Kassel 26 Buchhandlungen, davon elf in der City
February 10, 2018 | Author: Anonymous | Category: N/A
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Markt Thema der Woche
Heißes
Pflaster Kassel 26 Buchhandlungen, davon elf in der City: In der nordhessischen Großstadt weht ein ungewöhnlich scharfer Wind, der sich durch eine neue ThaliaGroßfläche weiter verstärkt. Ein Lagebericht.
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or zwei Wochen hat in Kassel eine neue Ära begonnen: die der grün-blau leuchtenden Muse der heiteren Dichtkunst und des Lustspiels – Thalia. Schon Wochen vorher wurden stadt-
Text: Tamara Weise Fotos: Andreas Fischer
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weit Einladungskarten zur Eröffnung der neuen Filiale verteilt. Darauf stand wie üblich: »Vorhang auf für Thalia!« Die heitere
Dichtkunst mag hier ein neues Zuhause gefunden haben, von einem Lustspiel kann im Fall Kassel jedoch keine Rede sein. Kassel ist mit knapp 200 000 Einwohnern die drittgrößte Stadt in Hessen, liegt bei der Arbeitslosigkeit jedoch
traditionell vorn: Im September lag die Quote hier bei 13,3 Prozent, hessenweit hingegen bei 7,2 Prozent. Bei der Kaufkraft für Bücher wird Kassel als »durchschnittlich« eingestuft, das Umland sogar als »niedrig«. Laut Landesverband gibt es derzeit 26 Buchhandlungen, allein elf davon befinden sich in der Innenstadt: darunter die inhabergeführten Sortimente H. Vaternahm, Freyschmidt’s, Buch +
Kunst Lometsch und Carl Vietor sowie Weltbild Plus (City-Point) und die drei Großflächen von Buch Habel, Hugendubel und Thalia. Zum Vergleich: Das ähnlich strukturierte Hagen in Nord rhein-Westfalen kommt gerade einmal auf 15 Sortimente.
Zu groß für die Stadt? Ist Kassel also überbesetzt? »Ja«, sagen alle, die den Standort kennen. Entsprechend groß ist die Verwunderung, dass es Thalia nicht bei der kleinen Filiale (380 Quadratmeter) im dez-Einkaufszentrum auf der grünen Wiese belassen hat, sondern nun mit einer Großfläche in die City vorstößt – und auch bereit ist, den Preis dafür zu bezahlen. »Bis die Buchhandlung schwarze Zahlen schreibt, wird es lange dauern«, glaubt nicht nur Gabriele Buse, Filialleiterin von Buch Habel. »Thalia wird viel Geld investieren müssen. Der Laden ist zu groß für diese Stadt.« Dennoch, und auch das erkennen alle Buchhändler an, könnte die Ausgangslage für
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Kampfplatz Königsstraße: In der Kasseler Fußgängerzone buhlen sechs Buchhandlungen um die Kunden
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Quelle: Börsenblatt
Thalia kaum besser sein: Die am 18. Oktober eröffnete 2 500Quadratmeter-Filiale auf zwei Etagen ist in einem schicken Neubau an der Fußgängerzone der Oberen Königsstraße untergebracht. Die Buchhandlung verbreitet großstädtisches Flair – was es in dieser Form in Kassel bis dato noch nicht gegeben hat. »Rappelvoll« sei es an den ersten Tagen gewesen, berichten Augenzeugen. »Es war gerade so, als hätte es in Kassel bisher keine Bücher gegeben.« Wenn eine neue Großfläche eröffnet, gehen die Umsätze bei den umliegenden Buchhandlungen in der Regel um bis zu 20 Prozent zurück. In Kassel war diese Faustregel, zumindest in den ersten Tagen, offenbar außer Kraft gesetzt. »Wir haben mehr Rückgang erwartet«, staunt Gabriele Buse – und auch Vaternahm-Geschäftsführer Hans-Arne Peters klingt verwundert: »Ich habe damit gerechnet, dass wir gerade in den ersten Tagen in die Knie gedrückt werden. Bisher sind die Einbußen aber nur marginal.« Peters hat eine besondere Beziehung zu Thalia und dürfte auch der einzige örtliche Buchhändler sein, der Thalia noch nicht in Augenschein genommen
Knallharter Wettbewerb: Auch außerhalb der City müssen Buchläden um ihre Stammkunden kämpfen – wie hier die Buchhandlung am Bebelplatz
»Die Mitarbeiter wären übernommen worden.« Er schlug das Angebot aus – nicht nur, weil die Ablösesumme seiner Meinung nach zu niedrig war: »Aufzugeben widerstrebt mir grundsätzlich. Ich bin Unternehmer – also unternehme ich etwas.« Brisant für den Vaternahm-Chef ist auch die Tatsache, dass Michael Fecke, der zehn Jahre lang Peters’ Geschäft am Eingang zur Oberen Königsstraße führte, jetzt einige Hundert Meter weiter die neue Thalia-Filiale leitet. Unumwunden gibt Peters zu, »sehr lange geschlafen« zu haben. Doch nun sei »unter den deprimierten Buchhandlungen im Zentrum von Kassel Mitarbei Firma Standort qm Schwerpunkt seit tern der Thalia Obere Königsstraße 30 2 500 Allg. Sortiment, Fachbuch 2007 Kampf Hugendubel Königsplatz 61 (City-Point) 1 300 Allg. Sortiment 2002 geist ge Buch Habel Obere Königsstraße 39 1 000 Allg. Sortiment 1995 schürt«, Buchhandlung der »Ein Vaternahm Obere Königsstraße 7 450 Allg. Sortiment, Presse 1958 kauf auf Vaternahm – mehr der BuchStern Hedwigstraße 10 300 Modernes Antiquariat, Bestseller 2002 Mitbe Buch & Kunst 250 Allg. Sortiment, Kunst, Kalender Lometsch GmbH Kölnische Straße 5 und Postkarten 1882 stim A. Freyschmidt‘s mung Buchhandlung Obere Königsstraße 23 240 RWS, Sprachen 1818 umge Hofbuch- und Kunsthandlung stellt«. Carl Vietor Ständeplatz 17 135 Allg. Sortiment, Schwerpunkt Reise 1837 Er habe hat. Grund: Zweimal schickten neue Tresen einbauen lassen und ihm die Hagener ein Angebot zu die Öffnungszeiten eine halbe – zweimal lehnte er ab. »Ich hät- Stunde nach vorn verlagert. »Das te meinen Laden schließen sollen hat schon einiges gebracht.« Nun und dafür eine Summe X bekom- sollen farbenfrohe Plakate an der men«, erzählt Peters ohne Scheu. grauen Hausfassade dafür sorgen,
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dass die Buchhandlung auch rein äußerlich wieder mehr Gewicht in der City bekommt. Eines der Hauptprobleme wird er jedoch nicht lösen können: Der dreigeschossige Laden gleicht im Inneren einem U-Boot, die Decke im Obergeschoss ist nur zwei Meter hoch.
»Reine Verdrängung« Neue Zeiten auch bei der Fachbuchhandlung A. Freyschmidt’s, dem ältesten Sortiment vor Ort – nach außen dringt momentan aber nur wenig. »Wir haben wahnsinnig zu kämpfen und befinden uns in einer Umstrukturierungsphase«, erklärt Buchhändlerin Sabine Bücker. Was allerdings mit Thalia weniger zu tun habe. »Sollen die drei Großen ruhig gegeneinander antreten«, sagt Bücker und zuckt mit den Schultern. »Uns beschäftigt derzeit eher die Konkurrenz im Internet und dass die Innenstadt so unattraktiv zum Einkaufen ist.« Martin Schubotz, Mitinhaber bei Buch + Kunst Lometsch, blickt »skeptisch« in die Zukunft, wie er offen zugibt. »1995 kam Buch Habel, 2002 Hugendubel. Jedes Mal bedeutete dies Umsatzeinbußen. Wir haben zwar die größte Kalenderausstellung in Nordhessen, ich weiß aber nicht, ob uns das retten kann.«
Fläche contra Tradition: Die neue Thalia-Filiale verbreitet großstädtisches Flair, gegen das sich eingesessene Buchhändler wie Freyschmidt (unten) mit eigenen Konzepten behaupten müssen
Sein Kollege Jochen Weiss von der Kunst- und Hofbuchhandlung Carl Vietor sieht die Situation weniger kritisch. »Thalia tritt anders auf als alle anderen«, setze neue Maßstäbe. Er prophezeit »reine Verdrängung«, hält sich mit Prognosen aber zurück. »Ich kann es nicht ändern, komme aber zurecht.«
Filialisten unter Druck Verdrängung ist in Kassel derzeit eine oft gebrauchte Vokabel. Durch Thalia hat sich die Buchhandelsfläche in der Innenstadt auf einen Schlag nahezu verdoppelt. Buch Habel in der Königsgalerie und Hugendubel im CityPoint treffe die neue Konkurrenz zuerst, sind sich viele sicher – doch gerade die Großen geben sich selbstsicher. »Wir sind in Kassel fest etabliert«, sagt etwa Thomas Nitz von der HugendubelZentrale in München. »An vielen Standorten gibt es ähnliche
Konstellationen. Wir expandieren, warum sollten das die Wettbewerber nicht auch tun?« Hugendubel kam vor fünf Jahren nach Kassel, als einer der Ankermieter im Shoppingcenter City Point am Königsplatz. Die Münchner bezogen insgesamt 1 300 Quadratmeter im zweiten und dritten Obergeschoss – der Laden ist nur per Rolltreppe erreichbar und hat kein Schaufenster nach draußen. Nitz sieht darin einen Nachteil und einen Vorteil zugleich: »Unser Stammpublikum besteht aus typischen Centerkunden«, betont er. Man agiere also auf verschiedenen Marktplätzen und stehe deshalb auch »nicht in direkter Konkurrenz«. Hugendubels DBH-Partner Buch Habel, seit 1995 in der Königsgalerie ansässig, hat vor zwei Jahren von 800 auf 1 000 Quadratmeter erweitert. Seit der Eröffnung des City-Points hätten sich die Kundenströme verändert, meint Filialleiterin Gabriele
Buse. »Das war ein großer Einschnitt, doch wir haben das gut aufgefangen.« Die neue Thalia-Filiale sei kein Grund, sich zu verstecken. »Ich habe mir das Angebot sehr genau angeschaut und musste feststellen, dass auch wir viele Stärken haben«, etwa bei der Regionalia-Auswahl und dem buchaffinen Zusatzsortiment. Dennoch: Thalia wirft Schatten – und das nicht nur auf die Buchhandlungen in unmittelbarer Nähe. Jörg Robbert von der Buchhandlung am Bebelplatz, neun Straßenbahnstationen vom Königsplatz entfernt, ist deshalb bemüht, die Strahlkraft seines Ladens zu erhöhen, beispielsweise mit der Aktion »Alte Liebe rostet nicht«, die seit dem 18. Oktober läuft. »Wir versuchen, keine Umsätze zu verlieren«, so Robbert: »Im Moment sieht es gut aus.« Er bekommt »viel positive Resonanz« von seinen rund 1 000 Stammkunden. Ihnen schickt er Flyer, mit denen er unter anderem über die »aggressive Expansionspolitik großer Konzerne« und die Folgen einer Monokultur im Buchhandel informiert – verbunden mit einem Appell, dem unabhängigen Sortiment die Treue zu halten. Um die Kundenbindung zu fördern, lädt er Käufer künftig dazu ein, ihre Lieblingsbücher auf einem Sondertisch im Laden vorzustellen, er hat eine Bonuskarte eingeführt und organisiert allein bis Anfang Dezember sechs Veranstaltungen. Wer hält durch? Niemand kennt eine Antwort auf die Frage, die sich insgeheim jeder stellt. Zwar wächst der Pessimismus gerade bei vielen inhabergeführten Buchhandlungen, doch spekulieren auch nicht wenige darauf, dass sich ein Filialist eines Tages von Kassel verabschiedet. Großes Buchhandelstheater in der Documenta-Stadt, das gerade erst begonnen hat – und noch ist nicht klar, ob es ein Lust- oder am Ende doch ein Trauerspiel wird. b
Mietpreise Kassel
Laut dem Immobi lienspezialisten Kemper’s sind die Ladenmieten seit 2003 stabil und erreichen in der Spitze bis zu 85 Euro pro Quadrat meter. Damit liegt Kassel im bundes weiten Vergleich auf Platz 33 der teuersten Einzel handelsstandorte. Die, bezogen auf die Stadt, unter durchschnittliche Kaufkraft kann Kassel durch eine hervorragende Anziehungskraft auf das Umland mehr als kompen sieren, so Kemper's. Vor allem in der 1aLage der Oberen Königsstraße stellt Kemper's eine »sehr gute Flächennachfrage« fest. 70 Prozent der dort ansässi gen knapp 60 Läden sind von Filialisten belegt.
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