Programmheft als PDF

March 19, 2018 | Author: Anonymous | Category: N/A
Share Embed


Short Description

Download Programmheft als PDF...

Description

Komm, lass uns etwas Gutes tun und dabei sterben.

Michael Kohlhaas NACH EINER NOVELLE VON HEINRICH VON KLEIST BEARBEITUNG VON FRANZISKA STEIOF

verdammt nah

MÖRGENS JUNGES THEATER

THEATERAACHEN · 0241/4784-244 WWW.MOERGENS.DE

MICHAEL KOHLHAAS NACH EINER NOVELLE VON HEINRICH VON KLEIST BEARBEITUNG VON FRANZISKA STEIOF

Mit Emilia Rosa de Fries Roman Koniezcny Joey Zimmermann Inszenierung Nora Mansmann Bühne Laura Wallrafen Kostüme Dominique Muszynski Dramaturgie Katharina Rahn Regieassistenz und Abendspielleitung Nikolaj Malik Technische Betriebe und Werkstätten, Leitung: Ralf Maibaum Technischer Direktor. Detlev Beaujean Ausstattungsleiter und stellvertretender Technischer Direktor. • Mörgens Bühnentechnik/Ton/Licht Michael Altgott / Christian Lechte / Julia Beaujean / Harald Goldner / Ralph Würzberg. • Vorstände der Werkstätten: Schreinerei Lothar Grzesinski. Schlosserei Franz Severain. Kaschierwerkstatt Claus Röttgerding. Malersaal Manfred Zepf. Polsterei Onno Jansen. • Kostümabteilung Renate Schwietert. Gewandmeisterinnen Susanne Heuser, Renate Schneider. • Chefmaskenbildnerin Kathrin Pavlas. • Requisite Kai Wätjen. Die Ausstattung wurde in den Werkstätten des Theater Aachen hergestellt.

Premiere Mi 21. September 2011, Mörgens. Aufführungsdauer ca. 1 Stunde, 20 Minuten, keine Pause. Theater Aachen Spielzeit 2011/2012 Herausgeber Stadttheater und Musikdirektion Aachen Generalintendant Michael Schmitz-Aufterbeck Verwaltungsdirektor Udo Rüber Redaktion Katharina Rahn

Literatur http://www.kikisweb.de/gruppen/ballspiele/schweinchen.htm Süddeutsche Zeitung, Samstag/ Sonntag, 18./19. Juni, 2011 Friedmar Apel (Hg.): Kleists Kohlhaas. Ein deutscher Traum vom Recht auf Mordbrennerei. Berlin, 1987. Hans Georg Schede: Michael Kohlhaas. Schroedel Interpretationen. Braunschweig, 2009 Tilman von Brand: Michael Kohlhaas. Oldenbourg Interpretationen. München, Düsseldorf, Stuttgart, 2007. Walter Hinderer (Hg.): Kleists Erzählungen. Stuttgart, 1998. Thomas Hobbes: Leviathan. Stuttgart, 1986. Reinhart Koselleck: Kritik und Krise. Freiburg, München, 1959. Jean-Jaques Rousseau: Vom Gesellschaftsvertrag. Stuttgart, 1986. Hans-Georg Schede: Heinrich von Kleist. Hamburg, 2008. Fotos Wil van Iersel Aufführungsrechte Verlag Autorenagentur

MÖRGENS

MICHAEL KOHLHAAS

2

FUNNY GAMES

SCHWEINCHEN IN DER MITTE

Es wird mit mindestens 3 Personen gespielt. Zwei Personen stehen außen, eine Person steht in der Mitte. Die äußeren Mitspieler werfen sich nun immer wieder den Ball zu. Das »Schweinchen«, also die Person, die in der Mitte steht, muss nun versuchen den Ball zu bekommen. Verboten ist es, den Ball aus der Hand zu schlagen, oder die anderen Spieler zu berühren. Hat das Schweinchen den Ball bekommen, tauscht es mit der Person, die Schuld am Ballverlust war (offensichtlich denn Ball falsch abgespielt oder nicht gefangen). Man kann das Spiel auch mit mehreren Leuten spielen, wobei dann auch mehrere Schweinchen in der Mitte stehen können, oder mit mehreren Bällen gespielt werden kann. http://www.kikisweb.de/gruppen/ballspiele/schweinchen.htm

MÖRGENS

MICHAEL KOHLHAAS

3

»JA,WEISSTE: SO WIE BEI KOHLHAAS …«

Das passiert den normalsten Menschen. Kleists Kohlhaas ist zunächst alles andere als ein überempfindlicher, verbissener Querulant. Im Gegenteil: Er ist ein rechtschaffener, gesetzestreuer Bürger. Er besitzt einen Hof, auf dem er mit seiner Familie lebt. Jeder mag ihn. Kohlhaas handelt mit Pferden. Diese Arbeit lässt ihn quer durchs Land reisen. Er kommt auf das Gebiet des Junkers von Tronka, wird aufgehalten durch eine Schranke – einen Schlagbaum: Vom Burgvogt und seinen Knechten wird ihm unverhältnismäßig viel Geld abgeknüpft. Kohlhaas bleibt ruhig, will sein Gewerbe und das Verhältnis zu den Nachbarn nicht schädigen. Der Junker von Tronka, der auf der Burg lebt, lässt sich allerlei Unverschämtheiten einfallen, Kohlhaas bleibt ruhig. Er soll einen Passschein lösen, von dem er schon ahnt, dass er eigentlich nicht existiert – er bleibt ruhig. Er soll als Pfand zwei seiner Pferde zurücklassen, die er eigentlich verkaufen will, darum reitet er ja erst durch diese Gegend. Kohlhaas bleibt ruhig. Als er die Tiere wieder einlösen will, sind sie halb tot geschunden: Kohlhaas vermutet noch einen Fehler seines Knechts Herse – Alles was Michael

MÖRGENS

MICHAEL KOHLHAAS

Kohlhaas will, ist den Fall aufklären und eine gerechte Entschädigung erhalten. Er schaltet die Justiz ein, wartet, dass alles seinen Lauf nimmt. Die Klage wird mehrmals abgewiesen. Die Willkür prasselt nur so auf ihn ein und irgendwann verliert Kohlhaas den Glauben an ein Rechtssystem. War er bisher noch der Überzeugung, dass sich am Ende ein natürliches Gleichgewicht der Dinge wieder einstellt, besinnt er sich nun auf die Stärke seiner eigenen Moral, seines eigenen Rechtsgefühls. Dies bringt ihn dazu, sich von allen Alltäglichkeiten zu befreien, Haus und Hof zu verkaufen, sein Gewerbe aufzugeben. Er dient nun nur noch der Sache. Er will Gerechtigkeit. Als er aber statt Recht nur neue Kränkungen erfährt und seine Bemühungen ihn schließlich auch noch seine Frau kosten, fühlt er sich von der menschlichen Gemeinschaft, dem Staate gänzlich ausgestoßen. Nun macht ihn das gleiche Rechtsgefühl, das ihn vorher zum Muster eines guten Staatsbürgers gemacht hat, in den so veränderten Verhältnissen zum Terroristen.

4

»JA,WEISSTE: SO WIE BEI KOHLHAAS …«

Er beginnt einen Krieg – erst gegen seinen eigentlichen Gegner, den Junker von Tronka, dann auch gegen das System – in der völligen Überzeugung, für das Gute zu kämpfen. Er macht sich zum »Statthalter des Erzengels Michael« – er will das Verhältnis von Gut und Böse wieder ins Gleichgewicht bringen, der für ihn völlig aus den Fugen geratenen Welt eine neue Ordnung sichern und verliert dabei selbst jedes Gefühl für Gleichgewicht. Er kämpft schließlich nur noch in eigener Sache. Dabei metzelt er alles nieder, begeht Ungerechtigkeiten, um sein Recht durchzusetzen. Immer wieder werden dem Kohlhaas Auswege geboten. An prominenter Stelle ist da Martin Luther, ihm der »teuerste und verehrungswürdigste Name«, den er kennt. Indem dieser darauf hinweist, dass noch nicht alle friedlichen Maßnahmen ausgeschöpft sind, versucht er ihn zur Besinnung zu bringen und von einem Rechtsverständnis zu überzeugen, das dem Kohlhaas veraltet erscheinen muss: Kleist schrieb den Kohlhaas als Erzählung – basierend auf der wahren Geschichte von Hans Kohlhaase – der 1540 wegen einer ähnlichen Geschichte in Berlin hingerichtet wurde – und aus den eigenen, politisch aktuellen Verhältnissen seiner Zeit heraus. So werden die Staatstheorien der Aufklärung ins Mittelalter versetzt. Wenn Kohlhaas auf Luther trifft, treffen hier zwei Epochen aufeinander; Kohlhaas argumentiert auf der Ebene der auf Hobbes beruhenden Theorie eines ›Naturrechts‹, die von Rousseau weiterentwickelt wurde und die im Groben von folgender Vorstellung ausgeht: Weil der ›Mensch dem Menschen ein Wolf‹ ist, geben alle Mitglieder eines Staates von ihrer Freiheit etwas ab, schließen einen Gesellschaftsvertrag und wählen einen Vorstehenden – einen Herrscher, dem sie das Entscheidungsrecht abtreten und dessen Schutz ihnen wiederum eine gewisse Freiheit gewährleistet. Aus diesem Vertrag können sich die Menschen lösen, ein Verbrecher fällt qua seiner Handlung aus der Gesellschaft heraus. Kohlhaas fühlt sich durch die ihm gegenüber waltende

MÖRGENS

MICHAEL KOHLHAAS

Ungerechtigkeit aus der Gesellschaft verstoßen und rechtfertigt so seine Taten: »Der Krieg, den ich mit der Gemeinheit der Menschen führe, ist Missetat, sobald ich aus ihr nicht verstoßen war!« Dieser Kohlhaas trifft auf eine Zeit, in der man noch von der christlich geprägten Theorie des Mittelalters ausgeht, in der eine Mitgliedschaft im sozialen Gefüge allein durch das Dasein besteht. Der Mensch lebt in einer von Gott gegebenen Welt – das Recht, sich für oder gegen eine Gemeinschaft zu entscheiden, besteht nicht. Rechtfertigen muss sich der Mensch allein’ vor Gott. Dies meint Luther, wenn er dem Kohlhaas fragend antwortet: »Ja, wo ist, solange Staaten bestehen, ein Fall, dass jemand, wer es auch sei, daraus verstoßen worden wäre?« Kohlhaas wiederum entgegnet: »Verstoßen nenne ich den, dem der Schutz der Gesetze versagt ist. Und wer ihn mir versagt, der stößt mich zu den Wilden in die Einöde hinaus; er gibt mir die Keule, die mich selbst schützt, in die Hand«. Kohlhaas beruft sich auf seine eigene Moral. Auf diese Weise rechtfertigt er seine Selbstrache. Er zieht weiter auf seinem Wege. Unter Vortäuschung von Amnestie und freiem Geleit wird er eingesperrt und schließlich verurteilt. Durch die Prophezeiung einer Zigeunerin wird ihm noch einmal die Chance gegeben, sein Leben zu retten. Er schlägt sie aus. Bis zum Ende, bis zu seinem Tod, führt Kohlhaas in seinen Augen einen gerechten Krieg und steht damit gleichzeitig für eine Diskussion der Verhältnisse von Macht und Staat, von Herrscher und Beherrschten, von Recht und Unrecht. Die Machtverhältnisse im Staat, das fehlende Vertrauen in ein Gewaltmonopol, das über die Rechte des Einzelnen entscheiden soll, beschäftigte Kleist zu seiner Zeit – Michael Kohlhaas erschien 1810 zum ersten Mal – und macht den Stoff gleichzeitig so aktuell. Katharina Rahn

5

Ich nenne nämlich Glück nur die vollen und überschwänglichen Genüsse, die in dem erfreulichen Anschauen der moralischen Schönheit unseres eigenen Wesens liegen. Diese Genüsse, das Gefühl unserer durch alle Augenblicke unseres Lebens, gegen tausend Anfechtungen standhaft behaupteten Würde sind fähig, selbst unter den scheinbar traurigsten Umständen, ein sicheres, tiefgefühltes, unzerstörbares Glück zu gründen. Heinrich von Kleist, Brief an Christian Ernst Martini, Potsdam, den 18. (und 19.) März 1799

MÖRGENS

MICHAEL KOHLHAAS

6

DIE VERKAPSELTE WAHRHEIT

[…] Was bisher unterschlagen wurde, ist, dass die Genugtuung des Kohlhaas am Ende auch mit der Kapsel zu tun hat, die er um den Hals trug. Man vergisst es leicht, weil der Erzähler es sehr spät nachträgt, dass Kohlhaas diese Kapsel von Anbeginn seines Rachefeldzugs bei sich hat. Mit den Episoden, die mit der wahrsagenden Zigeunerin verbunden sind, konnten die meisten Interpreten der Vergangenheit wenig anfangen. Wo man sie nicht als romantische Zutat beiseite schob, finden sich eher belustigende Interpretationsversuche. Diese reichen von der Deutung der Zigeunerin als Symbol für das wohlmeinende Volk bis zu dem Unterfangen, den Wortlaut des Zettels zu rekonstruieren, was ein wenig dem Versuch gleicht, das Nichtrationale zu messen oder zu wiegen, denn was auf dem Zettel steht, soll der Leser nicht wissen, es bleibt mit deutlichem Kalkül das der dargestellten Wirklichkeit der Erzählung Andere, das Unausgesprochene. Andernfalls hätte ja Kleist von der realistischen Konzeption nicht abweichen müssen.

MÖRGENS

MICHAEL KOHLHAAS

Die Rückwendung in der Zeitordnung des Erzählten macht darauf aufmerksam, dass die Kapsel mit dem Motiv der Wahrsagung sich von vornherein auf Zeit bezieht. Die Zigeunerin gibt dem Kohlhaas die Kapsel mit der Prophezeiung, sie werde ihm »dereinst das Leben retten«. Das trifft aber nicht ein, zumindest nicht im oberflächlichen Wortsinn, allenfalls so, dass Kohlhaas' stattgehabtes Leben im Rückblick gerettet, mit Sinn erfüllt wird. Wodurch, darauf weist ein Satz hin, der oft verwirrt hat; dem, mit dem Kohlhaas die Weigerung, den Zettel herauszugeben, begründet: dass nämlich »die Kinder selbst, wenn sie groß wären, ihn, um seines Verfahrens loben würden, und dass er, für sie und ihre Enkel nichts Heilsameres tun könnte, als den Zettel zu behalten«. So steht die verkapselte Botschaft für die Verbindung mit Zeit und Geschichte über die Endlichkeit des eigenen Lebens hinaus. Dies zeigt sich am Ende in der Konfrontation der Vertreter von Macht und Gegenmacht. Während Kohlhaas versöhnt mit sich selbst im Bewusstsein der

7

DIE VERKAPSELTE WAHRHEIT

Erzählung setzt Kleist diese Symbolik ein, um die Wechselseitigkeit der menschlichen Energie jenseits der trennenden Logik deutlich zu machen, aber darüber hinaus berechtigt diese Symbolik des Anderen den Leser, sich über tiefer liegende Motive und Begehrungen des Textes und Kleists Gedanken Von Kleists Lebenszeugnissen her ist es sicher zu machen. Denn jene emotionale Befriedigung, die auch gerechtfertigt, die Kapsel als sinnlich fassba- der Text seinen Lesern immer wieder verschafft ren Ausdruck jenes übergeordneten Sinnprin-zips hat, liegt ganz sicher auch in der Imagination von aufzufassen, nach dem Kleist so gequält suchte, Grandiosität, mit der ein verletztes, narzisstisch und auch von daher deutet der Schluss des gekränktes Ich die Wiedererstattung des »Kohlhaas« voraus auf jene von Kleist in seinen Verlorenen gewaltsam und aus eigener Machtletzten Briefen formulierte Seligkeit, in der die vollkommenheit erzwingt. […] Unvereinbarkeit des Einzelnen und des Ganzen im Friedmar Apel (Hg.): Kleists Kohlhaas. Gedanken des Todes überschritten wurde. In der Ein deutscher Traum vom Recht auf Mordbrennerei. Berlin, 1987. Fortgeltung seines Lebens seinen Tod annimmt, bleibt der sächsische Kurfürst »Zerrissen an Leib und Seele« zurück; was die Geschichte über ihn zu sagen hat, bleibt den Nachforschungen des Lesers überlassen. […]

MÖRGENS

STÜCK

8

DIE ZAUNKRIEGER

Sie sind zu laut, zu freizügig oder sie stinken: Der ärgste Feind des Menschen ist oft sein Nachbar. Die Streitkultur am Gartenzaun wird immer härter – weil die eigene Freiheit wichtiger wird und die der anderen nur nervt. Einmal hat mein Hund in den Grünstreifen vorm Haus gekackt. Ich hatte die schwarze Plastiktüte bereits in der Hand, als ein Nachbar, er wird Mitte dreißig gewesen sein, mit falschem Lächeln an mich herantrat und die rhetorische Frage stellte: »Sie machen das schon weg?« Meine Gegenfrage, nicht weniger rhetorisch, lautete: Wozu sollte ich die Tüte zur Hand genommen haben, wenn nicht zum Zweck der Beseitigung? Ich verwandelte die Zurechtweisung des Nachbarn meinerseits in eine Zurechtweisung seiner hausmeisterhaften Anmahnerei und legte ihm in einer vergleichsweise schlanken Suada dar, dass unsere Gesellschaft durchaus ihren friedlich-zivilisatorischen Charakter beibehalten würde, wenn es nicht überall Leute gäbe, die andere auf ihre bürgerlichen Pflichten hinweisen. Der Mahner verzog sich verstört, ich entfernte das Übel ordnungsgemäß und reagierte

MÖRGENS

MICHAEL KOHLHAAS

damit vergleichsweise moderater als der Hundebesitzer in Jackson/Mississippi, der im Februar dieses Jahres seinen Nachbarn, als dieser sich über einen in seinem Garten vorgefundenen Hundehaufen beschwerte, kurzerhand mit dem Jagdgewehr niederschoss. Es sieht so aus, als ließen sich Nachbarschaftsuneinigkeiten immer seltener auf verträgliche Weise beilegen. Die sogenannten Zaunkriege – früher ein ironisches Wort für andauernde, aber im Grunde zu handhabende Streitereien – werden immer häufiger zu veritablen Schlachten, auf deren Höhepunkt die Polizei ausrücken muss. Wenn es ein Nachbar, wie kürzlich in München geschehen, unangemessen findet, dass im Garten nebenan ein Grill angezündet wird, ruft er umgehend die Feuerwehr an, die mit ihrer gesamten Logistik anrücken und natürlich unverrichteter Dinge wieder abziehen muss. Das alles kostet gute Laune und vor allem Geld. […] Es wird mit einer rücksichtslosen Härte gekämpft, und um die Folgen schert man sich kaum noch. Immerhin ist jeder erbitterte Nachbarschaftsstreit mit lang-

9

DIE ZAUNKRIEGER

des Nachbarn unaufhörlich quakte, nahm dieser ein Luftgewehr und zersiebte Knötti, der, was die Tragik des Falls auf schmerzliche Weise rundete, wegen eines Gendefekts gar nicht in der Lage gewesen sein soll, froschtypische Quarkgeräusche Natürlich sind Streitereien unter Nachbarn kein von sich zu geben. Die Causa endete vor dem ausschließliches Phänomen der Spätmoderne. Amtsgericht Krefeld mit einer geringen Geldstrafe Auch in der frühen Neuzeit ließen sich Bürger zu für den Angeklagten. […] verbissenen Auseinandersetzungen hinreißen, meistens ging es dabei um das Wegerecht, um zu weit Gemeinhin gelten die deutschen Schrebergärten ans Haus ragende Dachrinnen und Landver-mes- als Musterbeispiel für ein geordnetes Miteinander, sungsfragen. Aber auch öffentliche Verleum-dun- weil in ihnen das Leben und gärtnerische Wirken gen mussten von den Schiedsgerichten beurteilt der Besitzer komplett geregelt wird. Der integrawerden, zum Beispiel die unselige Sache, welche tive Zwang, der in den meisten Stadtvierteln nicht der Stralsunder Bürgerin Christina Sophia von mehr gegeben ist, sei hier oberstes OrdnungsprinBohlen im August 1794 widerfuhr. Eine Hetz- zip, sagt Eric Piltz. Aber dass eben gerade das schrift an einem Baum vor der Langeschen Buch- Verständnis von Ordnung ein individuelles ist, handlung stellte Frau von Bohlen in klaren Zu- zeigt die traurige Geschichte aus einem Kleingarsammenhang mit Zuchtlosigkeiten, die ihrer Ehre ten in Niedersachsen, die sich vor knapp drei Jahschadeten. Auf dem Zettel standen die Worte: ren zutrug. Am 22. September 2008 brachte »dies ist das neue lied von fräuln bohlen, die sich Wilfried Reinecke, der jahrelang seinen Kleingaralle nacht vögeln liehz.« Weiter ist die Rede von ten in Gifhorn gepflegt und jede Unordnung darin Frau Bohlen als namentlich ausgewiesenem als Angriff auf seine Person verstanden hatte, Mitglied des Adels, aber: »die adelschaft ist mit seine Nachbarn mit einem Knüppel um. Reinecke mistforck auf den Kop gesetzt, ihre erziehung ist war zum Zeitpunkt der Tat 65 Jahre alt und hatte her wo die ogsen aus dem fenster sehen.« Die bis dahin in sein Leben keine wirkliche Rundung damals dieser Verbalinjurien verdächtige, einstige gebracht. Er verdingte sich als GelegenheitsMitbewohnerin Frau von Bohlens, Anna Katha- arbeiter und schleppte sich so durch die Jahrrina Kaehlert, wies die Vorwürfe von sich. Man zehnte, bis ihn 2004 eine Krebserkrankung in die überbot sich am Ende mit Ehrbezeugungen, und Knie zwang. Als die Therapie anschlug, legte er sich den Kleingarten zu und setzte einen verbissedie Sache war aus der Welt. nen Ehrgeiz daran, den Rasen kurz und ordentlich Solche Waffenstillstände folgten freilich nicht der zu halten. Aber es wehten regelmäßig Saatkörner wunderbaren Läuterung der Streitenden, sondern auf diesen Rasen, die, Reinecke war davon überwurden von Nachbarschaftsvorstehern herbeige- zeugt, vom Grundstück der Familie Kaczmarek führt, die man heute als Mediatoren kennt. Wenn stammten. Reinecke und die Kaczmareks besich zwei Nachbarn so verhaken, dass sie sich schimpften sich von da an maßlos und überboten selbst nicht mehr aus der Kampfzange befreien sich mit Racheakten, ein Kaninchenstall ging in können, rufen sie einen Mediator, der ihnen auf Flammen auf, eine Hütte brannte ab. An jenem nicht-juristischer Ebene die Konfliktlösung abneh- 22. September nahm Reinecke einen Knüppel zur men soll. […] Das Schicksal des niederrheini- Hand und erschlug Hans Kaczmarek, dessen Frau schen Teichfroschs Knötti konnte allerdings kein Gisela und deren 33-jährigen Sohn Martin damit. Mediator abwenden. Weil das Tier nach Ansicht Drei Tage später wurde er gefasst, später zu lejähriger, wenn nicht ewiger Feindschaft verbunden, das soziale Gefüge gerät aus der Balance und ein angenehmes, bauchschmerzenfreies Miteinander ist für lange Zeit ausgeschlossen.

MÖRGENS

MICHAEL KOHLHAAS

10

DIE ZAUNKRIEGER

reagieren, deren Mitglieder oft so unterschiedliche Lebensvorstellungen haben, dass sie kaum konfliktfrei unter einem Hausdach wohnen können. Sozialität soll durch Social Engineering hergestellt werden, durch eine ausgefeilte Stadt- und Wohnplanung, die genug Freiraum bietet für Wenn die Tat nicht so grausam gewesen wäre, Singles, Ein-Kind- und Mehr-Kind-Familien, für könnte man sagen, Herr Reinecke habe auf die Alte und für Griesgrame. Und dann muss das archaisch wilde Weise gehandelt, um seinen Ganze auch noch einen urbanen Charakter haben, Nachbarschaftsstreit auszufechten. Denn wie es weil die Stadt mehr Hedonismus verspricht als sich für eine digitale Gesellschaft gehört, finden das Ländliche. Einerseits möchte man die alte sich Denunzianten und Rufzerstörer mittlerweile Nachbarschaftskultur wiederhaben, zum anderen aber so leben, wie man es sich wünscht. […] vorzugsweise in Internetforen zusammen. […] benslanger Haft verurteilt. In seinem Schlussplädoyer sagte Reinecke, die Tat tue ihm leid, Ordnung sei aber nun mal sein höchstes Lebensprinzip und: »Ich würde immer wieder so handeln.«

Stadtplaner, Architekten und Sozialwissenschaftler sind seit Jahren dabei, auf eine Gesellschaft zu

MÖRGENS

STÜCK

Hilmar Klute, SZ, 19.06.2011

11

GOD'S GONNA CUT YOU DOWN – JOHNNY CASH

You can run for a long time, Run on for a long time. Run on for a long time: Sooner or later gotta cut you down. Sooner or later gotta cut you down.

You can run for a long time, Run on for a long time. Run on for a long time: Sooner or later gotta cut you down. Sooner or later gotta cut you down.

Go tell that long tongued liar, Go an' tell that midnight rider. Tell the rambler, the gambler, the back-biter. Tell 'em that God's gonna cut 'em down. Tell 'em that God's gonna cut 'em down.

Well you may throw your rock, hide your hand, Workin' in the dark against your fellow man. But as sure as God made black an' white, What's done in the dark will be brought to the light.

Well, my goodness gracious, let me tell you the news. My head's been wet with the midnight dew. I been down on bended knee, Talkin' to the man from Galillee.

You can run for a long time, Run on for a long time. Run on for a long time: Sooner or later gotta cut you down. Sooner or later gotta cut you down.

He spoke to me with a voice so sweet, I thought I heard the shuffle of angel's feet. He called my name an' my heart stood still, When he said: »John, go do my will.«

Go tell that long tongued liar, Go an' tell that midnight rider. Tell the rambler, the gambler, the back-biter. Tell 'em that God's gonna cut you down. Tell 'em that God's gonna cut you down. Tell 'em that God's gonna cut you down.

Go tell that long tongued liar, Go an' tell that midnight rider. Tell the rambler, the gambler, the back-biter. Tell 'em that God's gonna cut 'em down. Tell 'em that God's gonna cut 'em down. MÖRGENS

MICHAEL KOHLHAAS

12

BIOGRAPHIEN

NORA MANSMANN

LAURA WALLRAFEN

Nora Mansmann, geboren 1980 in Friedberg/ Ts., wuchs in Marburg und Kassel auf. Sie studierte Musikwissenschaft und Germanistik in Göttingen und Berlin. Sie hospitierte und assistierte bei Jürgen Gosch, Armin Petras, Ingo Berk, Mareike Mikat sowie bei German Theater Abroad (unter anderem 2004 beim Festival New German Voices in New York). Seit 2004 erarbeitet Nora Mansmann eigene Theaterproduktionen als Regisseurin, zum Beispiel im Januar 2010 »Jugend ohne Gott« von Ödön von Horváth in einer eigenen Fassung am Theater Aachen. In der Spielzeit 2010/11 inszenierte Nora Mansmann hier »Clyde und Bonnie« und am Theater Bremerhaven Amerika von Franz Kafka in einer eigenen Fassung. Frühere Arbeiten führten sie an das Theater Bonn, das Düsseldorfer Schauspielhaus, das Drama Köln und in die freie Szene in Berlin.

Laura Wallrafen wurde am 13. Februar 1988 in Heinsberg geboren. Nach dem Abitur absolvierte sie von 2007 bis 2008 ein Propädeutikum an der Academie Beeldende Kunsten Maastricht und studierte anschließend Bühnenbild an der Toneelacademie Maastricht und an der Universtiät für Angewandte Kunst in Wien. Sie schloss in diesem Jahr mit dem mit Bachelor of Theatre ab und beginnt nun ihr Masterstudium. Michael Kohlhaas im Mörgens ist ihre erst professionelle Theaterarbeit. Laura Wallrafen ist die erste Teilnehmerin an einer Kooperation zwischen dem Mörgens und der Touneelacademie Maastricht. In dieser Spielzeit werden fortlaufend Kostüm- und Bühnenbildstudenten die Produktionen im Mörgens ausstatten.

DOMINIQUE MUSZYNSKI Dominique Muszynski studierte an der Toneelacademie Maastricht Kostüm- und Bühnenbild. Während ihres Studiums nahm sie an diversen Projekten teil, u.a. bei dem »Spieltriebe« Festival in Osnabrück und an der Kostümperformance »Medea« bei der Quadriennale in Prag. Nach ihrem Abschluss als Bachelor of Theatre übernahm sie 2009/10 für zwei Monate die Ausstattungsassistenz für die Produktion »Delirium« am Staatstheater Mainz. Seit Februar 2010 arbeitet sie als Kostümassistentin am Theater Aachen, wo sie regelmäßig für ausgewählte Produktionen auch die Kostüme entwirft.

MÖRGENS

MICHAEL KOHLHAAS

13

View more...

Comments

Copyright © 2020 DOCSPIKE Inc.