Global Risk Dialogue - Frühjahr 2013

April 29, 2018 | Author: Anonymous | Category: N/A
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Global Risk

Dialogue Allianz Global Corporate & Specialty Frühjahr 2013

SPECIAL TOPIC

Infrastruktur

Die Welt verändern Die Entwicklung der Infrastruktur ermöglicht sozialen Fortschritt und Wirtschaftswachstum. In Schwellenländern wie Industrienationen werden große Infrastrukturprojekte in den Bereichen Energie, Verkehr, Wasserversorgung oder Telekommunikation geplant und umgesetzt. Die Versicherungswirtschaft unterstützt dabei als Risikoberater und Risikoträger.

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Risikoprüfung in einem Fahrzeuglager von Volkswagen

Brasilien baut seine Infrastruktur massiv aus

Wie sich die Rolle des Risikomanagements verändert

Keine Kratzer

www.agcs.allianz.com

Am Wendepunkt

Wider alle Eventualitäten

IMPRESSUM

Inhalt

RISK FUTURES

EDITORIAL

HERAUSGEBER

Allianz Global Corporate & Specialty AG, Fritz-SchäfferStr. 9, 81737 München © Allianz Global Corporate & Specialty. Alle Rechte vorbehalten. Die Beiträge dieser Ausgabe dürfen nicht vervielfältigt werden und sind urheberrechtlich geschützt. Redaktionsschluss dieser Ausgabe war der 30. Januar 2013.

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Sicher geparkt AGCS-Risikoingenieure inspizieren das Fahrzeuglager im Volkswagen Werk Zwickau

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Für Eventualitäten vorbereiten Ein Thema, zwei Perspektiven: Paul Carter und John Marren diskutieren über Risikomanagement

VERANTWORTLICHER HERAUSGEBER

Hugo Kidston, Global Head of Communications, Allianz Global Corporate & Specialty, Fritz-Schäffer-Str. 9, D-81737 München, [email protected]

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VERLAG

Medienfabrik Gütersloh GmbH, Neumarkter Straße 22, 81673 München REDAKTION

Heidi Polke-Markmann

Infrastrukturprojekte boomen, doch der Bedarf bleibt riesig. In Schwellenländern haben eine Milliarde Menschen keinen Zugang zu Straßen, 1,2 Milliarden kein sauberes Trinkwasser, 2,3 Milliarden keine zuverlässige Energieversorgung, vier Milliarden keinen Zugang zu moderner Kommunikation.

Ehrgeizige Ziele: Brasilien investiert Milliarden Euro in den Bau von Kraftwerken, Straßen, Schienen und Flughäfen.

ART DIRECTOR

Nadine Schröder Stephanie Ritter DRUCK

Medienfabrik Gütersloh GmbH, Gütersloh

SPECIAL TOPIC

IN BRIEF

Infrastruktur

FOTONACHWEIS

AGCS, Arena da Amazônia, Areva, Bombardier, Crossrail, Agencia Estado, corbis, fotolia, Shutterstock, Publicity/Andrade Gutierrez.

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Am Wendepunkt Brasilien treibt den Ausbau seiner Infrastruktur voran

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Tief bohren Crossrail setzt neue Maßstäbe beim Risikomanagement im Tunnelbau

ERSCHEINUNGSWEISE

Allianz Global Risk Dialogue erscheint zweimal pro Jahr. Ohne MwSt. und Versandkosten liegt der Preis pro Heft bei 20 Euro.

04 07

Neues 4 Fragen an ... Michael Bruch, AGCS Head of R&D Risk Consulting, über die Risiken der Nanotechnologie

26 Bohren unter London: Crossrail leitet Europas größtes Tiefbauprojekt. Auf 118 Kilometern entstehen neue Verbindungen, die die Fahrzeiten für Millionen von Passagieren verkürzen werden.

Der Infrastrukturausbau ist Motor – und Grundlage – für die wirtschaftliche Entwicklung. Ohne Straßen, Bahnen oder Häfen lassen sich die Bodenschätze nicht erschließen, Waren nicht transportieren. Auch in westlichen Industrienationen wird in Infrastruktur investiert, wenn auch unter anderen Vorzeichen – hier geht es um die Modernisierung und Vernetzung von Kommunikations-, Mobilitäts- und Energiesystemen.

KONTAKT FÜR ABONNEMENT

[email protected]

REGIONAL EYE

ISSN 2191-7558

IN CONCLUSION

HI NWE I S Redaktionelle Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers oder Verlegers wieder. Der Herausgeber behält sich das Recht vor, Artikel in überarbeiteter und gekürzter Form zu veröffentlichen. Die Informationen dieser Publikation bieten nur einen allgemeinen Themenüberblick und ersetzen keine individuelle Beratung. Trotz größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung übernehmen weder Verleger noch Herausgeber die Verantwortung für Fehler oder Auslassungen sowie für irgendwelche Schäden, Verluste oder Kosten, die durch die Verwendung von hierin enthaltenen Informationen entstehen. Der Verleger übernimmt keine Verpflichtung, diese Informationen zu aktualisieren.

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10 Keine Kratzer: Für die Risikoprüfung von Fahrzeuglagern hat AGCS ein neues Modell entwickelt.

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Neu am Start Porträt von Christopher Lohmann als neuer CEO Germany & CE

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Die Zukunft der Nachhaltigkeit Gerhard Schmitt erklärt, was westliche Städte von den tropischen Megacitys lernen können

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Unter Spannung Allianz Zentrum für Technik zur Zukunft der Energieversorgung

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Risiko im Bild Risk Consulting in luftiger Höhe

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Kalender

Überall auf der Welt ist die Versicherungswirtschaft bei der Realisierung der gigantischen Vorhaben als Risikoberater und -träger für Lieferanten, Baugesellschaften oder Investoren gefragt.

Axel Theis CEO Allianz Global Corporate & Specialty AG

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IN BRIEF

Weltrisiken auf einen Blick

Neues von AGCS und Allianz www.agcs.allianz.com

Im gleichen Takt Gefährdete Lieferketten

Schneise der Verwüstung durch Sandy.

Zweitteuerster Sturm Sandy war der tödlichste Wirbelsturm, der in den letzten 40 Jahren im Nordosten der USA gewütet hat, und der zweitteuerste in der Geschichte des Landes, so das National Hurricane Center (NHC) der USA. Sandy kostete laut NHC 72 Amerikanern von Maryland bis New Hampshire das Leben. Seit Hurrikan Agnes, durch den 1972 insgesamt 122 Menschen zu Tode kamen, forderte kein Wirbelsturm im Nordosten der USA so viele Opfer. Mehr als 650.000 Eigenheime wurden beschädigt, und über acht Millionen Haushalte waren von der Stromversorgung abgeschnitten. NHC schätzt die Schäden durch Sandy auf 50 Milliarden US-Dollar. Damit war Sandy der teuerste Sturm in den USA nach Hurrikan Katrina, der 2005 einen Schaden von 108 Milliarden US-Dollar verursachte. Die Allianz rechnet durch Sandy mit einer Schadensbelastung von schätzungsweise 590 Millionen US-Dollar.

Auf Kollisionskurs Die anhaltende Wirtschaftsschwäche hindere die Staaten daran, Umweltherausforderungen aktiv anzugehen, so die Studie „Global Risks 2013“ des World Economic Forum. Als größte globale Risiken identifiziert der auf einer Befragung von mehr als 1.000 Experten und Wirtschaftsgrößen basierende Bericht das zunehmende Wohlstandsgefälle, gefolgt von einer langfristig untragbaren Staatsverschuldung. Als drittgrößtes Risiko

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wurden die steigenden Treibhausgasemissionen identifiziert. John Drzik, Chief Executive Officer der Oliver Wyman Gruppe, sagte: „Zwei Stürme – ein ökologischer und ein ökonomischer Sturm – sind auf Kollisionskurs. Wenn wir nicht die nötigen Ressourcen bereitstellen, um die zunehmenden Risiken aus extremen Wetterereignissen weltweit zu mindern, gefährden wir den Wohlstand künftiger Generationen.“

Weltweit tätige Unternehmen fürchten zunehmend Lieferkettenunterbrechungen und deren kostspielige Folgen wie Margenverluste und Lieferschwierigkeiten, so das Ergebnis einer Umfrage von Deloitte unter 600 Führungskräften. Alarmierende 45 Prozent der Befragten bezeichneten die in ihren Unternehmen umgesetzten Systeme zur Steuerung der Lieferkettenrisiken als nur begrenzt oder gar nicht wirkungsvoll. Die zwei größten Herausforderungen seien eine „unzureichende funktionsübergreifende Zusammenarbeit“ (32 Prozent) und die „Kosten für die Umsetzung von Risikomanagementstrategien” (26 Prozent). Zudem würden organisatorische Faktoren eine effektive Steuerung der Lieferkettenrisiken erschweren: So gaben 75 Prozent der Befragten an, ihr Supply-Chain-RiskManagement sei in „Silo-Strukturen“ organisiert, was Transparenz und Kooperation entlang der Lieferkette beeinträchtigen könne.

Steigende Treibhausgase verursachen Klimaveränderungen.

Mehrfach ausgezeichnet Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) hat mehrere Auszeichnungen von den Fachmagazinen Global Finance, European CEO und Intelligent Insurer erhalten, unter anderem als bester globaler Haftpflichtversicherer und bester Directors & Officers-Versicherer in Europa. Zudem wurde AGCS CEO Axel Theis auf der Rückversicherungskonferenz in Baden-Baden von Intelligent Insurer zum europäischen „Insurance Leader of the Year“ ernannt.

In Sport, Kultur und Jugendarbeit wird die Allianz seit Langem als verlässlicher Partner und Versicherer geschätzt. Jetzt erschließt sich die Allianz auch die Welt der Musik – durch eine weltweite Partnerschaft mit dem in China geborenen Pianisten Lang Lang, der sich künftig als globaler Markenbotschafter für die Allianz engagieren wird. Ihrerseits unterstützt die Allianz ein von der Lang Lang International Music Foundation ins Leben gerufene Jugendprogramm. Der Pianist Lang Lang ist ein internationaler Superstar. Seine Tourneen führen ihn rund um den Globus, er gibt mehr als 120 Konzerte im Jahr. „Wir sind stolz darauf, mit Lang Lang eine Partnerschaft einzugehen. Als globales Unternehmen glauben wir an die international verbindende Kraft der Musik“, sagt Oliver Bäte, Vorstandsmitglied der Allianz SE.

Neue Gesichter in den Regionen

Neue globale Partnerschaft: Lang Lang und Oliver Bäte.

Starke Zahlen für die Allianz, Meilenstein für AGCS Die Allianz Gruppe hat im Geschäftsjahr 2012 in allen Segmenten starke Ergebnisse erzielt und ihren Gewinn verdoppelt. Der Umsatz ist auf 106,4 Milliarden Euro gestiegen. Das entspricht einem Anstieg von 2,7 Prozent gegenüber dem Vorjahreswert von 103,6 Milliarden Euro. Der operative Gewinn hat sich 2012 um 20,8 Prozent auf 9,5 Milliarden Euro gegenüber 7,9 Milliarden Euro im Vorjahr erhöht. „Dieses Ergebnis zeigt, wie gut unser Geschäftsmodell die Turbulenzen der Finanzkrise ausgleichen kann“, sagte Michael Diekmann, Vorstandsvorsitzender der Allianz SE.

Für AGCS markierte das Jahr 2012 einen wichtigen Meilenstein, da die Prämieneinnahmen mit 5,3 Milliarden Euro erstmals seit Gründung des Industrieversicherers die Fünf-Milliarden-Grenze überschritten haben. Das Neugeschäft erreichte fast eine Milliarde Euro. Naturkatastrophen wie der Sturm Sandy sowie eine Vielzahl mittelgroßer bis großer Schäden hinterließen jedoch ihre Spuren in einer Schaden-Kosten-Quote von 96 Prozent. Dennoch konnte AGCS einen operativen Gewinn von 420 Millionen Euro erwirtschaften.

Ein neues Gesicht, eine neue Region: Die neue „Mediterranean“Region von Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) umfasst die Niederlande, Belgien, Luxemburg, Frankreich, Italien und Spanien sowie auch die nordafrikanischen Staaten. Neuer Leiter der Region ist Patrick Thiels, der vor Kurzem zu AGCS wechselte. Auch das AGCS-Geschäft in Deutschland, Österreich und der Schweiz steht unter neuer Führung. Als neuer CEO Germany & Central Europe verantwortet Christopher Lohmann die Aktivitäten in der Region mit 500 Mitarbeitern in sechs Niederlassungen.

Patrick Thiels leitet die neue „Mediterranean«-Region”.

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4 Fragen an ...

IN BRIEF

Unternehmen fürchten Stillstand Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) führte eine weltweite Umfrage zu den wichtigsten Unternehmensrisiken 2013 durch. kein Grund für Entwarnung: In den letzten 30 Jahren haben sich die Schäden aus Naturkatastrophen um das 15-fache gesteigert. Und sie werden weiter zunehmen, weil die Versicherungsdichte gerade in Asien steigt und gefährdete Küstenregionen immer stärker besiedelt werden.

Unternehmen aus aller Welt eint eine Sorge: Ihr Betrieb steht aufgrund höherer Gewalt still. Betriebs- und Lieferkettenunterbrechungen, Naturkatastrophen sowie Brände und Explosionen sind die bedrohlichsten Risiken für Unternehmen im Jahr 2013, so der „Allianz Risk Barometer 2013“. Die Befragung wurde Ende 2012 von AGCS durchgeführt; 529 Experten aus dem Industrie- und Firmenversicherungsgeschäft der gesamten Allianz Gruppe gaben ihre Einschätzung ab, welche Risiken für Unternehmen aus bestimmten Regionen und Branchen im Jahr 2013 dringlich sind. Betriebs- und Lieferkettenunterbrechungen sind aus Sicht der Allianz Experten das größte Geschäftsrisiko (46 Prozent der Antworten). Viele Unternehmen halten ihre globalen Lieferketten aus Kostengründen schlank und verzichten auf Ersatzlieferanten. Wie die Flutkatastrophe in Thailand zeigte, können Ausfälle von Schlüssellieferanten in einer Region ganze Branchen in Mitleidenschaft ziehen.

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Überraschend aktuell zeigt sich ein „uraltes“ Risiko: Feuer und Explosionen rangieren auf dem dritten Platz der wichtigsten Unternehmensrisiken weltweit. Brände sind zwar selten, können aber – gerade im produzierenden Gewerbe – hohe Sach- und Betriebsunterbrechungsschäden verursachen. Unternehmen sollten daher beim Brandschutz keine Kompromisse aus Kostengründen eingehen.

Digitale Abhängigkeit Einige Risiken werden aus Sicht der Allianz Experten noch von den meisten Unternehmen unterschätzt. So können etwa ITAusfälle – gleich ob selbst verschuldet oder durch Internetkriminalität – hohe finanzielle Folgekosten in der zunehmend digitalen Wirtschaft verursachen. Doch nur sechs Prozent der Allianz Experten meinen, dass ihren Kunden dieses Risiko bereits ausreichend bewusst ist.

Schäden aus Naturkatastrophen steigen

Auch die Gefährdung durch Stromausfälle ist erst bei wenigen Unternehmen auf dem Risikoradar. Aufgrund der alternden Infrastruktur und unzureichender Investitionen wird die Zuverlässigkeit der Stromversorgung in Industrieländern abnehmen. Durch die hohe Abhängigkeit von Informations- und Kommunikationstechnologien und den in vielen Unternehmen fehlenden Vorkehrungen wären die Folgen eines Stromausfalls heute viel gravierender als noch vor zehn oder 15 Jahren.

Betriebsunterbrechungen sind oft die Folge von Naturkatastrophen, dem zweitgrößten Unternehmensrisiko (44 Prozent der Antworten). Auch wenn das Jahr 2012 – abgesehen von Sturm Sandy – vergleichsweise katastrophenarm war, besteht

WWW.AGCS.ALLIANZ.COM/ABOUT-US/NEWS/RISK-BAROMETER-2013

Michael Bruch Head of R&D Risk Consulting bei Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS)

Sie sind winzig, aber ihr wirtschaftliches Potenzial ist riesig: Nanopartikel finden sich heute in vielen industriellen Produkten – von Sonnencremes bis zum Auto. Doch mögliche Langzeitfolgen der Nanotechnologie sind noch kaum erforscht. Wie Versicherer die Risiken beim Einsatz der neuen Technologie bewerten, erklärt Michael Bruch.

Was sind Nanoteilchen und wo werden sie eingesetzt? Michael Bruch: Nanopartikel sind Teilchen, die nur winzige Bruchteile eines Millimeters groß sind. Sie kommen in der Natur vor, heute werden sie jedoch synthetisch hergestellt. Durch die Miniaturisierung gewinnen sie teilweise völlig neue physikalische, chemische oder biologische Eigenschaften als vergleichbare „größere“ Stoffe. Nanoteilchen sind in der modernen Konsumwelt allgegenwärtig: Sie finden sich in Sonnencreme und Sportkleidung, in Lebensmitteln und Verpackungen. Sie werden in der Krebstherapie eingesetzt, machen Autolacke kratzfester oder Baustoffe langlebiger. Nanobatterien sollen der Elektromobilität zum Durchbruch verhelfen. Es gäbe noch unzählige weitere Beispiele. Das Potenzial scheint ja enorm … Bruch: Richtig, aber es gibt auch Risiken. Mögliche Spätfolgen können wir heute noch nicht absehen. Die Risiken der Nanotechnologie über den gesamten Produktlebenszyklus – von der Herstellung über den Gebrauch bis zur Entsorgung – sind bislang nur teilweise bekannt. Können Arbeiter, die Konsumartikel mit Nanoteilchen produzieren, chronische Krankheiten entwickeln? Oder die Verbraucher, die die Produkte später nutzen, Gesundheitsschäden davontragen? Besteht die Gefahr von Umweltschäden, wenn sich Nanosilber in Gewässern anreichert? Wir wissen zwar, dass bestimmte Nanoröhren Asbestfasern ähneln oder Nanopartikel tief ins Lungengewebe eindringen können.

Doch welche Gesundheits- und Umweltrisiken damit verbunden sind, ist noch kaum erforscht. Wie sehen Versicherer die neue Technologie? Bruch: Über Haftpflicht- oder Rückrufversicherungen versichern wir längst unzählige Produkte, in denen Nanotechnologie einsetzt wird. Da es noch keine Nanoschadensfälle gibt, auf die sich unsere Aktuare stützen könnten, bewerten wir diese neuartigen Risiken auf Basis von Schadensszenarien. Als Versicherer legen wir Wert darauf, dass Unternehmen, die Nanotechnologie einsetzen, konsequent das Risikovorsorgeprinzip einhalten, etwa beim Arbeitsschutz. Wichtig ist auch, dass Nutzen und Risiken von Nanotechnologie über den gesamten Produktlebenszyklus unvoreingenommen bewertet und offen diskutiert werden. Auch dazu können wir einen Beitrag leisten. Wie gehen Sie selbst als Verbraucher mit Nanoprodukten um? Bruch: Es geht nicht darum, Schreckensszenarien zu verbreiten oder einzelne Produkte zu brandmarken. Letztlich sollte jedoch jeder Verbraucher selbst entscheiden können, ob er Produkte kaufen möchte, die Nanotechnologie enthalten. Daher finde ich es richtig, dass in Europa ab diesem Jahr entsprechende Kosmetikartikel und ab 2014 auch Lebensmittel mit dem Zusatz „Nano“ gekennzeichnet werden müssen. Auch international geht die Regulierung in diese Richtung. Diesen Schritt hin zu mehr Transparenz und Verbraucherschutz bewerten auch wir als Versicherer positiv.

MICHAEL BRUCH Michael Bruch ist Umweltingenieur, Ökonom und Leiter der Abteilung Forschung & Entwicklung im Bereich Risk Consulting der AGCS. Er ist verantwortlich für die Identifizierung, Überwachung und Bewertung neuer Technologien und Risiken, in Bereichen wie Nanotechnologie, Stromversorgung oder Cyberkriminalität. Seine Arbeit ist Ausgangspunkt, um Schadenspräventionsmaßnahmen und neue Versicherungslösungen zu entwickeln. Bruch ist seit 2001 für die Allianz tätig. Zunächst war er Consultant und Referatsleiter im Allianz Zentrum für Technik im Bereich Risikomanagementberatung, ehe er 2008 seine jetzige Aufgabe im Risk Consulting der AGCS übernahm.

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REGIONAL EYE

Neu am Start

Unter Spannung

Zum 1. Januar 2013 hat es bei Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) im deutschsprachigen Raum einen Führungswechsel gegeben. Dr. Christopher Lohmann ist der neue Länderchef für die AGCS in Deutschland, der Schweiz und Österreich. In der Allianz Gruppe hat sich der 44-Jährige bereits einen Namen gemacht. Bei AGCS steigt er nun ins Industriegeschäft ein.

Wie sieht die Zukunft von Europas Energieversorgung aus? Wie lassen sich Versorgungssicherheit und technologischer Fortschritt verwirklichen? Dazu diskutieren Hersteller, Betreiber und Versicherer bei den AGCS Expertentagen im November 2013 in München.

DR. GUNDULA HERMES

VERENA HAUER

Seine Karriere bei der Allianz begann Christopher Lohmann vor 14 Jahren. Der Diplom-Kaufmann und promovierte Wirtschaftswissenschaftler war seither mit leitenden Positionen in verschiedenen Gesellschaften des Konzerns betraut, unter anderem übernahm er Verantwortung in den Bereichen Vertrieb, Operations, Schadensregulierung und Controlling/Aktuariat in verschiedenen Allianz Gesellschaften. Außerdem arbeitete er drei Jahre lang direkt für Konzernchef Michael Diekmann. Bevor er zu AGCS wechselte, war Christopher Lohmann Chef der Vertriebsdirektion München der Allianz Deutschland AG.

Der Energiemarkt in Europa steht unter Spannung: Die Europäische Kommission stellte Ende 2011 den „Energiefahrplan 2050“ zum Umbau der Energieversorgung in Europa vor. Im Mittelpunkt steht dabei der Ausbau erneuerbarer Energien und die Steigerung der Energieeffizienz, um bis 2050 die Treibhausgasemissionen um bis zu 95 Prozent zu reduzieren. Ähnlich ambitioniert ist die deutsche Energiewende mit dem Ausstieg aus der Kernenergie. „Der Energiemarkt wird sich in den nächsten Jahren dramatisch verändern. Die Energieversorger müssen auf ökologische, wirtschaftliche und technische Neuerungen reagieren“, erklärt Dr. Johannes Stoiber, Co-Leiter des Allianz Zentrums für Technik.

Frischer Blick „Im Augenblick bin ich dabei, mich mit den speziellen Herausforderungen des Geschäfts vertraut zu machen. Die Industrieversicherung ist ein anspruchsvolles Business, deswegen freue ich mich auf die neue Aufgabe. Von ‚außen’ zu kommen sehe ich dabei als Chance. Es ermöglicht einen frischen Blick auf die Dinge, und neue Perspektiven sind hilfreich für jede Weiterentwicklung.“

Diskussion und Erfahrungsaustausch

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Themen in Vorträgen oder Diskussionsrunden der diesjährigen Veranstaltung sind neben Innovationen im Bereich erneuerbare Energien auch die Zukunft der Energieversorgung und Netzstabilität – Stichwort Stromausfälle – sowie die Energiespeicherung. Anmeldungen zu den AGCS Expertentagen 2013 sind ab sofort per E-Mail an [email protected] möglich. In 2011 beschäftigten sich die AGCS Expertentage mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Wirtschaftswelt. Vertreter von Unternehmen wie Google, Siemens und der Deutschen Telekom diskutierten dabei Aspekte wie Cybersecurity und Cloud Computing.

Zu Chancen und Risiken der neuen Energieversorgung in Europa diskutieren Hersteller, Betreiber, Serviceunternehmen sowie Versicherer bei den AGCS Expertentagen am 4. und 5. November 2013 in München. Ziel der Expertentage ist es, den Gedanken- und Erfahrungsaustausch zwischen Versicherungsnehmern, Herstellern, Experten der Wissenschaft und Fachleuten der Allianz zu fördern und Raum für persönliche Kon-

Auch privat mag es Christopher Lohmann ‚bewegt’ – der dreifache Familienvater ist gern mit Ski oder Rad unterwegs und zudem passionierter (Marathon)Läufer.

DR. CHRISTOPHER LOHMANN CEO AGCS Germany & Central Europe [email protected]

takte und Fachgespräche zu bieten. Die Veranstaltung, die im Zweijahresrhythmus stattfindet, wird in diesem Jahr zum ersten Mal in englischer Sprache abgehalten.

DR. JOHANNES STOIBER Co-Leiter Allianz Zentrum für Technik [email protected] WWW.AGCS.ALLIANZ.COM/EXPERTDAYS2013

Hat das Versicherungsgeschäft von der Pike auf gelernt: Dr. Christopher Lohmann ist neuer Länderchef der AGCS für Deutschland, Österreich und die Schweiz.

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RISK FUTURES

Ein Meer in Anthrazittönen, hier und da ein bunter Farbtupfer. Funkelnde Neuwagen des Volkswagen Konzerns (VW) soweit das Auge reicht. Sie stehen in Reih und Glied, alle exakt aufgereiht, wie an einem Lineal ausgerichtet. Vor Kurzem haben sie die letzte Station der Fertigung verlassen – und sind in die Welt der kleinen und großen Gefahren auf dem werkseigenen Lagerparkplatz eingefahren. Lose Kieselsteine, achtlos aufgeschlagene Türen oder Hagelgewitter können ihnen dort mitunter mehr als nur einen Kratzer verpassen.

Alles im Lack Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) versichert zahlreiche Lagerplätze von Autoherstellern und hat zur Bewertung der Risiken ein neues Modell entwickelt. Bei der Lagerbesichtigung im Volkswagen Werk Zwickau kommt es zum Einsatz. HEIDI POLKE-MARKMANN

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Nicht umsonst sichern Autohersteller den Weg aus der Fabrik über das Zwischenlager hin zum Händler oder Endkunden über Transportversicherungen ab, gleich ob die Reise per Lkw, Zug oder Autofrachter erfolgt. Im Schadensfall ersetzt der Versicherer den Fahrzeugwert beziehungsweise anfallende Instandsetzungskosten, um die Fahrzeuge wieder in den Ausgangszustand zu versetzen. VW versichert seine Transportrisiken unter Führung der Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) im Bereich Marine Cargo. Florian Karsch, Teamleiter Transportversicherungen und Risk Management bei der Volkswagen Versicherungsvermittlung (VWV), betreut im Jahr mehrere Tausend Schadensfälle – vom Steinschlag bis zum gekenterten Autofrachter. Insgesamt sind die Transportschäden rückläufig. „Wir räumen dem Risikomanagement

auf unseren Lagerplätzen einen hohen Stellenwert ein“, sagt Karsch. Mit Torben Stadtaus beschäftigt die VWV einen eigenen Risikoingenieur, der intern und extern als technischer Ansprechpartner fungiert.

Detailliert geregelt Stadtaus koordiniert vielfältige Maßnahmen zum Risikomanagement. Mehr als 80 Seiten umfasst allein die interne Richtlinie des Konzerns, in der Lagerung, Handling und Transport von Fahrzeugen detailliert geregelt werden – angefangen von nicht offen zu tragenden Gürtelschnallen bis zu den zentimetergenau festgelegten Parkabständen. „Neue Präventionsmaßnahmen testen wir an einem Standort und rollen sie dann systematisch über alle Werke aus“, erklärt Karsch. Wie die umfassenden Regelungen in der Praxis umgesetzt werden, das zeigen regelmäßige Besichtigungen von Lagerplätzen, die VW gemeinsam mit AGCS durchführt. „Erst vor Ort lassen sich die Besonderheiten des jeweiligen Standorts genau verstehen“, erklärt Piotr Szymczak, Marine Risk Consultant bei AGCS. Auch Schadensfälle erfordern mitunter besondere Vorsorgemaßnahmen. Weltweit nutzt der VW Konzern weit über 200 Lagerplätze; auf den größten können bis zu 30.000 Fahrzeuge stehen. Diesmal ist Szymczak zusammen mit

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„Zur Überwachung der Anlage und ihrer Umgebung sollten elektronische Systeme eingesetzt werden.“

Piotr Szymczak, AGCS Marine Risk Consultant

Susanne Weber, Senior Underwriter Marine bei AGCS, nach Ostdeutschland gekommen, in das Volkswagen Werk im sächsischen Zwickau. Dort fertigen 6.850 Beschäftigte täglich rund 1.200 Golf-Modelle und Passat-Limousinen. Auf dem Werksgelände finden sich rund 3.000 Stellplätze für die Lagerung von fabrikneuen Fahrzeugen. Zunächst verschafft sich Szymczak einen Überblick auf dem Papier: Mit René Stenzel, der in Zwickau für den Fahrzeugversand verantwortlich ist, und dem Brandschutzkoordinator Daniel Schlefcke geht er einen Fragenkatalog durch: Wie ist der Untergrund beschaffen? Wie steht es um den Brandschutz? Dieses „Lagerscoring-Modell“ hat AGCS mit VW und anderen Autoherstellern entwickelt, um Lagerplätze mit vergleichbaren Kriterien beurteilen zu können (siehe Infokasten). Nachdem die 45 Fragen beantwortet sind, heißt es an dem sonnigen, aber kühlen Novembertag: raus auf den Parkplatz.

Kaum Naturgefahren Inwiefern die Lagerplätze in Zwickau durch Naturgefahren bedroht sind, haben Szymczak und Stadtaus bereits im Vorfeld analysiert. Durch Unwetter und Naturgewalten scheint der Standort nicht besonders gefährdet zu sein. Vor Ort prüfen sie nochmals eine mögliche Überschwemmungsgefahr. Doch die Zwickauer Mulde kann das höher gelegene Werksgelände nicht überfluten.

HAGELSCHÄDEN VERHINDERN Um Fahrzeugläger zu schützen, werden häufig Hagelnetze eingesetzt. Zudem stellen einige Hersteller ihre Neuwagen in Parkgaragen oder Unterständen in Leichtbauweise unter. Dagegen haben sich Hagelmatten nur bedingt bewährt, da sie kaum Schutz bei starkem oder seitlich einschlagendem Hagel bieten.

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Mit dem generellen Zustand der Parkflächen im erst 1990 erbauten Werk der Volkswagen Sachsen GmbH ist Szymczak sehr zufrieden. Alle Flächen sind asphaltiert. Auch wenn sich der AGCS-Risikoingenieur tief über den Boden bückt, entdeckt er keine losgelösten Partikel oder andere Verschmutzungen. Die Parkflächen sind klar markiert und gut zugänglich, die Abstände der Fahrzeuge zueinander sind großzügig bemessen. Der Brandschutz ist selbst nach Industriemaßstäben sehr hoch: Das Rauchverbot ist konsequent durchgesetzt, es gibt ausreichend Feuerlöscher und Wasserhydranten. Und die eigene Werksfeuerwehr kann im Alarmfall mit zehn umfänglich ausgerüsteten Fahrzeugen und trainierter Mannschaft binnen Minuten anrücken. Bleibt nur, wie in allen gemäßigten Breitengraden, das leidige Thema Hagel als die häufigste Ursache für Schä-

den an im Freien gelagerten Neuwagen. „Nach der einschlägigen Kartografie liegt das Hagelrisiko für die Region im mittleren Bereich, doch aufgrund unserer Schadenserfahrungen siedeln wir dieses Risiko prinzipiell etwas höher an“, erklärt Szymczak. Stadtaus stimmt zu: „Grundsätzlich erwarten wir im Rahmen der Klimaveränderung eine Erhöhung der Hagelgefahr in Nordeuropa und bauen daher Schutzmaßnahmen aus.“ Insgesamt wird das Hagelrisiko für den Lagerplatz jedoch nicht als Großrisiko eingeschätzt, da viele der eingelagerten Fahrzeuge in einem gerade errichteten Parkhaus oder geschützt unter dem Dach in einer Verladehalle stehen.

Die Umgebung im Blick Auch Sicherheitsvorkehrungen werden bei der Besichtigung des Lagerplatzes untersucht. Für Zwickau empfiehlt Szymczak keine weiteren Maßnahmen. Er weiß aber von Besuchen anderer Lagerorte, dass es in diesem Punkt häufig Verbesserungsbedarf gibt. „Organisierte Banden werden immer dreister. Daher sollten grund-

SPEKTAKULÄRE AUTOSCHÄDEN Untergang der „Tricolor“: Im Dezember 2002 sank der Autotransporter Tricolor vor Frankreich. An Bord waren 2.871 Neuwagen von Premiumherstellern. Hagelschaden Emden: Im Juni 2008 beschädigten Hagelkörner 30.000 Neuwagen im Hafen Emden. Der Schaden belief sich auf einen zweistelligen Millionenbetrag. Sturm Sandy: Weite Teile der Küste vor New York und New Jersey wurden im November 2012 geflutet – und auch 16.000 Neuwagen, von denen viele im Hafen von Newark gelagert waren. Für sie bleibt nur noch die Verschrottung. Untergang der „Baltic Ace“: Im Dezember 2012 sind der Autofrachter „Baltic Ace“ und das Containerschiff „Corvus J“ vor Rotterdam zusammengeprallt. Die Kollision kostete elf Menschen das Leben und versenkte 1.400 asiatische Neuwagen auf dem Meeresgrund.

DAS LAGER-SCORING-MODELL IM ÜBERBLICK Das Bewertungstool für Autolagerplätze haben AGCS-Experten für Transportversicherung aus den Bereichen Risk Management und Underwriting in Zusammenarbeit mit Herstellern entwickelt. Ziel ist es, Autolagerplätze mit einheitlichen Standards zu bewerten und zu vergleichen. Allerdings lassen sich auch unternehmensspezifische Aspekte berücksichtigen. Höchste Standards: Piotr Szymczak, AGCS Marine Risk Consultant (links), und Daniel Schlefcke, Brandschutzkoordinator im Volkswagen Werk Zwickau, prüfen die Feuerlöscher im kürzlich erbauten Parkhaus.

sätzlich intelligente elektronische Systeme zur Peripherie- und Geländesicherung eingesetzt werden, wie zum Beispiel Videokameras, Bewegungsmelder oder Sensoren in den Zäunen“, empfiehlt Szymczak. Ebenso wenig dürfe der „Durchbruchschutz“ vernachlässigt werden: „Ein Zusammenspiel von mechanischen und elektronischen Maßnahmen zur Peripheriesicherung plus Wachdienst – diese Mischung verspricht beim Sicherheitsmanagement am meisten Erfolg.“

PIOTR SZYMCZAK AGCS Marine Risk Consultant [email protected] SUSANNE WEBER AGCS Senior Underwriter Marine [email protected] FLORIAN KARSCH Team Director Transport Insurance and Risk Management, Volkswagen Versicherungsvermittlung [email protected] TORBEN STADTAUS Marine Loss Control Engineer, Volkswagen Versicherungsvermittlung [email protected]

Kernstück des Modells ist ein Fragebogen, der vor Ort beantwortet wird. In den einzelnen Kategorien werden Punkte vergeben – maximal 150 Punkte. Der Durchschnitt liegt bisher bei knapp 100 Punkten. In folgenden Kategorien wird geprüft: • Technische Daten: Handelt es sich um ein Werk- oder Hafenlager? Wie hoch ist die Lagerkapazität? Welche Fahrzeugmarken werden gelagert? • Elementargefahren: Wie gefährdet ist das Lager durch Hagel, Überschwemmung, Sturm, Tornado oder Erdbeben? • Lage: Gibt es unmittelbare Gefahren in der Nachbarschaft oder auf dem Fabrikgelände (z. B. durch Emissionen)? Besteht eine Bedrohung durch Schädlinge oder Nagetiere? • Beschaffenheit der Stellflächen: Ist der Lageruntergrund asphaltiert, gepflastert oder loser Schotter? Wie sind die Stellplätze angeordnet und markiert? • Umgang mit den Fahrzeugen: Welche Parkabstände schreibt der Hersteller vor? Werden Geschwindigkeitsbegrenzungen eingehalten? • Brandschutz: Gibt es eine Werksfeuerwehr, ausreichende Feuerlöscher oder Wasserhydranten? Wird ein Rauchverbot wirksam durchgesetzt? • Zufahrtskontrolle: Wird das unerwünschte Eindringen Dritter durch Sicherheitsvorkehrungen wirksam verhindert? • Management: Gibt es Schulungen zum Fahrzeughandling? Wie hoch ist die Mitarbeiterfluktuation? Die Ergebnisse der Lagerbewertung erhält der Kunde nicht nur als elektronischen Bericht, sondern auch als Fotobuch. Bei der Umsetzung der Verbesserungsvorschläge unterstützen die AGCS Marine Risk Consultants auf Wunsch.

WWW.AGCS.ALLIANZ.COM/RISK-CONSULTING/MARINE

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SPECIAL TOPIC

Vor der

Wende Modernster Transport: Die Magnetbahn, die gerade von Bombardier in São Paulo gebaut wird, soll mehr als 48.000 Passagiere pro Stunde von den beiden Endstationen „Vila Prudente“ und „Cidade Tiradentes“ in die Innenstadt transportieren.

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Eine unzureichende Infrastruktur droht zur Wachstumsbremse Brasiliens zu werden. Vor den sportlichen Großereignissen investiert das Land Billionen in den Bau von Kraftwerken, Straßen, Flughäfen und Bahnen. Als Versicherer trägt Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) zu einer neuen Risikokultur bei den Megabauprojekten bei. ALEXANDER BUSCH

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„Wir begleiten Bauproj ekte mit technischem Wissen und Versicheru ngsschutz. Das ist ein wichtiger Teil unseres G eschäfts.“ Angelo Colombo, Landeschef von AGCS Brasilien

Brasilien baut seine Verkehrswege massiv aus. Präsidentin Dilma Roussef hat Ausschreibungen für den Bau von 50.000 Kilometer Straßen und 12.000 Kilometer Schienen angekündigt. Bereits im Betrieb in São Paulo sind der Autobahnring Rodoanel Màrio Covas (Foto oben) und die Metro, die laufend erweitert wird.

Ohne Energie keine florierende Wirtschaft – und damit auch kein Wachstum. Der zuletzt phänomenale Aufstieg Brasiliens wird durch ein Risiko bedroht, das im schlimmsten Fall die Wachstumspläne schwächen könnte. Zum Jahresanfang 2013 drohte dieses Szenario Wirklichkeit zu werden. Als Folge einer monatelangen Dürre bestand in einigen Regionen Brasiliens aufgrund von Produktions- und Versorgungsengpässen ein hohes Risiko von Stromausfällen. Verschärfend kamen schrumpfende Vorräte bei Treibstoff und Gas hinzu. Glücklicherweise blieb der Ernstfall diesmal aus, aber die potenzielle Gefährdung zeigte auf, dass die Infrastruktur in Brasilien aufgrund des starken Wirtschaftswachstums an ihre Grenzen gerät. Der Grund sind die seit Jahren zu geringen Investitionen in die Energieproduktion. Das führt bei Dürre zu einem Engpass bei der Stromgewinnung, da die meisten Staudämme der Wasserkraftwerke fast leer sind. Diese produzieren etwa 80 Prozent des Stroms in Brasilien. Die für Notfälle und Spitzenbedarfszeiten bereitstehenden 37 öl- und gasbetriebenen Kraftwerke laufen alle schon seit Monaten auf Hochbetrieb.

Knapper Treibstoff

Um Engpässe in der Energieversorgung zu beseitigen, entstehen landesweit Kraftwerke und Raffinerien. Die Abreu-e-Lima-Raffinerie in Pernambuco ist derzeit im Bau und soll Ende 2014 in Betrieb gehen (Foto oben). Zu den größten Wasserkraftwerken der Welt zählt der vor 30 Jahren gebaute Itaipú-Damm. 2007 wurde er mit zwei neuen Turbinen erweitert (Foto unten).

Die Betreiber klagen, dass sie gar nicht genug Treibstoff bekommen können, so leergefegt sei der Markt. Von den insgesamt 73 Gigawattstunden (GWh) produzieren die Thermokraftwerke nun mit 12 GWh ein Sechstel des Stroms. Doch dafür müssen die privaten und öffentlichen Konzerne das Brennmaterial teuer importieren – was die angespannte Lage bei der Treibstoffversorgung noch zusätzlich verschärft. Doch selbst wenn sie importieren, stehen sie vor dem nächsten Problem: Denn Brasilien verfügt noch nicht über die notwendige Infrastruktur, um bald ein Fünftel seines Sprits zu importieren und im Land zu verteilen: Die Häfen, die Tanklager sowie das Vertriebsnetz sind nicht auf solche Mengen eingestellt. Die angespannte Lage bei der Energieversorgung und die Kettenreaktion mit anderen Infrastrukturmängeln zeigen: Brasiliens derzeitige Infrastruktur reicht nicht aus. Das liegt an den ausbleibenden Investitionen der Vergangenheit: Seit der Ölkrise in den siebziger Jahren und der Jahrtausendwende stagnierten die Investitionen in die Infrastruktur weitgehend. Auf ihrem Tiefpunkt im Jahr 2003

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betrugen sie gerade einmal 0,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Doch gleichzeitig hat das Wachstum Brasiliens angezogen: Auf rund vier Prozent im jährlichen Durchschnitt ist es zwischen 2003 und 2010 gestiegen. Und mit jeder Wachstumssteigerung werden fehlende oder löchrige Straßen, überlastete Häfen und mangelnde Energie zur Wachstumsbremse in der sechstgrößten Volkswirtschaft weltweit. Letztes Jahr wuchs Brasilien kaum noch, nachdem die Wirtschaftsleistung auch 2011 nur um knapp drei Prozent gestiegen war.

Auch die Landwirtschaft leidet Wie sich der Zustand der Infrastruktur auf die Wirtschaft auswirkt, das spürte die brasilianische Agrarindustrie schmerzlich – eine der wettbewerbsfähigsten Branchen des Landes: Die Farmer fuhren in der letzten Erntesaison Rekorderträge an Mais und Soja ein. Die Preise sind wegen der Dürre in den USA massiv gestiegen. Aber dennoch stapelten sich im Westen Brasiliens Mais- und Sojaberge auf den Feldern, die nicht abtransportiert werden konnten. Die Farmer bekamen wegen der völlig überlasteten Landstraßen und Häfen ihr Korn nicht verschifft.

Für die Fußballweltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016 werden viele Stadien modernisiert oder neu errichtet. Das Foto oben zeigt den Bau der spektakulären Arena da Amazônia in Manaus. Um einen reibungslosen Transport für Millionen von Besucher zu gewährleisten, baut Brasilien auch die Flughafeninfrastruktur aus. Jede Stadt mit mehr als 100.000 Bewohnern soll einen Regionalflughafen erhalten, auch um die großen Drehkreuze wie den internationalen Flughafen in Rio de Janeiro zu entlasten (Foto unten).

Vor jedem der drei großen südbrasilianischen Häfen warten inzwischen mehrere Dutzend Frachter aufs Löschen mit Wartezeiten von bis zu zwei Wochen. Lkw-Schlangen von bis zu 30 Kilometern vor den Häfen sind Alltag. Der Bürgermeister von Rio de Janeiro hat vor Kurzem in der Justiz erreicht, dass die vor der Copacabana und Ipanema wartenden Tanker und Containerschiffe nicht mehr die Sicht der Traumstrände verschandeln dürfen. Eine zweite Fahrrinne wird jetzt im Eiltempo zum Hafen am Zuckerhut ausgebaggert, um die Löschzeiten zu verkürzen. Die brasilianischen Regierungen haben erkannt, dass die Infrastruktur zum Nadelöhr für das Wirtschaftswachstum des Landes werden würde. 2007 stellte der damalige Präsident Luiz Inácio Lula da Silva ein Programm zur Beschleunigung des Wachstums (Programa de Aceleração do Crescimento, kurz PAC) vor: Das Gesamtvolumen der vor allem für Infrastrukturprojekte vorgesehenen PAC-Mittel betrug bis 2010 380 Milliarden Euro. 2010 wurde das PAC bis 2014 verlängert und noch einmal kräftig aufgestockt. Die Umsetzung des PAC wurde von politischer Seite stark unterstützt, um anfängliche bürokratische oder recht-

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liche Hemmnisse aus dem Weg zu räumen. Zwar bleiben Herausforderungen bestehen, aber es gab bedeutsame Fortschritte in der Planung und Ausführung der Bauvorhaben. Zugleich konnten die Umweltlizenzierung und die private Finanzierung von langfristigen Projekten verbessert werden.

wären Fragen nach Bodenproben oder technischen Baudaten noch als ungewöhnlich registriert worden.“ Mittlerweile teilten die meisten brasilianischen Baugesellschaften jedoch bereitwillig Informationen mit Maklern und Versicherern.

Faktor Mensch auf der Baustelle Schnelle Reaktion der Regierung

Auch Vor-Ort-Besichtungen durch Allianz Risikoingenieure sind fest etabliert. AGCS-Bauingenieur Jonas Rastelli scheut keine Reisestrapazen und kommt gerade von der Baustelle eines Kraftwerks im Nordosten Brasiliens zurück. Diese war nur über eine vierstündige Schotterpistenfahrt vom nächstgelegenen Regionalflughafen in São Luís (Maranhão) zu erreichen.

Die Privatwirtschaft soll künftig noch stärker am Infrastrukturausbau beteiligt werden. Daher hat Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff ein Konzessionsprogramm für Unternehmen aufgelegt. Schließlich stehen die Fußballweltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016 vor der Tür. Da will Brasilien auf jeden Fall vermeiden, dass Besucher in überfüllten Flughäfen und im Dauerstau auf den Straßen stecken bleiben oder es zu Spielunterbrechungen wegen Blackouts kommt.

Rastelli hat Bodenverdichtung, Betonguss oder die Standards der Qualitätskontrollen für Materialeingang und Baufortschritt geprüft. Aber ihn interessieren auch Ausbildung und Arbeitsbedingungen der Bauarbeiter. „Jede Baustelle lebt vom Personal“, betont Rastelli, „und das gilt auf den hier üblichen Großprojekten umso mehr.“ Auf den Baustellen, die oft in entlegenen Landesteilen fernab städtischer Zivilisation liegen, sind mitunter bis zu 15.000 Handwerker und Monteure eingesetzt. Daher ist es ein wichtiger Teil eines jeden Risikomanagementprogramms, Spannungen in der Belegschaft zu vermeiden. Denn nur so lassen sich eine maximale Produktivität und ein effektiver Betrieb von Baustelle und Geräten sicherstellen.

EXOTISCHE SPORTSTÄTTEN

Im ersten Schritt verkündete Rousseff Ende letzten Jahres die Ausschreibungen für Straßenlizenzen über 50.000 Kilometer sowie 12.000 Kilometer Schienentrassen. Zudem sollen dieses Jahr Konzessionen für fünf Flughäfen und fünf Häfen vergeben werden. Auch die Modernisierung von über hundert kleinen Provinzflughäfen könnte auf die Tagesordnung kommen. Öl- und Gasfelder sollen nach einer fünfjährigen Pause wieder ausgeschrieben werden. Möglicherweise soll 2013 auch das Modell für den Bau der Schnellbahn zwischen Rio de Janeiro und São Paulo vorgestellt werden. Dabei plant die Regierung nun, den Bau der Strecke zu stückeln und an zehn verschiedene Konsortien zu versteigern, um die Konstruktion der Trasse zu beschleunigen.

Für die weltweiten Sportereignisse in den Jahren 2014 und 2016 investiert Brasilien mehr als 12 Milliarden Euro. Zwölf Stadien werden gebaut oder modernisiert. Sicherlich eine besonders exotische Sportstätte ist die Arena da Amazônia für über 42.000 Besucher. Sie wird in Manaus mitten im tropischen Regelwald gebaut.

Besonderes Augenmerk richtet Rastelli auch auf die unterste Erdschicht und die Gründungsmaßnahmen. Zwar ist Brasilien kaum von Naturgefahren bedroht – es gibt keine Vulkanausbrüche, Taifune oder Erdbeben. Doch können tropische Starkregen Bauprojekte empfindlich stören und verzögern. Außerdem können plötzliche Wassermassen die stark saugenden Sandböden in Brasilien ausdehnen oder Erdrutsche auslösen – mit jeweils fatalen Folgen für die Fundamente.

Starker Wettbewerb Die geplanten Infrastrukturprojekte bieten Versicherern gute Aussichten. So auch für Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS), die im Dezember 2012 die Zulassung für einen lokalen Rückversicherer namens Allianz Global Corporate & Specialty Resseguros Brasil S.A. (AGCS Brasilien) erhalten hat (siehe Infokasten). „Technische Versicherungen sind ein wichtiger Teil unseres Geschäfts. Unsere Kombination aus technisch fundiertem Underwriting und Risk Management ist gefragt“, bestätigt Angelo Colombo, der den neuen Rückversicherer AGCS Brasilien leitet.

Neue Kultur des Risikomanagements AGCS Brasilien begleitet über umfassende Bauleistungsversicherungen die Errichtung von Werften, Kraftwerken, Straßen oder Bahnlinien. Versicherungsnehmer sind führende brasilianische Bau- und Energiekonzerne, aber auch ausländische Techniklieferanten von Turbinen oder Transportsystemen. Sind die Industrieanlagen einmal in Betrieb genommen, bietet das Engineering-Team von AGCS Brasilien Sach- und Maschinenbruchversicherungen an, beispielsweise als Konsortialführer für das produktionsstärkste Wasserkraftwerk der Welt.

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Wer bei den Großprojekten zum Zuge kommen möchte, müsse bei Ausschreibungen trotz begrenzter Informationen schnell agieren, berichtet Andreas Hölscher, der bei AGCS Brazil das Underwriting für die Sparte Engineering verantwortlich ist. Lokale Versicherer, aber auch der Londoner Rückversicherungsmarkt konkurrieren um die attraktivsten Vorhaben. Gleichwohl registriert Hölscher, dass sich bei Bauprojekten in Brasilien zunehmend eine neue Kultur des Risikomanagements und des technisch basierten Underwriting durchsetze. „Vor wenigen Jahren

Das Risikomanagement bei Bauprojekten hat sich weiterentwickelt, Vor-OrtInspektionen der Versicherer sind mittlerweile keine Ausnahme mehr. AGCS Risikoingenieur Jonas Rastelli besuchte kürzlich die Baustelle eines Kohlekraftwerks. Wegen der speziellen Bodenbedingungen in Brasilien achtet er stets besonders auf die unterste Erdschicht und die Fundamente.

ANGELO COLOMBO CEO AGCS Brasilien [email protected] DRAULT ERNANNY Head of Market Management, AGCS Brasilien [email protected] ANDREAS HOELSCHER Head of Engineering, AGCS Brasilien [email protected] JONAS RASTELLI Risk Consulting Engineering, AGCS Brasilien [email protected]

AGCS EXPANDIERT IN BRASILIEN Mit der Inbetriebnahme seiner neuen Rückversicherungsgesellschaft in Brasilien im Januar 2013 hat Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) seine weltweite Präsenz erneut ausgebaut. Die Allianz Global Corporate & Specialty Resseguros Brasil S.A. (AGCS Brasilien) mit Angelo Colombo, CEO Hauptsitz in Rio de Janeiro AGCS Brasilien und einem weiteren Büro in São Paulo ist der 13. lokale Rückversicherer, der das Geschäft im brasilianischen Markt aufnimmt. Die neue Gesellschaft AGCS Brazil wurde von Standard & Poor‘s als ‚strategisch wichtig‘ für die AGCS Gruppe bezeichnet und mit einem globalen Rating von ‚A‘ und einem lokalen Rating von ‚AAA‘ bewertet. Landeschef ist Angelo Colombo. Er betreut die regionalen AGCS-Aktivitäten bereits seit 2009, zwei Jahre nachdem der Gesetzgeber den Markt für ausländische Rückversicherer öffnete. Zunächst betrieb AGCS das lokale Geschäft als nur „admitted reinsurer“, während das Unternehmen seine Südamerika-Strategie im Rahmen seiner Wachstumspläne für die Schwellenländer entwickelte. „Die Zulassung als lokaler Rückversicherer im Dezember letzten Jahres war ein wichtiger Schritt für uns, der uns die Tür für einen deutlichen Geschäftsausbau in diesem Markt öffnet“, sagt Colombo. „Als lokaler Rückversicherer können wir unseren Kunden jetzt noch besser unterstützen und unser Geschäft weiter ausdehnen.“ Brasilien stellt für AGCS schon heute rund die Hälfte des Marktpotenzials in Südamerika dar und soll in den kommenden Jahren zur Drehscheibe für das weitere Wachstum in der Region ausgebaut werden. Bis 2015 will AGCS in Südamerika Prämieneinnahmen von mehr als 350 Millionen Euro erzielen. Als Head of Market Management treibt Drault Ernanny in Brasilien ein wichtiges Ziel der AGCS-Aktivitäten in den Wachstumsmärkten maßgeblich voran: die Stärkung des Kundenservice. „Der brasilianische Rückversicherungsmarkt ist sehr dynamisch“, sagt er. „Im Zuge unserer Bemühungen um eine Ausweitung und kontinuierliche Verbesserung unseres Geschäftsmodells in Brasilien war es unerlässlich, dass wir lokale Experten vor Ort haben, um unsere Kunden, Broker und Versicherungsträger noch besser bedienen zu können.“

WWW.AGCS.ALLIANZ.COM/GLOBAL-OFFICES

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SPECIAL TOPIC

Wasser

3.12

Große Ausgaben

1.08 0.43 in trillion US$

Der Aufholbedarf bei Energie- und Wasserversorgung, Verkehr und Kommunikation erfordert weltweit hohe Investitionen in Infrastruktur.

SCHWERPUNKTE: Verkehr, Energie, Telekommunikation und digitale Dienste VORZEIGEPROJEKTE: Fehmarnbelt, europäische Netzinfrastruktur, Entwicklung der Øresund-Region

NORDAMERIKA STATUS QUO UND STRATEGIE: Die Infrastruktur in den USA ist völlig veraltet, der Ausblick gedämpft. Das 2009 aufgelegte Konjunkturprogramm zur Minderung der Folgen der Finanzkrise enthielt zwar Investitionspläne für startbereite Projekte, diese wurden jedoch nie umgesetzt. Der US-Haushalt für 2013 sah eine Erhöhung der Infrastrukturinvestitionen um 80 Prozent vor. Allerdings machen die Parteipolitik im US-Kongress und die Tatsache, dass der US-Senat seit 2009 keinen Haushalt mehr verabschiedet hat, eine Realisierung dieser Pläne eher unwahrscheinlich.

0.43 in Billionen US$

Luft- und Seefracht

CHINA STATUS QUO UND STRATEGIE: China hat seine Infrastruktur in den letzten 20 Jahren massiv erweitert. Das Land zählte über Jahre zu den größten Infrastrukturinvestoren und baute in schnellem Tempo – oft wurden Straßen zu Städten gelegt, ehe letztere überhaupt selbst entstanden waren. INVESTITIONEN: 1 Billion US-Dollar laut 12. Fünfjahresplan aus 2011 SCHWERPUNKTE: Straßen, Schienenverkehr, Energieversorgung

4.23 2.11 0.51

AFRIKA STATUS QUO UND STRATEGIE: In den letzten Jahren sind die Infrastrukturinvestitionen moderat ausgefallen. Um die Defizite zu beheben und die Weichen für künftiges Wachstum zu stellen, haben die afrikanischen Staaten nun jedoch ihre Investitionen in Infrastruktur massiv ausgeweitet. Zudem gibt es mit dem „Programm für Infrastrukturentwicklung in Afrika” (PIDA) einen strategischen Rahmen für die Entwicklung der regionalen und kontinentalen Infrastruktur unter afrikanischen Eigentümerstrukturen und mit Einsatz afrikanischer Ressourcen.

VORZEIGEPROJEKTE: Alameda Corridor, Eastside Access, Neubau des World Trade Center

0.94

Straße und Bahn

9.04

SCHWERPUNKTE: Verkehrsinfrastruktur und Schaffung einer nationalen Infrastrukturbank

1.53

Energie

VORZEIGEPROJEKTE: Tianjin Eco City, U-Bahn-Systeme in Guangzhou, Shenyang und Harbin

INVESTITIONEN: 476 Milliarden US-Dollar

3.26

EUROPA STATUS QUO UND STRATEGIE: Die europäischen Staaten müssen sich auf die Instandhaltung ihrer bestehenden Infrastruktur konzentrieren. Darüber hinaus fördert die EU eine Reihe von Infrastrukturprojekten zur Stärkung der Integration, des Wachstums und der grenzüberschreitenden Vernetzung. INVESTITIONEN: 50 Milliarden Euro von 2014 bis 2020 (EU-Kommission)

MARILEE WILLIAMS

SCHWERPUNKTE: Energie, Straßen, Bahnen, Flughäfen, Kommunikationstechnologie VORZEIGEPROJEKTE: Transolímpica, Cidade Inteligente Búzios (erste Smart City in Lateinamerika), südamerikanischer Glasfaserring

in Billionen US$

MITTLERER OSTEN STATUS QUO UND STRATEGIE: In Sachen breitflächige Infrastrukturstandards bleibt der Mittlere Osten hinter anderen Regionen zurück, zudem gibt es dort auch die geringste finanzielle Beteiligung des privaten Sektors. Nicht zuletzt die Unruhen des Arabischen Frühlings haben die Staaten des GCC jedoch mobilisiert. 968 Milliarden USDollar sollen in eine Vielzahl ehrgeiziger Infrastrukturmaßnahmen fließen, die Energie und Verkehr ebenso einschließen wie Gesundheitsversorgung und Bildung.

INVESTITIONEN: rund 360 Milliarden US-Dollar von 2012 bis 2040

LATEIN- / SÜDAMERIKA STATUS QUO UND STRATEGIE: Große Infrastrukturdefizite dämpfen das nachhaltige Wachstum und die Wettbewerbsfähigkeit der Region. Eine transkontinentale Infrastruktur gibt es nicht. Die meisten neuen Infrastrukturprojekte konzentrieren sich auf Mexiko, Peru, Chile und vor allem Brasilien, dem Gastgeberland der Fußballweltmeisterschaft 2014 und der Olympischen Spiele 2016.

SCHWERPUNKTE: Verkehr, Energie, ITK, grenzüberschreitende Wassernetze VORZEIGEPROJEKTE: BRICS-Kabelplan, O3b-Netze, Waste-to-Energy-Projekt in Durban 0.54

0.23

INVESTITIONEN: 450 Milliarden USDollar (2011 bis 2015)

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Geplante Infrastrukturausgaben in Bill. US-Dollar (2005 bis 2030)

4.82

0.31

0.02 4.97

in Billionen US$

1.46

1.01

0.08

in Billionen US$

INVESTITIONEN: 97 Milliarden US-Dollar für Verkehr in GCC-Staaten (2011 bis 2020); 80 Milliarden US-Dollar in SaudiArabien SCHWERPUNKTE: Verkehr, Energieversorgung, Einrichtungen für soziale Infrastruktur VORZEIGEPROJEKTE: Schienennetz zwischen allen GCC-Staaten, Abu Dhabi Vision 2030, Qatar World Cup 2022, Schienennetz in Saudi-Arabien

AUSTRALIEN STATUS QUO UND STRATEGIE: Die australische Regierung bemüht sich seit 2008 gezielt um eine Modernisierung der bestehenden Infrastruktur, die größtenteils aus der Nachkriegszeit datiert, und legt die nationalen Prioritäten für künftige Investitionen fest. INVESTITIONEN: 39 Milliarden US-Dollar einschließlich 23 Milliarden USDollar für die ländliche und regionale Verkehrsinfrastruktur

0.31 0.23 0.18

0.14

in Billionen US$

SCHWERPUNKTE: Flughäfen, Schienenverkehr, Straßen und Autobahnen, Häfen, öffentlicher Nahverkehr VORZEIGEPROJEKTE: Hafen von Hastings, 1. Phase der U-Bahn in Melbourne, Northern Connector Schnellstraße

Anmerkung: Die Datenlage zu Infrastruktur ist schwierig, es sind nur beschränkt konsistente Informationen zu Volumina, Vermögenswerten und öffentlichen Investitionen verfügbar. Die Infografik greift auf Zahlen und Fakten aus verschiedenen Quellen zurück und integriert diese. Prognosen und Vorhersagen sind ohne Gewähr und unterliegen Veränderungen aufgrund markt- und volkswirtschaftlicher Entwicklungen. Quellen: Morgan Stanley, Booz Allen Hamilton, Global Infrastructure Partners, World Energy Outlook, Organisation for Economic Co-Operation and Development (OECD), Boeing, Drewry Shipping Consultants, U.S. Department of Transportation, U.S. Treasury Department, European Commission, PIDA, Nuqudy, The World Bank Group.

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RISK FUTURES

„Wir müssen uns noch besser auf Eventualitäten vorbereiten“

„Vor allem Naturkatastrophen bereiten mir Sorgen. Sie können potenziell riesige Schäden verursachen.“ Paul Carter, Global Head of Risk Consulting bei AGCS

Beide sind Ingenieure, beide haben mit Unternehmensrisiken zu tun – doch ihre Blickwinkel sind unterschiedlich. John Marren verantwortet das Risiko- und Versicherungsmanagement des biopharmazeutischen Unternehmens CSL Limited. Paul Carter ist seit Januar 2013 Global Head of Allianz Risk Consulting (ARC) bei Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS). Wir haben mit ihnen über Veränderungen im Risikomanagement gesprochen und sie gefragt, welche Risiken sie nachts wach halten.

PAUL CARTER: EIN PASSIONIERTER RISIKOINGENIEUR

HEIDI POLKE-MARKMANN

Wie sieht ein typischer Arbeitstag für Sie aus? John J. Marren: Ich bespreche mich laufend mit Kollegen und internen Kunden zu Risikomanagement- oder Versicherungsfragen. In Projekten erarbeiten wir gerade einen neuen Notfallplan und verbessern das Business-Continuity-Management der Konzernzentrale. Außerdem überprüfe ich die Schadensprävention für neue Anlagen in Texas und Deutschland und bereite Strategiemeetings und Risikoprüfungen vor – wie jetzt für den Besuch in unserer Zentrale in Melbourne in Australien. Im Jahresturnus überprüfen wir unser Versicherungsportfolio. Die größte Herausforderung besteht für mich darin, in einem rasch wachsenden Unternehmen immer auf dem Laufenden zu bleiben und mehrere Projekte gleichzeitig zu steuern. Paul Carter: In meiner neuen Aufgabe bin ich dafür verantwortlich, dass das ARC die strategischen Prioritäten von AGCS in konkrete Leistungen für interne und externe Kunden übersetzt. Ich bin eng in die Entschei-

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dungsfindung bei allen wesentlichen Projekten eingebunden, zum Beispiel führen wir gerade neue Analyseinstrumente ein oder verbessern unsere Kundenschnittstelle. Da ich für mehr als 250 Risikoingenieure verantwortlich bin, gehören auch viele Personalthemen zu meinen Aufgaben. Weil ich viel reise, sind meine Bürotage weitgehend für Meetings und Telefonkonferenzen reserviert. Dennoch versuche ich, eine Kultur der offenen Tür zu fördern – und gehe selbst so oft wie möglich mit gutem Beispiel voran. Erinnern Sie sich an ein Ereignis, das Ihre Karriere entscheidend geprägt hat? Marren: Für mich sind das in erster Linie Schadensfälle. Aus jedem einzelnen Schaden kann man etwas lernen – über die Ursachen und darüber, wie man das Unternehmen wieder auf Kurs bringt. Daher denke ich weniger an ein bestimmtes Ereignis als an die Summe meiner Erfahrungen. Ich habe einiges erlebt, vom Feuer in einem Werk bis hin zu Haftungsansprüchen, und

habe jedes Mal etwas dazugelernt, sodass ich beim nächsten Mal noch besser reagieren konnte. Carter: Als Ingenieur habe ich bei Unternehmensbesuchen das Beste gesehen – und manchmal leider auch das Schlechteste. Ich werde nie vergessen, als ich erfuhr, dass eine der am besten gesicherten Anlagen, die ich je begutachtet hatte, einen schweren Brandschaden erlitten hatte. In diesem Werk waren vorsätzlich gleich mehrere Brandherde gelegt worden, sodass das installierte Sprinklersystem schlichtweg überfordert war. Der Schaden war immens, obwohl der Kunde alle erforderlichen Vorkehrungen und sogar darüber hinausgehende Maßnahmen getroffen hatte. Marren: Das ist richtig. Schäden können immer passieren, auch wenn man glaubt, man hätte alles unternommen und an alles gedacht. Deshalb haben wir Versicherungen.

Zum 1. Januar 2013 hat Paul Carter die Position des Global Head of Risk Consulting bei AGCS von Gerhard Courage übernommen. Carter ist seit fast 20 Jahren in der Allianz Gruppe tätig. 1994 begann er als Risikoanalyst bei der damaligen Allianz Cornhill International, wo er zunächst für ein breites Industriekundenportfolio in Großbritannien und Europa zuständig war. 1999 wurde er Leiter des britischen Teams für Property Risk Engineering und verantwortete Risikoprüfungen im Sachschadenbereich in Großbritannien. 2002 wurde er zum Leiter des britischen Risk-Consulting-Teams befördert und übernahm die Verantwortung für alle Abteilungen innerhalb dieser Funktion. 2007 wechselte Carter in die Zentrale von AGCS nach München und übernahm dort die Position des Global Technical Manager. In dieser Rolle war er für die technische Ausrichtung des neu gegründeten Global Risk Engineering zuständig. Später wurde er zum Global Head of Property Risk Consulting ernannt. Paul Carter hat ein Diplom in Geschichte und Architektur und einen Postgraduate-Abschluss in Brandschutztechnik. Anschließend forschte er zur Anwendung chemischer Feuerlöschmittel, insbesondere zu Halogenkohlenwasserstoffen und thermischer Zersetzung. Paul Carter ist – als einer von nur wenigen Versicherungsingenieuren – Mitglied der britischen Institution of Fire Engineers (IFE).

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„Handeln Sie so, als hätten Sie keine Versicherung im Rücken. Das zwingt dazu, Risiken kritisch zu hinterfragen.“ John J. Marren, Director of Global Risk and Insurance Management bei dem Biopharmaunternehmen CSL Limited

JOHN J. MARREN: RISIKOMANAGER DES JAHRES 2012

Welches Risiko hält Sie nachts wach? Marren: Für mich ist es wieder kein einzelnes Risiko. Alles, was uns daran hindern könnte, unseren Betrieb aufrechtzuerhalten, treibt mich um. Wir bemühen uns, auf alle denkbaren Szenarien vorbereitet zu sein. Als Biopharmaunternehmen müssen wir immer bedenken, dass ein Vorfall in einem unserer Werke nicht nur Auswirkungen auf unseren Geschäftserfolg hat, sondern auch gesundheitliche Folgen für mehrere Tausend Patienten haben könnte. Carter: Meine größte Sorge sind Naturkatastrophen. Denn diese können potenziell riesige Schäden verursachen. Es geht nicht um einen möglicherweise großen, aber dennoch irgendwo begrenzten Schaden an einer Produktionsstätte. Es geht vielmehr um ganze Regionen und Branchen, die in unserer stark globalisierten und vernetzten Wirtschaft durch ein einziges Ereignis in Mitleidenschaft gezogen werden können.

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John Marren ist Director of Global Risk and Insurance Management bei dem Biopharmaunternehmen CSL Limited mit Sitz in Melbourne, Australien, und den Tochtergesellschaften CSL Behring und bioCSL. CSL ist ein führender globaler Anbieter von aus Plasma gewonnenen Proteintherapeutika und Impfstoffen und beschäftigt über 9.000 Mitarbeiter in 19 Ländern. Marrens Aufgabenbereich umfasst die Koordination und Überwachung des gesamten Risikomanagements. Darüber hinaus ist er für alle Sach- und Haftpflichtversicherungen des Unternehmens zuständig. Vor seinem Eintritt bei CSL war Marren Leiter des Risikomanagements für Henkel America und Global Risk Manager bei Firmenich International. Er begann seine Karriere als Property Loss Control Consultant bei Factory Mutual und arbeitete für Johnsons & Higgins (später March) in den Bereichen Engineering und Broking. John Marren hat einen Abschluss in chemischer Verfahrenstechnik von der Lehigh University. Er ist als Professional Engineer für Brandschutztechnik zugelassen und ist als Chartered Property Casualty Underwriter zertifiziert. Im Jahr 2012 wurde er vom US-Fachmagazin Business Insurance zum Risikomanager des Jahres gekürt.

Was war das größte Risiko, das Sie jemals eingegangen sind? Marren: In Australien auf der linken Straßenseite zu fahren! Carter: Mit über 80 Stundenkilometern auf einem voll gefederten Mountainbike einen Berg hinunterzurasen. Erst als ich einen schweren Unfall hatte, wurde mir bewusst, wie riskant das eigentlich war. Auf welche neuen Risiken sollten Unternehmen besser vorbereitet sein? Carter: Da mein Computer zu Hause kürzlich gehackt wurde, denke ich, dass Cyberkriminalität nicht länger unterschätzt werden sollte. Betriebsunterbrechungen, die nicht durch physische Schäden ausgelöst werden, sondern etwa durch Stromausfälle, sind bereits heute ein Thema und werden weiter an Bedeutung gewinnen. Marren: Auf alles, was wesentliche Auswirkungen auf die Lieferkette haben kann. Ob in der Beschaffung, der Logistik oder der Produktion: Immer ist der Verlust eines wichtigen Glieds der Lieferkette, für das es nur begrenzt Alternativen gibt, ein kritischer Faktor. Außerdem stimme ich Herrn Carter zu, dass unsere Abhängigkeit von den IT-Systemen so hoch ist wie nie zuvor. Daher wird es immer wichtiger, kritische Systeme belastbar zu gestalten und gegen Angriffe zu schützen. Was ist der beste Rat zum Thema Risikomanagement, den Sie erhalten haben? Marren: Ganz zu Beginn meiner Karriere im Risikomanagement wurde mir beigebracht: Handeln Sie so, als ob Sie keine Versicherung als Rückendeckung hätten! Das zwingt zu einer kritischen Betrachtung der bestehenden Risiken, egal in welcher Branche. Carter: Ein früherer Vorgesetzter sagte mir einmal: „Wenn immer erst alle möglichen Einwände überwunden werden müssen, wird nie etwas versucht.“ Es ist besser, die eigene Risikovorsorge Schritt für Schritt zu verbessern, als nach der perfekten Lösung zu streben und womöglich am Ende überhaupt nichts zu erreichen. Wie hat sich die Rolle der Risikomanager in den Unternehmen und diejenige der Risikoingenieure in den Versicherungen verändert? Marren: Das Aufgabenspektrum ist breiter geworden. Wir sind längst nicht mehr nur Versicherungsmanager.

Heute kommt es auf ganzheitliche Konzepte für Risikomanagement an. Man muss sein Geschäft gut kennen, um Risiken sinnvoll bewerten und tragen zu können – oder sie eben zu transferieren. Nicht immer werden die beschlossenen Maßnahmen exakt unseren Empfehlungen folgen, aber unsere Aufgabe ist es, das Management zu unterstützen, informierte Entscheidungen zu treffen und unliebsame Überraschungen zu vermeiden. Carter: Die wichtigsten Geschäftsrisiken sehen heute anders aus als noch vor zehn Jahren. Daher müssen wir unsere Risikoberatung an die neuen Trends anpassen. So konzentrierten sich die Risikoingenieure der Sachversicherer früher überwiegend auf den physischen Schutz der Vermögenswerte. Heute spielt die Bewertung und Vermeidung von potenziellen Betriebs- oder Lieferkettenunterbrechungen bei der Sachrisikoberatung eine wichtige Rolle. Unsere Analyse von Naturkatastrophenrisiken ist ebenfalls detaillierter geworden.

RISIKOREICHE LEKTÜRE John Marrens Lieblingsbuch ist „Single Point of Failure“ von Gary Lynch, das „hervorragende Einblicke in das Management von Lieferkettenrisiken“ gibt. Paul Carter empfiehlt „The Science of Fear“ von Dan Gardner. „Dieses Buch deckt eine breite Palette von Risiken ab – von Terrorismus über Finanzkrisen bis zum Klimawandel und Hackerangriffen.“

Welche Fähigkeiten muss ein guter Risikomanager oder -ingenieur haben? Carter: Risikoingenieure brauchen natürlich das nötige technische Fachwissen und belastbare Industrieerfahrung. Dass es immer um Menschen geht, sollte aber auch nicht vergessen werden. Wir müssen unseren Kunden komplexe Zusammenhänge im persönlichen Gespräch erläutern. Daher brauchen Risikoingenieure auch gute kommunikative Fähigkeiten. Sie müssen dieselbe technische Sprache wie ihr Gegenüber sprechen und eine Beziehung aufbauen können. Marren: Ein guter Risikomanager muss mit Menschen aus allen Ebenen eines Unternehmens zusammenarbeiten können – vom CEO über das Management bis hin zu den Arbeitern. Er muss bereit sein, sich tief in die Betriebsabläufe einzuarbeiten, nur dann kann er effektiv unterstützen. Management- und Finanzwissen sind ebenfalls unerlässlich. Generell verändert sich das Aufgabenprofil von Risikomanagern fortlaufend. In immer schlankeren Organisationen wird die Vorbereitung auf alle denkbaren Szenarien immer wichtiger.

JOHN J. MARREN Director of Global Risk and Insurance Management bei CSL Limited [email protected] PAUL CARTER Global Head of Risk Consulting bei AGCS [email protected]

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SPECIAL TOPIC

Tief bohren

Unter der Londoner City wird am größten Tiefbauprojekt Europas gearbeitet: Crossrail modernisiert das Bahnnetz für das 21. Jahrhundert. NEIL HODGE

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Schwergewichtige Helfer: Riesige Tunnelbohrmaschinen werden eingesetzt, um die neuen CrossrailTunnel unter London zu bauen. Jede von ihnen wiegt 1.000 Tonnen und ist bis zu 140 Meter lang.

Mit einem geschätzten Investitionsvolumen von 14,8 Milliarden Pfund, 37 Haltestellen und 118 Kilometer Streckenlänge ist Crossrail Europas derzeit größtes Tiefbauvorhaben. Das riesige Infrastrukturprojekt wird den Londoner Flughafen Heathrow und Maidenhead im Westen direkt mit Canary Wharf, Abbey Wood und Shenfield im Osten der Hauptstadt verbinden. Die Strecke erweitert die Fahrgastkapazität der britischen Hauptstadt um rund zehn Prozent und soll die wichtigen Geschäftsbezirke der Metropole für weitere

1,5 Millionen Pendler in 45 Minuten erreichbar machen. Bis 2018 soll das Projekt verwirklicht sein – neun Jahre nach Baubeginn im Mai 2009. Das Herzstück bilden fünf doppelröhrige Tunnel mit einer Länge von 21 Kilometern direkt unter der Londoner Innenstadt. Dazu werden neue unterirdische Crossrail-Stationen in Paddington, Bond Street, Tottenham Court Road, Farringdon, Liverpool Street, Whitechapel, Canary Wharf und Custom House gebaut. In einer Tiefe von bis zu 40 Me-

TONNENWEISE ERDE Die Tunnelbohrmaschinen arbeiten rund um die Uhr und bohren sich pro Woche 100 Meter durch den Londoner Untergrund. Am Ende werden sie sechs Millionen Tonnen Erde ausgehoben haben, die für ein neues Naturreservat auf Wallasea Island in Essex verwendet werden.

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CROSSRAIL – DATEN UND FAKTEN • Crossrail ist das größte europäische Tiefbauprojekt mit einem Investitionsvolumen von 14,86 Milliarden Pfund. Die Strecke hat eine Länge von 118 Kilometern und wird 37 Stationen quer durch London verbinden.

Crossrail plant mehrere neue Stationen in London.

„Crossrail muss viele bauliche und logistische Herausforderungen berücksichtigen.“

Clive Trencher, Senior Risk Consultant, AGCS UK

tern bahnen sich die Tunnel ihren Weg zwischen bereits bestehenden U-Bahn-Linien, Abwasserkanälen, Versorgungsleitungen und Gebäudefundamenten. Das Konzept unterirdischer Tunnelröhren mit großem Durchmesser unter der Londoner Innenstadt wurde erstmals in den 1940er-Jahren diskutiert. Der Name „Crossrail“ tauchte erstmals 1974 im London Rail Study Report der Umweltbehörde und des Greater London Council auf, einer Studie zum künftigen Verkehrsbedarf und der strategischen Infrastrukturplanung für London und den Südwesten Englands. Zwar entsprechen die ursprünglichen Vorschläge nicht den heutigen Plänen, doch die Erkenntnis, dass London ein effizienteres Schienenverkehrsnetz benötigt, gab es schon vor rund 70 Jahren.

SICHER RADFAHREN Um sie besser auf Radfahrer aufmerksam zu machen, hat Crossrail bis dato über 4.000 Lastwagenfahrer trainiert. Zudem gibt es eine zusätzliche Sicherheitsausstattung auf allen Baustellenfahrzeugen.

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Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) ist Mitglied des Versicherungskonsortiums, das für Sachschäden infolge der Bauarbeiten und an den eingesetzten Maschinen – einschließlich der acht Tunnelbohrmaschinen – aufkommt. Auch an der Haftpflichtversicherung ist AGCS beteiligt. Zu den Risiken für die Projektversicherer zählen etwa Brände in den Tunnelbohrmaschinen (TBMs) und Stationen. „Die TBMs werden von großen Elektromotoren angetrieben, die knapp 1.000 Tonnen wiegen und bis zu 148 Meter lang sind. Ihre Stromversorgung muss sich auf dem Weg durch die Tunnelröhren mit ihnen vorwärtsbewegen, mit einer Zielgeschwindigkeit von 100 Metern pro Woche“, erklärt Paul Smith, Engineering Underwriting Manager bei AGCS.

Logistik an vorderster Stelle

Unterschiedliche Böden

Das Projekt ist mit enormen Herausforderungen verbunden – allen voran logistischen Problemen. Als eine der weltweit belebtesten Metropolen hat London mit einem extrem hohem Verkehrsaufkommen zu kämpfen. Daher optimierte das Crossrail-Managementteam die Bauplanung so, dass möglichst wenige Straßen, Zug- und U-Bahn-Verbindungen beeinträchtigt werden.

Clive Trencher, Senior Risk Consultant für Hoch- und Tiefbau bei AGCS, nennt weitere Risiken: „Die erwarteten Bodenbedingungen können sich von einer Baustelle zur nächsten ändern. So müssen sich die Ingenieure im Westen Londons in der Nähe der Paddington Station durch den Londoner Ton bohren und benötigen dafür spezielles Gerät. Im Osten dagegen werden Schlammbohrmaschinen benötigt.“ Der Einsatz unterschiedlicher Maschinen sei mit besonderen baulichen und logistischen Herausforderungen verbunden. So wirke sich jede Bohrtechnik anders auf die überirdischen Gebäude oder den Abtransport von Ausbruchsmaterial aus. „Die jeweiligen Sonderfakto-

Die Londoner City ist auch für ihre historischen Gebäude bekannt. Doch von den über 350 denkmalgeschützten Gebäuden entlang der Eisenbahnstrecke muss nur eines abgerissen werden.

ren müssen akribisch in die Planung einbezogen werden“, ergänzt Trencher. In den vergangenen zehn Jahren haben sich Risikoerfassung und -management enorm verbessert, entsprechend ist das Gefährdungspotenzial gesunken. Exemplarisch sind hier verbesserte Gesundheits- und Sicherheitsrichtlinien, Fortschritte in Tunnel- und Bauverfahren sowie die gemeinsame Entwicklung des Joint Code of Practice for Risk Management of Tunnel Works zu nennen. Auf dieses Regelwerk einigten sich Londoner Versicherer und Vertreter der Tunnelbauindustrie im Jahr 2003, nachdem eine Reihe von Tunnelbauunfällen die Versicherer zwischen 1994 und 2003 über 600 Millionen US-Dollar gekostet hatte.

Neue Sicherheitsvorschriften Das Regelwerk legt fest, dass es für jedes Projekt ein formalisiertes Risikomanagementverfahren zur Ermittlung, Bewertung und Verteilung von Risiken geben muss und dass in jeder einzelnen Phase Risikobewertungen vorgenommen, katalogisiert und aktualisiert werden müssen. Um Kernkompetenzen, bewährte Arbeitsabläufe, Risikomanagement sowie Industriestandards festzuhalten und weiterzugeben, hat Crossrail die Tunnelling and Underground Construction Academy (TUCA) ins Leben gerufen. Das Institut bildet Facharbeiter für die speziellen Anforderungen von Tunnelbau, Tiefbau und Infrastrukturprojekten aus. Als europaweit einzige Ausbildungsstätte für Tunnelbau in Weichböden (es gibt ein Ausbildungszentrum für Tunnelbau in Hartgestein in der Schweiz) trägt TUCA zur Entwicklung neuer Qualifikationen sowie Gesundheits- und Sicherheitsstandards in der Branche bei. Während der Projektlaufzeit werden an der

• Die Strecke erweitert die Fahrgastkapazität der britischen Hauptstadt um rund zehn Prozent und soll die wichtigen Geschäftsbezirke der Metropole für weitere 1,5 Millionen Pendler innerhalb von 45 Minuten erreichbar machen. • Crossrail bietet neue Bahnverbindungen und reduziert die Reisezeit. Zu Stoßzeiten sollen bis zu 24 Züge pro Stunde zwischen Paddington und Whitechapel fahren. • Jeder Crossrail-Zug ist bis zu 200 Meter lang und hat eine Fahrgastkapazität von bis zu 1.500 Passagieren. Bis zu 200 Millionen Fahrgästen sollen die Strecke jährlich nutzen. • Seit Beginn der Bauarbeiten 2009 wurden über 20 Millionen Arbeitsstunden geleistet. Über 7.000 Menschen sind derzeit auf über 40 Baustellen in London tätig.

Akademie allein im Tiefbau-Bereich mindestens 3.500 Fachkräfte ausgebildet. Ohne Zweifel wird das Londoner Crossrail-Projekt während seiner neunjährigen Laufzeit das Management vor viele Herausforderungen stellen. Angesichts der Weiterentwicklungen im Risikomanagement für Tunnel- und Bauprojekte geben diese dem Management jedoch auch die Chance, aus den Erfahrungen zu lernen und die bestehenden Verfahren für künftige große Infrastrukturprojekte zu verfeinern.

PAUL SMITH Engineering Underwriting Manager, AGCS UK [email protected] CLIVE TRENCHER Senior Risk Consultant Engineering, AGCS UK [email protected] WWW.AGCS.ALLIANZ.COM/SECTORS

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IN CONCLUSION

Zukunftsstädte in den Tropen Etablierte Metropolen und neue Megacitys können in Sachen Stadtentwicklung voneinander lernen, sagt Gerhard Schmitt, Direktor des Singapore-ETH Centre for Global Environmental Sustainability.

PROF. DR. GERHARD SCHMITT

Professor Dr. Gerhard Schmitt ist Professor für Informationsarchitektur an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) und Direktor des Singapore-ETH Centre for Global Environmental Sustainability. An dieser Kooperationseinrichtung forschen mittlerweile 150 Wissenschaftler aus aller Welt, wie eine nachhaltige Stadtentwicklung in den Megastädten der Zukunft gelingen kann. Von 1998 bis 2008 wirkte Schmitt als Vizepräsident für Planung und Logistik in der Universitätsleitung der ETH. Er gestalte maßgeblich die Entwicklung der Science City mit, eines neuen Hochschulcampus der ETH, der als Modell der Universität des 21. Jahrhunderts gilt.

Metropole oder Moloch? Megacitys wie Tokio, Los Angeles oder São Paulo strahlen eine eigentümliche, aber unbestreitbare Faszination aus. Inzwischen gibt es Dutzende Städte mit mehr als zehn Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern. Sie entstehen zunehmend in einem breiten geografischen Gürtel nördlich und südlich des Äquators. Im Erscheinungsbild folgt das Wachstum in großen Zügen den Entwicklungen in Europa und Nordamerika in der Zeit der industriellen Revolution. Besonders in Europa ist es uns oft nicht bewusst, wie schnell die neuen Metropolen in den Tropen wachsen. Die Erkenntnisse aus diesem Entwicklungsprozess werden auch für Europa und Nordamerika von großem Nutzen sein. Während in den gemäßigten Klimazonen hauptsäch-

Was können wir von den neuen Megacitys lernen? Nachhaltigkeit wird dort anders gesehen als in Europa, wo damit in erster Linie Energieverbrauch und CO2-Ausstoß in Verbindung gebracht werden, da die meisten materiellen Herausforderungen der Urbanisierung bereits gemeistert wurden. Gleichzeitig können europäische Städte von den asiatischen und tropischen Städten lernen, dass es möglich ist, auf engem Raum friedlich zusammenzuleben.

„In den tropischen Megacitys wird Nachhaltigkeit anders verstanden als in Europa.“ lich die Wohnfläche pro Person wächst, nimmt in den aufstrebenden Städten der Tropen die Bevölkerung insgesamt rapide zu: in Afrika durch eine Kombination von hoher Geburtenrate und Binnenmigration, in Asien und Südamerika hauptsächlich durch die Zuwanderung aus ländlichen Regionen. Aufschlussreicher als der Blick auf die reinen Bevölkerungszahlen ist es, nach den Bedürfnissen der jeweiligen Bewohner zu fragen. Denn eine Großstadt in Äthiopien wird sich sehr von einer Zukunftsstadt in Südchina unterscheiden, eine neue Stadtentwicklung in Myanmar oder Vietnam – das inzwischen eine höhere Einwohnerzahl als Deutschland hat – wird anders aussehen als eine solche im Norden Brasiliens. Um die unterschiedlichen Entwicklungslinien zu verstehen und durchdachte Vorschläge für eine nachhaltige Stadtentwicklung in verschiedenen Regionen der Welt machen zu können, hat die ETH Zürich zusammen mit der National Research Foundation von Singapur Ende 2010 das Singapore-ETH Center mit dem Future Cities Laboratory gegründet. Dieses Zentrum ist gleichzeitig Forschungsinstitut, Thinktank und Stadtlabor. Mittlerweile 150 Forscherinnen und Forscher untersuchen den Metabolismus der

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Stadt, indem unter verschiedenen Fragestellungen wichtige „Stocks and Flows“ in urbanen Systemen gesamthaft analysiert und modelliert werden. Beispiele sind Stocks and Flows von Material, Wasser, Energie, Kapital, räumlicher Dichte, Landschaft und Information, jeweils mit dem Menschen im Zentrum.

So wohnen in Singapur (wenngleich im Sinne der Definition keine echte Megacity) mehr als 7.000 Menschen unterschiedlichster Herkunft pro Quadratkilometer zusammen – und das mit hoher Lebensqualität. Gleichwohl hat der Stadtstaat einen kleineren ökologischen Fußabdruck als viele westliche Großstädte – und dies obwohl der zweitgrößte Hafen der Welt und Raffinerien enorme Emissionen verursachen. Wie dies gelingt? Aufgrund des tropischen Klimas wird keine Heizung benötigt. Die Wohnfläche pro Bewohner ist niedriger, was den Einsatz von weniger Baumaterial und weniger Energie für Kühlung bedeutet. Die hohe Wohndichte führt auch zu kürzeren Wegen und Fahrten; ohnehin wird die Zahl der privat zugelassenen Autos durch hohe Steuern begrenzt. Doch Singapur ist sicher eine Ausnahme in Asien, da es seit Jahren eine konsequente Umweltpolitik bei gleichzeitiger Wirtschaftsförderung verfolgt und auch nicht mit ausufernden Vorstädten oder zersiedelten Landschaften zu kämpfen hat. Gleichwohl weist Singapur den Weg, wie die neuen tropischen Metropolen nachhaltig werden können, ohne wie viele Städte in gemäßigten Klimazonen zunächst den Umweg über große Umweltbelastung zu nehmen und dies dann später revidieren zu müssen.

Risk Consulting in luftiger Höhe Maximilian Mock, Risk Consultant der Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS), baumelt am Seil, über ihm ein Helikopter, unter ihm die Gondel des Windrades auf offener See in 90 Meter Höhe. Langsam wird er herabgelassen und kommt in dem roten Schutzkäfig sicher zum Stehen. So könnte er demnächst die Technik eines Offshore-Windparks in der Nordsee aus nächster Nähe beurteilen. Die erforderlichen Trainings hat er bereits alle absolviert – vom Helikopter-Hoist-Kurs bis zum Überlebenstraining. Sie gehören zum Pflichtprogramm für jene Ingenieure und Techniker, die für Bau, Wartung oder Reparaturarbeiten an Offshore-Windparks zuständig sind. „Dass wir uns als Versicherer

diese Kompetenzen selbst aneignen, ist ungewöhnlich, aber unabdingbar, wenn man erfolgreich und profitabel agieren will“, sagt Robert Maurer, der bei AGCS weltweit für die Versicherung von Offshore-Windparks verantwortlich ist. Ehe AGCS Herstellern oder Betreibern von Windparks Versicherungsschutz bietet, bewertet ein Team von mittlerweile sechs spezialisierten Ingenieuren die eingesetzte Technik. „Wir möchten die Risiken nicht nur vom Schreibtisch aus beurteilen, sondern uns selbst auf der Gondel oder der Transformatorplattform ein Bild machen“, erklärt Mock. „Die Praxis sieht immer anders aus als die Theorie.“ Foto: Areva/Jan Oelker

2013 Kalender Datum/Ort

Veranstaltung

Information

10. –12. Ju ni Brighton, Großbritannien

Airmic Conference 2013 Association of Insurance and Risk Managers

www.airmic.com

17. –23. Ju ni Paris Le Bourget, Frankreich

PARIS Air Show

www.paris-air-show.com

3. –5. Sept em ber München, Deutschland

DVS Versicherungssymposium 2013

www.dvs-schutzverband.de

29. Sept em b er – 2. Ok t o ber Maastricht, The Netherlands

Ferma Risk Management Forum 2013

www.ferma.eu

5. – 9. Ok t ob e r Colorado Springs, USA

Insurance and Leadership Forum The Council of Insurance Agents & Brokers

www.ciab.com

24 . – 26. Okt obe r São Paolo, Brasilien

Brazil Risk Management Forum 2013 Associação Brasileira de Gerência de Riscos

www.abgr.com.br

4 . –7. N ovem ber Singapur

Singapore International Reinsurance Conference

www.sirc.com.sg

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