Städtereise Hamburg - VCS Verkehrs
March 13, 2018 | Author: Anonymous | Category: N/A
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Text: Christine Zeiner Fotos: Peter Krebs
Hamburg ist eine Stadt im Wandel. Rund um den alten Hafen entsteht ein riesiger neuer Stadtteil mit der Elbphilharmonie. Farbiger und widerspenstiger sind einige alte Quartiere.
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ums. Das Boot schrammt auf den Grund. «Na, merken Sie‘s? Hier ist kein Wasser!» Das kleine Schiff wendet: In der Speicherstadt geht es nicht weiter. Die Flut kommt erst in ein, zwei Stunden. «Fünf Stunden lang haben wir auflaufendes Wasser, sieben Stunden ablaufendes Wasser», erklärt der Kapitän. Eng ist es hier, ein bisschen erinnert die Wasserstrasse an Venedig. Wenn man den Kopf nach oben streckt und an den neugotischen, roten Backsteinfassaden hochsieht, kann man die Haken entdecken für die Seilwinde, mit denen früher die Kaffee- und Gewürzsäcke in die Böden hochgezogen wurden. Heute lagern hier vor allem Orientteppiche.
Die Fahrt mit dem Kursschiff auf der Elbe ist eine besonders angenehme Art, Hamburg zu besichtigen: St. Pauli-Landungsbrücken.
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Von den Landungsbrücken ist es ein Sprung zur Reeperbahn. Rechts und links blinken fette Schriftzüge. «Eros Laufhaus» findet man hier, «PulverfassTravestie-Cabaret», «Bei Theresa: Polnische Küche», die Kneipe «Zum Silbersack» und den «Golden Pudel Club» (die «Elbphilharmonie der Herzen») vom Musiker und Autor Rocko Schamoni und vom Sänger der Ex-Punkband Goldende Zitronen, Schorsch Kamerun. Seeleute prägten den Ort, der heute der bestimmende Teil der Kneipen- und Clubkultur Hamburgs ist: Auf der Reeperbahn spannten und verdrehten früher Seilmacher die Schiffstaue. Heute geht man im «Kiez», wie das Viertel genannt wird, aus: Hamburger, Reisende, Betrunkene, Prostituierte, Sextouristen, Künstler und solche, die es gern wären. Es ist schrill und laut hier, ein bisschen eklig mitunter, es riecht nach Bratfett, Urin und Bier.
Die Barkasse tuckert Richtung Norderwerft und lässt die Speicherstadt mit ihren Erkern und Türmchen hinter sich. Ein Mississippidampfer fährt links auf uns zu, schräg dahinter wird an der Elbphilharmonie gebaut, einige KräIn der Hafencity ist es ruhig. Kühl ne stehen vor der Glasfassade. Das Boot und mondän sehen die Büros und Wohschaukelt kräftiger, etwas Wasser spritzt nungen aus, die das Hafenbecken hin herein. Möwen kreischen. Es geht vorbei zur Baustelle der Elbphilharmonie säuan Dock 1. Winzig ist die Barkasse im men. Hier soll das neue Wahrzeichen der Vergleich zu dem Frachtschiff, das hier Stadt entstehen: Auf einem ehemaligen liegt. Ein paar Meter weiter ein Contai- Kakaospeicher wird ein Konzerthaus ernerplatz: Hier werden die grossen Trans- richtet, ein mächtiges Gebäude aus Glas portbehälter gereinigt und repariert. 15 Tonnen pasDie Elbphilharmonie ist das Gegenteil sen in einen kleineren, 30 Tonnen in einen grösseren von dem, was man mit hanseatischer Container. Wir fahren weiter durch eine Schleuse und Zurückhaltung verbindet. sehen schliesslich wieder die St.-Pauli-Landungsbrücken mit dem Pegelturm, dem über hundert und geschwungenen Formen, entworfen Jahre alten Abfertigungsgebäude, den vom Basler Architekturbüro Herzog & de dutzenden Booten und Schiffen und der Meuron. Die Elbphilharmonie ist das GeU- und S-Bahnstation. An einem sonni- genteil von dem, was man mit hanseatigen Tag wie diesem kommen hunderte scher Zurückhaltung verbindet. Spenden Touristen hierher an die Anlegestellen und der Verkauf von Luxuswohnungen des Hamburger Stadtteils St. Pauli. sollten den Bau finanzieren – mittlerweiDer Hafen prägt die Stadt, wirtschaft- le werden die Kosten für die Steuerzahler lich und kulturell. Wie er sich entwickelt, auf mindestens 350 Millionen Euro gebeeinflusst Hamburg. Bürgermeister Olaf schätzt. Der Eröffnungstermin verschiebt Scholz von den Sozialdemokraten will sich laufend. Zurzeit hofft man auf Nodeshalb die Elbe weiter vertiefen lassen. vember 2013. Der geplante U-Bahn-AnAuch ganz grosse Frachter sollen Ham- schluss erfordert zusätzliche Ausgaben, burg anfahren können. Den Grünen ge- für den Bau einer Stadtbahn in anderen fällt der Plan aus ökologischen Gründen Bezirken fehlt das Geld. Bürgermeister weniger. Scholz kündigt stattdessen ein elekt-
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risch geführtes Bussystem mit Vorrangschaltung an. Kritiker argumentieren, Strassenbahnen seien im Massenbetrieb energiesparender und kostengünstiger als Busse. Zurzeit kann man sich für fünf Euro durch die Baustelle führen und die unfertigen Konzertsäle erklären lassen, den Zuschauerraum, die Akustik. Zu Fuss geht es in die siebte Etage. Die Aussichtsplattform auf 37 Metern Höhe soll einmal öffentlich zugänglich sein. Der Wind pfeift. Man sieht Kirchturmspitzen, Schiffe, das Rathaus, die Speicherstadt und die Deichtorhallen, ein ehemaliger Grossmarkt, in dem heute Ausstellungen gezeigt werden. Christine Ebeling ist nicht begeistert. Die Metallbildhauerin ist eine von zweihundert Künstlern, die im Sommer 2009 das Gängeviertel in der Innenstadt besetzten. Hier trinkt sie nun Kaffee in einer heruntergekommenen Kneipe, die gerade wieder zum Leben erweckt wird. Das Haus ist eingerüstet, das kleine Viertel umgeben von Glaskomplexen. In der Kneipe werden jetzt Konzerte, Lesungen und Filmvorführugen veranstaltet. Im hinteren Teil hat man die Blümchentapete freigelegt und alte Tische, Stühle und So-
fas zusammengestellt. Gegen eine Spende Gelder gestrichen, manche fürchteten, bekommt man Tee, Kaffee und selbstge- wegen der Sparmassnahmen schliessen backenen Kuchen. «Teile der Architektur zu müssen. Ebeling will von Vermarkmag ich. Schlichter wäre besser», sagt Die Künstler helfen mit, das beschädigte Bild Ebeling über die Elbphilharmonie. von der Kulturstadt Hamburg zu reparieren. Doch wie das Gebäude aussieht, ist für sie nicht der Punkt: Das Konzerthaus tungsabsichten nichts wissen. Es gehe um nütze nicht der Öffentlichkeit, die es fi- Austausch und Zusammenleben. nanziert. Den sozialen Zusammenhalt sieht Anna Bergschmidt auch in Altona beDas Gängeviertel wurde jahrelang droht: Die Mieten steigen, nicht alle vernachlässigt. Ein Investor wollte die können sich ihre Wohnungen noch leisalten Arbeiterhäuser kaufen und gröss- ten. Der Bezirk zieht mittlerweile viele tenteils abreissen. Die Künstler hingegen möchten, dass der historische Ort erhalten bleibt. Er soll «für alle» offen sein. «Überall in der Stadt werden Ateliers wegsaniert und verkauft», sagt Ebeling. Jetzt arbeiten Kreative hier. Wer mag, kann sich durch das Gängeviertel führen lassen, bei einer der Veranstaltungen mitmachen oder selbst Vorschläge einbringen. Und auch wenn es nicht ihr Anliegen ist: Die Künstler helfen mit, das beschädigte Bild von der Kulturstadt Hamburg zu reparieren. Theatern, Museen und öffentlichen Bibliotheken wurden
Blick durch die Arkaden auf das Rathaus und die Börse, Museumsschiff im Hafen, alte und neue Architektur in der Speicherstadt.
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Strasssenszene im Quartier Ottensen im Stadtbezirk Altona, der bis 1867 zu Dänemark gehörte und 1937 eingemeindet wurde.
«Ob Paris,Tokio oder London: Hüsler Nest ist immer dabei.» Topmodell Patricia Schmid schläft aus Überzeugung im Hüsler Nest. Seit ihrer Entdeckung beim Elite Model Look 2004 ist die Aargauerin Patricia Schmid ein international gefragtes Fashionmodel für renommierte Modelabels. Sie lebt in New York.
an. Bergschmidt ist Mitglied der AntiIkea-Initiative. Der Möbelkonzern plant, eine Filiale in der Grossen Bergstrasse zu eröffnen, einst Deutschlands erste Fussgängerzone, die vermutlich schon schönere Zeiten erlebt hat. Mit Ikea, sagt Bergschmidt, kämen noch mehr Autos in die Stadt. Das Kaufhaus sei keine Stadtaufwertung, sondern Teil eines strukturellen Wandels, der die kulturelle Vielfalt Altonas verdränge. Seit dem Winter wird das alte Einkaufszentrum abgerissen. Man könnte die Fläche gut für die Hamburger nutzen, meinen die Ikea-Gegner. Eine Zeit lang fanden im leerstehenden Gebäude Partys, Konzerte und Vernissagen statt. Ein paar Meter weiter, im Altonaer Viertel Ottensen, reiht sich Laden an Laden: Filialen der internationalen Schuhund Modeketten, Geschäfte mit teurem Schnick-Schnack und Gaststätten. Man findet das Café «Schweizweit», wo es Rösti, Käse und Rivella gibt, und das «El Rojito», wo man fair gehandelten Kaffee der gleichnamigen Hamburger Initiative
bekommt. In dem 1971 gegründeten Kulturzentrum «Fabrik», in der zuvor Maschinen produziert worden sind, finden Lesungen, Diskussionen, Konzerte und Theaterauff ührungen statt. Mit Kindern wird gemalt, getöpfert und gekocht. Früher war Ottensen ein Viertel der Arbeiter und Kleinindustrie. Es wurde «Mottenburg» genannt: Wer die Motten auf der Lunge hatte, hatte Tuberkulose. Immer noch ist Hamburg proletarisch und bodenständig, an manchen Ecken abgerissen und schäbig, an anderen schick und sehr elegant. Die Stadt ist kreativ und progressiv, Alternativkultur blüht im Schatten des Wandels ärmlicherer Viertel in teurere, der Gentrifizierung. Und neben Zugezogenen aus allen Teilen Deutschlands und der Welt gibt es natürlich noch die bürgerlich-reiche, protestantische, Understatement betonende hanseatische Ureinwohnerschaft. «Alle wollen dich, und du weisst das, und du geniesst das», sang die Berliner Band Lassie-Singers in den 90er-Jahren über Hamburg. Das dürfte immer noch gelten.
Nützliche Informationen
Hüsler Nest AG
www.huesler-nest.ch
Anreise/Rückreise: Mehrere direkte ICE-Verbindungen ab Basel und Zürich (www.sbb.ch). Dazu täglich eine Nachtverbindung ab Zürich (www.citynightline.ch s. auch Seiten 30/31). Unterkunft/Touristische Informationen: www.hamburg-tourism.de; www.umwelthauptstadt.hamburg.de Pauschalangebote: www.via-verde-reisen.ch, Tel. 0848 823 823
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