Kontrakt – Unternehmen für Bildung

March 7, 2018 | Author: Anonymous | Category: N/A
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Evangelische Fachhochschule RWL Bochum

Abschlussbericht der Projektbegleitung

Kontrakt – Unternehmen für Bildung

Prof. Dr. Ernst-Ulrich Huster Prof. Dr. Carola Kuhlmann

Unter Mitarbeit von Philipp Bryant, Irina Carpentier, Franziska Hermanns, Verena Hodapp,Kerstin Knuth, Niklas Kreppel, Marco Küsener, Antonina Landa, Jie Liu, Silke Müllers, Franziska Nies, Steffen Pfannschmidt, Cornelia Pfrommer, Hanna Rest, Martin Richter, Stefan Teschlade, Olivia Zajusch

I.

Projekt und Auftrag an die Projektbegleitung

Das Projekt „KONTRAKT – Unternehmen für Bildung“ beruhte auf zwei Vorüberlegungen. Zum einen war die Bildungssituation von Jugendlichen mit Migrationshintergrund deutlich schlechter als der Durchschnitt,, zum anderen gab es Klagen von Seiten der Unternehmer, dass nicht genügend qualifizierte Schulabgänger zur Verfügung stünden. Zum ersten Punkt: In Witten lebten im Jahr 2008 8,5% Ausländer. Nach einem kontinuierlichen Zuwachs seit 1978 bis 1998 sankt die Zahl der Ausländer in den letzten 10 Jahren etwas.1 Vergleicht man diese Zahlen mit der Ausländerquote von Deutschland (8,2%), so ist die Anzahl der in Witten lebenden Ausländer etwas höher als im gesamtdeutschen Durchschnitt.2Zusätzlich rechnet man, dass in Deutschland ca. 19% der Menschen einen Migrationshintergrund besitzen. Auch die Arbeitslosenquote von Ausländern ist in Witten etwas höher als im bundesdeutschen Durchschnitt.3 Betrachtet man die Bildungssituation in Witten, so erkennt man auch hier, dass die Stadt mit dem bundesweit bekannten Problem konfrontiert ist und ausländische Schüler besonders oft die Hauptschule besuchen. Dies ist in der folgenden Darstellung erkennbar. Abb.: Allgemeinbildende Schulen am 15.10.2008 in der Stadt Witten Merkmal

InsHaupt- Förder- Gesamt- Real- Gymnagesamt schule schule schule schule sium der 33 3 2 2 3 3

Anzahl Schulen Schüler/-innen 11365 Ausländeranteil 12,1 in %

712 29,9

329 27,1

2125 11,1

1450 10,6

2728 3,5

(Quelle: eigene Darstellung auf Grundlage der Landesdatenbank NRW, Strukturdaten für Witten, Stadt)

Abgesehen von der bereits aufgezeigten hohen Quote an Hauptschülern mit Migrationshintergrund haben diese Jugendlichen auch bei qualifizierteren Schulabschlüssen aufgrund ihrer Herkunft schlechtere Chancen, einen Ausbildungsoder Arbeitsplatz zu finden als ihre deutschen Mitbewerber. Dies hat zur Konse1 2

3

Vgl. Information und Technik NRW, Landesdatenbank (2009): Kommunalprofil Witten, Stadt. Langfassung. S. 5 Vgl. Statistisches Bundesamt: Bevölkerung, Migration und Integration http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Navigation/Statistike n/Bevoelkerung/MigrationIntegration/MigrationIntegration.psml Vgl. Internetseite der Stadt Witten (2010): Arbeitslosenquote. http://www.witten.de/Arbeitslose-offene-Stellen-und-Arbeitslosenquote.13900.0.html

quenz, dass sie häufig arbeitslos sind und Bildung deshalb als der entscheidende Punkt für eine erfolgreiche Integration angesehen werden kann. Der zweite entscheidende Punkt für die Entwicklung des Konzeptes war – wie oben erwähnt - die Aussage von Seiten Wittener Unternehmen, dass es einen Mangel an geeigneten Bewerber/innen für ihre Ausbildungsstellen gäbe. Sie kritisierten die zu geringe Ausbildungsunfähigkeit vieler Jugendlicher. Gemeint waren dabei vor allem die schlechten Zeugnisse, mangelhaftes Allgemeinwissen, unreifes Verhalten sowie das Fehlen von sozialen Kompetenzen – alles Faktoren, die zu einem zunehmenden Mangel an Fachkräften führen. Die dargestellten Problemlagen veranlassten die Stadt Witten zur Entwicklung des Projekts „Kontrakt – Unternehmen für Bildung“ und ließen folgende Projektziele entstehen.Die Grobziele des Projekts bestehen zum einen in der Gründung eines Fördernetzwerkes aus Wirtschaftsunternehmen, Freiberuflern und Organisationen; zum anderen in der Herstellung von Chancengleichheit zwischen deutschen und nichtdeutschen Schülern sowie in der Förderung von Wittener Hauptschülern mittels eines Bildungsstipendiums, beginnend in der 8. Klasse und – nach Möglichkeit - endend in einem Ausbildungsverhältnis.Zu den Feinzielen gehören u.a. die Verbesserung der Schulnoten sowie der sozialen und beruflichen Schlüsselkompetenzen. Ebenso werden die Eltern in das Projekt mit einbezogen, um ihre Verantwortlichkeit hinsichtlich der Schullaufbahn ihrer Kinder zu aktivieren bzw. zu stärken. Am Projekt beteiligt sind die Stadt Witten, die Volkshochschule Witten-WetterHerdecke, Lernimpuls e.V.und ein Förderkreis aus lokalen Unternehmen sowie Organisationen. Das Projekt KONTRAKT in Witten versucht also mit der Unterstützung von Unternehmen und Institutionen aus der eigenen Region, Abhilfe für ein öffentliches Problem zu schaffen. Da die Stadt Witten nicht die finanziellen Ressourcen hat,um den Problemlagen der Jugendlichen mit Migrationshintergrund entgegen zu wirken, werden wirtschaftliche Unternehmen mit ins Boot geholt und im gewissen Maße in die Verantwortung gezogen. Beim Projekt KONTRAKT geschieht dies in Form einer Geldleistung bzw. eines Sponsorings und einer Patenschaft

mit den Jugendlichen. Dieses Konzept ist ein Modell für Öffentlich-Privaten Partnerschaft (ÖPP, eng. Public-Private-Partnership, PPP).4 Die Projektteilnehmer werden aus den Wittener Hauptschulen akquiriert. Die Zustimmung der Eltern zur Teilnahme ihrer Kinder an diesem Projekt hat oberste Priorität. Ihre Aufgabe ist es dabei, Beratungs- und Informationsgespräche wahrzunehmen und eine aktive Unterstützung für ihr Kind zu leisten. Die Projektbegleitung sowie die Dokumentation der Ergebnisse erfolgen über die Evangelische Fachhochschule Bochum unter der Leitung von Prof. Dr. Huster und Prof. Dr. Carola Kuhlmann sowie unter Einbezug von Studierenden des Masterstudiengangs Soziale Inklusion: Gesundheit und Bildung.“

II.

Projektverlauf

Zu Beginn jeden Durchlaufs wird der Nachhilfebedarf der Schüler festgestellt, so dass jeder von ihnen ab diesem Zeitpunkt einmal wöchentlich entweder in den Fächern Mathematik, Deutsch oder Englisch bei Lernimpuls e.V. Nachhilfe erhält. Neben dieser Förderung finden in unregelmäßigen Abständen gemeinsame Freizeitaktivitäten statt. Auch berufsbezogene Aktionen in Form von Bewerbungstrainings sind Bestandteile des Projektes. Dort werden den Schülern auch unterschiedliche Berufe vorgestellt und die Berufspraxis aufgezeigt. Abhängig vom Zeitpotenzial der Paten werden zudem Treffen zwischen diesen und den Schülern organisiert, damit die Unternehmer sich ein Bild über die Entwicklung des Patenkindes machen können. Auch wenn kein offizielles Fördernetzwerk ins Leben gerufen werden konnte, so treffen sich die Paten einige Male pro Jahr zu einem gemeinsamen „Patenkochen“, bei dem ein Kennenlernen und ein gemeinsamer Austausch stattfinden kann. Je nach Bedarf, der abhängig von der Situation und dem Teilnehmer ist, werden Gespräche mit den Eltern durchgeführt. Diese gestalten sich oftmals für die Mitarbeiter des Projektes als schwierig. Teilweise stehen sprachliche Barrieren einer Verständigung im Weg oder es fehlt den Eltern an Verständnis und Willen zur Mitwirkung in Form von Aktivierung ihrer Kinder am Projekt. Neben regelmäßigen Teambesprechungen der Mitarbeiter lag ein weiterer Schwerpunkt auf der Öffentlichkeitsarbeit.

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Vgl. Gehrke, G. (Hrsg.) (2006): Public-Private-Partnership in der Medienkompetenzförderung, Potenziale und Grenzen. Marl S. 11ff

Mit Projektbeginn startete auch die wissenschaftliche Begleitung von Seiten der EFH Bochum.

III. Auswertung und einige Ergebnisse 1.

Förderung der Kognitiven Kompetenzen

Das Konzept von Kontrakt zielt zunächst und vor allem darauf, einen besseren schulischen Abschluss herbeizuführen, damit die Einstellungsfähigkeit in einem Lehrberuf gesteigert wird. Deshalb kommen zunächst und vor allem dem Nachhilfeunterricht durch Lernimpuls eine große Bedeutung zu. Dabei zeigt sich allerdings, dass sich diese Konzentration auf Förderung kognitiver Kompetenzen zumindest nicht durchgängig auch in besseren Noten niedergeschlagen hat. Abb: Veränderung der Noten in den Hauptfächern 1. Projektdurchlauf 2008 - 2010

Legende:

ROT bedeutet: Verschlechterung GELB bedeutet: Gleichbleiben GRÜN bedeutet: Verbesserung

In absoluten Zahlen der geförderten Schülerinnen und Schüler des ersten Durchgangs

Die Einteilung der Schüler in verschiedene Gruppen zeigt, dass die Gruppe der Schüler, die sich im Projektzeitraum in mehr Fächern verschlechtert als verbessert haben, die größte Gruppe ist. Wirkliche Verbesserung der Schulleistung lässt sich nur bei zwei Schülern konstatieren. Bei vielen Schülern hat sich beispielsweise das Nachhilfefach verbessert, die Noten in den anderen Fächern sind dann aber oft schlechter geworden.Anders sieht es allerdings bei den Bewertungen des schulischen Verhaltens (Kopfnoten) aus: 5

Abb: Veränderung der Noten in den Kopfnoten 1. Projektdurchlauf 2008 - 2010

Beim 2. Projektdurchlauf kommt es zu einem leicht davon abweichenden Ergebnis. Wie in untenstehender Grafik ersichtlich, ist die Mehrheit der Teilnehmer in den Fächern Deutsch und Englisch (wie auch in den Fächern Geschichte/Politik und Sport) in den Noten gleich geblieben, nur im Fach Mathematik hat sich eine knappe Mehrheit verbessert. Abb.: Veränderung der Noten in den Hauptfächern 2. Projektdurchlauf 2009/10

Bei der Bewertung dieser Ergebnisse ist einmal zu berücksichtigen, dass es hierzu keine Kontrollgruppen gegeben hat: Wie hätte sich also dieses Notenniveau ohne Nachhilfeunterricht entwickelt? Und zweitens ist zu bedenken, dass sich die Phase der Pubertät in mehr als einer Hinsicht negativ auf den Notenspiegel in den entsprechenden Klassen nie-

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derschlägt. Von daher ist schon das Gleichbleiben von Leistungen insgesamt eher positiv einzustufen. 2.

Förderung des breiten Spektrums sozialer, emotionaler und kognitiver Kompetenzen

Schulische Sozialisation hat eine doppelte Stoßrichtung: Förderung der Persönlichkeitsentwicklung des Schülers bzw. der Schülerin und Vorbereitung der auf die Berufsfähigkeit. Befragungen der Bezugspersonen der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler haben hier eine höchst interessantes Ergebnis gezeitigt.Fragen danach, wie sich die Teilnehmenden im Projekt Kontrakt im Einzelnen entwickelt haben, werden von der sozialpädagogischen Betreuerin, dem Leiter von Lernimpuls und den Nachhilfelehrerrinnen leicht unterschiedlich bewertet, im Ergebnis aber stimmen sie darin überein, dass sich insgesamt vor allem die sozialen und emotionalen Kompetenzen verstärkt haben. Alle Schüler verbessern sich innerhalb des Projektverlaufes. Bei näherer Betrachtung wird zudem deutlich, dass fünf Schüler zum Projektbeginn besonders gut in ihren Kernkompetenzen bewertet wurden. Fast alle Kernkompetenzen wurden hier mindestens mit einem „befriedigend“ eingeschätzt. Im Gegensatz dazu gibt es vier Schüler deren Kernkompetenzen zu Projektbeginn fast alle schlechter oder um die Note „ausreichend“ bewertet wurden.

Dies bedeutet für das Projekt Kontrakt, dass alle Kernkompetenzen gleichermaßen stark gefördert werden, auch wenn unterschiedliche Blickwinkel der Betreuer existieren. Dabei wird deutlich, dass neben der kognitiven Förderung andere wichtige Bereiche in diesem Projekt gefördert werden: 7

1.

„Personale Ressourcen, z.B. Problemlösefähigkeit und Talente, Interessen, Hobbys (durch Angebote bei Lernimpuls, Angebot von Freizeitaktivitäten)

2. • • • • •

Soziale Ressourcen: In den Bildungsinstitutionen: Klare transparente Strukturen, konsistente Regeln Wertschätzendes Klima Hoher, angemessener Leistungsstand Mitarbeiter als positive Verstärker Positive Peerkontakte

Die „Intervention Nachhilfe“ scheint also über die kognitive Wissensvermittlung hinaus auch die sozialen Stärken und Bindungen zu fördern. Insgesamt sind im Projekt bereits viele Punkte zur Resilienzförderung von Jugendlichen vorhanden. Eine weitere Intensivierung insbesondere bei den Patenkontakten und dem Freizeitverhalten scheint eine gute Option für die Zukunft zu sein.

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3.

Auswertung familiäre Ressourcen 9

Bezüglich der Eltern wird seitens der ExperInnen im Projekt problematisiert, dass diese ihre Kinder nicht ausreichend unterstützten und über deren Leben und Bedürfnisse nicht genügend informiert seien. Alle drei ExpertInnen sehen in der fehlenden Mitarbeit und im fehlenden Engagement der Eltern einen Grund dafür, dass das Projekt im ersten Durchlauf nicht erfolgreicher gewesen sei. So wird einerseits vor allem die fehlende Wertschätzung der Eltern gegenüber dem Projekt und insbesondere gegenüber den Paten bemängelt, andererseits wird auf die fehlende Vorbildfunktion der Eltern verwiesen. Zentral sei die Persönlichkeit der Eltern, deren Haltung und Verhalten zu Bildung und Erziehung. Diese seien ausschlaggebend dafür, wie die Krise der Jugendlichen, zwischen zwei Kulturen aufzuwachsen, gelöst werde. Doch auch dieses gilt: Eltern mit Migrationshintergrund können sich nichts oder nur wenig unter den deutschen Schulabschlüssen vorstellen und kennen die Unterschiede sowie die damit verbundenen Perspektiven nicht. Paten

Als großes Verdienst des Projektes ist die Sensibilisierung von Unternehmen der Mittel- und Oberschicht für die Problemlagen von MigrantInnen anzusehen. Einige Paten konnten sich an dem Projekt nur finanziell beteiligen, so dass nicht immer ein direkter Kontakt zwischen Paten und SchülerInen stattfinden konnte. Bei einigen teilnehmenden SchülerInnen fehlte aber die Einsicht in und die Wertschätzung dieses Engagement der Unternehmen. 4.

Grenzen des Projektes

Allerdings stößt ein derartiges Projekt auch an Grenzen. Als besonders problematisch sehen die ExpertInnen die fehlende Motivation vonSchülerInnen an, die in einigen Fällen auch zur Beendigung der Teilnahme geführt haben. Alle drei sind sich einig, dass einige SchülerInnen einen Betreuungsbedarf hätten, der die Möglichkeiten des Projektes übersteige. Einige SchülerInnen zeigten soziale und/oder psychische Auffälligkeiten und bräuchten daher eine andere Art der Unterstützung. Als Ursachen für die auftretenden Schwierigkeiten der SchülerInnenist zunächst und vor allem die Pubertät zu nennen und dem damit einhergehenden erhöhten Bedarf an Zuwendung, zugleich an Akzeptanz von Abweichung. Daneben sind gerade bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund das fehlende Zugehörigkeitsgefühl und die Orientierungslosigkeit wichtige Ursachen für Fehlverhalten. Können hier Eltern keinen Rückhalt bieten, sind Konflikte mit der Umwelt vorprogrammiert. Außerdem seien einige Jugendlichen nicht an Verbindlichkeiten und Regelmäßigkeiten gewöhnt.Hohe Fehlzeiten in der Schule und auch in der

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Nachhilfe sowie bei anderen Angeboten des Projektes wurden zum Problem. Diese Jugendlichen wurden dann aus dem Projekt ausgeschlossen. 5.

Ein Fazit

Nachdem nun die Veränderungen und Entwicklungen der beteiligten Schüler an dem Projekt KONTRAKT beschrieben worden sind, folgt an dieser Stelle eine Zusammenfassung der erfassten Daten. Bei der Gruppe zwei, die seit September 2009 im Projekt involviert ist, zeigt sich, dass sich die Schulmathematiknote am häufigsten verbessert hat. Dadurch, dass im Fach Mathematik weniger sprachliche Kompetenzen erforderlich sind als in den Fächern Deutsch und Englisch, könnte eine Verbesserung erklärt werden. Auch der Nachhilfeunterricht im Fach Mathematik durch Lernimpuls e.V. ist am effektivsten und hat die deutlichsten positiven Auswirkungen aus Sicht der Nachhilfelehrer. Zusätzlich verbessern sich gerade die Jungen im gesamten Nachhilfeunterricht mehr als die Mädchen. Trotzdem sind Jungen, verglichen mit Mädchen, die heterogene Gruppe. Dafür verbessern sich Mädchen mehr in den Kernkompetenzen wie z.B. soziale Stärken. Generell bilden die Mädchen, die am Projekt teilnehmen, eine homogenere Gruppe, was ihre Leistungen und Verbesserungen in Schule und Nachhilfeunterricht anbelangt. Außerdem hat es den Anschein, als ob Schüler mit einem Migrationshintergrund aus Südeuropa z.B. der Türkei und Italien mehr Schwierigkeiten haben, sich zu verbessern, als Schüler aus Ost-, bzw. Südosteuropa. Anhand des geringen Stichproberaumes kann diese Vermutung jedoch nicht als repräsentativ gelten. Dennoch ist zu erkennen, dass sich besonders Schüler aus der ehemaligen Sowjetunion und Polen bezüglich ihrer Leistungen im Nachhilfeunterricht ähnlich positiv entwickeln und die Varianz, was Schulleistungen betrifft, geringer ist. Offensichtlich ist der Zusammenhang von Schulleistungen und familiären Ressourcen. Wenn man berücksichtigt, dass Menschen aus dem Ausland bzw. mit Migrationshintergrund stärker von sozialer Armut betroffen sind und länger in diesem Risiko schweben als die deutsche Bevölkerung und man sich vergegenwärtigt, dass Bildungsund Sozialisationstheorien wie Banduras Lernen am Modell5 oder Bourdieus Ökonomisches, Kulturelles und soziales Kapital6 beweisen, dass dadurch Handlungen und Habitus geprägt werden, kann man nachvollziehen, weshalb besonders Ausländer größere Schwierigkeiten haben, dauerhaft in der Erwerbsarbeit zu bleiben bzw. in diese zu gelangen.

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Vgl. Bandura, Albert: (1976) Lernen am Modell, Stuttgart, S.9ff. Vgl. Bourdieu, Pierre: (1992) Ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital, in: Die verborgenen Mechanismen der Macht, Hamburg, S 49-75.

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Gleichwohl: Die meisten SchülerInnen haben insgesamt von dem Projekt profitiert. Auch wenn nicht alle von ihnen einen Ausbildungsplatz erhalten haben, konnten sie doch z.T. ihre Schulnoten verbessern oder halten, sich persönlich weiterentwickeln und neue Freundschaften schließen. Das Ziel, alle in Ausbildung zu bringen, war vermutlich zu hoch gesteckt. Es ist anzunehmen, dass die Defizite, die sich in acht Schuljahren angesammelt haben, durch die im Projekt vorgesehene Betreuung nicht zu schließen sind. Da es auch nur teilweise gelungen ist, dass die Paten sich ihre Auszubildenden heranziehen, ist auch der Berufseinstieg über diesen Weg nicht so gelungen wie erhofft. Wie die quantitative Untersuchung gezeigt hat, lässt sich jedoch eine Verbesserung der Kernkompetenzen der Teilnehmer nachweisen. Allerdings liegt diese über alle untersuchten Items betrachtet im Durchschnitt unterhalb von einem Notenpunkt, in der Regel sogar unterhalb eines halben Notenpunktes. Die bewusste Auswahl der Teilnehmer, die im Vergleich zum ersten Durchlauf eine Neuerung darstellt, hatte einen wesentlichen Einfluss auf die erreichten Fortschritte. Die Verbesserungen in den Bereichen methodische, persönliche und fachliche Stärken sowie dem Bereich soziale Kompetenzen fallen nun stärker aus als in den Durchläufen ohne eine gezielte Auswahl. Diese Maßnahme, die auf Grundlage der Einschätzung der Motivation und Kompetenz der Schüler sowie des elterlichen Engagements stattfindet, hat sich bewährt. Genau hier wurde von den Verantwortlichen die zentrale Schwierigkeit im Hinblick auf das Erreichen des Projektziels gesehen.

Untersucht man nun die empirischen Daten Gesamtdeutschlands hinsichtlich des Geschlechts und der Herkunft, kann konstatiert werden, dass es eine besondere Risikogruppe bei Schülern mit Migrationshintergrund bezüglich ihrer Schulleistung gibt. Zusätzlich benachteiligt gelten hier männliche Schüler, die aus der Türkei stammen bzw. deren Eltern Türken sind. Das verfestigt sich nach Beendigung der Schule, wie man an der Anzahl der Ausbildungsplätze sehen kann, welche von Jungen besetzt sind bzw. angestrebt werden. Auch hier haben es männliche Schulabgänger schwerer, einen Ausbildungsplatz zu finden, auch deshalb, weil ihre Berufswünsche unterschiedlicher sind und teilweise Berufe gewählt werden, in denen die Ausbildungsplätze in den letzten Jahren geringer geworden sind. Berücksichtigt man die Benachteiligung von Jungen, so steht konträr die Lehrersituation speziell in Hauptschulen. Hier sind nur ca. ein Drittel aller Lehrer männlich. Dies sollte in Zukunft ein Thema der Bildungspolitik des Landes NRW sein. Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend weist schon seit geraumer Zeit darauf hin und empfiehlt sogar, fachdidaktische Konzepte im Bereich der Schulbildung um geschlechtsspezifischeren Unterricht zu gewährleisten.

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IV.

Veränderungsvorschläge

Das Gesamtprojekt stellt einen positiven Ansatz dar, um gezielt eine soziale Problemgruppe mit Migrationshintergrund zu fördern. Dabei ist das Projekt von einem sehr breiten Integrationsverständnis ausgegangen: Schüler im 8. Schuljahr mit Migrationshintergrund sollten über Förderung und Kontakte zu Paten berufsfähig gemacht werden. Die Fortführung des Projektes muss deutlicher differenzieren zwischen diesem Gesamtziel und erreichbaren Zwischenetappen. Insgesamt kann ein derartiges Konzept nicht das gesamte Set von Kinder-., Jugend- und Familienhilfe, interkultureller und interreligiöser sozialer Arbeit und der Jugendberufshilfe abbilden. Deshalb sollten konkretere Einzelschritte angestrebt werden. Dieses Projekt steht an einem Scheideweg: Strebt das Projekt weiterhin vor allem die Berufseingliederung an, dann wird es von vorneherein die Zugangsbarrieren für die Teilnahme anheben müssen, steht aber im Dilemma, möglicherweise gerade diejenigen zu fördern, die eh schon zu den Privilegierteren innerhalb der soziale Ausgegrenzten gehören (Creaming-Effekt). Will dieses Projekt die stärker sozial Ausgegrenzten erreichen, wird es dieses nicht unmittelbar mit dem Ziel der Ausbildungsfähigkeit verbinden können, auch wenn dieses nach wie vor das Ziel bleibt, nach dem Sozialgesetzbuch VIII bleiben muss. Es könnte ein dreistufiges Modell angedacht werden: Erste Stufe: Kennenlern-Phase in einer Gruppe von Schülerinnen und Schülern in der zweiten Hälfte des 7. Schuljahres: Kinder, deren Hauptschulabschluss gefährdet ist, werden in kleineren Gruppen zusammengefasst. Die Kinder sollen in möglichst kleineren Gruppen ihre Fähigkeiten, ihr Defizite, ihre Potentiale zeigen können, ohne dass dieses bereits bewertet wird. Erst am Ende dieser extensiven Begegnungsphase legen Eltern, Betreuer und Projektverantwortliche fest, wie es weitergehen soll. Zweite Stufe Ein Teil wird dann weiterhin durch die Hauptschule angemessen betreut werden können, wobei ergänzende Maßnahmen im Rahmen der Familienhilfe und der Lernförderung (Bildungspaket) greifen können. Eine zweite Gruppe wird dann ein Rahmen angeboten werden können, der dem bisherigen Projekt: Förderung breiter Kompetenzen incl. Nachhilfeunterricht

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entspricht. Eine dritte Gruppe bedarf gezielter sozialpädagogischer Hilfen, die vor allem auf emotionale und soziale Kompetenzen zielen. Dritte Stufe Über Patenschaften im 10. Schuljahr werden für die „normalen“ Hauptschüler und die in diesem Projekt breit geförderten Schritte zur Eingliederung in das Ausbildungssystem eingeleitet. Die dritte Gruppe wird entweder ergänzende sozialpädagogische Hilfen oder Übergänge zu Anlernberufen bekommen müssen. Der Ansatz von Kontrakt ist richtig: Was die Gesellschaft in dieser wichtigen Entwicklungsphase nicht tut, nicht finanziert, wird sie später zur Abwehr, Überwindung bzw. Sanktionierung abweichenden Verhaltens bis hin zur Delinquenz umso teurer bezahlen müssen: Jeder delinquent gewordene Jugendliche bzw. junge Erwachsene bekommt in entsprechenden Einrichtungen eine berufliche Ausbildung angeboten, unter weit erschwerten Bedingungen. Es ist nicht nachvollziehbar, warum dieses nicht kostengünstiger, noch dazu unter Einbeziehung ehrenamtlichen Engagements und finanzieller Beteiligung privater Unternehmer, präventiv erfolgen kann und soll. Nur könnte es angesichts der Wirklichkeit kommunaler Haushalte bei einer derartigen „freiwilligen“ Aufgabe zu Finanzierungsengpässen kommen. Folglich sind das Land bzw. die Landschaftsverbände, Träger von stationären Einrichtungen der Jugendhilfe und Strafanstalten für Jugendliche bzw. junge Erwachsene, gefordert, hier präventiv tätig zu werden. Es wäre zugleich ein aktiver Beitrag zum Schließen des erwarteten Facharbeitermangels. Folglich müsste auch die Agentur für Arbeit am Erfolg derartiger Projekte interessiert sein und finanziell beteiligt werden.

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