Treffpunkt Babylon

May 1, 2018 | Author: Anonymous | Category: N/A
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Treffpunkt Babylon Carsten Hussels Ich bin ein ‘Asi‘. Sagen zumindest die vorbeikommenden Leute manchmal in gedämpftem Ton zueinander, wenn sie mich auf der Bank im Stadtpark sitzen sehen. Vielleicht bin ich wirklich asozial; ich weiß es nicht. Wenn asozial bedeutet, dass man nicht gut mit anderen Menschen umgehen kann und Kontakt möglichst vermeidet, bin ich es nicht. Wenn es bedeutet, dass man einen geringeren Beitrag zum Bruttosozialprodukt leistet als der Durchschnitt, dann bin ich es. So einfach ist das. Und so unwichtig. Mir ist egal, was die Leute über mich sagen, denn ich habe Freunde. Jetzt sitze ich zum Beispiel hier am Rande des Parks, hinter mir die Bäume, vor mir die Straße, und sehe Brixton kommen, der wie jeden Tag hier einen kleinen Zwischenstopp einlegt. Brixton stammt aus London und arbeitet im Gegensatz zu mir. Wie ich schon sagte, tauche ich in keiner volkswirtschaftlichen Statistik außer bei der Zahl der Arbeitslosen auf, aber ich sorge dafür, dass Leute wie Brixton sich hier nicht zu einsam fühlen. Er ist ein riesiger schwarzer Kerl und besonders bei älteren Damen sieht man häufig Angst in ihrem Gesicht, wenn er ihnen entgegen kommt. Dabei gibt es überhaupt keinen Grund dafür, aber das muss bei dieser Generation wohl ziemlich tief verwurzelt sein. Ich unterhalte mich gerne mit ihm. „Hey Brixton, wie geht’s?“ „Yo, Steve. What’s up, man?“ „Setz Dich ne Runde zu mir. Ist schließlich so’n schöner Tag heute. Das sollte man genießen.“ „Yeah, let me sit down a bit. You seem to be in a good mood today, ma friend. ‘Cause if you ain’t, you always talkin‘ with more k’s and ch’s...“ „Gehst Du an Tagen wie heute eigentlich gerne zur Arbeit, Brixton? Oder würdest Du lieber wie ich im Park abhängen?“ „Man, there’s one thing I don’t understand ‘bout you. Why you‘re always callin‘ me Brixton? I told you a million times that I am from Brixton in London, but I am called Will! Either you really don’t get it, or you’re some kind of ruthless motherfucker that don’t give a shit ‘bout people’s real names ’n just calls them whatever comes up in his mind.“ Ach ja, ich vergaß zu erwähnen: Brixtons Freund in London heißt Will. Vielleicht sind die beiden auch schwul. Ich habe Brixton noch nicht gefragt, denn wenn er von Will erzählt, regt er sich manchmal ein bisschen auf. Dann ist es besser, ihn nicht zu unterbrechen. „I mean, it’s a matter of respect! From my point of view you owe me at least ’nuff respect to call me ba ma real name. My mom always told me that this is the kinda respect everybody earns to get. So you’d better not introduce your mom to mine, ‘cause she would tell yours ‘bout some decent education.“ „Reg Dich ab, Brixton. Das wird sich alles wieder einrenken.“ „Man, you are a ruthless son of a bitch... But it’s o.k., ‘cause I like you. Anyway it’s better to name me Brixton than some german bullshit nickname with which I don’t even know if you’re makin‘ me look like an asshole in front of others. Maybe it’s your way of payin‘ respect to ma home district.“ „Hey, guck mal, da kommt Fleure.“ Fleure fährt häufig mit ihrem Rad durch den Park und immer wenn sie uns auf dieser Bank sitzen sieht, leistet sie uns Gesellschaft. Ich mag sie sehr, denn sie hat eine richtig schöne Stimme und ist immer freundlich. Sie kommt aus Frankreich und zuerst dachte ich, sie wohnt bei ihrem Opa, aber irgendwann ist mir dann aufgegangen, dass sie als Au-pair-Mädchen hier ist.

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Sie stellt ihr Rad neben der Bank ab. „Salut Stéphane, salut Brixton. Comment-allez vous aujourd’hui?“ „Hallo Fleure, schön dass Du da bist.“ „Hi Fleure, you lookin‘ great today.“ „Ca me fait plaisir de vous voir, mais je suis triste, car la semaine prochaine je retournerai en France.“ „You’re lookin‘ sad, Fleure. Hope nobody ain’t been doin‘ anything bad to you.“ „Parlons pas de choses tristes. Je ne veux pas passer cette après-midi avec mes amis dans une ambience dépressive.“ „Macht Euch der Herbst eigentlich traurig? Mich schon, denn wenn es kälter draußen wird, sitze ich viel zu oft alleine in meiner Wohnung. Wie ist das bei Dir Fleure? Du wohnst ja immerhin bei einer Familie. Magst Du den Herbst?“ „A l’un côté je suis triste, mais à l’autre côté je me réjouies de retourner chez moi. Vous savez, nous habitons à la campagne et pas dans une des grandes villes. Là, on n‘a pas d’embouteillages, pas de stress tout les jours, mais un peu de tranquilité et beaucoup de nature. C’est bon, je l’aime bien.“ Ist schon komisch, oder? Wenn Sie bisher kein Wort von dem Kauderwelsch verstanden haben, dann geht’s Ihnen wie mir. Falls Sie doch mitgekriegt haben, was wir reden, dann werden sie entweder den Kopf schütteln, weil das alles keinen Sinn macht, oder sich wundern, wenn wir doch irgendwie über ähnliche Dinge sprechen. Sie werden sich vielleicht schon gefragt haben, was das eigentlich soll. Aber denken Sie mal nach: Wie oft kommt es vor, dass Menschen, die die gleiche Sprache sprechen, sich trotzdem nicht verstehen? Und jetzt überlegen Sie mal, warum wir drei gerne zusammen auf einer Bank sitzen. „Stevieboy, you know what I’m really missin’ here? Goin’ into a bar with friends o’mine and laughing and drinking all through the night. But you seem to be a kinda very straight man who isn’t really into the drinking business. I respect that, you know. In fact I admire you for that, but still I’m missin’ it.“ Ich schaue mich um und sehe all die Bäume, deren Laub sich rötlich, gelb oder bräunlich verfärbt. Die Sonne wird bald nicht mehr so viel Wärme verbreiten wie heute. Zu Fleure und Brixton, und auch ein bisschen zu mir, sage ich: „Ich mag den Herbst nur, solange ich draußen herumlaufen kann. Es ist irgendwie tröstlich, dass selbst die Bäume traurig werden und ihre Blätter verlieren. Da kommt es mir dann ganz natürlich vor, dass ich mich auch öfter schwermütig fühle. Aber sobald ich zu Hause zwischen meinen Wänden hocke, werde ich irgendwie depressiv.“ „Vous avez aussi l’air un peu triste, vous deux. J’espère que ce n’est pas à cause de moi. Et en tout cas, il faut vraiment que vous me visitez chez moi. ha vous plaira, j’en suis sûre. On fera des tours ensemble avec des bons pique-niques et des choses comme ša. J’espère vraiment qu’un jour je vous reverrai en France.“ Brixton scheint etwas in den Sinn gekommen zu sein, was ihn sehr beschäftigt, denn seine Stirn legt sich in tiefe Falten. „Fleure, I need your advice as a woman. You know, there’s this gorgeous lady at the bar where I’m workin’, comin’ in once or twice a week. I mean, she really knocks me off my feet... And I don’t know if she’s just a bit reserved or if she’s pissed off when I’m talkin’ to her but just too polite to say so. For example when I start a conversation or offer her a drink on the house, she just says ’Thank you, but no’ which could be interpreted as a nice ‘no‘, but she smiles in a certain way when she says it. So I don’t get what she really wants. That I leave her alone or that I make some more efforts?! You women are kind of enigmatic but maybe you can give me a little hint. I mean you won’t betray your kind with that.“ Schade, dass ich nicht weiß, was Brixtons Problem ist. Vielleicht könnte ich ihm ja helfen.

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„I think I’ll try it in french next time. ’Cause I heard that french doesn’t go through the ear and the brain ’n all, but straight to the heart. So maybe that’s the way to approach her. Say a good heartbreaker’s phrase in french to me, Fleure!“ Fleure schaut ihn zweifelnd an. „T’es un drôle gros mec, Brixton.“ „Tey a drowl grow mack? Yeah, that sounds good! I wonder if she can resist that. She’ll melt right before me, I’m sure.“ „Mais qu’est-ce que tu parles, Brixton? Tu apprends le francais ou quoi? T’es maron!“ Ich kann Ihnen versichern, dass ich lieber mit Fleure und Brixton zusammen bin, als mit den meisten anderen Menschen, die ich kennen gelernt habe. Was immer sie auch zu mir sagen, sie geben mir auf jeden Fall das Gefühl, dass sie mich mögen. Und das ist etwas, was ich von vielen anderen nicht sagen kann. „He Fleure, weißt Du eigentlich wie schön es klingt, wenn Du erzählst? Ich verstehe zwar kein Wort, aber ich höre Dir echt gerne zu. Manchmal stelle ich mir dann vor, was Du gerade erzählst. Zum Beispiel, was Dir gestern in der Familie, in der Du hier lebst, passiert ist. Du glaubst gar nicht, was Du schon alles erlebt hast!“ Ich muss lachen; auch Fleure stimmt darin ein. Und daran merken Sie vielleicht, worauf es ankommt, wenn wir zusammen sind. Vielleicht würde es alles kaputt machen, wenn wir die gleiche Sprache sprechen würden, weil wir unterschiedliche Ansichten über alle möglichen Dinge haben und anfangen würden, uns über politische Themen zu streiten, oder ob ich als Arbeitsloser die anderen etwas koste oder so... Es ist einfach schön, mit ein paar Leuten einzig und allein deswegen zusammen zu sein, weil man sich mag und nicht, weil man aus der gleichen sozialen Schicht kommt oder das gleiche Weltbild oder was weiß ich hat. Vielleicht wäre es aber doch schöner, wenn wir alle die gleiche Sprache sprechen würden. Es gab da ja mal einen Versuch mit Esperanto oder so. Scheint aber nicht geklappt zu haben, jedenfalls spricht keiner von uns dreien Esperanto. Wir haben zwar alle das gleiche Geld, aber deswegen verstehen wir uns auch nicht besser. Fleure und ich meine ich mit dem Geld. Brixton hat weiter seine Pfund. Aber die scheinen sein Problem auch nicht zu lösen. Wie komme ich jetzt überhaupt auf so etwas? Ist doch wirklich egal. Manchmal denke ich einfach zu viel nach. Die Beiden müssen weiter und ich verabschiede mich von Brixton mit irgendeinem Londoner RapperHändedruck. Fleure gibt jedem von uns zwei Küsschen auf die Wangen. Brixton geht zu seiner Arbeit und Fleure radelt davon. Und ich stehe in der späten Nachmittagssonne zwischen dem ersten Herbstlaub und bin glücklich. Ich freue mich auf den nächsten Nachmittag mit den Beiden und mache mich auf den Heimweg. Er führt an einem Kiosk vorbei, wo ich mir jeden Tag noch zwei Dosen Bier kaufe. Ich trinke nur noch zu Hause und nicht mehr im Park, denn seit ich das gelassen habe, bezeichnen mich die Spaziergänger nicht mehr so häufig als Asozialen.

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