Kommilitone Baron

March 8, 2018 | Author: Anonymous | Category: N/A
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Adelige Studenten

Kommilitone Baron

Rosamunde Pilcher wäre entzückt: Leopold in den Gemächern von Pöttmes

Seit Karl-Theodor zu Guttenberg die Berliner Bühne betreten hat, ist Adel wieder schick. Wir haben uns an deutschen Universitäten umgesehen, was der Nachwuchs so macht Text: ina Brzoska und Merle schmalenbach Fotos: julian baumann

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Leopold Freiherr von Gumppenberg Korrekte Anrede: Baron. Die von Gumppenbergs sind ein bayerisches Adelsgeschlecht, das 1571 in den Freiherrenstand erhoben wurde.

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Das Schloss, das Leopold einmal erben wird, liegt in Pöttmes auf dem Gumppenberg am Ende der von-Gumppenberg-Straße

och nie kam Leopold von Gumppenberg auf die Idee, die Räume in Schloss Pöttmes zu zählen – es sind zu viele. Als Kind spielte er mit mittelalterlichen Säbeln und tobte durch pastellfarbene Salons. Zweifellos böte das elterliche Anwesen die perfekte Kulisse für einen Rosamunde-Pilcher-Film. Und Leopold gäbe einen geeigneten Hauptdarsteller ab: Der 21-Jährige trägt die blonden Haare seitlich gescheitelt, hat eine Vorliebe für Cordhosen und redet gern in Schachtelsätzen. Für sein Jurastudium in München ist er aus dem Schloss ausgezogen und hat sich eine Studentenbude genommen, um sich die freiherrlichen Hörner abzustoßen. München liegt nur eine Stunde von Pöttmes entfernt, trotzdem ist es eine andere Welt. In seinem Semester ist Leopold einer von vielen, muss sich gegen ehrgeizige Studenten behaupten. Es gibt mehr Freiheiten, manchmal fühlt sich Leopold aber auch fremd. »Ich bin eben ein bisschen anders«, sagt er. Oft fällt es ihm schwer, eine Matrikelnummer an der Massenuniversität zu sein. Jura ist ein Lernfach, man muss viel pauken. Manchmal, wenn eine schwere Prüfung ansteht, betet er einen Rosenkranz in der schlosseigenen Kapelle. Zu Beginn seines Studiums investierte er viel Zeit in eine standesgemäße Optik seines StudiVZ-Profils. Auf seinem Profilbild posierte er im Frack, andere Fotos zeigten ihn mit jungen Studentinnen auf Adelsbällen. Oder auf der Jagd: Leopold steht im Pöttmeser Wald, 1000 Hektar davon gehören zum Familienbesitz. Das Gewehr liegt ihm lässig über der Schulter. Er präsentierte sich in Barbourjacke, als Mitglied in Gruppen wie »Adel verpflichtet« oder »Mir stinken die Linken«. Für ihn und seine Freunde ist das Aristokratische wieder modern, schließlich behaupten die Feuilletons, das Volk habe seine Blaublüter wieder gern. Den CSU-Politiker Freiherr von und zu Guttenberg tauften die Klatschblätter jüngst »Baron der Herzen«. »Wir sind stolz auf unsere Herkunft und die Tradition, die damit verbunden ist«, sagt Leopold. Später will er eine große Familie gründen, auch um den Familienstammbaum fortzuführen. »Es passiert so schnell, dass eine Linie ausstirbt«, sagt er. Für die Ehe wünscht er sich eine Dame mit guter Erziehung, die gerne den Haushalt führt. »So jemanden zu finden ist heutzutage weiß Gott nicht leicht«, sagt er. Der Name von Gumppenberg ist in Leopolds Heimatdorf Pöttmes fest verwurzelt. Die erste urkundliche Erwähung stammt aus dem Jahre 1271. Über Jahrhunderte herrschten hier seine Vorfahren, vermehrten 

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den Besitz, fällten Todesurteile. Noch heute recken am Tor zwei Löwen das Haupt, auf der Brust tragen sie farbige Symbole. »Die Wappen der herrschenden Familien«, sagt Leopold. Die Mutter aus einem österreichischen Grafengeschlecht, der Vater ein von Gumppenberg. »Die Leute denken immer, bloß weil man ein Schloss hat, ist man reich«, sagt Leopold. Niemand bedenke die Kosten für die Instandhaltung. »Man muss viel investieren.« Erst vor Kurzem habe man die Schlossbrauerei schließen müssen, nach 600 Jahren. Leopold ist der zweitälteste Sohn; er hat drei Brüder. Der Beste soll den Besitz eines Tages übernehmen, so wünscht es der Vater. Während der ältere Bruder Franziskus Forstwissenschaft studiert, entschied Leopold sich für Jura. Ein solides Fach. »Ich habe den Eltern weiß Gott genug Sorgen bereitet«, sagt Leopold. Er trug die Haare mal lang, hörte düstere Musik. Sogar ein Che-Guevara-Poster hing im Schloss. Erst ging er aufs Dorfgymnasium, dann schickten ihn die Eltern auf ein Internat. Damals protestierte er, heute zeigt er sich einsichtig. Ausbildung und Umfeld in Pöttmes seien einfach nicht auf demselben Niveau gewesen wie das Internat in Iserlohn. Obwohl er heute in München lebt, besucht er die Eltern oft. Gestern war er mit seinen adeligen Freunden in der Dorfdisco feiern, heute muss der Kater kuriert werden. Leopold bewahrt Haltung. »Andere haben es leichter, sich zu amüsieren«, sagt er. »Wir können nicht betrunken in der Ecke liegen oder nackt auf den Tischen tanzen, weil wir die Kinder vom Baron sind und den Besitz einmal übernehmen werden.« Beim Mittagstisch versorgt sein Bruder Franziskus die Runde mit badischem Weißwein. »Darf ich nachschenken?«, fragt er. Dabei hält er den linken Arm steif hinterm Rücken. Haltung bewahren, das gehört dazu.

Verena von mutius Korrekte Anrede: Hochgeborene. Die von Mutius sind ein preußischer Adelsstand. Der erste Mutius wurde 1745 geadelt. Über Ecken

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ist die Familie mit Karl dem Großen verwandt und besaß vor dem zweiten Weltkrieg Ländereien zwischen Magdeburg und Halle

erena von Mutius hat keine Kondome mehr. Sie kramt in ihren Manteltaschen, findet grüne Brause. »Wie wär’s damit?«, fragt sie den Jugendlichen mit den Rastalocken. Jede Stimme zählt. Die 20-Jährige steckt mitten im Wahlkampf für die Grünen. Ihr Ziel: ein Sitz im Stadtrat von Augsburg. Sie will Einfluss nehmen. Früher fühlte sie sich hin und her gerissen zwischen der Welt des Adels und des Bürgertums. Das ist vorbei. Seit vier Jahren ist sie bei den Grünen aktiv. Das können andere Adelige nicht nachvollziehen, sagt sie. »Die denken: Oh Gott, was ist das für eine?«

»Die Leute denken immer, bloß weil man ein Schloss hat, ist man reich« Leben ZEIT Campus



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Schon seit fünf Stunden sagt sie in der Fußgängerzone ihren höflichen, aber sperrigen Spruch auf: »Darf ich Ihnen Informationsmaterial zur Kommunalwahl mitgeben?« Die Kälte treibt der Jurastudentin das Blut in die Wangen. Doch jetzt ist erst einmal Zeit für eine kurze Pause. Mit dem Fahrrad fährt sie nach Hause. Sie stoppt vor einem gelben Reihenhaus, dort wohnt sie in der ersten Etage mit den Eltern zur Miete. Verena schließt die Tür auf. Ein Lichtspalt fällt in die Wohnung. Kommoden, schwere Vorhänge, Gemälde aus nobleren Zeiten. General von Mutius, gestorben 1866, blickt streng von der Wand. Im Flur hängt ein selbst gemalter Stammbaum. Der erste Mutius ist 1745 geadelt worden. Die Mutter entstammt altem Uradel, man ist über Ecken mit Karl dem Großen verwandt, besaß Land zwischen Magdeburg und Halle. Doch dann kamen nach dem Zweiten Weltkrieg die Russen. Heute sieht man nur noch Überreste des alten Glanzes: Fotos von verfallenen Schlössern, eine silberne Bürste. »In der Grundschule dachten meine Mitschüler, dass ich in einem Schloss wohne und reich bin«, sagt sie. »Aber meine Eltern müssen hart arbeiten, wir sind ganz normale Leute.« An ihrem antiken Wandschrank hängen drei Ballkleider, eingepackt in Plastikfolie. Die sind ihr jetzt ein bisschen peinlich, sie nestelt an ihrem silbernen Herzchen-Anhänger. »Ich gehe höchstens einmal im Jahr auf einen Ball«, sagt sie schnell. »Das ist für mich Amüsement, mehr nicht.« Den adeligen Kreisen steht sie kritisch gegenüber, seit sie gemerkt hat, dass

»Andere Adelige denken: Oh Gott, was ist das für eine?«

Im Grünen: Verena engagiert sich politisch 

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ihre bürgerlichen Freunde dort nicht gern gesehen sind. »Das hat mich nachdenklich gemacht.« Auch das Frauenbild vieler Adeliger lehnt Verena ab. »Wer unstandesgemäß heiratet, gehört oft nicht mehr richtig dazu.« Trotzdem fühlt sie sich ihrem Stand zugehörig, vielleicht wird ihr der Name auf dem Stimmzettel sogar nützen. Möglicherweisen werden die vielen Wähler, die im Fernsehen gerne Royality mit Florian Seelmann-Eggebert schauen, die Eltern, die ihren Kindern wieder öfter Adelsnamen wie Arnulf und Heinrich geben, und die Tausenden, die sich die Bücher über gute Manieren aus den Bestsellerlisten kaufen, bei der jungen Dame aus höheren Kreisen ihr Kreuz machen.

Wie einem Roman von Tolstoj entsprungen: Valentina

Valentina von tulechov Korrekte Anrede: Hochgeborene. Die von Tulechovs sind ein altes böhmisches Adelsgeschlecht aus dem 16. Jahrhundert. Als Valentinas

Vater 1969 aus der Tschechoslowakei floh, war der Familienbesitz auf einen Koffer und zwei britische Pfund geschrumpft

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alentina von Tulechov beherrscht die Regeln des Benimm. Bevor sie einem Freund die Hand schüttelt, zieht sie den Handschuh aus. An ihrem Finger leuchtet ein Ring, geschmückt mit einem lilafarbenen Stein. Darauf ist das Wappen ihrer Familie eingraviert, alter böhmischer Adel aus dem 16. Jahrhundert. Sie trägt spitze Schuhe, eine weiße Bluse, die Haare sorgfältig zurückgesteckt. Mit ihrer hellen Haut und ihrer zierlichen Figur könnte sie einem Roman von Tolstoj entsprungen sein. Einer ihrer Lieblingsfilme ist Krieg und Frieden mit Audrey Hepburn. Valentina ist 28 Jahre alt und promoviert am Münchner Jesuitenkolleg in Philosophie. Fünf Jahre lang hat sie sich im Adelsclub St. Georg’s als Jugendreferentin engagiert. Sie organisierte Veranstaltungen, traf Luitpold Prinz von Bayern, wohnte in den eleganten Clubräumen. Valentina hat viele Hände geschüttelt, dabei stets darauf geachtet, das Weinglas richtig zu halten, gerade zu sitzen, die korrekte Ansprache zu verwenden. Ihr Vater floh 1969 mit nur einem Koffer und zwei britischen Pfund aus der Tschechoslowakei; eine Geschichte, wie sie viele europäische Adelsfamilien erlebt haben. Im Adelsclub treffen sich die Übriggebliebenen, stemmen sich gegen die Zeit mit Umgangsformen und Werten, die draußen an Bedeutung verlieren. Wenn Valentina über Adel spricht, gebraucht sie Begriffe wie »Kultiviertheit« und »Glaube«. Sie betont, es gehe bei der Definition um innere Werte, nicht um Titel. Auch einen Bürgerlichen würde sie heiraten, nur ein »herzensguter Mensch« solle er sein, der sie bedingungslos liebe. Das klingt romantisch. Doch Valentina hat auch eine pragmatische Seite. Sie legt Wert auf Leistung, sattelte auf ihr Philosophiestudium einen BWL-Abschluss drauf. Nachdem ihr Vater im letzten Jahr überraschend gestorben war, stieg sie in das Familienunternehmen ein, reist für Geschäfte bis nach Dubai. Das Familienwappen ziert die Website, es stehe für Qualität und Tradition, sagt sie – Eigenschaften, die heute immer öfter mit dem Adel verbunden werden. Bei Kundengesprächen helfen Valentina ihre guten Manieren. Ihre Erziehung ist ihr Kapital. Am Abend folgt Valentina der Einladung einer Studentenverbindung. Sie ist müde, einen Tag zuvor war sie noch in Dubai. Die jungen Männer tragen hier Krawatten und antiquierte Vornamen wie »Friedrich«, sagen Wörter wie »nichtsdestoweniger«. Im Kerzenlicht glänzen die Siegelringe. Lange musste der deutsche Adel leiden unter den Skandalprinzen auf RTL und den Schmähungen durch die 68er. Dass den Adel heute nicht mehr alle ablehnen, zeigt ein Blick auf die Gästeliste. Unter den Hochgeborenen tummeln sich Bürgerliche, man erkennt sie auch an ihren staunenden Blicken. »Mensch, sind die galant«, wispert eine ihrer Nachbarin zu. Sie will jetzt öfter kommen, hofft auf Einladungen.

»Ich würde einen Bürgerlichen heiraten, wenn er herzensgut ist« Leben ZEIT Campus



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»Ja, wir haben ein schwarzes Schaf in der Familie«

Alkmar von Alvensleben Korrekte Anrede: Hochgeborener. Die von Alvenslebens gehören zum deutschen Uradel und wurden 1163 zum ersten Mal urkundlich

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erwähnt. In den letzten 800 Jahren besaß die Familie 27 Schlösser und Burgen in Deutschland, die sich heute in Staatsbesitz befinden

er Weg zum Spind führt an den Räumen der Tübinger Fachschaft vorbei. Alkmar von Alvensleben lugt in den Raum: die abgenutzte Couch, das obligatorische Marx-Plakat. Man diskutiert über Adorno, hört Gitarrenmusik und protestiert gegen Studiengebühren. Das ist nicht seine Welt. Entschieden rümpft er die Nase, als er sich auf einem Foto entdeckt. Dort hockt er neben Fachschaftsstudenten, am rechten Rand. Spitzgesichtig, er lächelt zaghaft. Bürstenschnitt, gebügeltes Hemd, glänzende Schuhe. Sieben Semester ist das her, das alternative Umfeld hat ihn nicht verändern können. Er ist sich treu geblieben. Der 24-Jährige studiert Geschichte und Latein. Er will Lehrer werden, wie schon Mutter und Großvater. Alkmar hält viel von Traditionen, öffnet Damen die Tür, liebt klassische Musik. Sein stetes Bekenntnis zum Konservatismus machte es ihm nicht leicht, Anschluss im alternativen Mainstream der Uni Tübingen zu finden. Im Philologieseminar wirkt Alkmar wie ein zurückhaltender Sonderling. Er grüßt knapp, Small Talk mit Kommilitonen ist nicht seine Sache. Seit einigen Semestern ist er in einer Verbindung. Heute Abend will er mit den Bundesbrüdern in die Oper nach Stuttgart fahren, 20 Karten hat er besorgt. Er freut sich darauf, hat Anzug und Krawatte für den Abend schon bereitgelegt. Alkmar ist der sechste Nachfahre, der im Stammbaum diesen Vornamen

trägt. Die von Alvensleben wurden 1163 erstmals urkundlich erwähnt und zählen damit zum deutschen Uradel. Es gibt eine Homepage derer von Alvensleben, für die Alkmar Informationen recherchiert. Eine Familienzeitung, kunsthistorische Verzeichnisse, in denen die ehemaligen Besitztümer zu finden sind. Oft schlägt er in ihnen nach, um herauszufinden, was die Familie besessen hat. Vieles wurde im Krieg zerstört. »Eine Schande«, sagt er und seufzt. Auf einer Schulfreizeit in Berlin entdeckte Alkmar in einem Antiquitätengeschäft ein Wappen der Familie. Seitdem sucht er nach Hinterlassenschaften. Ab und an wird er auf eBay fündig. Fehlt Alkmar das nötige Kleingeld, steigert er das Gebot hoch. »Damit der neue Besitzer auch sorgfältig damit umgeht«, sagt er. Zweimal im Jahr trifft sich die Familie auf Burgen oder Schlössern in Sachsen-Anhalt. Die ehemaligen Familiensitze sind heute Staatseigentum. Rund 270 von Alvensleben gibt es noch, überall auf der Welt verstreut. Die Familienmitglieder reisen teilweise aus Argentinien, Alaska oder Namibia an. Noch nie hat Alkmar ein Treffen verpasst. Alkmar beschäftigt sich viel mit der Vergangenheit. Auf dem Nachttisch liegt Literatur über Preußen und das »Dritte Reich«. In einem Spiegel-Sonderheft hat er etwas über die Beteiligung adeliger Familien am Nationalsozialismus gelesen. Auch seine Familie wird im Artikel genannt. Alkmar hat den Stammbaum der Familie vor sich ausgebreitet. Er tippt auf den Namen Ludolf-Hermann, Anhänger der Nationalsozialisten, nach Argentinien geflüchtet, nie verurteilt worden. »Ja, wir haben ein schwarzes Schaf in der Familie«, sagt er. Nicht alle in seiner Familie würden das so sagen. Wie Alkmar hat wahrscheinlich jeder einen Verwandten, für den er sich schämt, das Gute ist, dass die meisten nach zwei Generationen vergessen sind. Da hat es etwas Beruhigendes, wenn man seinen Stammbaum nicht bis 1163 zurückverfolgen kann.

Er ist sich treu geblieben: Alkmar in seinem Tübinger Arbeitszimmer



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