Materialmappe - Staatstheater Braunschweig

March 25, 2018 | Author: Anonymous | Category: N/A
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Schauspiel Staatstheater Braunschweig Spielzeit 2013/2014 www.staatstheater-braunschweig.de Theaterpädagogin: [email protected] Tel. (0531) 1234 553 Dramaturgin: [email protected] Tel. (0531) 1234 540

»Apathisch für Anfänger« von Jonas Hassen Khemiri aus dem Schwedischen von Jana Hallberg Deutschsprachige Erstaufführung

Materialmappe Mitte der Nuller-Jahre erkrankten in Schweden zahlreiche Kinder. Sie hörten auf zu essen und zu trinken, verloren den Kontakt zur Außenwelt, wurden apathisch. Ihre Eltern waren Flüchtlinge, die entweder eine Ablehnung ihres Asylantrags erwarteten oder bereits bekommen hatten. Es entstand eine Protestbewegung, die versuchte, die Politiker davon zu überzeugen, die kranken Kinder im Land zu lassen, stattdessen wurden sie zwangsweise abgeschoben. Was war eigentlich geschehen? Es gab viele Gerüchte: die Kinder hätten simuliert, um eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Oder ihre Eltern hätten sie vergiftet. Oder aber unser Asylsystem hätte sie krank gemacht. Wer war eigentlich schuld daran – die Eltern, die Beamten oder die Politiker?

vlnr: Ursula Hobmair, Oliver Simon, Rika Weniger, Hans-Werner Leupelt, Mattias Schamberger

Mit dieser Mappe möchten wir Ihnen Anregungen zur Vor- und Nachbereitung eines Theaterbesuchs von »Apathisch für Anfänger« anbieten, dabei beschäftigen wir uns mit verschiedenen Schlaglichtern unserer Inszenierung. Die Inszenierung lässt sich – nach unserer Einschätzung – sowohl in den Unterricht Darstellendes Spiel, dem Fach Deutsch aber auch dem Fach Politik und Wirtschaft / Werte und Normen einbinden. Die Materialsammlung ist eine dramaturgisch und theaterpädagogisch aufgearbeitete Sammlung an Hintergrundwissen und Arbeitsangeboten vor allem für die Lehrerschaft und für Ihren Unterricht. Die Bausteine sind frei kombinierbar. Nicht alle Informationen dienen dazu detailliert an die Schülerinnen und Schüler weitergegeben zu werden. Es ist Ihnen überlassen, wie viel Sie verraten wollen und welche Übungen Sie von dem praktischen Voroder Nachbereitungsblock im Unterricht einsetzen. Wir empfehlen Ihnen auf jeden Fall vor dem Vorstellungsbesuch etwas zum Stückinhalt, der Grundthematik sowie der Ästhetik unserer Inszenierung mit den Schülerinnen und Schülern zu thematisieren. Wir wünschen einen anregenden Theaterbesuch, sind auf Meinungen zum Stück und zu dieser Mappe gespannt, Angelika Andrzejewski & Katrin Breschke

Herausgeber Staatstheater Braunschweig, Am Theater, 38100 Braunschweig Generalintendant Joachim Klement Redaktion und Gestaltung Angelika Andrzejewski, Katrin Breschke Fotos Volker Beinhorn Redaktionsschluss 20.09.2013 Änderungen vorbehalten!

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Besetzung Inszenierung Mina Salehpour Bühne Jorge Enrique Caro Kostüme Maria Anderski Dramaturgie Katrin Breschke Theaterpädagogik Angelika Andrzejewski 1– Mann: Die Stimme, Klassenkamerad, Lehrer, Psychologe, Peter, Samo, Nachbar Hans-Werner Leupelt 2 – Mann: Die Stimme, Dino, Rafiq, Neutraler Dolmetscher, Gösta, Ministerpräsident Oliver Simon 3 – Frau: Die Stimme, Maja, Eva, Ministerin, Demonstrantin Ursula Hobmair 4 – Frau: Die Stimme, Klassenkameradin, Böse Beamtin, Gute Beamtin, Nachbarin Rika Weniger 5 – Der Ermittler Mattias Schamberger

Regieassistenz Max Hanisch, Lisa Kempter Abendspielleitung Max Hanisch Ausstattungsassistenz Veronika Kaleja, Stella Schüler Inspizienz Heiko Angerstein Soufflage Arne Ziegfeld Hospitanz Larissa Sprigade (Regie & Ausstattung), Carolina Kuder (Regie & Ausstattung) Ausstattungsleitung / Technische Direktion Ralf Wrobel Technischer Inspektor Kleines Haus Alexander Wladarsch Bühneneinrichtung Claus Nehrig Leitung Beleuchtungsabteilung Frank Kaster Beleuchtungseinrichtung Harry Heutink Leitung Tontechnik Burkhard Brunner Toneinrichtung Katharina Heine, Rainer Leue Video Gregor Dobiaschowski Leitung Requisite Guido Amin Fahim Requisite Daniela Klosa, Renate Lange, Anke Kusber Waffenmeister Helmut Menz Leitung Kostümabteilung Ernst Herlitzius Leitung Maskenabteilung Nicolas Guth Maske Bernadette Bertkau, Angelika Kühnel Leitung Ausstattungswerkstätten Petra Röder Produktionsingenieur Stephan Busemann Leitung Schlosserei Armin Zühlke Leitung Malsaal Sonja Bähr Leitung Tischlerei Peter Kranzmann Leitung Deko - und Möbelabteilung Axel Schneider Leitung der Statisterie Jiři Kobylka Das Fotografieren, Film-, Video- und Tonaufnahmen sowie die Benutzung drahtloser Kommunikationsmittel während der Aufführung sind nicht gestattet. Bitte schalten Sie Ihre Mobiltelefone für die Dauer der Vorstellung aus.

Aufführungsdauer ca. 1 Stunden 20 Minuten, keine Pause Premiere am 12. September 2013 im Kleinen Haus Aufführungsrechte Rowohlt Theater Verlag, Reinbek bei Hamburg Materialmappe »Apathisch für Anfänger« 3

vlnr: Hans-Werner Leupelt, Oliver Simon, Rika Weniger, Ursula Hobmair

vlnr: Ursula Hobmair, Oliver Simon, Mattias Schamberger

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Inhalt des Stückes Einführung Mitte der Nuller-Jahre erkrankten in Schweden zahlreiche Kinder. Sie hörten auf zu essen und zu trinken, verloren den Kontakt zur Außenwelt, wurden apathisch. Ihre Eltern waren Flüchtlinge, die entweder eine Ablehnung ihres Asylantrags erwarteten oder bereits bekommen hatten. Es entstand eine Protestbewegung, die versuchte, die Politiker davon zu überzeugen, die kranken Kinder im Land zu lassen, stattdessen wurden sie zwangsweise abgeschoben. Was war eigentlich geschehen? Es gab viele Gerüchte: die Kinder hätten simuliert, um eine Aufenthaltserlaubnis zu bekommen. Oder ihre Eltern hätten sie vergiftet. Oder aber unser Asylsystem hätte sie krank gemacht. Wer war eigentlich schuld daran – die Eltern, die Beamten oder die Politiker? SZENE 1: INTRO – Die Freunde Der Ermittler ist allein. Aber seine Stimmen lassen ihn nicht in Ruhe. Sie erinnern ihn an nicht getane Arbeit. Zum Beispiel seinen Bericht über die apathischen Flüchtlingskinder. Der Auftrag diesen Bericht zu schreiben, wurde zwar nie erteilt, aber einmal ausgesprochen, kreisen seine Gedanken um den Fall. Bei einem Klassentreffen hatte der Ermittler auf die Nachfrage, was er denn gerade tue, gelogen und den Auftrag für eine Reportage über die apathischen Flüchtlingskinder erfunden. Seine innere Stimme nimmt ihn nun in die Pflicht. Er beginnt den Fall zu recherchieren, Akten und Aussagen zu lesen, Interviews zu sammeln. SZENE 2: DIE FAMILIE Die Abschiebung des apathischen Mädchens Mariana Kaurova im Jahr 2003 in Schweden war der Auftakt für eine breite öffentliche Debatte und umfangreiche politische Diskussion über die apathischen Flüchtlingskinder. Der Ermittler trifft zuerst auf Dino und Maja, zwei Klassenkameraden von Mariana, die ihm erzählen, wie alles angefangen hat. Wie Mariana neu in die Klasse kam, wie sie anders war als all die anderen Kinder und wie sie schließlich apathisch wurde und verschwand. Dino und Maja erzählen auch von Marianas Eltern und ihrem großen Bruder, die sich aufopfernd um sie kümmerten, als sie krank wurde. Der Erzählung von Dino und Maja werden die Aussagen eines Psychologen und der Sachbearbeiterin der Einwanderungsbehörde, die für Mariana und ihre Familie zuständig waren, gegenüber gestellt. Auf einmal gibt es zwei Seiten einer Geschichte mit unterschiedlichen Details, unterschiedlichen Wertungen und mehreren Wahrheiten. Die Sachbearbeiterin der Einwanderungsbehörde weist unter anderem darauf hin, dass Marianas Eltern in der Erkrankung ihrer Tochter die Chance sahen, den schwedischen Staat zu erpressen, ihnen eine Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen. In einer direkten Konfrontation verteidigt die Sachbearbeiterin der Einwanderungsbehörde das Vorgehen des Amtes in Bezug auf die Abschiebung der Familie aus Schweden. SZENE 3: INTERLUDIUM 1 – Der Verkomplizierer Dem Ermittler reicht es. Er steht auf Seiten der Kinder und will mit der Schuldzuweisung an die Beamten seinen Bericht abschließen. Aber die Stimmen, die er hört, lassen ihn nicht zur Ruhe kommen. Sie treiben seine Gedanken weiter. Eine zufällige Erinnerung an seine eigene Kindheit führt ihm vor Augen, dass es immer mehrere Seiten einer Geschichte gibt, nichts eineindeutig ist. Der Ermittler entschließt sich, weiter zu forschen und nimmt Kontakt zu den Kindern der ehemaligen Sachbearbeiterin der Einwanderungsbehörde auf.

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SZENE 4: DIE BEAMTIN Die erwachsenen Kinder der Sachbearbeiterin der Einwanderungsbehörde erzählen dem Ermittler, wie sie sich früher als Chefin eines Asylheims für Flüchtlinge eingesetzt hat. Aus dieser Zeit kennt auch Rafiq sie. Der Ermittler erfährt, was sie als Leiterin eines Asylheims erlebt hat, wann sie abgestumpft ist, wann sie anfing »›sie‹ zu sagen, statt ›wir‹, wenn Familien Asyl beantragten« und wie sie schließlich zur Leiterin des Untersuchungsausschusses für apathische Flüchtlingskinder ernannt wurde. In mehreren Zeitsprüngen wird während der Szene erzählt, wie sie dem Asylsuchenden Samo näher kam und enttäuscht wurde, wie es ihr immer schwerer fiel bei den Geschichten der Flüchtlinge eine Entscheidung zwischen Wahrheit und Lüge zu treffen und wie sie als Leiterin des Untersuchungsausschusses für apathische Flüchtlinge Beweise sammelte, die ihre These stützten, dass die apathischen Flüchtlingskinder von ihren Eltern manipuliert, krank gemacht und unter Drogen gesetzt wurden. Die Kinder nehmen ihre Mutter in Schutz und verweisen darauf, zu welchen Aussagen sie vielleicht aus politischen Gründen gezwungen war. SZENE 5: INTERLUDIUM 2 – Der Leserkommentar Der Ermittler schließt seinen Bericht mit einer Anklage der Politiker. Außerdem beginnt er, seinen Bericht phantasievoll auszuschmücken und metaphorisch zu überfrachten: da grillen zwei Politiker Flüchtlingskinder über offenem Feuer, die Ministerin für Migration tritt mit stacheligem Schwanz, Hörnern und Dreizack auf. Er reibt sich bereits vorfreudig die Hände, denn »das wird voll krass, wenn jemand eine Theaterversion daraus macht.« Doch die Stimmen mischen sich erneut ein. Auch sie schmücken eine Erinnerung des Ermittlers metaphorisch aus und verändern somit die Wahrheit. Der Ermittler versteht und macht sich auf die Suche nach neuen Interviewpartnern. SZENE 6: DIE POLITIKERIN Der Ermittler trifft in einem Gemeindezentrum auf Rentner, die die politische Karriere ihres kleinen Nachbarmädels aufmerksam verfolgt haben, als sie zur Migrationsministerin der sozialdemokratischen Regierung ernannt wurde. Die Rentner verfolgten auch die Meldungen über die apathischen Flüchtlingskinder. Die Skepsis gegenüber Ausländern im Allgemeinen wich einer Empörung über die Behandlung der apathischen Flüchtlingskinder. Daher begannen die Rentner, sich zu engagieren, wollten ihrem Nachbarsmädel helfen und ihr den richtigen Weg zeigen. Sie sammelten Unterschriften und reichten eine Petition ein, die Gegenstand einer Debatte im Reichstag wurde. Aber anders als ihre Forderung entschied sich die Regierung gegen den Erlass einer allgemeinen Aufenthaltsgenehmigung für erkrankte Kinder und deren Familien. SZENE 7: OUTRO – Die Feinde Die Gerüchte über eine Simulation der erkrankten Kinder konnten nicht bestätigt werden. Und trotzdem kann der Ermittler nichts für die Kinder tun, nur feststellen und festhalten. Schließlich trifft er erneut auf seine ehemaligen Klassenkameraden. Viel Zeit ist vergangen. Von seinen Klassenkameraden erfahren wir, dass die Reportage des Ermittlers großes Aufsehen erregt hat, daraus ein Buch ebenso wie eine Theaterversion gemacht wurde. Und was kommt als nächstes?

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Eine wahre Begebenheit Jonas Hassen Khemiris Stück »Apathisch für Anfänger« basiert auf einer wahren Begebenheit. Die öffentliche Debatte um die apathischen Flüchtlingskinder in Schweden begann im Jahr 2005. Heute gilt allgemein, dass Apathie eine Reaktion auf Depression, Hoffnungslosigkeit und Stress ist, welche eine Kombination aus der im Asylverfahren resultierenden Unsicherheit und den Erlebnissen von Gewalt und Missbrauch in der Vergangenheit ist. Zu der Zeit, als das Phänomen die Medien beherrschte, war die Auseinandersetzung durch die vorherrschende Meinung geprägt, dass es sich um Imitation, Manipulation, Unterernährung und Simulation handeln müsse. Definition Apathie lässt sich mit Unempfindlichkeit oder Teilnahmslosigkeit übersetzen. Sie bezeichnet einen Zustand der Gleichgültigkeit gegenüber Mitmenschen, äußeren Eindrücken, der Umwelt sowie mangelndes Engagement. Das Phänomen lässt sich auch mit den Begriffen »Resignations-Syndrom« oder »Erschöpfungssyndrom« umschreiben. Symptome Erkrankte Kinder und Jugendliche zeigen unterschiedliche Verhaltensweisen. Die Variationen reichen von der Weigerung zur Schule zu gehen, bis hin zur Bettlägerigkeit des Kindes, das nicht sprechen kann und über eine Sonde ernährt werden muss. Waren die Kinder geheilt, zeigten sie keine Amnesie für die Zeit, in der sie nicht ansprechbar waren. 26.5.2003 Das schwerkranke 11jährige Mädchen Mariana Kaurova wird aus Schweden zwangsabgeschoben. In Übereinkunft mit dem Abkommen Dublin II, wird sie mit ihrer Familie nach Deutschland geschickt, dem Land, in dem sie zuerst registriert wurden 2.9.2004 Barbro Holmberg (Ministerin für Migration und Asylpolitik, seit einem Jahr im Amt) gründet den Untersuchungsausschuss für apathische Flüchtlingskinder. Die Kinderpsychologin Marie Hessle leitet den Ausschuss. Sie ist für ihre Aussagen bekannt, dass die Kinder simulierten, um eine Aufenthaltserlaubnis für ihre Familien zu erzwingen 17.2.2005 Die Mehrheit der Mitglieder des parlamentarischen Ausschusses für Soziales stimmt gegen den Vorschlag, apathischen Kindern eine Aufenthaltsgenehmigung zu gewähren 6.4.2005 Die Sozialdemokraten und Konservativen stimmen gegen eine allgemeine Amnestie für apathische Kinder 26.4.2005 Im ersten Bericht des Untersuchungsausschusses der schwedischen Regierung heißt es, die apathischen Kinder seien ein unbekanntes und ausschließlich schwedisches Phänomen. 6.10.2006 Nach der Wahl wird Tobias Billström neuer Minister für Migration und Asylpolitik. Er veranlasst die Fortsetzung der Arbeit des Untersuchungsausschusses 29.12.2006 In Verbindung mit Marie Hessles letztem Bericht wird deutlich, dass es keine Beweise für eine Manipulation der Kinder durch ihre Eltern gibt Der Abschlussbericht der Untersuchung berichtet von 424 Fällen des Apathie-Syndroms. Die Betroffenen stammen zu über 60 % aus der ehemaligen Sowjetunion und zu 26 % aus dem ehemaligen Jugoslawien. Im Jahr 2002 gab es 55 Fälle im Vergleich zu 155 Fällen im Jahr 2004.

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taz.de vom 03.08.2004

Das Kind rührt sich nicht mehr AUS STOCKHOLM REINHARD WOLFF Sie haben aufgegeben. Die zehnjährige Trichna aus Bangladesch, die zwölfjährige Jenifer aus Mazedonien, die dreizehnjährige Karman aus Aserbaidschan. Rund 150 Kinder zwischen vier und siebzehn Jahren sind es. Sie stammen aus Flüchtlingsfamilien. Die meisten von ihnen sind Mädchen, die Hälfte aus Ländern Exjugoslawiens und der ehemaligen Sowjetunion, der Rest aus Staaten wie dem Iran, Syrien, der Türkei, Algerien. Sie liegen hier in Schweden apathisch in ihrem Krankenhausbett, haben teilweise schon vor Monaten aufgehört, zu essen und zu sprechen, sich vollständig in sich zurückgezogen. Sechzehn von ihnen werden oder wurden in der kinderpsychiatrischen Klinik Stockholm behandelt, alle anderen in Heimen, Kinderkrankenhäusern und Kliniken im ganzen Land. Sie werden vom Personal künstlich ernährt, die Windeln werden ihnen gewechselt, man dreht sie regelmäßig in eine andere Lage, um Wundliegen zu vermeiden. Ihr Zustand hat keinen Namen. Mal wird er als "Phänomen" bezeichnet, mal als Krankheit, auch als "Kontaktlosigkeit" oder "flüchtlingsbedingte Apathie". Die Ärzte sind meist hilflos, vor allem was die Fälle angeht, bei denen dieser Zustand schon seit über vierzig Wochen andauert. Wissenschaftlich dokumentiert ist eine solche Erkrankung nach einer Untersuchung der schwedischen Kinderhilfsorganisation Rädda Barnen bislang nirgends auf der Welt. Und sie scheint außerhalb Schwedens auch so gut wie unbekannt zu sein. Die betroffenen Kinder seien am ehesten Opfern von Kriegen und traumatischen Erlebnissen vergleichbar, die anschließend wie Zombies planlos in der Gegend umherliefen. "Im Unterschied zu den Kindern hier in Schweden legen sich solche Kinder allerdings nicht einfach hin. Denn sie wissen, dass sie dann sterben würden", sagt Guhn Godani, Psychologin bei Rädda Barnen. Godani hat mehrere dieser apathischen Flüchtlingskinder begutachtet und berichtete kürzlich auf einem Seminar über einige von ihnen. Ein dreizehnjähriges Mädchen aus Tschetschenien, das seit sechs Monaten in exakt der gleichen Stellung in seinem Bett liegt künstlich ernährt, die Augen geschlossen, auch nicht mehr auf Berührungen reagierend. Versuche man, sie aufzurichten, "fällt sie zusammen wie eine abgeblühte Blume". Die Ausländerbehörde warte derzeit darauf, sie mit ihrer Familie ausweisen zu können. Neulich habe man ein ähnlich apathisches Mädchen nach Bosnien abgeschoben. Sie lebe jetzt in Banja Luka. "Diese Kinder haben aufgegeben. Sie wissen nicht, was mit ihnen passiert. Sie haben oft traumatisierte Eltern, die es nicht mehr schaffen, sich um ihre Kinder zu kümmern." Guhn Godani ist kritisch und bitter: "Unsere Methoden helfen nicht, wir wissen nicht, was wir machen sollen. Diese Kinder hätten Hilfe gebraucht, als sie hierher gekommen sind. Doch sie werden erst behandelt, wenn sie ausgewiesen werden sollen." Der Zustand dieser Kinder steht offenbar in untrennbarem Zusammenhang mit dem Asylverfahren der Familie oder dessen Hintergründen. Die Eltern der 12-jährigen Jenifer kamen Weihnachten 2001 nach Schweden, sie sind Roma aus Mazedonien. Jenifer war von Anfang an mehrfach in Kontakt mit den kinder- und jugendpsychiatrischen Abteilungen verschiedener Krankenhäuser, doch richtig ernst wurde es erst, als der Asylantrag der Familie abgewiesen und sie abgeschoben werden sollte. Statt ins Flugzeug nach

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Mazedonien wurde sie ins Stockholmer Astrid-Lindgren-Kinderkrankenhaus gebracht. Nun wird sie viermal täglich an eine Sonde angeschlossen und künstlich ernährt. Wie lange kann dieser Zustand andauern? Bis das Kind stirbt? "Vermutlich", sagt Göran Bodegård, Oberarzt an der Jugendpsychiatrischen Klinik Stockholm. Seit drei Jahren beobachtet er diese Art von Erkrankungen, doch erst seit einigen Wochen gibt es eine öffentliche Debatte darüber. Nicht zuletzt weil die Stockholmer Tageszeitung Svenska Dagbladet das Thema der apathischen Flüchtlingskinder aufgegriffen und so landesweit bekannt gemacht hat. Bodegård hat mittlerweile auch einen ersten wissenschaftlichen Text über das publiziert, was er "partiellen Funktionsverlust" nennt. In seiner Studie beschreibt er fünf Kinder, alle jünger als zehn Jahre. Alle kommen aus ehemaligen sowjetischen Republiken: ein Mädchen, das nach und nach immer passiver wurde, bis es nur noch stumm und kontaktlos dalag; ein Junge, der gerade noch davon abgehalten werden konnte, von einer Brücke zu springen, danach aufhörte, zu essen und zu trinken, inkontinent wurde. Von zweien der fünf Kinder wurden Verwandte ermordet, mehreren der Mütter war im Beisein der Kinder Gewalt angetan oder sie waren bedroht worden. Drei der Kinder haben Selbstmordversuche hinter sich. Nach Schweden gekommen, entwickelten sie Depressionen, Essstörungen, Aggressionen. Schließlich nur noch Passivität. In Behandlung gekommen waren sie eher zufällig. Weil Betreuungspersonal oder Eltern irgendwann verstanden hatten, dass nicht körperliche Krankheit, sondern Hoffnungslosigkeit sich hinter den jeweiligen Symptomen verbarg. "Das Teuflische ist, dass die Symptome psychischer Natur sind, aber der Schlüssel zur Hilfe und zum Gesunden für diese Kinder ganz woanders liegt", sagt der Psychologe Andreas Tunström: "Die Familien wollen Sicherheit, sie wollen Asyl. Darum geht es auch den Kindern." Was nicht heiße, dass die Kinder simulieren. "Ein Kind liegt nicht apathisch monatelang herum und tut so, als ob es stirbt", weist Bodegård diesen nahe liegenden Einwand zurück: "Wer das behauptet, hat solche Kinder noch nicht gesehen." Gegen die These spreche auch, dass bislang noch nie Kinder, die allein nach Schweden gekommen seien und hier Asyl gesucht hätten, solche Symptome entwickelt hätten. Immer nur solche mit Familien. Wobei seiner Erfahrung nach die Mutter und deren Zustand offenbar eine entscheidende Rolle spiele. Wenn die Familien bleiben können, fänden die Kinder meist zu ihren normalen Funktionen zurück. Sie beginnen wieder, zu sprechen, zu essen, zu spielen. Oft dauere es Wochen. Bei einigen helfe aber nicht einmal der positive Behördenbescheid, so wie sie andererseits auch schon oft, bevor es Komplikationen im Asylverfahren gebe, krank geworden seien. Doch meist stehe der Genesungsprozess in direkter Beziehung dazu, wie die Kinder die Situation der Mutter empfinden. Entscheidend sei also eigentlich die Fähigkeit einer deprimierten Mutter, den Kindern Lebenslust zu vermitteln. "Offenbar steht in dieser Fluchtsituation gerade die Mutter den Kindern am nächsten", vermutet Bodegård: "Warum, darüber kann man nur spekulieren." "Wir können die Kinder doch nicht dadurch gesund machen, dass wir der Familie eine Aufenthaltserlaubnis liefern", wendet Rigmor Långström von der Ausländerbehörde

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Migrationsverket ein: "Selbst wenn die Folge einer solchen Erkrankung häufig ist, dass die Familie letzlich bleiben kann, kann das nicht unser Ausgangspunkt sein." Beim Migrationsverket hat man nun als erste Konsequenz einige MitarbeiterInnen speziell für die Befragung von Kindern ausgebildet und will versuchen, schneller auf Familien aufmerksam zu werden, deren Kinder Gefahr laufen, schwer zu erkranken. Und auch Långström wirft den Kindern nicht etwa vor, ihre Krankheit zu simulieren. "Kinder können solche Symptome gar nicht spielen", weiß Guhn Godani aus ihrer Erfahrung: "Die sind wirklich krank." Auch Godani sieht die Ursache der Erkrankungen in den von Bodegård beschriebenen Lebensverhältnissen der Kinder: in traumatischen Erlebnissen im Heimatland, auf der Flucht. Verzweifelte, deprimierte und handlungsunfähige Eltern, die ihre Rolle nicht mehr ausfüllen und ihren Kindern die Hoffnung auf eine bessere oder überhaupt eine Zukunft nicht mehr vermitteln könnten. Zudem das lange Warten auf eine Entscheidung. Das schwedische Asylverfahren ist nicht humaner oder inhumaner als anderswo in Westeuropa, die Verfahrensdauer ist der in Deutschland vergleichbar. Warum es die apathischen Flüchtlingskinder vorwiegend in Schweden zu geben scheint, ist daher eine Frage, auf die es bislang noch keine rechte Antwort gibt. Der schwedische Psychiatrieprofessor Sten Lewander hat zusammen mit dem Kinderpsychiater Hans Adler KollegenInnen in vielen anderen Ländern kontaktiert und erfahren, dass dort das Phänomen solcher Kinder mit partiellem Funktionsverlust völlig unbekannt ist. Lewander glaubt deshalb an spezielle schwedische Ursachen. Welche auch immer: "Wir produzieren psychische Erkrankungen, die wir dann nicht mehr behandeln können." Kinderpsychiater Bodegård kann sich das aber nicht vorstellen. Trifft seine Vermutung zu, gibt es diese Kinder tatsächlich zu tausenden überall in Europa: "Es kann nämlich sehr gut sein, dass man darauf in anderen Ländern nur noch nicht so systematisch aufmerksam geworden ist." Eine Vermutung, die der Psychologe Andreas Tunström teilt: "Vielleicht ist das jetzt nur nach oben geschwemmt worden, weil dem Problem hier ein Platz eingeräumt und ein Name gegeben wurde." Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern stehe die psychiatrische Krankenversorgung in Schweden nämlich auch Flüchtlingen und Kindern von illegal hier lebenden AusländerInnen offen. PSYCHOLOGIN GUHN GODANI: "Diese Kinder hätten Hilfe gebraucht, als sie hier angekommen sind"

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Zum Autor Nicht nur das Phänomen der apathischen Flüchtlingskinder ist eine wahre Begebenheit. Es gibt ebenso das Buch, den Bericht über die Fälle, das Verhalten der Behörden, die Analyse der öffentlichen Debatte. Der Journalist Gellert Tamas veröffentlichte im Jahr 2009 sein Buch »Die Apathischen. Über Macht, Mythen und Manipulation.« Am Anfang seines Buches über die apathischen Kinder schildert er die Szene, wie Mariana Kaurova von Polizisten aus dem Krankenhaus abgeholt und abgeschoben wird. »Für die schwedischen Behörden war der Fall damit formal abgeschlossen. Ihre Aufgaben – und das Interesse – endeten an der schwedischen Grenze. Und vielleicht gibt es nicht mehr viel hinzuzufügen. Weitere Kinder von Asylbewerbern aus Schweden wurden abgelehnt. Weitere Fälle ›abgeschlossen‹. Ist der Fall abgeschlossen, werden die Dokumente archiviert. Somit könnte diese Geschichte vorbei sein. Aber vielleicht beginnt sie erst hier, die Geschichte des Landes Schweden.« Eine Geschichte über ein Land, eine Nation, eine europäische Gesellschaft. Jonas Hassen Khemiri, geboren 1978 in Schweden, ist Kind einer schwedischen Mutter und eines tunesischen Vaters. Khemiri studierte Literaturwissenschaft und internationale Wirtschaft in Stockholm und Paris. Er schreibt sowohl Romane als auch Theaterstücke. Seine Werke sind mehrfach ausgezeichnet, wurden in mehr als 15 Sprachen übersetzt und seine Stücke werden weltweit gespielt. »Apathisch für Anfänger« entstand als Auftragsarbeit für das Volkstheater Göteborg. »Unmöglich!« war damals Khemiris spontane Antwort auf die Anfrage aus der Reportage über die apathischen Flüchtlingskinder von Gellert Tamas ein Theaterstück zu machen. »Das Buch ist eine starke und beeindruckende journalistische Arbeit. Es stellt das Bild der Medien in Frage. Eine einfache Adaption des Buches, hätte geheißen, ein langes und langweiliges Stück zu schreiben. Die Stücke, die ich mag, versuchen mich aber nicht von einer Meinung zu überzeugen, sondern lassen mich eher etwas besorgt zurück« sagt Jonas Hassen Khemiri im Interview mit der schwedischen Tageszeitung Svenska Dagblatt. Trotz seiner ersten Reaktion auf das Vorhaben, begann er, sich mit dem Thema Manipulation auseinanderzusetzen. »Ich war schon immer davon fasziniert, wie schnell Wörter bewegt und für verschiedene Dinge in verschiedenen Kontexten benutzt werden können. In diesem Fall war es fantastisch, darüber zu schreiben, wie die Worte aus den Händen der Machthaber verdreht werden konnten. In dem Stück geht es nicht wirklich um apathische Flüchtlingskinder, sondern darum, wie wir uns unser Selbstbild mit ihnen bauen. Die Gerüchte, die über die Kinder entstanden, waren ein Ausdruck für den einfachen Wunsch, einen Sündenbock zu finden. Und es wäre so einfach und praktisch gewesen, wenn man alle Schuld auf die Eltern oder eine Böse Beamtin hätte schieben können. Ähnlich zwischen ›Apathisch für Anfänger‹ und vielen Dingen, die ich bisher geschrieben habe, ist der Versuch die Geschwindigkeit der Wörter zu untersuchen; wie Worte übermittelt werden und wie sie ihre Bedeutung ändern können. Dieses Gefühl, dass wir in einer Zeit leben, in der sich Worte und Botschaften so schnell verbreiten und manipulieren lassen, ist etwas, worin für mich eine große Inspirationsquelle liegt.«

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thematische Schwerpunkte der Inszenierung »Manipulation ist ein wiederkehrendes Thema im Stück. Woher weiß man, wer hinter einer Botschaft steht? Was sagen kursierende Gerüchte über unsere geheimsten, verbotensten Gedanken aus? Wie kommt es, dass bestimmte Gerüchte sich hartnäckig halten und so rasant verbreitet werden? Wer hat die Macht über unsere gemeinsame Erinnerung?« (Jonas Hassen Khemiri) Mediengesellschaft / Formen der Manipulation Wie funktioniert unsere Mediengesellschaft Was ist eine Nachricht / Schlagzeile >> was sind die Fakten hinter einer Nachricht, was wird tatsächlich in der Öffentlichkeit verbreitet Wie verändert sich eine Geschichte abhängig davon wer sie erzählt und wie weit das Erzählte zurück liegt Gibt es eine objektive Wahrheit Wie verfälscht oder verändert die Erinnerung ein Ereignis Wie beeinflussen Vorurteile unsere Erzählungen Macht und Rolle der Sprache Flüchtlings- und Asylpolitik Aus welchen Länder kommen und warum suchen Flüchtlinge in Europa Schutz Wie verläuft das Asylbewerberverfahren In welcher Situation, mit welchen Rechten und mit welchen Auflagen leben Asylbewerber während des Asylbewerberverfahrens in Deutschland Komik Ein anderer Blick auf die Wirklichkeit Umgang mit Vorurteilen Verwenden von Klischees Der Autor Jonas Hassen Khemiri hat kein Dokumentarstück geschrieben und auch die Inszenierung sucht nicht den Weg, den Fall dokumentarisch darzustellen. Trotz des ersnten Ausgangsthemas handelt es sich um eine schwarze Komödie. Frei nach Dürrenmatt »Uns kommt nur noch die Komödie bei. Das Groteske ist eine der großen Möglichkeiten, genau zu sein. Sie ist unbequem, aber nötig…« . Auszug aus Friedrich Dürrenmatt: Anmerkungen zu Komödie, 1952 »Das Groteske ist eine äußerste Stilisierung ein plötzliches Bildhaftmachen und gerade darum fähig Zeitfragen, mehr noch, die Gegenwart aufzunehmen, ohne Tendenz oder Reportage zu sein. Ich könnte mir daher wohl eine schauerliche Groteske des Zeiten Weltkrieges denken, aber noch nicht eine Tragödie, da wir noch nicht die Distanz dazu haben können. Diese Kunst will nicht mitleiden wie die Tragödie, sie will darstellen.« Auszüge aus Friedrich Dürrenmatt: Theaterprobleme, 1954 »Doch die Aufgabe der Kunst, soweit sie überhaupt eine Aufgabe haben kann, und somit die Aufgabe der heutigen Dramatik ist, Gestalt, Konkretes zu schaffen. Dies vermag vor allem die Komödie. Die Tragödie, als die gestrengste Kunstgattung, setzt eine gestaltete Welt Materialmappe »Apathisch für Anfänger« 13

voraus. Die Komödie – sofern sie nicht Gesellschaftskomödie ist wie bei Molière – eine ungestaltete, im Werden, im Umsturz begriffene, eine Welt, die am Zusammenpacken ist wie die unsrige. Die Tragödie überwindet die Distanz. Die Komödie schafft Distanz.« »Das Mittel, mit dem die Komödie Distanz schafft, ist der Einfall. Die Tragödie ist ohne Einfall. Sie [die Komödien, in diesem Fall des Aristophanes] fallen in die Welt wie Geschosse, die, indem sie einen Trichter aufwerfen, die Gegenwart ins Komische, aber dadurch auch ins Sichtbare verwandeln.«

Im Rahmen des Kerncurriculum empfehlen sich aus unserer Sicht folgende Module zur Bezugnahme auf Khemiris «Apathisch für Anfänger«. Deutsch / Oberstufe

Rahmenthema 5 Literatur und Sprache von 1945 bis zur Gegenwart Wahlpflichtmodul 3: Literatur und Protest Politisches Engagement und Gesellschaftskritik der Schriftsteller Wahlpflichtmodul 5: Ein anderer Blick auf die Wirklichkeit: Vom Kabarett zur Comedy / Sprachwitz / Formen des Komischen Wahlpflichtmodul 7: Leben in verschiedenen Kulturen Erfahrungen von Ferne und Fremdheit Wahlpflichtmodul 8: Neue und neueste Tendenzen der Erzählliteratur Rahmenthema 6 Reflexion über Sprache und Sprachgebrauch Wahlpflichtmodul 3: Medienkritik Wahlpflichtmodul 4: Sprache als Instrument politischer und gesellschaftlicher Interessen Wahlpflichtmodul 7: Sprache-Denken-Wirklichkeit

Werte und Normen

Rahmenthema 1 Fragen nach Individuum und Gesellschaft Rahmenthema 2 Fragen nach dem guten Handeln Rahmenthema 4 Fragen nach Wissen und Glauben

Politik

V. Europäische Union VI. Globalisierung VII. Internationale Sicherheit

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ästhetische Aspekte der Inszenierung

vlnr: Rika Weniger, Mattias Schamberger, Hans-Werner Leupelt, Oliver Simon

»Das Stück springt so oft, wir sind in jeder Szene woanders. Das kann man definieren. Man kann sagen, das ist da und da. Als Ganzes betrachtet kann alles jederzeit überall spielen, in der Vergangenheit, in der Gegenwart oder in der Zukunft. Denn die Themen, die verhandelt werden, bleiben ja. Dass über bestimmte Dinge nicht gesprochen wird, ist kein Phänomen, welches Mitte der Nuller Jahre in Schweden aufgetreten ist. Das ist ein universelles Problem. Und das spiegelt sich ein wenig in Bühne und Kostümen wieder, dass es völlig losgelöst ist von Raum und Zeit.« (Regisseurin Mina Salehpour) »Das Stück besteht aus sieben Szenen, in denen wir den ERMITTLER auf der Suche nach der Wahrheit über die apathischen Kinder begleiten. Auf der Bühne sehen wir eine dramatisierte Fassung des Untersuchungsberichts des ERMITTLERS. DIE STIMME ist eine magische Figur, die allein vom ERMITTLER gesehen und gehört wird. 1, 2, 3, 4 gestalten die Wahrheitssuche, indem sie zahlreiche Rollen übernehmen und wieder abgeben. Dabei begleiten wir sie durch eine Art Lebenszyklus. In Szene 2 sind die Hauptpersonen jung, in Szene 4 sind sie mittleren Alters, in Szene 6 sind sie alt.« (Aus dem Vorwort zu »Apathisch für Anfänger«)

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Bühne Wir befinden uns in einem überdimensionierten Archiv, die Schrankwand, die wir sehen, ist nur ein Teil davon. Der gesamte Bühnenraum ist Archiv. Archiviert ist unsere gemeinsame Erinnerung. Der Fall der apathischen Kinder ist eine davon. Die Wandelbarkeit des Bühnenbildes ermöglicht uns eine Recherchereise durch Zeiten und Schauplätze der Geschichte. Gesucht wird die Wahrheit. Das Bühnenbild ist als eine Art Puzzle anzusehen, dessen Zusammenhang von vielen Faktoren abhängig ist. Verschiedene Kombinationsmöglichkeiten ergeben scheinbar unendlich viele Wahrheiten. Jede Schublade enthält ein Stück der Vergangenheit: eine Geschichte. Das Geheimnis der Unendlichkeit von diesem Raum liegt daran, dass jede Schublade mindestens einmal dupliziert ist. Dies bedeutet, dass eine Geschichte von zwei verschiedenen Betrachtern erzählt wird. Und für den Fall, dass ein dritter Erzähler die Inhalte der beiden Schubladen vergleichen will, entsteht automatisch eine neue Schublade, die die Informationen von beiden verschmelzen lässt. Je nach historischem Ereignis, kann sich die Duplizierung endlos vervielfältigen.

Bühnenbildmodell

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Bühnenbildmodell

Kostüme Alles was auf der Bühne zu sehen ist, erfahren wir durch den Filter des Ermittlers. Somit erwachen die »Hirngestalten« (oder Gedanken, Stimmen) mit seinem natürlichen Lebensraum, dem Archiv. Sie stellen die perfekte Anpassung an den Raum und den Ermittler dar. Mit der Erkenntnis, dass es keine objektiven Fakten gibt, gelangt man zwangsläufig sehr schnell in eine artifizielle Welt, die man aber ebenso als eine subjektive Welt lesen könnte, denn diese »Gestalten« fungieren als kritisierende, treibende, lenkende Stimmen, die den Ermittler in die verschiedensten Erinnerungen auf seinem Weg der Reportage drängen. Seine Wahrheitssuche ist losgelöst von einer konkreten Zeit. Die »Hirngestalten« sind kleine Kopien oder Mutanten des Ermittlers, die Suche könnte zu jeder Zeit beginnen. Verwandeln sich die Stimmen in die Gesprächspartner der Interviews, werden einzelne Kleidungsteile, Accessoires und Requisiten dem Grundkostüm hinzugefügt.

Grundkostüm

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Vorbereitung Hier finden Sie Übungseinheiten, Spiele, Gedankenanstöße um Ihre Schülerinnen und Schüler auf den Vorstellungsbesuch einzustimmen. Wir haben sowohl thematische als auch ästhetische Aspekte in unserem Angebot berücksichtigt. 1 Warm up: 1,2,3 Ochs vorm Berg Ein Schüler steht auf der einen Seite des Raums, die Anderen befinden sich auf der anderen Seite. Der einzelne Schüler ist der »Ochs« und sagt mit Rücken zur Gruppe (Geschwindigkeit variiert): 1, 2, 3 Ochs vorm Berg, dann dreht er sich ruckartig um. Die Gruppe versucht während er ihnen den Rücken zeigt zum anderen Ende des Raumes zu gelangen: Dreht sich der »Ochs« um, müssen alle einfrieren. Das bekannte Kinderspiel kann an das Stück angepasst werden, in dem die Gangarten an verschiedene Figuren angeglichen werden. Zum Beispiel können die Schüler als Monster, als schlechtes Gewissen, als lustige Partygesellschaft, als Beamte, als liebevolle Mütter oder als Paparazzi versuchen auf die andere Seite zu kommen. So entstehen interessante Standbilder oder emotionale Gruppenformationen, die als Inspiration für die Arbeit an Szenen im späteren Verlauf dienen können.

2 Gerüchteküche Schüler stehen im Kreis Man beginnt mit einer Aussage über ein Geschehen. Zum Beispiel: »Heute Morgen ist in unserem Klassenraum jemand in Ohnmacht gefallen.« oder auch: »Ein Kind aus einer Flüchtlingsfamilie wurde in eine Braunschweiger Klinik eingewiesen.« Gerne kann die Schlagzeile aber aus dem Kontext der Schüler sein. Die Schüler stehen in einem Kreis nahe beieinander, der erste Schüler beginnt die Aussage seinem Nachbarn mitzuteilen, als wäre es eine sehr wichtige Information bzw. wie beim Tratschen. Der Nächste denkt sich eine Erweiterung oder Übertreibung zu der Aussage aus und gibt diese euphorisch an seinen Nachbarn weiter, der wiederum etwas hinzufügt usw. Variation Die Übung kann auch variiert wie bei »Stille Post« als Flüstern weitergeben werden. Nebeneinander stehen dann nur die Anfangs- und Endmeldung

3 Mit dem Gedanken spielen… Schüler laufen in Dreiergruppen durch den Raum In dem Stück »Apathisch für Anfänger« hört der Ermittler innere Stimmen, die ihn nicht in Ruhe lassen, antreiben und zur Weiterarbeit treiben. Sie sind wie einzelne Gedanken, die einem durch den Kopf gehen. Die Schüler gehen in Dreiergruppen durch den Raum. Die folgenden Redewendungen werden vom Spielleiter immer wieder reingerufen. Die Schüler müssen in ihren Dreiergruppen schnell eine Umsetzung dafür finden (wer ist der Gedanke, wer der Ermittler, wie stehen sie im Verhältnis zueinander, ist die Szene bewegt oder ein Standbild, …). Wenn alle Gruppen eine Umsetzung gefunden haben, gehen sie wieder normal weiter und die nächste Redewendung kann rein gegeben werden. Materialmappe »Apathisch für Anfänger« 18

in einen Gedanken verliebt sein mit dem Gedanken spielen einen Gedankenblitz haben den Gedanken beiseite schieben die Gedanken drehen sich im Kreis auf blöde Gedanken kommen Die Gedanken sind frei einem Gedankengang folgen in Gedanken versunken sein in Gedanken vertieft mit den Gedanken ganz woanders sein

seine Gedanken ordnen seine Gedanken sammeln seinen Gedanken freien Lauf lassen sich auf einen Gedanken einlassen gequält von Gedanken verfolgt von Gedanken an einen Gedanken hängen Ich bin in Gedanken Die Kraft der Gedanken Ich werde meine Gedanken zu Papier bringen.

4 Bühnenbildentwurf Das Stück beschreibt eine Recherche, eine Wahrheitssuche. Entwerft ein Bühnenbild, das die Grundsituation (Kopf des Ermittlers, in dem seine Stimmen wohnen, Recherche, Wahrheitssuche) sowie die verschiedenen Orte des Stückes (Interviews, Café, Büro, zu Hause des Ermittlers, Rentnertreff im Gemeindezentrum) berücksichtigt. Wie könnte eine Bühne aussehen, die keine komplizierten Umbauten benötigt? (Je nach verfügbarer Zeit, können Vorschläge ausgetauscht, Skizzen angefertigt oder Collagen erstellt werden.)

5 Vorgänge in Kleingruppen spielen/lesen In Kleingruppen (max. 5 Schüler) sollen die folgenden Szenen improvisiert / erarbeitet werden. Wie kann dabei mit Requisiten umgegangen werden? Wie kann man die verschiedenen Rollen und Rollenwechsel in der Szene darstellen? 1. Der Ermittler und seine Stimmen im Kopf (schlechtes Gewissen?) Es sind Hilferufe zu hören, die von den Stimmen kommen. Der Ermittler versucht sie zu ignorieren, er bleibt neutral, als wenn er sie nicht hört. Sie versuchen ihn zu verunsichern, zu provozieren. Sie versuchen mit ihren Aussagen Gefühle und Regungen bei ihm zu erzeugen, bis sie ihn mit einer Provokation kriegen und er sich daraufhin regt. Der Ermittler fragt, was die Stimme will. Die Stimme wirft dem Ermittler vor, seine Arbeit nicht gut gemacht zu haben. Der Ermittler versucht sich zu rechtfertigen. Die Stimme stimmt ihm ironisch zu und macht sich über ihn lustig. (Wie endet die Sequenz? mit Freeze, Ausfaden, aus der Rolle aussteigen, oder?) 2. Die Stimmen erinnern den Ermittler an eine Party… Die Stimmen ärgern den Ermittler. Sie machen sich über seinen Beruf lustig und meinen er solle sich an das Klassentreffen erinnern, auf dem er Gast war. Er behauptet, sich nicht daran zu erinnern. Sie meinen dabei gewesen zu sein und erinnern ihn an eine »flirtige« Begegnung mit einem Mädchen auf der Party. Damit haben sie ihn, denn er erinnert sich doch. Alle Figuren befinden sich plötzlich in der Partyszene (ähnlich einem Zeitsprung: eben noch der Ermittler und seine Stimmen, jetzt der Ermittler auf einer Party → Partyatmosphäre mit Flirtstimmung). Dort trifft der Ermittler alte Klassenkameraden, die ihn euphorisch Materialmappe »Apathisch für Anfänger« 19

begrüßen, obwohl er sich an sie gar nicht erinnert, Smalltalk. (Wie endet die Sequenz? mit Freeze, Ausfaden, aus der Rolle aussteigen. Oder anders?) 3. Hahaha, wie lustig: »apathische Flüchtlingskinder, ich pack mich weg…«, der Ermittler als Außenseiter. Smalltalk auf der Party: ehemalige Klassenkameraden fragen, was aus dem Ermittler geworden sei. Sie erinnern sich daran, dass er Staatswissenschaften studiert hat. Er bestätigt das und sagt er sei arbeitslos und geschieden. In dem Moment greifen die Stimmen greifen ein und erinnern ihn, dass er gerade nicht die Wahrheit gesagt habe. Stattdessen habe er von einer Untersuchung erzählt, die er leite. Diese beschäftige sich mit den apathischen Flüchtlingskindern. Die Klassenkameraden beginnen laut zu lachen, machen sich lustig, sie erfinden skurrile Fälle, die man untersuchen könnte. Der Ermittler fühlt sich wie ein Außenseiter. Die Stimmen auf der anderen Seite sind verzweifelt. (Überlegt, wie ihr die verschiedenen Rollen mit nur 5 Spielern im Raum darstellt, Wie endet die Sequenz? mit Freeze, Ausfaden, aus der Rolle aussteigen. Oder anders?) 4. Wie war das nochmal, als die Neue aus Georgien in die Klasse kam? Der Lehrer erzählt den Schülern von einer neuen Schülerin aus Georgien. Ihr Name ist Mariana Kaurova. Der Lehrer ermahnt die Schüler sie besonders nett zu behandeln, was die Schüler verwundert. Sie fragen den Lehrer, was der Grund dafür sei. Er erzählt ihnen, dass Mariana es nicht leicht gehabt habe, da sie lange auf Reisen gewesen sei. Ein Schüler kann das nicht nachvollziehen, da Reisen für ihn sehr angenehm ist. Nach einiger Zeit in der Klasse beginnt Mariana zu erzählen, von ihrer Mutter, die Kosmetikerin war und von ihrem Vater, der eine Partei gegründet hat und einmal entführt wurde. Mariana hatte zwei Seiten, meinen die Mitschüler, eine normale und eine teilnahmslose. Einmal ist sie völlig ausgerastet, weil ein Krankenwagen vorbeigefahren ist, von da an haben die zwei sie in der Schule damit aufgezogen. Bald kommt die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis und Mariana wird krank. Sie stellt komische Dinge an, isst nicht, trinkt nicht… wird apathisch. (Wie endet die Sequenz? mit Freeze, Ausfaden, aus der Rolle aussteigen. Oder anders?) 5. Ein Mitschüler erinnert sich, Mariana liegt regungslos in ihrem Zimmer und der Bruder kümmert sich um sie. Dino, Mitschüler/in von Mariana erzählt, dass einige aus Marianas Klasse in Azamat, Marianas Bruder verknallt waren. Dino ist ein Freund von Azamat. Als einziger Mitschüler hat er Mariana einmal wiedergesehen. Er erinnert sich vor dem Ermittler, dass er mit Azamat in sein Asylheim gegangen ist. Dino erzählt: Dort sieht es aus wie in einer normalen Wohnung, nur das alles beengter, dunkler und schmutziger ist. Auch Marianas Zimmer und Mariana in ihrem Bett sehen fast normal aus, aber trotzdem ist etwas komisch, unangenehm, ungewohnt: Azamat dreht die bettlägerige Mariana um und erklärt dem Mitschüler das er das tut, damit sich ihre Liegewunden nicht entzünden. Als Mariana Speichel aus dem Mund tropft und sie in ihre Windel uriniert, obwohl sie schon elf ist, wischt Azamat sich die Hände ab und geht schnell nach draußen. (Wie endet die Sequenz? was macht Dino?)

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Nachbereitung Ein moderiertes Nachgespräch, ein spielerisches Rekonstruieren der Erinnerungen vom Inszenierungsbesuch, Rezensionen schreiben, und vieles mehr kann bei der Nachbereitung eingesetzt werden. Hier finden Sie Vorschläge zum Nachbereiten des Inszenierungsbesuchs. 1 Praktischer Einstieg und Nachgespräch Gruppenweise einigen sich die Schülerinnen und Schüler auf eine Erinnerung aus der Inszenierung, ein intensives Bild. Stellen es zusammen als eingefrorenes Bild dar, bewegen sich / spielen die Situation 100% an und frieren wieder ein. (gegenseitige Präsentation nach 5minütiger Erarbeitungsphase) Sprechen Sie im Anschluss an die Präsentationen über die unterschiedlichen Erinnerungen. Was ist in Erinnerung geblieben? Beschreibe ein Bild (auch bewegtes Bild), das dir im Gedächtnis bleibt; eins, das die Darsteller gebaut haben Beschreibe, wie das Stück angefangen hat. Beschreibe, wie das Stück zu Ende ging. Tragt die Vorurteile, Gerüchte und Behauptungen zusammen, die es über die apathischen Flüchtlingskinder und ihre Familien gab Welche Stellen waren lustig? Wo wurde gelacht? An welchen Stellen war es ganz still im Publikum; Was ist da auf der Bühne passiert? Was war der intensivste Moment der Inszenierung für dich? Gibt es ein Hauptthema des Stücks, was kann uns das Stück erzählen? Gab es thematische, symbolische Anspielungen zu der Welt oder Politik, in der wir leben? Versuche dich an ein Bild oder eine Szene zu erinnern. Worauf könnte jemand, dem du das Stück empfiehlst, achten? Was hat dich an dem Stück interessiert? Beschreibe die Atmosphäre die das Bühnenbild, die Kostüme, das Licht, die Ausstattung im Ganzen erzeugt haben. Beschreibe den Einsatz von einem Kostüm oder einem Requisit. Wie hat sich die Bedeutung bzw. die Aussage des Requisits/Kostümteils verändert, beschreibe die Veränderung anhand eines Beispiels, das du beobachten konntest. Was hat die Musik, bzw. der Songtext an Gefühlen bei dir ausgelöst? Materialmappe »Apathisch für Anfänger« 21

Wie würdest du das Genre des Stücks beschreiben, Tragikomödie, Erzählung, ScienceFiction? Mehrere Ideen mit Argumentation sind möglich? Welche Rollen gibt es, in welche Figuren schlüpfen die Schauspieler? Wer wird alles befragt? Wie interagieren die Stimmen mit dem Ermittler, wie erkennt man die Stimmen/Ermittler Ebene, welche Theatermittel, Regeln werden dafür verwendet? Woran erkennt man, dass es eine Ermittlung ist? Was passiert, wenn andere Figuren als die Stimmen ins Spiel kommen? Woran erkennt man diese Ebenen und diese Rollenwechsel?

2 Zur weiterführenden Diskussion Die apathischen Flüchtlingskinder sind ein schwedisches Phänomen, jedenfalls gab es in keinem anderen europäischen Land eine so signifikante Zahl von erkrankten Kindern. Aber wie reden wir über Flüchtlinge und Asylpolitik? Welche aktuellen Ereignisse / Diskussionen gibt es? Im Folgenden sind Ausschnitte aus Zeitungsartikeln der letzten Monate gesammelt. Welche Vorurteile / Ängste werden hier geschürt / thematisiert. Was wird wie dargestellt? »Angefangen hat alles im Januar 2012 in einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber in Würzburg. Ein iranischer Flüchtling hielt es dort nicht mehr aus und beging Selbstmord. Die Nachricht war der Auslöser, seitdem protestieren Flüchtlinge überall. Acht Monate später stehen Protestcamps in neun deutschen Städten. Die Flüchtlinge organisieren sich selbst und planen einen Sternmarsch nach Berlin - ohne Erlaubnis der Behörden. ›Wir planen einen Protestmarsch von Würzburg nach Berlin, um gegen die Residenzpflicht zu verstoßen, gegen die Flüchtlingsgesetze zu protestieren. Wir werden streiken.‹ Die Flüchtlinge versuchen, die Isolation zu durchbrechen, in die sie das deutsche Asylrecht gezwungen hat.« 3sat vom 05. September 2012 »Irgendwann setzen dann Sprechchöre ein, und das Gemurre und Gepöbel wird zum Gebrüll. ›Nein zu dem Heim!‹ skandieren Männer vor einem verlassenen Plattenbau im Berliner Bezirk Hellersdorf. Sie rufen ›Volksverräter!‹ und ›Lügen‹ und ›Fidschis‹, sie wollen kein Asylbewerberheim hier, ›wir sind hier in Deutschland‹. Eine alleinerziehende Mutter eilt ans Mikrofon und erzählt, dass ihr Auto gestohlen worden ist neulich. ›Das ham' wir jetzt davon, dass die Grenzen offen sind‹, ruft sie. ›Ich wohne hier, das ist hier mein Zuhause!‹ Die Stimme der Frau überschlägt sich und das Publikum, es sind um die 800 Menschen, klatscht und johlt. Willkommen in der nächsten Runde der Asyldebatte in Deutschland.« Süddeutsche Zeitung vom 12.Juli 2013 »Etwa 50 Asylbewerber in München, die seit Dienstag in einen Hungerstreik getreten sind, lehnen jede weitere medizinische Versorgung ab und drohen mit Selbstmord. Die Flüchtlinge wollen damit die Anerkennung ihrer Asylanträge durchsetzen. In einer Stellungnahme schreibt die Gruppe, sie werde ›keinen Schritt zurückweichen‹, bis die Forderung erfüllt sei. Sie fordern ›die Anerkennung aller Asylsuchenden als politische Geflüchtete‹ und einen ›Stopp aller Abschiebungen‹. Materialmappe »Apathisch für Anfänger« 22

Bayerns Sozialministerin sagt dazu: ›Hierzulande ist Politik nicht erpressbar. Wir leben in einem Rechtsstaat, wo man sich nicht durch Hungerstreiks eine Vorzugsbehandlung erzwingen kann.‹« Zeit online vom 28.Juni 2013 »Nach einem gescheiterten Vermittlungsversuch ist das Camp von Asylbewerbern in München am Sonntagmorgen geräumt worden. Die Polizei habe eine Sitzblockade aufgelöst. Der Gesundheitszustand der Hungerstreikenden sei kritisch gewesen. Die Polizei sperrte den Rindermarkt ab und räumte das Lager.« Der Spiegel vom 30. Juni 2013 »Seit Oktober 2012 hausen auf dem Oranienplatz in Berlin Flüchtlinge in Zelten. Sie halten eine Schule besetzt, um gegen Abschiebungen, das Leben in Sammelunterkünften und die Residenzpflicht zu protestieren. Neulich kam es zu einer unangenehmen Begegnung: Ein türkischstämmiger Berliner, der mit seinem Kind über den Oranienplatz ging, griff einen der Flüchtlinge mit dem Messer an. Die Polizei soll Mühe gehabt haben, in das Handgemenge, das dann folgte nicht hineingezogen zu werden. Einige Ecken weiter, in der ehemaligen Gerhart-Hauptmann-Schule an der Ohlauer Straße leben mehr Flüchtlinge als am Oranienplatz. Die hygienischen Verhältnisse sind dort so, dass eine Unterstützerin in dringlichem Ton vom Besuch der Schule abrät.« Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 12. Juli 2013 Dieter Schreiber kommentiert den Artikel am 12.07. um 11:42 Uhr im Internet mit den Worten: »Zum Glück wohne ich in Bayern! Da wird so ein Protestcamp nach wenigen Tagen geräumt und zwar weil es illegal ist. Gesetze werden hier noch durchgesetzt. In Berlin ist das schon lange nicht mehr so. Da hat der Sarrazin schon recht: ›Deutschland schafft sich ab‹ wenn ein Asylbewerber ungestraft zur Gesetzesübertretung aufrufen darf.« »Auch in Niedersachsen sind sie wohl nicht überall willkommen. Wer dieser Tage im Thomas-Philipps-Markt in Bramsche-Hesepe (Landkreis Osnabrück) einkaufen will, wird am Eingang von zwei Wachleuten mit einem ›Hallo‹ und einem musternden Blick begrüßt. Als nächstes fällt einem ein Schild auf. In fünf Sprachen - unter anderem albanisch, persisch, arabisch und serbokroatisch - steht darauf geschrieben: ›EU-Bürger sind herzlich willkommen‹.« NDR vom 21. August 2013 »In Bremgarten in der Schweiz dürfen Asylbewerber nicht ohne Begleitung ins Freibad. Diese Maßnahme soll dem Schutz der Bevölkerung dienen, betroffen sind auch weitere ›sensible Zonen‹ wie Sportanlagen und Schulgebäude. So solle die Toleranz für die Einquartierung der Asylsuchenden in der Stadt erhöht werden. Eine Regierungsrätin sagt: ›Diese Regeln sind ein Kompromiss, damit die Bevölkerung in Bremgarten den Entscheid mitträgt. Schließlich muss man sich in vielen Bereichen des Lebens an Regeln halten. Man darf am Wochenende nicht Rasenmähen oder den Hund überall frei laufen lassen.‹« Der Focus vom 06. August 2013 3 Komik Diskutiert den Einsatz von Witz, Ironie und Komik in der Inszenierung. Wo musstet ihr Lachen und warum? Darf man über so ein Thema Witze machen? Gab es einen Punkt in der Inszenierung an dem es euch zu weit ging? Ist euch an einem Punkt das Lachen im Hals stecken geblieben? Wenn ja, wann war das?

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