hier klicken - Stolpersteine in Elmshorn

March 13, 2018 | Author: Anonymous | Category: N/A
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erinnern gegen das vergessen die zeit macht herz und augen blind

erinnern gegen das vergessen auf dass wir immer wachsam sind

erinnern gegen das vergessen die steine geben keine ruh

erinnern gegen das vergessen auch unsere stadt sagt ja dazu

anna haentjens

Seite

Inhaltsverzeichnis

erinnern

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Inhaltsverzeichnis

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Grußwort der Stadt Elmshorn Grußwort der IG Metall Rudi Arendt: Aktionskunst schafft Verbindungen

5 6 8

“Stolpersteine in Elmshorn - Gegen das Vergessen”

auschwitz

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Harald Kirschninck: Wo sind sie geblieben?

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Wohin die Elmshorner Juden von den Nationalsozialisten verschleppt wurden

Opfer: Albert Hirsch

22

Opfer: Karl und John Löwenstein sowie Selma Levi geb. Löwenstein

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Opfer: John Hasenberg

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Opfer: Georg Rosenberg

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Opfer: Hans-Daniel Stoppelmann, Adele-Elsa Stoppelmann

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schlaflos

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Dr. Jürgen Brüggemann: Antifaschistischer Widerstand und Arbeiterbewegung

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Opfer: Reinhold Jürgensen

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Opfer: Richard Jürgensen

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Opfer: Heinrich Kastning

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Opfer: Max Maack

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von nichts gewusst

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“Euthanasie” - der Mord an Behinderten und Kranken

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Opfer: Heinrich Sibbert

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terezin

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Jehovas Zeugen in Schleswig-Holstein

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Opfer: Max Andreas Hahn

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wo man bücher verbrennt

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Zwangsarbeiter - Sklaven für die Kriegswirtschaft

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Opfer: Stanislaus Pade

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steine

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Interview mit Gunter Demnig

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Idee, Vorgeschichte und Entwicklung eines Kunstprojektes

Pressespiegel Literaturliste Impressum

81 96 99

Grußwort der Stadt Elmshorn Am 15. April 2008 verlegt der Künstler Gunter Demnig zum zweiten Mal Stolpersteine zur Erinnerung an Elmshorner Bürgerinnen und Bürger, die während der Zeit des Nationalsozialismus gewaltsam zu Tode kamen. Ich bin immer noch beeindruckt von der Verlegung der ersten Steine dieser Art in Elmshorn am 14. August 2007. Mit der Verlegung der Steine dort, wo die Verstorbenen ihren letzten freiwillig gewählten Aufenthalt hatten, wird deutlich, dass die Grausamkeit des faschistischen Regimes auch hier vor Ort allgegenwärtig war. Die Verbrechen geschahen nicht irgendwo weit weg, sie begannen hier vor unserer Haustür. Und hier vor unserer Haustür wäre auch Gelegenheit gewesen, sie sich bewusst zu machen. Hier hätte der Widerstand beginnen müssen, hätte Hilfe für die Opfer geleistet werden können und müssen. Wenn es uns gelingt, diesen Bezug zu unserem Leben und Handeln herzustellen, dann werden wir in Gegenwart und Zukunft aufmerksamer sein. Wenn wir begreifen, dass Verbrechen eines Staates auch etwas mit uns, mit unserer Haltung zu tun haben, können wir unsere eigene Verantwortung erkennen und entsprechend handeln. -5-

Besonders beeindruckend an der Verlegung der Stolpersteine im Jahr 2007 aber war für mich, wie viele Angehörige der Opfer bei der Verlegung anwesend waren. Wie viel sie noch erinnern oder aus Erzählungen wissen von dem Leid, das die Verbrechen der Nazis über ihre Familien brachten. Wie viel Trauer immer noch gegenwärtig ist über Menschen, die völlig unschuldig mitten aus dem Kreis der Familie, der Freunde gerissen wurden und gequält und getötet wurden. Alle, die bei der Verlegung dabei waren, erkannten damit die Menschen, die die Opfer vor ihrer Verhaftung gewesen waren, eben nicht nur Opfer, sondern Väter, Freunde, Brüder, Onkel. Die Arbeit der Arbeitsgemeinschaft Stolpersteine hat zu einem verstärkten Interesse an den Schicksalen der Menschen aus Elmshorn, die Opfer des Nationalsozialismus wurden, geführt. Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, Familienforscher und Geschäftsleute machen sich gemeinsam auf den Weg in das schrecklichste Kapitel unserer Geschichte. Das ist eine besondere Qualität in unserer Stadt, auf die wir, so denke ich, stolz sein können. Ich bin sicher, dass wir es den Opfern schuldig sind, dass sie nicht vergessen werden. Wir sind es den Opfern und den Überlebenden aber auch schuldig, dafür Sorge zu tragen, dass solche Verbrechen sich nicht wiederholen. Ein Teil unserer Verantwortung für die Zukunft wird sichtbar gerade in der Aktion Stolpersteine. Ich danke allen, die geforscht haben, allen, die die Patenschaften für die Steine übernommen haben und besonders der Arbeitsgemeinschaft Stolpersteine für die geleistete Arbeit für unsere Stadt. Dr. Brigitte Fronzek Bürgermeisterin

Grußwort der IG Metall Erinnerung ist ein umkämpftes Terrain. Mit ihr wird Politik gemacht. Überall auf der Welt. Auch in Elmshorn. Mit der Aktion “Stolpersteine” - die aktiv von den Gewerkschaften des DGB und insbesondere meiner Gewerkschaft, der IG Metall, gemeinsam mit vielen anderen unterstützt wird – wollen wir konkret über die Kapitel und Personen stolpern, die Opfer des verbrecherischen Regimes des nationalsozialistischen Terrors waren – nicht irgendwo, sondern gerade hier in Elmshorn. Wir treten sie nicht im Straßenschmutz mit Füßen, sondern heben sie hervor, verharren in Erinnerung an die Verbrechen und werden gewarnt vor denen, die in der Mitte unserer Gesellschaft Faschismus und rassistische Ausgrenzung wieder gesellschaftsfähig machen und mit einer Doppelstrategie in Bezug auf die “soziale Frage” und militanten Terror würdige Nachfolger der nationalsozialistischen Verbrecher sind.

Peter Hasenberg (KPD) und Heinrich Hauschildt (SPD), als Beispiele für die vielen Namenlosen, die gegen das faschistische Regime Widerstand leisteten und eben nicht schwiegen, wie viele. Wir stolpern in Elmshorn auch über einen einmaligen Vorgang auf dem Gebiet der Westzonen, der Selbstbefreiung der Stadt Elmshorn durch den antifaschistischen Gewerkschaftsausschuss und den antifaschistischen Ordnungsdienst, die die Krückaustadt vor dem Einrücken der alliierten Truppen zur befreiten Gemeinde erklärten. Wir stolpern über diese antifaschistische Bewegung, die ausnahmslos aus Mitgliedern der alten Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung bestand – die diese Initiative zur Selbstbefreiung unternahm, als die Machtverhältnisse noch nicht im Sinne der demokratischen Erneuerung geklärt waren. Damit macht Erinnern Mut, auch in auswegloser Situation mit allen Mitteln dem faschistischen Terror nationalsozialistischer Verbrecher zu widerstehen. Mut für die Zukunft.

In Elmshorn stolpern wir nicht nur über die ermordeten jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die von den Nazis in der Shoa umgebracht wurden, und über diejenigen aus den Kreisen der politischen Parteien, insbesondere aus der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung. Wir stolpern und erinnern uns auch an diejenigen, die aktiven Widerstand leisteten, erwähnt seien hier nur

Mit der Aktion Stolpersteine führen wir die Aktivitäten gegen Rechts gemeinsam weiter gegen Neonazis und NPD- Aufmärsche, Morddrohungen gegen Gewerkschafter und gewählte Bürgermeisterinnen. Vor allem aber setzen wir aktives Erinnern und “Stolpern” gegen Vergessen und Verharmlosung in breiten Teilen unserer Gesellschaft. Niemand ist einfach verschwun-

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Aber wir mahnen nicht nur zum Erinnern und zum Selbstzweck. Mitten in unserer Gesellschaft bilden sich wieder neonationalsozialistische Banden, Gruppen und Parteien, die unter dem Deckmantel der sozialen Frage wieder für Rassismus, Antisemitismus, Vernichtung der Gewerkschaften eintreten.

den, niemand einfach ausgewandert, sondern es war systematischer faschistischer Terror, ein ausgeklügeltes deutsches Vernichtungssystem. Wenn wir uns daran nicht mehr erinnern, bereiten wir wieder den Weg für Abschaffung der Demokratie, der Gewerkschafts- und Menschenrechte, der Freiheit und der Toleranz für alle. Wir legen die “Stolpersteine” als aktives Erinnern. An die Selbstbefreiung Elmshorns vom Faschismus, an die, die ermordet und vernichtet wurden, aber auch an die, die Widerstand geleistet haben. Machen wir Historisches nachvollziehbar in der Mitte der Gesellschaft. Mitten unter uns. Weil von dort auch der praktische Widerstand, die Bewegung für „Nie wieder Faschismus” kommen muss. Gestern wie heute gilt: Keine Toleranz für Neonazis – Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen – durch solidarisches Miteinander gegen rassistische Ausgrenzung. Dazu wollen wir mit der Aktion “Stolpersteine” auch in Elmshorn beitragen helfen. Uwe Zabel 1. Bevollmächtigter und Geschäftsführer IG Metall Verwaltungsstelle Unterelbe/Elmshorn

Autor Uwe Zabel (50) ist von Beruf Feinmechaniker und Volljurist, und er ist ehrenamtlicher Richter am Bundesarbeitsgericht. Er war von Angriffen und Morddrohungen militanter Neonazis betroffen und war einer der Mitinitiatoren und Aktivisten der ersten Stunde des breiten Elmshorner Bündnisses gegen Rechts.

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„Ein sich ausbreitendes Kunstwerk von unten im öffentlichen Raum, das ohne die Initiative von Menschen nicht wachsen und geschützt werden kann.“ (Gunter Demnig)

Aktionskunst „Stolpersteine in Elmshorn – Gegen das Vergessen“ schafft Verbindungen Mit dem 15. April 2008 legt der Kölner Künstler Gunter Demnig zum zweiten Mal in Elmshorn Spuren. Wir sind damit Teil dieser - ja - europäischen „Kunstaktion Stolpersteine“ gegen das Vergessen der Opfer des Faschismus. Anläufe, sich an diesem Kunstwerk zu beteiligen, gab es in der Vergangenheit schon durch den Antifaschistischen Trägerkreis mit einem Schreiben an die Schulen sowie durch praktische Überlegungen im Kulturausschuss. Der Durchbruch kam dann während der Eröffnung der Ausstellung des Stadtarchivs am 27. Januar 2006 über den Offenborn-Prozess – der Prozess, bei dem Ende 1934 220 Männer und Frauen aus dem politischen Widerstand von den Nazis verhaftet und insgesamt zu 702 Jahren Zuchthaus und Gefängnis verurteilt wurden. Bert C. Biehl, Redakteur der Elmshorner Nachrichten, machte in einem Gespräch Mut mit dem Vorschlag, über einen erneuten Anlauf zu berichten und die Aktion zu begleiten. Wir konnten somit im September 2006 zur Bildung einer Arbeitsgemeinschaft Stolpersteine für Elmshorn in die Räume des Deutschen Gewerkschaftsbundes einladen -8-

und uns auf eine Begleitung durch die örtliche Zeitung stützen. Unser Kreis war und ist ein überparteilicher, konfessions- und organisationsübergreifender öffentlicher Arbeitszusammenhang. Mit der Teilnahme von Bürgermeisterin Dr. Brigitte Fronzek war von Anfang an auch die notwendige Zusammenarbeit mit der Verwaltung bei der Umsetzung der Aktion Stolpersteine gewährleistet. Durch mehrere regionalgeschichtliche Arbeiten wie das Buch „Die Freiheit lebt“ von Fritz Bringmann und Herbert Diercks sowie die Beiträge zur Elmshorner Geschichte – und hier insbesondere durch die Bände zur Geschichte der jüdischen Gemeinde von Harald Kirschninck – gab es einen Überblick über Namen von Opfern des Faschismus in Elmshorn. Dieser war aber nicht umfassend und schon gar nicht erschöpfend. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Stadtarchivs und des Industriemuseums waren Ansprechpartner und beteiligten sich an der Recherche. Wir stellten im Laufe der Vorbereitungen fest, dass es für Elmshorn fast keine Aufarbeitung der Verbrechen der sogenannten „Euthanasie“ – ein gezieltes Mordprogramm der Nazis an den Behinderten – gibt. Eine Veranstaltung mit dem Hamburger Historiker Dr. Harald Jenner kam zu dem Ergebnis, dass es Hinweise auf vier Opfer aus dieser Stadt im Bundesarchiv in Berlin gibt. Eine dafür eingerichtete Arbeitsgruppe fand dann in Eigenrecherche erste konkrete Angaben. Die Arbeitsgemeinschaft konnte sich auch auf private Untersuchungen stützen, wie die Vereinschronik des AC Einigkeit von Jens Gatzenmeier, die Ahnenforschung von Jürgen Wohlenberg und die Recherchen von Jörn Puttkammer, Vertreter der NS-Opfergruppe der Zeugen Jehovas. Christel Patzak lieferte durch ihre Arbeit im Industriemuseum und in der Frauengeschichtswerkstatt notwendige Informationen. Die Menschen, an die wir erinnern, gehörten sehr ver-

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schiedenen gesellschaftlichen Kreisen an, die das NSRegime zu vernichten suchte. Die Rassen- und Vernichtungsideologie der Nazis traf in Elmshorn Gewerkschafter wie Heinrich Kastning, Kommunisten und antifaschistische Widerstandskämpfer wie Reinhold und Richard Jürgensen, genauso wie den Arbeitersportler Max Maack. Sie vernichtete Mitglieder der jüdischen Gemeinde wie John Hasenberg, Albert Hirsch und Mitglieder der Familie Löwenstein, namentlich Karl und John, sowie Selma Levi (geb. Löwenstein), genauso wie Georg Rosenberg und Hans Daniel Stoppelmann. Den Verbrechen der Nazis an Behinderten fiel u. a. Heinrich Sibbert in Elmshorn zum Opfer. Stanislaus Pade, ein polnischer Staatsbürger, zur Zwangsarbeit hierher verschleppt, wurde in jungen Jahren von den Schergen der braunen Machthaber erhängt. Unter den Opfern war auch Max Andreas Hahn, Mitglied der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas. Die Opfer waren Arbeiter, Handwerker, Händler und Fabrikbesitzer. Hier wurde die Ideologie der „Volksgemeinschaft“ Realität, die von den Nazis gezogene Schneise der Vernichtung zog sich quer durch die sozialen Schichten. Das Schicksal der bisher geehrten Opfer wurde in einer Serie in den Elmshorner Nachrichten dokumentiert. Diese schuf eine gute Grundlage für die weitergehende Dokumentation der Biografien, wie sie mit diesem Buch nun vorliegt. Nach der ersten Verlegung von sieben Stolpersteinen am 14. August 2007 wuchs das Interesse an der Mitarbeit und Unterstützung. „Ein sich ausbreitendes Kunstwerk von unten im öffentlichen Raum, das ohne die Initiative von Menschen nicht wachsen und geschützt werden kann“, wie es der Künstler selber kennzeichnet, schafft durch die Übernahme von Patenschaften für die Stolpersteine Verbindungen. Patenschaften nehmen in Elmshorn ganz unterschiedliche Einwohnerinnen und

Einwohner wahr: Verbände wie die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten, kirchliche und öffentliche Einrichtungen wie die jüdische Gemeinde und die evangelisch-freikirchliche Gemeinde, Privatpersonen, Parteien wie der SPD-Ortsverein, die WGE/DIE GRÜNEN und die DKP Elmshorn, Arbeitskreise wie die Frauengeschichtswerkstatt am Industriemuseum, Schulen und Schulklassen mit ihren Lehrerinnen und Lehrern. Gerade die Beteiligung von Schülerinnen und Schülern der Kooperativen Gesamtschule, der Elsa-BrändströmSchule und der Bismarck-Schule führt zu einer weiteren Verankerung dieser Aktion im gesellschaftlichen Leben. Sie suchen nicht nur in den Archiven und im Internet, sondern gestalten zusammen mit der Chansonsängerin Anna Haentjens die kulturelle Umrahmung der zweiten Verlegung. Wir hoffen, diese Herausforderung wird auch von weiteren Elmshorner Schulen angenommen. Ist doch selbst für viele heutige Eltern der Terror im „Dritten Reich“ nur ein weiteres weit entferntes und zu lernendes Ereignis aus den Geschichtsbüchern. Aber vielleicht ist es ja gerade dies, was dieses Kunstwerk herausfordert: „Der Tote packt den Lebenden“, um es mit dem französischen Sozialphilosophen Pierre Bourdieu zu sagen, „objektivierte Geschichte wird nur dann geschichtliche Aktion, aktive Geschichte, wenn sie von Akteuren aufgenommen wird, deren eigene Geschichte sie dafür empfänglich macht, und die aufgrund früherer Investitionen bereit sind, sich überhaupt für ihr Funktionieren zu interessieren“. Elmshorn hat sicher durch seine Geschichte – als Industrie- und Handelsort, mit seiner starken Arbeiterbewegung und einer existierenden jüdischen Gemeinde – mehr Opfer des Faschismus zu beklagen als andere Orte im Kreis Pinneberg. Geschichte wird aber auch hier nur aktive und lebendige Geschichte, wenn sich die nachfolgenden Generationen für ihr

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Funktionieren interessieren. Viktor Andersen, Sozialdemokrat aus Uetersen und späterer Stadtjugendpfleger, an den heute noch die Namensgebung der Bildungsstätte des Kreisjugendringes in Barmstedt erinnert, konnte noch als Zeitzeuge vor 13 Jahren erzählen, wie drastisch die Verhörmethoden im KZ Hamburg-Fuhlsbüttel waren. Es war die Stätte, an der Reinhold Jürgensen als erstes Elmshorner Opfer der Naziherrschaft ermordet wurde. Viktor Andersen berichtete aber auch, wie man sich unter den Haftbedingungen zu schützen versuchte. In Fuhlsbüttel entfernten einige Häftlinge, darunter auch er, Deckel der Lüftungen, und mit Bindfäden wurden Nachrichten von Stockwerk zu Stockwerk rauf- und runtergelassen. Über Mittelsmänner und Essenholer wurde durchgegeben, wer am nächsten Tag verhört werden sollte und was ausgesagt worden war. Warum das hier erwähnt wird, hat folgenden Grund: Hier wird deutlich, dass Verständigung – sicherlich unter den Bedingungen der Verfolgung – möglich war. „Verständigungsorientiertes kommunikatives Handeln“ lässt den Mitmenschen eben nicht außer Acht. Es ist mit dem sogenannten „strategisch kommunikativ erfolgsorientierten Handeln“ (gemeint sind hier Handlungen, die den privaten Vorteil zum Motiv erheben und durch die die offenen und verborgenen Mechanismen von Macht gesellschaftlich durchgreifen) unvereinbar. Folgt man dem Philosophen Jürgen Habermas in dieser Begrifflichkeit, so fördert die Aktion Stolpersteine verständigungsorientiertes kommunikatives Handeln und schafft Verbindungen. Verbindungen von Menschen, die die Opferperspektive einnehmen. Aktionskunst, um noch einmal Pierre Bourdieu im Gespräch mit dem Künstler Hans Haacke zu bemühen: Aktionskunst provoziert aber auch das Gespräch, regt das Publikum zur Teilnahme an, setzt eine Kette von Diskursen in Gang, in deren Verlauf die kritische Vernunft zu Wort kommt. Nach der Kontroverse im

Kulturausschuss im Vorfeld der ersten Verlegung wurde im Ergebnis festgestellt, dass alle hier im Kollegium vertretenen Parteien die Aktion Stolpersteine unterstützen. In einem kunstkritischen Beitrag zu „Kunst in Bewegung“ heißt es sinngemäß: Nicht nur die Kunst ist zunehmend in Bewegung geraten, sondern auch der Künstler. Seit dem Actionpainting eines Jackson Pollock kommt dem Herstellungsprozess ein ähnlicher Stellenwert zu. Die Steinverlegung selbst ist ein bewegender Moment, der an eine Beerdigung erinnert: Menschen stehen im Gedenken um eine Ausschachtung herum. Der Stein mit dem Namen wird eingelassen und eingeebnet. Es ist für viele, die mit der Aktion Stolpersteine gewürdigt werden, oft nicht einmal eine zweite Beerdigung. Für sie blieb bisher nur das kollektive Gedächtnis der Geschichte. Nicht zuletzt ist auch der Betrachter in der Aktionskunst selbst aktiviert worden. An die Stelle einer passiven Haltung ist die reale Bewegung getreten, zu deren Erfahrung eine explorative Dauer gehört. Bei der Aktion Stolpersteine sind die bisher Beteiligten vor Ort daher „Teil des Kunstwerkes“, ohne „deren Initiative“ dasselbe „nicht wachsen und geschützt werden kann“. Sie werden anschließend – und in diesem Sinne für die Zukunft nicht abschließend – genannt. Denn weitere Teilnahme ist ausdrücklich erwünscht und herausgefordert. Rudi Arendt, im April 2008

Dr. Brigitte Fronzek, Rudi Arendt, Bert C. Biehl, Peter N. Kruse, Anna Haentjens, Gisela Hansen, Dieter Hansen, Angelika Busse, Jens Gatzenmeier, Jörn Puttkammer, Alisa Fuhlbrügge, Günter Wilke, Marianne Wilke, Dirk Maier, Günter Strauer, Kai Lohse, Heinz Stehr, Dr.Jürgen Brüggemann, Wittigo Stubbe, Alfred Rasmussen, Bärbel Böhnke, Bärbel Rickert, Christiane Wehrmann, Almut Friedrich, Kati Götz, Christa Seger, Käthe Hartung, Hans-Jürgen Nestmann, Uwe Zabel, Karen Buchholz, Christel Patzak, Dieter Patzak, Renate Blask, Harald Kirschninck, Karsten Wessels, Michael Voß, Ralf Schwittay, Almut Siebel, Uwe Köpcke, Mark Seeland, Thorben Walter, Anna Zier, Birgit Hillebrand, C.M. Born, Dr. Andreas Breitkreuz, Cornelia Cords, Christel Welsch, Brigitte Zewuhn, Kirsten Wolff-Grahl, Peter Hölzel, Maren Josephi, Michael Noch, Karin Vietheer, Stefan Peetz, Luis Repsold, Dietmar Kastning, Jürgen Wohlenberg, Hans-Joachim Wohlenberg, Götz Springorum, Helmut Welk, Julia Störzel, Ulrich Lenk, Sonja Stein, Christel Storm, Jörg Storm, Ursula Röhl-Sinhart, Albert Röhl, Marlene Menzel, Camilla Ferrez, Joke Paulsen, Franziska Mohr, Lena Schöllermann, Josephine Nitschmann, Lennart Brieger, Lisa Arendt, Uwe Dahlke, Pia Heyne, Kerry Howard, Maximilian Jermies, Kevin Klüver, Maria Koch, Martin Krempa, Patrick Meißner, Jana Mohr, Franziska Ortlinghaus, Milord Said, Tanja Schumann, Jessica Vokuhl, Janine Walter, Isabel Werner, Doris Hannig-Wolfsohn, Hanna Brehling, Marius De Marchi, Gesa Derda, Dennis Elfendahl, Nils-Hendrik Hauschildt, Malte Hein, Laura Heißwolf, Beke Jansen, Vanessa Kruse, Jan Kurzweg, Lasse Melcher, Inka Möller, Christoph Otto, Christoph Paasch, Yannik Quast, Mailin Rose, Anton Schopf, Tim Stöhrmann, Sergej Wilhelm, Marijim Arabo, Jannike Becker, Niklas Boos, Mirko Hahn, Kim Huckfeldt, Matthias Jochimsen, Chris Jordan, Dilara Mayer, Niko Michalowski, Jana Miosga, Michelle Niewiadomski, Marvin Nowack, Simon Poetzsch, Frederike Preissner, Frederic Schattauer, Vanessa Schattauer, Frederik Schmidt, Katharina Schröder, Lasse Steinberg, Julia Till, Katrin Topko, Freia Westphalen, Anna Zatzkowski. Besonderer Dank an: Stadt Elmshorn, Sparkasse Elmshorn, Thomaskirchengemeinde, ElsaBrändström-Schule, Bismarckschule, Kooperative Gesamtschule Elmshorn, Elmshorner Nachrichten, Stadtarchiv Elmshorn, Industriemuseum, IG Metall, DGB, VVN/BdA Kreis Pinneberg, Dr. Herbert Diercks (Gedenkstätte Neuengamme), Stephan Link, (Arbeitskreis zur Erforschung des Nationalsozialismus in SchleswigHolstein - AKENS), Erich Koch (Schleswig), Renate Lembke (Korrektorin) sowie alle Tageszeitungen, Wochenblätter und andere Medien, die über die Aktion Stolpersteine für Elmshorn berichtet haben.

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auschwitz und in dieser großen qual schweigen alle liebeslieder und sie kehren nicht mehr wieder asche regnet auf das land brot aus asche stein die träne sterne unter jedem tritt zieht der tod als schatten mit steigt dem leben in die kehle hoffnungslose zeitenwende schreie klirren in den wind schreie niemals so sie sind schreie ohne zeit und ende.

anna haentjens

geschrieben nach dem Besuch des Staatlichen Museums in Auschwitz

Wo sind sie geblieben? Wohin die Elmshorner Juden von den Nationalsozialisten verschleppt wurden Von Harald Kirschninck Anders als bisher bekannt, sind von den Juden, die in Elmshorn geboren sind, zeitweise oder auch ständig lebten, nicht 21, sondern fast doppelt so viele, nämlich mindestens 39 Personen deportiert worden. Hiervon verschleppten die Nationalsozialisten nach:

Fuhlsbüttel:

1

Auschwitz:

6

Bergen-Belsen:

1

Trawniki:

1

Lodz (Litzmannstadt):

2

Minsk:

8

Riga:

3

Theresienstadt:

12 Juden.

Fünf Deportationsziele sind unbekannt. Von den Verschleppten hat keiner die Deportation überlebt, bis auf John Hasenberg. Er überlebte das KZ Bergen-Belsen, wurde befreit und starb im Zug auf der Fahrt in die Schweiz an den Folgen der Misshand-lungen und an Entkräftung. Wie sahen diese Lager und Vernichtungsstätten aus, wo lagen sie und wie sind sie entstanden?

Trawniki Elmshorner Opfer: Hermann Blumenfeldt, geb. am 30.3.1872 in Elmshorn, deportiert 28.3.1942, gestorben 1942. Das Dorf Trawniki liegt etwa 40 km östlich von Lublin. Auf dem Gelände einer alten Zuckerfabrik errichteten die Nationalsozialisten im Herbst 1941 ein Zwangsarbeitslager, dem ein SS-Ausbildungslager für angehende Wachmannschaften für die Lager und die Deportationen von Juden angeschlossen wurde. Diese aus Letten, Esten, Litauern und Ukrainern bestehenden Freiwilligen nannte die SS und die örtliche Bevölkerung auch „Trawnikis“ oder „Hiwis“ (Hilfswillige). Seit Oktober 1941 unterstand das Lager dem SS-Sturmbannführer Karl Streibel. (http://www.deathcamps.org/occupation/trawniki_de.html) Im Frühjahr 1942 wurden Juden aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei nach Trawniki deportiert, unter ihnen der Elmshorner Hermann Blumenfeldt. Viele von ihnen starben an Hunger und Krankheiten, die Überlebenden wurden in das Vernichtungslager Belzec gebracht oder in der Umgebung erschossen. - 14 -

Nach dem Aufstand in Sobibor am 14. Oktober 1943 befahl Heinrich Himmler, alle Arbeitslager im Distrikt Lublin zu liquidieren. Die nun folgende Vernichtung wurde „Aktion Erntefest“ genannt. Am 3. November 1943 liquidierte die SS das Lager Trawniki. 10.000 Juden wurden aus dem Lager getrieben und in vorher ausgehobenen Gruben erschossen. Vermutlich ist Hermann Blumenfeldt aber nie in Trawniki angekommen: „Im Verlauf der Deportationen in den Distrikt Lublin ab März 1942 wurde kein einziger „Judentransport“ aus dem Reich in Trawniki untergebracht. (…) Allerdings zeigt die Darstellung der einzelnen Transporte, dass der Stab des Lubliner SS- und Polizeiführers (Anm. Verf.: Odilo Globocnik) die Züge mit Juden aus dem „Großdeutschen Reich“ zwischen Mitte März und Mitte Juni 1942 in die – zumeist nicht weit von Trawniki entfernt gelegenen Ortschaften Izbica (…), Piaski (…), Rejowiec (...), Zamosc (…) und in andere Dörfer des Lubliner Distrikts leitete.“ (Gottwaldt/Schulte, Judendeportationen, S. 137ff) Die Ermordung fand dann zumeist im Vernichtungslager Belzec statt.

Bergen-Belsen Elmshorner Opfer: John Hasenberg, geb. am 8.10.1882 in Elmshorn, deportiert am 23.6.1943, gestorben am 23.1.1945 im Eisenbahnzug in Laupheim (Biberach). Das KZ Bergen-Belsen lag etwa 60 km nordöstlich von Hannover in der Lüneburger Heide. Im Jahr 1940 wurde von der deutschen Wehrmacht ein Kriegsgefangenenlager für französische und belgische Solda-

ten eingerichtet. Seit Juli 1941 wurden dort auch etwa 20.000 sowjetische Kriegsgefangene interniert, von denen bis zum Frühjahr 1942 rund 14.000 Gefangene an Hunger, Kälte und Krankheiten (Fleckfieber) starben. Im April 1943 wurde ein Teil des Lagers von der SS zu einem KZ für Juden vor allem ausländischer Nationalität umgewandelt. Diese sollten gegen Devisen oder auch gegen im Ausland festgesetzte Deutsche ausgetauscht werden. Daher nannte man das KZ auch „Aufenthaltslager Bergen-Belsen der Waffen-SS“. Seit Juni/Juli 1943 wurden die ersten KZ-Häftlinge nach Bergen-Belsen deportiert. Der vorgesehene Personenkreis wurde in den „Richtlinien des Reichssicherheitshauptamtes“ wie folgt beschrieben: - Juden mit verwandtschaftlichen oder son- stigen Beziehungen zu einflussreichen - Personen im feindlichen Ausland, - Unter Zugrundelegung eines günstigen - - Schlüssels für einen Austausch gegen im - feindlichen Ausland internierte oder gefan- gene Reichsangehörige infrage kommende - Juden, - Als Geiseln und als politisch oder wirt- schaftliche Druckmittel „brauchbare“ - - Juden, - Jüdische Spitzenfunktionäre. Das „Aufenthaltslager“ war in mehrere Abteilungen aufgegliedert, die streng von einander isoliert waren: a) das „Sternlager“ mit Arbeitszwang und a) sehr schlechter Verpflegung. Die a) Gefangenen mussten einen Judenstern a) tragen.

b) das „Neutralenlager“ mit Juden aus neub) tralen Staaten. Hier gab es keinen b) Arbeitszwang, und die Verpflegung war b) etwas besser. c) das „Sonderlager“ mit polnischen Juden, c) die Ausweise von verschiedenen c) c) c) Ländern besaßen.

Umzäunung zwischen den Baracken. Überall im Lager verstreut lagen verwesende menschliche Körper. Die Gräben der Kanalisation waren mit Leichen gefüllt, und in den Baracken selbst lagen zahllose Tote, manche sogar zusammen mit den Lebenden auf einer einzigen Bettstelle. In der Nähe des Krematoriums sah man Spuren von hastig “Die Zustände im Lager waren wirklich unbegefüllten Massengräbern. Hinter dem letzten schreiblich; kein Bericht und keine Lagerabteil befand sich eine offene Grube, Fotografie kann den grauenhaften Anblick halb mit Leichen gefüllt; man hatte gerade des Lagergeländes hinreichend wiedergemit der Bestattungsarbeit begonnen. In einigen Baracken, aber nicht in vielen, waren Bettstellen vorhanden; sie waren überfüllt mit Gefangenen in allen Stadien der Auszehrung und der Krankheit. In keiner der Baracken war genügend Platz, um sich in voller Länge hinlegen zu können. In den Blocks, die am stärksten überfüllt waren, lebten 600 In Güterwaggons wurden die Juden in die Lager verschleppt. bis 1.000 Menschen auf ben; die furchtbaren Bilder im Innern der einem Raum, der normalerweise nur für hunBaracken waren noch viel schrecklicher. An dert Platz geboten hätte. In einem Block des zahlreichen Stellen des Lagers waren die Frauenlagers, in welchem die FleckfieberLeichen zu Stapeln von unterschiedlicher kranken untergebracht waren, gab es keine Höhe aufgeschichtet; einige dieser Betten. Die Frauen lagen auf dem Boden Leichenstapel befanden sich außerhalb des und waren so schwach, dass sie sich kaum Stacheldrahtzaunes, andere innerhalb der bewegen konnten. Es gab praktisch keine - 15 -

Bettwäsche. Nur für einen Teil dieser Menschen waren dünne Matratzen vorhanden, die Mehrzahl aber besaß keine. Einige hatten Decken, andere nicht. Manche verfügten über keinerlei Kleidung und hüllten sich in Decken, andere wiederum besaßen deutsche Krankenhauskleidung. Das war das allgemeine Bild.” (http://www.bergenbelsen.niedersachsen.de /pdf/zurgeschichte.pdf). Allein zwischen Januar und April 1945 starben in BergenBelsen 35.000 Menschen. Am 15. April 1945 wurde das Lager durch die britische Armee befreit.

Lodz (Litzmannstadt) Elmshorner Opfer: Änne Rosenberg, geb. 29.10.1894 in Elmshorn, deportiert 25.10.1941 nach Litzmannstadt, weiter am 8.11.1941 nach Minsk, sowie ihr Bruder Julius Rosenberg, geb. 29.8.1884 in Elmshorn, deportiert 25.10.1941 nach Litzmannstadt, weiter am 8.11.1941 nach Minsk. In Lodz wohnten zu Beginn des 2. Weltkrieges zirka 180.000 Juden. Am 11. April 1940 wurde die Stadt nach dem General Karl Litzmann (1850-1936), einem NS-Würdenträger, in Litzmannstadt umbenannt. Am 8. Februar 1940 wurden aus der Altstadt, dem Proletarierviertel Baluty und dem Vorort Marysin das Ghetto gebildet. Es bestand aus anfangs 4,13 Quadratkilometern mit insgesamt 28.400 Wohnräumen. Am 30. April 1940 wurde es endgültig von der Außenwelt isoliert. Das Gelände war nicht kanalisiert, es konnten daher auch

keine Kontaktaufnahmen mit der übrigen Stadtbevölkerung stattfinden. Rund um das Ghettogelände waren Stacheldrahtsperren gezogen und im Abstand von maximal 100 m Posten der Schutzpolizei aufgestellt, die jeden Juden, der das Ghetto verlassen wollte, ohne Vorwarnung erschießen durften. Die tschechischen Überlebenden Vera Arnsteinnovà und Mája Randová berichteten: „Fäkalien flossen den Bürgersteig entlang. Bei der Ankunft fanden wir Hinterhöfe vor, die voller Müll waren. Baluty bestand aus Stein- und Holzhäusern mit großen Höfen, die untereinander verbunden und völlig verwahrlost waren. Erst als eine Epidemie drohte und die Deutschen Angst vor Epidemien hatten, ließen sie den Müll wegräumen. Es drohten Cholera, Gelbsucht, Typhus. Für Mutters Kleider tauschten wir Waschschüsseln und Kübel ein, um existieren zu können. Laufend gingen aus dem Ghetto die ersten Transporte ab, und niemand wusste, wohin. Reihenweise starben die Menschen an Hunger und Krankheiten. Wir zogen in eine freigewordene Wohnung um – vier Personen in einem Zimmer mit zwei Pritschen. Tausende Wanzen, derer man nicht Herr wurde. (…) Wanzen, Flöhe, Kleiderläuse. Bei der Essensausgabe lange Schlangen, und man konnte beobachten, wie die Läuse von einem zum anderen sprangen. Die Läuse übertrugen Flecktyphus. Für die ausgehungerten und erschöpften Menschen war es schrecklich schwer, im Winter für tägliche Hygiene zu sorgen. Als wir ankamen, teilte man uns irgendeine Rübensuppe aus. Wir konnten sie nicht essen, aber die Einwohner bettelten darum. Bald haben auch wir sie geschluckt. Die ganzen Jahre war der Hunger im Ghetto am schlimmsten, vor - 16 -

Hunger starben Alte und Junge.“ (zit. nach: www.shoa.de) Am 26. Oktober 1941 wurden die Geschwister Rosenberg mit dem Transport von 1063 Menschen aus Hamburg deportiert. Ob die Geschwister tatsächlich am 8. November 1941 nach Minsk weitertransportiert wurden,

Blick in eine Lagerbaracke des KZ Auschwitz. Sie waren hoffnungslos überbelegt, Häftlinge mussten sich Pritschen teilen. oder ob sie nicht doch entweder im Ghetto oder im Vernichtungslager Chelmno in Gaswagen ermordet wurden, wie der größte Teil der 145.000 Opfer von Litzmannstadt, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Allein zwischen Dezember 1941 und Herbst 1942 sollen 85.000 Bewohner des Ghettos getötet worden sein. Am 17. Januar 1944 wurde Lodz befreit. Vorher sind bis auf kleine Reste alle Einwohner des Ghettos nach Auschwitz deportiert worden.

Theresienstadt (Terezin) Elmshorner Opfer: Minna Bachrach, geb. 11.1.1873 in Elmshorn, deportiert am 15.7.1942, gestorben 7.8.1942 Rosa Goldschmidt, geb. Oppenheim, geb. 23.12.1868 in Elmshorn, deportiert 15.7.1942, gestorben 17.12.1942 Ferdinand Hertz, geb. 7.11.1861 in Elmshorn, dep. 15.7.1942, gest. 28.7.1942 Regine Hertz, geb. 25.4.1868 in Elmshorn, dep. 23.6.1943, gestorben 31.10.1943 Emma Israel, geb. Oppenheim, geb. am 2.12.1858 in Elmshorn, deportiert 19.7.1942, weiter nach Minsk, gestorben 1942 Paula Israel, geb. 19.8.1892 in Elmshorn, deportiert 19.7.1942, weiter nach Minsk, gestorben 1942 Henriette Lippstadt, geb. Rothgiesser, geb. am 8.8.1872 in Hamburg, wohnte in Elmshorn, dep. 15.7.1942, gest. 15.11.1943 Lea Nemann, geb. 15.5.1868, wohnte in Elmshorn, deportiert vermutlich Juli 1942, gestorben 18.10.1942 Recha Oppenheim, geb. Gumpel-Fürst, geb. 13.2.1863 in Lübeck, wohnte in Elmshorn, dep. 19.7.1942, gestorben 1942 Minni Petersen, geb. Hertz, geb. 23.6.1905 in Elmshorn, dep. 12.2.1945 (!), überlebte, wurde befreit und am 19.6.1945 entlassen. James Philipp, geb. 12.1.1872 in Elmshorn, deportiert 9.6.1943, gestorben 18.10.1943 Johanna Simon, geb. Susmann, geb. 20.6.1864 in Elmshorn, deportiert 19.7.1942, gestorben 8.2.1944. Das Ghetto Theresienstadt (Terezin) lag im Nordwesten der Tschechischen Republik. Erstmals erwähnt wurde das Ghetto am 10. Oktober 1941. Zunächst sollten vor allem

Juden aus Böhmen und Mähren über Theresienstadt nach Osten deportiert werden. Die Nationalsozialisten planten dann bei der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 ein Altersghetto, in das alle Reichsjuden über 65 Jahren, schwerkriegsbeschädigte Juden, ehemals jüdische Soldaten mit Kriegsauszeichnungen, Prominente und Juden aus anderen westeuropäischen Ländern deportiert werden sollten. Der Aufenthalt sollte nur vorübergehend sein, das Ziel waren die Vernichtungslager im Osten. Nachdem Dänemark mit ausländischem Druck den Verbleib seiner jüdischen Landsleute herausfinden wollte, gestatteten die Nationalsozialisten dem Internationalen Roten Kreuz im Juni 1944 Theresienstadt zu besuchen. Dazu war das Ghetto in den vorhergehenden Wochen und Monaten „verschönert“ worden. So wurden, um die Überbelegung des Lagers zu senken, die Transporte nach Auschwitz verstärkt. Die mit dieser Aktion transportierten Juden wurden zunächst in Auschwitz isoliert, damit sie eventuell bei einer Kontrolle des Roten Kreuzes präsentiert werden konnten. Nach der Aktion wurden sie ermordet. Als Krönung wurde noch der Propagandafilm „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ gedreht. Die Darsteller wurden anschließend getötet. Ein Viertel der 140.000 Häftlinge starb durch die entsetzlichen Lebensumstände und Seuchen, etwa 90.000 wurden in die Vernichtungslager Auschwitz, Treblinka, Majdanek , Sobibor u.a. weiterdeportiert. Zwei Wochen bevor die Rote Armee am 8. Mai 1945 das Lager erreichte, wurde es dem Roten Kreuz übergeben. (vgl.: http://de.wikipedia.org/wiki/KZ_Theresienstadt) - 17 -

Minsk Elmshorner Opfer: Heinrich Basch, geb. 27.3.1900 in Wien, deportiert 18.11.1941, gestorben 1941 Hertha Basch, geb. 16.12.1900 in Hamburg, dep. 18.11.1941, gestorben 1941 Jeanette Basch, 22.2.1872 in Hamburg, deportiert 18.11.1941, gestorben 1941 Otto Cohn, geb. 10.5.1898 in Elmshorn, deportiert 8.11.1941, gestorben 1941 Ilse Lippstadt, geb. 31.12.1905 in Elmshorn, deportiet 18.11.1941, gestorben 1941, auf dem Feld erschossen John Löwenstein, geb. 23.10.1886 in Elmshorn, deportiert 8.11.1941 Gustav Stern, geb. 27.3.1877 in Hannover, wohnte in Elmshorn, dep. 8.11.1941, gest. 1941 Friederike Stork, geb. Rosenberg, geb. 20.3.1883 in Elmshorn, dep. 8.11.1941, gest. 1941, war die Schwester von Änne und Julius Rosenberg (dep. nach Litzmannstadt) Mit den zwei Transporten vom 8.11.1941 und 18.11.1941 wurden 1420 Juden aus Hamburg (darunter auch acht Elmshorner) nach Minsk deportiert. Dort hat man von dem ursprünglichen Ghetto ein abgetrenntes „Sonderghetto“ eingerichtet, in dem die Juden aus Deutschland untergebracht wurden. Innerhalb des „Sonderghettos“ wurden noch einmal je nach geographischer Herkunft der Deportierten drei Gruppen unterschieden. Vor Ankunft der Deportationszüge wurden vom 7.-11. November 1941 etwa 6000 weißrussische Juden im Wald von Blagowschtschina, 13 km südöstlich von Minsk, erschossen. Seit Mai 1942 waren die ausgehobenen 3 m breiten und tiefen, 50 m langen Massengräber

im Wald die zentrale Mord- und Hinrichtungsstätte der deutschen Besatzer. Das größte Pogrom im Ghetto fand vom 28.30. Juli 1942 statt, dem etwa 30.000 Juden zum Opfer fielen. Die Vorgehensweise war immer die gleiche: Kommandos trieben die Menschen aus ihren Unterkünften zusammen. Dann wurden sie in Gruppen mit Lastwagen zu der Exekutionsstätte, in diesem Falle der Wald von Blagowschtschina oder Maly Trostenez transportiert. Hier hatten sich die Opfer vollkommen zu entkleiden, dann wurden sie zu der Grube getrieben. Je nach Länge des Massengrabes waren bis zu zwanzig Mann mit Pistolen an der Grube postiert, unterstützt von Mannschaften, die das Gelände umstellten und absicherten. Es wurden immer Pistolen benutzt. In der Regel bekam jeder der zwanzig Mann 25 Schuss bis zur nächsten Gruppe von Opfern. Die Juden wurden mit einem Genickschuss getötet und fielen in die Grube. Wenn der Verdacht aufkam, dass der Schuss nicht tödlich war, wurde erneut geschossen. Abschließend wurde mit einem Maschinengewehr so lange in die Grube geschossen, bis sich nichts mehr regte. Darüber hinaus wurde nicht mehr untersucht, ob alle gestorben waren. Es kam die nächste Gruppe an die Grube oder sie wurde zugeschüttet (vgl.: Mosel: Hamburg Deportation Transport to Minsk). „Direkt vor der Massenerschießung hatten sich alle zu entkleiden und ihre Kleidung auf einen Haufen zu werfen. Zwei junge Frauen beobachteten eine ältere verwirrte Frau, die aufgeregt herumlief, keinen Versuch machte, sich zu entkleiden. Darauf gingen die zwei Frauen zu ihr, überredeten und entkleideten sie. Dann, ohne ein Wort des Pro-

testes, nahmen die beiden jungen Frauen die ältere Frau zwischen sich, jede hielt sie an einer Hand, und legten sich auf die noch warmen Körper der soeben Erschossenen, um ihren Tod zu erwarten. Weder sie noch andere baten die Mörder um Gnade.“ (Karl Löwenstein, Minsk im Lager der deutschen Juden. Löwenstein stammt aus Berlin und überlebte die Auflösung des Lagers und die Todesmärsche). Neben den Massenerschießungen kamen auch drei Gaswagen zum Einsatz, große geschlossene Lastwagen, in die man Autoabgase einleitete, so dass die Menschen qualvoll starben (zitiert und übersetzt nach: Wilhelm Mosel: Hamburg Deportation Transport to Minsk). Seit dem Pogrom befanden sich noch 9000 Juden im Ghetto. Der größte Teil von ihnen wurde bei der Auflösung am 21.10.1943 ermordet. Im Oktober 1943 wurden die 34 Massengräber wieder geöffnet und die 150.000 Leichen verbrannt, um Spuren zu beseitigen. Nach Auflösung des Lagers und den Todesmärschen waren nur noch 20 Juden aus Minsk am Leben.

Riga (KZ Jungfernhof) Elmshorner Opfer: Selma Levi geb. Löwenstein, geb. 7.6.1883 in Elmshorn, dep. 6.12.1941, gest. 1941. Karl Löwenstein, geb. 17.8.1880 in Rehberg, wohnte in Elmshorn, deportiert 6.12.1941, gestorben 1941. Günther Simon Valk, geb. 4.4.1921 in Altona, wohnte in Elmshorn, deportiert (vermutlich 6.12.) 1941, gestorben 1941 Albert Hirsch, geb. 24.9.1878 in Mogilno, nach Zustellung des Deportationsbefehls für diesen Transport nahm er sich auf dem - 18 -

Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf am 1.12.1941 das Leben. Am 6. Dezember 1941 verließ ein Deportationszug um 0:11 Uhr den Hannoverschen Bahnhof in Hamburg. Im Zug waren 753 Juden, darunter drei Personen aus Elmshorn und der Oberrabbiner Joseph Carlebach mit seiner Familie aus Hamburg. Nach Erhalt der Deportationsbescheide verübten 13 Juden Selbstmord, darunter auch Albert Hirsch. Das Ziel des Zuges war Riga in Litauen, das er am 9.12.1941 erreichte. Die Opfer dieses Transportes wurden in das Konzentrationslager Jungfernhof, drei Kilometer südlich des Bahnhofes, getrieben, bei Temperaturen unter 40 Grad. Sofern die Elmshorner nicht gleich bei der Ankunft erschossen wurden oder im Lager an Hunger oder Krankheiten und Misshandlungen starben, sind sie wahrscheinlich bei der „Aktion Dünamünde“ am 26.3.1942 ermordet worden, wo der Hauptteil des Hamburger Transportes getötet worden ist. Ein Überlebender aus Hamburg berichtete: “Lager-Kommandant Seck befahl dem Lagerältesten Kleemann, er solle eine Liste der auszusondernden Juden erstellen. Seck selbst benannte 440 Juden, die in Jungfernhof bleiben sollten. Dieses waren gesunde, starke Leute, die man gut in der Landwirtschaft einsetzen konnte und Juden, die spezielle Fähigkeiten und Berufe aufweisen konnten. Ausgesondert wurden: -

Alte und Kranke Kinder bis 14 Jahren mit ihren Müttern Juden über 46-50 Jahren, die nicht voll arbeiten konnten.

Insgesamt waren es 3000 Leute. Ihnen wurde erzählt, sie würden nach Dünamünde gebracht, wo sie bessere Lebensbedingungen und leichtere Arbeit in einer Konservenfabrik erhalten sollten. Am 26. März 1942 wurden diese mit Bussen und Lastkraftwagen abtransportiert. Das gesamte Gepäck sollten sie zurücklassen.

Eine zynische Warnung am Lagerzaun von Auschwitz.

Es war ein Shuttle-System eingerichtet worden, bis alle weggefahren worden sind. Die Busse und Lkw kamen immer nach 15 bis 20 Minuten leer zurück. Die Opfer wurden in den Wald von Bikerneiki in der Nähe von Riga gefahren, wo Arbeitskommandos große Gruben ausgehoben hatten. Dort wurden

alle erschossen. Hier kam auch Oberrabbiner Carlebach ums Leben. Eine Einwohnerin berichtete: „Mein Haus ist ungefähr 1 bis 1,5 km vom Wald entfernt. Ich konnte daher sehen, wie die Leute in den Wald gebracht wurden und konnte hören, wie man sie erschoss. (…) Es war am Karfreitag und Ostersonnabend 1942. Die Leute wurden mit Bussen und grauen Fahrzeugen gebracht (…) Allein am Freitag zählte ich 41 Busse bis 12. (…) Tag und Nacht hörten ich und andere Einwohner die Schüsse von Gewehren und automatischen Waffen. (…) Am Ostersonntag war alles ruhig.(…) Wie viele andere gingen ich und meine Familie in den Wald. (…) Unter den vielen Gräbern sahen wir ein offenes Grab mit erschossenen Leichen. Die Körper lagen durcheinander, nur leicht angezogen oder in Unterwäsche. Es waren Körper von Frauen und Kindern. Die Körper zeigten Anzeichen von brutalen Misshandlungen und Quälereien, bevor sie erschossen wurden. Viele hatten Schnitte im Gesicht, Schwellungen an den Köpfen, einige mit abgetrennten Händen, ihre Augen herausgerissen oder ihre Bäuche aufgeschlitzt. Neben dem Grab waren Blutlachen, Haare, abgetrennte Finger, Gehirne, Knochen, Schuhe von Kindern und andere persönliche Gegenstände… Ausländische Juden wurden also erschossen. Man konnte es an den verschiedenen zurückgelassenen Sachen erkennen. Neben beinahe jedem Grab waren Rückstände eines Feuers. An den Feuerstellen und neben den Gräbern lagen verschiedene Dokumente, Fotografien und Ausweise. Aus diesen konnte man die Herkunft der Leute erkennen… Ich sah, dass sie aus Österreich, Ungarn, Deutschland und anderen - 19 -

Ländern kamen… Vor ihrer Flucht beseitigten die Faschisten alle Spuren. Im Sommer des gleichen Jahres öffneten sie die Gräber im Bikernieki-Wald, exhumierten die Körper und verbrannten sie.“ (zit. u. übersetzt nach: Wilhelm Mosel: Hamburg Deportation Transport to Riga.) Das KZ Jungfernhof bestand als Judenlager bis Sommer 1942. Die meisten Arbeitskräfte wurden dann in das Ghetto von Riga gebracht, das am 2. November 1943 aufgelöst wurde. Ungefähr 20.000 Juden sind nach Riga deportiert worden. Im Herbst 1944 waren nur noch 30 Juden vom Hamburger Transport am Leben. Diese wurden auf die Todesmärsche Richtung Deutschland geschickt. (vgl. Prof. Dr. Wolfgang Scheffler: Zur Geschichte der Deportation jüdischer Bürger nach Riga 1941/1942. Vortrag anlässlich der Veranstaltung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. am 23. Mai 2000 zur Gründung des Riga-Komitees im LuiseSchröder-Saal des Berliner Rathauses).

Auschwitz Birkenau)

(Auschwitz-

Elmshorner Opfer: Martin Bachrach, geb. 26.11.1899, nach Augenzeugenberichten in Auschwitz ermordet. Frieda Dieseldorff geb. Sternberg, geb. am 16.1.1884 in Elmshorn, dep. 11.7.1942. Moritz Meyers, geb. 20.1.1894 in Stadtlohn, wohnte in Elmshorn, deportiert 11.7.1942. Georg Rosenberg, geb. 9.6.1886 in Elmshorn, deportiert 12.2.1943.

Elsa Stoppelmann geb. Vogel, geb. 1.8.1877 in Bad Kreuznach, wohnte in Elmshorn , dep. nach Auschwitz mit Sohn: Hans-Daniel Stoppelmann, geb. 30.10.1912 in Elmshorn, deportiert nach Auschwitz. Das Konzentrationslager Auschwitz lag in der Kleinstadt Oswiecim (dt. Auschwitz), zirka 60 Kilometer von der polnischen Stadt Kraków (dt. Krakau) entfernt und bestand eigentlich aus drei Hauptlagern und ungefähr 40 Außenlagern. Die drei Hauptlager waren: KZ Auschwitz I, das sogenannte Stammlager, ab Mai 1940, nach ersten Plänen als Durchgangslager, aber schon im Bau als KZ- und Arbeitslager eingerichtet. Der erste Häftlingstransport erreichte Auschwitz I am 20.5.1940. Bereits im März 1941 ordnete Himmler die Vergrößerung des Lagers an. Dies führte zu KZ Auschwitz II – Birkenau, dem größten deutschen Vernichtungslager, drei Kilometer vom Stammlager entfernt und KZ Auschwitz III-Monowitz im Ort Monowitz, zunächst unter der Bezeichnung BUNALager, zeitweilig organisatorisch ein eigenständiges Arbeitslager für verschiedene Industrieansiedlungen, z.B. IG Farben. Auschwitz-Birkenau wurde zu einem Symbol für den Holocaust. Es wurde zu einem Vernichtungslager mit insgesamt sechs Gaskammern und vier Krematorien. Unter unvorstellbar grausamen Bedingungen wurden hier diejenigen Hunderttausende von Men-schen, die nicht gleich an der berüchtigten Rampe aussortiert (selektiert) und sofort nach der Ankunft in den Gaskammern durch Zyklon B (Blausäuregas) vergast wor-

den waren, gefangen gehalten, gefoltert, durch Zwangsarbeit, Erfrieren, Verhungern, Erschöpfung, medizinische Versuche, Exekutionen und letztendlich doch durch Vergasen getötet. Die meisten Opfer (nicht nur jüdische) kamen in Viehwaggons nach tagelangen Reisen in Auschwitz-Birkenau an. Meist fanden auf einer Verladerampe, zirka einen Kilometer vom Lagertor entfernt, die Selektionen durch die Lagerärzte statt, nur durch bloßen Augenschein, nicht durch Untersuchungen. Die „Schwachen“ und nicht „Arbeitsfähigen“, Mütter mit Kindern, alte Menschen, Kranke wurden gleich nach der Ankunft zur Gaskammer geführt, die anderen kamen zunächst ins Lager und mussten in den an das Lager angrenzenden Industriebetrieben arbeiten, wofür die Firmen eine kleine „Miete“ bezahlen mussten. Bei der Ankunft im Lager wurde den Opfern ihre Identität genommen, es wurde ihnen wie Vieh Nummern eintätowiert.

rigen Arbeiter mussten im Laufschritt Ziegelsteine schleppen oder schwere Loren schieben. Jeder Versuch, sich etwas auszuruhen, hatte die Versetzung in eine Strafkompanie zur Folge, evtl. auch die sofortige Erschießung. Angehörige dieser Strafkompanien hatten kaum eine Überlebungschance. Am frühen Morgen und nach der Arbeit mussten sich die Gefangenen auf den diversen Appellplätzen versammeln. Die Appelle dauerten manchmal stundenlang. Viele hielten das Strammstehen in der Sommerhitze oder bei Frost nicht aus, kipp-

In Auschwitz-Birkenau vegetierten die Gefangenen in hölzernen oder gemauerten Baracken dahin. Die Konzeption dieser Baracken basierte auf einem Plan für Pferdeställe. Bis zu 800 Menschen waren in jeder Baracke eingepfercht, die für 52 Pferde gedacht war. Es gab nur wenige, dazu noch sehr primitive Toiletten und Waschgelegenheiten. Tag und Nacht bestand Lebensgefahr.

Das Lagergelände war durch eine doppelte Zaunreihe gesichert. „Arbeit“ bedeutete unmenschliche Sklavenarbeit in Fabriken, Minen, auf dem Land oder auf Baustellen. Sogar die schwersten Erdarbeiten mussten ohne ausreichendes Werkzeug verrichtet werden. Die stets hung- 20 -

ten um und wurden deswegen ins Gas geschickt. Die tägliche Mahlzeit bestand aus einem Becher wässriger Rüben- oder Kohlsuppe,

300g Brot und etwas Schmalz oder Margarine. Selten „bereicherte“ ein 100g schweres Stück gepökeltes Schweinefleisch das Hungermahl. Als Folge der schweren Arbeit und der unzureichenden Versorgung mit Essen magerte man stark ab. Nach kurzer Zeit bestand der Körper nur noch aus Haut und Knochen …“ (http://www.deathcamps.org/occupation/auschwitz_de.html) Am 27. Januar 1945 erreichten und befreiten sowjetische Truppen das Lager und konnten noch 7650 Menschen befreien. Da nur die in den Lagern aufgenommenen und nicht die schon an der Rampe und bei der Selektion im Lager direkt in die Gaskammern geschickten Opfer gezählt wurden, ist man auf Schätzungen angewiesen. Nach neuerer Forschung wurden allein in Auschwitz zirka 1.100.000 Menschen ermordet, davon etwa 1.000.000 Juden, 70 bis 75.000 nichtjüdische Polen, 21.000 Roma, 15.000 sowjetische Kriegsgefangene und zirka 10 bis 15.000 Menschen sonstiger Herkunft. Neben den Opfern der hier aufgeführten Konzentrationslager gibt es noch weitere jüdische Opfer aus Elmshorn:

KL Fuhlsbüttel später Gestapo-Gefängnis Alfred Oppenheim, geb. 13.5.1897 in Elmshorn, 1942 verhaftet, gest. 6.4.1943.

Unbekannte Todesorte: Julius Dreiblatt, geb. 2.1.1890 in Hamburg, Verbleib unbekannt John Ely, geb. 9.8. 1873 in Elmshorn, gest. in Polen Olga Ely, geb. Lippstadt, geb. 14.2.1875 in Elmshorn, Verbleib unbekannt

Walter Ely, geb. 8.8.1903 in Elmshorn, gestorben angeblich In Lodz Franz Goldschmidt, geb. am 7.3.1904 in Elmshorn, 1942 deportiert mit Frau Reine und Tochter Leah.

Scheffler, Prof. Dr. Wolfgang: Zur Geschichte der Deportation jüdischer Bürger nach Riga 1941/1942. Vortrag anlässlich der Veranstaltung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. am 23. Mai 2000 zur Gründung des Riga-Komitees im LuiseSchröder-Saal des Berliner Rathauses.

Literatur und Quellen:

Links:

Gillis-Carlebach (Hrsg.): Memorbuch zum Gedenken an die jüdischen, in der Shoah umgekommenen Schleswig-Holsteiner und Schleswig-Holsteinerinnen. Hamburg 1996. Kirschninck, Harald: Datei der jüdischen Einwohner Elmshorns 1685-1945 Kirschninck, Harald: Die Geschichte der Juden in Elmshorn. 1918-1945. Band 2. Norderstedt 2005. Kirschninck, Harald: Interviews mit Heinz Hirsch, Rudolf Baum (verst.), Rudolf Oppenheim und Anna Lötje geb. Lippstadt (verst.) Kirschninck, Harald: Juden in Elmshorn, Teil 1: Diskriminierung, Verfolgung, Vernichtung. Elmshorn 1996. (Beiträge zur Elmshorner Geschichte Band 9). Kirschninck, Harald: „Wer beim Juden kauft, ist ein Volksverräter!“ Der Untergang der jüdischen Gemeinde Elmshorn. In: Gerhard Paul / Miriam Carlebach (Hrsg.): Menora und Hakenkreuz. Zur Geschichte der Juden in und aus Schleswig-Holstein, Lübeck und Altona 1918 – 1998. Neumünster 1998. S. 283 – 296. Mosel, Wilhelm: Hamburg Deportation Transport to Riga Mosel, Wilhelm: Hamburg Deportation Transport to Minsk - 21 -

http://www.deathcamps.org/ occupation/auschwitz_de.html http://www.geschichtswerkstatt-dueren.de/ juden/a_z/depo.html http://www.deathcamps.org/ occupation/trawniki_de.html http://www.bergenbelsen.niedersachsen.de/ pdf/zurgeschichte.pdf http://www.shoa.de http://www.deathcamps.org/ occupation/lodz%20ghetto_de.html http://www.deathcamps.org/ reinhard/terezin_de.html http://de.wikipedia.org/ wiki/KZ_Theresienstadt

Albert Hirsch Lornsenstraße 35 (Plan Nr. 9) Von Harald Kirschninck Albert Hirsch wurde am 24. September 1878 in Mogilno (Posen) geboren. Seine Eltern waren Fleischermeister Wilhelm Hirsch und Ernstine, geb. Baszynska. Albert heiratete am 15. November 1919 in Elmshorn seine Frau Gertrud, geb. Schmerl. Gertrud war Witwe und brachte ihren Sohn Horst mit in die Ehe. Albert und Gertrud bekamen am 16. Oktober 1920 einen gemeinsamen Sohn, den sie Heinz-Walter nannten. Die Familie Hirsch wohnte in der Lornsenstr. 35. Albert Hirsch war der Besitzer der Konservenfabrik Hirsch am Gerlingsweg. Im Israelitischen Kalender von 1926/27 erschien folgende Anzeige: "Gemüse- und Obstkonserven in feinster Qualität, hergestellt unter Aufsicht des Oberrabbiner Dr. Carlebach, Altona Holsteiner Konservenfabrik Albert Hirsch, Elmshorn." Albert Hirsch war ein sehr angesehener Mitbürger. Er war Ersatzdeputierter und über mehrere Jahre Vorsteher der Elmshorner Gemeinde. Albert Hirsch war der letzte freigewählte Vorsteher. Mit Beginn des Nationalsozialismus begann auch der Niedergang der Fabrik und schwere Jahre für die Familie Hirsch.

Seit Juni 1935 durfte auf den Geschäftspapieren der Fabrik nicht mehr das Elmshorner Stadtwappen stehen. Dieses wurde in der Beigeordnetensitzung vom 12.6.1935 beschlossen. 1938 wurde die Fabrik schließlich “arisiert”, d.h. von einem Nationalsozialisten praktisch enteignet. Wilhelm Bull, der neue Besitzer, verschickte am 1. August 1938 Briefe, in denen er sich der Kundschaft empfahl. Jetzt prangte auf dem Briefkopf auch wieder das Elmshorner Stadtwappen. Am 16. September 1938 verstarb Gertrud Hirsch. Ihr Sohn aus erster Ehe war mittlerweile nach Peru ausgewandert. Zurück blieben Albert und Heinz Hirsch. Beide wurden in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen verschleppt. Sie kamen nach einiger Zeit wieder frei. Heinz Hirsch wanderte im Februar 1939 ebenfalls wie sein Stiefbruder nach Lima/Peru aus. Dort eröffnete er einen AutoImporthandel, der sehr erfolgreich war. Er lebt heute in Florida und ist dort trotz des schon sehr hohen Alters ein angesehener Geschäftsmann. Zurück blieb Albert Hirsch, der letzte Vorsteher der Gemeinde. Die Nationalsozialisten erpressten von ihm noch am 5. September 1940 die Vereinbarung, dass künftig keine Beisetzungen mehr auf dem jüdischen Friedhof stattfinden sollten, da man beabsichtigte, diesen Friedhof nach einer Übergangsfrist aufzulösen und zu bebauen. Zu dieser Zeit wohnten in Elmshorn noch sechs Juden, darunter vier Glaubensjuden. Im November 1941 erhielt Albert Hirsch sei- 22 -

nen Deportationsbescheid nach Riga. Er begab sich am 1. Dezember 1941 auf den jüdischen Teil des Ohlsdorfer Friedhofs, wo seine Frau Gertrud beerdigt worden war, und

Albert Hirsch und seine Frau Gertrud. erhängte sich um 15.30 Uhr. In den Elmshorner Nachrichten erschien am 4.12.1941 darüber eine kleine Notiz: "Freiwillig aus dem Leben geschieden ist der frühere Besitzer der Holsteinischen Konservenfabrik H. Man fand ihn in einem Toilettenraum auf dem Ohlsdorfer Friedhof erhängt auf." Pate für Albert Hirsch ist Harald Kirschninck

Fotos oben und unten: die Konservenfabrik von ...

... Albert Hirsch am Gerlingweg. Ausgeplündert: Der neue Besitzer zeigt seinen Geschäftsfreunden die “Arisierung” der Konservenfabrik an, die zuvor Albert Hirsch gehört hatte. - 23 -

Karl Löwenstein John Löwenstein Selma Levi geb. Löwenstein

wurde er zunächst am 4.12.1941 der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) Kiel übergeben. Schon drei Wochen vor dem Transport verschickte die Gestapo Vermögenserklärungen, die die Juden auszufüllen hatten. Damit man auch alles erfassen konnte, bat man darum "gut leserlich auszufüllen, wenn möglich mit Schreibmaschine".

Peterstraße 29 (Plan Nr. 5-7) Von Harald Kirschninck Moses Löwenstein war ein streitbarer, kräftiger Mann. Er wurde 1848 geboren, ein halbes Jahr, bevor sein Vater im Befreiungskrieg 1848 fiel. Er erlernte wie dieser das SchlachterHandwerk, welches er in Elmshorn über lange Zeit ausübte. Er war Kriegsteilnehmer von 1870/71 und hatte vier Kinder, zwei Töchter (Bertha, geboren 1883 und Selma, geboren 1885) und zwei Söhne (Karl, geboren 1881 und John, geboren 1886). Moses Löwenstein war zwar ein Mitglied der hiesigen jüdischen Gemeinde, aber er galt als nicht sehr religiös, weshalb die Elmshorner Juden ihr Fleisch auch nicht bei ihm kauften, da es als nicht koscher galt. Dennoch sandte er seine Kinder auf die hiesige jüdische Schule. Als diese um 1890 geschlossen und in eine Religionsschule umgewandelt werden sollte, protestierte er bei dem Landrat Scheiff und dem Kreisschulinspektor Probst Buchholz und forderte, den damaligen Lehrer

Bacharach durch einen neuen Lehrer zu ersetzen. Zu dieser Zeit besuchten allerdings nur noch die Löwenstein-Kinder die Schule, sodass die Umwandlung von Löwenstein nicht mehr aufgehalten werden konnte. Am 1. Weltkrieg nahmen Karl und John als Soldaten teil. Moses Löwenstein starb 1924 und brauchte nicht mehr mitzuerleben, dass drei seiner Kinder deportiert und schließlich ermordet wurden. Die Täter waren Bürger des Landes, für das er, sein Vater und auch seine Söhne in drei Kriegen gekämpft hatten. Alle drei Kinder wurden innerhalb eines Monats im Jahr 1941 deportiert und schließlich ermordet. John Löwenstein, der jüngste, war im Transport nach Minsk am 8.11.1941, Karl und Selma verschleppte man mit dem Transport am 6.12.1941 nach Riga. Karl Löwenstein war krank, pflegebedürftig und lebte im Pflegeheim Sandberg 102. Hier - 24 -

Mitnehmen durften die Ausgeplünderten: "1. Ein Koffer mit Ausrüstungsstücken im Gewicht bis zu 50 kg. 2. Vollständige Bekleidung, möglichst festes Schuhwerk. 3. Bettzeug mit Decke. 4. Verpflegung für 14 Tg. bis 3 Wochen. 5. Bargeld bis zu RM 50,-." Was mit dem übrigen Vermögen geschah, wurde in dem Schreiben ebenfalls klargestellt: "Das Vermögen der für die Evakuierung vorgesehenen Juden ist rückwirkend ab 15.10.41 beschlagnahmt."

Patin für Karl Löwenstein ist Anna Haentjens Pate für John Löwenstein ist Kai Lohse Patin für Selma Levi geb. Löwenstein ist die Frauengeschichtswerkstatt des Industriemuseums Elmshorn

Penibel listete die Kieler Gestapo auf, was Karl Löwenstein und Albert Hirsch zur Deportation mitbringen durften. NaziDeutschlands Verwaltung hatte sie bereits mit dem Zwangsvornamen für männliche Juden, “Israel”, gedemütigt. Das Bahnticket für die Anreise zur Deportation hatten die Todeskandidaten selbst zu bezahlen.

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John Hasenberg Kirchenstraße 40 (Plan Nr. 10) Von Maximilian Jermies Geboren am 8. Oktober 1892 in Neunmünster als eines von sieben Kindern des jüdischen Ehepaares Henny Hasenberg (geb. Lippstadt) und Julius Hasenberg, zog John Hasenberg gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit seiner Familie nach Elmshorn, wo sein Vater in der Kirchenstraße 40 eine Immobilienfirma betrieb. John ging von 1902 bis 1909 auf die Bismarckschule und schloss diese mit dem Abschluss des Realgymnasiums ab. Auch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges erlebte er hier und zog bald an die Front. Sein Einsatz blieb nicht ohne Konsequenzen - für seine Verdienste wurde er mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet. Nach dem Ersten Weltkrieg hielt es ihn nicht mehr lange in Elmshorn; im Jahr 1922 zog er nach Hamburg, wo er als Kaufmann in der Bank von Willi Seligmann am Gänsemarkt 35 arbeitete und unter anderem am Schwanenwik 29 wohnte. Die Blaue Steuerkartei der Jüdischen Gemeinde belegt seinen Fortgang im Jahre 1927. Auf Hamburg folgte sein letzter deutscher Wohnsitz – Berlin. Hier heiratete er Gertrud (geb. Meyer), geboren am 28. Oktober 1903 in Berlin. Auch die beiden Kinder des Paares, ein Sohn, 1928

geboren, und die Tochter Irene Hasenberg, geboren im Jahr 1930, erblickten hier das Licht der Welt. Zwei Jahre nach der Proklamation der „Nürnberger Rassengesetze” bekam John Hasenberg die Möglichkeit, Deutschland zu verlassen. Die Firma „American Express” hatte ihm zwei Alternativen geboten: einen Job in Curacao oder in Amsterdam. Mit seiner Frau, seinem neunjährigen Sohn und seiner siebenjährigen Tochter zog John Hasenberg im Jahr 1937 von Berlin nach Amsterdam, um der Verfolgung durch die Nationalsozialisten zu entgehen. Als die Nazis im Jahr 1940 in die Niederlande einmarschierten, wurde auch hier das Leben der Familie erheblich erschwert. Die Benutzung der Straßenbahn war der banale Grund für die erste Inhaftierung der kompletten Familie Hasenberg, aber vorerst hatte sie Glück. Ohne Begründung wurde die Familie wieder freigelassen. Was blieb, war die Angst. Weil es American Express verboten wurde, Juden zu beschäftigen, verlor John seine Arbeit und arbeitete nun für den “Joodsraad”, eine von den Nazis eingerichtete Organisation. Seine Aufgabe war es, den durch plötzliche Razzien deportierten Juden - 26 -

Das Wohnhaus John Hasenbergs in der Kirchenstraße 40. ihr Gepäck in die Sammellager nachzuschicken. John hatte die Erlaubnis, mit einem Team in die Wohnungen der deportierten Juden einzudringen und die benötigten Gepäckstücke zu beschaffen. Irene Hasenberg sagte in einem Interview im Jahr 1986, dass ihr Vater gehofft hatte, mit der Mitarbeit beim “Joodsraad” anderen Juden zu helfen. Wie so oft zögerte die Mit-

arbeit im Joodsraad die Deportation nur hinaus, anstatt sie zu verhindern. Am 23. Juni 1943 kreiste die SS auch das Wohnviertel der Hasenbergs ein. Irene Hasenberg erinnerte sich, dass es ungefähr um 10 Uhr morgens an einem ungewöhnlich heißen Tag gewesen sein muss, als die SS auch an ihre Tür klopfte. Der Familie Hasenberg war es noch erlaubt, ein wenig Proviant und anderes Gepäck mitzunehmen, dann wurde sie mit anderen Juden zu Sammelplätzen getrieben und in Güterwaggons gepfercht. Die Erfahrung, mit zirka 60 anderen Menschen den ganzen Tag in einem Güterwaggon gefangen zu sein, beschreibt Irene Hasenberg als grausam. Am 23.Juni 1943 erreichte der Zug dann seine Endstation, das Sammellager Westerbork, wo die Familie acht Monate verbringen musste. Noch in Amsterdam hatte John jedoch über einen Freund von einem Schweden erfahren, der gefälschte Pässe beschaffen konnte. Auf Johns briefliche Anfrage erhielt die Familie Hasenberg nun aus Schweden vier ecuadorianische Pässe. Wie diese Pässe ihren Weg von Schweden über Amsterdam bis nach Westerbork gefunden haben, konnte niemand erklären. Fest stand aber, dass die Pässe den Status der Familie Hasenberg entscheidend veränderten.

wo Irene Hasenberg auch Anne Frank kennenlernte. Die Situation in Bergen-Belsen war wegen der Größe des Camps und der Menge an Menschen, die auf noch kleinerem Raum zusammengepfercht waren, schlimmer als in Westerbork. Mangelernährung, harte Arbeit und, im Falle von John Hasenberg, Prügelstrafen, schwächten besonders Hasenberg und seine Frau. Doch trotzdem erlangte die Familie Hasenberg aufgrund eines glücklichen Zufalls schließlich die Freiheit. Bei einem Gefangenenaustausch zwischen Amerikanern und Deutschen waren auf deutscher Seite nicht genügend Amerikaner für den Austausch vorhanden.

Die Recherchen zu John Hasenberg hat der Leistungskurs Geschichte des 12. Jahrganges der Elsa-Brändström-Schule Elmshorn unter der Leitung von Doris Hannig-Wolfsohn in einem Projekt der Referendarin Julia Störzel im Jahr 2007 vorgenommen.

Deswegen wählten die Nazis Häftlinge nichtdeutscher Nationalitäten aus, um die geforderte Anzahl zu erreichen. Wegen ihrer gefälschten Pässe gehörten die Hasenbergs zu den glücklichen Auserwählten, die den Zug Richtung Schweiz besteigen durften. Trotz des unglaublichen Glücks war es für John Hasenberg schon zu spät.

Quellen: Stadtarchiv Elmshorn; Archiv der Elmshorner Nachrichten; Staatsarchiv Hamburg; Interview mit Irene Hasenberg (www. http://holocaust.umd.umich.edu/ butter/).

Seine letzte Prügelstrafe hatte ihm bei seiner sowieso schlechten körperlichen Verfassung die letzten Kräfte geraubt. Er starb auf dem Weg in die Freiheit am 23. Januar 1945 bei Laubheim. Seine Familie zog weiter nach Amerika.

War ursprünglich die Deportation der Hasenbergs nach Auschwitz vorgesehen, so bewirkte der Nachweis einer nichtdeutschen Staatsbürgerschaft die Streichung der Familie von der Transportliste. Am 16.Februar 1944 erfolgte die Deportation in das Konzentrationslager Bergen-Belsen, - 27 -

Die folgenden Schüler haben daran mitgearbeitet: Lisa Arendt, Uwe Dahlke, Pia Heyne, Kerry Howard, Maximilian Jermies, Kevin Klüver, Maria Koch, Martin Krempa, Patrick Meißner Jana Mohr, Franziska Ortlinghaus, Milord Said, Tanja Schumann, Jessica Vokuhl, Janine Walter, Isabel Werner.

Patin für John Hasenberg ist die Elsa-Brändström-Schule

Georg Rosenberg

Doch wenig später wendete sich für ihn das Blatt, denn die Scheidung und einige Steuervergehen führten schließlich zum Konkurs seines Papiergroßhandels, eine zweimonatige Gefängnisstrafe wegen Konkursvergehen wurde in eine Bewährungsstrafe umgewandelt.(5) Die Kirchenstraße 4 musste im April 1926 zwangsversteigert werden, (6) und weitere

Kirchenstraße 4 (Plan Nr. 11) Von Jürgen Wohlenberg, Mark Seeland, Thorben Walter und Anna Zier Georg Rosenberg führte bis 1926 einen Papiergroßhandel in der Kirchenstraße 4. Dieser war von seinem Vater Alexander Rosenberg im September 1883 als kleines Ladengeschäft am Markt gegründet worden. Er selbst wurde am 9. Juni 1886 als erster Sohn von Alexander und Amalie Rosenberg in Elmshorn geboren. Nach seinem Abschluss an der Bismarckschule im Jahre 1902 half er im Betrieb aus. Der Betrieb wurde später von ihm übernommen und im Laufe der Jahre signifikant vergrößert, sodass ein neues Gebäude in der Kirchenstraße 10 hinzugekauft werden musste. Am 8. Juni 1909 heiratete Georg die Elmshornerin Gerda Johanna Mendel. Sie entstammte einer der angesehensten jüdischen Familien Elmshorns. Im November 1910 bekamen die beiden ihren Sohn Günter, und im Dezember 1912 folgte die Tochter Edel Ellen. (1) Im Jahre 1913 wanderte Georgs Bruder Friedrich, auch genannt Fritz, mit der „Graf von Waldersee“ in die USA aus. Sein Vater Alexander bezahlte die 75 US-Dollar für die Überfahrt, und er gab als Adresse seinen Cousin Jacob in der Nassau Street, New York City an.(2) Der Grund für die

Auswanderung ist naturgemäß nicht bekannt, vielleicht war es Abenteuerlust, vielleicht auch nur die Enttäuschung, dass sein Bruder das Geschäft bekam. Georg und Gerda wurden offensichtlich nicht glücklich. Mit einem Gerichtsurteil des Landesgerichts Altona wurde die Ehe zwischen beiden im Jahre 1920 geschieden. Gerda durfte den Namen Rosenberg-Mendel weiterführen.(1) Sie zog bald darauf in die Holstenstraße 10 und war dort mit ihrem Sohn Günter gemeldet. Sie arbeitete als Hand- und Fußpflegerin und Günter als Messe-Steward.(3) Kurz nach der Scheidung nahm sich seine Mutter Amalie Rosenberg das Leben. Am 8. November 1921 heiratete er die Nichtjüdin Irma Schmidt.(1) Zum 40-jährigen Jubiläum seines Geschäfts am 1. September 1923 lobt die Elmshorner Zeitung Georg Rosenberg; er wird dort als Gönner vieler Elmshorner Einrichtungen in Sport und Kultur und ein Förderer des Elmshorner Theaters genannt. Mit seinem guten Geschäftssinn und seinen zahlreichen Kontakten ins Ausland konnte er Devisen in die Stadt schaffen, dies wurde von der Elmshorner Zeitung als „praktische Vaterlandsliebe“ bezeichnet.(4) - 28 -

Eine Annonce der Firma Rosenberg aus dem Jahr 1903. Immobilien wurden verkauft oder vor dem Konkurs an seine Ex-Frau und Kinder überschrieben.(7) Mit seiner zweiten Frau Irma zog er dann in die Peterstraße 28, dort betrieb sie einen Handarbeitsladen, in dem er ihr aushalf. Bei der großen Boykott-Aktion der Nationalsozialisten am 1. April 1933 wurde auch Irmas Laden in der Königstraße von SA-Posten belagert und als jüdisches Geschäft gebrandmarkt. Nach der „freiwilligen“ Schließung ihres Ladens zogen die SAPosten ab.(8)

Georg arbeitete nach seinem Konkurs auch als Reisevertreter für eine Elmshorner Margarinefabrik und reiste 1936 geschäftlich wie früher nach Wyk auf Föhr. Er wohnte wie immer im Strandhotel. Dort wurde er von einem SA-Mann, dem Sohn der Eigentümerin Frau P. und einem Bekannten des Herrn P. aus dem Hotel geprügelt und beschimpft. Bei der Polizei warfen ihm Herr P. und der Bekannte vor, den dortigen Kolonialwarenhändler betrogen zu haben, wofür es aber keinerlei Beweise gab. Georg war bereit, die Anzeige zurückzuziehen, wenn die Täter an die Winterhilfe spenden würden. Das Verfahren wurde von der Flensburger Staatsanwaltschaft wenige Tage nach Erhalt des Polizeilichen Führungszeugnisses Georg Rosenbergs eingestellt. Die Elmshorner Polizei schreibt im Dezember 1936: „Der Kaufmann Georg Rosenberg, geboren am 9. Juni 1886 in Elmshorn, wohnhaft in Elmshorn, Peterstraße Nr. 28, ist Jude. […] Der Ruf des Rosenberg ist kein guter. Wie bereits oben erwähnt, ist er wegen Konkursvergehen und Betruges vorbestraft. Im Laufe dieses Jahres liefen hier mehrere Anzeigen gegen seine Ehefrau, die Inhaberin des Stickereigeschäfts ist, durch. Der Frau wurde Untreue und Betrug zum Nachteil ihrer Lieferanten zur Last gelegt. Der Hauptbetreiber dieser Handlungen dürfte aber der Ehemann gewesen sein. […] Im Übrigen kann gesagt werden, daß man es bei Rosenberg mit einem typischen Juden mit typisch jüdischem Charakter und Einstellung zu tun hat.“ (5) Georg versuchte jetzt irgendwie durchzukommen, nachdem er seinen „Arierschutz“ nach der Trennung von seiner Frau Irma irgendwann nach 1936 verloren hatte. Er wandte sich an die jüdi-

sche Gemeinde in Elmshorn und bekam Zuflucht bei den Oppenheims. Er versteckte sich auf deren Dachboden bis zur Flucht der Oppenheims im Februar 1939.(13) Zu diesem Zeitpunkt musste die jüdische Bevölkerung all ihre Besitztümer abgeben, sodass sie nur noch ihren Hausrat besaß und einen kleinen Zins ihres ehemaligen Vermögens. Wie gefährlich es war, nicht all sein Geld abzugeben, bekam Georg im Juli 1939 am eigenen Leib zu spüren. „Festgenommen wurde am Montag, dem 24. Juli, der frühere Kaufmann, der Jude Georg Rosenberg. Er lebte in der letzten Zeit von Unterstützungen der jüdischen Gemeinschaftshilfe und versuchte, bei Behörden Hilfe in seiner angeblichen „Notlage“ zu finden. Es wurden bei seiner Festnahme 452,16 RM bei ihm vorgefunden. Diese Summe hatte Rosenberg nach jüdisch-devisenschieberischer Weise in dem Futter seiner rechten Hosenklappe versteckt. Die Gestapo wird sich jetzt wieder einmal mit ihm beschäftigen.“ (9) Er wurde der Gestapo übergeben, und am 19. Februar 1943 von Berlin nach Auschwitz deportiert.(10) Er ist in den Opferlisten von Yad Vashem geführt, sein genaueres Schicksal und der genaue Todeszeitpunkt bleibt wohl für immer unbekannt. 1937 zog Gerda Rosenberg-Mendel nach Hamburg. Ihre Tochter Edel Ellen war schon 1935 nach Liverpool, England, geflohen und zog nach der Flucht Gerdas 1939 mit ihr nach Romford/Essex, ein heutiger Stadtteil Londons. Edel Ellen erhielt 1947 die britische Staatsbürgerschaft. Der Verbleib des Sohnes Günter ist ungeklärt. (7) Der Bruder Friedrich Rosenberg starb im Jahr 1975 in San Antonio, Texas, USA.(12) In - 29 -

dem Stadtteil von San Antonio, in dem er zum Zeitpunkt seines Todes lebte, wohnen auch heute mehrere Rosenbergs. Das Grab der Eltern von Georg und Friedrich Rosenberg ist heute noch auf dem jüdischen Friedhof in Elmshorn zu finden. Es liegt von der Feldstraße aus gesehen auf der linken Seite der Friedhofshalle. Quellen: (1) Meldekarten, Elmshorner Stadtarchiv (2) Ellis Island, Einwanderungsunterlagen (3)

Elmshorner

Adressbuch

1934,

Elmshorner Stadtarchiv (4) Elmshorner Zeitung, 31. August 1923 5 Landesarchiv Schleswig-Holstein 354 – 2256 (6) altes Grundbuch Elmshorn, Band 18, Blatt 894 (7) Landesarchiv Schleswig-Holstein 510 – 3331 (8) Elmshorner Nachrichten,1. April 1933; Band 9 der Elmshorner Geschichte (9) Elmshorner Nachrichten, 25. Juni 1939 (10) Archiv Auschwitz, Deportationsliste vom 19. Februar 1943 von Berlin nach Auschwitz (11) Landesarchiv Schleswig-Holstein 761 – 14282 und Jewish Refugee Committee Archiv (12) Ancestry.com (13) Information von Harald

Kirschninck,

Verfasser des 9. Bandes der Beiträge zur Elmshorner Geschichte. Paten für Georg Rosenberg sind Jürgen Wohlenberg und Hans-Joachim Wohlenberg sowie Mark Seeland, Thorben Walter und Anna Zier von der Gesamtschule Elmshorn (KGSE)

Hans-DDaniel Stoppelmann Adele-EElsa Stoppelmann Norderstraße 28 (Plan Nr. 12 + 13) Von Rudi Arendt und Maren Josephi Als Schleswig-Holstein 1945 von britischen Truppen besetzt und damit vom NSTerrorregime befreit wurde, war das jüdische Leben zerschlagen: die Gemeinden waren längst liquidiert, die Synagogen geschändet, jüdischer Besitz „arisiert“ und die jüdische Bevölkerung verjagt, deportiert und ermordet. „Hier riecht es nach Leichen, nach Gaskammern und nach Folterzellen“, schrieb der Journalist und Schriftsteller Robert Weltsch nach einem Besuch im besiegten Deutschland im Jahre 1946. Doch das ganze Ausmaß der Katastrophe wurde erst später offenbar. „Ich hätte niemals geglaubt, dass allein wir über 1600 umgebrachte Juden zu beweinen haben“, zeigte sich Schimon Monin – 1934 zusammen mit seiner Familie von Flensburg nach Palästina geflohen und heute Sprecher des Schleswig-Holstein-Komitees in Israel – erschüttert.

Oktober 1912, lebte er zusammen mit seinen beiden Brüdern Richard (geboren am 22. Februar 1910) und Max Heinz (geboren am 24. Januar 1908) sowie seinen Eltern. Die Eltern, Vater Julius Stoppelmann, geboren 1874 im holländischen Belingwolde und Mutter Adele Elsa, geb. Vogel, bewohnten anfangs mit ihren Kindern ein Haus in der Gärtnerstraße. Hans Daniel Stoppelmann ging, so ein Zeugnis aus dem Jahre 1927, auf die nahe gelegene Bismarckschule. Sie wurde derzeit als „städtisches Realgymnasium mit Realschule“ geführt. In einer Schulklasse (eine U-IIa) dieses Jahrganges, das belegt dieses Dokument, lernten zwischen 34 und 38 Schülerinnen und Schüler in einem Raum. Sein Bruder Max-Heinz hatte zu dem Zeitpunkt schon seine achtjährige Schulzeit an der Bismarckschule (1917 bis 1925) absolviert.

Erinnert werden soll hier an die Familie Stoppelmann. An die Mutter, Adele-Elsa und an Hans Daniel, jüngster Sohn dieser fünfköpfigen Elmshorner Familie, die dem jüdischen Glauben angehörte. Geboren am 30.

Kaum begann Hitler nach der Machtübertragung 1933 damit, sein von Rassismus, Ausgrenzung und Willkür getragenes Regime zu etablieren, erklärte Rabbiner Dr. Leo Baeck, „der letzte große - 30 -

repräsentative deutsche Jude, der in der kritischen letzten Periode auch zum politischen Führer wurde“, die tausendjährige Geschichte der Juden in Deutschland für abgeschlossen. Dieser düsteren Prophezeiung – ausgesprochen bereits auf der ersten Sitzung der im selben Jahr gegründeten „Reichsvertretung der deutschen Juden“, deren Präsident Baeck war – wollten zunächst nur wenige Juden Glauben schenken – ein für sie tragischer Trugschluss. Die Frage „Gehen oder bleiben?“ beantworteten viele von ihnen mit „Abwarten“. Auch die Familie Stoppelmann. Sie gerieten zusehends in die Ausgrenzungsund Vernichtungsmaschinerie der Nazis. Die Familie zog noch um. Von der Gärtnerstraße in die heutige Norderstraße, damals Schlageterstraße, in das Haus Nr. 28. Sie wohnte damit unweit des Parteilokals der NSDAP, Stüben und des Café Koch. Hier kamen regelmäßig dienstags die örtlichen Schläger von SA und SS zusammen. Im Jahr 1936 starb der Vater im Alter von 62 Jahren an Herzversagen. Er war in seinem Leben Viehhändler gewesen. Seine Arbeitsstätte befand sich am Flamweg 7. Julius Stoppelmann gehörte noch zur Generation der Teilnehmer des 1. Weltkrieges. Mit ihm verlor die jüdische Gemeinde einen aktiven Gläubigen – er fungierte als Deputierter der Elmshorner Glaubensgemeinschaft in den Jahren 1929 bis 1932 – und Elmshorn verlor ein Mitglied und einen Ehrenförderer der Elmshorner Männer- und Turnvereinigung (EMTV). Der Tod des Vaters bedeutet einen tiefen Einschnitt für die übrige Familie. Die

„Arisierung“ von Mietgrundstück, Stallgebäude und Weidegrund durch die Nazis raubt ihnen die Existenzgrundlage. Und dann kommt die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938. In der „Hauptstadt der Bewegung“, in München, hat sich zum Gedenken an den missglückten Hitler-Putsch vom 8./9. November 1923 fast die gesamte NS-Prominenz – darunter auch Schleswig-Holsteins Gauleiter Hinrich Lohse – versammelt, als die Nachricht eintrifft, dass Ernst vom Rath, Diplomat der deutschen Botschaft in Paris, den schweren Verletzungen erlegen ist, die

ihm zwei Tage zuvor der 17-jährige Jude Herschel Grynszpan mit einem Revolver zugefügt hatte. Den Nazis kommt dieses Attentat gelegen. Sehen sie doch den willkommenen Anlass, eine „Nacht des Schreckens“ zu inszenieren, in der sich der braune Mob auf Anweisung „spontan“ austoben sollte – so die offizielle Sprachregelung und die Darstellung in der längst gleichgeschalteten Presse. In Elmshorn wird das alte SA-Kampflied „Hallo, die Synagoge brennt“ grausame Wirklichkeit: SA-Männer haben von der nahe gelegenen Tankstelle Benzin zum jüdischen Gotteshaus am Flamweg geschleppt und das Gebäude in Brand gesteckt. Erst als das Zerstörungswerk vollbracht ist, wird die Feuerwehr alarmiert. Die Mutter und ihre Söhne (Hans Daniel war zwischenzeitlich auch in Kiel gemeldet) emigrieren noch einen Monat später – am 12. Dezember 1938 – nach Assen/Holland, wohl zu Verwandten des verstorbenen Vaters. Auf den Angriff auf Polen, am 1. September 1939 – der Entfesselung des Zweiten Weltkrieges – folgt der Überfall der Wehrmacht auch im Westen auf neutrale Staaten wie die Niederlande, Belgien und Luxemburg. Am 15. Mai 1940, nach dem verheerenden Luftangriff auf Rotterdam, kapituliert die niederländische Armee. Die Vernichtung der jüdischen Menschen auch in West-Europa beginnt.

Der frühere Wohnsitz der Familie Stoppelmann in der Norderstraße 28.

Hans Daniel Stoppelmann und seine Mutter, Adele Elsa Stoppelmann, werden 1942 in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. Die Mutter wird kurz nach der Ankunft am 26.10.1942 dort ermordet. Für - 31 -

das Ende in der Gaskammer gibt es keine persönlichen Zeichen. Durch Nachforschungen vor Ort in der Gedenkstätte Yad Vashem/Jerusalem ist auch das Todesdatum von Hans Daniel Stoppelmann bekannt. Es ist der 30.6.1944. Dennoch gab es Überlebende der Familie Stoppelmann. Richard Stoppelmann emigrierte am 22.10.1939 mit dem Schiff „Statendam“ von Rotterdam nach New York. Ziel der zehntägigen Überfahrt: die 1440 4th Str. Des Moines in Iowa/USA, die Wohnung des zuvor schon emigrierten Bruders MaxHeinz. Im November 1942 lebten gerade noch 59 Juden in Schleswig-Holstein, verteilt auf 18 Orte. : Quellen für Hans-Daniel und Adele Elsa Stoppelmann G. Paul/M. Gillis Carlebach: Menora und Hakenkreuz zur Geschichte der Juden in und aus Schleswig-Holstein, Lübeck und Altona, Seite 713; Gedenkbuch – Opfer der Verfolgung der Juden unter der NSGewaltherrschaft in Deutschland 1933 bis 1945, Bundesarchiv Koblenz 1986 und Stadtarchiv Elmshorn, Schularchiv der Bismarckschule, H.Diercks/F.Bringmann, „Die Freiheit lebt“, Seite 24, Gedenkstätte Yad Vashem/Israel, Liste von Opfern aus den Niederlanden, Erich Koch/Schleswig, Center of Research on Dutch Jewry, Harald Kirschninck/Elmshorn. Patin für Hans-Daniel Stoppelmann ist die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Elmshorn Patin für Adele-Elsa Stoppelmann ist die Jüdische Gemeinde Elmshorn

schlaflos verfolgt mein ohr die geräusche der nacht ostwind drängt rattern und pfeifen fahrender züge vom nahen bahndamm ins hirn wohin geht die fahrt mein waches denken in deutschlands vergangenheit deren feindbilder weniger wert als vieh gepresst in waggons auf dem weg zu den geduldeten schlachtbänken unsrer nation gut gemacht hitler verhöhnt im jahr 2000 schülerhand schriftlich in der gedenkstätte buchenwald die im lager ermordeten die unbelehrbarkeit hisst ihre fahnen und erprügelt gehör am horziont schmiedet der fruchtbare schoß wieder haken ans kreuz anna haentjens

Antifaschistischer Widerstand und Arbeiterbewegung in Elmshorn Von Dr. Jürgen Brüggemann Die Industriestadt Elmshorn verfügte über eine gut organisierte Arbeiterbewegung. Die Parteien SPD, USPD und KPD, Gewerkschaften, Arbeitersportvereine und andere Organisationen aus dem Arbeitermilieu waren in der Zeit zwischen 1918 und 1933 fest in der Elmshorner Bevölkerung verankert.

von Anfang an in das Visier der schwarzweißroten und braunen Feinde der Republik. So trat Bernhard Bruhn, der bereits in den 90er-Jahren des 19. Jh. als nationalkonservativer Antisemit bekannt war, im Juni 1919 auf einer Versammlung als antisemitischer Redner über die Verschwörung von Freimaurern und Juden an die Öffentlichkeit.

Der von profaschistischen Gruppen und von Nazis ausgehende Terror begann nicht erst 1933. Ebensowenig setzte der antifaschistische Widerstand erst mit der Machtübertragung am 30. Januar 1933 ein. Beides durchzog die Geschichte der Weimarer Republik und hatte seine Wurzeln in den postrevolutionären Auseinandersetzungen 1919/20.

Im Mai 1919 wurde, entsprechend der Anordnung des Volksbeauftragten für Heer und Marine, des späteren Reichswehrministers Gustav Noske (SPD), auch in Elmshorn eine Abteilung der „Organisation Escherich (Orgesch)“, einer der einflussreichsten republikfeindlichen Selbstschutzverbände, durch Barthold Piening gegründet. Von Seestermühe bis Glückstadt entstand eine Anhäufung von Waffenlagern, die immer wieder durch Freikorpsverbände und „schwarze Reichswehr“ gegen die Republik und gegen die Arbeiterbewegung zum Einsatz kamen.

Terror und Verfolgung richteten sich vor 1933 in erster Linie gegen den gut organisierten und aktiven Teil der Arbeiterbewegung. Es waren die Teile, die die Novemberrevolution bis zur Sozialisierung der Produktionsmittel weiterführen wollten, die auch in Elmshorn mit dem Mittel des Generalstreiks die Republik gegen den Putsch von Kapp und Lüttwitz verteidigten und die für Fürstenenteignung und gegen den Panzerkreuzerbau eintraten. Aber auch die jüdische Bevölkerung Elmshorns geriet

Anfang der 20er-Jahre sammelte sich um die Brüder Püttger die völkische Bewegung in Elmshorn. Paramilitärische Organisationen wie “Stahlhelm”, “Werwolf” und “Jungdeutscher Orden” führten Schieß- und Marschübungen durch. Die Keller der Strecker’schen Fabrik dienten als Waffen- 34 -

lager.Die späteren Nazis sammelten sich in Elmshorn in der „Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung“. Nachdem Strasser und der spätere Gauleiter Hinrich Lohse 1925 begannen, in Schleswig-Holstein die NSDAP aufzubauen, wurde auch in Elmshorn eine NSDAP-Ortsgruppe im späteren Parteilokal der NSDAP, Stüben, Norderstraße 12 (1933-45 Schlageterstr.) am 13. Juni 1925 durch Hermann Kober, erster Ortsgruppenleiter, Waldemar Stüben und Bernhard Bruhn gegründet. 1926 stießen Wilhelm Grezesch und Max Mohr zur Ortsgruppe. Grezesch baute sich zur zentralen Figur der faschistischen Bewegung in Elmshorn auf. Der spätere Haupt- und Obersturmführer der SSLeibstandarte „Adolf Hitler“ wurde Ortsgruppenleiter und mit den Worten von Mohr „der erste tatkräftige Führer“. Was mit „tatkräftig“ gemeint war, zeigte sich bald. Grezesch stellte 1927 den Elmshorner SA-Sturm auf und wurde 1931 mit der Aufstellung eines SS-Sturms für den Kreis Pinneberg betraut. Bis zur Machtübertragung auf die Nazis konnte die SA die Zahl ihrer Angehörigen vervielfachen und die Angriffe auf Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerk-

schafter nahmen, trotz organisierter Gegenwehr, immer mehr zu. Es kam auch zu ersten antisemitischen Ausschreitungen gegenüber jüdischen Mitbürgern. Bereits im Jahre 1932 begann die NSDAP auch in Elmshorn den Kampf um die Macht zu führen - der Naziterror eskalierte. Nach einer Reichspräsidentenwahl am 13. März 1932 bereiteten sich SA- und SS-Mitglieder offensichtlich auf einen bewaffneten Umsturz vor.

Uetersen und Barmstedt Handgranaten, von Nazis aus Autos und von Motorrädern geworfen. In Elmshorn wurde die Gastwirtschaft Schütterow in der Reichenstraße getroffen, ein beliebtes Arbeiterlokal, in dem auch das Büro der KPD untergebracht war. Auf die Menschen vor dem Lokal schossen die Nazis aus Pistolen. Koordinator auch dieser Aktion war Wilhelm Grezesch, der zwar wenig später zu

In der Gaststätte Sibirien hatten sich 100 Nazis mit Munition einquartiert und warteten auf das Signal zur gewaltsamen Machtübernahme. Dieses Signal kam nicht; der Reichskanzler von Papen hatte bereits die Weichen anders gestellt. Am 20. Juli 1932 vollzog von Papen den Staatsstreich gegen die preußische Regierung, um mit Deutschnationalen und Nazis ein Kabinett zu bilden. Ein Vorwand für diesen Staatsstreich „von oben“ lieferte der Altonaer Blutsonntag. Grezesch war mit dem gesamten Elmshorner SA-Sturm am „Altonaer Blutsonntag“ beteiligt. Eine Woche danach zogen die Nazis provozierend durch die Elmshorner Ollnsstraße, einem Arbeiterquartier, in dem überwiegend Antifaschisten (Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter) lebten. Es kam zu schweren Zusammenstößen und zahlreichen Verletzten, als empörte Anwohner die Nazis aus ihrem Wohngebiet vertrieben. Unter den Verletzten war auch Grezesch, der später brutal Rache nehmen sollte. In der Nacht vom 31. Juli auf den 1. August detonierten in Elmshorn, Pinneberg,

Reichspräsidenten Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Viele Antifaschisten warteten jetzt auf einen gemeinsamen Aufruf aller Arbeiterparteien zum Generalstreik. Doch der kam nicht, die SPD-Führung in Berlin und die Führung des ADGB verzichteten auf organisierte Abwehr. In Elmshorn jedoch kam es am 10. Februar 1933 zu einer großen gemeinsamen Aktion der Antifaschisten. Nachdem der Gewerkschaftssekretär und Sozialdemokrat Karl Dreyer von einem NaziTrupp brutal zusammengeschlagen worden war, beschloss das Ortskartell der Gewerkschaften eine Demonstration gegen den faschistischen Terror. Noch während der Arbeitszeit versammelten sich die Arbeiter vor den Toren der Betriebe und zogen zum Alten Markt und anschließend in einem Demonstrationszug mit 3500 Teilnehmern durch die Innenstadt. Abends fand eine Versammlung im „Carlstal“ statt.

Doch diese mutige Aktion kam zu spät und stand mit wenigen vergleichbaren Aktionen allein. Nach dem Blick in das Treppenhaus eines Zellentraktes im KZ Hamburg-Fuhlsbüttel (Kolafu). Reichstagsbrand am 28. Februar setzte die massive Verfolgung zunächst der Kommunisten ein. Zuchthaus verurteilt wurde, den man aber Am 6. März besetzten die Nazis das schon im Dezember 1932 als nachgerückten Elmshorner Rathaus und die Polizeiwache NSDAP-Reichstagsabgeordneten aus der und hissten die Hakenkreuzfahne. Trotzdem Haft entließ. 1. ...................................................... Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler vom wurden in den Kommunalwahlen vom 12. - 35 -

März 1933 neben 9 Nazis noch 3 Deutschnationale, 6 Sozialdemokraten und 2 Kommunisten in das Elmshorner Rathaus gewählt. Die Mandate der Kommunisten erloschen jedoch sofort, die der Sozialdemokraten nach dem Verbot der SPD im Juni. Sie wurden alle von NSDAPFunktionären übernommen. Dem noch im Dezember 1932 zum Bürgermeister gewählten Fritz Petersen verweigerte die Landesregierung die Bestätigung und setzte am 21. März den hohen NSDAP-Funktionär Spieler aus Wesselburen in das Amt ein. Als erste Maßnahme ließ Spieler noch im März 31 Antifaschisten aus Elmshorn, Langelohe, Hainholz und Lieth in seinem Beisein verhaften, darunter die kommunistischen Abgeordneten Reinhold Jürgensen und Peter Hasenberg. Weil das Polizei- und Gerichtsgefängnis in der Schulstraße damit überfüllt waren, tat sich der neue Bürgermeister mit dem Vorschlag an den Oberpräsidenten hervor, ein Konzentrationslager für Schleswig-Holstein zu schaffen. Tatsächlich wurde einige Tage später ein KZ in der Landesarbeitsanstalt Glückstadt eingerichtet. Die Elmshorner Häftlinge wurden hier Anfang Mai eingeliefert, Mitte August brachte man dann 15 von ihnen in das KZ . Kuhlen. 2. Am 8. April meldeten die „Elmshorner Nachrichten“ (EN) Hausdurchsuchungen in 60 Wohnungen. Mitte April besetzten SS-Leute erstmalig das Gewerkschaftshaus in der Schulstraße 58 und verbrannten Fahnen und Bilder. Am 2. Mai wurde es erneut gestürmt, die Gewerkschaften verboten und

das Gewerkschaftseigentum beschlagnahmt. W. Bosse, der Vorsitzende des Metallarbeiterverbandes, hatte jedoch dafür gesorgt, dass den Nazis keine Mitgliederlisten oder Geld in die Hände fielen. Dafür wurde er zu einem Dreivierteljahr Gefängnis verurteilt.

„Schutzhaft“ genommen. Die größte Ver-haftungswelle in Elmshorn setzte jedoch im Oktober 1934 ein. In mehreren großen Razzien wurden vom 29. Oktober bis zum 21. Februar 1935 insgesamt 290 Männer und Frauen aus Elmshorn und Umgebung

Offener Widerstand war nach den Reichstagswahlen vom März 1933 so gut wie nicht mehr möglich. Auf eine Arbeit in der Illegalität war jedoch die SPD nicht vorbereitet. Im ersten halben Jahr nach der „Machtergreifung“ gab es zwar noch Zusammenkünfte in der Wohnung von Karl Dettmann, man sammelte Gelder für Inhaftierte und ihre Angehörigen und verteilte kleine Flugschriften aus Berlin, doch danach zerfiel die Organisation. Viele Sozialdemokraten hielten jedoch untereinander Kontakt und tauschten Informationen aus, einige beteiligten sich auch an den Widerstandsaktionen der KPD, die ihre Parteiorganisation in der Illegalität neu strukturiert hatte. Am 10. Februar meldeten die EN die Verhaftung von drei Mitgliedern der verbotenen SAP; Friedrich Weinhold, Ernst Ladewig und Fritz Brose. Ihnen wurde u. a. vorgeworfen, die Widerstandsgruppe „Neue proletarische Kampffront“ gebildet und Flugblätter an Elmshorner Persönlichkeiten geschickt zu haben. Am 18. April 1934 verhaftete die Polizei zirka 60 Mitglieder der verbotenen „Volkshilfe mit Bestattungsfürsorge“, einer Unterorganisation des Deutschen Freidenker-Verbandes. Vom 1. April 1934 bis zum 15. Juni 1934 wurden in Elmshorn 227 Personen wegen politischer Delikte in - 36 -

Zelle im KZ Hamburg-Fuhlsbüttel (Kolafu). „wegen Vorbereitung zum Hochverrat resp. sonstiger politischer Umtriebe“ festgenommen. In den Prozessen gegen „Offenborn und andere“ wurde gegen 296 Widerstandskämpfer aus dem Kreis Pinneberg prozessiert. 261 Frauen und Männer wurden zu insgesamt 701 Jahren und 12 Monaten Freiheitsstrafe in Zuchthaus

und Gefängnis verurteilt. Viele von ihnen wurden nach Abbüßung der Freiheitsstrafe in ein Konzentrationslager verschleppt.3

Verfolgung in Elmshorn 1933-1945“ in: Beiträge zur Elmshorner Geschichte Bd. 3, S. 29-44

Widerstand artikulierte sich später auch in Form eines jugendlichen Nonkonformismus. So fand sich 1944 auch in Elmshorn eine Gruppe von Jugendlichen, die genug von Gleichschaltung und Drill hatten und der Marschmusik und den Durchhalteschnulzen das gemeinschaftliche Hören von Swingmusik entgegensetzten.

1Vgl.: Bringmann / Diercks: „Die Freiheit lebt…, S. 17 2 Vgl.: Ebenda, S. 40 ff. 3 Vgl.: Ebenda, S. 70 ff.

Sie erregten Aufmerksamkeit durch abweichendes Äußeres und sie hörten den verbotenen Londoner Rundfunk. Als HJ-Mitglieder einem dieser Jugendlichen gewaltsam die Haare kürzten, kam es zu Prügeleien. Am 6. März 1944 wurden 13 Jugendliche vor dem Apollo-Kino festgenommen und inhaftiert, bis man sie zum „Volkssturm” einzog. Gegen Kriegsende hatte der Sozialdemokrat Heinrich Arp, Inhaber der Butterschmelze am Bauerweg, Kontakt zu Widerstandskämpfern in Hamburg aufgenommen. Er traf sich mit Elmshorner Antifaschisten, um ein politisches Konzept für die Zeit nach dem Sturz der Nazidiktatur zu erarbeiten. Damit begann aber bereits das letzte Kapitel des Widerstandes, das der Selbstbefreiung Elmshorns. Quellen: Diese zusammenfassende Darstellung stützt sich im Wesentlichen auf Fritz Bringmann und Herbert Diercks: „Die Freiheit lebt! Antifaschistischer Widerstand und Naziterror in Elmshorn und Umgebung 1933-1945“. Frankfurt/M. 1983. Außerdem: Herbert Diercks: „Berichte von Widerstand und

Das Torhaus, der frühere Eingang zum KZ Hamburg-Fuhlsbüttel (Kolafu). Auch die Elmshorner NS-Opfer mussten es passieren. Heute ist in dem Gebäude eine Gedenkstätte eingerichtet.

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Reinhold Jürgensen Morthorststraße 14 (Plan Nr. 1) Von Bert C. Biehl Reinhold Gustav Jürgensen wurde am 18. März 1898 in Elmshorn geboren. Er erlernte das Elektrikerhandwerk und trat 1922 in die drei Jahre zuvor gegründete KPD ein. Ab 1924 war er Kreisdeputierter (bis 1926), Stadtverordneter (bis 1933) und Funktionär der KPD-Bezirksleitung “Wasserkante”. Bei der Reichstagswahl am 6. November 1932 wurde Jürgensen in den Reichstag gewählt. Er blieb weiterhin Elmshorner Stadtverordneter. Am 10. Dezember 1932 war seine Stimme ausschlaggebend für die Wahl des sozialdemokratischen Bürgermeisters Fritz Petersen. Zur Jahreswende 1932/33 begann Jürgensen mit dem Aufbau einer UntergrundOrganisation der KPD - die zunehmenden Straßenkämpfe und die Hetze gegen die Partei hatten diesen Schritt nahegelegt. Den Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 schoben die Nazis den Kommunisten in die Schuhe. Danach wurden Versammlungen und Publikationen der KPD verboten. Dennoch trat die KPD noch einmal zur Reichstagswahl am 5. März an. Durch die politischen Umstände erhielt sie diesmal weniger Mandate. Auch Jürgensen schaffte den Einzug ins Parlament nicht mehr. Am 8.

März wurden den KPD-Abgeordneten die Mandate per Notverordnung aberkannt. Bei den Kommunalwahlen am 12. März 1933 wurde Jürgensen abermals ins Kollegium gewählt. An der konstituierenden Sitzung am 31. März 1933 konnte er schon nicht mehr teilnehmen: Er war auf Veranlassung des kommissarischen Bürgermeisters Christian Spieler verhaftet und ins KZ Fuhlsbüttel gebracht worden. Am 2. Juni wurde er wieder entlassen. Doch schon drei Wochen später, am 26. Juni, wurde Jürgensen erneut verhaftet. Bis zum 25. September war er als sogenannter “Schutzhäftling” in den schleswig-holsteinischen KZs Glückstadt und Kuhlen bei Neumünster interniert. Zwischen dem 13. und 19. Dezember 1934 verhaftete die Gestapo rund 330 Frauen und Männer in den Orten Elmshorn, Barmstedt, Pinneberg, Uetersen und Umgebung. Unter den Verhafteten war am 19. Dezember auch abermals Reinhold Jürgensen. Der Fang war der Gestapo offenbar so wichtig, dass sich deren für seine Brutalität berüchtigter Leiter Bruno Streckenbach - 38 -

Reinhold Jürgensen selbst nach Elmshorn bemühte. Über das Verhör schrieb die Publizistin Gertrud Meyer: “Im Beisein des Bürgermeisters von Elmshorn (Karl Krumbeck, NSDAP; d. A.) wurde er im dortigen Polizeigebäude von SS-Sturmbannführer Streckenbach und Kriminalkommissar Stawitzki vernommen. Anschließend kamen sämtliche Verhaftete nach Hamburg ins Konzentrationslager Fuhlsbüttel. Am nächsten Morgen (dem 20. Dezember 1934, d. A.) war Reinhold Jürgensen tot. Wie immer, wenn ein Häftling nachts erschlagen worden war, behauptete die Gestapo, er habe sich erhängt.” 1

Nach späterer Aussage des Zeugen Hermann Göck, der gemeinsam mit Jürgensen nach Fuhlsbüttel verschleppt wurde, hatten die Polizisten Jürgensen vor dem Abtransport noch aufgefordert, vor seinen Kameraden und den Nazis die “Internationale” zu singen. Jürgensen habe geantwortet: “Auf euren Befehl singe ich sie nicht.”

Quellen: 1„Nacht über Hamburg, Bericht und Dokumente 1933-1945“, Gertrud Meyer, Frankfurt/M. 1971 “Die Freiheit lebt”; Bringmann/Diercks

Patin für Reinhold Jürgensen ist die DKP Elmshorn

Der Gefangene muss übel gefoltert worden sein. Einigen Quellen zufolge durften seine Angehörigen die Leiche nicht sehen. Sie wurde auf Kosten der Hamburger Polizei in Elmshorn beerdigt. Im Jahr 2008 erinnert sich die 82-jährige Käthe Buckschat, eine Tochter von Hans Emil Jürgensen und somit Nichte von Reinhold: “Mein Vater musste die Leiche vom Kolafu abholen. Er hat die schlimmen Verletzungen gesehen. Aber sie haben ihm verboten, darüber zu sprechen.” Hans soll auch vor der Teilnahme an der Beisetzung gewarnt haben mit den Worten: “Kommt lieber nicht, die Gestapo trägt den Sarg!” Käthe Buckschat war zum Todeszeitpunkt Reinhold Jürgensens zwölf Jahre alt. Reinhold Jürgensen hinterließ eine Frau und eine damals zwölfjährige Tochter. 1986 ehrte die Stadt Reinhold Jürgensen mit der Benennung des Platzes in einem Wohngebiet, in dem früher viele Anhänger der KPD wohnten. Jürgensens Name steht zudem auf dem Gedenkstein vor dem Rathaus. Als früherer Reichstagsabgeordneter hat er einen Eintrag im Ehrenbuch des Deutschen Bundestages.

Die Familie Jürgensen in einer Aufnahme von 1914. Hintere Reihe von links: Julius, Reinhold, Elli, Hans Emil. Vorne von links: Nikolaus, Mutter Margarethe Dorothea, Richard, Vater Hans Niklas. Ganz rechts: Alfred. Auch Nikolaus Jürgensen wurde von den Nazis verfolgt. Als KPD-Mitglied erhielt er im OffenbornProzess zwei Jahre und sechs Monate Zuchthaus.

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Richard Jürgensen Kirchenstraße 51 (Plan Nr. 8) Von Alfred Rasmussen Richard Jürgensen wurde am 6. August 1903 geboren. Er war von Beruf Schneidergeselle und ein Bruder des Elmshorner Reichstagsabgeordneten Reinhold Jürgensen (KPD). Richard Jürgensen trat im Jahre 1927 der KPD und der „Roten Hilfe“ (1) bei. 1931 wurde er zum politischen Leiter der „Roten Hilfe” in Elmshorn gewählt. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Organisation 159 zahlende Mitglieder. Unter der Führung von Richard Jürgensen erhöhte sich der Mitglieder-bestand sehr schnell auf 518 Personen. Als Nebenorganisation der KPD und gleichzeitig als bedeutende Massenorganisation in der Arbeiterbewegung wurde die „Rote Hilfe“ im März 1933 durch die NS-Machthaber verboten. Trotz der nun sehr erschwerten Bedingungen und unter permanenter persönlicher Gefahr arbeitete Richard Jürgensen in der Illegalität weiter und konnte ungefähr 170 Mitglieder dazu bewegen, weiterhin Beiträge (2) für die Organisation zu zahlen. „Solidarität“, die Zeitung der RHD, wurde unter seiner Verantwortung trotz der Illegalität weiter vertrieben. Am 15. März 1933 wurde Richard Jürgensen von der

Gestapo verhaftet und blieb bis zum 1. April in „Schutzhaft“. Danach kam er bis Ende April ins Krankenhaus. Im September hatte er die Führung der „Roten Hilfe” wieder übernommen. Im Rahmen der Elmshorner Verhaftungswelle im Herbst 1934 wurde Richard Jürgensen am 29. 0ktober zusammen mit seiner Ehefrau Frieda und drei weiteren Mitgliedern der illegalen KPD erneut von der Gestapo verhaftet, bis zum 27. August 1935 in sogenannter Schutzhaft eingekerkert und war dann bis zum Beginn des Offenborn-Prozesses A in Untersuchungshaft. Im Offenborn-Prozess wurde er am 13. Dezember zu acht Jahren Zuchthaus und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf die Dauer von zehn Jahren verurteilt. Nach Verbüßung der achtjährigen Zuchthausstrafe im Jahre 1942 wurde Richard Jürgensen nicht entlassen, sondern kam als “Schutzhäftling” wieder in ein Konzentrationslager. Von den zwölf Jahren faschistischer Terrorherrschaft verbrachte Richard Jürgensen zehneinhalb Jahre in ihren Konzentrationslagern und Zuchthäusern. Er - 40 -

Richard Jürgensen (Datum des Fotos unbekannt). starb am 22. März 1945 im „Arbeitserziehungslager“ der Gestapo in Hamburg-Wilhelmsburg durch einen Bombenangriff. : Anmerkungen: 1) Im April 1921 entstanden als Folge der politischen Repressionen nach den Märzkämpfen Rote-Hilfe-Komitees. Am 1. Oktober 1924 wurde die „Rote Hilfe Deutschland” (RHD) gegründet. Ihr erster Vorsitzender war der spätere erste und einzige Präsident der DDR, Wilhelm Pieck. Ab 1925 übernahm Clara Zetkin die

RHD-Leitung. Nach dem Tod Julian Marchlewskis im selben Jahr leitete sie auch die Internationale Rote Hilfe. Anfangs war die Organisation mit der Kampagne „Rote Hilfe für Opfer des Krieges und der Arbeit” für den Internationalen Bund der Opfer des Krieges und der Arbeit aktiv. Der Schwerpunkt der Arbeit lag jedoch auf

Parteilosen und deren Angehörigen. Die RHD wurde von prominenten Künstlern, Schriftstellern und Wissenschaftlern wie Käthe Kollwitz, Heinrich Mann, Kurt Tucholsky und Albert Einstein unterstützt. Zum Zeitpunkt ihres Verbots im März 1933 hatte die RHD 530.000 Mitglieder, von denen 119.000 der KPD und 15.000 der SPD angehörten. 2) Erwerbslose und Frauen bezahlten 0,10 Reichsmark und Erwerbstätige 0,40 Reichsmark im Monat. Paten für Richard Jürgensen sind die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN/BdA) sowie der Religionskurs des 10. Schuljahres der Kooperativen Gesamtschule Elmshorn (KGSE) mit ihrem Lehrer Michael Noch und den Schülerinnen und Schülern Hanna Brehling, Marius De Marchi, Gesa Derda, Dennis Elfendahl, Nils-Hendrik Hauschildt, Malte Hein, Laura Heißwolf, Beke Jansen, Vanessa Kruse, Jan Kurzweg, Lasse Melcher, Inka Möller, Christoph Otto, Christoph Paasch, Yannik Quast, Mailin Rose, Anton Schopf, Tim Stöhrmann, Sergej Wilhelm.

Richard Jürgensen 1935 im Konzentrationslager Fuhlsbüttel, gezeichnet vom Hamburger Mithäftling Walter Flesch. der Unterstützung der inhaftierten Mitglieder des Rotfrontkämpferbundes, der KPD, der SAP, KAP, Gewerkschaftern wie auch - 41 -

Heinrich Kastning Ludwig-Meyn-Straße 5 (Plan Nr. 2) Von Bert C. Biehl “Der Untersuchungshäftling Heinrich Kastning wurde heute beim Aufschluß um 6 Uhr in seiner Zelle tot aufgefunden. Es liegt Freitod durch Erhängen vor. Sofort angestellte Wiederbelebungsversuche waren erfolglos.” Darunter folgt ein unleserlicher Krakel. Die Dienstbezeichnung: Verwaltungsamtmann. Mit dieser Mitteilung an die Kieler Staatsanwaltschaft ist für die Gestapo die Gefangenensache unter der Registriernummer 864/41 erledigt. Es ist der 15. August 1941. Um 14.50 Uhr an jenem Freitag sendet die Deutsche Reichspost in Kiel ein Telegramm nach Elmshorn. Empfängerin: Grete Kastning, Ludwig-Meyn-Straße 5. Die frisch gebackene Witwe soll binnen 24 Stunden mitteilen, ob sie die Bestattungskosten übernimmt. Heinrich Kastnings Frau macht sich, begleitet von einer Nachbarin, umgehend auf den Weg nach Kiel. Im dortigen Untersuchungsgefängnis in der Faeschstraße 10 erzählt man ihr, ihr Mann habe sich mit dem Hosenträger am Bettpfosten erhängt. Grete verlangt die Leiche zu sehen. Nur widerstre-

bend wird sie in die Leichenhalle geführt. Heinrich Kastnings Leiche ist übel zugerichtet. Seltsame Wunden am Kopf, Einschusslöchern gleich, aus denen Blut sickert. Woher die stammen, will Grete wissen, doch die Wärter bleiben ihr die Erklärung schuldig. Sie darf den Toten nach Hause überführen. Aber sie muss ihren Mann auf dem Elmshorner Friedhof in einer speziellen Ecke verscharren lassen, die für Staatsfeinde reserviert ist. Heinrich hatte recht behalten: “Ich komme wohl nicht mehr wieder”, hatte er gesagt, als sie ihn zuletzt lebend gesehen hatte, im Gestapo-Hauptquartier in der Kieler Düppelstraße, gerade verhaftet, am Kopf verletzt, am ganzen Körper zitternd. Als letztes trägt er ihr auf, die Kinder zu grüßen. Rückblende. Heinrich Ernst Wilhelm Kastning wird am 18. Dezember 1904 in der Gemeinde Heeßen im Kreis Bückeburg (heutiges Niedersachsen) geboren. Nach der achtjährigen Volksschulzeit absolviert er in Hannover eine Bäckerlehre. Ein Jahr arbeitet er noch als Geselle, wechselt dann ins Baugewerbe. 1926 schließlich findet er Arbeit in der Elmshorner Margarinefabrik Rostock. Am 8. Mai 1926 heiratet er die drei - 42 -

Heinrich Kastning (Datum des Fotos unbekannt) Jahre jüngere Grete Wienberg aus Seestermühe. Das Paar wird drei Kinder haben, zwei Mädchen, einen Jungen. Ebenfalls 1926 tritt er der Freien Gewerkschaft bei, 1931 der kommunistisch orientierten “Revolutionären GewerkschaftsOpposition” (RGO), 1932 der KPD. Da liegt die schwache Demokratie der Weimarer Republik bereits in Agonie. Straßenterror von SA und SS ist an der Tagesordnung, meist drückt die Polizei beide Augen zu oder macht sich sogar zum Handlanger des

Terrors. Derweil schürt die bürgerliche Lokalpresse die Stimmung - vor allem gegen Kommunisten. 1933, nachdem die Mehrheit der deutschen Wahlberechtigten Hitler die Reichskanzlerschaft gesichert hat, beginnt die große Hetzjagd auf alle, die sich den braunen Herren nicht unterordnen wollen. Nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar, der den Kommunisten in die Schuhe geschoben wird, verbieten die Nazis die KPD und ihr nahestehende Organisationen. Per “Notverordnung” wird die politische Verfolgung Andersdenkender legalisiert. Am 2. Mai 1933 besetzen die Nazis die Gewerkschaftshäuser, verhaften die Funktionäre, beschlagnahmen die Kassen. Die RGO hatte diese Entwicklung vorausgesehen und bereits 1932 begonnen, Untergrundstrukturen aufzubauen. Im April 1933 wird Heinrich Kastning Hauptkassierer der RGO. Bis Dezember 1934 sammelt er monatlich von den Unterkassierern in den vier Elmshorner RGO-Industriegruppen die Mitgliedsbeiträge ein. Kuriere leiten sie an die Unterbezirksleitung in Altona weiter. Auf geheimen Treffen, so im Liether Gehölz, besprechen die Verfolgten ihre nächsten Schritte. So verteilt Kastning unter anderem auch Zeitungen der verbotenen KPD. Doch das Netz der Verfolger zieht sich zu. Zwischen dem 13. und dem 19. Dezember 1934 verhaftet die Gestapo rund 330 Frauen und Männer in den Orten Emshorn, Barmstedt, Pinneberg, Uetersen und Umgebung.

Nach der Erinnerung seiner Tochter Erna wird Kastning an seinem Geburtstag, dem 18. Dezember, arrestiert. Bis zum 21. Mai 1935 wird er im KZ Hamburg-Fuhlsbüttel gefangen gehalten, danach im KZ Esterwegen im Emsland, in dem zeitgleich auch der Publizist Carl von Ossietzky einsitzt.

Beton-Facharbeiter an. Er wohnt in Kiel in der Schauenburgerstraße 26 zur Untermiete, fährt nur am Wochenende nach Hause. Tochter Erna, heute 77, erinnert sich an einen liebevollen Vater, der mit den Kindern sonntags badete, Schularbeiten machte und im Winter in der Wohnung Ballversteck spielte.

Erst Anfang 1936 beginnen in Hamburg die “Offenborn-Prozesse”, benannt nach dem Elmshorner KPD-Funktionär Johannes Offenborn. Wer von den im Rahmen der Verhaftungswelle Verschleppten nicht bereits von den NS-Schergen umgebracht wurde, erhält vor diesem Gericht zumeist hohe Haftstrafen.

Am 10. Juli 1941, einem Donnerstag, erscheint ein Arbeitskollege bei der Gestapo. Der Däne Leo Olsen, Kastnings Mitbewohner in der Schauenburgerstraße, gibt an, Kastning habe ihn zum Kommunismus bekehren wollen, sich über Nazigrößen lustig gemacht und ihn beschimpft, weil er, Olsen, Mitglied der dänischen SA sei.

Gegen Heinrich Kastning lautet die Anklage auf “Vorbereitung zum Hochverrat”. Man legt ihm zur Last, RGO-Kassierer gewesen zu sein, an die KPD Beiträge entrichtet zu haben und an der Vorbereitung verbotener Schriften mitgewirkt zu haben. Kastning wird am 11. Juli 1936 zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt - einer Form der Strafanstalt, mit der verschärfte Haftbedingungen wie schwere körperliche Arbeit verbunden waren und die in der Bundesrepublik erst 1969 abgeschafft wurde.

Die Denunziation hat Folgen. Am 24. Juli, ebenfalls einem Donnerstag, wird Kastning um 11 Uhr auf seiner Arbeitsstelle verhaftet. Laut Verhörprotokoll bestätigt er einige der ihm zur Last gelegten Vorwürfe.

Kastning verbüßt seine Strafe im Zuchthaus Rendsburg und im Gefangenenlager Ascherndorfermoor. Die Untersuchungshaft von einem Jahr und sechs Monaten wird gnädig angerechnet. Nach der Erinnerung seiner Angehörigen hat Kastning im Kreise der Familie nie über diese Zeit gesprochen. Nach der Entlassung fängt der PfeifeRaucher in Kiel bei einer Tiefbaufirma als - 43 -

“Auf Vorhalt gebe ich zu, auch heute noch Kommunist zu sein”, heißt es in den Akten. Als Kastning am Wochenende nicht wie gewohnt nach Hause kommt, fährt seine Frau Grete zwecks Nachforschung nach Kiel. Als sie ihn schließlich bei der Gestapo kurz sehen darf, stellt sie fest, dass ihm die Lippe blutig geschlagen wurde. Noch ein zweites Mal kann sie ihren Mann besuchen. Am 15. August ist Heinrich Kastning tot. Pate für Heinrich Kastning ist der SPD-Ortsverein Elmshorn

Max Maack Hogenkamp 7 (Plan Nr. 3) Von Jens Gatzenmeier und Bert C. Biehl Diesen Tag hat Günter M. nie vergessen. Wie plötzlich, gegen Mittag, ein großes, schwarzes Auto mit quietschenden Bremsen vor dem kleinen Verkaufspavillon hält. Männer in schwarzen Ledermänteln herausspringen. An ihm vorbeistürmen in den Verkaufsraum. Seinen Onkel abführen. Den Laden schließen. Der 1. April 1942 - es ist das letzte Mal, dass der Elfjährige den Onkel lebend sieht. Drei Tage später ist Max Maack tot. Er hat sich in seiner Zelle im Elmshorner Polizeigefängnis erhängt. Max Maack wurde am 2. September 1897 in Elmshorn geboren. Er war der Sohn von Hinrich Maack, einem der Mitbegründer und Vorsitzenden des 1893 gegründeten AC Einigkeit (ACE). Als junger Mann musste er am 1. Weltkrieg teilnehmen und büßte an der Front das linke Bein ein. Dem Sport konnte er sich daher nur noch als Funktionär widmen. Es wird angenommen, dass Max Maack von 1919 bis 1930 Vorsitzender des ACE war. Maack wählte für sich den Beruf des Zigarrenhändlers und betrieb seit 1928 einen Kiosk am sogenannten

"Panzerkreuzer", Ecke Reichen- und Ansgarstraße. Nach der Heirat mit Anne Mohr zog er in das Haus seines Schwagers ähnlichen Nachnamens am Hogenkamp 7. Matthias Maak, von Beruf Mühlenzimmerer in der Schlüter-Mühle, war verheiratet mit Annes Schwester Maria Mohr. Die Familie Maak hatte neun Kinder. Das Haus wurde 1926 gebaut. Hier hatten Max Maack und seine Frau im 1. Stock zwei Zimmer und eine Küche. Ihre Ehe blieb kinderlos. Sein Neffe Günter beschreibt Max als ruhigen, umgänglichen Menschen, der von 7 bis 19 Uhr in seinem Laden stand, seine Frau als einzige Hilfe. "Er sprach wenig, aber wenn, dann hatte es Hand und Fuß", erinnert sich Günter M. Nur über Politik sprach er nie. Doch seine Vorliebe für den Kommunismus blieb der Familie nicht verborgen: In seiner kargen Freizeit las Max Maack entsprechende Bücher. Maack trat 1931 der KPD bei. Mit nach Hause brachte er die Genossen nie. Wohl um die Familien nicht zu gefährden, traf er sich mit ihnen im Kiosk. Mit Beginn der Kommunistenverfolgung begann jedoch auch die Verwandschaft die Spannung zu spüren. "Wenn dat man goot geiht", flüsterte

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Max und Anne Maack bei der Hochzeit um 1928 man hinter vorgehaltener Hand über das politische Engagement von Max Maack. Der Laden florierte unterdessen. Maack hatte auch mit der Produktion von Speiseeis begonnen, Neffe Günter belieferte damit Ausflugslokale in der Umgebung. Auch Südfrüchte habe der Onkel sich leisten können, erinnert sich der heute 76-Jährige, und auch ein Auto der Marke Fiat besaß Max Maack. Ende 1934 ist es mit der Idylle vorbei. Im Zuge der großen Verhaftungswelle

im Kreisgebiet wird auch Max Maack als KPD-Mitglied festgenommen. In den "Offenborn"-Prozessen wird er am 29. Januar zu zwei Jahren und sechs Monaten Zuchthaus verurteilt, die er vermutlich in Rendsburg verbüßt. Als er 1939 wieder entlassen wird, übernimmt er wieder das Geschäft, das seine Frau in der Zwischenzeit alleine hatte führen müssen. Über seine Haftjahre schweigt er eisern. Doch seither muss er Medikamente nehmen - er hatte sich im Knast ein heute nicht mehr bekanntes Leiden zugezogen. Mittlerweile haben sich die Zeiten geändert.

Max Maack (links) mit den Kreismeistern im Tauziehen vom AC Einigkeit 1927.

Der Kiosk von Max Maack am “Panzerkreuzer” um 1930. Die Zeichen stehen auf Mangelwirtschaft. Max Maack erweist sich als guter Organisator, der auch nach Kriegsbeginn an Zigaretten und Schokolade herankommt, was ihn zum beliebten Tauschpartner macht. Maack hat seinen Pavillon, wie auch das Gelände dahinter, von der Glaserei Horns

gepachtet. In einem kleinen Seitenraum hielt er wohl insgeheim ein paar Schweine, sagt sein Neffe heute. Zur damaligen Zeit habe die Familie nichts davon gewusst, auch nichts von dem begehrten Fleisch abbekommen. Heute wird vermutet, dass Maack diese Schweine schwarz geschlachtet hat in der Nazizeit ein mit Zuchthaus bedrohtes Verbrechen. Das Fleisch könnte er dann gegen Tabakwaren eingetauscht haben. Nach Maacks Verhaftung stellt die Polizei in seiner Wohnung mit Schmalz gefüllte Töpfe sicher, aber auch von Maack gerettete Gerätschaften des 1933 verbotenen AC Einigkeit. Am 4. April 1942 nimmt sich Maack in seiner Zelle im Elmshorner Polizeigefängnis das - 45 -

Leben. Er hatte sich aus Zeitungsseiten einen Strick gedreht. "Er wusste wohl, was ihm bevorstand und wollte dem entgehen", sagt sein Neffe heute. Pate für Max Maack ist Jens Gatzenmeier

von nichts gewusst kinderlachen muttertrost lebensspur millionenfach erschlagen zerschossen verloren im rauch des unfassbaren leids von nichts gewusst deutsche biederlichkeit klopft sich den bauch kocht weiter den einerleitopf aus geht mich nicht an über alles in der welt am stammtisch gemütlichkeit das waren noch zeiten die des kriegreichen heils ruhe und ordnung im mein kein dein sonst nichts gewusst blindes ohr und taubes herz schickt die parolen von gestern im stechschritt auf stimmenfang wieder fordernd den arischen pass

anna haentjens

“Euthanasie” - der Mord an Kranken und Behinderten Von Renate Blask, Angelika Busse, Gisela Hansen, Käthe Hartung und Dirk Maier Psychisch kranke, körperbehinderte und geistig behinderte Menschen wurden während der Hitler-Diktatur als „lebensunwert“ bezeichnet und aus „rassehygienischen Gründen“ systematisch verfolgt, zwangssterilisiert und/oder umgebracht. 1934 trat das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ in Kraft. In Schleswig-Holstein stellten Amtsärzte der Kreisgesundheitsämter Anträge auf Unfruchtbarmachung vor einem der vier neu eingerichteten „Erbgesundheitsgerichte“ (in Lübeck, Flensburg, Altona oder Kiel). Die Zwangseingriffe wurden dann in einer der 44 chirurgischen und gynäkologischen Kliniken in Schleswig-Holstein durchgeführt. Von 1934 bis 1940 wurden in SchleswigHolstein 4.400 Psychiatriepatienten und behinderte Menschen zwangssterilisiert; ab 1939 gab es einen Rückgang der Sterilisationen, da die Ärzte und Einrichtungen nun für die Versorgung von Soldaten, der Zivilbevölkerung, aber auch zur Tötung (Euthanasie) der als „Erbkranken“ bezeichneten Menschen eingesetzt wurden.

1939 - nach Inkrafttreten des EuthanasieErmächtigungsschreibens von Hitler begann der systematische Massenmord an psychisch Kranken und geistig oder körperbehinderten Menschen (sogenannte “Aktion T4” - nach dem Sitz der zuständigen Dienststelle in der Berliner Tiergartenstraße 4). Dies geschah anfangs in psychiatrischen Anstalten, z.B. durch systematische Vernachlässigung der Patienten, medizinische Versuche, Unterlassen medizinischer Hilfeleistung, Verabreichen von tödlich wirkender Medizin (Luminal) oder Giftspritzen. Ab 1940 fand das Massenmorden dann auch in den Gaskammern von Brandenburg, Bernburg, Grafeneck, Hadamar oder Prina statt, wohin die Opfer verlegt wurden. Zwischen 1939 und 1945 wurden in Schleswig-Holstein mehr als 2000 psychisch kranke Menschen aus psychiatrischen Kliniken wie Rickling, Neustadt, SchleswigHesterberg und Lübeck-Strecknitz in Vernichtungslager abtransportiert und dort ermordet. Den Verwandten wurden als Todesursache

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TBC oder andere Erkrankungen genannt, der Mord auf diese Weise vertuscht. Auf Wunsch konnten sich die Angehörigen die Urne mit der Asche des/der Verstorbenen zusenden lassen. Die AG Stolpersteine sucht Namen weiterer Elmshorner Opfer.

Reichsgesetzblatt vom 25. Juli 1933 mit der Verkündung des "Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses". Quelle: http://www.landesarchivbw.de/sixcms/detail.php?template=hp _artikel&id=9338&id2=8455&sprache=de {{PD}} - 49 -

Heinrich Sibbert Fuchsberger Allee 22 (Plan Nr. 15) Von Gisela Hansen Fuchsberger Allee 22 – dieses Grundstück direkt neben den Gleisen der AKN ist vielen Elmshornern durch seinen liebevoll gestalteten Garten bekannt: außer Pflanzen sind dort auch Nachbildungen verschiedener Gebäude, z.B. des Hamburger Michel, zu bewundern. Vor diesem Haus soll am 15. April 2008 von dem Kölner Künstler Gunter Demnig ein Stolperstein zum Gedenken an Heinrich Gottlob Friedrich Sibbert verlegt werden, der hier seine Kindheit und Jugend verbrachte und im Alter von 34 Jahren getötet wurde, weil er unheilbar krank war. Dies fand der Arbeitskreis Stolpersteine nach längeren Recherchen jetzt mit Hilfe des Berliner Historikers Dr. Harald Jenner heraus. Sibberts Neffe Hans-Heinrich, der jetzt im Haus seiner Großeltern wohnt, war nach kurzem Zögern bereit, die Aktion zu unterstützen. „Viele Einzelheiten zum Lebensweg von Onkel Heini kann ich leider nicht beitragen“, erzählt der pensionierte Berufsschullehrer, „aus der vorigen Generation lebt niemand mehr, und über sein schreckliches Schicksal

wurde in meinem Beisein allenfalls in Andeutungen gesprochen.“ Heinrich Sibbert wurde am 6. Oktober 1906 in Elmshorn geboren. Seine Eltern Heinrich Marcus Sibbert und Anna Catharina, geb. Schilling, hatten noch fünf weitere Kinder: Hermann, Emma, Ernst, Anni und Hans. Vater Sibbert war Maurer, und auch Heinrich erlernte dieses Handwerk. Nach einer im Bundesarchiv in Berlin aufbewahrten Akte kam er 1934 in die damalige „Provinzial-, Heil- und Pflegeanstalt“ Neustadt. Neffe Hans-Heinrich, Jahrgang 1937, erinnert sich an ein Foto, auf dem er als kleiner Junge mit Onkel Heini auf dem großelterlichen Hof zu sehen ist. „Ich hatte nicht den Eindruck, dass er irgendwie krank war; später hieß es, er habe einen Unfall gehabt.“ Die Vorstellung, dass unheilbare kranke Menschen kein Recht auf Leben hätten, ja dass es geradezu zur Pflicht werden könne, sie zu töten, hatte schon lange vor der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten viele Anhänger, auch unter angesehenen Juristen und Ärzten. Man war der Meinung,

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Heinrich Gottlob Friedrich Sibbert wurde Opfer der NS-Euthanasie. dass die Fortschritte in Medizin und Sozialfürsorge der „natürlichen Auslese“ schwacher und nicht lebenstüchtiger Menschen entgegenstünden. Diese Menschen wurden als „leere Menschenhülsen“ angesehen, für die der

strafrechtliche Schutz nicht gelte; es wurde unterstellt, dass sie sich nach „Erlösung“ sehnten. Wirtschaftliche Argumente kamen hinzu („Ballastexistenzen“, „nutzlose Esser“).

Heinrich Sibbert starb am 9. Juli 1941 in der Tötungsanstalt Bernburg / Saale; vermutlich zusammen mit 92 weiteren Patienten, die am 13. Juni 1941 aus Neustadt zunächst in die „Zwischenanstalt“ Königslutter gebracht worden waren.

Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, zogen sie aus der theoretischen Unterscheidung zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben die tödlichen Konsequenzen: zunächst durch gesetzlich angeordnete Zwangssterilisierungen, von denen mehr als 350.000 Menschen betroffen waren, später durch massenhaftes Töten von Kranken und Behinderten. Sie verwendeten dafür das aus dem Altgriechischen stammende Wort „Euthanasie“, das eigentlich „guter Tod“ bedeutet.

Die systematische Nutzung von „Zwischenanstalten“ diente dazu, die „Kapazitäten“ der sechs Tötungszentren zu steuern und etwaige Nachforschungen von Verwandten zu erschweren. Meistens wurde den Familien mitgeteilt, dass ihr Angehöriger an einer Krankheit (z. B. Herzschwäche) gestorben sei und es wurden Urnen, gefüllt mit Asche von verschiedenen Opfern, übersandt.

Die Tötungsaktionen werden in der Rückschau nach den organisatorischen Rahmenbedingungen in vier Abschnitte eingeteilt; Heinrich Sibbert gehört zu den Opfern der im Oktober 1939 eingeleiteten“ Aktion T4“.

Nach Hans-Heinrich Sibberts Erinnerung haben seine Großeltern während des Kriegs von dem schrecklichen Schicksal ihres Sohnes nichts erfahren. Vor allem die Großmutter habe die Hoffnung auf ein Wiedersehen erst aufgegeben, als sie nach Kriegsende das amtliche Schreiben mit der Todesnachricht bekam.

Die Anstalt in Neustadt erhielt wie alle psychiatrischen Kliniken Meldebögen zur Erfassung schwerkranker Patienten. Alle Menschen, die wie Heinrich Sibbert länger als fünf Jahre in der Anstalt gelebt hatten, mussten ohne Rücksicht auf das Krankheitsbild gemeldet werden. Aufgrund der schriftlichen Angaben der Kliniken entschieden dann Gutachter über Tod und Leben der Patienten, ohne sie gesehen zu haben. Diejenigen, denen das Lebensrecht abgesprochen wurde, wurden in eine von sechs Tötungskliniken gebracht und dort mit Gas umgebracht.

Bei der“ Aktion T4“ kamen mehr als 70.000 Menschen ums Leben, bei der zwischen 1939 und 1945 durchgeführten „Kindereuthanasie“ mindestens 5.000 Kinder. Der „Aktion 14 f 13“ (Selektion nicht arbeitsfähiger KZ-Gefangener) fielen mindestens 15.000 Menschen zum Opfer). Die straff und zentralistisch organisierte Aktion T4 war von Hitler im August 1941 gestoppt, worden, u. a. wohl wegen des sich regenden Protestes aus den Kirchen. Ein Teil des verantwortlichen Personals wurde in - 51 -

die in Polen errichteten Vernichtungslager verlegt. Die überlebenden Insassen der Heil- und Pflegeanstalten blieben dennoch nicht verschont: im Zuge der „Aktion Brandt“ (benannt nach Hitlers „Begleitarzt“) wurden sie teils in ihren „Heimatkliniken“, teils nach Deportation durch Überdosierung von Medikamenten, Verhungernlassen oder auch durch Luft- oder Benzineinspritzungen umgebracht. Da jetzt – im Unterschied zur „AktionT4“ – kein bürokratischer Aufwand mehr getrieben wurde, ist die Zahl der Opfer schwer zu schätzen. Nach Angaben von Fachleuten sollen es aus Schleswig-Holstein mindestens 3000 Personen gewesen sein. Paten für Heinrich Sibbert sind Gisela und Dieter Hansen

terezin weißes blatt ich will dir so viel sagen doch das geschaute macht mich stumm begreifen kann ichs nicht und habe frage über fragen theresienstadt dein tod geht um im angesicht des lebens scheinen tode schnell vergessen wir leben doch in einer andern zeit und nur das denken kann ermessen was hier geschah an unnennbarem leid wir sitzen heute an gedeckten tischen der sommer streichelt haut und haar es lässt sich keine tat verwischen was immer auch geschehn was hier geschah

anna haentjens geschrieben nach dem Besuch des Ghettomuseums in Theresienstadt

Jehovas Zeugen in Schleswig-HHolstein

Bibel das „Heil“ allein in Christus zu suchen sei. Sie verweigerten die Teilnahme an Wahlen, die Mitgliedschaft in den verschiedenen NS-Organisationen, den Eid auf den Führer und die Rassenlehre der Nationalsozialisten. Viele setzten ihre Missionstätigkeit trotz des bereits im Sommer 1933 erlassenen Verbotes fort. Sie betrieben nach Lesart der politischen Machthaber damit „Hetze“ und „kulturbolschewistische Zersetzungsarbeit“.

1933 - 1945 Von Jörn Puttkammer In Deutschland blickt die Religionsgemeinschaft Jehovas Zeugen auf eine mehr als 100-jährige Geschichte zurück, in Schleswig-Holstein gibt es seit über 90 Jahren Zeugen Jehovas (vor 1931 „Bibelforscher“). Besonders in den 20erJahren des letzten Jahrhunderts erfuhren die Gemeinden und Bibelstudiengruppen der Internationalen BibelforscherVereinigung (IBV) einen regen Zulauf. Dazu zählten die größeren Ortsversammlungen in Kiel, Lübeck und Flensburg sowie kleinere Gruppen, zum Beispiel in Kellinghusen und Elmshorn. Die Gläubigen trafen sich regelmäßig zum Studium der Bibel und widmeten sich eifrig der Missionstätigkeit. Interessierte Personen wurden zu den gemeinsamen Bibelstudien eingeladen. In Kellinghusen kamen bis zu 40 Personen zusammen, wobei nur sechs von ihnen aktive Zeugen Jehovas waren. Die gottesdienstlichen Zusammenkünfte fanden entweder in eigenen oder in angemieteten Räumlichkeiten statt. Sogar eine audio-visuelle Vorführung wurde genutzt, das „Photo-Drama der Schöpfung“, das an den Vorführorten wie Kiel auf großes Interesse der Öffentlichkeit stieß.

In den Jahren der wirtschaftlichen Depression nach dem Ersten Weltkrieg interessierten sich viele für die Botschaft der Bibelforscher vom Reich Gottes als der einzigen Hoffnung der bedrängten Menschheit, das das Friedensreich Christi, das „Goldene Zeitalter“, herbeiführen würde. („Das Goldene Zeitalter“ war auch der Titel einer für ihre Missionstätigkeit genutzten Zeitschrift, heute „Erwachet!“.) So wird es in Schleswig-Holstein bei der „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten ca. 700 Zeugen Jehovas und zusätzlich einige Hundert Leser ihrer Schriften gegeben haben. Den Nationalsozialisten waren die Zeugen Jehovas ein Dorn im Auge. Sie sahen die christliche Gemeinschaft als Teil einer „jüdisch-bolschewistischen“ Verschwörung mit dem Ziel, eine „unumschränkte Herrschaft des Judentums“ zu errichten (Schleswig-Holsteinische Tageszeitung vom 30.6.1933). Insbesondere deren Verweigerungshaltung gegenüber der NSIdeologie rief die Verfolgungsorgane auf den Plan. Die Zeugen verweigerten den Hitlergruß mit dem Hinweis, dass nach der

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Die Machthaber suchten nun, die im Untergrund bestehende religiöse Organisation der Zeugen Jehovas zu zerstören, lösten verbotene Zusammenkünfte auf und beschlagnahmten ihre Literatur. Alleine in Friedrichstadt wurden 600 Broschüren, 900 Zeitschriften sowie 1400 Flugblätter und Traktate beschlagnahmt. Gleichzeitig sollte ihnen die wirtschaftliche Existenzgrundlage entzogen werden. Beamte wurden aus dem Staatsdienst entlassen, da ihre Zugehörigkeit zu den Zeugen Jehovas die „Dienstpflicht“ verletze. Besonders nach Wiederaufnahme der organisierten Verkündigungstätigkeit im Oktober 1934 musste die für Schleswig-Holstein zuständige Staatspolizeistelle in Altona feststellen, dass es den Zeugen Jehovas gelungen war, ihren „organisatorischen Zusammenhalt“ aufrechtzuerhalten. Nunmehr mussten „Schutzhaftmaßnahmen“ eingesetzt werden, um die „staatsfeindliche Tätigkeit“ der Bibelforscher zu unterbinden. Während zu diesem Zeitpunkt die zuständigen Sondergerichte (SG Altona und Kiel für Schleswig-Holstein) nicht immer im Sinne der Machthaber entschieden hatten, wollte

man sichergehen, den Bibelforscheraktivitäten einen Riegel vorgeschoben zu haben. Die Justiz urteilte im Weiteren auf der Linie der Nationalsozialisten: Verfahren gegen insgesamt 544 Angeklagte vor den beiden Sondergerichten endeten lediglich in weniger als 20 Prozent der Fälle mit einem Freispruch bzw. mit Einstellung des Verfahrens. Etwa ein Drittel erhielt eine Geldstrafe, während mehr als die Hälfte der Zeugen Jehovas mit Gefängnisstrafen mit bis zu vier Jahren bestraft wurden. Eine Reihe von ihnen wurde nach Haftentlassung von der Gestapo direkt in ein Konzentrationslager überstellt, wo eine Anzahl zu Tode kam.

vor dem schleswig-holsteinischen Sondergericht Zeugen Jehovas. Die religiöse Untergrundorganisation der Zeugen Jehovas in Schleswig-Holstein, einschließlich der heimlischen Druckaktivitäten und des Literaturversands, waren zerschlagen worden. In den folgenden Jahren führten einzelne Zeugen individuell ihre Glaubensaktivitäten gemäß ihren Möglichkeiten fort. Männer im wehrfähigen Alter waren ab 1935 mit der Frage konfrontiert, dem Einberufungsbescheid zur Wehrmacht Folge zu leisten. Stellvertretend sei der Fall des 39-jährigen Zeugen Jehovas Rolf Appel aus

Süderbrarup genannt, der am 11.10.1941 hingerichtet wurde. Er war einer der rund 270 christlichen Märtyrer der Glaubensgemeinschaft, die wegen Kriegsdienstverweigerung ihr Leben lassen mussten. Heute gibt es in jedem größeren Ort Schleswig-Holsteins Gemeinden der Zeugen Jehovas, die ihr Predigen des Evangeliums vom „Königreich Gottes“, unter anderem auch in Sprachen wie Englisch, Russisch oder Chinesisch, fortsetzen.

Im Dezember 1936 und im Juni 1937 beteiligten sich auch die Zeugen Jehovas in Schleswig-Holstein an den beiden reichsweiten Flugblattaktionen der Religionsgemeinschaft. Die Flugblätter „Resolution“ und „Offener Brief“ wurden in Briefkästen gesteckt bzw. gezielt mit der Post versandt. Keine andere Widerstandsorganisation habe während der gesamten NS-Zeit eine „vergleichbare Initiative“ durchgeführt, so die Lübecker Historikerin Elke Imberger. In den Flugblättern wurde die grausame Verfolgung der Zeugen Jehovas in Deutschland angeprangert. Die Gestapo reagierte wütend. Es kam zu Massenverhaftungen von Zeugen Jehovas, was unter anderem dazu führte, dass die Frauenabteilung des Gefängnisses in Neumünster völlig überfüllt war. Im Jahre 1938 waren 81,5 Prozent der Angeklagten

Das Verteilen dieser Resolution ahndeten die Nazis mit harten Strafen. - 55 -

Max Andreas Hahn Friedensallee 42 (Plan Nr. 4) Von Jörn Puttkammer Max Andreas Hahn wurde am 13. Februar 1882 in Seestermühe als Sohn von Andreas Hahn und seiner Frau Katharina, geb. Bornhold, geboren.

regelmäßige Versammlungen in ihren Privatwohnungen in Elmshorn sowie bei einer weiteren Glaubensschwester in Offenau abgehalten.

Laut Elmshorner Polizeibericht von 1935 stammte er aus einer angesehenen Müllersfamilie, der Vater sei Besitzer einer Windmühle gewesen, Brüder von ihm lebten in Elmshorn oder hätten dort gelebt, es seien ordentliche Menschen mit gutem Leumund. Seit 1921 wohnte er in Elmshorn, im selben Jahr heiratete er auch Martha Bollmann, die Ehe blieb kinderlos.

Die hiesige Polizei hatte ihren Auftrag zur Ermittlung in Sachen Bibelforscher sehr ernst genommen und am 28. Januar 1935 ein Handarbeitstreffen der fünf Bibelforscherinnen gestürmt. Mit dem Überfallwagen sei man zu dem Treffen in der Ollnstraße 14 gefahren und sei schlagartig in die Wohnung eingedrungen. Danach habe man die Anwesenden zur Polizeiwache transportiert, obwohl nicht festgestellt werden konnte, dass die Teilnehmerinnen sich mit einer religiösen Handlung beschäftigten. Eine der Teilnehmerinnen gibt später zu Protokoll, sie bestreite nicht, dass bei solchen und ähnlichen Zusammenkünften religiöse Sachen besprochen wurden.

Nach dem Tod seiner Ehefrau im Jahre 1930 lebte er allein in der Elmshorner Friedensallee 42, 1. Stock. Er war des weiteren mehrere Jahre erwerbslos und lebte von Unterstützung. Hahn gehörte etwa seit 1928 zu der Internationalen Bibelforscher-Vereinigung IBV (Zeugen Jehovas). Zitat aus dem Polizeibericht vom 11. März 1935: “Es kann sonst Nachteiliges über ihn nicht gesagt werden, er hat sich in der Zeit seiner Anwesenheit in Elmshorn immer gut geführt und ist nicht vorbestraft.” Hahn wird 1935 vor dem Sondergericht Altona zusammen mit fünf Elmshorner Glaubensschwestern angeklagt. Sie hätten entgegen dem Verbot des Preußischen Ministerium des Innern vom 24. Juni 1933

Auch Max Andreas Hahn gibt an, an den Gottesdiensten in der näheren Umgebung trotz Verbotes weiter teilgenommen zu haben. Häufig sei der Altonaer Zeuge Jehovas Paul Chrupalla dazu gekommen (Anmerkung: Stolpersteine für das Ehepaar Chrupalla wurden 2006 in Altona verlegt), man habe sich dann jeweils auf Zeit und Ort des nächsten Treffens geeinigt. Hahn habe in diesen Gottesdiensten nichts Strafbares gesehen, denn er habe in diesem Falle “nur dem von ihm gewählten König, - 56 -

und das ist Jesus Christus, gehorsam zu sein”. Dieser sage in der Bibel, dass er diese Gottesdienste nicht versäumen darf. Diesem Gebot sei er nachgekommen, eine weltliche Macht könne ihn wohl kaum daran hindern. Zitat: “Ich erkenne alle irdischen Gesetze an, die mit der Bibel in Einklang zu bringen sind, andere Gesetze kann ich nicht anerkennen.” Im Rahmen der ebenfalls am 28. Januar 1935 in der Friedensallee durchgeführten Haussuchung wurden bei Hahn verschiedene Bücher, Zeitschriften, Broschüren und Kalender der Zeugen Jehovas gefunden. Trotz Geständnissen der Angeklagten endet die Verhandlung mit einem Freispruch. Die Verfügung des Preußischen Innenministeriums sei gegen die zwölf Mitglieder der IBV in Magdeburg und ihre Mitglieder gerichtet gewesen. Dazu hätten die Angeklagten nicht gehört. Zitat aus dem Urteil des Sondergerichtes vom 3. April 1935: “Mangels dieser Voraussetzung ist daher die Verfügung des Preussischen Ministers des Innern, soweit sie etwa gegen die Mitglieder der Internationalen Bibelforscher-Vereinigung im weiteren Sinne gerichtet sein sollte, unzulässig und ungültig. Eine strafbare Handlung der Angeklagten war danach nicht festzustellen. Die Angeklagten waren daher freizusprechen.” Dieser Freispruch veranlasste den Kieler Generalstaatsanwalt zum Schreiben eines Beschwerdebriefes an den Reichsjustizminister. Er halte die Entscheidung für unrichtig und die Begründung für rechtsirrig. Jeder mache sich strafbar, der bewusst dem mit diesen Maßnahmen verfolgten Zwecke zuwiderhandele. Dies treffe auf die Angeklagten zu, die also hätten bestraft werden müssen. Um weitere Freisprüche zu vermeiden, lasse er ähnliche Verfahren zunächst ruhen.

Am 12. Dezember 1936 wird Max Hahn bei der Verteilung des Flugblattes “Resolution” in der Elmshorner Kirchenstraße verhaftet. In diesem Flugblatt heißt es unter anderem: “Wir rufen alle gutgesinnten Menschen auf, davon Kenntnis zu nehmen, daß Jehovas Zeugen in Deutschland, Österreich und anderswo grausam verfolgt, mit Gefängnis bestraft, und auf teuflische Weise mißhandelt und manche von ihnen getötet werden. Alle diese verruchten Taten werden gegen sie von einer grausamen, heimtückischen und bösen Macht verübt, wozu diese durch jene religiöse Organisation, nämlich die römisch-katholische Hierarchie, welche viele Jahre lang das Volk getäuscht und den heiligen Namen Gottes gelästert hat, veranlaßt wird. Die Hitlerregierung, die von den Jesuiten der römisch-katholischen Hierarchie unterstützt und beeinflußt wird, hat wahren Christen jede Art grausamer Bestrafung auferlegt und fährt fort dies zu tun .... Aus diesem Grunde lassen wir heute die Warnung an die Herrscher in Deutschland, an die römisch-katholische Hierarchie und an alle ähnlichen Organisationen .... ergehen, daß ihr Geschick, nach Gottes Wort, vollständige Vernichtung sein wird ....” Am 15. Januar 1937 wird Max Andreas Hahn vom Schleswig-Holsteinischen Sondergericht in Altona zu neun Monaten Haft verurteilt. Nach Verbüßung der Strafe wird er in das Konzentrationslager Sachsenhausen überstellt, wo er am 13. November 1939 im Alter von 57 Jahren verstirbt. Patin für Max Andreas Hahn ist die Wählergemeinschaft Elmshorn/Die Grünen

Die Graupenmühle in Seestermühe um 1850. Seit 1878 wurde sie von Max Andreas Hahns Vater Andreas betrieben. Anmerkung: Noch heute steht am Mühlendeich 30 in Seestermühe das Gebäude, das jetzt als Wohnhaus genutzt wird - eine ehemalige Mühle, deren einer Vorbesitzer der Vater des späteren NS-Opfers Max Andreas Hahn war. Eine Gruppe von Bürgern, an der Spitze der frühere Bürgermeister Otto Schinkel, spürt derzeit der Baugeschichte aller Häuser in der Gemeinde nach. Das Folgende haben sie herausgefunden. Die Mühle wurde 1709 von dem Gutsherren Hans Heinrich von Ahlefeldt erbaut und als Graupenmühle betrieben. Vom Typ her war es eine sogenannte Holländermühle mit einem drehbaren Kopf. Die Mühle war größer und moderner als die Dorfmühle, sie hatte aber keinen Mühlengang für Schrot und Mehl. Sie blieb deshalb immer unrentabel und wechselte häufig den Besitzer. Schuld waren auch die Lasten, die noch vom Gut auf der Mühle lagen, und die

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schlechte Lage am Deich (keine festen Wege) und die Beschränkung als Graupenmühle. Um 1878 konnte der Konkurs nur abgewendet werden, weil vier Hektar Landbesitz verkauft wurden. Das Land liegt dem Haus gegenüber. Die Mühle wurde trotzdem verkauft. Neuer Besitzer war Andreas Hahn. Sein Sohn Max Andreas wurde 1882 geboren. Die Familie wohnte im Haus Mühlendeich 25. Doch auch sie vermochte die Mühle nicht zu halten. Am 24. September 1894 wurde sie in der Gaststätte Hüllmann versteigert. Jürgen Koopmann erhielt den Zuschlag und verkaufte sofort an Wilhelm Plump, den Besitzer der Dorfmühle. Der ließ den Turm bis aufs Mauerwerk abreißen. Er baute einen modernen Dieselmotor ein. Die Mühle musste 1930 wegen Zahlungsschwierigkeiten den Betrieb einstellen.

wo man bücher verbrennt offenbar auch das tradition im land der dichter und denker verbranntes wissen auf dem scheiterhaufen von vogelfrei wo jubelnd feiernde dummheit mit gebrüllten parolen des vermeintlichen einst angeblich nicht wissend wes leben und zeugnis sie beschimpft als lug und trug und noch den rauch verhöhnt ein weiteres mal

anna haentjens

Im Jahre 2006 feierte in Pretzien bei Magdeburg der „Heimatbund Ostelbien“ die Sonnenwende. Junge Neonazis verbrannten unter Aufsagen verhöhnender Feuersprüche das Tagebuch von Anne Frank.

Zwangsarbeiter - Sklaven für die Kriegswirtschaft Von Christel Patzak Während des Zweiten Weltkrieges wurden in Deutschland mehr als drei Millionen Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen in der deutschen Rüstungsindustrie und Wirtschaft eingesetzt. Auch in Elmshorn hielten fast alle Betriebe mit dem Einsatz von „Fremdarbeiterinnen und Fremdarbeitern”, wie sie in der Sprache der Nazis genannt wurden, ihre Produktion aufrecht. Andere schönfärbende Bezeichnungen für Zwangsarbeiterinnen waren: „Wanderarbeiterin“ oder „Zivilarbeiterin“. Mehr als 2100 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, darunter Kinder und Kriegsgefangene, hielten sich im Laufe des Krieges hier in Elmshorn auf. 560 von ihnen waren Frauen, also rund 26 Prozent. Die Frauen aus Polen und den „Ostländern“ (Russland, Ukraine und Litauen) stellten innerhalb der Gesamtzahl aller Zwangsarbeiterinnen, wie bei den Männern auch, den größten Anteil. Fast die Hälfte der „Fremdvölkischen“ in Elmshorn war unter 21 Jahren alt, und der Anteil derjenigen zwischen 16 und 18 Jahren betrug 20 Prozent. Ohne die „Sklavenarbeit“ der ausländischen Arbeitskräfte wäre die deutsche Wirtschaft

im Zweiten Weltkrieg wahrscheinlich vielerorts zusammengebrochen. 1942 war in der Rüstungsindustrie bereits jede vierte Arbeitskraft ausländischer Herkunft. Der „Ausländereinsatz“ sollte den deutschen „Herrenmenschen“ zum „Endsieg“ verhelfen und war bereits vor dem Krieg geplant. Nach der NS-Rassenideologie standen die Deutschen an oberer Stelle, die ausländischen Menschen unten und ganz unten rangierten die Russen und Polen als Angehörige minderwertiger Ostvölker Die erste Etappe für den „Endsieg“ war Hitlers Überfall auf Polen am 1. September 1939. Mit dem „Polenfeldzug“ sollte zum einen die Lebensmittelversorgung der deutschen Bevölkerung sichergestellt werden, und zum anderen sollte der Mangel an Arbeitskräften im Deutschen Reich durch die in Polen „zu schöpfenden” Arbeitskräfte ausgeglichen werden. Aufgrund der erhöhten Rüstungsproduktion und der Einberufung deutscher Arbeitskräfte zur Wehrmacht waren erhebliche Lücken gerade in der landwirtschaftlichen Erzeugung entstanden. Die Einführung der Arbeitspflicht: Das erste deutsche Arbeitsamt in Polen, deren Errichtung Voraussetzung für die - 60 -

Ausnutzung der Arbeitskraft des polnischen Volkes war; hatte man bereits am dritten Kriegstag in Rybnik/Oberschlesien eingerichtet. Mitte Oktober 1939 existierten bereits 115 Ämter im besetzten Polen und alle im Alter vom 18. bis zum 60. Lebensjahr unterlagen einer „öffentlichen Arbeitspflicht“. Zwei Monate später erfolgte eine Ausdehnung der Arbeitspflicht auf Jugendliche ab 14 Jahren. Zu ihrer Durchsetzung erschienen zahlreiche Aufrufe an die polnische Bevölkerung, in denen es beispielsweise hieß: „Pflicht, sich auf Aufforderung durch die Arbeitsämter und Gemeinden für die Landarbeit nach Deutschland zur Verfügung zu stellen. (..) Wer nach einer solchen Aufforderung durch die Behörden versucht, sich dieser Arbeitspflicht zu entziehen, wird schwer bestraft. Die Polizei wird dafür sorgen, daß es keinem gelingt, sich der Arbeit zu entziehen.“ Einige meldeten sich nach diesen Aufrufen „freiwillig“, andere versuchten sich der Arbeitspflicht zu entziehen. Daher erfolgte die Beschaffung der polnischen Arbeitskräfte zunehmend mit Gewalt. Auch in Elmshorn wurden in fast allen Betrieben nicht nur in den Rüstungsbetrieben D.W. Kremer Werft, Gebr. Neunert, Atlas-Werke und Marinearsenal - „Fremdarbeiter“ und „Fremdarbeiterinnen“ eingesetzt. Wie die namentlichen Listen, die nach dem Ende des Krieges für die Alliierten erstellt werden mussten, zwecks Registrierung aller im Ort befindlichen „displaced persons“ (DP) zeigen, kamen sie aus folgenden Herkunftsländern: Italien, Estland, Lettland,

Serbien, Litauen, Polen, Tschechoslowakei, Ukraine, Russland, Schweiz, Frankreich, Niederlande, Dänemark, Ungarn, Bulgarien, Rumänien und Griechenland. Der größte Teil der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, nämlich zwei Drittel, kam aus Polen, Russland und der Ukraine. Die Polen mussten ein diskriminierendes „P“ sichtbar an der Kleidung tragen, die Russinnen und die Ukrainerinnen ein „Ost“.

16. RaD. Lager, Stubbenhuk 17. Timm & Co., Papenhöhe 29 18. Lager Opferarbeiterplatz 19. Lager Högplacken, Plinkstraße 29 20. Gemeinschaftslager Gerlingweg 85 21. Lager Steindamm 22. Lager Klosterhof 23. Lager Turnerheim. (Der vollständige Beitrag ist abgedruckt in: “Frauenleben in Elmshorn”; Beiträge zur Elmshorner Geschichte, Band 11, Seiten 132ff; Elmshorn 1998)

Am 25. April 1940 traf der erste größere „Transport Polen (180 Mann)“, wie es in einem Vermerk des Bürgermeisters hieß, in Elmshorn ein. Einen Monat später folgte ein weiterer „Transport“ mit 300 polnischen Menschen. Die Verteilung und Anforderung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter veranlasste das Arbeitsamt vor Ort. Die Unterbringung erfolgte in Elmshorn in folgenden Lagern: 1. Lager Köhler, Johannesstraße 35 2. Lager Gebr. Rostock, Schulstraße 24 3. Lager Pfahlkrug, Papenhöhe 4. Russenlager Bockelpromenade I 5. Russenlager Bockelpromenade II 6. Lager Marinearsenal, Deichstraße 7. Lager Kremer Schiffswerft 8. Lager Horstmann, Langelohe 65 9. Lager Dölling, Sandberg 11 10. Ausländerlager Rostock, Reichenstraße 11. Ausländerlager I Rostock, Reichenstraße .....(Kgf) 12. Polenlager, Langelohe 61 13. Lager Beuck, Gärtnerstraße 30 14. Lager Wilhelm Bull, Gerlingweg 13 15. Gemeinschaftslager ......Schönaich-Carolath-Straße

Zum Gedenken an die hier gefangen gehaltenen Zwangsarbeiter wurde am Langeloher Hof diese Gedenktafel angebracht,

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Stanislaus Pade

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Langelohe 61 (Langeloher Hof) (Plan Nr. 14) Von Christel Patzak Der Liste aller nach Elmshorn verschleppten Zwangsarbeiter, die die britische Militärregierung nach dem Kriegsende verlangte, ist zu entnehmen, dass im Laufe des Krieges 2146 Personen in 242 Elmshorner Betrieben Zwangsarbeit leisten mussten. Die Betriebe waren formal nicht gezwungen, Zwangsarbeiter einzusetzen, sondern sie mussten diese beim Arbeitsamt anfordern.

Elmshorn, trägt die Ausweisnummer 985. Er schuftet für die Baumschule Gebr. Mohr auf Langelohe und wird in der Gaststätte „Langeloher Hof“, die als Zwangsarbeiterlager eingerichtet wurde, einquartiert. Das Lager hat Platz für zirka 40 Menschen und war laut Schreiben der Stadt Elmshorn vom 4. Dezember 1942 mit zirka 178 Menschen hoffnungslos überfüllt.

Von den 2146 Zwangsarbeitern waren 75 Prozent Männer und 25 Prozent Frauen. Es waren zum großen Teil sehr junge Menschen. Fast die Hälfte aller Zwangsarbeiter, nämlich 45 Prozent, war unter 21 Jahren. Etwa fünf Prozent waren Kinder zwischen elf und 15 Jahren, und 20 Prozent waren zwischen 16 und 18 Jahre alt. Älter als 40 Jahre waren nur zwölf Prozent.

Schon 1940, so ergibt die Aktenlage, sind die hygienischen Zustände katastrophal: verstopfte Latrinengräben unter den Fenstern, keine Wasserhähne im Waschraum, die Raumtemperatur –2° im Winter, Flohplage trotz Formalinbegasung.

Bis jetzt ist bekannt, dass 33 Personen, darunter 14- und 16-jährige Zwangsarbeiter, von den Nazis in Konzentrationslager deportiert wurden. Zwei Polen wurden hingerichtet. Einer von ihnen war Stanislaus Pade. Stanislaus Pade wurde am 29. September 1921 in Posen geboren. Er kommt im März 1940 als 19-Jähriger mit einem der ersten Transporte von Zwangsarbeitern nach

Aus einem Polizeibericht vom 13. Juni 1940: „ Das Lager Langelohe wird regelmäßig von der Polizei überwacht. Die Polen besitzen kein Nähzeug, um das vorgeschriebene „P“ festzunähen.“ Andererseits steht in der „Polizeiverordnung über die Kenntlichmachung im Reich eingesetzter Zivilarbeiter und -arbeiterinnen polnischen Volkstums vom 8. März 1940, dass Zuwiderhandlung/ Nichttragen des “P“s eine Geldstrafe bis zu 150,- Reichsmark oder Haft bis zu sechs Wochen zur Folge haben. - 62 -

Im Juni 1940 stellt Stanislaus Pade, zusammen mit anderen polnischen Zwangsarbeitern, beim Landrat in Pinneberg einen Antrag auf Feststellung der deutschen Volkszugehörigkeit, der ihn bei positivem Entscheid von den harten Bestimmungen für polnische Zwangsarbeiter entbunden hätte. Wie zum Beispiel: Tragen eines aufgenähten „P“, Verbot des Kontaktes mit Deutschen, Verschluss im Lager während der Nachtzeiten. Doch der Antrag wird abschlägig beschieden. Dabei hat Stanislaus Pade offensichtlich deutsche Wurzeln, denn in den Akten im Stadtarchiv Elmshorn gibt es einen handgeschriebenen Brief auf Deutsch in Sütterlinschrift von der Mutter Martha Pade, in dem sie darum bittet, ihren ältesten Sohn Stanislaus zu beurlauben, da sie praktisch allein mit ihren fünf weiteren Kindern auf der Straße sitzt. Mit einem Brief der Stadt Elmshorn vom 27. Mai 1941 wird Martha Pade, Siedlung 32, Guntershausen/Posen, mitgeteilt, dass eine Beurlaubung ihres Sohnes Stanislaus nicht stattfinden könne, da eine allgemeine Urlaubssperre aus verkehrstechnischen Gründen bestehe. Am 22. Dezember 1942 wird Stanislaus Pade wegen des Handels mit Lebensmittelmarken als „Volksschädling“ vom Sondergericht Kiel zum Tode verurteilt. Mit einem Schreiben an die Stadt Elmshorn teilt die Untersuchungshaftanstalt HamburgStadt mit, dass Stanislaus Pade am 5. Februar 1943 dort hingerichtet worden ist. Der Vollzug des Urteils wurde zur Abschreckung im Langeloher Hof ausgehängt. Stanislaus Pade war gerade 22 Jahre alt geworden.

Paten für Stanislaus Pade sind Christel und Dieter Patzak sowie die Klasse Vc der Bismarckschule mit der Leiterin Christel Welsch und den Schülerinnen und Schülern: Marijim Arabo, Jannike Becker, Niklas Boos, Mirko Hahn, Kim Huckfeldt, Matthias Jochimsen, Chris Jordan, Dilara Mayer, Niko Michalowski, Jana Miosga, Michelle Niewiadomski, Marvin Nowack, Simon Poetzsch, Frederike Preissner, Frederic Schattauer, Vanessa Schattauer, Frederik Schmidt, Katharina Schröder, Lasse Steinberg, Julia Till, Katrin Topko, Freia Westphalen, Anna Zatzkowski

Dieses Plakat wurde nach Stanislaus Pades Hinrichtung zur Abschreckung im Langeloher Hof aufgehängt.

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steine spüren unsern schritt spüren wenn sie jemand tritt anna haentjens

Stolpersteine Idee, Vorgeschichte und Entwicklung eines Kunstprojektes Gunter Demnig im Gespräch mit Uta Franke U.F. Gunter Demnig, Sie arbeiten mit den verschiedensten Materialien und Sie haben sehr unterschiedliche Projekte realisiert. Als Maler haben Sie begonnen, Designermöbel, Automaten und Klangskulpturen waren Ihre nächsten Arbeiten, danach legten Sie Duftmarken und Spuren und jetzt arbeiten Sie an dem Projekt STOLPERSTEINE. Warum suchen Sie so unterschiedliche Ausdrucksmöglichkeiten? Als was für ein Künstler würden Sie sich bezeichnen? G.D. Zu allererst einmal bin ich sehr neugierig und dann interessiert mich die Umsetzung von Ideen und Projekten, nicht so sehr eine bestimmte künstlerische Technik. Deshalb wähle ich je nach Bedarf die Materialien aus: Papier, Pappe, Holz, Metall, Keramik, Stein, Blut, Farbe, Faden oder Beton, und wenn es gar nicht anders geht, verwende ich auch mal Kunststoff. Schon an der Akademie interessierten mich vor allem Arbeiten, die nicht nur für Galerien oder fürs Museum bestimmt sind, sondern die nach außen wirken, in der Öffentlichkeit und direkt mit Menschen zu tun haben - das wäre dann Aktionskunst. Die Maschinen, mit denen ich die Spuren auf die Straßen gelegt habe, sind gleichzeitig auch Mobile Skulpturen und die STOLPERSTEINE sind so etwas wie ein dezentrales Monument. Die Klangtürme sind einerseits

Skulpturen, aber auch Musikinstrumente. Durch die unterschiedlichen Ideen und Materialien ist der formale Aspekt einer künstlerischen Arbeit immer wieder eine neue Herausforderung und diesem Prozeß der Umsetzung gehört mein Interesse. Die meisten Arbeiten sind dreidimensional, also bin ich Bildhauer – ganz einfach! U.F. Die Wirkung Ihrer Arbeiten nach außen traf nicht immer auf Zustimmung – Ihr erstes “öffentliches” Bild z.B. hat Ihnen den Besuch der Polizei und eine Festnahme eingebracht. G.D. Ja, das war 1970, ich hatte die amerikanische Flagge auf das Schaufenster meines Ateliers in Berlin-Kreuzberg gemalt – Totenköpfe ersetzten die Sterne – das hat einigen Leuten nicht gefallen. Auch das Spurenlegen war nicht immer so einfach. Da tauchte immer wieder die Frage auf: Darf man das denn überhaupt? Darf ich einfach eine Spur mit Farbe oder auch mit Blut auf die Straße legen, einen roten Faden von Kassel bis Venedig abrollen, Bleirollen auf die Straßen Berlins legen oder jetzt STOLPERSTEINE ins Trottoir verlegen? Für mich ist Grenzen ausloten, Grenzen überschreiten, immer wieder ein zentraler Aspekt. Letztlich geht mehr, als man anfangs denkt. Es ist machbar. Ich muss mich dabei zwar manchmal mehr mit Bürokratie und - 66 -

Gunter Demnig Verwaltungsfragen auseinandersetzen als mit formalen und künstlerischen Problemen jedoch auch das gehört zur politischen und gesellschaftlichen Dimension meiner Arbeiten. U.F. Sie sprechen jetzt von den 80erJahren: Sie wurden als “Spurenleger” bekannt und haben dabei lange Wege zurückgelegt. Ich denke da an die DUFTMARKEN Cassel-Paris, die BLUTSPUR Kassel-London, den ARIADNE-FADEN, den KREIDEKREIS, FLASCHEN-POST, LANDSCHAFTSKONSERVEN, KASSEL – 22. OKTOBER - ZEHNTAUSEND TOTE und das Projekt EINREISE Westberlin. – Spuren, in unterschiedlichster Form, ziehen sich wie ein roter Faden durch Ihre Arbeiten. Was verbinden diese Arbeiten und was bedeuten für Sie SPUREN?

G.D. Man muss da differenzieren - einige Arbeiten haben die Kunst und die mögliche oder unmögliche Ausbildung zur Kunst zum Thema, andere thematisieren politische Fragen oder wollen den Ewigkeitsanspruch der Kunst ironisch hinterfragen.

Schriftzeichen in Keramik gedrückt und Rollsiegel gegossen. Was waren das für Arbeiten? G.D. Begonnen hat das alles mit der Einladung zur Teilnahme an der Friedensbiennale 1985 in Hamburg, die Robert Filliou initiiert hatte. Da kam bei mir die Frage auf: Bei so vielen Kriegen, wurde da eigentlich auch mal Frieden geschlossen?

worden: in Hamburg, München, Moskau, und Leningrad. Vom Deutschen Historischen Museum Berlin wird sie ab 2003 als Leihgabe in einer Ausstellung mit dem Titel “Idee Europa. Entwürfe zum Ewigen Frieden” präsentiert. Mit der ähnlichen Thematik entstand kurz Bei manchen Arbeiten bleibt nur die darauf die GESETZESROLLE mit den Erinnerung, die Spur selbst wird weggewaersten 19 Artikeln unseres Grundgesetzes, schen wie die Kreidefarbe oder das Blut, die ja einen sehr hohen Anspruch ausdrüauch der dünne rote ARIADNEcken, aber leider in ihrer Aussage FADEN ist bald verweht. Dagegen immer weiter relativiert werden. sind die Kartuschen der LANDAuch dieser Text ist in Bleiblech SCHAFTSKONSERVEN gut vergrageschlagen, allerdings verschlüsselt ben und vielleicht werden sie nie im ASCI-Code, also für jedes gefunden, bei den FLASCHENPOSZeichen lediglich 8 Nullen und TEN ist die Wahrscheinlichkeit des Einsen. Abstraktion - als Mahnung Auffindens schon größer: Zwei und Erinnerung. Das Material Blei davon wurden immerhin beantworhat für mich eine Faszination durch tet. Diese beiden Projekte sind so seine immens hohe Halbwertzeit – etwas wie Denkmale für die also auch etwas für die Ewigkeit Ewigkeit. gedacht oder besser, erhofft. Die Erinnerung wird natürlich mit den Aus jener Arbeit sind auch die STOLPERSTEINEN das direkte GESETZESTAFELN hervorgeganThema – Spuren der Erinnerung. gen, die ganz global die Nichts, was geschieht, ist folgenlos; Menschenrechte einfordern. Der ich spüre den Dingen nach - möchte erste Artikel ist doch wirklich sehr Spuren sichtbar machen, erhalten Ein Loch im Pflaster - die Verlegung wird vorbereitet. gut gemeint – nur kann jeder Staat und damit an Dinge oder Ereignisse, ungestraft dagegen verstoßen. Ich die in Vergessenheit geraten, wieder erinDie Recherchen dazu waren gar nicht so hatte den Text des Artikels 1 der Allgemeinen nern und direkt sichtbar machen. einfach – Friedensforschungs-Institute konnErklärung der Menschenrechte in zirka 120 ten mir nicht weiterhelfen. In Gesprächen Übersetzungen vorliegen. Mit Hilfe der Uni in stellte sich heraus, dass es ein juristisches Köln konnte ich die Texte in die U.F. Menschliche Schicksale, in Metall Problem ist, und damit waren Völkerrechtler Internationale Phonetische Lautschrift trangeschlagen, kann man auch als Spuren zuständig. Ich habe zirka 1200 Friedensskribieren und habe sie mit speziellen bezeichnen: In die STOLPERSTEINE, 1o x und Freundschaftsverträge von 2260 v. Chr. Lettern in Tontafeln gedrückt. Beherrscht 1o cm große, gegossene Betonquader, ist bis zum 20. Jahrhundert in eine Rolle aus man die Lautschrift, kann man die Texte eine Messingplatte mit Schrift eingelassen. Dachdeckerblei geschlagen – etwas länger immer wieder lesen, aber sie verstehen Das ist nicht Ihre erste Arbeit mit Schrift; Sie als 12 Meter. Die Friedensrolle war unternichts, sie erleben die perfekte haben auch Schrift in Bleirollen gestanzt, wegs, ist schon in vielen Orten ausgestellt Sprachverwirrung, obwohl sinngemäß immer - 67 -

dasselbe gemeint ist. Schrift als künstlerisches Ausdrucksmittel taucht auch wieder bei der ROMA-SINTI-SPUR und den STOLPERSTEINEN auf. U.F. Die Spur MAI 1940 – 1000 ROMA UND SINTI entstand im Mai 1990 zum 50. Jahrestag der Deportation. Während der praktischen Ausführung entstand auch die Idee für die STOLPERSTEINE. Wie kam es dazu? G.D. Die Spur zur Erinnerung an die Deportation der Roma und Sinti aus Köln ist in Zusammenarbeit mit dem Rom e.V. entstanden. Kurt Holl wusste von meinen Spuren-Arbeiten und sprach mich an. Wir haben dann gemeinsam eine sogenannte Kreidespur durch Köln gezogen, die den Weg der Deportation nachzeichnete. Dazu muss man wissen, dass die Deportationen 1940 so etwas wie die Generalprobe für die späteren Judentransporte waren. Der ganze technische Ablauf wurde geprobt, mit der Auflösung der Wohnungen und dem Abtransport durch die Deutsche Reichsbahn. Später sollte ja möglichst alles perfekt und reibungslos ablaufen und in gewisser Weise auch ganz ’normal’ wirken. Die Kreidespur, mit der besten Fassadenfarbe gezogen, war natürlich trotzdem irgendwann weggewaschen. Deshalb überlegten wir, wie die Spur wenigstens an einigen Stellen symbolisch konserviert werden könnte. So ist der Messingschriftzug, der jetzt an 21 Stellen im Kölner Stadtgebiet verlegt ist, entstanden. Die Idee für die STOLPERSTEINE wurde beim Verlegen des Metallschriftzuges geboren. Es war in der Südstadt, am Großen

Griechenmarkt, als eine Zeitzeugin mich ansprach: “Ist ja ganz schön, was Sie hier machen, aber in unserem Viertel haben doch nie Zigeuner gewohnt.” Sie können sich vorstellen, die Worte verwirrten mich. Aber ganz offensichtlich hatte die Frau es wirklich nicht gewusst. Langsam begriff ich: Die Menschen in dem Viertel lebten ganz normal, nachbarschaftlich zusammen. Zigeuner waren wie alle anderen gemeinschaftlich eingebunden, mit den jüdischen Mitbürgern muss es ähnlich gewesen sein. Es interessierte nicht, ob jemand vielleicht fremd oder anders aussah, etwas anderes glaubte oder einer anderen Volksgruppe angehörte. Und trotzdem wurden diese Menschen später deportiert, ohne nennenswerten Widerstand ihrer Nachbarn. Auschwitz war der Ziel- und Endpunkt, aber in den Wohnungen und Häusern begann das Unfassbare, das Grauen.

von Heiner Lichtenstein. In der Publikation erfuhr ich die ersten erschütternden Fakten, dass diese Transporte von der Bahn perfekt organisiert und bis ins kleinste Detail durch-

U.F. Sie erwähnten die Deutsche Reichsbahn. Sie realisierten eine Arbeit, die die Rolle der Reichsbahn bei den Deportationen zum Thema hatte. Was war das für eine Arbeit und wie sind Sie eigentlich auf dieses Thema gekommen? G.D. Es gibt mehrere Arbeiten, die sich mit den Transporten in die Lager befassen – alle mit Modelleisenbahnen. Die Idee dazu kam mir nach dem Verlegen der ROMA UND SINTI Spur in Köln – sie endete ja an der Deutzer Messe, dem Außenlager von Buchenwald. Mir drängte sich die Frage auf: Wie ging das alles von hier aus weiter? Die Thematik ging mir nicht mehr aus dem Kopf und nach einigen Recherchen stieß ich auf das Buch “Mit der Reichsbahn in den Tod” - 68 -

14. August 2007: Gunter Demnig verlegt den . . . geplant waren, auch hinsichtlich des zu machenden Gewinns. Stellen Sie sich vor, die Menschen mussten ihre Fahrt sogar selbst bezahlen. Als die Vernichtungsmaschinerie in Auschwitz auf Hochtouren lief, beklagte sich die SS, dass die Öfen nicht ausgelastet seien und die Züge jeweils nur 1000 Menschen transportieren konnten.

Ingenieure bei Borsig entwickelten daraufhin eine Lok, die Züge mit 2000 Menschen ziehen konnte – Prototypen dafür sind bei einem Bombenangriff in Berlin zerstört worden – aber es gab noch ein Modell davon. Die Lok der “Baureihe 53” habe ich auf Schienen, in Form einer liegenden Acht (7,5 Meter lang, 1,75 hoch) gesetzt, und der Betrachter kann mittels Knopfdruck die Anlage in Betrieb setzen. Daraufhin setzt

Für mich ist das alles ein einziges Fragezeichen: Wie konnte das alles nur so perfekt funktionieren und wer hat was gewusst oder gesehen oder sogar mitgeholfen? U.F. Ihre ersten Steine in Köln waren noch ausschließlich dem Gedenken an ermordete Roma und Sinti gewidmet. Warum damals diese Einschränkung? G.D. Diese Steine waren der Anfang und die Einschränkung war eine Folge der Quellenlage. Der ROM e.V., mit dem ich für die Leidensspur der Roma und Sinti zusammenarbeitete, hatte schon gut recherchiert, die Daten waren sofort verfügbar; wertvolle Hinweise gab mir die Historikerin Karola Fings. Das Konzept sollte jedoch von Anfang an alle Opfergruppen umfassen: Roma und Sinti, Juden, politische Opfer: Kommunisten und Sozialdemokraten, verfolgte Christen, Euthanasieopfer und Zeugen Jehovas. Schließlich musste ja jeder, der nicht ins Menschenbild der Nationalsozialisten passte oder sich nicht einfügte, mit Repressalien, Gestapohaft, mit Folter, mit materieller oder letztlich physischer Vernichtung rechnen.

. . . ersten Stolperstein in Elmshorn für Reinhold Jürgensen. sich die Lok in Bewegung und gleichzeitig wird aus einem Lautsprecher über die Hintergründe informiert. Diese Installation wirkt auf den ersten Blick wie eine harmlose Spielzeugeisenbahn, aber im Gegensatz dazu stehen die detaillierten Informationen aus dem Lautsprecher.

U.F. Das war 1993. Haben Sie damals geglaubt, dass Sie die Idee eines persönlichen Gedenkens der unzähligen Opfer des Nationalsozialismus jemals verwirklichen können? G.D. Anfangs war die Idee des Gedenkens der Opfer für mich ein theoretisches Konzept – 6 Millionen STOLPERSTEINE für Europa zu realisieren eher eine absurde Idee. Dann - 69 -

ist die Idee im selben Jahr bei Lindinger & Schmid in dem Buch “GRÖßENWAHN – Kunstprojekte für Europa” publiziert worden. Das Zusammentreffen war zufällig. Daraufhin habe ich aber schon mit konkreten Überlegungen begonnen, das Ganze möglicherweise auch in die Realität umzusetzen. Es war dann der Pfarrer Kurt Pick von der Antoniter-Gemeinde in Köln, der die Sache ins Rollen brachte: “Na ja, 6 Millionen Steine kannst Du nicht schaffen; aber um ein Zeichen zu setzen, könntest Du ja klein anfangen.” 1994 ist aus dieser Bemerkung eine kleine Ausstellung in der Antoniterkirche mit den ersten 250 STOLPERSTEINEN entstanden und später wurden diese Steine auch verlegt. U.F. Am Anfang stand die Idee des Gedenkens der Menschen, die aus ihren Häusern abgeholt und ermordet wurden. Seit 2000 bis jetzt haben Sie fast 2000 STOLPERSTEINE in Deutschland verlegt. Welche Überlegungen und Vorstellungen gingen der technischen Umsetzung voraus? G.D. Die bekannten zentralen Denkmäler können nur allgemein der Opfer gedenken und sind zum Teil auch nur auf bestimmte Opfergruppen bezogen. Auf dem STOLPERSTEIN bekommt das Opfer seinen Namen wieder, jedes Opfer erhält einen eigenen Stein – seine Identität und sein Schicksal sind, soweit bekannt, ablesbar. Durch die persönliche Erinnerung an den Menschen, vor dem Haus, in dem er bis zur Deportation gewohnt hat, wird die Erinnerung ganz konkret in unseren Alltag geholt. Wobei jeder persönliche Stein wiederum auch die Gesamtheit der Opfer symbolisiert, denn alle

eigentlich nötigen Steine kann man nicht verlegen. In Köln müssten sonst ganze Straßenzüge mit STOLPERSTEINEN gepflastert werden. Das Projekt kann letztlich nur Zeichen setzen. Meine Vorstellung war ja eigentlich, dass die Steine durch das Begehen immer wieder so richtig blank poliert werden und damit die Erinnerung jedesmal neu aufgefrischt wird. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass es nicht überall auch so funktioniert: In kleineren Straßen treten die Leute nicht auf die STOLPERSTEINE. Womöglich taucht dabei der Gedanke an einen kleinen Grabstein auf, obwohl diese Assoziation nicht beabsichtigt war; andererseits ist anzunehmen, dass es für die meisten Opfer keinerlei Grabsteine gibt. Wenn der Stein also nicht oft begangen wird, beginnt das Metall zu oxydieren und es bildet sich eine Schutzschicht; d.h. es wird erst bräunlich, dann fast schwarz – allerdings bleibt die Schrift trotzdem gut lesbar. Die Verfärbung wird von einigen Betrachtern irrtümlich als Verschmutzung angesehen. – Zu dem Aspekt des “Betreten” eines STOLPERSTEINES habe ich erfahren, dass es in der jüdischen Philosophie durchaus eine direkte Verbindung zwischen Begehen und Lesen gibt; darüber schreibt Jacques Derrida in einem Aufsatz über Edmund Jabès in: Die Schrift und die Differenz. U.F. Wie setzen Sie Ihre Idee technisch um und welche Arbeitsschritte gehören zur Herstellung der STOLPERSTEINE? G.D. Die Ausführung und das Verlegen der Steine war mir relativ schnell klar. – Die Steine haben eine Grundfläche von 10 x 10

cm und sind 10 cm hoch, d.h. sie sind später 10 cm tief in die Gehwege eingelassen. Natürlich plano – das “Stolpern” soll ja nur symbolisch sein. Der Text wird mit Schlagbuchstaben in 1mm starkes, halbhartes Messingblech eingeprägt und ist damit nicht mehr zu korrigieren oder zu entfernen. Die Enden des Blechstreifens werden nach hinten gefalzt und durch zwei Bohrungen wird Baustahl zur Armierung eingesetzt. In einer Stahlform werden jeweils 4 Bleche mit Estrichbeton hinterfüllt, auf dem Rütteltisch hoch verdichtet und sofort wieder ausgeformt. Nach einer Anfangshärtung erhalten die Steine ihre maximale Festigkeit durch ein Wasserbad von der Dauer einer Woche. Zum Verlegen wird der Straßenbelag vor Ort entfernt und ein zirka 5 cm dickes Bett aus Estrichbeton eingebracht, die STOLPERSTEINE werden eingepasst und mit Quarzsand und Portlandzement verfugt, eingeschlämmt und danach gesäubert. Die Steine sind damit relativ sicher verlegt; gegen Vandalismus ist allerdings nichts zu machen. Bei fälligen Bauarbeiten können die Steine entfernt und hinterher an derselben Stelle wieder eingesetzt werden. Inzwischen wurde mir sogar vom Kölner Amt für Straßen- und Verkehrstechnik bescheinigt, dass ich das Verlegen fachmännisch ausführe. U.F. Es ist ungewöhnlich, kleine Gedenksteine auf dem Pflaster vorzufinden, zu unseren Füßen, und ihre Entdeckung löst Irritation aus: Plötzlich fühlt man sich in eine andere, vergangene Zeit versetzt, wird mit ihr konfrontiert. Obwohl die STOLPERSTEINE bescheiden und relativ unauffällig im Pflaster liegen, wird man an die - 70 -

Lebensschicksale der verfolgten und ermordeten Menschen in diesen Häusern erinnert. Wir sind ja eher an richtige Denkmäler und Gedenktafeln für bekannte Persönlichkeiten gewöhnt. – Wie sind Sie auf die Idee gekommen, die Gedenksteine in den Straßenraum zu verlegen?

Der Stolperstein wird eingepasst. G.D. Zunächst einmal durch die Überlegungen und inzwischen auch die Erfahrung, dass viele Hausbesitzer solche Tafeln wahrscheinlich verhindern würden. So ist es z.B. in Köln-Deutz vorgekommen, dass ein Hausbesitzer behauptet hat, das jüdische Ehepaar Grünberg hätte nie in seinem Haus gewohnt. Es stellte sich jedoch heraus: Sie haben doch dort gewohnt und das Haus wurde arisiert. Wenn ich jedes Mal die persönliche Zustimmung des Eigentümers ein-

holen müsste, wäre das Projekt längst gestoppt worden und kaum zu realisieren. Der Trottoir dagegen ist öffentlicher Straßenraum; d.h. wenn eine Gemeinde oder Stadt die Verlegung der STOLPERSTEINE einmal beschlossen und genehmigt hat, lassen sich schwerlich noch Gründe für eine Ablehnung finden. Außerdem blicken die meisten Menschen doch eher auf den Boden als an den Hauswänden empor – dadurch geraten die Steine eher in den Blick der Vorübergehenden. Hinzu kommt der Aspekt des Begehens und des Lesens – die Irritation des Ungewohnten wird noch verstärkt.

Morthorststraße 14 - der erste Stein für Elmshorn ist verlegt. U.F. Sie sprachen von der Gemeinde oder der Stadt, die das Verlegen beschließen und genehmigen muss. Jedoch mit den ersten Steinen war das noch nicht so einfach und

die ersten Verlegungen in Berlin waren doch auch nicht so ganz legal. G.D. In Berlin wurde ich 1996 von der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) in Kreuzberg eingeladen, zu einer Ausstellung mit dem Thema: “Künstler forschen nach Auschwitz”. Ein irritierender Titel für eine interessante Ausstellung. Neben der Arbeit, die sich mit der Rolle der Reichsbahn befasste, schlug ich vor, 51 STOLPERSTEINE in der Oranienstraße zu verlegen. Allerdings standen mir nur drei Monate für einen Antrag zur Verfügung und in Köln lief diese Prozedur ja schon ein Jahr. Also die Zeit war einfach zu knapp; ich habe sie dann illegal verlegt. Nachdem drei Steine drei Monate von den Behörden unbeachtet blieben, waren sie bei Bauarbeiten im Wege und sollten entfernt werden. Die Arbeiter weigerten sich mit dem Hinweis, dass es ja ein Denkmal sei – so wurde das Tiefbauamt auf die STOLPERSTEINE aufmerksam und musste nun aktiv werden. Nach einer Ortsbegehung wurden sie nachträglich legalisiert. Es blieb allerdings zunächst nur eine Ausnahmegenehmigung. U.F. Sie leben in Köln und 1995 begannen Sie in dieser Stadt das STOLPERSTEINEProjekt – inzwischen liegen 1200 Steine vor 250 Häusern. Welche Schwierigkeiten gab es am Anfang und wie ging es danach weiter? G.D. Die ersten Probeverlegungen waren in Köln, gleichzeitig lief ein Antragsverfahren an die Stadt, das Verlegen in größerem Stil zu genehmigen. Es hing an den oberen Etagen der Stadtverwaltung, dass es zunächst mit der Genehmigung überhaupt - 71 -

nicht weiterging. Im Jahr 1997 ermunterte mich Dr. Schäfke, der Direktor des Stadtmuseums, doch noch einmal einen neuen Anlauf zur Realisierung des Projektes zu unternehmen. Daraufhin begann der Weg durch die Instanzen: der Kunstbeirat, der Kulturausschuss, die Bezirksvertretungen, das Tiefbauamt, das Amt für Straßen und Verkehrstechnik, das Stadtplanungsamt, der Haushaltsausschuss und zu guter Letzt der Rat der Stadt. Mit einer Gegenstimme (im Rat war ein Republikaner) wurde das Projekt genehmigt. Drei Jahre hat die ganze Prozedur gedauert. Im April 2000 war es dann soweit und die Arbeit konnte endlich beginnen. Inzwischen ist die Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung sehr gut und auf die STOLPERSTEINE wird sogar bei Stadtrundfahrten hingewiesen. Für die Volkshochschule mache ich regelmäßig Dia-Vorträge über die Idee und die Entwicklung der Arbeit. Auch von den Kölner Bürgern ist das Projekt gut angenommen worden und jede Woche kommen neue Anfragen für weitere Steine. Die Menschen sind plötzlich interessiert – was war hier in meinem Haus oder in meiner Straße, wer weiß noch etwas davon? U.F. Erst im Jahr 2000 konnten Sie auch in Berlin weitere Steine verlegen. Eine Bürgerinitiative und Mr. Robins aus Südafrika übernahmen 2000 die ersten Patenschaften. Wie ging es danach weiter? G.D. Ja, eine Bürgerinitiative gegen Fremdenfeindlichkeit beantragte Patenschaften für die Dresdner Straße und kurz danach kam die Anfrage von Mr. Robins aus Südafrika. Mr. Robins, ein Angehöriger

der Robinskys, jüdischen Opfern, die in der Naunynstraße gewohnt hatten und in Auschwitz umkamen, fragte beim KreuzbergMuseum an, ob es möglich sei, auch für seine Tante und seinen Onkel STOLPERSTEINE zu verlegen. Daraufhin hat sich die Bezirksvertreterversammlung intensiver mit dem Projekt befasst. Sie beschloss, es in ganz Kreuzberg zu initiieren und möglichst viele STOLPERSTEINE zu verlegen. Durch die Fusion der Bezirke kam dann Friedrichshain dazu und in Berlin-Mitte hat die Gedenktafelkommission die Idee übernommen. In beiden Bezirken liegen bis jetzt zirka 300 Steine und zahlreiche weitere sind geplant. Inzwischen haben auch in anderen Berliner Bezirken Vorarbeiten begonnen; in Friedenau hat sich eine private Initiative gebildet, die in ihrem näheren Umkreis STOLPERSTEINE plant, und von einem früheren Bewohner Neuköllns kam die Anfrage, ob auch dort das Verlegen möglich sei, und über Dänemark kam der Auftrag für zwei Steine in Lichtenberg. Das bedeutet allerdings auch, dass immer wieder neue Genehmigungsverfahren beantragt werden müssen – für jeden Berliner Bezirk eine eigene.

verein. In Berlin kann ich auf das Gedenkbuch zurückgreifen, auch die Heimatmuseen helfen mit Informationen weiter. In Bonn ist es der Verein an der Synagoge und das Stadtarchiv. Wenn ich Informationen zu jüdischen Bürgern benötige, frage ich bei der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem nach. Von dort bekomme ich auch viel inhaltliche Unterstützung. Die Quellenlage ist jedoch noch sehr unterschiedlich: Es gibt Gemeinden, wie z.B. im Bergischen Land oder in der Pfalz, in denen die Aufarbeitung der Geschichte noch am Anfang steht.

U.F. Woher erhalten Sie die Informationen, die sich auf den STOLPERSTEINEN wiederfinden und wer hilft Ihnen bei den Recherchen?

G.D. Meine Erfahrung ist: Je mehr Steine verlegt sind, desto mehr Anfragen erreichen mich. In Köln kann man das beobachten, ebenso in Berlin und ganz Deutschland. Inzwischen erfahre ich viel Unterstützung und Interesse. Es sind immer mehr engagierte Bürger, die sich schriftlich oder telefonisch an mich wenden und nachfragen, ob und wie so ein Projekt auch für ihre Stadt realisierbar sei. Dafür gebe ich Ihnen

G.D. Es sind verschiedene Vereine und Organisationen, die mir bei den Recherchen der historischen Daten helfen. In Köln ist es hauptsächlich das EL-DE-Haus, der ROM e.V., der VVN und der SchwulenGeschichts-

U.F. Mit viel Ausdauer und eigenem Engagement haben Sie das Projekt in Köln und Berlin begonnen. Heute, im Jahr 2002, gibt es 2000 STOLPERSTEINE in ganz Deutschland. Ständig kommen neue Orte und Gemeinden hinzu: In der näheren Umgebung von Köln sind es die Gemeinden Erkelenz, Wermelskirchen, Euskirchen und Brühl. In Städten wie Bonn, Hamburg und Freiburg gibt es Paten und es kommen immer weitere Anfragen hinzu; ganz aktuell aus Essen und Duisburg. Wie schaffen Sie das alles und erhalten Sie Unterstützung vor Ort?

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Informationen über die notwendigen Schritte bei den Behörden sowie für die Recherchearbeit. Gemeinsam versuchen wir in den Orten Vereine oder Institutionen zu finden, die

Ansprache von Bürgermeisterin Dr. Brigitte Fronzek. beim organisatorischen Teil der Arbeiten helfen können, die z.B. die Recherchen oder die Abrechnung von Patenschaften übernehmen. Manche Bürger bieten da sehr engagierte Unterstützung an: So können sich Interessierte in Bonn an den “Verein an der Synagoge” wenden, in Hamburg an Peter Hess, der sich privat sehr einsetzt für die STOLPERSTEINE, auch für Freiburg gibt es inzwischen eine Ansprechpartnerin: Frau Marlis Meckel, und für Breisach: Frau Dr. Walesch-Schneller. In diese Städte wurde ich eingeladen von Menschen, die sich für die Realisierung der STOLPERSTEINE ein-

setzen. Gerade in den letztgenannten Städten gibt es soviel Unterstützung und persönliches Engagement – das wirkt schon als Bestätigung und Ermutigung für meine Arbeit. Ebenso erschien am 23. April im Hamburger Abendblatt ein Artikel über die STOLPERSTEINE und seitdem steht mein Telefon nicht mehr still, Menschen erzählen mir ihre Lebensschicksale und innerhalb einer Woche wurden zahlreiche Patenschaften übernommen.

Berlin berichten schon fast regelmäßig über neue Entwicklungen des Projektes und überregional gibt es Berichte in der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Rundschau und in der FAZ. Im Hessischen Rundfunk und dem WDR-Hörfunk wurden Interviews mit Ihnen gesendet; die BBC drehte einen Dokumentarfilm und der WDR ebenfalls. Erhalten Sie darauf Reaktionen? G.D. Manchmal gibt es ganz spontane Reaktionen. Direkt nach dem Interview im Hessischen Rundfunk erhielt ich einen Anruf aus Wiesbaden, ich wurde gefragt, wie das Projekt organisiert ist und wie man sich beteiligen kann. Zu meiner Freude kann ich sagen, dass in der Bevölkerung ein großes Interesse und große Zustimmung zu erkennen ist und ebenso der Wunsch von vielen Bürgern, sich zu beteiligen. U.F. Der WDR sendete im SchulfunkProgramm einen Film über die tragische Geschichte eines Kölner jüdischen Jungen, an den auch mit einem Stein erinnert wird. – Sie halten auch Vorträge in Schulen und in verschiedenen Städten organisierten Lehrer gemeinsame Schülerprojekte mit Ihnen. Wie reagieren Kinder und Jugendliche auf diese Thematik, welche Erfahrungen machen Sie während der Arbeit mit Ihnen?

Peterstraße - Alisa Fuhlbrügge von der Jüdischen Gemeinde spricht ein Gebet für die Familie Löwenstein, die hier wohnte. U.F. Durch die Medien, wie Presse, Rundfunk und Fernsehen erfahren die STOLPERSTEINE zunehmende Öffentlichkeit. Es erschienen bis jetzt zahlreiche Artikel - die Tageszeitungen von Köln und

G.D. Ich habe schon etliche Vorträge an Schulen zur Idee der STOLPERSTEINE gehalten und auch gemeinsam mit Schülern Steine verlegt. Die schönste Erfahrung dabei ist für mich das Interesse und die Offenheit von Jugendlichen bezüglich der Thematik des Nationalsozialismus sowie deren Engagement für die Realisierung der STOL- 73 -

PERSTEINE. Eine Schülergruppe der WernerHeisenberg-Schule in Leverkusen hat das Projekt für ihre Stadt übernommen und sowohl die Forschungen in den Archiven als auch die Organisation der Genehmigungsverfahren mit der Stadtverwaltung durchgeführt. In Köln haben Schüler die Lebensläufe und Schicksale der Verfolgten für die später gemeinsam verlegten Steine erforscht; Schüler des HumboldtGymnasiums in Köln haben für 33 Steine Patenschaften organisiert. In Berlin sind in Schulen unterschiedliche Projekte zu den Steinen realisiert worden; so hat zum Beispiel eine Schülergruppe der Carl-von-Ossietzky-Oberschule zur Erforschung der Einzelschicksale zusätzlich die Arisierungsunterlagen in der Oberfinanzdirektion eingesehen und analysiert. Schüler der Oberschule am Köllnischen Park und des Max-PlanckGymnasiums erforschten in enger Zusammenarbeit mit dem Bürgerverein Luisenstadt die Lebensschicksale von Deportierten und Ermordeten und organisierten Patenschaften für zahlreiche STOLPERSTEINE. Im April realisierte ich in Duisburg gemeinsam mit Schülerinnen des Sophie-SchollBerufskollegs und Jugendlichen der Jüdischen Gemeinden Duisburg, Mülheim und Oberhausen ein 3,20 x 2 Meter großes Bodenmosaik. Der Stadtplan Duisburgs ist stilisiert dargestellt und die ehemaligen Wohnorte jüdischer Bürger sind markiert. Es gibt z.Zt. Überlegungen mit der Stadt, das Mosaik auf dem neu zu gestaltenden Bahnhofsvorplatz zu installieren. Immer wieder sind die Jugendlichen mit gro-

ßem Interesse dabei und nehmen persönlichen Anteil an den Lebensschicksalen. Dadurch können sie die vergangene Geschichte gut nachvollziehen und ich denke, dass Geschichtswissen so sehr anschaulich und konkret vermittelt wird – es schärft auch den Blick für die Gegenwart, mit der in ganz Europa wieder wachsenden Tendenz zu Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit. U.F. Das Verlegen der STOLPERSTEINE bringt Sie in Kontakt mit Bürgern auf der Straße. Welche Reaktionen erleben Sie? G.D. Man spürt schon regional unterschiedliche Temperamente – so sind die Kölner aufgeschlossener als die Berliner, obwohl die auch sehr neugierig sind. In einer Kleinstadt fällt die Aktion stärker auf als z.B. in Köln auf der Domplatte, wo viele Touristen unterwegs sind, die natürlich nach oben zum Dom schauen und nicht auf STOLPERSTEINE. Auch in der eigenen Wohnumgebung bleiben die Leute eher stehen und fragen nach. Manchmal treffe ich auch Zeitzeugen, die mir noch Einzelheiten zu den Einzelschicksalen berichten können. Manche erzählen mir auch, wie Menschen abgeholt wurden oder verschwunden sind; viele haben dabei zugesehen und davon gewusst. Es ist schon ganz unterschiedlich – manchmal bleibe ich allein, aber oftmals beginnen sehr interessante Gespräche innerhalb des Publikums. Durchaus kontroverse Diskussionen werden geführt: Als zum Beispiel ein Passant meinte, dass ja die Angehörigen der Opfer heute die Millionen abkassieren würden, gab es ein spontanes

und heftiges Streitgespräch. Und wie zu erwarten, werden auch schon mal die Opfer der alliierten Luftangriffe auf Deutschland mit den Opfern des Holocaust aufgerechnet – jedoch sind das die Ausnahmen. Insgesamt kann ich sagen, dass ich auf große Zustimmung treffe bis hin zu Passanten, die direkt vor Ort eine Patenschaft übernehmen wollen.

ten, da sich im Nachbarhaus regelmäßig rechtsextreme Gruppen treffen würden und er hatte Angst vor deren Reaktionen. Der Stein liegt erst mal nicht – schlimm genug, dass jemand Angst haben muss. Auch der Name auf der Erde hat speziell den Roma und Sinti Probleme bereitet, obwohl fast alle katholisch sind und man in den Kirchen über richtige Grabplatten läuft. Ablehnung erfuhr

U.F. Es stellt sich die Frage der Finanzierung des Projektes. Die Städte und Gemeinden akzeptieren die STOLPERSTEINE als Geschenk – Sie machen Recherchen, die Herstellung und das Verlegen der Steine. Wie wird das alles finanziert? G.D. Da von vornherein klar war, dass die notorisch finanziell klammen Städte für so ein Projekt kein Geld haben werden, waren private Geldgeber gefragt, d.h. eine Privatperson, ein Verein, eine Partei, eine Organisation, etc. Sie können Patenschaften für einen ganz speziellen Stein oder auch mehrere übernehmen. Der Preis für einen STOLPERSTEIN liegt bei 95 Euro (abhängig von besonderen Verlegekosten). U.F. Bis jetzt hörte sich alles sehr positiv an. Nur kurz erwähnten Sie die ablehnende Reaktion eines Hauseigentümers, der nicht an die Arisierung erinnert werden wollte. Gab es sonst noch irgendwelche Bedenken oder auch schon mal Ablehnung in manchen Orten? G.D. Ein Hausbewohner eines Einfamilienhauses in Köln-Bickendorf hat mich gebeten, auf das Verlegen zu verzich- 74 -

Peterstraße - die Steine für Karl, John und Selma Levi geb. Löwenstein werden verlegt. ich zum Beispiel von der Stadt Leipzig: Sie wollen das Projekt nicht übernehmen, u.a. mit der Begründung, dass die STOLPERSTEINE formal und inhaltlich Ähnlichkeit hätten mit dem Hollywood Boulevard in L.A. Auch in Kassel gab es Probleme – dort hat man die symbolische Auswahl einzelner Häuser verglichen mit der Selektion an der Rampe in Auschwitz. . U.F. Gab es auch schon mal Vandalismus

an fertig verlegten Steinen?

noch erträglich.

G.D. Ja, es gibt auch Zerstörung und Vandalismus – in der Kölner Südstadt ist ein Stein zerschlagen worden, im Kölner Norden sind an zwei Stellen Steine aus dem Trottoir entfernt worden. Im ersten Fall hat der

U.F. Eigentlich beschäftigt sich Ihr Projekt mit der Vergangenheitsgeschichte des Nationalsozialismus. Heute gibt es schon wieder Fremdenfeindlichkeit und Anschläge auf Synagogen und nicht nur in deutschen Städten, sondern in ganz Europa wird vor ihnen Wache gestanden. Wie sehen Sie die Aktualität des Themas?

Die Stolpersteine werden in einem Betonbett verlegt. Besitzer den Stein als Affront gegen sein Haus empfunden und für sich die Gnade der späten Geburt reklamiert; in den anderen Fällen sind technische Gründe vorgeschoben worden. Vor der Kölner Universität wurde mutwillig versucht, das Messingblech abzumontieren und dabei stark beschädigt. An allen Stellen liegen aber neue STOLPERSTEINE; zum Teil auch nach Gesprächen mit den Hausbesitzern. Im Verhältnis zur Gesamtzahl von 2000 Steinen ist das aber

G.D. Während der konkreten Arbeit mit Schülern konnte ich zum Glück eine gegenläufige Tendenz feststellen und die Schüler haben sehr sensibel auf Fremdenfeindlichkeit reagiert. Ich denke, es ist gerade die ganz persönliche Konfrontation und Auseinandersetzung der Schüler mit den Lebensschicksalen, die dies hervorruft und unterstützt. Geschichte bleibt dadurch für sie nicht rein theoretisch, sondern ganz persönlich erfahr- und nachvollziehbar. Das sollte noch viel mehr geschehen. Ich würde mir wünschen, dass mein Projekt weniger aktuell wäre; aber gerade wegen der Aktualität sollten überall noch viel mehr STOLPERSTEINE verlegt werden. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die STOLPERSTEINE die Auseinandersetzung mit der Thematik Fremdenfeindlichkeit provozieren oder zumindest anregen – mit dem Hass auf das “anders” sein, das “anders” aussehen hat es bei den Nationalsozialisten und Faschisten begonnen und die Tendenz zur Wiederholung droht in ganz Europa. Es ist schon wieder aktuell, Fremde zu Sündenböcken zu machen und Flüchtlinge erst gar nicht herein zu lassen. U.F. Stichwort Europa - ich erinnere mich an - 75 -

die Publikation von 1993 “Größenwahn – Kunstprojekte für Europa”, es war Ihr Traum, das STOLPERSTEIN-Projekt europaweit auszudehnen. Am Anfang des Projektes war eine Idee – jetzt werden in Deutschland immer mehr Steine verlegt. Wie sieht es zur Zeit mit Aktivitäten für andere europäische Länder aus? G.D. Die ersten Vorgespräche hatte ich für Antwerpen und Amsterdam, Kontakte nach Mailand, Paris und Saloniki sind geknüpft, in Polen bin ich erst mal gescheitert, aus Budapest ist mir Interesse signalisiert worden, mit einer Zeitzeugin aus Dänemark bin ich direkt in Verbindung. Das alles erweist sich als nicht so einfach, da auch dort die Vergangenheit nicht immer so ganz gründlich aufgearbeitet wird. Es sind aber positive Reaktionen zu spüren und ich hoffe, dass die STOLPERSTEINE eines Tages in ganz Europa realisiert werden – sicher keine 6 Millionen, wie sich das Elke Heidenreich in dem Buch “Köln-Bilder und Geschichten” gewünscht hat; aber ein Zeichen sollte gesetzt werden. (Interview April/Mai 2002)

U.F. Seit unserem letzten Gespräch im Mai hat sich Ihr Projekt ausgedehnt: immer mehr Bürger übernehmen Patenschaften für die STOLPERSTEINE, einige Ihrer Pläne sind realisiert, neue sind hinzugekommen. Wie ist der Stand in Köln und Berlin, dort wo das Projekt seinen Anfang nahm? G.D. In Berlin-Mitte und KreuzbergFriedrichshain habe ich wieder Steine verlegt, die Planung für Neukölln, Lichtenberg und Schöneberg ist durch die Sommerpause

verzögert. Dafür hat Prenzlauer Berg dem Verlegen sehr schnell zugestimmt. Das Problem ist immer wieder: Jeder Bezirk prüft alles noch mal akribisch von vorne und das dauert dann. Für Köln hatte ich damals noch 60 fertige Steine – die sind fast alle verlegt, nur bei einer Baustelle warte ich noch. Dafür sind neue Paten dazu gekommen: Die Bürgerinitiative in Mülheim hat mir neue Namen genannt und das Georg-BüchnerGymnasium hat für 13 Steine die Patenschaft übernommen. Die werden alle bis Ende 2002 hergestellt und verlegt sein. Außerdem möchte das Jüdische Forum eine größere Zahl von Steinen herstellen lassen. Auch in der Umgebung von Köln sind in Erkelenz, Euskirchen, Leverkusen, Opladen, Bonn und Wermelskirchen Steine eingelassen worden. Überall gab es eine Zusammenarbeit bei der Planung und der Verlegung mit Schulklassen. U.F. Es gibt viele neue Anfragen und Patenschaften: Frankfurt/M., Stuttgart, Halle/Saale, Neustadt/Weinstraße, Freiburg, Duisburg, Düsseldorf und Essen. Wie ist der aktuelle Stand der Planung und Realisierung? G.D. Für Frankfurt und Stuttgart sind zunächst Vorträge geplant, Neustadt/Weinstraße möchte das Projekt realisieren, Halle/Saale, Düsseldorf und Duisburg sind in der Genehmigungsphase, in Essen ist das Projekt beantragt, in Freiburg gibt es noch Probleme und Fragen. U.F. Sie erwähnen Freiburg mit Problemen und Fragen – bei den vielen Anfragen gibt es

offensichtlich in den Städten und Gemeinden immer wieder neue Auseinandersetzungen mit dieser Thematik, es werden Bedenken und Einwände gegen die STOLPERSTEINE erhoben – so wie in Freiburg, in Brühl und auch in Neustadt/Weinstraße. Welche Einwände sind das?

Datenschutzgründe ins Feld geführt. – Ich denke, da wird oftmals etwas konstruiert, um bloß nicht erinnert zu werden. U.F. Herr Demnig, im Rahmen des gesamten Projektes scheinen mir diese Einwände

G.D. In Freiburg kam wieder das Argument: Man tritt ja auf einem Menschen herum. Ich selbst hatte bei Beginn des Projektes dieselben Gedanken und Bedenken – aber es ist kein Grabstein. jetzt hat sich in einem Gespräch auch der Zentralrat der Juden dazu geäußert und will das Projekt voll unterstützen. Letztlich kann jedes Denkmal und jede Gedenktafel zerstört und geschändet werden. Die Berliner bringen deshalb die Gedenktafeln jetzt in 3 Metern Höhe an – aber da sieht sie keiner mehr. Von einem Mitarbeiter des Zentralrates kam dann auch noch ein für das Projekt wichtiges Argument: Auch wenn man den Stein zerschlägt oder beschmutzt oder den Namen zerstört – die Seele dieses Menschen bleibt unberührt und kann nicht verletzt werden. Es war von vornherein klar, dass dieses Projekt Irritationen hervorrufen würde – das soll es ja auch. In Brühl machen sich die Stadtväter ernsthaft Gedanken darüber, dass die jetzigen Hausbesitzer durch die STOLPERSTEINE stigmatisiert werden könnten, in Neustadt erstellt der Oberbürgermeister einen Fragebogen an die Hausbesitzer, um deren Einverständnis zu erhalten, in einem anderen Ort wird gesagt, dass die Angehörigen der Täter traumatisiert werden könnten, bei Euthanasieopfern werden plötzlich - 76 -

Zuletzt werden die Stolpersteine blankpoliert. und Probleme aber doch gering zu sein – dagegen stehen die Unterstützung und das persönliche Engagement vieler Bürger. In Hamburg wurde das Projekt in sehr kurzer Zeit realisiert. – Was ist seit dem 23. April 2002, seit dem Erscheinen eines Artikels über die STOLPERSTEINE im Hamburger Abendblatt, geschehen? G.D. Ich hätte nicht im Traum daran gedacht, dass gerade im sogenannten “kühlen Norden” das Projekt auf eine solche Zustimmung stoßen würde und war über die Resonanz total verblüfft. Die Liste der Patenschaften ist lang; die Verwaltung hat innerhalb von 5 Monaten das Projekt für alle

Hamburger Bezirke genehmigt; die Resonanz beim Verlegen der ersten Steine im Juli war sehr groß; die Intendanz der HAMBURGER KAMMERSPIELE plant eine Veranstaltung für die STOLPERSTEINE; der Initiator für Hamburg, Peter Hess, ist weiter voll engagiert. Wenn es überall so wäre, dann müsste ich wirklich 6 Millionen Steine für Europa machen und verlegen. (Interview September 2002)

mit Ihnen und zahlreiche Artikel, nicht nur in lokalen Zeitungen, sind publiziert worden. Was hat sich Neues getan seit unserem Gespräch im letzten Jahr, und sind die Hamburger immer noch so interessiert? G.D. Ich bin immer wieder beeindruckt von der Aufmerksamkeit und dem anhaltenden Interesse der Hamburger Bürger. Im November 2002 fand in den Hamburger Kammerspielen eine beeindruckende

U.F. Gunter Demnig, wieder ist ein Jahr vergangen. Ein Jahr voller Aktivitäten für die STOLPERSTEINE. In den letzten Monaten war es schwierig, Sie zu erreichen, entweder ist Ihr Telefon besetzt oder Sie sind unterwegs. In ganz Deutschland scheinen sich dem Projekt immer mehr engagierte Bürger und Initiativen anzuschließen.

Verlegungen: Im November vorigen Jahres und dieses Jahr im Februar, April, Mai, Juli und jetzt im August – da habe ich 101 Steine verlegt. Neue Interviews gab es und eine Ausstellung über das Projekt in der Galerie Pimm van der Donk. In Hamburg liegen 550 STOLPERSTEINE und weitere sollen folgen; die nächste Verlegung ist für Oktober eingeplant. U.F. Viele neue STOLPERSTEINE sind verlegt worden, initiiert durch Aktivitäten des Vorjahres. So verlegten Sie in Lübeck vor dem Buddenbrockhaus einen Stein für Erich Mühsam und Sie waren auch in Zwickau, der ersten ostdeutschen Stadt.

G.D. Ja, Zwickau und Schneeberg waren sehr schnell und entschlossen. Seit Juni 2003 liegen dort 9 Steine. In Duisburg sind am G.D. Ja, das Interesse am 27. März 2003 drei STOLProjekt STOLPERSTEINE PERSTEINE verlegt worden, ist groß, immer mehr anlässlich der Einweihung Menschen unterstützen es des Mosaiks “HIER WOHNund initiieren es in ihrem Ort. TEN SIE – Duisburg 1933Mein Terminkalender für die- Fertig - die Stolpersteine für die Löwensteins glänzen in der Sonne. 1945” (von der Stadt vor dem ses Jahr ist so gut wie voll und Osteingang am ich muss schon manche auf das Jahr 2004 Veranstaltung statt – gemeinsam mit dem Hauptbahnhof installiert) und im Mai in vertrösten. Schauspieler Ulrich Tukur, dem Intendanten Kommern in der Eifel. In Halle/Saale ist das Waller, der Schriftstellerin Peggy Parnass Projekt genehmigt und die U.F. Sie sind gerade erst wieder aus und meinem Vortrag zur Idee und Recherchearbeiten laufen; 13 Steine liegen Hamburg zurück. Über die Verlegung im Entwicklung der STOLPERSTEINE. Es gab in der Siegburger Innenstadt und im Juli sind Hamburger Grindelviertel berichtete das sehr viele Reaktionen darauf. 9 STOLPERSTEINE gemeinsam mit sehr NDR-Fernsehen im Juli 2002, im Januar Und die Liste der Patenschaften ist immer engagierten Schülern in Bünde/Westfalen sendete der Hörfunk des NDR ein Interview noch sehr lang, trotz der schon realisierten verlegt worden. - 77 -

Weitere Steine sind verlegt worden: In Leverkusen im November, Februar und Juli 2003; in Bonn findet jetzt im August die dritte Verlegung statt. In Neustadt/Weinstraße liegen 40 Steine. Düsseldorf weihte im Mai die ersten STOLPERSTEINE ein, diesen Monat verlege ich weitere 7. Für Frankfurt/a.M. sind Verlegungen geplant, die Listen sind fertig. In Stuttgart engagiert sich seit Oktober vorigen Jahres eine Initiative; diese organisierte einen Stadtrundgang über die nationalsozialistische Vergangenheit Stuttgarts und deren Opfer. Im April hielt ich einen Vortrag über die STOLPERSTEINE; in diesem Jahr sollen die ersten Steine noch verlegt werden.

einigen Hausbesitzern. Ein Argument: Die Steine stellen einen “Eingriff in unser Eigentum”, einen “Vermögensschaden” dar; sie seien “eine ganz erhebliche Erschwernis im Fall des Verkaufs oder der Vermietung der Wohnungen”. (Ein Rechtsanwalt aus Köln/Lindenthal.) Die Verlegung neuer Steine wurde dadurch etwas verzögert, aber nachdem der Kulturausschuss das Projekt noch einmal begrüßt hat, geht es jetzt wieder weiter. In Hamburg-Bergedorf ist die Bezirksverwaltung sogar soweit gegangen,

Auch in Berlin ging es weiter: 2002 im Bezirk Kreuzberg/Friedrichshain, Oktober in Berlin Mitte (Moabit, Tiergarten, Wedding, Mitte) und die ersten Steine im Prenzlauer Berg/Bezirk Pankow. April 2003 zwei Steine in Neukölln, Mai in Kreuzberg/Friedrichshain und BerlinReinickendorf – die ersten Steine in Berlin für die Opfer der sogenannten Euthanasie, Juni wieder Berlin Mitte, drei Steine für Marzahn und die ersten vier Steine für Charlottenburg. U.F. Bei unserem letzten Gespräch sprachen Sie von Problemen in einigen Städten. Über Köln und Bergedorf/Hamburg wurde ausführlich in der Presse berichtet. Was ist der derzeitige Stand? G.D.

Probleme gibt es immer wieder bei

den Hausbesitzern ein Mitspracherecht über die Benutzung des Trottoirs betreffs der STOLPERSTEINE einzuräumen. In Brühl/bei Köln ist es ähnlich gelaufen; – einige Steine konnten nicht verlegt werden, da die Hausbesitzer ihre Zustimmung verwei- 78 -

gert haben. Dabei ist ein Fall ganz klar – das Haus wurde arisiert und der Hausbesitzer übt Druck auf die Stadtverwaltung aus. Trotzdem sind die ersten 11 Steine im Juli 2003 verlegt worden (zwei davon nicht genehmigt), die anderen werden im Foyer des Max-Ernst-Gymnasiums präsentiert. In Freiburg entstand das sogenannte “Freiburger Modell”: Die endgültige Genehmigung verzögerte sich, aber am 21. Oktober 2001 wurde, auf Wunsch einer Patin für ihren ermordeten Verwandten, eine sogenannte Probeverlegung durchgeführt. Die Presse berichtete darüber sehr ausführlich und spontan wurden weitere Patenschaften übernommen. Danach wurde die Genehmigung erteilt und im Januar 2003 erfolgte die erste offizielle Verlegung von 17 Steinen, weitere im April und Juli – in Freiburg liegen jetzt 97 STOLPERSTEINE. U.F. Die Medien begleiten aufmerksam die Entwicklung des Projektes STOLPERSTEINE. Es wird berichtet im Fernsehen, Hörfunk und in der Presse. Im November 2002 gab es in der bundesweiten Bahnzeitung “DBmobil” einen großen Artikel und im WDR-Fernsehen einen halbstündigen Film. In der der SeptemberAusgabe der “International Geographic” ist ein Artikel erschienen, und in einem regelmäßigen Briefwechsel von Elke Heidenreich mit Autor Till Raether in der Zeitschrift “Brigitte” werden die STOLPERSTEINE immer wieder erwähnt – was lösen diese Veröffentlichungen aus?

G.D. Jede Form der Publikation ist wichtig für das Projekt. Durch Veröffentlichungen entstehen neue Anfragen und Patenschaften. So hat auch der Artikel der Bahnzeitung “DB-mobil” ein sehr großes Echo hervorgerufen und mein Telefon klingelte ständig – ebenso nach der Dokumentation im WDR. Der Redakteur Georg Ossenbach von “Hier und Heute” begleitete ein Jahr lang das Projekt mit dem Sozialwissenschaftskurs der 9. Jahrgangsstufe der Willy-Graf-Realschule und ihrer Lehrerin. Sie initiierten das Projekt in Euskirchen, recherchierten alle Daten für die Steine und sammelten für Patenschaften – und der WDR war life dabei. Gemeinsam mit den Schülern verlegten wir am 27. Mai diesen Jahres die ersten 6 STOLPERSTEINE. Viele Menschen verfolgen in der Presse die Resonanz auf das Projekt. U.F. Ständig gibt es weitere Anfragen und Vorgespräche. Oftmals werden Sie auch zu Vorträgen eingeladen; so waren sie in Stuttgart, Nürnberg, Neuwied, Dortmund und Essen. G.D. Viele Initiativen möchten mit einem Vortrag in ihrem Ort das Projekt vorstellen, publik machen und für Patenschaften werben. Ich war auch in Neuruppin (Brandenburg), Göttingen, und in der neu restaurierten Jüdischen Synagoge in Celle, in Hessen (Frielendorf, Bad Zwesten, Homberg und Fritzlar). In einigen kleineren Orten gibt es noch Widerstände und Bedenken, doch die Vorarbeiten laufen weiter; z.B. in Fritzlar steht das Projekt kurz vor der Genehmigung. Auch Schwerin (Mecklenburg-Vorpommern)

ist sehr interessiert, ebenso Münster, Eberswalde, Marl, Haltern, Heilbronn, Kippenheim u.a. U.F. Gunter Demnig, bei all den aufgezählten Aktionen bleibt da überhaupt noch etwas Zeit für Persönliches und wie schaffen Sie das alles? Was treibt Sie an? G.D. Die Idee zu diesem Projekt war, wie Sie wissen, 1993. Die ersten offiziellen Verlegungen waren im Jahr 2000. Seit zirka einem Jahr hat sich das Projekt irgendwie verselbständigt. Das Interesse bestätigt mir, wie wichtig und immer noch aktuell die Auseinandersetzung mit der Thematik Nationalsozialismus ist. Die Vergangenheit ist nun mal unsere Geschichte und um die Zukunft zu planen, muss man die Vergangenheit kennen. Vor allem die Reaktionen von Angehörigen, Schülern und Paten treibt mich an, weiterzu machen. Zeit für Anderes bleibt wenig, aber das Echo und die Reaktionen entschädigen. Die Erfahrung bei Verlegungen von STOLPERSTEINEN ist überwältigend und geht mir auch sehr nah; manche Angehörige beginnen dadurch das erste Mal überhaupt, von ihren Erlebnissen zu sprechen. Die STOLPERSTEINE wirken wie ein Katalysator. Das ist für mich auch eine Verpflichtung. U.F. Ich bedanke mich für das Gespräch und für diese Informationen und wünsche Ihnen, dass noch mehr Menschen das Projekt begleiten, fördern und unterstützen. (Das Interview wurde im August 2003 geführt)

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PRESSESPIEGEL

Startschuss der Aktion war dieser Artikel in den Elmshorner Nachrichten am 7. Juli 2006. - 82 -

EN 14. Mai 2007

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Pinneberger Zeitung 13. Juli 2007 - 84 -

EN 13. August 2007

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EN 15.August 2007 - 86 -

Holsteiner am Wochenende 16. August 2007

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Uetersener NAchrichten 16. August 2007

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EN 16. August 2007

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Pinneberger Zeitung 16. August 2007

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Pinneberger Tageblatt 18. August 2007

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EN 13. Dezember 2007

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EN 26. Januar 2008 - 93 -

Pinneberger Tageblatt 27. Januar 2008 - 94 -

Kontakte und Ansprechpartner Literaturhinweise Arbeitsgemeinschaft „Stolpersteine für Elmshorn“: c/o Rudi Arendt, Am Dornbusch 15, 25337 Elmshorn, Tel. Fax: 04121/74878, E-Mail: [email protected]

Industriemuseum Elmshorn, Leiterin Bärbel Böhnke, zu erreichen unter: Tel.: 268870 oder 909728 E-Mail: [email protected]

Jüdische Opfer: Harald Kirschninck (Autor der „Beiträge zur Elmshorner Geschichte“ über die jüdische Gemeinde in Elmshorn) E-Mail: [email protected], Tel.: 04121/470187.

Weitere Recherchemöglichkeiten: Arbeitskreis zur Erforschung des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein (AKENS): Dr. phil. Stephan Linck, selbstständiger Historiker und Mitarbeiter. Hinweise bei der Recherche allgemein. E-Mail: [email protected], Tel.: 0431/7054890

„Euthanasie”-Opfer: Arbeitsgruppe „Euthanasieopfer“, Angelika Mail:a.busse@bruecke-sh Tel.: 04121/61123.

Busse,

E-

Politischer Widerstand: Ansprechpartner für die Arbeitsgruppe politischer Widerstand: Heinz Stehr, E-Mail: [email protected], Günther Strauer, Tel.: 04121/21701, Alfred Rasmussen, E-Mail: [email protected].

Gedenkstätte des KZ Neuengamme: Herbert Diercks, Autor des Buches „Die Freiheit lebt“, arbeitet dort als hauptamtlicher Museumspädagoge. Hinweise für die Recherche bei Opfern des politischen Widerstandes: Tel.: 040/428 131 517 Institut für die Geschichte der deutschen Juden: Beim Schlump 83, 20149 Hamburg (www.igdj-hh.de)

Bibelforscher/Zeugen Jehovas: Ansprechpartner Jörn Puttkammer (Vertreter der NSOpfergruppe Zeugen Jehovas) e-mail: [email protected]

Literatur: „Beiträge zur Elmshorner Geschichte: Juden in Elmshorn: Diskriminierung – Verfolgung – Vernichtung“, Band 9, Teil 1, Harald Kirschninck, hrsg. Stadt Elmshorn, ISSN 0937-3403

Arbeitersportbewegung: Ansprechpartner: Jens Gatzenmeier, E-Mail: [email protected]

„Beiträge zur Elmshorner Geschichte: Juden in Elmshorn: Isolierung – Assimilation – Emanzipation“, Band 12, Teil 2, hrsg. Stadt Elmshorn, ISSN 0937-3403 (beide erhältlich bei der Stadtbücherei, Industriemuseum, Stadtarchiv)

Presse: Bert. C. Biehl, Redakteur der Elmshorner Nachrichten, Mitinitiator der Aktion Stolpersteine, Telefon: 04121/ 297-267. EMail: [email protected]. Kultur: Anna Haentjens: Koordination für die kulturelle Umrahmung. EMail: [email protected] Verwaltung: Stadtarchiv Elmshorn, Birgit Hillebrand, zu erreichen wochentags unter: Tel.: 231-271, E-Mail: [email protected]. Im Archiv zu erreichen montags von 9.00 Uhr bis 12.00 Uhr und 14.00 Uhr bis 16.00 Uhr und nach Terminvereinbarung. - 96 -

„Die Freiheit lebt – antifaschistischer Widerstand und Naziterror in Elmshorn und Umgebung“, Herbert Diercks und Fritz Bringmann (erhältlich bei der VVN/BdA: Sonja Stein, Tel.: 04121/24586). Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte – ISHZ (Periodika des AKENS) (erhältlich im Industriemuseum oder direkt über Kay Dohnke Tel.: 040/4393211 e-mail: [email protected] „Menora und Hakenkreuz - zur Geschichte der Juden in und aus Schleswig-Holstein, Lübeck und Altona“, Gerhard Paul, Miriam Gillis-Carlebach, Wachholtz-Verlag

„Memorbuch zum Gedenken an die jüdischen, in der Schoa umgekommenen Schleswig-Holsteiner und SchleswigHolsteinerinnen“, Miriam Gillis-Carlebach, Dölling und GarlitzVerlag, Hamburg „Spuren vergessener Nachbarn – ein Kunstprojekt füllt Gedächtnislücken – Stuttgarter Stolpersteine“, direkt bei Peter Grohmann Tel.: 0711/2485677 (mit Tipps zur Recherche), www.stolpersteine-stuttgart.de „Stolpersteine in Neumünster – Jeder, der die Inschrift eines Stolpersteines liest, macht eine Verbeugung vor dem Opfer“, Herausgeber: Stadt Neumünster, Kulturbüro „Die Verfolgung und Ermordung der Hamburger Juden 19331945 - Geschichte. Zeugnis. Erinnerung“, Beate Meyer, Landeszentrale für politische Bildung Hamburg, 2006, ISBN: 3929728-85-0 „Gewerkschaftsgeschichte Elmshorn und nähere Umgebung“, Ralf Sluzalek. Herausgegeben und erhältlich bei der IG Metall Verwaltungsstelle Elmshorn, Wedenkamp 31, (04121/260311) „Drei Leben gegen die Diktatur“. Die Pinneberger Nazigegner Heinrich Geick, Heinrich Boschen u. Wilhelm Schmitt, Hildegard Kadach/Dieter Schlichting, VVN/Bund der Antifaschisten Pinneberg „Verschleppt zur Sklavenarbeit – Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter in Schleswig-Holstein“, Gerhard Hoch, Rolf Schwarz Hrsg., Bestellung über Gerhard Hoch, Buchenstraße 25486 Alveslohe, Tel.: 04193/2925 „Erinnerungen eines Antifaschisten 1924 -2004“, Fritz Bringmann, Konkret Literatur Verlag, Hamburg und Fritz Bringmann, ISBN 3-89458-231-6 „Wir leben trotzdem – Esther Bejarano – vom Mädchenorchester in Auschwitz zur Künstlerin für den Frieden“, Esther Bejarano/Birgit Gärtner, Pahl-Rugenstein Verlag, ISBN 3-89144353-6

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„Am mutigsten waren immer die Zeugen Jehovas“. Verfolgung und Widerstand der Zeugen Jehovas im Nationalsozialismus, Hans Hesse, Edition Temmen, 1998, ISBN 3-86108-724-3 „Pinneberg zur Zeit des Nationalsozialismus“, Johannes Seifert, VHS-Geschichtswerkstatt Pinneberg, Band 2 „Faschismus und Ideologie – Projekt Ideologietheorie“, herausgegeben von Klaus Weber, Argument Verlag, ISBN 978-3-88619-334-9 „Der deutsche Faschismus in Quellen und Dokumenten“, Reinhard Kühnl, PapyRossa Verlag, ISBN 3-89438-250-3 „Nacht über Hamburg, Bericht und Dokumente 1933-1945“, Gertrud Meyer, Bibliothek des Widerstandes, Röderberg-Verlag GmbH, Frankfurt/M. 1971

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