In der Provinz werden Ärzte knapp

March 26, 2018 | Author: Anonymous | Category: N/A
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Lockruf vom Land

In der Provinz werden Ärzte knapp Von Rainer Woratschka

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ahr für Jahr steigt die Zahl der in Deutschland praktizierenden Ärzte. Im vergangenen Jahr erreichte sie mit einem Zuwachs um weitere 1,5 Prozent die Rekordmarke von 319.697. Gleichzeitig klagen Kommunen auf dem Land über leer stehende Arztpraxen, Krankenhäuser über nicht mehr zu besetzende Planstellen und Patienten über immer längere Wartezeiten. Es hört sich paradox an: Ärztemangel in einem Meer von Medizinern? Wie ist das überhaupt möglich und was hilft dagegen?

Der Hinweis, dass sich mit lautem Alarmgeschrei über fehlende Ärzte trefflich Standespolitik machen und Honorarforderungen durchsetzen lassen, ist zwar richtig, hilft aber nicht weiter. Die Klagen über Medizinermangel kommen schließlich nicht nur aus dem Lager der Lobbyisten. Und sie gründen auf nachprüfbarer Statistik. Rund 4.000 Stellen in deutschen Kliniken können derzeit wegen Bewerbermangels nicht besetzt werden. Gleichzeitig werden die praktizierenden Mediziner immer älter. Bis 2017 gehen 76.000 in den Ruhestand. Laut Ärztekammer rücken aber nicht genug Jüngere nach. Von den jährlich etwa 7.000 Hochschulabgängern entscheide sich etwa ein Fünftel gegen den Arztberuf. Dabei schreckt kaum einen das Gespenst der Arbeitslosigkeit. Eher ist es die Aussicht auf beruflichen Druck, finanzielles Risiko und hohe Arbeitsbelastung. Junge Ärzte zieht es nicht aufs Land Allerdings, wer Ärztemangel beklagt, sollte schon genauer hinsehen. In Berlin, Hamburg oder auch dem eher städtisch geprägten Hessen fehlt es keineswegs an Medizinern. In der Hauptstadt etwa treten sie sich geradezu auf die Füße und lassen sich auch von dem immer kleiner werdenden Honorarkuchen nicht in ländliche Gebiete, wie die nahe gelegene Uckermark, vertreiben. Es handle sich „ganz klar um ein Stadt-Land-Problem“, räumt die Kassenärztliche Bundesvereinigung ein. Die angehenden Doktores wollen nicht in strukturschwache Gegenden. Denn dort gibt es vieles nicht,

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was große Städte zu bieten haben: Kultur und kurze Wege, Akademiker-Freunde, einen qualifizierten Job für den Partner, die Uni für den Nachwuchs. Und eine stattliche Zahl von privat Versicherten. Lücken nicht nur im Osten Entsprechend ist auch nicht, wie vielfach dargestellt, bloß der Osten das Problem. Auch im ländlichen Niedersachsen oder in Westfalen-Lippe fehlen Mediziner, selbst in Bayern gibt es Lücken. Von knapp 5.000 Hausarztsitzen in Niedersachsen etwa sind nach aktuellen Zahlen inzwischen 467 verwaist. Vor zwei Jahren waren es noch 195. Das ist eine ähnliche Quote wie im ebenfalls heftig betroffenen Sachsen-Anhalt, das auf 138 unbesetzte Hausarztbezirke kommt. Das Durchschnittsalter praktizierender Ärzte liegt dort schon jetzt bei knapp 53 Jahren. 14,5 Prozent von ihnen sind bereits 65 oder älter. Manche hören nicht auf, weil sie ihre Patienten nicht unversorgt lassen wollen – andere schlicht, weil sie ihre Praxis an keinen Nachfolger verkauft bekommen. Die Mediziner, das räumen auch deren Verbände ein, sind höchst ungleich verteilt in Deutschland. Das ist kein Wunder, sondern auch eine Folge der Verödung vieler Landstriche. Mit den fehlenden Ärzten sinkt deren Attraktivität weiter, die Unerschrockenen und Standhaften müssen mehr arbeiten, länger fahren und auch privat mit dem Leben in halb ausgestorbenen Dörfern zurechtkommen. Verordnen lässt sich die Landarzt-Existenz

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niemandem. Denn Dirigismus, wie etwa bei den Lehrern, ist schwierig in freien Berufen. Zahl der Praxisbesuche steigt Offenbar brauchen die Deutschen aber auch besonders viele Ärzte. Zwar sind sie, statistisch gesehen, nicht öfter krank als die Menschen anderer Länder. Nirgendwo auf der Welt ist jedoch die Zahl der Arzt-Patienten-Kontakte so hoch wie hierzulande. Daran hat auch die Praxisgebühr, die bei den Patienten fast einen kleinen Volksaufstand hervorrief und der Gesundheitsministerin Morddrohungen einbrachte, nichts geändert. Im Schnitt saß 2007 jeder Bundesbürger knapp 18 Mal im Wartezimmer – Kliniken und Zahnarztpraxen noch gar nicht eingerechnet. Macht für die niedergelassenen Mediziner 1,48 Milliarden Patientenkontakte – und 5,2 Millionen Arztbesuche pro Werktag. Das ist deutlich mehr als früher. In nur drei Jahren stieg die Zahl der Praxisbesuche um zehn Prozent. Die Deutschen leiden demnach auch unter fehlenden Ärzten, weil sie besonders viele benötigen. Ist es also nur das hohe Anspruchsdenken gut zahlender Krankenversicherter? Womöglich befinden wir uns ja auch in einem circulus vitiosus. Weil so viele kommen, werden sie nur flüchtig behandelt. Weil sie flüchtig behandelt werden, kommen sie häufiger. Eine wichtige Rolle für den hohen Bedarf spielt natürlich die demografische Entwicklung. Viele alte Menschen suchen schon allein, weil sie einsam sind, verstärkt den Kontakt zu Ärzten. Alte Menschen sind aber auch häufiger krank – und sie leiden an schwieriger zu behandelnden Krankheiten, oft an mehreren gleichzeitig. Viele Patienten benötigten die aufwändige Behandlung von

Krankheiten, die sie früher gar nicht erlebt hätten, sagt Bundesärztekammer-Vize Frank Ulrich Montgomery. Auch die „Expansion des Möglichen“ in der Medizin – vormals unbekannte Eingriffe, Untersuchungen und Therapiemethoden – verschlinge immer mehr Personal. Junge Ärzte wollen mehr Freizeit und Familienleben Außerdem ist für eine wachsende Zahl von Medizinern der Beruf nicht mehr alles. Sie sehen nicht ein, in der Woche 60 bis 70 Stunden zu arbeiten, suchen sich Kompagnons für die Praxis oder sogar Teilzeitstellen. Besonders Frauen haben den Anspruch, auch noch für ihre Familien da zu sein – und sie stellen inzwischen einen immer größeren Anteil der Mediziner. Seit 1991 stieg er von 33,6 auf 41,5 Prozent. Mehr Freizeit und Familienleben haben zu wollen, bedeutet aber auch: Dort sein zu wollen, wo es familienfreundliche Strukturen und gute Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung gibt. Kommunen, die hieran nicht arbeiteten, bräuchten sich über Medizinermangel nicht zu wundern, meint der Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen, Detlev Haffke. Lösungsansätze Haffke hat Erfahrung mit dem Anwerben von Medizinern. Es gebe ja kaum etwas, was sie nicht schon versucht hätten, in Niedersachsen und anderswo. Niederlassungsberatung, Praxisbörsen, Anzeigenkampagnen im Ärzteblatt, Weiterbildungsförderung, Umsatzgarantien, die Überlassung günstiger Praxisräume. Als nächstes kommt nun das Pilotprojekt „Moni“. Die Abkürzung für „Modell Niedersachsen“ ist in etwa das, was in Nordrhein-Westfalen als „Eva“ (entlastende Versorgungsassis-

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tentin) oder im Osten als „Schwester Agnes“ firmiert: Arzthelferinnen übernehmen in unterversorgten Gebieten für ihren Arzt Hausbesuche, Impfungen oder die Betreuung chronisch Kranker. In Ostdeutschland sind die mobilen Praxisassistentinnen über den Modellversuch längst hinaus und bereits Bestandteil der Regelversorgung. Hilfe holen sich ostdeutsche Kommunen oft auch aus dem Ausland. Besonders beliebt: Ärzte aus Österreich, wo es eigenartigerweise keinen Medizinermangel zu geben scheint. Nach Expertenmeinung müsste das Fach Allgemeinmedizin beim Studium an deutschen Universitäten eine viel stärkere Rolle spielen. Und statt Interessenten mit rigorosem Numerus Clausus abzuschrecken, könnten Studienplätze auch nach regionalen Aspekten vergeben werden. Wer sich verpflichtet, später in einer unterversorgten Region zu praktizieren, könnte zudem ein Stipendium erhalten oder von Studiengebühren befreit werden. Finanzielle Anreize allein locken niemanden Ideen gibt es viele, das ist auch ein Ausdruck von Hilflosigkeit. Allein auf finanzielle Anreize zu setzen, bringe jedenfalls wenig, weiß Haffke. Weit wichtiger sei es, jungen Ärzten Perspektiven zu eröffnen und ihnen auch etwas in Aussicht zu stellen, was neudeutsch mit „Life-WorkBalance“ umschrieben wird. Hier allerdings stoßen die Lockangebote spätestens an ihre Grenze. So einladend sich manche ländliche Kommune den Medizinern aus Ballungsgebieten präsentieren möchte – die Garantie für einen entspannten Job kann sie kaum übernehmen. Rainer Woratschka ist Redakteur im Parlamentsbüro des Berliner Tagesspiegel

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Hausärzte auf dem Land

„Wir leisten Sozialarbeit“ Von Friederike Geisler

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iele Sonderschichten, Hausbesuche nach Dienstschluss, das Leben auf dem Land und ein möglicherweise attraktiverer Job in der Klinik: Das sind die Hauptgründe, warum viele Praxen in ländlichen Regionen Schwierigkeiten haben, einen Nachfolger zu finden. Der Allgemeinmediziner Dr. Gernot Hoffheinz aus dem niedersächsischen Uelzen muss sich darüber keine Sorgen machen – im kommenden Jahr wird ein Kollege seine Praxis übernehmen. Auch Maren Fritzsche aus Sachsen plant, sich nach ihrem Studium in einer unterdurchschnittlich versorgten Region niederzulassen. Im Gegenzug wird sie dafür unter anderem von der Kassenärztlichen Vereinigung während ihres Studiums unterstützt. Der Poststapel liegt schon bereit auf dem Wohnzimmertisch – gleich neben der Lesebrille und der aktuellen Fernsehzeitung. Irmgard Hövermann ist vorbereitet auf den Besuch vom „Doktor“. Neben der Blutdruckmessung und der allgemeinen Kontrolle des Gesundheitszustandes, gehört es hin und wieder auch zu den „Aufgaben“ des Allgemeinmediziners Daniel Hagelstein, seinen Patienten mit Formularen und Anträgen zu helfen. Wenn noch etwas Zeit bleibt, kommen beim Hausbesuch auch Themen wie die Reise der Schwiegertochter oder die anstehende Geburtstagsfeier auf den Tisch. „Ich versuche mir immer etwas Zeit zu nehmen für die Hausbesuche. Gerade die älteren Patienten freuen sich, wenn jemand kommt und sie nicht einfach nur abfertigt“, sagt Hagelstein. Demnächst wird er

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„On the road again“: Als Landarzt tingelt Daniel Hagelstein durch die Dörfer im Kreis Uelzen.

die „Landarztpraxis“ von Dr. Gernot Hoffheinz in Uelzen übernehmen. Mit seinen 35 Jahren zieht Hagelstein den Altersdurchschnitt der Hausärzte auf dem Land und auch in der Region Uelzen deutlich herunter. Klinik versus Praxis Nach dem Studium war für ihn – entgegen dem Trend – die Arbeit in einer Klinik nicht so reizvoll wie die Niederlassung als Allgemeinmediziner in einer ländlichen Region: „Gerade mit Familie ist man als Arzt in der Praxis besser aufgehoben als im Krankenhaus. Zwar muss man auch schon mal die eine oder andere Sonderschicht einlegen, aber man hat weniger Wochenendund Nachtdienste.“ Auch die Hausbesuche stellen für Daniel Hagelstein keine große Belastung dar. „Jetzt, da wir in der Praxis noch zu zweit sind, können wir viele Hausbesuche machen. Allein wird es schon etwas schwieriger. Die Patienten sind

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jedoch sehr dankbar, dass wir sie zu Hause aufsuchen. Viele hätten ja gar keine Möglichkeit, in die Praxis zu kommen.“ Zum Jahreswechsel wird Hagelstein dann die Praxis von seinem Kollegen übernehmen. In vielen anderen Uelzener Praxen sieht das anders aus. „Auch diese Region wird vom Ärztemangel nicht verschont bleiben, zurzeit sieht es noch einigermaßen gut aus, aber lange wird es nicht mehr dauern, bis die Versorgung in der einen oder anderen Region gefährdet ist.“ Warum es so wenige Jungmediziner in eine ländliche Hausarztpraxis zieht, kann sich der Uelzener denken. „Was wir hier leisten ist auch ein Stück weit Sozialarbeit. Hinzu kommt, dass das Fach Allgemeinmedizin im Studium lange nicht so intensiv behandelt wurde wie andere Fachrichtungen. Es wurde den Studenten auch nicht schmackhaft gemacht.“

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Prämie für Niederlassung Besonders vom drohenden Ärztemangel betroffen sind die neuen Bundesländer. So sind in Sachsen mittlerweile mehr als ein Viertel der Allgemeinmediziner über 60 Jahre alt. In absehbarer Zeit werden sie sich zur Ruhe setzen – doch wer will ihre Arbeit fortführen? Viele Praxen in ländlichen Regionen haben Probleme, einen Nachfolger zu finden. Deshalb startete das Land Sachsen eine Initiative, um Medizinstudenten die Niederlassung in dieser Region schmackhaft zu machen. Ins Leben gerufen wurde das Programm „Studienbeihilfe“ von Krankenkassen, der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Sachsen und dem Sächsischen Staatsministerium für Soziales zum 1. Oktober 2008. Teilnehmen können Medizinstudenten aus ganz Deutschland ab dem dritten Studienjahr. Sie erhalten während ihres Studiums eine finanzielle Unterstützung von 300 Euro pro Monat im ersten Jahr, die sich auf bis zu

600 Euro erhöht. Begrenzt ist die Förderung auf maximal 48 Monate. Im Gegenzug verpflichten sich die so Geförderten, im Anschluss an ihr Studium vier Jahre in einer unterdurchschnittlich versorgten Region Sachsens als Hausarzt zu arbeiten. Schon während des Studiums erhalten die angehenden Mediziner Einblick in die Arbeit eines Landarztes, in dem sie erste Erfahrungen in einer sogenannten Patenpraxis sammeln. „Wenn man gegen eine ambulante medizinische Unterversorgung in ländlichen Gebieten vorgehen will, muss man eine langfristige Lösung finden, deshalb setzt das Programm schon bei den Studenten an“, sagt Dr. Ingo Mohn von der KV Sachsen. „Der Patient wird nicht als ‚Organ‘ angesehen“ 50 Studierende werden maximal in das Förderprogramm aufgenommen. 18 Studenten haben inzwischen den Vertrag bei der KV unterschrieben. Eine von

Was die Bundesländer gegen den Ärztemangel tun Nicht nur in Sachsen, auch in anderen Bundesländern, wird überlegt, wie man die medizinische Versorgung auf dem Land sichern könnte. So plant zum Beispiel die KV Niedersachsen eine Studienförderung für Medizinstudenten, die sich nach ihrer Ausbildung in einer unterversorgten Region niederlassen wollen. In Nordrhein-Westfalen will man gegen den Hausärztemangel mit Hilfe des Zulassungsverfahrens beim Medizinstudium angehen. Mit einem 1,5 Millionen teuren Maßnahmenpaket zur Förderung von Niederlassungen in schlecht versorgten ländlichen Gebieten, will die Landesregierung mehr Medizinstudenten von der Arbeit als Landarzt überzeugen. Das Zulassungsverfahren soll so geändert werden, dass auch Abiturienten mit weniger guten Noten eine Chance auf einen Studienplatz haben. Auf diese Weise könnte neben der Abiturnote auch berücksichtigt werden, ob der Bewerber plant, sich nach dem Studium als Hausarzt niederzulassen. Mithilfe einer Stiftung will Thüringen gegen die Mangelversorgung angehen. Dort unterzeichneten Gesundheitsministerium und Kassenärztliche Vereinigung einen Vertrag über 170.000 Euro. Das Geld soll unter anderem für Absolventen-Stipendien verwendet werden. Studenten, die die Unterstützung erhalten, sollen sich im Gegenzug dazu verpflichten, für einen bestimmten Zeitraum in Thüringen als Allgemeinmediziner zu arbeiten.

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ihnen ist Maren Fritzsche. Die 25-Jährige studiert im zehnten Semester an der TU Dresden. Für sie war nicht nur der finanzielle Vorteil ausschlaggebend, als sie sich um die Studienförderung beworben hat. „Ich habe schon während meines Praktikums im Krankenhaus gemerkt, dass diese Arbeit mir nicht unbedingt zusagt“, berichtet die Medizinstudentin. „Der Umgang mit den Patienten in der Klinik ist oft sehr unpersönlich. In der Hausarztpraxis hingegen herrscht eine ganz andere Atmosphäre: Der Kontakt zu den Patienten ist viel intensiver, man erhält ein umfassenderes Bild von den Menschen. Hier spielen besonders die Hausbesuche eine große Rolle.“ Doch viele ihrer Kollegen befürchten einen hohen Arbeitsaufwand in einer ländlichen Praxis, da das Einzugsgebiet meist sehr weitläufig ist. Außerdem kann man als Mediziner an anderer Stelle oft mehr Geld verdienen. Maren Fritzsche bringen solche Aussichten jedoch nicht von ihrem Wunsch ab, sich auf dem Land niederzulassen. „Ich sehe an den Ärzten in meiner Patenpraxis, dass man mit einer positiven Einstellung das Tagespensum bewältigen kann. Außerdem kann man im Krankenhaus auch einen stressigen Arbeitsalltag haben.“ Die Entscheidung für die Allgemeinmedizin, fiel der angehenden Ärztin nicht schwer. „Man hat so einen Blick auf die gesamte Person und sieht den Patienten nicht bloß als ein bestimmtes Organ. Bei der Allgemeinmedizin kommt es darauf an, sich einen Überblick zu verschaffen, um den Patienten eventuell weiter verweisen zu können.“ Details zur Studienförderung: www.kvs-sachsen.de Friederike Geisler ist Mitarbeiterin der Stabsstelle Unternehmenskommunikation beim MDK Niedersachsen E-Mail: [email protected]

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„Die Rollenverteilung zwischen den Berufen muss neu diskutiert werden!“ Interview mit Prof. Dr. Norbert Schmacke, Universität Bremen Sie für die drohende Versorgungslücke vor allem in strukturschwachen Regionen, die vielerorts schon Realität ist?

Prof. Dr. Norbert Schmacke leitet die Arbeits- und Koordinierungsstelle Gesundheitsversorgungsforschung der Universität Bremen

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MDK-Forum: Hinter dem Schlagwort vom Ärztemangel verbirgt sich ja die Annahme, dass die Dichte der Versorgung mit Ärzten und Krankenhäusern ein unmittelbarer Gradmesser für die Qualität der Versorgung sei. Teilen Sie diese Auffassung?

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Prof. Norbert Schmacke: Auf den ersten Blick wirkt das plausibel, weil die Erreichbarkeit von Arztpraxen und Krankenhäusern natürlich wichtig ist. Es gibt aber keine guten Untersuchungen in Deutschland zu der Frage „kritischer“ Entfernungen. Die Bedarfsplanung im vertragsärztlichen Bereich ist überwiegend historisch gewachsen. Dann werden die bestehenden Planungszahlen fortgeschrieben, und zum Teil resultiert daraus dann eine Zunahme der Überversorgung in schon gut versorgten Gebieten, während man an die wirklichen Versorgungsprobleme nicht herankommt.

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MDK-Forum: Hier Ärztemangel – dort demografischer Wandel: Welche Lösung sehen

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! Prof. Norbert Schmacke: Es geht sicher zum einen darum, junge Mediziner und Medizinerinnen zu motivieren, sich für die hausärztliche Tätigkeit zu interessieren. Und zum anderen ist es nötig, die Rollenverteilung zwischen den Fachberufen neu zu diskutieren. Und hierfür brauchen wir über das AGNeS-Modell hinausgehende gut evaluierte Versuche vor allem zur Rolle der ambulanten Pflege. Drittens ist die Regelung der Notarztdienste wichtig. Und weiter lässt sich durch den Einsatz von Telemedizin auch deutlich mehr erreichen als heute. Man muss aber m. E. auch sehen, dass es nicht gelingen wird, die medizinische Versorgung in strukturschwachen Regionen isoliert auf ein wie immer definiertes optimales Niveau anzuheben, wenn sich die wirtschaftliche und soziale Gesamtsituation nicht bessert. Es geht also schon um Grundfragen von sozialer Ungleichheit, die jetzt vielleicht erstmals breiter diskutiert werden. ? MDK-Forum: Apropos Telemedizin: Welche Rolle spielt sie in Zukunft für neue Formen der Zusammenarbeit? ! Prof. Norbert Schmacke: Kommende Generationen werden sich wundern, wie zögerlich wir – vor allem unter dem Vorwand des Datenschutzes – heute mit elektronischen Informationsmedien umgehen. Aber es gibt sicher auch hier noch Entwicklungsbedarf, wenn ich z.B. an das Wissensmanagement der

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Gesundheitsfachberufe denke: Es ist klar, dass hier sowohl in Richtung Evidenzbasierung wie Erwachsenenpädagogik noch viel zu tun ist. Die Debatte um die Gesundheitskarte etwa auf dem Deutschen Ärztetag ist trotzdem ein trauriges Spiegelbild des Diskussionsniveaus. Wir verlieren hier unnötig Zeit; und der „gläserne Patient“ wird eindeutig als Abwehr-Figur missbraucht. Datenschutzprobleme muss und kann man lösen; und es sage keiner, in der Ära der papierenen Dokumentation habe es keine Probleme hiermit gegeben.

? MDK-Forum: Entstehen vielleicht auch neue Berufsfelder zwischen heutiger Ärzteschaft und den klassischen Pflegeberufen? !

Prof. Norbert Schmacke: Das halte ich für sehr wahscheinlich und denke dabei vor allem an das Case Management und an die Beratung chronisch Kranker. Wir müssten die Diskussion ja eigentlich ganz anders aufzäumen, nämlich von der Frage ausgehend: welche Bedürfnisse haben Patienten und Patientinnen? Und dann Überlegungen anschließen, welche Kompetenzen gefragt sind, um darauf angemessen reagieren zu können. Insofern glaube ich, dass sich sowohl der Arztberuf wie der Pflegeberuf weiterentwickeln werden und „dazwischen“ auch neue Berufsbilder entstehen können. Ich finde z.B., dass wir weit davon entfernt sind, eine Antwort auf die Frage zu haben, wer multimorbide alte Menschen und ihre Angehörigen angesichts der Polypragmasie und des Riesen„angebots“ von Behandlungsangeboten

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seriös beraten kann. Die herkömmliche Arztpraxis oder die AGNeS-Pflegekraft kann das sicher nicht leisten. Insofern ist es besonders wichtig, die Forschung zum Chronic Care Modell zu verbreitern und zu vertiefen. Sonst bleibt es beim Reden vom demografischen Wandel.

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MDK-Forum: Was muss geschehen, um zuverlässige Rahmenbedingungen für eine stärkere Autonomisierung von nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen zu schaffen?

! Prof. Norbert Schmacke: Ich sehe zwei Hauptrichtungen: zunächst gilt es, rechtliche Sicherheit zu schaffen, wo heute bereits nicht-ärztliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter quasiärztliche Aufgaben ausüben und nicht ausreichend geschätzt sind. Und dann brauchen wir ein gestuftes Forschungs- und Entwicklungsprogramm, das uns aus vielen Spekulationen heraushelfen muss, wie weit welche Berufsgruppe sinnvollerweise ärztliche Aufgaben übernehmen kann und soll. Auf der einen Seite sehe ich große Ängste in der Ärzteschaft, dass dem Arztberuf Kernkompetenzen streitig gemacht werden könnten.Auf der anderen Seite sehe ich eine übergroße Erwartung in der Politik, Versorgungsprobleme kurzfristig durch Verlagerung von Zuständigkeiten lösen zu können. Bei der Pflege kann es aber z.B. nicht darum gehen, dass sie den kostengünstigen

Libero für vakante Arztstellen spielt und im übrigen die Professionalisierung ihrer eigenen Kernaufgaben auf der Strecke bleibt. Die Diskussion hat gerade erst begonnen, siehe auch das ausführliche Gutachten des Sachverständigenrats.

? MDK-Forum: Ist eine Akademisierung der Pflege und anderer Gesundheitsberufe notwendig? !

Prof. Norbert Schmacke: Keine Frage! Die internationale Forschung zeigt unisono auf, dass ein Mitbestimmen auf gleicher Augenhöhe nur funktioniert, wenn der Status stimmt. Das klingt platt, ist aber so. Die Ärzte sollten nicht so ängstlich sein, was diese Trends anbelangt. Ihr Ansehen sehe ich überhaupt nicht gefährdet. Das wird aber ein weiter Weg werden, weil wir gerade in Deutschland mit seiner überdurchschnittlich hohen Arztdichte und einer verfestigten Delegationskultur noch gar nicht die Fantasie freisetzen können, um uns unvoreingenommen mit diesen Fragen auseinanderzusetzen.

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MDK-Forum: In manchen Regionen ist die medizinischpflegerische Versorgung heute bereits stark ausgedünnt. Wie kann das Interesse an einer Tätigkeit in diesen Regionen geweckt bzw. gestärkt werden?

! Prof. Norbert Schmacke: Es gibt leider keine Patentrezepte. Aber die Privilegierung von

Literaturtipps Norbert Schmacke, Ärztemangel: Viele Fragen werden noch nicht diskutiert. In: G+G Wissenschaft 3/2006 (Juli), 6. Jg., S. 18-25 Heidi Niehus, Bettina Berger, Maren Stamer, Norbert Schmacke, Die Sicherung der hausärztlichen Versorgung in der Perspektive des ärztlichen Nachwuchses und niedergelassener Hausärztinnen und Hausärzte. Abschlussbericht 2008 http://www.akg.uni-bremen.de/pages/arbeitspapiere.php?SPRACHE=de

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Bewerbern aus strukturschwachen Regionen und frühzeitiger Praxisbezug ebenso wie verlässliches Mentoring während der Aus- und Weiterbildung sind bewährte Ansätze. Dann muss die Gesamtstruktur der Weiterbildung in der Allgemeinmedizin endlich modernisiert werden. Am schwierigsten ist aber vermutlich die Erhöhung der Wertschätzung für die nicht-spezialistische Medizin. Es ist bewundernswert, wie sich die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin in den letzten zehn Jahren aufgemacht hat, den verloren gegangenen Anschluss an die internationale Diskussion wieder herzustellen. Bei den medizinischen Fakultäten sehe ich aber – mit rühmlichen Ausnahmen – noch keine große Entschlossenheit, der Allgemeinmedizin zu der notwendigen Aufmerksamkeit zu verhelfen. Und last but not least geht es um eine neue Vereinbarkeit von beruflichen und privaten Interessen. Das Thema ist ganz offenbar auch in der nachwachsenden Medizinergeneration angekommen.

? MDK-Forum: Manche Landesregierungen versuchen, durch besondere Förderprogramme Studierende für die Provinz zu interessieren. Wie beurteilen Sie diese politischen Aktivitäten? ! Prof. Norbert Schmacke: Ich finde es gut, dass überhaupt etwas passiert und dass die Politik sich engagiert. Es wäre wünschenswert, wenn sich Wissenschaftler, KVen, Ärztekammern, Kassen und Politiker mehr miteinander darüber unterhalten würden, wie aus den Einzelaktivitäten ein gut begründetes und nach Möglichkeit auch evaluierbares Programm werden könnte. Man sollte auch noch einmal genau überlegen, ob die heute getätigten Investitionen in die Förderung der Allgemeinmedizin effizient eingesetzt werden. Die Fragen stellte Christiane Grote

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Krankenschwestern und Arzthelferinnen mit Zusatzqualifikation

„Schwester Gundi“ auf Hausbesuch Von Friederike Geisler

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ie heißen AGnES, VERAH, MoPra oder auch HELVER – Schwestern oder Arzthelferinnen mit Zusatzausbildung gibt es mittlerweile in allen möglichen Ausprägungen. Wie die „Gemeindeschwester“ in der ehemaligen DDR übernehmen sie im Auftrag des Arztes medizinische und betreuende Aufgaben, meist im Rahmen von Hausbesuchen bei älteren oder chronisch kranken Patienten. Dabei werden die Fachkräfte schon längst nicht mehr nur in den neuen Bundesländern, sondern auch zunehmend im Westen eingesetzt. Der Ärztemangel kann damit zwar nicht beseitigt werden, jedoch sind die speziell ausgebildeten Fachkräfte bei Ärzten und Patienten sehr beliebt und in vielen Regionen bereits unverzichtbar geworden.

In ihrem kleinen roten Fiat braust Friedegund Ohlendorf an der Elbe entlang. Vorbei an grasenden Kühen und nach Dünger müffelnden Feldern geht es zum nächsten Patienten. Friedegund Ohlendorf alias „Schwester Gundi“ ist schon lange keine gewöhnliche Krankenschwester mehr. Nach zahlreichen Zusatzausbildungen, wie zum Beispiel des Studiums der Pflegepädagogik, hat sie, zusammen mit der Allgemeinärztin Christiane Klünder aus Neuhaus an der Oste und der AOK, das Pilotprojekt „Betreuungsschwester“ in Niedersachsen initiiert. Angelehnt an das „AGnES“-Konzept der Universität Greifswald entlastet Friedegund Ohlendorf die Ärzte der Region, indem sie selbst Hausbesuche übernimmt. Dabei gehen ihre Aufgaben weit über Blutdruckmessen und Blutentnahme hinaus. „Ich habe den großen Vorteil, dass ich mir bei den Besuchen Zeit nehmen und die Patienten auch psychosozial betreuen kann. Besonders bei Älteren ist das wichtig, da viele mit ihren Beschwerden gar nicht zum Arzt gehen oder keine Hilfe in Anspruch nehmen.“ Enge Zusammenarbeit ist wichtig

Im Gegensatz zum Hausarzt kann sich Friedegund Ohlendorf (li.) Zeit nehmen, um ihre Patienten besser kennen zu lernen.

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„Schwester Gundi“ spricht auch mit den Angehörigen über die Betreuung der Patienten, koordiniert Arztbesuche und kontrolliert, ob der Patient medizinisch und pflegerisch ausreichend betreut ist. Die klassische Pflege ist jedoch weiterhin Aufgabe der Pflegedienste. Damit die Fachkraft überhaupt tätig sein kann, ist

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eine enge Zusammenarbeit und Absprache mit dem jeweiligen Hausarzt von großer Bedeutung. Christiane Klünder ist mit der Arbeit der Betreuungsschwester sehr zufrieden. „Durch ihre Hausbesuche können wir die Patienten auch in den eigenen vier Wänden optimal betreuen. So konnten wir zum Beispiel vor kurzem einen Patienten zwei Wochen früher aus dem Krankenhaus holen. Zu Hause bei seiner Frau ist er viel schneller genesen.“ „Schwester AGnES“ aus Greifswald Vorbild des niedersächsischen Pilotprojektes ist das seit vier Jahren bestehende Modellprojekt AGnES (Arztentlastende, Gemeindenahe, E-Health-gestützte, Systemische Intervention). Das Projekt wurde 2005 vom Institut für Community Medicine der Universität Greifswald entwickelt und seither wissenschaftlich begleitet. Inspiriert von der Kultfigur der „Gemeindeschwester Agnes“ aus den DDR-Filmen geht es bei deren moderner Weiterentwicklung aber um eine speziell qualifizierte Mitarbeiterin, die beim Arzt angestellt ist und im Auftrag des Arztes beispielsweise Hausbesuche macht. Insgesamt sieben Praxisprojekte wurden zwischen 2005 und 2008 in den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt durchgeführt. Um die Qualität der AGnESFachkraft sicherzustellen, hat die Uni Greifswald ein umfassendes Ausbildungs-Konzept entwickelt. Ursprünglich beinhaltete das Curriculum 622

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Theorie- sowie 200 Praxis-Stunden, in denen sich die Pflegekraft oder Arzthelferin unter anderem in den Bereichen Medizin, Pathologie, Medikation und Telemedizin fortbildet. Mittlerweile beträgt die Qualifizierung nur noch maximal 270 Stunden. Ohne Zusatzqualifikation und eine umfassende Überwachung durch den Hausarzt darf die „AGnES“ nicht tätig werden, da sie sich die meiste Zeit außerhalb der Praxis auf Hausbesuchen befindet. In den meisten Fällen findet die Kontrolle durch Übergabegespräche mit den Ärzten statt. In kritischen Fällen verständigt die Fachkraft den zuständigen Arzt spontan per Handy oder Videokonferenz. Eine juristische Prüfung gab grünes Licht für AGnES. „Mit dem Modell AGnES ist der Hausarzt auch haftungsrechtlich auf der sicheren Seite“, sagt Prof. Wolfgang von der Universität Greifswalde. Wissenschaftliche Evaluation Um die Effizienz der Fachkräfte zu messen, begleitet das Institut für Community Medicine der Uni Greifswald die Arbeit der Teilnehmerinnen. Im Zeitraum von 2005 bis 2008 machten die insgesamt 38 AGnES-Fachkräfte (32 Pflegefachkräfte und 6 Arzthelferinnen) etwa 9.000 Hausbesuche bei über 1.400 Patienten. Über 90 Prozent der Patienten sind nicht oder nur eingeschränkt mobil und nicht in der Lage eine Hausarztpraxis zu besuchen. In der Hälfte der Fälle geht es zum Beispiel darum, den Blutdruck, Blutzucker oder Puls der Patienten zu messen oder ein EKG durchzuführen. Ein weiterer Teil der Einsätze besteht darin, den körperlichen und psychischen Gesundheitszustand der Patienten zu beurteilen. Diagnostische und therapeutische Entscheidungen sowie die häusliche Grund- und Behandlungspflege gehören nicht zu den Aufgaben der AGnES-Fachkräfte.

Die wissenschaftliche Analyse belegte den Erfolg der Modellprojekte. Zudem stellten die Wissenschaftler eine hohe Zufriedenheit der Hausärzte und Patienten fest. „Natürlich kann eine ‚AGnES‘ den Hausarzt nicht ersetzen, aber ohne sie würden einige Hausbesuche ganz wegfallen“, sagt Prof. Hoffmann. Aufgrund des Erfolgs setzt er sich dafür ein, diese neue Versorgungsform in der Regelversorgung abzusichern. „HELVERinnen“ im Norden Auch die Ärztekammer Schleswig-Holstein (wie auch weitere Ärztekammern in Deutschland) will gegen den zunehmenden Ärztemangel auf dem Land angehen und bietet eine Zusatzqualifikation für Arzthelferinnen an. Unter dem Titel „HELVER – ArztHELferinnen in der ambulanten VERsorgung“ unterstützen die Bundesärztekammer (BÄK) und das Gesundheitsministerium in Schleswig Holstein die erste Ausbildungsrunde für bisher 47 Teilnehmerinnen. Die Absolventinnen sollen anschließend die Ärzte in ihren Praxen entlasten, indem sie Hausbesuche – insbesondere bei älteren und chronisch kranken Patienten – vornehmen. „Während der Fortbildung haben wir festgestellt, dass die Teilnehmerinnen auch vorher schon Hausbesuche übernommen haben. Oft ging die Initiative sogar vorrangig von den Arzthelferinnen aus“, berichtet Dr. Cordelia Andreßen, Hauptgeschäftsführerin der Ärztekammer SchleswigHolstein. Evaluiert wird das Projekt vom Wissenschaftlichen Institut der Ärzte Deutschlands (WIAD) mit Förderung der BÄK. Bei der Evaluation soll unter anderem die Effizienz und die Zufriedenheit der Patienten sowie der Ärzte und Arzthelferinnen ermittelt werden. Um an der 84 Stunden umfassenden Fortbildung teilnehmen zu können, muss die Praxisassistentin schon

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mindestens drei Jahre im Beruf sein. Themen der Seminare sind „Patientenbegleitung und Koordination“ und „Ambulante Versorgung älterer Menschen“. Bei den Hausbesuchen übernehmen die „HELVERinnen“ unter anderem die Medi-kamentenkontrolle, die Durchführung einfacher RoutineDiagnostikmaßnahmen, soziale Beratungen oder die Brückenfunktion zur häuslichen Krankenpflege. VERAH: Bundesweite Fortbildung Ähnlich wie AGnES und HELVER bietet auch das Institut für hausärztliche Fortbildung im Deutschen Hausärzteverband (IhF) eine Fortbildung für Praxismitarbeiterinnen an. Die „Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis“, kurz VERAH ist eine 200 Stunden umfassende Zusatzqualifikation. Die Teilnehmerinnen werden unter anderem auf den Gebieten des Case-, Präventions-, Gesundheits-, Praxis- und WundManagements fortgebildet. „Das Curriculum wurde von Hausärzten und Arzthelferinnen entwickelt und ist deshalb für die Praxis besonders geeignet“, erklärt Dipl.-Päd. Jana Gorge vom IhF. Zwar sind die VERAHs nicht speziell in unterversorgten Gebieten eingesetzt, jedoch bieten auch sie eine Entlastung der Ärzte, indem sie, vorrangig bei chronisch kranken oder multimorbiden Patienten, Hausbesuche vornehmen. Bis Ende September werden insgesamt 424 abgeschlossene VERAHs in Hausarztpraxen in ganz Deutschland tätig sein. Bei den Kosten für die Fortbildung springen in einigen Fällen die Bundesländer ein. Friederike Geisler ist Mitarbeiterin der Stabsstelle Unternehmenskommunikation beim MDK Niedersachsen E-Mail: [email protected]

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„Die Tätigkeit als Landarzt muss im Studium erlebbar werden!“ Interview mit Patrick Weinmann, dem Vorsitzenden des Sprecherrats der Medizinstudenten im Marburger Bund ? MDK-Forum: Herr Weinmann, nach Zahlen der Bundesärztekammer entscheidet sich etwa ein Fünftel der Medizinabsolventen für eine nicht-kurative Tätigkeit. Wie ist die Stimmung unter den Studierenden? ! Patrick Weinmann: Die Stimmung unter den Studierenden ist sehr gut. Die Kommilitonen beginnen ihr Studium motiviert und mit sehr viel Idealismus. Beides hält über viele Semester an. Im Studienverlauf, vor allem im „Praktischen Jahr“, gibt es allerdings einen sehr deutlichen Knick. Viele machen die Erfahrung, dass sie von Universitätskliniken und akademischen Lehrkrankenhäusern in praktischen Ausbildungsphasen als billige Arbeitskräfte für Routinetätigkeiten ausgenutzt werden. Zudem wird in dieser Studienphase deutlich, dass sich der Arztberuf in den vergangenen Jahren vom Patientenbett an den Schreibtisch verlagert hat. Der Dokumentationsaufwand ist einfach schlichter Wahnsinn. Diese Umstände frustrieren und führen maßgeblich dazu, dass sich ca. 20 Prozent für eine nicht-kurative Tätigkeit entscheiden. Ein nicht unerheblicher Teil tritt die Flucht ins Ausland an. ? MDK-Forum: Was hält junge Ärztinnen und Ärzte ab, sich in strukturschwachen Regionen niederzulassen? ! Patrick Weinmann: Im Studium wird über zwölf Semester lang universitäre Hochleistungsmedizin gelernt. Die findet in der Regel nicht auf dem Land statt, sondern in Ballungsgebieten. MDK-Forum 3/2009

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Wer mehr als sechs Jahre in einer Universitätsstadt mit großen kulturellen und sozialen Angeboten gelebt hat, dem sind die Reize des ländlichen Lebens fremd geworden. Bei den heutigen Qualitätsstandards spricht überhaupt nichts dagegen, Teile der Ausbildung an Kliniken in ländlichen Regionen stattfinden zu lassen. Wegen wegfallender Fördermittel haben die Universitäten daran aber kein Interesse. Vordergründig wir immer mit der Einheit von Forschung und Lehre argumentiert. Ein Spitzenforscher ist allerdings noch lange kein guter Lehrer sowie ein guter Lehrer kein Spitzenforscher sein muss. Im Kern geht es vor allem ums Geld.

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MDK-Forum: In Sachsen gibt es für Medizinstudierende, die sich für eine hausärztliche Tätigkeit in ländlichen Regionen interessieren, ein spezielles Förderprogramm. Sind solche Instrumente geeignet, mehr Mediziner in die Provinz zu bringen?

! Patrick Weinmann: Im Studienverlauf, in dem das Förderprogramm finanziell interessant für die Kommilitonen ist, kann der persönliche und berufliche Lebensweg nur schwer geplant werden. Aus der finanziellen Bedürftigkeit heraus werden Kommilitonen da in eine Abhängigkeit getrieben, die sie nur bedingt planen können. Ich fände Programme besser, welche die Attraktivität der landärztlichen Tätigkeit so klar herausstellen, dass Kommilitonen sich aus voller Überzeugung später freiwillig dazu entscheiden. Dazu muss

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Patrick Weinmann

diese Tätigkeit im Studium erlebbar gemacht werden und mit positiven Eindrücken verknüpft sein.

? MDK-Forum: Was muss sich ändern, damit sich wieder mehr Medizinabsolventen in ländlichen Regionen niederlassen? ! Patrick Weinmann: Es muss die Einbeziehung ländlicher Kliniken und Praxen in die ärztliche Ausbildung forciert werden. Förderprogramme für die vorlesungsfreie Zeit wären sinnvoll wie beispielsweise geförderte Landarztfamulaturen und Summerschools. Eine transparente und flexible Facharztweiterbildung zum Allgemeinmediziner ohne finanzielle Einbußen während der zweijährigen Weiterbildung im niedergelassenen Bereich wären wünschenswert sowie eine Unterstützung und Beratung bei der Praxisgründung. Nicht zuletzt sollte Bürokratie abgebaut und die Aufmerksamkeit wieder den Patienten gehören. Die Fragen stellte Christiane Grote

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