Individualität als Luxus

February 28, 2018 | Author: Anonymous | Category: N/A
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EXTRA mode

Individualität als Luxus Der Südtiroler Stefan Siegel bringt junge Designermode näher an die Menschen. Damit ist er auf dem besten Weg, die Welt der High Fashion zu revolutionieren.

Foto: Denis Laner

Von London aus die Regeln der Modeindustrie brechen: Stefan Siegel in Shoreditch, Sitz seines Unternehmens „Not Just A Label“

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enschen sieht man an diesem Sonntag kaum auf den Straßen von Shoreditch. Nur ab und zu kreuzt eine Gestalt den Streifzug durch den britischen Nieselregen. Stefan Siegel scheint die wenigen Gesichter, die zwischen den Backsteinmauern des ehemaligen Londoner Industrieviertels auftauchen, alle zu kennen. Johnny Vercoutre etwa, den Vintage-Tea-Room-Besitzer, der mit der Zeitmaschine direkt den 1940ern entsprungen scheint, die Betreiber der vielen Galerien, die Designer, Künstler und Kreativen aller Art, die das Viertel seit ei® © Alle Rechte vorbehalten/Riproduzione riservata – FF-Media Gmbh/Srl

nigen Jahrzehnten zum schöpferischen Zentrum der Metropole gemacht haben. Es ist kein Zufall, dass Stefan Siegel gerade hier lebt. Als der Meraner vor zwei Jahren zusammen mit seinem Bruder Daniel das Unternehmen „Not Just A Label“ (NJAL) gründete, wohnte er noch im Londoner Westen, mitten zwischen Bankiers und Großunternehmern. Ein Umfeld, das zur Geschäftsidee etwa so wenig passen würde, wie eine Almhütte auf die Kanaren. Denn das Konzept von NJAL ist gewagt: Es ist der Versuch, die HighFashion-Industrie in ihren Grundfesten zu revolutionieren.

Die Idee klingt zunächst einfach: Die beiden Südtiroler Brüder bieten jungen aufstrebenden Modedesignern auf ihrer Webseite die Möglichkeit, sich zu präsentieren und ihre Entwürfe zu verkaufen. Da die Plattform den Designern gratis zur Verfügung steht, erhalten sie eine unbürokratische weltweite Vitrine. Retailer und Mode-Scouts begeben sich auf die Suche nach Neuem, und Endverbraucher wiederum können individuelle, exklusive Einzelstücke unkompliziert erstehen. Was simpel und zeitgemäß wirkt, ist ein Affront gegen die etablierte Modeindustrie. Denn Siegels Unternehmen macht No. 33 / 2010

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„Mode muss wieder glaubwürdig werden.“ Stefan Siegel, London

das etablierte, von einigen wenigen Branchengrößen kontrollierte System der Kollektionen und Pre-Collections zumindest teilweise überflüssig – und mit ihm auch das statische Procedere vom Designer über die Verkäufer bis zum Endverbraucher. „Es ist einfach an der Zeit, die Regeln zu brechen“, fasst der ehemalige Investmentbanker zusammen. In einer engen Gasse, inmitten der überdimensionalen aufgelassenen Industriegebäude und Lagerhallen von Shoreditch, versteckt sich der Showroom von Not Just A Label. Kleiderstangen voller Stücke aus den Kollektionen reihen sich 48

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an den Wänden im Erdgeschoss. „Es sieht nicht unbedingt so aus, aber hier befindet sich der Kern von NJAL,“ schmunzelt Stefan Siegel, während er die schmale Treppe in das zweite Stockwerk steigt. Eine kurze Küchenzeile, ein Stehtisch, zwei Hocker, ein Laptop, Kartons und Ordner, mehr gibt es hier nicht. Die glamouröse Welt der High-Fashion-Industrie mag man sich anders vorstellen. Aber NJAL fällt eben aus der Rolle, die beiden Brüder wollen sich nicht an die ungeschriebenen Gesetze einer Industrie halten, die, wie Stefan Siegel kritisiert, noch immer so funktioniert wie vor 50 Jahren.

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Tatsächlich ist es für junge Designer heute schwieriger denn je, den Durchbruch zu schaffen. Mit den rasanten Produktionszeiten der High-Fashion-Industrie, die im Viertel-Jahresrhythmus neue umfangreiche Kollektionen präsentiert, können sie nicht mithalten. Während etablierte Labels die Kollektionen im Wochentakt reproduzieren können, stecken hinter einem einzigen Kleidungsstück eines Jungdesigners unzählige Stunden und Wochen voller minutiöser Handarbeit. Kleidungsstücke aus High-StreetGeschäften wie „H&M“, „Top-Shop“ oder „Zara“ werden im Schnitt nicht öfter als vier Mal getragen, sagen Studien. Damit relativiere sich auch der höhere Preis für Designer-Mode, meint Siegel: „Natürlich kosten diese Stücke mehr. Dafür sind sie qualitativ hochwertig, individuell und können lange getragen werden.“ ® © Alle Rechte vorbehalten/Riproduzione riservata – FF-Media Gmbh/Srl

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Später am Nachmittag, im dritten Stock des „Shoreditch House“, erzählt Stefan Siegel auch von den anfänglichen Schwierigkeiten des ambitionierten Vorhabens. In den mehrstöckigen Block mit Rund-um-Blick über London, mit beheiztem Pool, Bars, Restaurants, Lounges und einem eigenem Spa-Center werden nur Mitglieder eingelassen. Das Haus ist Treffpunkt einer kreativen Szene, Rückzugsort derjenigen, die sich in den oft brotlosen Londoner Kunstmilieus etablieren konnten; aber auch bekannte Gesichter und Stars ziehen hierher zurück. Ob Vogue, Elle oder New York Times; ob in Europa, Japan, Australien oder Südamerika: NJAL hat es in kürzester Zeit geschafft, weltweit wahrgenommen zu werden. „Dazu haben die Kooperationen mit den Celebrities natürlich stark beigetragen“, zeigt sich Siegel der Werbewirksamkeit von Stars und großen Namen bewusst. Supermodel Lara Stone, die „It-Girls“ Pixie Geldof und Paris Hilton oder Pop-Ikone Lady Gaga kuratieren als „Host“ einzelne NJAL-Kollektion; andere Promis wie Rihanna, Whitney ® © Alle Rechte vorbehalten/Riproduzione riservata – FF-Media Gmbh/Srl

Houston oder Katie Holmes unterstützen das Unternehmen als „supporting celebrities“. Sich auf den Erfolgen auszuruhen kommt für Stefan Siegel dennoch nicht in Frage. Ständig neue Ideen und innovative Aktionen sorgen dafür, dass die internationale Modepresse das Interesse nicht verliert. Vor wenigen Wochen wurde die erste von NJAL selbst produzierte Kollektion gelauncht: T-Shirts von Jungdesignern aus Biobaumwolle. Mode, Ökologie und soziale Verantwortung unter einen Hut zu bringen, darauf legt Siegel großen Wert. Und auch die Kunden, so ist der Wahl-Londoner überzeugt, wissen

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das zu schätzen: „Entschleunigung, authentisches Design, nachhaltige Produktion und eine breitere Unterstützung für Jungdesigner sind Zukunftsthemen, nicht nur in Paris, London oder Mailand.“ Überhaupt will Stefan Siegel der Mode ihre Glaubwürdigkeit zurückgeben. Individualismus, so sein Credo, ist der neue Luxus. Hat er mit „Not Just A Label“ den Durchbruch bereits geschafft? Den Durchbruch wohl noch nicht, meint er nach einer Weile. „Ich habe aber schon das Gefühl, dass wir in der Modeindustrie Q bereits etwas verändert haben.“ Judith Innerhofer

Die Meraner Brüder Daniel und Stefan Siegel, Eberhard Grosse-Strangmann und der Gargazoner Simon Mittelberger sind die Köpfe hinter dem Londoner Unternehmen. Im Herbst 2007 gegründet, präsentieren mittlerweile über 3000 ausgewählte Nachwuchsdesigner avantgardistische Mode auf der Online-Plattform, die sich zu einer globalen Drehscheibe der High-Fashion entwickelt.

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1 Vom vierten Stock des Shoreditch-House blickt Stefan Siegel über „sein“ London 2 „It-Girl“ Pixie Geldof ist nur einer der viele Stars, die als „host“ individuelle NJAL-Kollektionen kuratieren 3 Die erste von NJAL selbst produzierte Kollektion ist seit wenigen Wochen erhältlich: Designer-T-Shirts aus biologischer Baumwolle 4 Die Auswahlkriterien sind streng, um als Nachwuchsdesigner in die NJAL-Liste aufgenommen zu werden. Jiwon Jahng hat es mit ihrer Kollektion geschafft 5 Das Berliner Label von Bardonitz bei Not Just A Label

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