur Einheit auf. Das Volk solle sich keine Sorgen machen - der Kampf gegen den Terrorismus werde gewiss erfolgreich sein, versprach das Staatsoberhaupt. Die politische Führung hielt sich diesmal mit schnellen Schuldzuweisungen zurück - anders als bei dem Terroranschlag am 17. Februar. Damals hatten Premier und Präsident umgehend die syrische Kurdenmiliz PYD als den Drahtzieher hinter der Tat ausgemacht. Später hatten sich aber die „Freiheitsfalken Kurdistans“(TAK), eine Splittergruppe der PKK, zu der Tat bekannt. Zum erneuten Anschlag bekannte sich zunächst niemand. In Sicherheitskreisen hieß es, ersten Erkenntnissen zufolge stecke die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK oder eine mit ihr verbundene Gruppierung hinter der Tat. Die regierungsnahe Zeitung „Sabah“ berichtete, dass sich vermutlich eine Selbstmordattentäterin der PKK in die Luft gesprengt habe. Nach dem Anschlag flog die türkische Luftwaffe noch in der Nacht Angriffe auf PKK-Stellungen im Nordirak. Die PKK-nahe Agentur Fırat meldete, bei den knapp zwei Stunden andauernden Luftangriffen sei niemand getötet worden. In der Nacht vom 14. zum 15. März gab es dann einen weiteren groß angelegten Angriff der türkischen Luftwaffe gegen PKK-Stellungen im Nordirak. Laut Angaben des Militärs sollen dabei 45 Terroristen getötet worden sein. In der kurdisch dominierten Südosttürkei verhängte die Regierung zur Vorbereitung von Einsätzen gegen die PKK eine Ausgangssperre über die Stadt Şırnak. Seit der Nacht zu Montag gelten außerdem neue Ausgangssperren in den Städten Nusaybin (Prov.Mardin) und Yüksekova (Prov.Hakkari). Weniger als 24 Stunden nach dem Anschlag in der Hauptstadt hat die Polizei vier Verdächtige festgenommen. Sie würden beschuldigt, den bei dem Selbstmordanschlag eingesetzten Wagen in der südosttürkischen Stadt Şanlıurfa gekauft zu haben, so die Nachrichtenagentur Anadolu. Die staatliche Nachrichtenagentur meldete weiter, bei landesweiten Anti-Terror-Operationen seien mindestens 79 Verdächtige festgenommen worden. Ministerpräsident Davutoğlu erklärte, es gebe „konkrete Informationen über die Terrororganisation, die diesen feigen Angriff ausgeführt hat“. Er nannte aber keine Einzelheiten.

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K.O. - Schlag gegen Gülen? ‚Zaman‘ wird zum Schweigen gebracht Die türkische Polizei hat am späten Abend des 4. März den Sitz der regierungskritischen Zeitung „Zaman“ – Flaggschiff der Hizmet-Bewegung - gestürmt. Zuvor hatte die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu gemeldet, ein Istanbuler Gericht habe auf Antrag der Staatsanwaltschaft eine staatliche Treuhandverwaltung für die Zeitung angeordnet. Diese solle die Geschäfte der bislang auflagenstärksten türkischen Tageszeitung führen und eine neue Führungsriege benennen. Ein offizieller Grund für den Gerichtsbeschluss wurde zunächst nicht bekannt. Die früheren Chefredakteure von „Zaman“ und der englischsprachigen Schwesterzeitung „Today’s Zaman“, Ekrem Dumanlı und Bülent Keneş, ließ die Regierung bereits zuvor zeitweise inhaftieren. Bei der Stürmung der Zeitung setzten die Sicherheitskräfte Tränengas und Wasserwerfer gegen hunderte Demonstranten ein, die sich nach der Ankündigung der Zwangsverwaltung vor dem „Zaman“Sitz versammelt hatten, und drangen dann in das Gebäude ein. Es kam zu tumultartigen Szenen vor dem Redaktionsgebäude. Nachrichten zufolge hätten Angestellte und Demonstranten „Die freie Presse darf nicht schweigen“ gerufen, während die Polizei ihren Weg in die Redaktion frei räumte. „Die türkische Presse hat einen der schwärzesten Tage ihrer Geschichte erlebt“, hieß es in der letzten „Zaman“-Ausgabe, die noch gedruckt werden konnte, ehe die Polizei die Redaktion stürmte. Nach der Übernahme der Aufsicht durch die Regierung haben sich die USA besorgt gezeigt. „In einer Demokratie sollten kritische Meinungen nicht zum Schweigen gebracht, sondern bestärkt werden“, sagte der Sprecher des State Departments, John Kirby. Die türkische Regierung müsse sicherstellen, dass die Pressefreiheit eingehalten werde. Auch die EU zeigte sich besorgt. Als Beitrittskandidat müsse die Türkei die Pressefreiheit respektieren, erklärte Erweiterungskommissar Johannes Hahn vor dem EU-Türkei-Gipfel zur Flüchtlingskrise. „Wir werden genau beobachten, was weiter geschehen wird. Grundrechte sind nicht verhandelbar‘‘, warnte Hahn. EU-Parlamentspräsident Schulz (SPD) zeigte sich besorgt angesichts der Stürmung der „Zaman“. „Die Türkei ist dabei, eine historische Chance der Annäherung an die Europäische Union zu verspielen“, so Schulz. Die Türkei sei für die EU ein wichtiger strategischer Partner. Es könne für sie allerdings „keinen Rabatt“ geben. Es sei klar, dass „die EU bei der Einhaltung ihrer Grundwerte keine Abstriche machen“ werde. Sein Vize, Alexander Graf Lambsdorff (FDP), kritisierte das Vorgehen der türkischen Behörden gleichermaßen scharf. „Was die Regierung da tut, ist nichts anderes, als die Gleichschaltung der Presse weiterzutreiben“, so der liberale Politiker. Er warf der Türkei vor, „immer autokratischer“ zu werden. Die EUKommission erklärte, alle Länder und vor allem jene, die der EU beitreten wollten, müssten die fundamentalen Rechte - wie etwa das Recht auf freie Meinungsäußerung - respektieren. Die internationale Journalisten-Organisation „Reporter ohne Grenzen“ forderte von Deutschland den Einsatz für die Pressefreiheit in der Türkei. „Das dröhnende Schweigen der Bundesregierung zum Vorgehen der Türkei gegen kritische Medien ist unerträglich“, sagte Geschäftsführer Christian Mihr. Auch Amnesty International nannte die Aktionen einen schweren Schlag gegen die Pressefreiheit.“Indem sie um sich schlägt und danach strebt, die kritischen Stimmen im Zaum zu halten, walzt die Regierung von Präsident Erdoğan Menschenrechte nieder“, teilte der Türkei-Experte der Organisation, Andrew Gardner, mit. Sevgi Akarçeşme, letzte Chefredakteurin der englischsprachigen „Today’s Zaman“ vor der Übernahme durch die staatlichen Treuhänder, sagte der Deutschen PresseAgentur: „Das ist das Ende der Pressefreiheit in der Türkei, und das verstößt gegen unsere Verfassung.“ Es gebe keine Rechtsstaatlichkeit in der Türkei mehr. „Die Regierung hat unsere Zeitung einfach konfisziert“, so Akarçeşme. Regierungschef Davutoğlu dagegen zeigte sich unbeeindruckt von all der Kritik. Er rechtfertigte das staatliche Vorgehen gegen die Zeitung als unabhängige Entscheidung der Justiz. Es handele sich um ein Justizverfahren, in das die Regierung nicht eingegriffen habe. Die ergriffenen Maßnahmen seien „sicher keine politischen, sondern rechtliche Vorgänge“, so der Regierungschef. Die Türkei sei ein Rechtsstaat; es komme daher „für mich oder irgendeinen meiner Kollegen nicht in Frage, sich in diesen Prozess einzumischen“.

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Nach der Übernahme durch Treuhänder wurde die Zeitung schnell „auf Kurs“ gebracht – die Sonntagsausgabe erschien mit dem Bild von Präsident Erdoğan auf der Titelseite und war voller Lobeshymnen auf die Regierung. Die Auflage der einst größten Tageszeitung des Landes schrumpfte quasi über Nacht von 650.000 auf 18.000 Exemplare. Nur wenige Tage nach der „Zaman“ wurde auch die zur selben Mediengruppe gehörende Nachrichtenagentur „Cihan“ vom selben Schicksal getroffen. Cihan meldete, ein Istanbuler Gericht habe dieselben Treuhänder wie bei „Zaman“ ernannt. „Zaman“ – die bislang größte Oppositionszeitung des Landes – und „Cihan“ gehören beide zum Medienkonzern Feza Gazetecilik, der der Hizmet-Bewegung des islamischen Predigers Gülen nahesteht. Dem Medienkonzern wird vorgeworfen, die „Gülenistische Terror-Organisation“ zu unterstützen. Erdoğan wirft seinem einstigen Weggefährten Gülen vor, Parallelstrukturen im Staat geschaffen zu haben, um ihn, Erdoğan, zu stürzen und die Macht an sich zu reißen.

Weiterer Fall von Majestätsbeleidigung Der türkische Journalist Barış Ince ist wegen Beleidigung des Präsidenten zu 21 Monaten Haft verurteilt worden. Als Chefredakteur des linken Oppositionsblattes „BirGün“ hatte er sowohl Erdoğan als auch dessen Sohn in einem Artikel Korruption vorgeworfen. Der regierungskritische Journalist sagte dem Europäischen Journalistenverband AEJ (Association of European Journalists): „Jeder weiß von der Korruption, niemand leugnet es. Die Korruption wurde von der Staatsanwaltschaft und der Polizei vertuscht, und wir Journalisten werden angeklagt, weil wir über Korruption schreiben. Einen Journalisten dafür zu verurteilen, zeigt den Zustand der Pressefreiheit in der Türkei“, so Ince. Der Journalist legte Berufung gegen das Urteil ein. Wird es vom Obersten Gericht bestätigt und somit rechtskräftig, muss Ince ins Gefängnis und wäre dann der 34. türkische Journalist hinter Gittern. Unterdessen bezifferte AKP-Justizminister Bekir Bozdağ die genaue Zahl der seit Erdoğans Amtsantritt vor eineinhalb Jahren eröffneten Verfahren wegen mutmaßlicher Beleidigungen des türkischen Präsidenten auf 1.845. „Ich bin nicht in der Lage, die schändlichen Kränkungen gegen unseren Präsidenten zu lesen“, sagte Bozdağ auf Fragen im Parlament. „Es treibt mir die Schamesröte ins Gesicht.“ Unter den Beschuldigten sind u.a. Journalisten, Karikaturisten - und sogar Schulkinder. Familie Erdoğan und der Weltfrauentag Die türkische First Lady Emine Erdoğan hat mit Äußerungen über die Vorzüge des Harems im Osmanischen Reich für Irritationen und Empörung gesorgt. „Der Harem war eine Schule für Mitglieder der osmanischen Dynastie und eine Lehreinrichtung, in der Frauen auf das Leben vorbereitet wurden“, sagte die Gattin von Präsident Erdoğan nach Angaben von Fernsehsendern. Sie machte die “orientalistische“ Fehlzeichnung der osmanischen Vergangenheit für die Diffamierung des Harem verantwortlich. In den sozialen Netzwerken sorgten die Äußerungen der Präsidentengattin jedoch für wütende Kommentare. Ihr Mann hatte bereits zum internationalen Frauentag (8. März) Proteste hervorgerufen, als er erklärte, für ihn sei eine Frau „in erster Linie eine Mutter“. Berufstätige Frauen würden im Kapitalismus „versklavt“, fügte der Präsident hinzu, der in seiner Rede auch mehr Schutz für Familien forderte. „Man kann die Frauen nicht befreien, indem man die Idee von der Familie zerstört“, sagte Erdoğan. Dem Staatschef wird seit langem vorgeworfen, die Gesellschaft entlang islamischer Werte ausrichten zu wollen und die Rechte der Frauen zu beschneiden. Erdoğan, der selbst vier Kinder hat, fordert seit Jahren, dass türkische Frauen mindestens drei Kinder gebären sollten. Ende 2014 sorgte er für Aufsehen, als er die völlige Gleichberechtigung von Mann und Frau als „unnatürlich“ bezeichnete. Bei anderen Gelegenheiten verurteilte er Abtreibungen, die „Pille danach“ und Kaiserschnitt-Operationen. Geburtenkontrolle bezeichnete er sogar als „Verrat“.

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Die türkische Polizei löste derweil eine Demonstration zum Weltfrauentag in Istanbul gewaltsam auf. Dabei schossen die Sicherheitskräfte Gummigeschosse in die Menschenmenge im Bezirk Kadıköy, auf der asiatischen Seite der Stadt. Dort hatten sich hunderte Frauen versammelt, um für mehr Rechte zu demonstrieren. Auch in der Hauptstadt Ankara kam es bei Frauendemonstrationen zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Den Vereinten Nationen zufolge ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zu häuslicher Gewalt in der Ehe kommt, in der Türkei zehnmal höher als in Ländern der EU. In einem Gleichberechtigungsindex des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) liegt die Türkei nur auf dem 77. von 138 Plätzen. Ankara und Teheran wollen Wirtschaftsbeziehungen erweitern Teheran und Ankara wollen nach der Aufhebung der westlichen Handelssanktionen gegen den Iran den bilateralen Handel deutlich ausweiten. Der iranische Vizepräsident Eshaq Jahangiri sagte nach einem Treffen mit dem türkischen Ministerpräsidenten Davutoğlu in Teheran, man habe sich als Ziel gesetzt, das Handelsvolumen binnen zwei Jahren von derzeit 10 auf 30 Milliarden USD zu erhöhen. Der türkische Premierminister sagte, die Türkei freue sich „mehr als jedes andere Land“ über die Aufhebung der Sanktionen gegen den Iran. Die meisten der von der UNO, den USA und der EU im Atomstreit verhängten Handels- und Finanzsanktionen waren Mitte Januar dieses Jahres nach Inkrafttreten des im Juli geschlossenen Atomabkommens aufgehoben worden. Die Strafmaßnahmen hatten auch den bilateralen Handel des Iran mit der Türkei schwer getroffen. Russische Sanktionen schmerzen die türkische Wirtschaft Drei Monate, nachdem Russland gegenüber der Türkei eine Reihe von wirtschaftlichen Sanktionen verhängt hat, lässt sich nun anhand signifikanter Daten vor allem eines ablesen: Die Sanktionen schaden der türkischen Wirtschaft. Grund für die Sanktionen war der türkische Abschuss eines russischen Kampfjets am 24. November 2015 an der Grenze zu Syrien. Daraufhin reagierte der Kreml umgehend mit Einfuhrrestriktionen für türkische Waren und der Stornierung touristischer Reisen in die Türkei. Vor allem in den Bereichen Export, Tourismus und Bauwirtschaft sind die Auswirkungen der Sanktionen deutlich spürbar. Ist beim russischen Anteil an den Gesamtexporten der Türkei bereits in den letzten Jahren ein Negativtrend zu beobachten, so wird dieser durch die Sanktionen nun noch verstärkt; insgesamt sind türkische Exporte nach Russland seit 2013 um fast 40 Prozent zurückgegangen. Ähnliche Entwicklungen lassen sich auch beim sogenannten „suitcase trading“ erkennen: Das für Staaten lukrative Exportgeschäft durch die steuerfreie Mitnahme einer bestimmten Menge einheimischer Waren als Handgepäck bescherte der Türkei 2014 ein Plus von 8,6 Mrd. US-Dollar. Im Jahr 2015 betrugen die entsprechenden Einnahmen hingegen nur noch USD 5,5 Mrd. Von den Sanktionen am stärksten betroffen ist die türkische Tourismusbranche. Im Jahr 2014 noch erreichte die Zahl russischer Touristen in der Türkei mit 4.482.000 (12,5 Prozent aller Touristen) ihren Höchstwert. Durch die Ausfälle in den Monaten November und Dezember verringerte sich diese Zahl 2015 um 18,5 Prozent auf 3.652 Mio. Touristen. Die vor allem bei Russen (wie Deutschen!) beliebte südtürkische Urlaubsregion Antalya hat nun sowohl mit dem Ausbleiben von Touristen als auch mit dem sinkenden Gemüse- und Obstexport nach Russland zu kämpfen. Folgen, wie der Gewinnverlust von kleinen und mittleren Unternehmen und eine daraus resultierende Arbeitslosigkeit in der Region, werden voraussichtlich in den nächsten Monaten zu beobachten sein. Ein weiterer Wirtschaftsbereich, der mit den Folgen der Sanktionen zu kämpfen hat, ist die international tätige türkische Bauindustrie. Von 500 in Russland niedergelassenen türkischen Firmen gehören 150 dem Bausektor an. Nach Turkmenistan (USD 6,5 Mrd.) war Russland (USD 3,9 Mrd.) dabei im Jahr 2014 der zweitwichtigste Partner für die Türkei in Hinblick auf Bauinvestitionen.

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Aufgrund der russisch-türkischen Spannungen gehen nun Jobs und Gewinne aus dem Export von Baumaterialien verloren. Eine Studie der Economic Policy Research Foundation of Turkey (TEPAV) rechnet vor, dass die Krise der Türkei im Jahr 2016 einen realen wirtschaftlichen Verlust zwischen 2,3 und 8,3 Mrd. USD einbringen werde. Somit wird man das erwartete Wirtschaftswachstum für 2016 um mindestens 0,15 Prozent nach unten korrigieren müssen. In den Bereichen Export und Tourismus wird die Türkei zugleich Subventionen zahlen müssen, um die regional auftretenden Verluste zu kompensieren. Die türkische Regierung hat bereits Hilfe für Tourismus und Landwirtschaft angekündigt. Ob Subventionen das Ausmaß der finanziellen Einbußen allerdings abfangen können, bleibt abzuwarten. Bau-Industrie - Hoffnungsträger der türkischen Wirtschaft Machte die Bauindustrie der Türkei in den letzten Jahren vor allem durch niedrige Wachstumsraten auf sich aufmerksam, so zeichnet sich nun ein neuer Aufschwung der Branche ab. Die jährliche Investitionsrate der Bauwirtschaft lag im krisengeschwächten Jahr 2012 gerade einmal bei 2,1 Prozent. Für 2016 sagen Experten nun ein Wachstum von 4 Prozent voraus. Dies liegt vor allem an einem stark wachsenden Immobilienmarkt in der Türkei. Besonders die größte Stadt des Landes, Istanbul, ist mit 240.000 verkauften Immobilien im Jahr 2015 (das entspricht einem Anstieg von 18,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr) charakteristisch für die Wiedererstarkung eines tragenden Sektors der türkischen Wirtschaft. Außerdem stützen urbane Transformationsprojekte, wie das „TarlabaşıProjekt“, also die Erneuerung gesamter Stadtviertel, die Tendenz einer weiter wachsenden Bauindustrie. Immobilien sind für Käufer dabei nicht nur als reine Wohnobjekte von Interesse, sondern werden von diesen vermehrt als rentable Investitionen betrachtet. Das ist ein Grund, warum Istanbul sich immer mehr zum Magneten für ausländische Investoren entwickelt. Allein im Jahr 2015 stieg der Immobilienverkauf an Ausländer um 20,4 Prozent. Unter den Käufern befanden sich vorwiegend saudiarabische, irakische und kuwaitische Bürger; daneben auch Russen und Briten mit einem erwähnenswerten Anteil. Ein damit einhergehendes Phänomen ist der enorme Anstieg der Immobilienpreise. Auch hierbei führt Istanbul mit einem Preisanstieg von 26 Prozent im Jahr 2015 die landesweite Entwicklung an. Die Preissteigerungen sind ein weiteres Indiz für die zunehmende Attraktivität der Türkei als internationaler Immobilien-Investitionsstandort. Offenbar ungeachtet der Terrorgefahr und der momentan - aufgrund der Flüchtlingskrise - für Investoren geographisch eigentlich problematischen Lage der Türkei scheint sowohl die türkische Wirtschaft als auch der Staat in der Bauindustrie – wieder einmal - ihren Hoffnungsträger gefunden zu haben.

Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit Projektbüro Türkei Redaktion: Dr. Hans-Georg Fleck – Aret Demirci Cumhuriyet Cad. No 107 D 2 Elmadağ-Istanbul 34473, Türkei www.fnst-turkey.org

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