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Globales Lernen in Baden-Württemberg Bildung für eine gerechte und zukunftsfähige Entwicklung am 22. Februar 2003 in Stuttgart
ILDUNGSKONGRES
Dokumentation zum Bildungskongress
Die Schirmherrin Dr. Annette Schavan Ministerin für Kultus, Jugend und Sport des Landes Baden-Württemberg und die Vielfalt der beteiligten Organisationen und Institutionen:
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Brot für die Welt Dachverband Entwicklungspolitik Baden-Württemberg, DEAB Deutscher Gewerkschaftsbund - Bildungswerk Baden-Württemberg Diözese Rottenburg-Stuttgart, Hauptabteilung Weltkirche Entwicklungspädagogisches Informationszentrum Reutlingen, EPIZ Evangelische Medienzentrale Württemberg Evangelisches Zentrum für entwicklungsbezogene Filmarbeit Fachstelle für Medienarbeit der Diözese Rottenburg-Stuttgart Haus des Waldes Stuttgart Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. Kontaktstelle für Umwelt & Entwicklung Stuttgart, KATE Landesarbeitskreis Schule für Eine Welt Landesinstitut für Erziehung und Unterricht Stuttgart mit dem BLK-Programm „21“ – Bildung für eine nachhaltige Entwicklung • Landesmedienzentrum Baden-Württemberg
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Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg Netzwerk Frauen verändern Schule Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit Baden-Württemberg, SEZ Studienbegleitprogramm für Studierende aus Afrika, Asien, Lateinamerika in Baden-Württemberg, STUBE Terre des hommes unesco-projekt-schulen Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen, VENRO Volkshochschule Stuttgart e.V. Volkshochschulverband Baden-Württemberg Weltfriedensdienst Zentrum für Entwicklungsbezogene Bildung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, ZEB
Der Kongress wurde finanziert durch: • • • • • • • • •
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Diözese Rottenburg-Stuttgart, Hauptabteilung Weltkirche Evangelischer Entwicklungsdienst EED/ABP Kooperation Eine Welt, Katholischer Fonds für weltkirchliche und entwicklungsbezogene Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit Landesinstitut für Erziehung und Unterricht mit dem BLK - Programm „21“ – Bildung für eine nachhaltige Entwicklung Landesmedienzentrum Baden-Württemberg Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit Baden-Württemberg, SEZ
Die Kongressorganisation wurde vom Entwicklungspädagogischen Informationszentrum, EPIZ und der Kontaktstelle für Umwelt & Entwicklung, KATE im Rahmen des Programms geleistet. Global Fairness wird finanziell gefördert durch:
• Kommission der Europäischen Gemeinschaft • Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung • Evangelischer Entwicklungsdienst (EED/ABP) • Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg • Diözese Rottenburg-Stuttgart
Dokumentation zum Bildungskongress Globales Lernen in Baden-Württemberg
Bildung für eine gerechte und zukunftsfähige Entwicklung am 22. Februar 2003 in Stuttgart
„Globales Lernen darf an unseren Schulen keine Nische mehr sein.“ Kultusministerin Dr. Annette Schavan, Bildungskongress 2/2003
Bildungskongress Globales Lernen in Baden-Württemberg, Februar 2003
Inhaltsverzeichnis I. Grußwort und Zielsetzung des Kongresses S. 5
Begrüßung Sigrid Schell-Straub, EPIZ Reutlingen
II. Reden und Impulse Globales Lernen Dr. Melinda Madew, Trainerin für Interkulturelles Lernen
S. 7 S. 12
Eine andere Welt ist möglich – von der Bildungswende zur Entwicklungswende Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker, MdB
III. Foren und Werkstätten A. Globale Herausforderungen - Konsequenzen für die Bildung Das BLK-Programm „21“ Bildung für eine nachhaltige Entwicklung Claus-Peter Herrn (Koordinator des BLK-Programms „21“ in Baden-Württemberg), Landesinstitut für Erziehung und Unterricht Stuttgart
S. 17
Leitbilder für nachhaltige Entwicklung und ihre Bedeutung für Globales Lernen Prof. Dr. Hansjörg Seybold, Pädagogische Hochschule Schwäbisch Gmünd
S. 19
Die Weltreligionen im Dialog – interreligiöses Lernen in einer multireligiösen Welt Dr. Günther Gebhardt, Stiftung Weltethos Tübingen
S. 26
Weltoffenes Europa? Der europäische Bildungsraum als Herausforderung für das globale und interkulturelle Lernen Dr. Sabine Hornberg, Ruhruniversität Bochum
S. 34
Nach dem (Irak-)Krieg – Qualifizierung als Herausforderung für Friedenspädagogik Uli Jäger, Institut für Friedenspädagogik Tübingen
S. 36
Auch in Afrika: Der Kampf ums Öl und die Menschenrechte Walter Schwenninger, Weltladen Tübingen
S. 42
Die Multikulti-Schule – Perspektiven für die Integration von Schüler/innen mit Migrationshintergrund Rita Wohlgemut, Rektorin der Kopernikusschule Köln
S. 43
Bildung unter Globalisierungsdruck – Trends der Bildungsreform in Nord und Süd Eva Maria Hartmann, GEW / PD Dr. Klaus Seitz, epd-Entwicklungspolitik
S. 44
Thesen in der Podiumsdiskussion Dr. Martin Frädrich, IHK Region Stuttgart
S. 48
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Bildungskongress Globales Lernen in Baden-Württemberg, Februar 2003
B. Filmsichtung und Workshops Filme zum Thema: Globalisierung und Nachhaltigkeit Trudie Joras / Raili Salmela, DGB-Bildungsdienst
S. 49
Neue Medien: Kinderwelt-Weltkinder, DVD Kinderalltag weltweit Bernd Wolpert, EZEF Stuttgart / DVD-Rezension von Martin Geisz
S. 51
S. 54 Islam im Internet – Demonstration und Debatte Murat Aslanoglu, Christlich-Islamische Gesellschaft Stuttgart; Albrecht Hauser, Evangelischer Oberkirchenrat (OKR) Stuttgart; Tubanur Yeschilhark (Studentin) Dr. Karl Heinrich Rudersdorf, Zentrum für entwicklungsbezogene Bildung Stuttgart Filme zum Konflikt Palästina-Israel Gabriele Radeke, DEAB Dachverband Entwicklungspolitischer Aktionsgruppen
S. 58
C. Öffnung, Vernetzung und Kooperation S. 59 „Direct links“- change the world - wir globalisieren fair Tamara Hagmaier, Britta Hitzel, Fabian Parsch (Schüler/innen) / Bettina Schroeder (Lehrerin), Melanchthon-Gymnasium Bretten Nachhaltiges Lernen in einer Schule für die Zukunft Margit Knapp-Meimberg, Internationale Gesamtschule Heidelberg
S. 61
Schritte gegen Tritte - ein interkulturelles und internationales Regina Seitz, EPIZ Reutlingen
S. 65
Kulturen begegnen sich - weltoffenes Lernen im weltweiten Netz der unescoprojekt-schulen Team der unesco-projekt-schulen
S. 67
D. Wege in die Praxis globalen Lernens Wasserarmut und Wasser“überfluss“ Elisabeth Wietreck, PH Ludwigsburg
S. 68
Literaturwerkstatt Afrika – total normal Martina Kühfuß (Schülerin) / Ulrike Grimm (Lehrerin), Realschule Neuffen
S. 71
Eine Welt im Kindergarten am Beispiel Afrika Gudrun Riedel, Ernst-Lange-Institut für Ökumenische Studien
S. 77
E. Engagement für globale Solidarität Die Entschuldung des Südens - 50 Jahre nach der Entschuldung Deutschlands Linde Janke (Regionalkoordinatorin), erlassjahr.de - Forum Baden-Württemberg
S. 81
Denken ist kein kalter Kaffee – Globales Lernen am Beispiel des Fairen Handels Markus Boese (Gruppenberater), DEAB in Vertretung von Dr. Barbara Asbrand, Universität Erlangen-Nürnberg
S. 86
3
Bildungskongress Globales Lernen in Baden-Württemberg, Februar 2003
HIV / AIDS - eine globale Herausforderung Dr. Ramona Gresch-Bruder, Deutsches Institut für ärztliche Mission Tübingen
S. 89
Sich engagieren wollen, aber wie? Helena Bruder (Schülerin), Eugen-Bolz-Gymnasium Rottenburg; Benjamin Bubenheimer (Schüler), Friedrich-List-Gymnasium Reutlingen
S. 93
Waldpädagogik - Ein Beitrag zur Erziehung zur Nachhaltigkeit Dr. Eberhard Bolay / Berthold Bleichle, Haus des Waldes Stuttgart
S. 94
IV. Feedback S.100
Kurzinterviews von Teilnehmer/innen
V. Anhang Orientierungsrahmen Bildung für eine zukunftsfähige Entwicklung – Orientierungsrahmen für Globales Lernen Landesarbeitskreis Schule für Eine Welt Baden-Württemberg
S.106
Pressemitteilungen Bildung ist Teil eines geistigen Generationsvertrages Pressemeldung des Kultusministeriums Baden-Württemberg vom 24.2.2003
S. 111
Schaufenster des Globalen Lernens im Südweststaat Pressemitteilung des epd-entwicklungspolitik 5/2003 März
S. 113
Online-Forum „Globales Lernen“ des Landesmedienzentrums Global egal? Horst Rehfuss, Februar 2003
S. 115
Notwendig ist ein globales Ethos Dr. Günther Gebhardt, Februar 2003
S. 116
Fit für die Globalisierung PD Dr. Klaus Seitz, Februar 2003
S. 117
Krieg, Terrorismus und Schule Uli Jäger, Februar 2003
S. 118
Impressum
S. 119
Hinweis: Wir möchten Sie an dieser Stelle darauf hinweisen, dass der Abdruck aller Vorträge, Skripte und Dokumente mit der tatkräftigen Unterstützung der jeweiligen Referent/innen zu Stande gekommen ist. Die entstandene Dokumentation ist jedoch nicht als eine lückenlose Wiedergabe des Bildungskongresses zu betrachten. Allen Autor/innen sei an dieser Stelle herzlich gedankt. 4
Bildungskongress Globales Lernen in Baden-Württemberg, Februar 2003
I. Grußwort und Zielsetzung des Kongresses
Begrüßung Sigrid Schell-Straub, EPIZ Reutlingen Lay your weapons down – der Appell der Schulband der Hauptschule Innenstadt aus Tübingen hat uns erreicht und vielen von uns sicherlich aus dem Herzen gesprochen. Unser Kongress findet in einer Zeit statt, wo überall in der Welt um den Frieden gebangt, gebetet, gerungen und auch demonstriert wird. Weltweit am letzten Samstag 11 Millionen, davon 50 000 hier in Stuttgart. Liebe Rapperinnen und Rapper aus Tübingen, Eure Botschaft reiht sich nahtlos darin ein und ist angekommen. Vielen Dank an Euch. Sehr geehrte Ministerin, liebe Frau Schavan, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Freundinnen und Freunde: ein herzliches Willkommen zu unserem Kongress „Globales Lernen in BadenWürttemberg – Bildung für eine gerechte und zukunftsfähige Entwicklung“! Ich grüße Sie einmal im Namen der Organisatoren dieses Kongresses, dem Entwicklungspädagogischen Informationszentrum EPIZ in Reutlingen und der Kontaktstelle für Umwelt und Entwicklung KATE in Stuttgart, aber auch im Namen aller Mitveranstalter: Eine große Vielfalt an Veranstaltern ist beteiligt, wie Sie bereits unseren Flyern entnehmen konnten. Dort sind 26 Institutionen verzeichnet, staatliche und nicht-staatliche, lokale, regionale und bundesweit aktive, entwicklungspolitisch engagierte Gruppen, Servicestellen und Netzwerke. Auf diesen ruht das Programm (so wurde es im Flyer dargestellt) – es ist ein Abbild der Wirklichkeit des Globalen Lernens in Baden-Württemberg. Es ist mir wichtig zu betonen, dass diese Liste insofern nicht vollständig ist, als dass es darüber hinaus noch viele weitere Organisationen und Personen gibt, die sich für Globales Lernen engagieren. Nur die bereits jetzt vorhandene Komplexität bezüglich der Planung und Durchführung hat uns daran gehindert, noch weitere Gruppen zum Mitmachen aufzufordern. Im Weiteren ist uns wichtig, auf diesem Kongress Gemeinsamkeiten zu betonen und konstruktiv an unseren gemeinsamen Zielen zu arbeiten. Nicht Profilierung und Selbstdarstellung Einzelner stehen im Vordergrund, sondern Öffnung, Vernetzung und Kooperation – wie dies auch an unseren gemeinsamen Infotischen und an der Infowand erkennbar wird. Ein ganzer Workshop-Block ist diesem Anliegen gewidmet: Block C. Sie sind hier – und alle Anstrengungen der letzten Tage, Wochen und Monate finden dadurch ihre Rechtfertigung. Ihre zahlreiche Anwesenheit ist eine große Ermutigung für alle, die an den 5
Bildungskongress Globales Lernen in Baden-Württemberg, Februar 2003
Vorbereitungen mitgewirkt haben und die Globales Lernen in Baden-Württemberg befördern wollen. Dass Sie sich so zahlreich angemeldet haben, war in der Tat eines der erfreulichsten Probleme der Vorbereitung in den letzten zwei Wochen. Bemerkenswert fand ich in diesem Zusammenhang den Vorschlag eines Teilnehmers, der in Gefahr war, nicht mehr kommen zu dürfen, doch die Veranstaltung per Lautsprecher nach draußen zu übertragen, um niemanden ausschließen zu müssen. Das war eine gute Idee, die leider nicht mehr verwirklicht werden konnte. Wer sind Sie? – Sie kennen den beliebten Einstieg bei Seminaren: Gemäß Frühstückszusammensetzung, Anreisezeiten, Hobbys oder Bezug zum Thema werden die Teilnehmer/innen aufgefordert, sich in die Ecken des Raumes zu begeben, so dass sie sich auf diese Weise kennen lernen und auch etwas bewegen können. Das machen wir jetzt verständlicherweise nicht. Trotzdem mache ich einen Versuch, mit Ihrer Hilfe ein kurzes Teilnehmer/innen - Profil zu erheben. Erheben im Sinne von „kurz aufstehen“: alle anwesenden Schülerinnen und Schüler, die Studierenden, welche aus anderen Ländern insbesondere des Südens kommen und alle Männer. Danke für’s Kommen und Mitmachen! Alle, die sich aufgrund meiner vorangegangenen Bemerkung als Basis Globalen Lernens in Baden-Württemberg und als Mitveranstalter definieren. Vielen Dank auch Ihnen! Erlauben Sie mir, Sie mit einzuschließen, wenn es darum geht die Ziele und den Kontext der heutigen Veranstaltung zu beleuchten. Ausführlicher beschrieben wurde dies im Orientierungsrahmen, den der Landesarbeitskreis „Schule für Eine Welt“ für den heutigen Kongress ausgearbeitet hat. Sie finden ihn in Ihrer Tagungsmappe. (Siehe Anhang) Dieser Tag soll ein Forum bieten, über diese langfristigen Forderungen gemeinsam nachzudenken, zu diskutieren und zu einer realistischen Einschätzung zu gelangen, was davon schon auf den Weg gebracht ist. Aber auch, welche möglichst konkreten Schritte es sein könnten, die wir an unseren Wirkungsorten alleine, im Team, an Schulen oder in Bündnissen zwischen Schulen und außerschulischen Partnern im Rahmen der Bildungsplanreform verwirklichen können. Dies an einem Tag zu bewältigen, ist sicher nicht einlösbar. Sie können diesen Kongress deshalb als Auftaktveranstaltung begreifen, die hoffentlich zu weiteren konkreten Maßnahmen führt. Wir laden Sie deshalb heute schon ein, die Jahrestagung des Landesarbeitskreises im Mai 2003 im Pädagogisch-Theologischen Zentrum in Stuttgart-Birkach zu besuchen. Dort werden wir Impulse aus den Redebeiträgen oder mögliche Ergebnisse der Podiumsdiskussion aufgreifen und der Frage nachgehen, wie wir Globales Lernen an den Schulen verstetigen können. Dies wird vor allem in kleinen Arbeitsgruppen geschehen, die nach der Methode eines „Open Space“ moderiert werden sollen. In ihrer Tagungsmappe finden Sie dazu bereits eine Einladung mit Rückmeldeabschnitt. Das genaue Programm wird Ihnen dann auf Wunsch zugesandt. Ich bedanke mich recht herzlich für ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen und uns allen einen schönen und interessanten Verlauf des Kongresses! Sigrid Schell-Straub
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Bildungskongress Globales Lernen in Baden-Württemberg, Februar 2003
II. Reden und Impulse
Globales Lernen Dr. Melinda Madew, Trainerin für Interkulturelles Lernen Die Einladung, vor diesem Kongress zu sprechen, erhielt ich im letzten Jahr von Sigi SchellStraub vom EPIZ/Reutlingen. Seitdem überlege ich, was ich dieser Versammlung von Pädagoginnen und Pädagogen bieten kann, was ich Ihnen sagen kann, was nicht schon gesagt wurde, welche Gedanken ich Ihnen näher bringen soll, die nicht bereits gedacht worden sind. Wie Klaus Seitz so treffend geschrieben hat – es besteht keine Notwendigkeit, das Rad immer wieder neu zu erfinden vor dem Hintergrund, dass bereits Comenius vor 350 Jahren die Universalität von Bildung formuliert hatte und gefragt hatte, wie aus den Reichtümern menschlicher Kultur eine gerechte und friedliche Weltordnung abzuleiten ist1. Muss man mehr sagen als das, was hier vor 350 Jahren gesagt wurde? Was mich herführt, ist die Tatsache, dass dies eine Versammlung von Lehrenden ist. Und ich bin selbst eine Lehrerin. Auch wenn vielleicht viele der Klassenräume, die ich kennen lernte, anders waren als die Ihrigen. Ich war in Klassenräumen von Schulen und Universitäten, ich hatte aber auch Klassenräume im Schatten unter Bäumen, Klassenräume entlang von Straßen, wo Jung und Alt sich trafen, um ihre Welt neu zu entdecken und den Dingen wieder Namen zu geben. Und vielleicht sind meine Erfahrungen und meine Traditionen dergestalt anders im Vergleich zu den Ihrigen, dass ich angesichts der von uns allen geteilten Wirklichkeit und im Hinblick auf die Notwendigkeit Globalen Lernens zwangsläufig zu einigen anderen Auffassungen kommen muss. Lassen Sie mich die Definition der (europaweiten) Global Education Week 2002 übernehmen, dass nämlich Globales Lernen Menschen dazu bringt, ihre Augen und Herzen zu öffnen für die Wirklichkeiten dieser Welt und sie dazu anhält, für eine gerechtere Welt zu arbeiten, in der niemand von den Menschenrechten ausgeschlossen bleiben muss2. Es gibt eine zugrunde liegende Philosophie des Globalen Lernens, eine Philosophie, die den vielen Kulturen des Südens nah ist und verkündet, dass... es eine Vernetzung zwischen Gemeinschaften, Ländern und Menschen gibt, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht voneinander zu trennen sind, die Fähigkeiten des Menschen zu fühlen, zu denken und zu glauben keine losgelösten Qualitäten sind, sondern gleichwertig miteinander verbunden sind, der einzelne Mensch ein Recht auf Identität hat sowie auf Zugehörigkeit zu einem Gemeinwesen, alles zwischen Himmel und Erde einzigartig ist und wir Menschen nur die Hüter dieser Lebensvarianten sind. Diese Philosophie widerspricht nicht den Prämissen des Globalen Lernens für eine nachhaltige Welt. Zugegeben, es kann kein Zweifel an der Dringlichkeit bestehen, uns und unsere Kinder vorzubereiten auf eine von Weisheit geleitete Wahl zwischen globalem Wettbewerb und globaler Zusammenarbeit, zwischen Vorherrschaft und Co-Existenz, zwischen Protektionismus und Offenheit, zwischen Multikulturalität und kulturellem Imperialismus. Als Lehrer/innen wissen wir, 1 2
Seitz 2001b, S. 67. Global Education Week: One Sustainable World, North South Center Report, March 2002, S. 35.
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Bildungskongress Globales Lernen in Baden-Württemberg, Februar 2003
wie vermittelte Werte zu richtigen Entscheidungen führen können. Aber tun sie es wirklich? Welche globalen, wirtschaftlichen und politischen Strömungen beeinflussen unsere Entscheidungen, wenn wir als Personen oder Institutionen „wählen“? Um diese Frage zu beantworten, können wir einmal einen Blick werfen auf die ökonomischen und politischen Koordinaten von Deutschland in der heutigen Welt, denn die Entwicklungen hier beeinflussen die „Wahl“, welche wir in der Erziehung treffen. Lassen Sie mich aus einer renommierten, ja konservativen britischen Zeitschrift zitieren, wie man im Rest der Welt Deutschland heute wahrnimmt3. 1. Trotz des gegenwärtigen ökonomischen Pessimismus ist Deutschland unbestreitbar der wirtschaftliche Riese im Herzen Europas. Deutschlands Wirtschaft ist immer noch die größte in Europa, ein Drittel größer als die von Frankreich oder Großbritannien. Deutschland bleibt weiterhin ein reiches und wohlhabendes Land, das seine Kranken und Arbeitslosen viel großzügiger behandelt als Großbritannien oder die USA. Seine Infrastruktur ist außerordentlich gut, der Gesundheitszustand ebenso, das Wohlfahrtssystem ist großzügig, die Umwelteinrichtungen sind fest etabliert. Arbeitnehmer haben sechs bis acht Wochen Urlaub im Jahr. Deutschland hat eine tief verwurzelte Demokratie, in der Kompromiss und Konsens einen dynamischen und würdigen zivilen Diskurs garantieren. 2. Deutschland hat begonnen, bei internationalen Angelegenheiten seine Rechte geltend zu machen, indem es offen über seine nationalen Interessen spricht, ohne die nach dem Krieg übliche Schulddebatte als Vorwand für Enthaltsamkeit zu nehmen. Dies rührt daher, dass Nationalismus ein heikles Thema in Deutschland ist. Erklärungen wie „stolz ein Deutscher zu sein“ würden Protest auslösen und Fragen aufwerfen. Dieser Zustand wurde abgemildert durch den Bundespräsidenten, indem er erklärte, dass er „glücklich“ und sogar „dankbar“ sei, ein Deutscher zu sein, aber er könne nicht stolz auf etwas sein, das er nicht selbst geleistet habe. In der Woche in Versailles, in der die Erneuerung der Deutsch-Französischen Freundschaft gefeiert wurde, hatte Joschka Fischer sich darüber ausgelassen, dass die Deutschen als Volk immer noch darüber diskutieren, wer sie sind, eine Angelegenheit, die anderen Völkern absurd erscheinen mag. Wenn Deutschland seine unabhängige Stellung als global player im strategisch politischen Bereich reklamiert hat, haben die Amerikaner es als wirtschaftlichen Riesen, aber politischen Zwerg diffamiert oder gesagt, dass Deutschland keine richtigen Zähne habe, wohl aber einen langen Schwanz4. Die Amerikaner wissen, dass Deutschland sich nicht selbst (bis an die Zähne) bewaffnen wird, um eine Militärmacht zu sein, weil es sich immer noch mit seiner Vergangenheit beschäftigt (dem langen Schwanz). Bis heute ist es so, dass Kanzler Schröder sagen würde, Deutschland hätte das Bewusstsein einer Nation, die mündig ist, einer Nation, die sich anderen gegenüber weder überlegen noch unterlegen fühlt5. 3. Deutschland ist Asylsuchenden gegenüber freundlicher als jedes andere europäische Land, obwohl es außerordentlich schwer ist, die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben. Es sind 7,3 Millionen Mitbürger oder 9% der Bevölkerung, die nicht die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Und Wirtschaftsplaner wissen, dass Deutschland jährlich 260.000 Einwanderer während der nächsten 20 Jahre benötigt, um ein Finanzdesaster in seinem Wohlfahrtsund Rentensystem zu vermeiden. Gegenwärtig ist es so, dass zwei Arbeitnehmer auf jeden Rentner kommen. Für 2035 wird vorausgesagt, dass es nur noch einer ist. Nicht viele Deutsche akzeptieren die Vorstellung, dass dies ein multikulturelles Land bedeutet.
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The Economist: A Survey of Germany, December 7, 2002. ebd. S. 23. 5 ebd. S. 20. 4
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4. Trotz der Berichte über die wirtschaftliche Instabilität Deutschlands bleibt dies ein reiches und stabiles Land und für die Mehrheit seiner Menschen ein Land, in dem es sich sehr gut lebt. Es gibt keine sichtbare Armut in den Straßen, so wie es in den USA oder Teilen Westeuropas der Fall ist. Die Menschen sind mit Recht stolz auf ihre gute alte harte Arbeit, Effektivität, Genauigkeit, den hohen Standard der Arbeit, die Qualität der Produkte und die Sparsamkeit, die ein schwäbisches Markenzeichen für Erfolg und Wohlstand geworden war. Angeregt durch das, was ich für den Zweck Globalen Lernens halte und als seine zugrunde liegende Philosophie erkenne, andererseits aber auch durch die Eindrücke, die die Welt von Deutschland hat, möchte ich ein paar Fragen stellen: 1. Was steht auf dem Spiel, wenn wir mit dem Globalen Lernen einen Misserfolg erleiden? Das Leben in Deutschland ist so angenehm. Wir leben anscheinend in politischer und wirtschaftlicher Sicherheit. Passiert eigentlich etwas, wenn unsere Pädagog/innen mit dem Globalen Lernen keinen Erfolg haben? Antwort: Ein Fehlschlag bringt keine unmittelbare Gefahr in unsere Wohnzimmer. Und die Armut ist so fern und so weit weg. Die Krankheiten hier sind heilbar dank moderner Medizin. Die Strukturen für den Umweltschutz sind geschaffen. Jeder hat ein Dach über dem Kopf. Wir müssen uns nicht mit solchen Fragen quälen, denn es besteht kein existenzieller Bezug zu ihnen. Wenn die Bemühungen um eine weltoffene Erziehung in Deutschland oder noch näher in Baden-Württemberg (einem der reichsten Länder der Bundesrepublik, wenn nicht dem reichsten) fehlschlagen würden, hätte das keine Auswirkungen auf unsere bequemen Existenzen. Die Leute, denen die globalen Ungleichheiten weh tun, leben ja in der unterentwickelten Welt, und diese Leute sind so anders als wir, leben so fern, sind von uns wie durch einen Graben getrennt. Nein, das beträfe uns nicht. Die sind die, und wir sind wir. 2. Bedeutet der im Globalen Lernen verwendete Begriff „Eine Welt“ auch „übereinstimmendes Denken“? Der Begriff „Eine Welt“ erinnert uns daran, dass die Interessen der einzelnen Gesellschaften und Nationen unter dem Blickwinkel der umfassenden Bedürfnisse des gesamten Erdballs zu sehen sind. Zu einem Planeten zu gehören bedeutet, dass eine Wechselbeziehung besteht zwischen unseren verschiedenen Lebensläufen und Völkern. Unser Lebensstil kann das Ungleichgewicht nicht verbergen, denn unter den Nutzern der Naturschätze gibt es Gewinner und Verlierer. Die Gewinner einerseits und die Verlierer andererseits kann man nicht so leicht in ein „gemeinsames, einheitliches Denken“ einbinden. Wollen wir uns die Verlierer vorstellen? Denken wir nur an die 800 Millionen immer noch unterernährten Menschen. Oder an die täglich an (heilbaren) Krankheiten sterbenden Kinder. Denken wir an die 1,2 Milliarden Menschen auf der ganzen Welt, die mit weniger als einem Euro pro Tag ihr Leben fristen. Die Frage, wie die unterschiedlichen kulturellen Ausgangspunkte anzuerkennen sind, wird uns bedrängen. Die eurozentristische Denkweise in der Pädagogik wird herausgefordert. Und mehr noch: Wenn die Verfechter der so genannten „Einen Welt“ zulassen würden, dass die globalen Verlierer die Wohltaten der hoch entwickelten Länder mit den Gewinnern gemeinsam genießen und sich zu ihnen an den Tisch setzen, würde das nicht den Lebensstil der Völker des Nordens bedrohen? Und damit deren Sicherheit für die Zukunft schmälern? Denn dies würde ja die gerechte Teilung der politischen Macht und der wirtschaftlichen Ressourcen mit dem Süden bedeuten. Wir, die wir von „Einer Welt“ sprechen, können wir, dürfen wir Fremde und Unbekannte einladen über die Grenze hinweg in den Bereich unseres physischen und seelischen Wohlergehens ohne Angst haben zu müssen vor unserer gleichzeitigen Enteignung? 3. Wer lehrt die Lehrer/innen? Unser gemeinsames Thema bringt mehrere hundert Lehrerinnen und Lehrer auf dieser Tagung zusammen – alle wollen mehr über das Globale Lernen 9
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lernen. Als Lehrer/innen betrachten wir das Lernen als eine außerordentlich wichtige menschliche Tätigkeit. Als Lehrer/innen lernen wir gerne von anderen. Wen verpflichten wir als den „Lehrer der Lehrer“ im Globalen Lernen? Definitionsgemäß umfasst das Globale Lernen die entwicklungspolitische Bildung, die Menschenrechtserziehung, die Friedenserziehung und das interkulturelle Lernen. Alle diese Aspekte gehören zur Erziehung zum Weltbürger. Und da es unsere Berufung ist, die jungen Menschen zu Bürgern dieses Planeten zu machen, ergibt sich die Frage: Welche Vorbilder, welche Beispiele in dieser Rolle können wir ihnen vorzeigen? Für mich sind die Weltbürger die 150 Millionen Migrant/innen auf dem Erdball6. Der Weltbürger ist für mich der Verfolgte, der selbst Zeuge menschlicher Tragödien wie Hunger, Krankheiten, Angst vor Konflikten und Krieg gewesen ist, und der trotz dieser Plagen kämpft und die Hoffnung auf ein Leben in Frieden nicht aufgibt. Der Weltbürger hat die vielen verschiedenen Realitäten des Überlebens selbst gesehen oder durchgemacht, Realitäten, die weit mehr sind als die uns bekannten Spielarten. Um uns herum haben wir heute eine riesige Quelle für Globales Lernen und damit auch die Möglichkeit, Weltbürger zu sein. Allein in Baden-Württemberg leben 1,29 Millionen Fremde aus 200 Ländern7. Bei den Vorbereitungen zu diesen Vormittagsgesprächen interviewte ich Dr. Mauricio Salazar und Angelika Weber, die bei STUBE eine ausgezeichnete Arbeit machen (einem Zentrum, das Studierenden aus Afrika, Südamerika und Asien Hilfestellungen anbietet), und sie geben allein für die baden-württembergischen Universitäten etwa 6.000 immatrikulierte Student/innen an. Diese Student/innen und andere kleine Gruppen um uns herum warten darauf, als personelle Ressourcen in unseren Schulen und Universitäten angezapft zu werden für die Programme, die es zum Globalen Lernen und zum Thema Weltbürgertum gibt. Sie sind hier mit einem reichen Erfahrungsschatz, was Interkulturalität, politischen und interreligiösen Dialog angeht. Sie sind die Meister im wirtschaftlichen Überleben. Sie sind die, die wir Weltbürger nennen können. Sie scheinen für uns unsichtbar zu sein, weil sie in die isolierten Marginalbereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens abgeschoben sind. Wenn wir über das Engagement für globale Themen verhandeln, müssen wir nicht weit gehen; diese Themen existieren ganz lebendig vor der Haustür. Dies ist eine Versammlung von Lehrern und Lehrerinnen - Lehrenden, die als öffentliche Bedienstete durch das Gesetz geschützt sind und ausgestattet sind mit den Rechten, Segnungen und Dienstpflichten, die mit ihrer Funktion als Beamte zusammenhängen. Mir sind dabei die Augen aufgegangen, dass man ja ein deutscher Bürger sein muss, um als Lehrer/in oder Professor/in zu arbeiten. Die Weltbürger und Weltbürgerinnen, welche diese genannten Fremden sein könnten, die die Vielfalt der Welten repräsentieren, jene, die am besten die Werte des Globalen verkörpern, jene, die des Lehrers Lehrer/in in Sachen Globales Lernen sein könnten, haben letztendlich keine Möglichkeit, ins Beamtensystem hinein zu kommen. 4. Der Versuch zum Dialog kreist oftmals innerhalb Gleichdenkender, innerhalb solcher, die mehr durch Gemeinsamkeiten als durch Unterschiede ausgezeichnet sind, innerhalb derer, die eher ähnliche Segnungen und Privilegien genießen. Es ist leichter, den Pfad des sanften Dialogs zu wählen als den konfliktreichen, wenngleich gerade der Weg ehrenwerter ist, der unsere gegensätzlichen Interessen aufeinanderprallen lässt. In den Nord-Süd-Beziehungen einen Wandel herbei zu führen in Sachen Machtverteilung und gerechte Verteilung der Ressourcen, ist als Grundsatz und Vorstellung so dringlich, dass wir uns wieder und wieder treffen mögen, um uns immer wieder die gleiche Botschaft mitzuteilen. Kann ein Gesinnungswandel in Handeln überführt werden? Und wenn dem so ist, ist denn da auch die Bereitschaft vorhanden, den Randständigen und Habenichtsen, die es nun wagen zu
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A Survey of Migration, The Economist, November 2, 2002, S. 5. Wochenspiegel, SW-Diakonie/Soziales, S. 12.
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kommen und sich an den selben Tisch zu setzen, die gleiche Stellung und die gleichen Privilegien einzuräumen? 5. Globales Lernen ist gleichzeitig auch multikulturelles Lernen. Multikulturelles Lernen versucht das eurozentrische Lernen zu überschreiten, das die Tendenz aufweist, die gesellschaftlichen Verhältnisse nach den Standards und Perspektiven der Gesellschaften des Nordens zu interpretieren, Gesellschaften, die die ökonomischen Vorteile moderner Wissenschaft und Technologie genießen. Multikulturalismus in unseren Lehrplänen eröffnet die Debatte über Nord-Süd-Fragen in Deutschland. Doch wir fahren fort, uns mit Fragen der Integration und Assimilation von Fremden in Deutschland herum zu schlagen. Während andere Länder in der EU mit multilingualem Unterricht experimentieren, beharrt man hier auf monolingualer Unterweisung. Französisch oder Englisch ist im Lehrplan angeboten, aber nicht Türkisch, auch wenn in Baden-Württemberg 333.000 türkisch-stämmige Mitbürger leben8. Es gibt da auch eine Frage nach den Motiven hinter der Erziehung zum Weltbürger. Ist dieses Motiv etwa, eine neue Generation von Deutschen hervor zu bringen, deren Kenntnisse in globalen Fragen und interkulturellen Kompetenzen ihnen ihren Platz in der globalen Arena wirtschaftlichen Wettbewerbs sichern sollen?
Schlussfolgerung Diese Fragen mögen vielen von uns nicht neu sein. Ich möchte zum Ende kommen, indem ich die Idee der „Bildungsoffensive“ aufgreife9: eine Bildungsoffensive, die nicht nur die global players einbezieht, die sich in der Position der Begünstigten befinden. Diese Bildungsoffensive zu einem nachhaltigen Erfolg zu führen heißt, dass wir insbesondere diejenigen in alle unsere Initiativen einbeziehen müssen, die wir als die Verlierer der Globalisierung ansehen. Denn in ihrem Status von Benachteiligung sind gerade sie diejenigen, die sicherstellen können, dass der Wandel in der Verteilung globaler Macht uns alle doch noch dem näher bringt, was Eine Welt wirklich bedeutet. Übersetzung aus dem Englischen: Konrad Borst/Fernand Schmit Literatur: European Strategy Framework, Europe-wide Global Education Congress, Maastricht, November 15-17, 2002. Final Declaration, Education 21 - Learning for Fair and Sustainable Future Development. Declaration adopted in Sept 30, 2000 by participants to the educators congress organized by VENRO and BMZ10. Seitz, Klaus (2001a): The State of Development Education in Germany. Development Education Journal, Vol. 7, Number 2, 2001, p. 12-14. ol. 7, Number 2, 2001, p. 12–14. Seitz, Klaus (2001b): Global Learning, Challenges for Education in School and Outside School. Adult Education and Development, 2001, p. 67–8311. Selby, David: Global Education as Transformative Education. Zeitschrift für Internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik, September 2000, S. 2–10.
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Junge Ausländer sollen Erziehungsberufe lernen, epd-Wochenspiegel 04/2003, S. 12. Seitz 2001a. 10 redaktionelle Anmerkung: Die Abschlusserklärung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kongresses „Bildung 21 – Lernen für eine gerechte und zukunftsfähige Entwicklung“ vom 30. September 2000 ist in deutscher und englischer Fassung erhältlich bei VENRO, Kaiserstraße 201, 53113 Bonn. 11 redaktionelle Anmerkung: In deutscher Sprache erschienen als „Globales Lernen – Herausforderungen für schulische und außerschulische Bildungsarbeit“ in der Kongressdokumentation „Bildung 21“, hrsg. von VENRO (s.o.), April 2001, S. 36–43; vgl. auch Seitz, Klaus: Bildung in der Weltgesellschaft. Gesellschaftstheoretische Grundlagen Globalen Lernens. Frankfurt/Main 2002. 9
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Bildungskongress Globales Lernen in Baden-Württemberg, Februar 2003
Eine andere Welt ist möglich: Von der Bildungswende zur Entwicklungswende Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker, MdB Globales Lernen versteht sich als pädagogische Antwort auf die Chancen und Risiken der globalen Herausforderung. Ich sehe für die nächsten 50 Jahre vor allem zwei große Herausforderungen. Die eine nenne ich die Wiedererfindung der Demokratie und die andere die Neuausrichtung des technischen Fortschritts. Mit Blick auf die Globalisierung stelle ich zunächst einmal empirisch fest, dass das Wort ganz neu ist. Ich habe in meiner Eigenschaft als Vorsitzender der EnquêteKommission "Globalisierung der Weltwirtschaft" des deutschen Bundestages einen Brief an die Frankfurter Allgemeine Zeitung geschrieben mit der Frage, wie oft das Wort Globalisierung dort aufgetaucht ist. Und siehe da, es tauchte erstmals 1993 auf, vorher nicht. Und plötzlich ist das Wort in aller Munde. Da fragt man sich doch: ist das purer Zufall? Oder ein linguistischer Scherz? Nein, es hat drei Gründe. Der eine ist die kontinuierliche Entwicklung der Weltwirtschaft in Richtung Liberalisierung und Zollabbau. Das ist ein alter Trend; er allein würde keinen solchen linguistischen Bruch rechtfertigen. Schon 1993 fand die größte friedliche Demonstration, die es jemals gegeben hat, gegen das GATT (General Agreement on Tarifs and Trade) statt. Es war der Marsch von indischen Landfrauen nach Bangalore gegen "Trips", die "Trade delated intellectual property rights", die internationale Patentierungsregelung, die man in der Uruguay-Runde des GATT verhandelt hatte. Die Landfrauen hatten - zu Recht - Angst, dass ihnen das Recht zur Nachzucht von Saatgut verboten wird, wenn plötzlich ein Patent auf Saatgut bei internationalen Konzernen liegt. Der zweite Motor der Globalisierung ist die Entwicklung des Internet. Durch das "Netz" entstand eine unglaublich enge Verflechtung der Firmen miteinander, auch mit den Zulieferern. Aber das ist nur eine Facette von 200 Facetten, die Globalisierung und Internet miteinander verbinden. Der dritte Grund für den plötzlichen Anstieg der Aufmerksamkeit der Globalisierung war das Ende des Ost-West-Konflikts. Bis 1990 war der Ost-West-Konflikt die dominierende politische Gegebenheit. Jeder hatte sich darin auf irgendeine Weise definiert, nicht zuletzt auch die Vertreter des Kapitals in den marktwirtschaftlich organisierten Demokratien. Für sie war es wichtig, den Beweis zu erbringen, dass die demokratisch organisierte Marktwirtschaft auch sozial dem ineffizienten autoritären Kommunismus weit überlegen war. Es war ein "roaring success" bis zu dem Punkt, wo der Ost-West-Konflikt zugunsten des Westens entschieden war. Nachdem er aber entschieden war, entfiel die Beweispflicht. Jetzt konnten auf einmal die Vertreter des Kapitals den Firmenführern sagen: "Ihr müsst euch ein bisschen mehr um die Aktio12
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näre kümmern." Auch das Wort "Shareholder value" ist in der deutschen Sprache ähnlich aufgetaucht wie das Wort Globalisierung. Auf einmal las man in Zeitungen über amerikanische Pensionsfonds, von denen zuvor nie irgendjemand etwas gehört hatte. Kapitalrenditen wurden mit einem Male als Imperativ verkündet. Und wehe, einer hielt sich nicht daran - der wurde böse abgestraft. Auch die Beziehung der Unternehmen zur Kapitalwelt hat sich gewaltig verschoben. Bis 1990 gab es die Hausbank, über die man neue Investitionen finanzierte. Dann entdeckten manche, dass es womöglich ein halbes Prozent günstiger wäre, sich über die internationalen Kapitalmärkte zu finanzieren. Und auf einmal hatte derjenige, der das nicht gemacht hat, im Kostenwettbewerb das Nachsehen. Es gab eine richtige Euphorie unter denen, die mit dem Kapital umgingen. Das Adam-Smith-Institut schwelgte auch in Begeisterung und verschickte eine Weihnachtskarte folgenden Wortlauts: "Adam Smith the heroe of globalization". Die ganze Welt, alle Rassen werden beglückt. Es herrschte eine euphorische Stimmung - bei den Gewinnern. So viel zur Gegenwartsbeschreibung. Und damit zur Frage, was dies mit Demokratie zu tun hat. Zunächst die positive Nachricht: Im Kontext der Globalisierung hat die Demokratie einen Sieg nach dem anderen errungen. Und das keineswegs nur in Ost- und Mitteleuropa, sondern auch in afrikanischen Ländern und in asiatischen Staaten, wo autoritäre Regimes zurück gedrängt wurden. Und nun die schlechte Nachricht: Das, was wir als Demokratie bezeichnet haben, hat nach 1990 sein Gesicht verändert. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Staat gegenüber dem Kapital und gegenüber dem Markt eine sehr hohe, sehr kräftige Verhandlungsmacht. Eine ideale Staatsform ist eine demokratisch organisierte Marktwirtschaft mit einer sozialen Balance zwischen den Starken und den Schwachen. Das ging solange gut, wie sich Markt und Demokratie im Wesentlichen auf den gleichen geografischen Raum bezogen. Nun aber war mit einem Male der Markt auf den weltweiten geografischen Raum ausgedehnt, der Staat aber blieb weiterhin national verfasst. Das hatte die unvermeidliche Folge, dass der Markt begann, mit den Staaten Pingpong zu spielen, sie gegeneinander auszuspielen, zum Beispiel durch einen "schädlichen Steuerwettbewerb". Das ist eines der Hauptcharakteristika der Globalisierung.
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Es ist daher kein Wunder, dass sich im Laufe der Zeit der Abstand zwischen Arm und Reich vergrößert hat. Anfang der 70er Jahre war der Abstand zwischen den Einkünften der reichsten 20 Prozent und der ärmsten 20 Prozent ungefähr Faktor 30. Dann kam 1973 die sprunghafte Verteuerung des Öls und hat das Phänomen der vierten Welt provoziert. Das sind diejenigen Entwicklungsländer, die kein Öl besaßen, die das Öl im Gegenteil kaufen mussten und die dadurch eine Verarmungswelle erlebten. Deswegen ging bis 1980 dann der Abstand nach oben. Ölländer wurden reich und ärmste Entwicklungsländer arm. Und dann kam in den 80er Jahren ein ähnliches, oder ein ganz anderes Phänomen, was aber auch den Abstand weiter vergrößert hat. In den Amerikas, in Nord- und Südamerika gab es einen Siegeszug der Marktwirtschaft, einen systematischen Rückzug des Staates und praktisch ein Zerbröseln der Mittelschicht. Die Lateinamerikaner nennen heute ganz offiziell in ihren Schulbüchern die 80er Jahre das verlorene Jahrzehnt. Im Jahre 2001 jedenfalls war dieser Faktor auf einen Abstand 74 angewachsen. Und während die Zahl der Armen eher zugenommen hat, obwohl wir ein fulminantes wirtschaftliches Wachstum erlebten, hat sich die Zahl der Millionäre und Milliardäre unvergleichlich viel rascher entwickelt. Die öffentlichen Aufgaben, wie sozialer Ausgleich, Infrastruktur, Umweltschutz, Bildung und vieles andere wurden tendenziell vernachlässigt - und zwar in fast allen Ländern und ziemlich parteienunabhängig. Das ist gewissermaßen die Herausforderung für uns. Wir prallen mit einer Globalisierung zusammen, die zwar die Wertschöpfung deutlich vergrößert, die einige Gewinner und Gewinnerregionen produziert, die aber eben doch sehr viele Verlierer hinterlässt. Und wo diese Verlierer, obwohl sie alle vier Jahre zur Wahlurne gehen, gegen das Geschehen eigentlich gar nichts ausrichten können - weil die Fragen der Globalisierung gar nicht auf nationaler Ebene entschieden werden können. Und so leite ich aus der Gegenwartsbeschreibung die Herausforderung ab: Wir müssen die Demokratie neu erfinden. Denn sie war erfunden worden für den Nationalstaat, und da hat sie auch ganz gut funktioniert. Jetzt indes heißt die Frage: Wie kann die weltweite Demokratie in Zukunft aussehen? Dazu biete ich als ein Gedankengerüst oder als eine Art Architektur ein Drei-Säulen-Modell, auf denen sie zu ruhen hätte. Die eine Säule ist ganz einfach die bestehende demokratisch nationale Staatsform. Die Nationen wirken zusammen, zum Beispiel für öffentliche Aufgaben, wie die internationalen Umweltverträge. Das gleiche gilt für eine Menschenrechtskonvention, den internationalen Strafgerichtshof und viele andere Dinge, die man unter den einzelnen Staaten gemeinsam vereinbart. In all diesen Fällen werden Elemente, die sonst national funktioniert haben, auf die internationale Ebene übertragen. Das ist eine sehr wichtige Entwicklung, doch sie hat einen entscheidenden Nachteil - sie ist ungeheuer basisfern. Die eigentliche Tugend der Demokratie, das Volk zu aktivieren, ist so nicht zu erreichen. Es ist daher durchaus verständlich, dass es eine Art von Demokratiemüdigkeit gibt. Trotzdem brauchen wir die staatliche Demokratie. Denn sie alleine hat die Legitimität für internationale Verhandlungen dieser Art. 14
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Die zweite Säule ist die Privatwirtschaft. Sie ist es, die im Wesentlichen den Mehrwert schafft. Nun gibt es aber in der Privatwirtschaft natürlich weiße und schwarze Schafe. Es gibt Unternehmen, die benehmen sich tatsächlich so, wie Helmut Schmidt es mit seinem Begriff des "Raubtierkapitalismus" ausdrückt. Und dann gibt es unglaublich viele kleine, mittlere und große Firmen, die mit aller Sorgfalt, allem Mut, aller Kühnheit, allem Einfallsreichtum Mehrwert schaffen. Nur, damit das Ganze auch etwas Demokratisches hat, muss die Weltöffentlichkeit lernen, die "Raubtiere" zu bestrafen und die Guten zu belohnen. Es darf sich beispielsweise nicht lohnen, Raubbau an der Natur zu treiben und Kinderarbeit zuzulassen. Der Anteil arbeitender Kinder unter den 5- bis 14-Jährigen in Afrika beträgt gut 50 Prozent. Und diese Kinder, die fast unbezahlt arbeiten, machen dann auch noch gegeneinander Konkurrenz. Man muss in dieser Frage allerdings aufpassen, dass das Ganze dann nicht hochnäsig, paternalistisch und sonst etwas wird. Das ist immer eine Gradwanderung. Aber jedenfalls müssen wir das moralische Problem erst mal erkennen. Damit komme ich zu der dritten Säule. Das ist die Zivilgesellschaft. Zivilgesellschaft, das sind wir alle, besonders aber dann, wenn wir in unserer Kirchengemeinde aktiv sind, bei Amnesty International oder bei den Médecins Sans Frontières, bei Greenpeace oder dem WWF. Das sind die international zivilgesellschaftlichen Gruppen, die Druck ausüben können. Eine interessante Gruppe, die sich speziell gegen die Globalisierung wendet, ist ATTAC. Ohne den Druck von ATTAC wäre es wahnsinnig schwer sich vorzustellen, dass auch im politischen und im wirtschaftlichen Raum wirklich Veränderungen eintreten. Und nun kann ich mir vorstellen, dass im Laufe der nächsten 50 Jahre um diese drei Säulen herum - und vielleicht noch vierte oder fünfte Säulen - eine basisnahe Zivilgesellschaft und eine globale Demokratie entsteht. Ich möchte in diesem Zusammenhang die Begriffe "Weltstaat", "Weltdemokratie" oder "Weltparlament" bewusst vermeiden, weil ich persönlich relativ wenig davon halte. Aber wir brauchen den globalen Horizont und wir brauchen die Basisnähe. Neben die titanische Aufgabe der Rekonstruktion oder der Wiedererfindung der Demokratie tritt als zweite Herausforderung die Neuausrichtung des technischen Fortschritts. Ende August, Anfang September wird in Johannesburg der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung stattfinden. Wir sind der Überfüllung der Erde schon schrecklich nahe gekommen. Das ist der so genannte ökologische Fußabdruck, der ausdrückt, wie viel Fläche wir für unseren Wohlstand verbrauchen, für unsere Textilien, Nahrungsmittel, Autos, und kommen dazu, dass ein Deutscher einen ökologischen Fußabdruck etwa von vier Hektar hat. Multiplizieren wir das mit 80 Millionen Deut15
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schen, kommen wir auf 320 000 000 km2. Deutschland hat aber nur etwa 370 000 km2. Das heißt also, Deutschland ist hoffnungslos überbevölkert in Bezug auf Fußabdrücke. Und das heißt auch: Wir müssen an irgendeiner Stelle zentral reduzieren. Was wir mindestens brauchen, ist eine Halbierung des Naturverbrauchs, zum Beispiel bei Kohlendioxyd. Wenn wir eine Halbierung der CO2 Emissionen pro Jahr realisieren, dann erreichen wir relativ rasch - im Laufe von 30, 40 Jahren - eine Stabilisierung der CO2 Konzentration. Eine Halbierung des Naturverbrauchs ist das Mindeste, was wir brauchen, um "sustainable development" zu verwirklichen. Und gleichzeitig brauchen wir mindestens eine Verdoppelung des Wohlstands. Wenn wir die Armutsgegenden der Welt anschauen, weiß jeder sofort, dass dies das Mindeste an moralischer Herausforderung ist. Wir müssen 2 x 2 multiplizieren und kommen damit auf einen Faktor 4. Wir müssen mindestens viermal so gut in der Nutzung der knappen natürlichen Ressourcen werden. Das ist der Faktor 4, den wir am Wuppertal-Institut ausgerechnet und an 50 Beispielen illustriert haben, und an dem wir zeigten, dass es durchaus möglich ist, für praktisch sämtliche Konsumlebensbereiche - Essen, Kleidung, Wohnung, Autos und dann auch die ganze davor liegende Industrie – eine Vervierfachung der Ressourcenproduktivität zu erreichen. Das ist, was ich die Neuausrichtung des technischen Fortschritts nenne. Die industrielle Revolution war im Wesentlichen die Geschichte der Vervierfachung, dann eines Tages der Verzehnfachung und schließlich der Verzwanzigfachung der Arbeitsproduktivität. Die will ich nicht rückgängig machen. Aber damit der technische Fortschritt auf zwei Beinen schreiten kann, statt nur auf einem zu hüpfen, braucht er zusätzlich zu der Erhöhung der Arbeitsproduktivität die Erhöhung der Ressourcenproduktivität. Und dies eben auch mindestens um einen Faktor 4, langfristig um einen Faktor 10. Das ist das Allermindeste, was wir erreichen müssen. Und jetzt ist wiederum die Frage: Wie können wir das überhaupt erreichen? Wir brauchen einen breiten Bewusstseinswandel, wir brauchen auch eine Veränderung der ökonomischen Randbedingungen. Es muss sich lohnen, diese Faktor 4 -Technologien auf den Markt zu bringen, beispielsweise Autos, die nur 1,5 bis 2 Liter pro 100 Kilometer brauchen, statt wie heute 8 Liter. Das sind technische Fragen, aber auch sehr stark ökonomische Fragen. Es ist aber eine politische Aufgabe, die Preise einigermaßen die ökologische Wahrheit sagen zu lassen. Und genau das ist in der heutigen Demokratie auf nationaler Ebene im internationalen Konkurrenzkampf praktisch nicht zu leisten. Denn wenn ein Land das im Alleingang macht, dann kommt sofort das Nachbarland, unterläuft dieses Preisgefüge und macht damit seine Gewinne. Das heißt also, hier ist erst recht "global governance" erforderlich, um dem technischen Fortschritt die richtige Richtung zu geben. Das ist wieder eine eigentlich beängstigend große Aufgabe. Aber wir müssen sie anpacken. So steht auch die Bildung vor neuen Aufgaben und Herausforderungen. Globales Lernen muss für die Schulen zum Zentralbegriff werden, denn es ist die pädagogische Antwort auf die Herausforderung der Globalisierung. Wenn Deutschland im geistigen Wettbewerb, aber auch im technologischen Wettbewerb mithalten möchte und dem Leitbild einer weltweit gerechten und zukunftsfähigen Entwicklung folgen will, kommt es nicht umhin, Globales Lernen für Nachhaltige Entwicklung zu etablieren und zu einer sehr hohen schulischen Priorität zu machen.
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III. Foren und Werkstätten A. Globale Herausforderungen – Konsequenzen für die Bildung
Das BLK-Programm „21“ Bildung für eine nachhaltige Entwicklung Claus-Peter Herrn, Landesinstitut für Erziehung und Unterricht Stuttgart Bildung und Erziehung für eine nachhaltige Entwicklung ist das zentrale Anliegen eines Förderprogramms, das von der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung, den Bundesländern und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Im Rahmen dieses Programms versuchen über 200 Schulen der 15 beteiligten Bundesländer, das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung im Unterricht und Schulleben umzusetzen und ihre Erfahrungen weiterzugeben. Von der bisher erfolgreichen Arbeit vermitteln u. a. die so genannten Werkstattmaterialien einen Einblick. Unter www.blk21.de kann man sich informieren. Das BLK-Programm „21“ hat aber nicht nur den Transfer von Informationen zur Aufgabe, sondern auch – und dies ganz im Sinne von „sustainability“ der Agenda 21, hier übersetzt mit Zukunftsfähigkeit – die Entwicklung und Erprobung von Schlüsselqualifikationen, die das Programm als Gestaltungskompetenz zusammenfasst. Zum Erreichen dieser Zielsetzungen wurden drei Wege beschritten, die im Programm als Unterrichts- und Organisationsprinzipien verankert sind. Aus der Erkenntnis heraus, dass die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen auf Dauer nur dann gelingen kann, wenn die Bemühungen um Natur- und Umweltschutz in einen systematischen Zusammenhang zu Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung, der weltweiten Gerechtigkeit, der kulturellen Leitwerte sowie der individuellen Lebensgestaltung gestellt werden, wird das „Interdisziplinäre Wissen“ zu einer zentralen Aufgabe des Unterrichts in der Schule. Damit wird das Denken in Zusammenhängen für den Umgang mit der Komplexität ökologischer, ökonomischer und gesellschaftlicher Probleme und ihren Wechselwirkungen unabdingbar. Entscheidend dabei, ist zudem die entsprechende Entwicklung von Problemlösungskompetenzen. „Umwelt und Entwicklung“ und „Syndrome des globalen Wandels“ sind Aspekte, die von Schulen bearbeitet werden. Das „Partizipative Lernen“ hingegen greift die zentrale Forderung der Agenda 21 nach der Teilhabe aller gesellschaftlichen Gruppen am Prozess einer nachhaltigen Entwicklung auf. So wird z.B. von Schulen in verschiedenen Bundesländern „Die Region als Lernfeld für nachhaltige Entwicklung erschlossen“ oder die „Partizipation im Rahmen einer Lokalen Agenda 21“ praktisch erprobt. Um im Rahmen der Inneren Schulentwicklung Ansätze zur Entwicklung von Schulprogrammen und Schulprofilen im Hinblick auf eine zukunftsfähige Schule erproben zu können, beteiligen 17
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sich die BLK „21“-Schulen in Baden-Württemberg an der Entwicklung „Innovativer Strukturen“, dem dritten Bereich der Unterrichts- und Organisationsprinzipien. Aufgrund der mehrjährigen und erfolgreichen Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Umwelt und Verkehr in den Projekten „Aktion klimafreundliche und energiesparende Schule in BadenWürttemberg“ und „Schule auf Umweltkurs“ wird in einem Programm-Element das Ziel verfolgt, das betriebliche Öko-Audit nach der EG-Verordnung zu einem Nachhaltigkeits-Audit fortzuentwickeln. So konnte die Realschule Krautheim an der Jagst bereits ein Schulprogramm mit dem Baustein „Nachhaltigkeit“ erstellen, in dem es u. a. heißt: „Schüler und Lehrer unserer Schule erproben am Beispiel „Papier“, wie Bildungsinhalte und – methoden im Sinne nachhaltiger Entwicklung in die schulische Regelpraxis übernommen werden können“. Dazu wurde u. a. eigens ein Curriculum für die Klassen 5 - 9 erstellt. „Schülerfirmen zwischen Ökonomie und Ökologie“ ist ein weiteres Programm-Element der baden-württembergischen BLK-Schulen zu den „Innovativen Strukturen“. Es baut auf dem innovativen Ausbildungsmodell „TheoPrax“ auf, das am Fraunhofer Institut für Chemische Technologie Pfinztal-Berghausen initiiert und entwickelt wurde. Die Koordination für das Programm-Element liegt beim Institut für Kunststoffprüfung und Kunststoffkunde an der Universität Stuttgart. Für Schulen, die einen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten wollen, bieten Schülerfirmen ideale Anknüpfungspunkte, ökonomische und ökologische Aspekte zu verbinden und Probleme und Möglichkeiten nachhaltigen Wirtschaftens - nicht nur in der Schule - unmittelbar erfahrbar werden zu lassen. Dabei lassen sich nachhaltige Unternehmensziele an vielen Beispielen realisieren, wie z.B. Schülerreisen, Verkauf von Unterrichts- und Büromaterialien und die Einrichtung einer Caféteria. Schülerfirmen sind – wie das auf dem Bildungskongress vertretene Beispiel des MelanchtonGymnasiums in Bretten zeigt – auch außerordentlich wertvolle Bausteine auf dem Wege zu einer Bildung für eine nachhaltige Entwicklung: Die Schülerinnen und Schüler erkennen im fächerverbindenden Unterricht die Komplexität eines nachhaltigen Entwicklungshilfsprojektes und die Vernetzung ökologischer, ökonomischer und sozialer Problemfelder entwickeln durch Partizipation an einem realen Geschehen ihre eigene Handlungsfähigkeit und erleben sich dadurch als aktiv Zukunft gestaltende Schulen bei der Organisation außerunterrichtlicher Aktivitäten, wie bei Eltern- und Informationsabenden, Ausstellungen u. a. Weihnachtsmarktstand ihre Planungs-, Konflikt- und Teamfähigkeit.
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Leitbilder für nachhaltige Entwicklung und ihre Bedeutung für Globales Lernen Prof. Dr. Hansjörg Seybold, Pädagogische Hochschule Schwäbisch Gmünd I. Zur Funktion von Leitbildern für nachhaltige Entwicklung Seit bei der Weltkonferenz in Rio der von der Brundtland-Kommission eingeführte Begriff „Sustainable Development" aufgegriffen und in den Mittelpunkt der Beratungen um eine zukunftsfähige Entwicklung der Staaten dieser Erde gerückt ist, wird er als Leitbild für all die Überlegungen, Diskussionen und Maßnahmen betrachtet, die seit dieser Zeit weltweit in Gang gesetzt wurden. Er bündelt als „gemeinsamer Nenner" die Vorstellungen und Hoffnungen der vielen Teilnehmerländer der Rio-Konferenz 1992 von einer (Welt-)Gesellschaft, die ökologisch verträglich wirtschaftet, technisch effizient arbeitet, sozial gerecht lebt. Seine Funktion als Leitbild ist darin zu sehen, dass es „... für das Individuum und für Sozietäten die Komplexität von Welt (reduziert) und die Aktivitäten in einzelnen Handlungsfeldern [strukturiert]" (de Haan u. a. 1996, S. 293). Für die vielfältigen Ausprägungen des globalen Wandels, die zunehmenden Veränderungen der Biosphäre sowie die sozialen Probleme, durch die sich immer weiter öffnende Schere zwischen Reich und Arm, verkörpert nachhaltige Entwicklung Veränderung und Besserung. Neben der Reduktionsfunktion ist es vor allem die Koordinationsfunktion, die dem Leitbild „nachhaltige Entwicklung" Bedeutung gibt. Denn es fokussiert in einer immer komplexer werdenden Welt mit ihren Nord-Süd Gegensätzen die unterschiedlichen, oft widersprüchlichen und miteinander konkurrierenden Positionen und Ziele zwischen Ökonomie und Ökologie sowie die immer deutlicher erkennbaren globalen Verflechtungen - sowohl die Wahrnehmung als auch das Denken auf eine neue Sichtweise dieser Probleme - und macht sie damit öffentlichen Diskussionen und auch demokratischen Entscheidungsprozessen leichter zugänglich. Dass "nachhaltige Entwicklung" noch kein klar umrissenes Handlungskonzept darstellt, ist für ihre Funktion als Leitbild zunächst nicht unbedingt ein Nachteil. Denn der Leitbildbegriff „steht eher für verallgemeinerte, immer kompromissfähige Strategien, weniger für programmatische Konzepte mit Anspruch auf alleinige Wahrheit und daraus deduzierbaren Teilleitzielen" (de Haan u. a. 1996, S. 293). Verfolgt man die Diskussion um diesen Begriff in den letzten 7 Jahren, so wird deutlich, dass „gerade die Unbestimmtheit, die Möglichkeit, [ihn] in verschiedenen Richtungen auszudeuten, [ihm] breite soziale Anschlussfähigkeit [verschafft]" (Brand 1997, S.11). Andererseits liegt in der Unbestimmtheit dieses Leitbildes seine Schwäche. Denn die Unbestimmtheit führt in dem Augenblick, in dem Konkretisierungen vorgenommen werden, zu einer Fülle an unterschiedlichen Interpretationen, die sich teilweise sogar widersprechen. „Das durch das Leitbild nachhaltiger Entwicklung konstituierte Diskurs- und Handlungsfeld ist durch eine Fülle von Konflikten geprägt, die sich aus den unterschiedlichen Interessen und Wertpräferenzen im Umgang mit den neuen Problemen der Selbstbegrenzung, der Entwicklung neuer Regulationsmuster in der Aneignung von Natur und der damit verknüpften Neuverteilung von Risiken und Nutzungschancen ergeben“ (Brand 1997, S. 18). An dem bisher umfassendsten Versuch einer Konkretisierung dieses Leitbildes, der WuppertalStudie „Zukunftsfähiges Deutschland" (BUND/Misereor 1996) und an den Reaktionen auf diese Studie sind diese gegensätzlichen Interpretationen deutlich erkennbar. In ihr versuchen die Autoren, durch die Rückbeziehung von Produktion, Konsum und Mobilität auf den verfügbaren Umweltraum zu einer Berechnung der Ressourcengrößen zu gelangen. Auf 19
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diesen Berechnungen aufbauend werden Leitbilder entworfen, die beschreiben, wie die Diskrepanz zwischen den Soll-Werten einer nachhaltigen Entwicklung in Deutschland und gängiger Praxis überwunden werden können. Folgende acht Leitbilder des Wandels stehen im Mittelpunkt dieser Studie: 1. Rechtes Maß für Raum und Zeit Die Forderung nach Entschleunigung und Entflechtung bedeutet eine Verkehrswende. „Langsamere Geschwindigkeiten” und „kürzere Distanzen im Verkehr” sollen dazu führen, die Fernerschließung von Ländern und Erdteilen zu bremsen und die regionale Naherschließung zu fördern. 2. Eine grüne Marktagenda Damit das Wirtschaftssystem von Deutschland den Forderungen nach Nachhaltigkeit genügen kann, ist eine Ökologisierung der Marktwirtschaft erforderlich. Dazu gehört vor allem eine ökologische Steuerreform. 3. Von linearen zu zyklischen Produktionsprozessen Damit ist der Einstieg in eine nachhaltige Wirtschaftsweise gemeint, bei der die Material- und Energieflüsse, die der Natur entnommen werden, massiv zu verringern bzw. wiederzuverwerten sind. Dabei geht es um Kreisläufe für die Wertstoffe (Recycling) und für die Produkte (Verlängerung der Lebens- und Nutzungsdauer). 4. Gut leben statt viel haben Damit ist gemeint, dass sich die Wohlstandsstaaten der nördlichen Erdhalbkugel einer Grenze der Güterausstattung nähern, jenseits derer die Zufriedenheit nicht mehr mit wächst. „VielHaben tritt in Widerspruch zum Gut-Leben” (Bund/Misereor 1996, S. 224). 5. Für eine lernfähige Infrastruktur Eine lernfähige Infrastruktur reagiert auf Veränderungen von Bedürfnissen und Notwendigkeiten und verändert sich. So z.B. beim angestrebten Wandel von zentraler (Großkraftwerk) zu dezentraler Stromversorgung (örtliches Blockheizkraftwerk). Oder bei der Entwicklung neuer Formen des Wohnens mit weniger Umweltverbrauch. 6. Regeneration von Land- und Forstwirtschaft Dazu gehört der Wandel von der Monokultur zur regionalen Vielfalt, von der Intensivlandwirtschaft zur organischen Kreislaufwirtschaft mit „gesunden” Produkten. 7. Stadt als Lebensraum Hierzu gehört städtische Lebensweise sowie Ver- und Entsorgung einer Stadt unter den Aspekten einer integrierten Stadtplanung (vom ökologischen Wohnbau bis zum Fahrradweg). 8. Internationale Gerechtigkeit und globale Nachbarschaft Dazu gehört fairer Handel mit den Ländern des Südens, Kooperation sowie Ausgleich bei der ökologischen Erneuerung des Nordens und der damit verbundenen Einsparung von Energie und Rohstoffen, Chancengleichheit im Hinblick auf eine eigene Entwicklung (vgl. Bund/Misereor 1996, S. 149f.) Diese Leitbilder enthalten jeweils einige „Wende-Szenen”, welche die Leitbilder beispielhaft konkretisieren, einzelne Veränderungsprojekte ausführlich beschreiben und auch mit Zahlen belegen. Anhand dieser „Wendeszenen” wird dann eingeschätzt, was getan werden kann, um in 20
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den nächsten zehn bis zwanzig Jahren „Übergänge” zu den anvisierten Reduktionszielen zu ermöglichen. Diese Studie hat seit ihrem Erscheinen 1996 zu einer heftigen Kontroverse in Deutschland geführt. Während auf der einen Seite die Studie und die Leitbilder ob ihrer Funktion als zukunftsweisend betrachtet werden (vgl. Linz 1998, S.11f), zentriert sich die Kritik an diesen Leitbildern auf folgende Punkte: Zum einen werden Zweifel formuliert, ob die dem Leitbild nachhaltige Entwicklung innewohnende Forderung nach Gerechtigkeit als „bloße Verteilungsgleichheit“ (Rat von Sachverständigen 1996, S. 55) verstanden werden kann, auf die jeder jetzt und zukünftig lebende Mensch Anspruch hat. Denn diesem Verständnis liegt nach Auffassung des Rates ein Gleichheitsdenken zugrunde, das alle individuellen und kulturellen Unterschiede in den Fähigkeiten und der Bereitschaft beim Umgang mit der Umwelt und bei der Erschließung von Ressourcen unberücksichtigt lässt. Zum andern wird als sehr fraglich angesehen, ob diese Leitbilder von der Gesellschaft akzeptiert werden, d.h. also resonanzfähig sind. Grundlage dieser Zweifel ist der Gegensatz der den Leitbildern zugrunde liegenden Forderung nach Genügsamkeit und Verzicht zu vorherrschenden Interessen, Trends und Wertorientierungen in Deutschland. Daher ziehen jene, „...die das zukunftsfähige Deutschland wollen, und jene, denen nichts über die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland geht, ...wohl kaum am gleichen Strang in Richtung auf das gleiche Ziel" (Linz 1998, S. 17).
II. Zur Funktion des Leitbilds nachhaltige Entwicklung für schulisches Lernen In ähnlicher Weise sind auch Fronten im Bildungsbereich zu erkennen: Auf der einen Seite diejenigen, die die Notwendigkeit betonen und vielleicht auch einen Reiz für Schule darin sehen, in eine diskursive Auseinandersetzung mit den Konkretisierungen der Wuppertal-Studie zu treten. Diese Position geht davon aus, dass deren Leitbilder und „Wende-Szenen” aufgrund ihrer sachlichen Legitimation (verfügbarer Umweltraum, darauf bezogene Ressourcengrößen, gravierende Übernutzungen) als Lernsituationen für Umweltbildung anzusehen sind. Verwiesen wird dabei gerne auf Wolfgang Klafki, der in der „Umweltfrage” eines der Schlüsselprobleme unserer heutigen Zeit sieht, mit der sich Schüler im Hinblick auf eine angemessene Allgemeinbildung auseinandersetzen sollen (1991, S. 56). Hier wird in dem normativen Charakter nicht so sehr die Gefahr geringer Resonanzfähigkeit gesehen, sondern das Potential für befruchtende Auseinandersetzungen mit den Leitbildern, die Chancen für Konsens und Handlungsmöglichkeiten sowie Engagement eröffnet. Ausgangspunkt ist hier die Annahme, dass das Leitbild nachhaltige Entwicklung nur dann Bedeutsamkeit erlangen kann, wenn dadurch impliziertes Denken und Handeln in „konkret imaginierbare Alltagsleitbilder“ einfließen (Hilgers 1997, S. 207). Diese Position schlägt sich in der Entwicklung von Unterrichtsmaterialien für die kritische Auseinandersetzung mit den verschiedenen Leitbilder der Wuppertalstudie im Unterricht nieder (vgl. Landesinstitut für Schule und Weiterbildung 1997, Umweltservice 1997). Auf der anderen Seite stehen diejenigen, welche die kritischen Stimmen zu den Wuppertaler Leitbildern auch für den Bildungsbereich für sehr bedeutsam halten. Aufgabe von Schule kann, so die Argumentation, sich nicht nur auf die quantitativ-stoffliche Aufarbeitung vorgegebener Reduktionsziele beschränken. Denn Schule wäre in diesem Falle ebenso in einer bildungspolitischen Falle gefangen, wie sie Sachs für die Umweltpolitik befürchtet: „Würde nämlich der umweltpolitische Diskurs auf die Ermittlung von Grenzwerten ökologischer Tragfähigkeit und die Beschreibung von Steuerungsinstrumenten zusammenschnurren, dann wäre er in der Expertenfalle gefangen. Er zielte auf Planungsabsprachen 21
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zwischen Machtträgern und Experten, deren Ergebnisse die Bürger dann zu schlucken hätten” (1995, S. 24). In gleicher Weise wie der umweltpolitische Diskurs wäre schulisches Lernen auf eine Umsetzungsstrategie vorgegebener, von Experten festgelegter ökologischer Daten und Verhaltensmuster reduziert. Um dieser Gefahr offensiv zu begegnen wird im Gutachten für den Modellversuch „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung" mit dem Ziel "Gestaltungskompetenz" die Präferenz für eine Art ökologischer Schlüsselqualifikation betont, die als allgemeine Qualifikation im Sinne eines „die Zukunft selbst gestalten können" grundlegend für eine Bildung für nachhaltige Entwicklung sein soll. „Mit der 'Gestaltungskompetenz’ wird, in Absetzung zur moralisch aufgeladenen Erziehung zu umweltgerechtem Verhalten, das Konzept einer eigenständigen Urteilsbildung mitsamt der Fähigkeit zum innovativen Handeln im Feld nachhaltiger Entwicklung ins Zentrum gestellt" (BLK 1999, S.60/61).
III. Zur Bedeutung von Leitbildern für nachhaltige Entwicklung für Globales Lernen Die Problematik der unterschiedlichen Interpretation bei der Konkretisierung von Leitbildern verstärkt sich noch, wenn man vom regionalen und nationalen in den globalen Raum eintritt. Denn wenn es schon für den nationalen Raum schwierig ist, Konkretisierungen des allgemeinen Leitbildes einer nachhaltigen Entwicklung resonanzfähig zu machen, wie sieht es denn dann weltweit aus mit solchen Versuchen? Für den globalen Raum lässt sich das „Syndromkonzept" des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) beispielhaft zur Beantwortung dieser Frage heranziehen. Der Ausgangspunkt ist hier jedoch ein anderer als bei der WuppertalStudie. Während letztere den Umweltraum Deutschland als Ausgangspunkt nimmt, von dem her sich Zahlen für eine nachhaltige Entwicklung auf der Basis verfügbarer und gleich zu verteilender natürlicher Ressourcen berechnen lassen, benutzt der WBGU das Konzept des Umweltraumes in einer anderen Weise. Es wird nicht versucht, den globalen Raum in einzelne, überschaubare Räume aufzuteilen, sondern unter der Blickrichtung globaler Umweltveränderungen und ihrer Ablauf- sowie Veränderungsmechanismen werden Fehlformen der Nutzung von Räumen aufgezeigt und als Krankheitsbilder oder „Syndrome" bestimmt, die weltweit auftreten. Das Syndromkonzept stellt nach Meinung des WBGU eine Methode der „Ganzheitsbetrachtung der gegenwärtigen Krise des Systems Erde" dar. Die Grundthese des Beirats ist, „... dass sich die komplexe globale Umwelt- und Entwicklungsproblematik auf eine überschaubare Anzahl von Umweltdegradationsmustern zurückführen lässt" (WBGU 1996, S. 116). Diese funktionalen Muster (Syndrome) sind - so der WBGU - unerwünschte charakteristische Konstellationen von natürlichen und zivilisatorischen Trends und ihre Wechselwirkungen, die sich geographisch explizit in vielen Regionen dieser Welt identifizieren lassen (vgl. 1996, S. 117). Diese Syndrome des Globalen Wandels lassen sich in folgende drei Funktionsgruppen ordnen: Syndromgruppe „Nutzung" 1. Landwirtschaftliche Übernutzung marginaler Standorte: Sahel-Syndrom 2. Raubbau an natürlichen Ökosystemen: Raubbau-Syndrom 3. Umweltdegradation durch Preisgabe traditioneller Landnutzungsformen: Landflucht-Syndrom 4. Nicht-nachhaltige industrielle Bewirtschaftung von Böden und Gewässern: Dust-Bowl-Syndrom 5. Umweltdegradation durch Abbau nicht-erneuerbarer Ressourcen: Katanga-Syndrom 22
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6. Erschließung und Schädigung von Naturräumen für Erholungszwecke: Massentourismus-Syndrom 7. Umweltzerstörung durch militärische Nutzung: Verbrannte-Erde-Syndrom Syndromgruppe „Entwicklung“ 1. Umweltschädigung durch zielgerichtete Naturraumgestaltung im Rahmen von Großprojekten: Aralsee-Syndrom 2. Umweltdegradation durch Verbreitung standortfremder landwirtschaftlicher Produktionsverfahren: Grüne-Revolution-Syndrom 3. Vernachlässigung ökologischer Standards im Zuge hoch dynamischen Wirtschaftswachs tums: Kleine-Tiger-Syndrom 4. Umweltdegradation durch ungeregelte Urbanisierung: Favela-Syndrom 5. Landschaftsschädigung durch geplante Expansion von Stadt- und Infrastrukturen: Suburbia-Syndrom 6. Singulare anthropogene Umweltkatastrophen mit längerfristigen Auswirkungen: Havarie-Syndrom Syndromgruppe „Senken“ 1. Umweltdegradation durch weiträumige diffuse Verteilung von meist langlebigen Wirkstoffen: Hoher-Schornstein-Syndrom 2. Umweltverbrauch durch geregelte und ungeregelte Deponierung zivilisatorischer Abfälle: Müllkippen-Syndrom 3. Lokale Kontamination von Umweltschutzgütern an vorwiegend industriellen Produktionsstandorten: Altlasten-Syndrom Am Beispiel „Sahelzone" lässt sich erkennen, wie der Ursache-Wirkungskomplex bei der landwirtschaftlichen Übernutzung marginaler Standorte sich in einem syndromspezifischen Beziehungsgeflecht darstellen lässt. Diesen Ansatz für Globales Lernen zu benutzen, erscheint auf den ersten Eindruck didaktisch sehr fruchtbar. Zum einen kann mit diesem Ansatz die Komplexität des globalen Raumes wesentlich reduziert werden. Zum andern steht mit dem Syndromansatz ein nutzungsorientierter Zugang für die unterrichtliche Erarbeitung fremder Räume zur Verfügung mit der Möglichkeit, globale Fehlentwicklungen zu kennzeichnen. Für schulische Lernprozesse würde dies bedeuten, ihn für die Identifizierung globaler Probleme zu benutzen - ähnlich wie in der Sozialgeographie seit langem das Konzept der „Inwertsetzung von Räumen" oder das der „Funktionsräume" zur analytischen Behandlung von Raumproblemen und ihren Ursachen benutzt wird. Würde sich jedoch die unterrichtliche Bearbeitung der Syndrome lediglich auf Beziehungsgeflechte wie die des Beispiels Sahelzone zentrieren, wäre Globales Lernen in ähnlicher Weise wie bei der Analyse des Umweltraumes Deutschland in der Wuppertal-Studie lediglich auf die Rückbeziehung von Produktion, Konsum und Mobilität auf den verfügbaren Umweltraum zur Berechnung der Ressourcengrößen beschränkt. D.h. die Operationalisierung des Leitbildes Nachhaltigkeit würde sich lediglich im Aufweis von unerwünschten oder gefährlichen Zuständen im Umwelt-, Wirtschafts- und Sozialbereich, also in Bereichen der „Nicht-Nachhaltigkeit" (WBGU 1996 S 118) niederschlagen. Wolfgang Sachs spricht von „Astronautenperspektive" wenn er darauf hinweist, dass in diesem Falle ferne Räume und ihre Probleme lediglich unter der Perspektive eines globalen Managements betrachtet werden, um einen „...Ausgleich zwischen der Nutzung der Natur einerseits und ihrer regenerativen Fähigkeiten andererseits im planetarischen Maßstab zu erfassen. Und zwar durch Beobachtung und Kartierung, Messung und Berechnung der 23
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Ressourcen-Flußgrößen und der globalen bio-geo-chemischen Zyclen“ (1997, S. 105). Die spannende Frage, ob, wie und von wem auf der Basis der Syndrome in ähnlicher Weise wie bei der Wuppertal-Studie Leitbilder für nachhaltige Entwicklung in den betroffenen Räumen formuliert werden können und ob diese in der jeweiligen Bevölkerung resonanzfähig sind, wäre dann ausgeblendet. Daher darf die eigentliche Botschaft dieses Ansatzes nicht übersehen werden, dass die Syndrome durch den Aufweis von Fehlentwicklungen zwar Bereiche der NichtNachhaltigkeit von denen der Nachhaltigkeit trennen, jedoch keine „Endzustände" festlegen (vgl. WBGU 1996, S. 154). Durch ihre analytische Funktion weisen sie lediglich auf „Handlungsräume möglicher Veränderung“ hin, innerhalb derer „wünschenswerte Systemzustände“ durch Politik und Gesellschaft erst „noch syndromspezifisch auszuhandeln“ sind. Damit stellt das Syndromkonzept in ähnlicher Weise wie die quantitative Analyse des Umweltraumes bei der Wuppertalstudie einen ersten Schritt der Problemanalyse dar, an den sich – so der WBGU (1996, S. 7) – die Operationalisierung des Leitbildes Nachhaltigkeit im Sinne einer „Abwesenheit bzw. Linderung von Syndromen" als zweiter Schritt erst anschließt (1996, S. 119). Das bedeutet für Globales Lernen, dass die Verwendung des Syndromansatzes sich nicht nur auf die interdisziplinäre Aufarbeitung von Nutzungs- und Entwicklungskonflikten in bestimmten fernen Räumen von oben und von außen beschränken darf. Für Globales Lernen ist mindestens ebenso bedeutsam, dass auch den Akteuren im jeweiligen Raum Beachtung geschenkt wird. Akteure meint, dass die globale Räume nutzenden Menschen nicht nur als Systemfaktor zu betrachten sind, die in Hinblick auf Lösungen und Verbesserungen zu kalkulieren sind, um ihnen dann bestimmte Verhaltensweisen zuzuordnen, sondern dass ihre Subjektivität zu beachten ist und damit ihre Wahrnehmung regionaler und globaler Probleme sowie ihre Interpretation der Konsequenzen des jeweiligen Syndroms auf dem Hintergrund der Traditionen und Entwicklungen ihres Landes. Für Reusswig bedeutet dies: „Der normative Diskurs über wünschenswerte (und z.B. bezahlbare) Systemzustände und der analytische Diskurs über tatsächliche Systementwicklungen können nur gemeinsam geführt werden, sie müssen sich gegenseitig erhellen und ergänzen" (1997, S. 90). D.h., dass Schüler durch Kommunikation mit Schülern anderer Länder erfahren, dass die Nachhaltigkeitsdiskussion in anderen Ländern, vor allem so genannten Entwicklungsländern anders geführt wird als in Industrieländern. So werden z.B. Ernährungsprobleme im Sudan sicher anders wahrgenommen und interpretiert als in Deutschland, Energieprobleme in Polen anders als in den Emiraten, Mobilität in Japan anders als in den USA. Zusätzlich wird auch innerhalb der jeweiligen Regionen der Handlungsspielraum im Bereich der „Grenzzonen" der Syndrome von den dortigen Akteuren sicher höchst unterschiedlich interpretiert und ausgelotet, je nach kurzfristigen Bedürfnissen und langfristigen Interessen. Globales Lernen in der Schule bedeutet also, in der eigenen Schule nicht nur über globale Zusammenhänge und fremde Länder zu arbeiten, sondern auch mit Schulen dieser anderen Länder. Ausgangspunkt im Unterricht können Fragen an Schüler aus anderen Ländern sein wie: „...Wir beschäftigen uns im Geographieunterricht mit der Abholzung von Tropenwäldern. Wie ist Eure Meinung dazu? Wird dieses Thema bei Euch im Unterricht thematisiert? Wie wird es in der Presse und im Fernsehen dargestellt?" Die Antworten solcher Befragungen können mit den Daten und den Erklärungsmodellen der Syndrome sowie mit eigenen, durch Unterricht beeinflussten Wahrnehmungen verglichen und die Unterschiede aufgearbeitet werden. Über Internet werden Kontakte dieser Art in zunehmendem Maße von Schulklassen angebahnt (vgl. z.B. Seybold 1998, Donath & Volkmer 1997). Ziel ist dabei, die eigenen Wahrnehmungen, Bemühungen und Erfolge bzgl. eines am Leitbild der nachhaltigen Entwicklung ausgerichteten unterrichtlichen Handelns international und global einzuordnen, indem ständig lokale Handlungsmöglichkeiten und globale (Handlungs-) Bezüge verbunden werden und damit eine Hinführung geleistet wird zum persönlichen Urteilen und Handeln unter der Erkenntnis, dass Menschen in anderen Gesellschaften kulturspezifische 24
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Sichtweisen haben und daher ihre Umwelt unterschiedlich wahrnehmen (vgl. Forum 1996, S. 19f.). Literatur BLK - Bund-Länder-Kommission (Hg.) (1999): Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. Heft 72. Materialien zur Bildungsplanung und zur Forschungsförderung. Bonn BRAND, K.-W. (1997): Probleme und Potential einer Neubestimmung des Projekts der Moderne unter dem Leitbild „Nachhaltige Entwicklung". In: BRAND, K.-W. (Hg.): Nachhaltige Entwicklung, S. 9-34. Opladen BUND; Misereor (Hg.) (1996): Zukunftsfähiges Deutschland. Ein Beitrag zu einer global nachhaltigen Entwicklung. Basel: Birkhäuser DONATH, R. & VOLKMER, I. (Hg.) (1997): Das Transatlantische Klassenzimmer. Hamburg FORUM: „Schule für eine Welt". 1993: Globales Lernen. Bericht des Internationalen Seminars vom 16.18.5.1993 in Muttenz. HAAN, G. de u.a.(1996) : Leitbilder im Diskurs um Ökologie, Gesundheit und Risiko. In: HAAN, G. de (Hg.): Ökologie - Gesundheit - Risiko. Perspektiven ökologischer Kommunikation, S. 291-316. Berlin HILGERS, M. (1997): Zur Rezeption der Studie in der Öffentlichkeit aus psychologischer Sicht. In: HERMLE, R. (Hg.): Ein Buch macht von sich reden. Bonn, S. 202-208. KLAFKI, W. (1997): Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Weinheim LANDESINSTITUT FÜR SCHULE UND WEITERBILDUNG des Landes Nordrhein-Westfalen (Hg.) (1997): Die Zukunft denken - die Gegenwart gestalten. Handbuch für Schule, Unterricht und Lehrerbildung zur Studie „Zukunftsfähiges Deutschland". Soest LINZ, M. (1996): Spannungsbogen. „Zukunftsfähiges Deutschland" in der Kritik. In: Berlin Rat von Sachverständigen für Umweltfragen: Umweltgutachten 1996. Stuttgart REUSSWIG, F. (1997): Nicht-nachhaltige Entwicklungen. Zur interdisziplinären Beschreibung und Analyse von Syndromen des Globalen Wandels. In: BRAND, K.-W. (Hg.): Nachhaltige Entwicklung, S. 71-92. Opladen SACHS, W. (1995): Zählen oder Erzählen? Natur- und geisteswissenschaftliche Argumente in der Studie "Zukunftsfähiges Deutschland". In: Wechselwirkung 12/1995, S. 20-25. SACHS, W. (1997): Sustainable Development. Zur politischen Anatomie eines internationalen Leitbildes. In: BRAND K.-W. (Hg.): Nachhaltige Entwicklung, S.93-110. Opladen SEYBOLD, H. (1998): Globales Lernen im GLOBE-Germany-Projekt. In: DALLY, A. (Hg.): Bildung im Umbruch: Anforderungen der AGENDA 21 und Chancen der Informationsgesellschaft. Loccumer Protokolle 57/97, S. 149-158. Loccum UMWELTSERVICE (1997): Nachhaltige Entwicklung. Zum richtigen Umgang mit natürlichen Ressourcen. Hg. Von HEIDORN, F.. Hannover WBGU (1996a): Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung: Globale Umweltveränderungen Welt im Wandel: Wege zur Lösung globaler Umweltprobleme. Berlin WBGU (1996): Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung: Globale Umweltveränderungen Welt im Wandel: Herausforderung für die deutsche Wissenschaft. Berlin WBGU (1997): Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung: Globale Umweltveränderungen Welt im Wandel: Wege zu einem nachhaltigen Umgang mit Süßwasser. Berlin Herz, O./Seybold, H./Strobl, G.(Hrsg.), (2001): Bildung für nachhaltige Entwicklung. Globale Perspektiven und neue Kommunikationsmedien. Leske & Budrich, S. 65-76. Opladen
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Die Weltreligionen im Dialog – interreligiöses Lernen in einer multireligiösen Welt Dr. Günther Gebhardt, Stiftung Weltethos Tübingen Eine der Schlüsselkompetenzen Globalen Lernens ist interkulturelle und interreligiöse Dialogfähigkeit. In der interkulturellen Erziehung sind die kognitive und soziale Dimension zu verbinden mit einer ethischen Dimension. Hier bildet das Weltethos ein wichtiges Element, da es gerade interkulturelle und interreligiöse Gemeinsamkeiten auf der Ebene der ethischen Werte, Standards und Handlungsmaßstäbe ins Bewusstsein hebt. Ich möchte in diesem Beitrag daher zunächst noch einmal Hintergrund und Inhalt des Projekts Weltethos knapp ins Gedächtnis rufen und dann aufzeigen, inwiefern dieser Ansatz relevant für Schule und Erziehung ist. Dabei lege ich den Akzent auf die Rolle des Weltethos für das interreligiöse Lernen. Was ist das Weltethos? Der Tübinger Theologe Hans Küng hat seine Überlegungen zu einem Weltethos 1990 in dem Buch Projekt Weltethos der breiten Öffentlichkeit vorgestellt.12 Den entscheidenden Schritt machte dann das so genannte „Parlament der Weltreligionen“, eine große interreligiöse Versammlung in Chicago 1993, indem es die von Hans Küng in Konsultation mit Vertretern aller Religionen entworfene Erklärung zum Weltethos annahm. Über 200 Religionsvertreter aus allen Kontinenten unterzeichneten damals diese Erklärung, die seither das grundlegende Dokument für die Entwicklung des Weltethos-Gedankens ist.13 Die existierenden Gemeinsamkeiten im Ethos der Religionen werden von der ChicagoErklärung in zwei Prinzipien formuliert, die dann in vier zentralen Lebensbereichen als so genannte „Weisungen“ entfaltet werden: 1. Grundforderung: Jeder Mensch muss menschlich behandelt werden. Diese grundlegende Erkenntnis ergibt sich aus der unveräußerlichen Würde jedes Menschen aufgrund seines bloßen Menschseins, die ja auch den Menschenrechten zugrunde liegt. Es handelt sich dabei um ein zunächst recht formal tönendes, beinahe banales Prinzip. Wie wenig banal es jedoch ist, zeigt sich daran, dass wir oft besser wissen, was unmenschliches Handeln heißt, weil Menschlichkeit, Humanität nicht selbstverständlich in der Realität erfahrbar ist. Zur Entfaltung und Konkretisierung dieses Humanitätsprinzips stoßen wir in praktisch allen Kulturen und Religionen der Menschheit auf eine zweite Regel – die so genannte „Goldene Regel“ der Gegenseitigkeit: 2. „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg‘ auch keinem anderen zu.“ Oder positiv: „Was du willst, das man dir tut, das tue auch den anderen.“ Diese Goldene Regel findet sich bereits bei dem chinesischen Weisen Konfuzius fünf Jahrhunderte vor Christi Geburt und zieht sich als ethische Norm in ganz ähnlichen Formulierungen durch alle Religionen hindurch. Sie ist auch von Philosophen wie z.B. Immanuel Kant auf nichtreligiöser Basis aufgenommen worden und kann so in der Tat eine Grundlage ethischen Handelns bilden, auf der sich alle Menschen, gleich welcher Religion oder Weltanschauung treffen können. Diese beiden Prinzipien schließen in sich konkretere Handlungsmaßstäbe für vier wesentliche Lebensbereiche ein, die sich ebenfalls in allen Religionen wieder finden. Dabei geht es um den Aufbau einer lebensdienlichen und zukunftsfähigen Kultur für unsere Welt. Die Erklärung von Chicago formuliert dies in vier Selbstverpflichtungen: 12 13
Hans Küng, Projekt Weltethos. Piper, München 1990 Als Broschüre (16 Seiten) kostenlos bei der Stiftung Weltethos zu bestellen
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Verpflichtung auf eine Kultur der Gewaltlosigkeit und der Ehrfurcht vor allem Leben. Dies drückt sich aus in dem alten Gebot: Du sollst nicht töten! Oder positiv: Hab‘ Ehrfurcht vor dem Leben! Verpflichtung auf eine Kultur der Solidarität und eine gerechte Wirtschaftsordnung: Du sollst nicht stehlen! Handle gerecht und fair! Verpflichtung auf eine Kultur der Toleranz und ein Leben in Wahrhaftigkeit: Du sollst nicht lügen! Rede und handle wahrhaftig! Verpflichtung auf eine Kultur der Gleichberechtigung und die Partnerschaft von Mann und Frau: Du sollst Sexualität nicht missbrauchen! Achtet und liebet einander! Die zitierten Formulierungen erinnern zwar an die Sprache der Bibel, genauer an die so genannten „Zehn Gebote“ (eigentlich: „Zehn Worte“, Dekalog) der jüdischen Tradition, die dann auch vom Christentum übernommen wurden. Das Interessante dabei ist jedoch, dass auch in anderen Religionen, etwa im Buddhismus und im Islam, sich ganz ähnliche ethische Forderungen finden. Als Beispiel kann ein Vergleich des biblischen Dekalogs mit dem islamischen Pflichtenkodex dienen, wie er vor allem in Sure 17 formuliert wird. Das Weltethos auf dieser Grundlage versteht sich natürlich nicht als eine Überreligion, als Religionencocktail oder als ein Ersatz für die Religionen. Es will auch nicht die einzelnen ethischen Systeme und Traditionen jeder einzelnen Religion ersetzen, denn es speist sich gerade aus den verschiedenen Religionen. Das Weltethos zeigt nur die bereits existierenden fundamentalen Werte, Maßstäbe und Haltungen auf, die den Religionen gemeinsam sind: ein Grundethos, keine spezielle Ethik. Die Anwendung auf konkrete Lebens- und Handlungsbereiche muss jede Kultur und Religion in ihrer eigenen Weise leisten. Weltethos gibt deshalb keine Antworten auf Fragen der Spezialethik, etwa Sterbehilfe oder Gentechnologie, denn in diesen Fragen ist eben kein Konsens zwischen den Religionen, nicht einmal innerhalb jeder Religion vorhanden. Aber die fundamentalen Prinzipien des Weltethos sollen als Referenz für ethische Entscheidungen auch in Spezialfragen dienen. Mit diesem Ansatz versucht die Weltethos-Idee eine Antwort auf zwei zentrale Problemstellungen unserer Zeit: 1. Es richtet den Blick auf einige grundlegende Gemeinsamkeiten zwischen den unterschiedlichen Religionen und bietet so eine mögliche Basis für einen handlungsorientierten Dialog der Religionen, eine Brücke zwischen den Kulturen statt eines Zusammenpralls der Kulturen, eines „Clash of civilizations“ (Samuel Huntington). 2. Es leistet einen Beitrag bei der Suche nach einer von Menschen unterschiedlichen philosophischen oder religiösen Hintergrunds akzeptierbaren gemeinsamen ethischen Basis in einer Gesellschaft und Welt, die auch von Fragmentierung und Zersplitterung bedroht ist. Man könnte auch formulieren: Globalisierung braucht nicht nur globale Märkte, sondern ein globales Ethos, wenn sie nicht in vollständiger Fragmentierung enden soll und wenn sie menschlich tragbar, human sein soll. In Schule und Bildung stellt sich die Frage: Globales Lernen für welche Welt und für welche Globalisierung? Weltethos – relevant für Erziehung und Schule14 Die Erklärung von Chicago, die „Charta“ des Projekts Weltethos, stellt in erster Linie einen moralischen Appell an den einzelnen Menschen dar, keine Gesetzesvorlage. Sie will einen individuellen und kollektiven Bewusstseinswandel im Interesse des Überlebens unseres Planeten
14
Vgl. dazu auch: Günther Gebhardt, „Weltethos“ – ein Thema für die Schule, in: Lehren und Lernen. Zeitschrift des Landesinstituts für Erziehung und Unterricht Stuttgart, 27. Jahrgang 2001/2. Neckar-Verlag, Villingen-Schwenningen 2001, S.36-43 (hier auch ausführliche Bibliographie zum Thema „Weltethos und Erziehung“); ders., Artikel „Weltethos“ in: Lexikon der Religionspädagogik, hrsg. von Norbert Mette und Folkert Rickers. Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 2001, Band 2, S. 2198-2201
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anregen. Wenn nun die Entwicklung hin zu einem Weltethos einen solchen Bewusstseinswandel voraussetzt, gerichtet auf ein „besseres gegenseitiges Verstehen sowie auf sozialverträgliche, friedensfördernde und naturfreundliche Lebensformen“ (Chicago-Erklärung), dann muss dieser bereits bei jungen Menschen ansetzen. Ausdrücklich fordert die „Erklärung zum Weltethos“, wo sie von der Verpflichtung zu den vier „Kulturen“ der Gewaltlosigkeit, Solidarität, Toleranz und Partnerschaft spricht, dass schon junge Menschen in Familie und Schule lernen sollten, wie diese Lebensformen aufgebaut werden können. Damit liegt im Projekt Weltethos ein Erziehungsauftrag, und somit ist einerseits jeder einzelne Mensch in seiner individuellen ethischen Bildung angesprochen, aber auch besonders Schule und Unterricht. Die Stiftung Weltethos15 legt einen ihrer Schwerpunkte auf die Arbeit in diesem Bereich, durch Mitarbeit in der Lehrerfortbildung und durch die Erstellung von Medien, Unterrichtsmaterialien und –modellen für die Schule. „Kein Friede, kein Dialog und keine Grundlagenarbeit in den Religionen ohne erzieherische Bemühung! In diesen Prozeß sind Menschen und Gruppen einzubeziehen, die sich nicht religiös verstehen, aber auf humanistische Grundwerte ansprechen lassen. Nur wenn die Heranwachsenden Achtung haben für ihre Mitmenschen, Verantwortung empfinden für alle belebte und unbelebte Kreatur, wenn sie sensibel sind gegen Haß, Gewalt sowie lebens- und gemeinschaftsfeindliche Entwicklungen, sind sie gerüstet für ein Zusammenleben, das unserem Planeten Zukunft eröffnet.“ 16
Mit dieser These umreißt Johannes Lähnemann, Professor für evangelische Religionspädagogik in Nürnberg, die Relevanz des Weltethos-Gedankens für Erziehung und Schule. Ich werde mich im Folgenden öfter auf ihn beziehen. Unter seiner Inspiration und Leitung findet seit Anfang der 80er Jahre im Drei-Jahres-Rhythmus das „Nürnberger Forum: Erziehung zur Kulturbegegnung“ an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät in Nürnberg statt, zuletzt im September 2003; bereits 1994 stand dieses international besetzte Forum unter dem Thema „Das Projekt Weltethos in der Erziehung“.17 Dabei wurde klar: Weltethos steht am Schnittpunkt von interkultureller/interreligiöser Erziehung, Friedenserziehung, Werteerziehung. Gerade durch ihre Breite kann die Weltethos-Thematik in unterschiedlichen Fächern Eingang und Ansätze finden: Ethik, Philosophie und Religion sind verständlicherweise „natürliche” Partner, aber auch in vielen anderen Fächern können jeweils die globalen Sachbezüge des unterrichtlichen Gegenstandsfeldes als Anschlussstellen dienen. Je nachdem wird auch jeweils eine andere Dimension des Weltethos betont werden: Weltreligionen, philosophische Ethik, Politik/Gesellschaft, Literatur etc. Es zeigt sich von daher, dass Weltethos als roter Faden besonders in fächerübergreifenden Projekten interessant sein kann. Diese Beobachtung wird bestätigt durch die Weise, wie Weltethos inzwischen in immer mehr Lehr- und Bildungsplänen verschiedener deutscher Bundesländer als eigenes Unterrichtsthema präsent ist. Bei all dem geht es natürlich nicht darum, Weltethos sozusagen als Paket zu verwenden, als neues Lehrgebäude. Nein, es geht darum, das Paket aufzuschnüren, einzelne Ansatzpunkte zu finden, die in dieser oder jener Thematik interessante Zugänge eröffnen können. Soll das Weltethos in Erziehung und Schule relevant sein, sind nämlich folgende zwei Voraussetzungen wesentlich: 1. Die Inhalte des Weltethos müssen in ein „Nahbereichsethos“ (Karl Ernst Nipkow) transferiert werden, das auch schon begrifflich die unmittelbare Lebenswirklichkeit und Welterfahrung der Schülerinnen und Schüler betrifft.
15
www.weltethos.org Johannes Lähnemann, Weltethos und Erziehungspraxis: 10 Thesen, in: Hans Küng/Karl-Josef Kuschel (Hrsg.), Wissenschaft und Weltethos. Piper, München 1998, S.217-238. Siehe auch im selben Band die Beiträge von Karl Ernst Nipkow, Weltethos und Erziehungswissenschaft, S.239-261, und Hartmut von Hentig, Polis und Kosmopolis. „Weltethos“ aus der Sicht eines Pädagogen, S.262-294 17 Alle Beiträge in: Johannes Lähnemann (Hrsg.), Das Projekt Weltethos in der Erziehung. eb-Verlag, Hamburg 1995 16
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2. Damit hängt methodisch-didaktisch zusammen: Aus der Interpretation dieser Lebens- und Weltwirklichkeit und als ein Angebot, sich darin zu orientieren, können die WeltethosGrundsätze Wege aufzeigen, wie Zusammenleben gelingen kann. Nur wenn dieses Ethos „attraktiv“ für junge Menschen ist und positive Erfahrungen ermöglicht, wird es nachhaltig rezipiert werden. Die Stiftung Weltethos arbeitet deshalb mit Religionspädagogen und mit einer Reihe von Lehrer /innen verschiedener Fächer zusammen, die an der Weltethos-Thematik besonders interessiert sind, um diese Gedanken konkret in Schule und Unterricht einzubringen. Wertvolle Beiträge dazu liefern Unterrichtsmodelle, die Lehrerinnen und Lehrer bei Schulwettbewerben der Stiftung Weltethos 1997/98 in Deutschland und 1999 in der Schweiz eingereicht haben und deren preisgekrönte Beispiele veröffentlicht vorliegen.18 Mit großer Kreativität wurden hier die verschiedenen Aspekte der Weltethos-Idee pädagogisch-didaktisch umgesetzt, wobei sich zeigte, dass es in allen Altersstufen Ansätze dafür geben kann. Durch die Unterschiedlichkeit der Projekte wurden auch die zwei Hauptstränge bestätigt, von denen her Weltethos in den Unterricht Eingang finden kann: Die Inhalte der ethischen Prinzipien der Weltethos-Erklärung (Ehrfurcht vor allem Leben, Solidarität, Wahrhaftigkeit, Partnerschaft) können thematisiert werden – Weltethos als Beitrag für ethisches Lernen, oder der Aspekt des Kennenlernens der Religionen, ihrer Unterschiede und vor allem Gemeinsamkeiten kann im Mittelpunkt stehen. Weltethos also als Basis für interkulturelles/interreligiöses Lernen. Darauf sei im Folgenden genauer eingegangen. Einen Beitrag zu interkultureller und interreligiöser Erziehung leistet der Weltethos-Gedanke dadurch, dass er Einblicke in die verschiedenen Religionen und damit auch Kulturen ermöglicht, und zwar vor allem durch das Wahrnehmen ihrer Reichtümer und Gemeinsamkeiten im Ethos. Diese zeigen, dass das Verhältnis der Religionen nicht allein von Differenzen, Unverständnis und Konflikt bestimmt sein muss. Das Weltethos weist darauf hin, dass die Menschen der verschiedenen Religionen und Kulturen ihre gemeinsame Verantwortung für unseren Planeten Erde gemeinsam wahrnehmen müssen und dies auch können, wenn sie sich auf einige grundsätzliche Handlungsmaßstäbe besinnen. Diese Erkenntnis trifft gerade in unserer heutigen Gesellschaft auf alltägliche Erfahrungen junger Menschen. Denn die Tatsache, dass Menschen aus verschiedenen Kulturen und Religionen zusammenleben, spiegelt sich gerade im Mikrokosmos Schule, vor allem in Grund-, Haupt- und Realschule, besonders deutlich. Das bessere Kennenlernen anderer Religionen und das Lernen über das, was uns verbindet, ist ein wichtiges interkulturelles Lernziel, das gleichzeitig ein harmonisches interkulturelles Zusammenleben fördern kann. Wie Stefanie Schnebel, Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Weingarten und Preisträgerin der Stiftung Weltethos, betont, steht interreligiöses Lernen als pädagogisches Modell in enger Verbindung zum Weltethos. In seinen Vorgaben und Zielen sind weltethische Gedanken direkt enthalten. Allerdings ist interreligiöses Lernen nicht in erster Linie auf ethische Momente hin angelegt, es eröffnet aber globale Perspektiven und prägt entscheidend die Dialogfähigkeit. Interreligiöses Lernen versucht, im Erziehungsprozess den Dialog zwischen den Religionen aufzunehmen. Angestrebt wird Verstehen und Verstanden-Werden, nicht allein Wissensvermittlung über die andere Religion. Dadurch steht in erster Linie das Verbindende, nicht das Trennende im Mittelpunkt. Die Kinder sollen sich über Riten, Symbole, Glaubensäußerungen einleben in eine Religion und dadurch einen ganzheitlichen Zugang gewinnen. Begegnungen und gemeinsames Lernen von Heranwachsenden verschiedener Religionen sollen gegenseitiges Verstehen fördern. Die eigene Religiosität wird lebendig im Wechselspiel mit anderen. Johannes Lähnemann sieht eine besondere Chance für interreligiöse Verständigung 18
Johannes Lähnemann/Werner Haussmann (Hrsg.): Unterrichtsprojekte Weltethos I und II. eb-Verlag, Hamburg 2000 (vergriffen). Schweiz: RL – Zeitschrift für Religionsunterricht und Lebenskunde 4/2000, TVZ, Zürich 2000
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dort, wo aus gemeinsamer Betroffenheit heraus versucht wird, nach gemeinsamen Lösungen für ein Problem (etwa Umweltschutz oder das Erleben von Intoleranz und Fanatismus) zu suchen. Da solche gemeinsame Betroffenheit und Verantwortung zentral im Projekt Weltethos enthalten sind, kann es einen idealen Ansatzpunkt interreligiösen Lernens bieten. Dabei wird auch die Ausgangsbasis heutigen Religionsunterrichts ernst genommen, die darin besteht, dass Jugendliche häufig über mangelhaftes Wissen über die „eigene“ Religion verfügen. Deshalb besteht gerade im ethischen Bereich die Chance, interreligiöse Erziehung fruchtbar zu machen. Die Suche nach einem gemeinsamen, verbindenden Humanum fördert interreligiöses Lernen, das auf politische, soziale und ökologische Verantwortung gerichtet ist. Mit Recht betont daher der Bamberger Studierendenpfarrer (ESG) und Privatdozent Johannes Rehm, dass die im Glauben begründete Ethik zum hermeneutischen Schlüssel für das Kennenlernen anderer Religionen werden kann.19 Die Inhalte des Weltethos als globaler Zielrahmen von Erziehung Wie kann nun dies gerade in den Lebens- und Wirklichkeitsbereichen, die vom WeltethosGedanken besonders angesprochen sind, im Kontext globalen Lernens zur Geltung kommen? Wie angesichts der gegenwärtigen globalen Herausforderungen ein globaler Zielrahmen von Erziehung, die sich am Weltethos orientiert, umrissen werden kann, hat wiederum Johannes Lähnemann folgendermaßen beschrieben: „Es geht um das Lernen für eine bewohnbare Erde (angesichts eines drohenden ökologischen Kollapses), das Lernen für eine mündige Wahrnehmung der dem Einzelnen gemäß den Menschenrechten zukommenden Freiheiten und Verpflichtungen (angesichts der drohenden Entmündigung durch technokratische Systeme, durch simplifizierende Ideologien, durch Verarmung und wirtschaftlich-politische Versklavungen oder Kriminalisierungen), das Lernen für eine sinnvolle Lebensgestaltung (angesichts drohender ‚Gleichschaltungen’ in Medienkultur und Wohlstandsideologie und ‚seelischer Umweltverschmutzung’), das Lernen für ein solidarisches Zusammenleben in Familien, Gemeinden, regionalen und internationalen Horizonten (angesichts der Gefahren sich auflösender Familienstrukturen, des Fehlens eines elementaren ethischen Wertebewusstseins und des Neuauflebens nationaler Fanatismen und Partikularismen)“.20 Anhand der in der Chicago-Erklärung angestrebten vier „Kulturen“ deutet Lähnemann dann exemplarisch an, wo ein solches Lernen ansetzen kann. Ich werde dabei besonders einige Hinweise auf die interreligiösen Ansatzpunkte geben: Auf dem Weg zu einer Kultur der Gewaltlosigkeit und der Ehrfurcht vor allem Leben bedeutet erzieherische Bemühung im Sinne eines Weltethos Erziehung zu gewaltfreier Konfliktbewältigung und zu umfassender Lebensachtung. Damit ist die Frage der Gewalt im ersten Punkt und der Umgang mit der natürlichen Umwelt im zweiten angesprochen. Traditionelle Schranken in der Gewaltanwendung fallen auch im Umgang junger Menschen miteinander, wie es sich unter anderem in der zunehmenden Gewalt an Schulen ausdrückt, aber auch in der erschreckenden Zahl brutaler Gewaltakte mit rassistischem und rechtsextremem Hintergrund! Bei der Thematisierung der Gewaltproblematik können die in allen Religionen und humanistisch orientierten Überzeugungen vorhandenen Traditionen von Gewaltfreiheit viel mehr nach vorne gerückt werden und pädagogisch relevant aufbereitet werden. Praktische Beispiele von gelungener Gewaltfreiheit und Versöhnungsbereitschaft – Gandhi, Martin Luther King, die Quäker – können dabei Leitbilder sein. Sie bleiben jedoch äußerlich, wenn die jungen Menschen nicht selbst die Erfah19
Vgl. dazu Johannes Rehm: Das Weltethosprogramm als Projekt interreligiösen Lernens – 10 Thesen, in: HansChristoph Gossmann/André Ritter (Hrsg.): Interreligiöse Begegnungen. Ein Lernbuch für Schule und Gemeinde. eb-Verlag, S.62-67, Hamburg 1999 sowie: ders.: Erziehung zum Weltethos. Projekte interreligiösen Lernens in multikulturellen Kontexten. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2002 20 Lähnemann 1998, S. 219-220
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rung machen können, dass Konflikte gewaltfrei überwunden werden können und alle Beteiligten letztlich dabei gewinnen. Dazu kann auch die schulische Erziehung beitragen. Mit der Gewaltproblematik im weiteren Sinn verbunden ist auch die Umwelterziehung, die seit langem ihren festen Platz in den Lehrplänen einnimmt. Eine Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben, wie sie Albert Schweitzer geprägt und gelebt hat, gewinnt nicht nur angesichts der Möglichkeiten der Gentechnologie, sondern auch im Zusammenhang mit globaler Erwärmung, mit BSE, mit der Frage einer artgerechten Tierhaltung etc. neue Brisanz und findet in der Sensibilität gerade junger Menschen oft spontanes Echo. Auch hier hat die Ethik der Religionen, auch der prophetisch-monotheistischen, mehr zu sagen als ein oft stereotyp und schief zitiertes „Macht euch die Erde untertan“, und es kann gerade in diesem Bereich der Dialog mit den asiatischen Religionen, vor allem dem Buddhismus und dem Jainismus, wertvolle Anstöße geben, da diese Religionen das Prinzip der Gewaltfreiheit, des Nicht-Schädigens, auf alle lebenden Wesen ausweiten. Bei einer Erziehung zu Wahrhaftigkeit, Toleranz und Achtung spielen natürlich die interreligiöse und interkulturelle Erziehung eine wesentliche Rolle. Hier geht es um eine wahrhaftige Darstellung der anderen Religionen und Kulturen, um den Abbau von Vorurteilen, Klischees und Missverständnissen. Durch direkte Begegnung können auch junge Menschen einen Perspektivenwechsel erreichen: In den Schuhen der anderen zu gehen, sich klar zu machen und vor allem in der Praxis zu erleben, dass die anderen, gerade die Mitschüler und Mitschülerinnen aus anderen Kulturen und Religionen mir etwas zu bieten haben, meinen eigenen Horizont erweitern können. Freilich fallen in diesen Bereich ethischer Erziehung auch noch andere Aspekte wie etwa der Umgang mit den Medien, die Wahrhaftigkeit von Information und die Achtung der Würde jedes Menschen in der Tätigkeit der Medien. Erziehung zu solidarischem Zusammenleben hat wesentlich auch mit dem Verhältnis zwischen Nord und Süd, Arm und Reich zu tun, mit der Gerechtigkeit auf der Welt und in unserer eigenen Gesellschaft. Erziehung in der und für die Eine Welt, also Globales Lernen sollte die Verantwortung schärfen für die Schwächeren, zu kurz Gekommenen: Dies sind Werte, die auch in der Schule zum Tragen kommen können und für die in verschiedenen Unterrichtsfächern sensibilisiert werden kann. Weltethos als Schulethos Es genügt nicht, die Werteerziehung im Allgemeinen und die Weltethos-Idee im Besonderen sozusagen als Inhalt ethischen Lernens in einzelnen Schulfächern, als reinen Unterrichtsstoff zu verstehen. Gerade der Schulalltag als ganzer bildet einen Ort der Begegnung, der von wertorientiertem Handeln, von einem Schulethos getragen werden sollte. In jeder Schule sind im täglichen Miteinander Entscheidungen notwendig, die ethische Dimensionen aufweisen, etwa im Umgang mit Gewalt, im Verhältnis von ethnischen Gruppen oder von Mädchen und Jungen zueinander. Stefanie Schnebel schreibt: „Schulen können selbst keine Werte schaffen. Sie brauchen ein ethisches Programm, das ihnen als Fundament für die gestellten erzieherischen Aufgaben dienen kann. Diese ethische Leitlinie, dieses Schulethos kann nicht der Vorstellung des einzelnen Lehrers, der einzelnen Lehrerin anheim gestellt werden, es muss in einem Prozess der Konsensfindung von allen am Schulleben Beteiligten gefunden werden. Hier kann das Weltethos ein konsensfähiges Konzept bieten. Da es auf der Verständigung verschiedener religiöser und ethischer Gruppen beruht und in Einklang mit dem Grundgesetz steht, stellt es die Möglichkeit eines Wertekonsenses dar, den eine Schule zu ihrem Grundsatz machen kann. Lehrkräfte können ihre Bemühung um eine ethische Erziehung an den Prinzipien des Weltethos ausrichten und erhalten damit Grundsätze, an denen sie ihr eigenes Handeln wie Unterrichtsinhalte und –methoden orientieren können.“21 21
Stefanie Schnebel, Das Projekt Weltethos in inhaltlicher und pädagogischer Perspektive, in: Johannes Lähnemann/Werner Haussmann (Hrsg.), Unterrichtsprojekte Weltethos II. eb-Verlag, S. 25. Hamburg, 2000
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Gerade die Goldene Regel der Gegenseitigkeit, „Behandle die anderen so, wie du von ihnen behandelt werden möchtest“, kann für das Ethos einer Schulklasse wie einer ganzen Schule eine konsensfähige Basis bilden. Es gibt einige Schulen, die sich bewusst auf den Weg gemacht haben, die Prinzipien des Projekts Weltethos als Basis für ihren Prozess auf ein Schulethos hinzunehmen, so z.B. das Evangelische Gymnasium in Neuruppin. Besonders im heutigen multikulturellen Kontext unserer Schulen besteht die Notwendigkeit eines ethischen Grundkonsenses, der sich aus verschiedenen Religionen und Kulturen speist. So kann der Pädagoge Christoph Scheilke vom Comenius-Institut in Münster das Weltethos geradezu als mögliches „Ethos einer multikulturellen Schule“ postulieren, einen ethischen Rahmen also, auf den sich Lehrende und Lernende heutiger Schule verständigen können und der sie befähigen kann, mit Multikulturalität und Multireligiosität kreativ umzugehen.22 Medien für Schule und Unterricht Wie drückt sich das alles konkret in der schulischen Praxis aus, oder genauer: Welche Hilfen, Materialien, Medien kann die Stiftung Weltethos Lehrerinnen und Lehrern an die Hand geben, die den Weltethos-Ansatz in ihren Unterricht einbringen möchten? Einen Gesamtüberblick über den Arbeitbereich „Weltethos in der Schule“ bietet der Schulserver der Stiftung im Internet unter der Adresse: www.schule-weltethos.de. Es seien hier nur einige wenige Medien besprochen, die gerade im Zusammenhang des interreligiösen Lernens hilfreich sind und sich bewährt haben. 1. Medienpaket „Spurensuche. Die Weltreligionen auf dem Weg“, 1999 Hans Küng war Autor und Präsentator dieser siebenteiligen Fernsehserie über die Weltreligionen, die 1999/2000 von verschiedenen Programmen in Deutschland und der Schweiz ausgestrahlt wurde. Die Videofassungen der sieben Filme (Komplett-Media, Grünwald bei München) bilden zusammen mit einem bebilderten Sachbuch (Piper München) und einer CD-ROM (Schroedel Hannover) ein einzigartig reichhaltiges Medienpaket, das vielfältige Möglichkeiten auch für den Schulunterricht zu den Weltreligionen eröffnet. Folgende sieben Religionen werden in „Spurensuche“ dargestellt: Stammesreligionen (Australiens und Afrikas), Hinduismus, Chinesische Religionen, Buddhismus, Judentum, Christentum, Islam. Sie werden in den Filmen sowohl in ihrem aktuellen Erscheinungsbild und ihrer Lebendigkeit als auch in entscheidenden Phasen ihrer Geschichte („Paradigmenwechsel“) vorgestellt. Als roter Faden zieht sich durch alle Filme die Betonung der ethischen Komponente der Religionen, und es wird gezeigt, was jede von ihnen zu einem Weltethos beitragen kann. Hans Küng spricht den laufenden Kommentar zu den Filmen; an einigen Stellen tritt er selbst ins Bild und gibt ein persönliches Statement zu einer Einzelproblematik ab. Die Filme eignen sich sehr gut für den Einsatz in der Schule, und zwar in allen Fächern zur Illustration von Unterrichtseinheiten, in denen Kenntnisse über einzelne Religionen vermittelt werden sollen. Trotz ihrer allgemeinverständlichen Sprache scheinen die Filme für zu junge Jahrgangsstufen noch zu anspruchsvoll. Sie finden aber bei Schülerinnen und Schülern allein schon durch die bestechend schönen Bilder – alles ist an Originalplätzen gedreht – großen Anklang. Schon wegen der Dauer von ca. 50 Minuten pro Film ist es in der Regel nicht möglich, einen Film in der Klasse an einem Stück zu zeigen. Dies ist meist auch nicht ratsam, kann im Einzelfall freilich zum Einstieg in eine Unterrichtseinheit oder als deren Abschluss sinnvoll sein. Nützlicher ist der Einsatz von einzelnen Sequenzen eines Films zur illustrierenden Vertiefung des jeweiligen Unterrichtsthemas. Die Sequenzen innerhalb der Filme sind deutlich geschnitten und bieten so fünf- bis zehnminütige Einheiten. 22
Christoph Scheilke, Das Ethos einer multikulturellen Schule, in: Johannes Lähnemann (Hrsg.): Das Projekt Weltethos in der Erziehung. eb-Verlag, Hamburg 1995, S.256-269
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Eine wahre Fundgrube zur weiteren Vertiefung stellt die dazugehörige CD-ROM dar. Sie enthält eine enorme Fülle an direkt ausdruckbarem Bild- und Textmaterial. Vom jeweils übergeordneten Thema aus kann man immer tiefer in Einzelthemen vordringen. Wo die technische Möglichkeit besteht, kann sich die Klasse selbst anhand der CD-ROM auf Entdeckungsreise in die behandelte Religion begeben und sich Material zusammenstellen. Doch vor allem die Lehrperson wird für ihre Unterrichtsvorbereitung Materialien finden, die zum großen Teil direkt unterrichtlich verwendet werden können, wie z.B. thematische Text- oder Arbeitsblätter, Karten und Schemata. 2. Arbeitsblätter zur Vertiefung der Spurensuche-Materialien Bis jetzt liegen zu den Religionen Buddhismus und Islam je ein umfangreicher Satz an Arbeitsblättern vor, von einem Tübinger Lehrer entwickelt, im Unterricht erprobt und daraufhin nochmals überarbeitet. Hier ist das Material der „Spurensuche“ nochmals elementarisiert, mit Aufgabenstellungen und Fragen versehen. Besonders hilfreich sind die direkten Querverweise zu den entsprechenden Stellen in den „Spurensuche“-Filmen und im Sachbuch. Diese Blätter können direkt vom Schulserver heruntergeladen werden. 3. Poster-Ausgabe der Ausstellung „Weltreligionen – Weltfrieden – Weltethos“ mit Broschüre Die Ausstellung (12 Tafeln) ist in der Originalfassung als Wanderausstellung konzipiert und eignet sich in dieser Form für große öffentliche Räume. Besonders für die Verwendung in Schule und Unterricht liegen die Ausstellungstafeln jedoch in gleicher Qualität als 12 Poster im A1Format vor. Der ganze Satz kann zum Gesamtpreis von nur 16, - Euro (inkl. Porto und Verpackung) bei der Stiftung Weltethos in Tübingen bestellt werden. In verkleinerter Form liegen die Inhalte der Ausstellung in einer begleitenden A4-Broschüre vor. Damit kann auch ohne die Posters im Unterricht mit diesem Material gearbeitet werden. Die Broschüre ist einzeln oder als Klassensatz bei der Stiftung Weltethos erhältlich (Stückpreis 1,40 Euro). Die Poster 1-6 präsentieren die großen Weltreligionen Hinduismus, Chinesische Religion, Buddhismus, Judentum, Christentum, Islam mit aktuellen und historischen Bildern, Sachinformationen und religiösen und ethischen Texten aus den Religionen, sowie je einem Schlüsseltext von Hans Küng über das Zentrum der jeweiligen Religion. Auf den Poster 7-8 werden die Weltethos-Grundprinzipien „Jeder Mensch soll menschlich behandelt werden“ und die „Goldene Regel“ in Text und Bild dargestellt und entfaltet. Die Poster 9-12 thematisieren und illustrieren die vier ethischen Prinzipien „Gewaltlosigkeit“, „Gerechtigkeit“, „Wahrhaftigkeit“ und „Partnerschaftlichkeit“. Während bei den Religionen-Poster der Schwerpunkt auf knapper und anschaulicher Information über die jeweilige Religion, speziell unter dem Gesichtspunkt ihrer ethischen Lehren, liegt, sollen die Poster 7-12 zum eigenen Nach- und Weiterdenken über ethische Maßstäbe und Haltungen anregen. In Schule und Unterricht bieten sich vielfältige Verwendungsmöglichkeiten an: Als Gesamtausstellung im Schulfoyer oder Klassenzimmer, etwa im Zusammenhang mit Projekttagen, aber auch als Illustration beim Unterricht über einzelne Weltreligionen. Gerade bei der Frage, ob denn die Religionen wirklich etwas Verbindendes im Ethos besitzen, können die Schülerinnen und Schüler ausgehend von den Weltethos-Poster (7-12) quer durch die Religionen-Poster (1-6) entdecken, wie diese ethischen Weisungen jeweils ausgedrückt werden und worin Unterschiede und Gemeinsamkeiten liegen. Die Weltethos-Poster bieten hilfreiche Anstöße zum Gespräch über menschliches Verhalten und über die Werte, die man sich selbst als Grundlage dafür wünscht. Sie eignen sich gut als Einstiegsmaterial in solche Themen und können z.B. von den Schülerinnen und Schülern umgeschrieben und aktualisiert werden. Die Materialien der Ausstellung und aus dem Medienpaket „Spurensuche“ können gut miteinander kombiniert werden.
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Weltoffenes Europa? Der europäische Bildungsraum als Herausforderung für das globale und interkulturelle Lernen Dr. Sabine Hornberg, Ruhr-Universität Bochum Die Europäische Union (EU), um die es hier geht, wenn von Europa die Rede ist, stellt für die Mehrzahl ihrer Bürger und Bürgerinnen auch heute noch ein überwiegend abstraktes Gebilde dar, das ihre Aufmerksamkeit vor allem dann erregt, wenn sie glauben, von einer mit Verweis auf Europa initiierten Neuerung persönlich betroffen zu sein. Tatsächlich wissen die meisten Menschen jedoch nur wenig über die Geschichte, Ziele und Aufgaben der EU. Und auch im Kreise wissenschaftlich und praktisch arbeitender Pädagogen und Pädagoginnen gehört die Befassung mit den Chancen und Grenzen einer europäischen Bildungspolitik und der hieran anschließenden Frage nach den möglichen Konturen einer europäischen Schule nicht gerade zu den favorisierten. Dies, so meine ich, ist zumindest erstaunlich, denn andererseits haben aktuell Topoi wie die von der voranschreitenden Globalisierung und Internationalisierung geradezu Hochkonjunktur. Und was ist Europa denn anderes, als ein Aspekt dieser Entwicklungen? Der hier dokumentierte Workshop stand unter dem Titel: „Weltoffenes Europa? Der europäische Bildungsraum als Herausforderung für das globale und interkulturelle Lernen.“ Damit wird eine Frage aufgeworfen, die es zunächst erforderlich macht, zu klären, welches Europa damit gemeint ist. Ein Europa, das aus der Vergangenheit, „dem europäischen Erbe“, Griechenland und Rom, dem Christlichen Abendland hergeleitet wird – oder ein Europa, das, wie Hansen (1994, S. 4) so treffend formulierte, das „Ergebnis von Zukunftsarbeit“ ist? Wir konnten im Workshop heraus arbeiten, dass sich jenseits ideologisch überfrachteter Diskussionen bei der Bearbeitung dieser Frage Antworten finden lassen, die sich einerseits auf einen Konsens unter den europäischen Bildungsministern berufen können und andererseits der gegenwärtigen und zukünftigen gesellschaftlichen Realität in Europa Rechnung tragen. Dazu gehören (vgl. Hornberg 1999): Erstens, die Europäische Dimension im Bildungswesen, die inhaltlich definiert und im Hinblick auf ihre curriculare Umsetzung in der Bundesrepublik Deutschland betrachtet wurde. Zweitens, die ethnisch-kulturelle und sprachliche Vielfalt der Schülerschaft in Europa, ihre Berücksichtigung in europäischen und bundesrepublikanischen Rahmenvorgaben für den allgemeinbildenden Bildungsbereich sowie Ansätze zu ihrer Bearbeitung im Rahmen des globalen und interkulturellen Lernens. Im Workshop wurden im Anschluss an einige knappe, historische Informationen zur EU ihre Kompetenzen im allgemeinbildenden Bildungsbereich skizziert, die mit dem Vertrag von Maastricht (2.2.1992) und dem dort aufgenommenen Art. 126 „Allgemeine und berufliche Bildung und Jugend“ eine deutliche Aufwertung erfuhren, wenngleich das nach wie vor gültige Subsidiaritätsprinzip dafür sorgt, dass die Zuständigkeit für den Bildungsbereich bei den Mitgliedstaaten verbleibt und die EU nur dann aktiv werden kann, wenn die „Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfanges oder ihrer Wirkung besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können“ (Dittmann/Fehrenbacher 1992, S. 478-493). Die Europäische Dimension im Bildungswesen ist ein Bereich, in dem sich die EU seit den 1980er Jahren zunehmend engagiert, und zwar mit einigem Erfolg, betrachtet man bspw. die wachsende Zahl von Europaschulen in der BRD. Die Kommission der EU hat in Kooperation mit den EU-Mitgliedstaaten festgestellt, die Europäische Dimension im Bildungswesen basiere auf folgenden gesellschaftlich-philosophischen Idealen: 34
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Einem Gemeinschaftsideal, das darauf beruht, dass die Mitgliedstaaten „ein gemeinsames, globales und kohärentes politisches Konzept erarbeiten müssen“, einem humanistischen Ideal, das „auf internationales Verständnis abzielt und von der Gewissheit überzeugt ist, dass die Gemeinschaft in stärkerem Maße Frieden, Demokratie und das Bewusstsein internationaler Solidarität fördert“ und einer Perspektive „der Internationalisierung, die auf der Entwicklung eines Europas der kulturellen Vielfalt und stärkeren Mobilität seiner jungen Menschen und der Entstehung einer interkulturellen Gesellschaft beruht“ (SEK (91), S. 2). Im Workshop wurden diese „Leitlinien“ der Europäischen Dimension mit den Ausgangsannahmen, Zielen und Inhalten des globalen und interkulturellen Lernens kontrastiert und anhand von Beispielen aus der Praxis illustriert. Besonders deutlich wurden in diesem Zusammenhang die folgenden Problembereiche, die wir vertiefend diskutierten: Die Schwierigkeit, einerseits kulturelle Heterogenität im Schulalltag zu berücksichtigen und andererseits dabei nicht gängige Stereotypisierungen zu (re)produzieren; Die besondere Problematik der Chancen(un)gleichheit im Bildungswesen, die durch die Ergebnisse der PISA-Studie insbesondere für Schüler/innen mit Migrationshintergrund erneut belegt wurde; Die Frage danach, inwieweit die Europäische Dimension an Schulen in BW Berücksichtigung findet und ob die in vielen Bundesländern in wachsender Zahl anzutreffenden Europaschulen eine Art „Eliteschulen“ repräsentieren.
Literatur: Hansen, G.: Europäische Identität – aus der Vergangenheit oder als Ergebnis von Zukunftsarbeit. In: Landesinstitut für Schule und Weiterbildung (Hg.): Schularbeiten. Lernen für Europa. H.5, Februar 1994, S. 5f. Hornberg, S.: Europäische Gemeinschaft und multikulturelle Gesellschaft. Anspruch und Wirklichkeit europäischer Bildungspolitik und Praxis. Frankfurt am Main 1999. Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Erster Bericht über den Ablauf der auf der Ebene der Mitgliedstaaten und der Europäischen Gemeinschaft durchgeführten Maßnahmen zur Stärkung der europäischen Dimension im Bildungswesen. (Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen) SEK (91) 1753, Brüssel 1991.
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Nach dem (Irak-)Krieg – Qualifizierung als Herausforderung für Friedenspädagogik Uli Jäger, Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V. Für viele Schülerinnen und Schüler war es eine pure Selbstverständlichkeit, sich am ersten Tag des Irak-Krieges über schulinterne und kultusbürokratische Verbote hinwegzusetzen. Sie verließen den Unterricht, um bei spontanen Demonstrationen unter dem Motto „No War” ihrer Betroffenheit und Empörung Ausdruck zu verleihen. „Die Schulleiterin hat‘s nicht erlaubt, aber wir sind einfach gegangen“, so werden zwei Schülerinnen des Stuttgarter Geschwister-SchollGymnasiums zitiert. (Südwest-Presse Ulm, 21. März 2003, S. 3.) In den Tagen danach wurde es unübersehbar, dass sich sehr viele Kinder und Jugendliche an der rasch zunehmenden Protestbewegung gegen den Krieg beteiligten. Nicht nur zu Beginn, sondern während der gesamten heißen Phase des Krieges fanden Schülerdemonstrationen und unterschiedliche Aktionen an den Schulen statt. Doch seit dem Ende der Kampfhandlungen ist es wieder ruhig geworden und es stellen sich eine Reihe von Fragen: Wie lässt sich die hohe Protestbereitschaft der jungen Generation erklären? Welche Rolle spielten dabei die Medien und das Internet? Und schließlich: Welche vorläufigen Schlussfolgerungen lassen sich aus diesen Erkenntnissen für Friedenspädagogik und Globales Lernen ziehen? Der jugendliche Protest gegen den Krieg Bereits vor dem Beginn des Krieges wurde während der weltweiten Antikriegs-Demonstrationen am 15. Februar 2003 in mehreren Ländern Europas und in einigen Städten der USA eine Umfrage unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchgeführt. Sie ergab, dass die 15- bis 24-jährigen unter den Demonstranten in Relation zur Gesamtbevölkerung deutlich überrepräsentiert waren (vgl. Rucht 2003). Dieses Ergebnis und die beschriebenen Aktivitäten überraschten viele in Politik, Gesellschaft und bei den Medien, da der Jugend doch seit geraumer Zeit Etiketten wie „Politikverdrossenheit” und „Ich-Generation” angeheftet werden. Im Rückblick lassen sich gleichwohl eine Reihe von unterschiedlichen Erklärungsansätzen für den nicht erwarteten „Protest der Kids” finden. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Angst vor einem Krieg im Bewusstsein von Kindern und Jugendlichen generell eine bedeutende Rolle spielt. Über Jahre hinweg zeigen Untersuchungen, dass die Kriegsangst Kinder und Jugendliche unabhängig von einer realen Kriegsgefahr oder einem aktuellen Kriegsgeschehen in geographischer Nähe beschäftigt. Bei einer 1999 im Auftrag des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ durchgeführten Emnid-Umfrage antworteten 53% der befragten Jugendlichen auf die Frage „Wovor haben Sie am meisten Angst?“ mit „Krieg“. Erst weit dahinter folgten Nennungen wie „Einsamkeit“ (13%), „Arbeitslosigkeit“ (13%), „Umweltkatastrophen“ (10%), „Kriminalität (6%) oder „Scheidung der Eltern“ (5%). „Jedes zweite Kind hat große Angst vor Krieg“, so auch das Resümee einer weiteren, repräsentativen Umfrage für die R+V Versicherung aus demselben Jahr; befragt wurden Kinder im Alter zwischen 6 und 14 Jahren. Unmittelbar nach der Nennung „Schicksalsschlag in der Familie”(54%) folgte die Angst vor einem Krieg (50%). Die Kriegsangst verstärkt sich noch in der Gruppe der 12- bis 14jährigen und liegt hier auf dem ersten Platz vor allen anderen Ängsten. Diese allgemeine Kriegsangst, die häufig als eine Form von altersbedingt geprägter Zukunftsangst verstanden wird, wird durch aktuelle Kriege verstärkt. So muss bei den genannten Umfrageergebnissen aus dem Jahr 1999 der Einfluss des Kosovo-Krieges mit berücksichtigt werden. Aus Angst entwickelt sich allerdings nicht zwingend politisches Engagement. Voraussetzung ist, dass Möglichkeiten für befreiende Aktivitäten sichtbar und vorhanden sind. So blieb die jugendliche Protestbereitschaft angesichts des Kosovo-Krieges trotz der größeren geographischen Nähe des Kriegsschauplatzes im Vergleich zum Irak-Krieg eher bescheiden. 36
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Neben die Kriegsangst als einer Grundstimmung scheint sich bei einem wachsenden Anteil der Kinder und Jugendlichen eine radikale Ablehnung von Krieg zu gesellen, die sich beim IrakKrieg offen artikulierte. „Unsere Kinder sind Pazifisten“ – so titelte im Januar 2003 die deutsche Presseagentur und bezog sich dabei auf eine Umfrage der Zeitschrift „Eltern for Family“. Bei dieser allerdings nicht repräsentativen Umfrage waren 2.048 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen acht und achtzehn Jahren nach ihrer Meinung zu Krieg und Frieden befragt worden waren. „Sie lehnen Krieg ab – und haben viele Vorschläge, wie sich gewaltsame Auseinandersetzungen vermeiden lassen“, so lautet das Fazit der Zeitschrift (Ausgabe 4 / 2003). Es scheint so zu sein, dass der Rückgriff auf Krieg als Mittel der Politik bei den Jugendlichen nur wenig Akzeptanz findet. Dies wurde im Falle des Irak-Kriegs allem Anschein nach dadurch verstärkt, dass mit den USA eine Demokratie zum Mittel des Kriegs griff und dies in Form eines Präventivkrieges, der weder legal noch legitim war. Gerade dieser Sachverhalt war für viele Jugendliche unverständlich und nicht zu rechtfertigen. Diese Ablehnung des Krieges als Form der Konfliktaustragung hat auch etwas damit zu tun, dass in den vergangenen Jahren bei vielen Schülerinnen und Schülern die Sensibilität für friedliche Streitschlichtung geschärft wurde. Die Ausbildung einer wachsenden Zahl von Schülerinnen und Schülern als Streitschlichter oder Konfliktlotsen führt offensichtlich nicht nur zu der beabsichtigten Veränderung des eigenen Verhaltens im individuellen Nah- bzw. Schulbereich. Sie scheint auch kritische Einstellungen gegenüber der Gewaltanwendung im internationalen Bereich sowie die Bereitschaft zur Zivilcourage angesichts der als ungerecht empfundenen Kriege zu fördern. Der Focus auf den Nahbereich wurde angesichts der lauten Kriegsrethorik und –bereitschaft sowie der andererseits prognostizierten schrecklichen Folgen für die vom Krieg betroffenen Menschen verlassen. „Viele Schüler verlieren derzeit ihre politische Naivität“, so lautete ein Fazit des Berliner Soziologen Dieter Rucht aus seinen Untersuchungen des Protestes gegen den Irak-Krieg. Vor diesem Hintergrund sollten die jugendlichen Proteste auch denjenigen Anlass zum Nachdenken geben, die seit Jahren einer umfassenden Politikverdrossenheit bei Jugendlichen das Wort reden. Demgegenüber behauptet der Sozialwissenschaftler Michael May: „Das Vertrauen in politische Parteien, selbst in etablierte NGOs (Nichtregierungsorganisationen) ist bei Jugendlichen tatsächlich erheblich gesunken, aber es ist nicht gleichzusetzen mit politischem Desinteresse“. Schließlich aber förderte die mehrheitliche Ablehnung des Krieges in der Gesamtgesellschaft und die umfassenden Medienberichte die Bereitschaft zum Mitprotestieren. Gerade in bezug auf Jugendliche ist es keinesfalls anrüchig, wenn deren Interesse an Friedenspolitik und demonstrationen als demokratischer Ausdrucksform dann wächst, wenn man sich nicht nur mit vielen einflussreichen gesellschaftlichen Gruppen und Organisationen (wie zum Beispiel den Kirchen), sondern auch mit den eigenen Stars und Idolen aus Film, Musik und Fernsehen in einer Reihe sieht. Dieses angenehme Gefühl, ohne allzu hohe soziale Kosten (Ausgrenzung, Diskriminierung) protestieren zu können, wurde dadurch verstärkt, dass sich die engagierten Jugendlichen – vermittelt über die Medien – wohl erstmals in diesem Ausmaß als Teil einer weltweiten Öffentlichkeit gegen den Krieg wahrgenommen haben. Diese Tatsache beeinträchtigt nicht die vielfach bestätigte Beobachtung: „Den allermeisten Schülerinnen und Schülern war das Mitdabeisein bei den Demos ein inneres Bedürfnis und ein sehr ernstes Anliegen” (Schulz 2003, S. 9). Um Missverständnissen vorzubeugen: Neben der strikten gewaltablehnenden und friedensorientierten Haltung finden sich auch unter den Schülerinnen und Schülern wie in der Gesamtgesellschaft Befürworter militärischer Interventionen. Ob und in welcher Form die daraus resultierenden Kontroversen ausgetragen wurden, ist situationsbedingt und es bleibt zu wünschen, dass auch hier die Erfahrungen der Streitschlichterausbildung Früchte tragen. Bedenklicher ist aber, dass sich manche, die im Nahbereich Gewalt als Kommunikationsmittel oder Methode der Interessensdurchsetzung bevorzugen, durch die Botschaft des Irak-Krieges be37
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stärkt fühlen werden. Denn mehr als jemals zuvor scheint in der internationalen Politik das „Recht des Stärkeren” zu gelten – eine fatale Botschaft für den Alltag. Die Ambivalenz von Medien und Internet in Kriegszeiten Wenn die eben beschriebenen Beobachtungen und Entwicklungen zutreffen, stellt sich aus friedenspädagogischer Sicht mit Nachdruck die Frage, ob und wie die Schülerinnen und Schüler auf diesem mehrheitlich gewaltkritischen Weg inhaltlich begleitet werden bzw. auf welche Informationsquellen sie zurückgreifen können. Dabei spielen die Medien eine immer bedeutendere und interessante neue Rolle. Bereits nach dem 11. September 2001 war nach Beobachtung von Medienfachleuten das Fernsehen eine wichtige Kommunikationsquelle für Kinder und Jugendliche: „Viele Lehrer standen selbst noch unter einer Art Schock oder sahen sich einfach nicht in der Lage, mit den Schülern über das Ereignis zu diskutieren. So blieb als einziger Ansprechpartner für viele paradoxerweise nur noch das Fernsehen übrig: Das Kika-Angebot (Kinderkanal), sich Hilfe suchend per E-Mail, Fax oder Telefon zu melden, wurde zigtausendfach angenommen (Gangloff 2002, S. 20). Auch zum Irak-Krieg wurde Kindern und Jugendlichen vorrangig im Rahmen der Kindernachrichten-Sendung logo ein speziell aufbereitetes Informationsangebot präsentiert. Neben dem Fernsehen versuchten auch einige Rundfunksender, mit Kindernachrichten dem Bedarf nach Informationen zu entsprechen. Ergänzt wurden die Angebote jeweils durch Internet-Auftritte. Unter der Adresse blindekuh.de, einer speziellen Suchmaschine für Kinder, waren die dementsprechenden Angebote leicht zu finden. Sie enthielten aktuelle Nachrichten und Korrespondentenberichte aus dem Irak und verzichteten dabei auf belastende Fotos und Filmberichte. Berichtet wurde dagegen – mit den beschriebenen Folgen – ausführlich über die Schülerproteste, aber auch über Hilfsmöglichkeiten für irakische Opfer. Gleichwohl waren handfeste Informationen gewünscht: Besonders gefragt waren nach Angaben der Medienmacher Hintergrundberichte über den Irak, also über Geographie, Land und Leute sowie Antworten auf grundlegende Fragestellungen wie „Warum Krieg?“. Friedenspädagogische Qualifizierung der jugendlichen Informations- und Protestbereitschaft Für die inhaltliche Auseinandersetzung mit Krieg und Frieden im Unterricht gibt es eine Reihe von bereits bewährten und aktuellen didaktischen Materialien und auch in Schulbüchern zur internationalen Politik haben friedenspädagogische Ansätze Eingang gefunden (Gugel / Jäger 2001). Das Internet eröffnet Lehrerinnen und Lehrer vielfältige Informationsmöglichkeiten und die Angebote wurden während des Irak-Krieges erweitert (www.friedenspaedagogik.de). Neben Fachunterricht und Projekttagen bieten sich im schulischen Bereich vor allem die Streitschlichterprogramme an, um verstärkt auch über Fragen der internationalen Politik zu informieren. Im außerschulischen Bereich dürften aus dem Bereich der Bildungsträger vor allem die Bildungsangebote gesellschaftlicher Gruppen wie der Kirchen, der Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung und der Nichtregierungsorganisationen sowie die Angebote der Fernseh- und Rundfunkanstalten die aussichtsreichsten Umsetzungschancen für eine weitergehende friedenspädagogische Qualifizierung bieten. Denn trotz des bestehenden Angebotes gibt es eine Reihe von Defiziten. Diese werden vor allem dann sichtbar, wenn es darum gehen soll, die drei wesentlichen Ebenen friedenspädagogischer Vermittlungstätigkeit (Mitfühlen, Verstehen, Handeln) orientiert an den Bedürfnissen der Zielgruppen zeitgemäß zu berücksichtigen. Welche Ansätze und Themen sollten nach den Erfahrungen des Irak-Krieges auf diese Agenda gesetzt werden? 1. Qualifizierung der Medien- und Internetangebote für Kinder und Jugendliche Zusätzlich zu den Angeboten für Erwachsene ist es zwingend geboten, dem Medienverhalten der Kinder und Jugendlichen gerecht zu werden und ihnen eine verstärkte Auswahl von Informationsmöglichkeiten und -sendungen in Fernsehen, Rundfunk und Internet zu bieten. Die Nut38
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zung der bestehenden Angebote für Kinder und Jugendliche nach dem 11. September und während des Irak-Krieges zeigen die hohe Bedeutung. Prioritär ist die Entwicklung von Kriterien und Standards zur Bewertung bestehender Angebote ebenso wie die Entwicklung von spezifischen, friedenspädagogisch orientierten Angeboten. „Nahaufnahmen von menschlichem Leid haben bei uns nichts zu suchen”, so der Programmgeschäftsführer des Kinderkanals, Frank Beckmann, über ein Merkmal der Kindernachrichten-Sendung logo. Andere Kriterien müssen hinzu kommen, um die notwendige und vorzunehmende Reduktion der Komplexität bei friedenspolitischen Fragen bewerten zu können – zum Beispiel bei der Frage „Warum Krieg?”. Noch gibt es kein substantielles, dauerhaftes Internetangebot für Kinder zu den Fragen von Krieg und Frieden. Hier sind Kompetenzen aus Friedensforschung und Friedenspädagogik in enger Zusammenarbeit mit Medienfachleuten neu gefordert. 2. Auseinandersetzung mit Überlebens- und Dilemmatafragen „Kinder erwarten nicht, dass ihnen Erwachsene alle Zumutungen der Realität, Ungerechtigkeiten der Welt und Schrecknisse des Lebens ausreden oder aus dem Weg räumen. Sie hoffen allerdings darauf, solche Belastungen mit den ihnen wichtigsten Menschen teilen zu können und mit ihren Sorgen Gehör zu finden. Sie erwarten also keine Helden und auch keine Allwetterrezepte, sondern Austausch und Teilnahme.“ (Hilgers 2003, S. 1) Wer sich intensiv mit dem IrakKrieg beschäftigt wird mit grundlegenden Fragen des menschlichen Zusammenlebens in der „Einen Welt“ konfrontiert („Recht des Stärkeren“). Krieg führt darüber hinaus wie kein zweites politisches Ereignis Gewissensentscheidungen und Dilemmata-Situationen vor Augen, in denen man sich entscheiden muss und dabei – egal wie die Entscheidung ausfällt – Schuld auf sich laden kann. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Auf den Zusammenhang von „Befehl und Gehorsam“ in militärischen Entscheidungssituationen hat sogar der amerikanische Präsident George W. Bush hingewiesen, wenn auch nur mit Blick auf die irakische Seite. In seiner Rede vom 18. März 2003 führte er aus: „Kriegsverbrechen werden verfolgt werden. Kriegsverbrecher werden bestraft. Und es ist keine Entschuldigung zu sagen, ‚ich habe nur Befehle befolgt’“. Das „Töten im Krieg“ ist ein weiteres Thema, das vor dem Hintergrund eventuell anstehender, neuer Präventivkriege grundlegender Diskussion bedarf: „Es war anders als jede andere Erfahrung in meinem Leben“, wird der 20-jährige Hauptgefreite der Marineinfanterie, Daymond Geer aus Sacramento, zitiert. Er hatte auf einen irakischen Soldaten einen tödlichen Schuss abgegeben. 3. Aufwertung von friedens- und sicherheitspolitischen Fragen Friedens- und sicherheitspolitische Fragen haben in den zurückliegenden Jahren im Rahmen der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung eher ein Schattendasein geführt. Der IrakKrieg hat aber gezeigt, dass diese eher als abstrakt gewerteten Themen neue Alltagsrelevanz gewinnen, so zum Beispiel für Wehrpflichtige, deren Angehörige und Freunde. Der Umgang mit diktatorischen Regimes, die Frage der Einhaltung des Völkerrechts oder die Bedeutung der Gewaltfreiheit sind kontroverse Themen, die einer gesellschaftlichen Debatte bedürfen. „Gewalt und Waffen können nie die Probleme der Menschen lösen“, der Irak-Krieg sei eine „Gefahr für das Schicksal der Menschheit“ – so Papst Johannes Paul II in seiner ersten Stellungnahme nach Kriegsbeginn. Auch die Evangelische Kirche hat sich vehement gegen den Krieg ausgesprochen. Jetzt kommt es darauf an, Konsens und Dissens in den über Krieg und Frieden entscheidenden Fragen sichtbar zu machen. Menschenrechte und die Entscheidungskriterien in der Außenpolitik sind ein eher undurchsichtiges, aber folgenschweres und klärungsbedürftiges Feld. Die Entstehungsgeschichte des aktuellen Irak-Krieges weist auf zahlreiche Versäumnisse in der Außen-, Sicherheits- und Menschenrechtspolitik auch der Bundesregierung und des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen hin. Zu den schwerwiegensten Fehlern gehört die Förderung des Diktators Saddam Hussein in den achtziger Jahren als vermeintlichen „Garanten der Sicherheit“ in einer instabilen Region und die Verhängung von Sanktionen in den neunziger Jah39
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ren, unter denen die Bevölkerung des 20 Millionen-Staates in unerträglicher Weise zu leiden hatte und zu leiden hat. Der angemessene Umgang mit Menschenrechtsverletzungen weltweit wird zu einem neuen Prüfstein für eine friedlichere Welt nach dem Irak-Krieg werden. Für die Bildungsarbeit ist es notwendig, mehr Einblicke in politische Entscheidungsabläufe zu erreichen und die gesellschaftlichen Teilhabemöglichkeiten an friedens- und sicherheitspolitischen Fragen zu erhöhen. Nach den Erfahrungen des Irak-Krieges wäre es weiterhin an der Zeit, Grundsätze, Prämissen und Probleme des friedlichen Zusammenleben der Völker didaktisch neu zu entschlüsseln und Kindern verständlich zu machen („Völkerrecht für Kinder“). Hierzu gehört auch eine Förderung der Betrachtung langer Zeiträume, um sich nicht in der Aktualität zu verlieren. 4. Krieg, Frieden und Lebensstil in einer globalisierten Welt Krieg, Frieden und Lebensstil – Verknüpfungen zwischen Wohlstandsicherung und Sicherheitsbedürfnisse auf der einen Seite und Benachteiligungen und Kriegsgeschehen auf der anderen Seite werden in einer globalisierten Welt immer enger und können im Rahmen politischer Bildungsarbeit in ihren Alltagsbezügen verstärkt sichtbar gemacht werden. Gesellschaftliche und persönliche Verknüpfungen liegen zum Beispiel vor, wenn es in den Kriegen dieser Welt neben den anderen Faktoren auch um Ressourcen wie Öl (Irak-Krieg) oder Coltan (Krieg im Kongo) geht und das eigene Wohlstandsverhalten überprüft werden kann. Gerade für Jugendliche kann es bedeutsam sein, wenn ihnen Zusammenhänge zwischen dem Verbrauch von elektronischen Chips für Handys und den Bürgerkriegswirren in Afrika sichtbar werden. Schließlich geht es dabei auch um die Frage, zu welchem Preis für andere wir bereit sind, das eigene Sicherheits- und Wohlstandsbedürfnis zu befriedigen. In die Konzeptionen dieses Ansatzes müssen allerdings die Hinweise auf die Problematik der Empathie-Bildung mit dem „fernen Nächsten“ berücksichtigt werden. Darauf wird im Rahmen der Auseinandersetzung mit den Ansätzen des globalen Lernens nachdrücklich verwiesen (Seitz 2000, S. 86ff.). 5. Jenseits von Hass, Gewalt und Krieg – Den anderen Blick auf diese Welt öffnen Diese Welt ist nicht nur voll Hass und Gewalt. Dieser Eindruck entsteht für Kinder und Jugendliche besonders dann, wenn in Zeiten aktueller Kriege nur noch über Gewalt und Kriegsgräuel berichtet wird. Politische Bildung muss mit dazu beitragen, dass der Blick nicht verstellt wird und Entwicklungen konstruktiver Konfliktbearbeitung und erfolgreiche Friedensprozesse sichtbar werden. Hier sind neue Wege notwendig (Jäger 2001), die allerdings intensiver wissenschaftlicher und journalistischer Vorarbeiten bedürfen. Ein interessanter Ansatz stellt das aktuelle Peace-Counts-Projekt des Wissenschaftsjournalisten Michael Gleich dar. Gemeinsam mit profilierten Fotographen sollen weltweit 100 Best-Practice-Beispiele erfolgreicher Friedensgestaltung dokumentiert und veröffentlicht werden. Mit der Umsetzung der beabsichtigten Projektvorhaben kann eine Lücke geschlossen werden, die vor allem in der Jugend- und Erwachsenenbildung seit Jahren bedauert wird. Dort fehlt es an nachvollziehbaren Beispielen, wie sich Menschen weltweit in ihrem Alltag erfolgreich für den Frieden engagieren. Die Dokumentation von Beispielen gelungener Friedensprozesse anhand der Biographien und Erfahrungen von Menschen aus den Kriegs- und Krisenregionen dieser Erde und die zeitgemäße multimediale Umsetzung der Ergebnisse stellt deshalb eine faszinierende friedenspädagogische Herausforderung dar. Durch das Projekt „Peace Counts“ eröffnen sich neue und große Chancen, um Kindern und Jugendlichen Mut zur kontroversen Auseinandersetzung mit zentralen Überlebensthemen der Menschheit und zum Friedensengagement zu machen. Literatur Gangloff, Tilmann P.: Schlechte Nachrichten – schreckliche Bilder. Mit Kindern belastende Medieneindrücke verarbeiten. Freiburg im Breisgau 2002. 40
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Gugel, Günther / Jäger, Uli: Internationale Politik. Sozialwissenschaftliche Studien für den Sekundarbereich II. Schroedel Verlag, Hannover 2001. Hilgers, Micha: Krieg in Kinderseelen. In: Frankfurter Rundschau, 26.3.2003. Jäger, Uli: Friedensstrategien – eine Bilderbox. Einblicke in die Welt ziviler Konfliktbearbeitung. Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V., Tübingen 2001. Mikos, Lothar: Von Kriegen und Verbrechen. Ästhetik der Gewaltdarstellung in Nachrichten. In: tv-diskurs, Heft 24 / 2003. Rucht, Dieter: Das Bild vom Querschnitt der Bevölkerung ist falsch. In: Frankfurter Rundschau, 21.3.2003. Schulz, Werner: Nachsitzen für den Frieden? In: Zivil, Heft 2 / 2003, S. 9. Seitz, Klaus: Bildung für ein globales Zeitalter? Mythen und Probleme weltbürgerlicher Erziehung. In: Annette Scheunpflug / Klaus Hirsch (Hrsg.): Globalisierung als Herausforderung für die Pädagogik. Frankfurt / Main 2000.
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Auch in Afrika: Der Kampf ums Öl und die Menschenrechte Walter Schwenninger, Weltladen Tübingen Der Referent begann mit einem didaktischen Gegenstand: Ein aus Schellöldosen gelöteter Leuchter für Kerosin in Gestalt eines Flugzeuges wies auf den Nigeria-Biafrakrieg hin, der offiziell als religiös-ethnischer Konflikt immer betrachtet wurde: Aber in Wirklichkeit hatten es die internationalen Ölkonzerne auf das schwarze Gold abgesehen. Die einen setzten auf die Zentralregierung in Lagos mit Präsident Gowon, die anderen auf die abgefallene Provinz im Nigerdelta Biafra mit Oberst Ojukwu. Millionen Menschen verloren ihr Leben. Der Referent war selber damals als Entwicklungs- und Rotkreuzhelfer in Nigeria und half den verhungerten Kindern in den Flüchtlingslagern. Viele Leute sagten damals, so etwas darf sich nie wiederholen! Das Öl sollte für alle Menschen da sein. Später gab es bei der Ausbeutung des Öls immer wieder Menschenrechtsverletzungen und Naturzerstörung schlimmster Art wie das Beispiel der Ogoni mit dem Dichter und Umweltschützer Ken Saro Wiwa. Immer waren uniformierte Streitkräfte mit deutschen Waffen, G-3-Gewehren in Daimler-Benz-Militärfahrzeugen beim Niederbrennen der Dörfer mit dabei. Wenn auch Greenpeace und andere Organisationen innerhalb einer großen Ölboykott-Kampagne den Ölgiganten Schell unter Zugzwang brachten, blieb es bisher dabei: Öl wird unter Missachtung der Menschenrechte aus Nigeria exportiert und im Norden des Erdballs verbraucht. Wohl wissend, dass ein Nordamerikaner 1000 Mal mehr Energie am Tag verbraucht als ein Mensch in Afrika. Weshalb? Weil die Öllobby, vor allem die nordamerikanische, vor allem seit dem Irakkrieg den afrikanischen Kontinent als Öllieferant ins Auge gefasst hat. In den nächsten 20 Jahren soll Afrika die 15%-Quote von Export nach USA auf 30% verdoppeln. Deshalb werden neben Angola neue Erdölfelder im Tschad, Zentralafrika und im Sudan erschlossen. Überall handelt es sich um fragwürdige, zum Teil in Bürgerkriegen sich befindende Staaten und jede Pipeline kann ein Ziel feindlicher Angriffe sein. Und die Frage sei erlaubt? Wer profitiert bei der Ölausbeute? Die armen Menschen in den ländlichen Regionen? Außerdem existieren im Pentagon Pläne für mehr militärische Engagement auf dem vergessenen Schwarzen Kontinent: Ähnlich dem Eucom-Center in Stuttgart soll es einen afrikanischen Center in Sao Tome der Insel für künftige militärische Einsätze bei der Sicherung künftiger Ölquellen geben. Eine Marinebase und ein Flugplatz sind geplant. Hier wurden nun mithilfe des „Atlas der Weltverwicklungen“ des Welthauses in Bielefeld dargestellt, welche Rolle Afrika als wichtige Energiequelle, welche geringe Rolle es aber innerhalb des Welthandels spielt. Beim Anschluss ans internationale Elektroniknetz belegt der Kontinent mit 1% den letzten Platz. Im 10. Jahr nach dem Erdgipfel in Rio sollte darüber reflektiert werden, wie die ökologische Krise auf der Welt speziell auch auf dem schwarzen Kontinent gemeistert werden kann: Durch weitere Umwelt zerstörende Ölausbeutung der nördlichen Konzerne oder durch eine ökologische Wende, die alternative Energiegewinnung bei einer gerechten, zukunftsfähigen Entwicklung im Auge hat. Ein Thema durchaus auch für Schulen.
Walter Schwenninger Landesarbeitskreis Schule für Eine Welt
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Die Multikulti-Schule - Perspektiven für die Integration von Schüler/innen mit Migrationshintergrund Konzeption: Rita Wohlgemut, Rektorin der Kopernikusschule Köln Moderation: Robert Feil, Landeszentrale für politische Bildung
Ziele der unterrichtlichen Tätigkeit und des gemeinsamen Miteinander sind: Stärkung der eigenen Muttersprache und Kultur (Muttersprachlicher Unterricht ) Förderung in der deutschen Sprache (Förderunterricht auf verschiedenen Niveaus) Akzeptanz der erzieherischen Ziele (Schulordnung, soziales Lernen, Lernatmosphäre) Begegnung mit anderen Kulturen und Sprachen im Regelunterricht (Deutsch, Englisch, Religion, Feste) Respektieren von Menschen anderer Herkunft, Religion und Rasse, sich mit diesen auseinandersetzen und mehr über sie erfahren (Religion, Deutsch, Projektwoche zur Gewaltprävention einmal pro Jahr) Interesse bei Migrant/inneneltern für die schulische Arbeit wecken (Schulmitwirkungsorgane, spezielle Elternabende) Einbindung von Migrant/inneneltern in die Berufsorientierungsphase (Themengebundene Elternabende) Gewinnung von Ausbildungsplätzen für Migrant/innen in ortsnahen Betrieben über Praktika, Schnuppertage etc. Kooperation mit Betrieben, Berufskollegs, Maßnahmeträgern etc., um die Ausbildungschancen von Migrant/innen zu erhöhen.
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Bildung unter Globalisierungsdruck – Trends der Bildungsreform in Nord und Süd Eva Maria Hartmann, GEW / PD Dr. Klaus Seitz, epd-Entwicklungspolitik Das Globale Lernen ist wesentlich von dem Anliegen geprägt, die Bildungspraxis in unserem Land weltoffener zu gestalten. Angesichts einer Welt, die sich mehr und mehr vernetzt, werden die hergebrachten Lerninhalte, -ziele und -methoden als erneuerungsbedürftig erlebt. Unter den Bedingungen der Globalisierung muss Bildung auf die Entfaltung von Handlungskompetenz im Zeichen weltweiter Solidarität zielen. Und sie muss die Achtung vor anderen Kulturen, Lebensweisen und Weltsichten stärken. Globales Lernen lässt sich daher auch als der Versuch einer pädagogischen Antwort auf die globalen Herausforderungen charakterisieren. Doch die Globalisierung bietet nicht nur Anlass, über eine Neuorientierung der Inhalte und Ziele von Bildung nachzudenken und im Sinne des Globalen Lernens nach neuen Lernwegen zu suchen, die die Möglichkeit einer zukunftsfähigen Gestaltung des Globalisierungsprozesses eröffnen. Umgekehrt übt der verschärfte globale Wettbewerb auch einen enormen Druck auf die Anpassung der nationalen Bildungsstrukturen aus - und dies weltweit. Unter dem Einfluss globaler Entwicklungen steht die Bildungslandschaft in reichen wie in armen Ländern vor einer grundlegenden Umgestaltung. Weltweit lässt sich das Vordringen von marktorientierten Bildungsreformen beobachten, die in letzter Konsequenz auf einen Ausverkauf der öffentlich verantworteten Bildung hinauslaufen. Mit einigen Trends dieser Umbrüche in der weltweiten Bildungslandschaft, wie auch mit den damit verbundenen Risiken, befasste sich diese Arbeitsgruppe. Bildung für alle? Wer betrachten will, wie sich Bildung weltweit vollzieht und verändert, muss zunächst vor allem eines vergegenwärtigen: dass wir es auch in diesem Bereich mit einer gespaltenen Welt zu tun haben. Die extreme Kluft zwischen Reich und Arm, die sich in den vergangenen Jahrzehnten ungeachtet des globalen Wachstumsschubs noch weiter vertieft hat, schlägt sich zwangläufig auch im Bildungswesen nieder. Während bei uns inzwischen die meisten Schulen ans Internet angeschlossen sind und wir darüber nachdenken können, jeden Schüler bereits in der Grundschule mit einem Laptop auszustatten, fehlt es in den meisten Schulen der Welt an Lesebüchern, an Tafeln, Stühlen, selbst an Bleistiften. Die Industriestaaten wenden jährlich durchschnittlich 5.000 Euro pro Kopf eines jeden Grund- und Sekundarschülers auf, demgegenüber stehen in den 49 ärmsten Ländern der Welt (den „LDCs“) für jede/n Schüler/in noch nicht einmal 30 Euro pro Jahr zur Verfügung. Wenngleich in den OECD-Staaten zusammen genommen gerade einmal ein Fünftel der Weltbevölkerung lebt, können dort rund vier Fünftel der weltweiten öffentlichen Bildungsausgaben getätigt werden. Mehr als 110 Millionen Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 6 und 14 Jahren, das heißt jedes fünfte Kind dieser Altersgruppe, sind noch immer vom Schulbesuch ausgeschlossen. In Indien oder Pakistan besucht nur jedes zweite Kind eine Schule. Und darüber hinaus gelten 860 Millionen Erwachsene, zwei Drittel davon sind Frauen, als Analphabeten. Das Recht auf freie und unentgeltliche Grundbildung für alle ist zwar menschenrechtlich verbürgt. Doch zu befürchten ist, dass das von der Weltgemeinschaft mehrfach bekräftigte Ziel, Bildung für alle zu verwirklichen - angesichts des weltweiten Trends zur Umwandlung der Bildung von einem öffentlichen Gut zu einer international gehandelten Ware - vollends in weite Ferne rückt.
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Wie sehr Bildung selbst an Globalisierungsprozessen teilhat und gleichzeitig von ihnen unter Druck gesetzt wird, zeigt sich an „PISA“. Auf den ersten Blick muss es verblüffen, weshalb ein internationaler Schulleistungsvergleich erstmals eine solche öffentliche Resonanz in Deutschland erzielen konnte. Denn dergleichen Vergleichsstudien gibt es seit Beginn der sechziger Jahre. Der Aufruhr, den PISA nun ausgelöst hat, ist Indikator für die gewachsene Bedeutung, die internationalen Bildungsstandards im Zuge eines weltweiten „Wettbewerbs um die besten Köpfe“ heute beigemessen wird. Ein deutlicher Rückstand des eigenen Bildungsniveaus in der Erfüllung der gesetzten Weltstandards kann offenbar nicht länger ungestraft ignoriert werden. Schulleistungsvergleiche wie PISA sind Ausdruck einer fortschreitenden Globalisierung der pädagogischen und bildungspolitischen Diskussion. Marktorientierte Bildungsreform Das Koordinatensystem, in dem sich nationale Bildungspolitiken und nationale Bildungsdiskurse positionieren, hat sich im Zuge des Globalisierungsprozesses grundlegend verschoben. Dass sich die Bildungspolitik heute gezwungen sieht, ihre Reformbemühungen an internationale Maßstäbe und Errungenschaften anzukoppeln, dürfte vor allem mit zwei globalen Transformationsprozessen zusammenhängen: einerseits dem Umbau der Weltwirtschaft hin zu einer globalen Wissensökonomie, in welcher Bildung als ausschlaggebender Standortfaktor im internationalen Wettbewerb wirksam wird, andererseits dem wachsenden Einfluss, den die von transnationalen Organisationen wie OECD oder Weltbank entwickelte „globale“ pädagogische Reformjargon auf die nationalen bildungspolitischen Leitbilder nimmt. Mit dem Eifer, der nun im Namen einer entstehenden „globalen Wissensgesellschaft“ darauf verwandt wird, die internationalen Vorgaben zu erfüllen und bildungspolitisch den internationalen Anschluss nicht zu verpassen, werden auch im deutschen Bildungswesen marktorientierte Reformtendenzen zur Geltung kommen, die in den bildungspolitischen Trendsetternationen wie England, Finnland, Australien oder Neuseeland schon wesentlich stärker ausgeprägt sind. Dazu zählen insbesondere die Umstellung der bildungspolitischen Steuerung von einer Input- zu einer OutputSteuerung, die Umsetzung des neuen bildungspolitischen Leitbildes vom „Lebenslangen Lernen“, die Orientierung an „neuen Schlüsselkompetenzen“, die vor allem den veränderten Qualifikationsbedarf der Wissensökonomie zum Ausdruck bringen, die fortschreitende Privatisierung der Bildung, verbunden mit der Entstehung eines kommerziellen grenzüberschreitenden Bildungsmarktes. Insbesondere der zuletzt genannte Punkt dürfte einen massiven Einfluss auf das Bildungswesen weltweit haben. Bildung, als handelbare Dienstleistung verstanden, verspricht ein lukratives Geschäft zu werden. Für den grenzüberschreitenden Handel sind insbesondere virtuelle Angebote wie Fernuniversitäten, Sprach- und Trainingskurse sowie die dazu gehörenden Tests von Interesse. Novell, Microsoft und Cisco zum Beispiel bieten ein globales System von derzeit 400 Kursprogrammen im Bereich von Computerfertigkeiten an. Um diese zu zertifizieren, führen sie täglich bis zu 35 000 Tests mit einem angestrebten Umsatz von 4 Mrd. US $ durch. Von wachsender kommerzieller Bedeutung sind auch Niederlassungen von ausländischen Universitäten und ausländische Studierende an einheimischen Privatunis, die in den USA bereits heute jährlich etwa 10 Mrd. US $ ins Land bringen. Triebfedern sind einerseits die grenzüberschreitenden Potenziale im Multimedia- und Telekommunikationsbereich. Andererseits zwingt die weltweit wachsende öffentliche Armut staatliche 45
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Einrichtungen nicht nur im Bildungsbereich zum Eintreiben von Drittmitteln und ist damit immer mehr dem Einfluss der privaten Wirtschaft ausgesetzt. GATT: Freier Handel mit Bildungsdienstleistungen Weltweit agierende Unternehmen sehen ein großes Problem darin, dass Dienstleistungsmärkte weniger durch klassische Handelshemmnisse wie Zölle geschützt werden, sondern vor allem durch innerstaatliche Regelungen wie Gesetze, Verordnungen, Verwaltungsrichtlinien, ökologische Normen oder soziale Standards. Dazu gehören z.B. Visavorschriften, Prüfungsordnungen und Lehrpläne und Gebühren für Gewinntransfer. Mit dem Ziel eines globalen freien Handels mit Dienstleistungen haben sich daher bereits Mitte der 1980er Jahre Unternehmen, die im Dienstleistungsbereich aktiv sind, zusammengeschlossen. Das Ziel ihrer Lobbyarbeit besteht darin, alle nationalen Beschränkungen zu unterbinden, die dem freien Warenverkehr im Wege stehen oder die im Ausland getätigten Investitionen gefährden könnten. Besonders aktiv im Bereich privater Angebote von Bildungsdienstleistung sind die USA, Australien und Neuseeland. Als wirksames Instrument für die Durchsetzung der Unternehmensinteressen soll das GATS (General Agreement on Trade in Services) unter dem Dach der Welthandelsorganisation WTO dienen. Es ist das erste multilaterale Handels- und Investitionsschutzabkommen für den privaten und teilprivatisierten Dienstleistungsbereich, das die Grundlagen für eine fortschreitende Liberalisierung des internationalen Handels schaffen soll. Zum Konzept von GATS gehören verbindliche und klar definierte Zusagen im Hinblick auf alle Dienstleistungen, für die der Markt geöffnet werden soll. Einmal gemachte Zusagen können kaum mehr zurück genommen werden. Hinzu kommt, dass gemäß des so genannten Meistbegünstigungsprinzips grundsätzlich alle bilateral vereinbarten Vergünstigungen allen am GATSProzess beteiligten Ländern zu Gute kommen müssen. Nach einer Marktöffnung darf nicht mehr zwischen ausländischen und einheimischen Bildungsanbietern unterschieden werden. Daraus ergeben sich absehbar und gewollt weit reichende Konsequenzen. Es ist eine massive Konkurrenz zwischen staatlichen und privaten Anbietern um öffentliche Finanzierung zu erwarten. Der Effekt dürfte nicht nur in einer Umverteilung bestehen, sondern auch darin, dass die insgesamt für Bildung bereit gestellten Mittel weiter sinken werden. Politisch beschlossene innerstaatliche Regelungen und Standards im Bildungsbereich stehen unter dem Druck der Interessen privater Anbieter. Auch die Frage, ob Staatsaufträge in Zukunft weltweit ausgeschrieben werden müssen, dürfte für Konfliktpotenzial sorgen. Damit greift das GATS weit in die Innenpolitik der WTO-Mitglieder ein und berührt zentrale und sensible Bereiche demokratisch kontrollierter staatlicher Regelungshoheit. Erfahrungen mit bisherigen Liberalisierungen und Privatisierungen öffentlicher Dienstleistungen lassen Qualitätseinbußen und Preissteigerungen befürchten, verbunden mit einem erschwerten Zugang zu Bildung, Entlassungen, Lohnsenkungen und die Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse. Durch diese Entwicklungen stehen die Grundwerte eines demokratischen Bildungswesens auf dem Spiel: der freie Zugang für alle zu den Bildungseinrichtungen, Chancengleichheit und demokratische Rechte der Bildungsteilnehmer/innen, aber auch die kulturelle Selbstbestimmung der Nationen. Wieder einmal sind die Länder des Südens ganz besonders betroffen. Wenn sie dem Druck nachgeben, ihre Märkte für internationale Konzerne zu öffnen, ist ihnen die Möglichkeit genommen, ihre eigene Wirtschaft zu schützen, um sie fördern zu können.
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Wachsende Bildungskluft Die globalen Bildungsdisparitäten werden sich jedoch unter diesen Vorzeichen weiter verschärfen. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass über 70 Länder, in denen insgesamt fast zwei Drittel der Weltbevölkerung leben, die bei der Weltbildungskonferenz 2000 vereinbarten Ziele aus eigener Kraft nicht erreichen werden. Bei der Konferenz in Dakar hatte sich die Staatengemeinschaft darauf verständigt, bis zum Jahr 2015 allen Kindern eine abgeschlossene Primarbildung zu ermöglichen, alle geschlechtsbedingten Benachteiligungen auszugleichen und die Zahl der erwachsenen Analphabeten zu halbieren. Dazu kommt: Je mehr die Qualität der Bildung als Faktor gesellschaftlichen Wohlstands und des individuellen Lebenslaufs an Gewicht gewinnt, desto größer wird das Risiko für die Bildungsbenachteiligten, in eine Abwärtsspirale zu geraten, an deren Ende sie von der Mitwirkung an den meisten gesellschaftlichen Funktionssystemen ausgeschlossen sind. Der wachsende Stellenwert der Bildung und die zunehmende Notwendigkeit, sich, will man den sozialen wie beruflichen Anschluss nicht verlieren, „von der Wiege bis zur Bahre“ lebenslang wie lebensweit, kontinuierlich weiterzubilden, wird eine Verschärfung der sozialen Polarisierung mit sich bringen. Und dies gilt nicht nur zwischen gebildeten und weniger gebildeten sozialen Schichten innerhalb der jeweiligen Nationen: angesichts des offensichtlichen Bildungsnotstands in vielen Ländern der Dritten Welt und Osteuropas droht gar, wie die Weltbank prognostiziert (vgl. World Bank 2002), ganzen Regionen und Staaten die Abkoppelung vom weltwirtschaftlichen Geschehen. Literatur: epd-Entwicklungspolitik 12/2002: Bildungspolitik der Weltbank, Frankfurt/M. 2002. Lohmann, Ingrid/Rilling, Rainer (Hrsg.): Die verkaufte Bildung. Opladen 2002. Seitz, Klaus: Der schiefe Turm von PISA – nur die Spitze eines Eisbergs? In: Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik ZEP Heft 1/2003. Seitz, Klaus: Bildung in der Weltgesellschaft. Gesellschaftstheoretische Grundlagen Globalen Lernens. Frankfurt/Main 2002. Scherrer, Christoph/Fritz, Thomas: GATS: Zu wessen Diensten? Öffentliche Aufgaben unter Globalisierungsdruck. Hamburg 2002. World Bank: Constructing Knowledge Societies. New Challenges for Tertiary Education. Washington 2002.
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Thesen in der Podiumsdiskussion Dr. Martin Frädrich, IHK Region Stuttgart 1. Die Wirtschaft als Triebfeder der Globalisierung ist auch Lobby für Globales Lernen. Weltweiter Handel und international vernetzte Produktionsstätten vertragen kein kleinkariertes Denken. Die Wirtschaft braucht „kluge Macher“, die Verantwortung für sich und andere übernehmen. Dies bedeutet eine Akzentverschiebung hin zur Persönlichkeitsbildung und zu „soft skills“ gesteigert werden muss die „Fähigkeit, die Komplexität der Welt besser wahrzunehmen“. 2. Ein Schlüssel für Globales Lernen ist die berufliche Bildung. Allein im IHK-Bereich gibt es über 150 Berufe, in denen die Unternehmen ausbilden; insgesamt durchlaufen zwei Drittel aller Jugendlicher eine duale Ausbildung in Betrieb und Berufsschule. Die unmittelbare Beziehung zur Arbeitswelt und konkretem Handeln ermöglicht es, komplexe Zusammenhänge mit all ihren Widersprüchen offen zu legen. 3. Die Praxis ist noch weit davon entfernt, die gebotenen Möglichkeiten auszuschöpfen. Globale Aspekte und nachhaltiges Wirtschaften spielen nicht nur in Berufen der Umwelttechnik und bei Laborberufen eine wichtige Rolle, sondern sind übergreifende kontinuierlich zu verfolgende Lernziele aller Ausbildungsgänge vom Industriemechaniker über den Koch bis hin zum Verkäufer. 4. Globales Lernen funktioniert nur mit der Wirtschaft. Erfolg versprechend sind vor allem Partnerschaften von Schulen mit global agierenden Unternehmen, die es Schüler/innen und Lehrer/innen ermöglichen, die relativ abstrakten Inhalte vor realem Erfahrungshintergrund mit Akteuren vor Ort zu erarbeiten. Eine aktuelle Initiative ist das von der Bundesumweltstiftung geförderte Projekt KURS 21, das am 1. April 03 ein Büro im Stuttgarter IHK - Gebäude beziehen wird. Von dort aus werden Lernpartnerschaften zwischen Wirtschaft und Schule in BadenWürttemberg mit dem Ziel organisiert, noch mehr Menschen am Lernabenteuer „Nachhaltigkeit“ zu beteiligen.
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B. Medienmarkt – Filmsichtung und Workshops
Filme zum Thema: Globalisierung und Nachhaltigkeit Trudie Joras / Raili Salmela, DGB Bildungsdienst Präsentiert wurden insgesamt vier Filme in längeren Ausschnitten, die entweder bei der Evangelischen Medienzentrale, dem Landesmedienzentrum, beim Evangelischen Zentrum für entwicklungsbezogene Filmarbeit oder bei der Fachstelle Medien der Diözese RottenburgStuttgart ausleihbar sind. Außerdem sollten die Filme für unterschiedliche Altersgruppen geeignet Wir zeigten sein. daher Filme für die Sekundarstufe 1 und 2, aber auch den assoziativen Filmessay „Profit, nichts als Profit“ von Raoul Peck, der besser in der Erwachsenenbildung einsetzbar ist. Zu unterscheiden ist dabei grob zwischen zwei verschiedenen Arten, sich dem Thema Globalisierung und Nachhaltigkeit filmisch zu nähern. Zum einen gibt es Filme, die sich einem bestimmten Gesichtspunkt weltweiter wirtschaftlicher Beziehungen widmen und z.B. anhand des Rohstoffs Zucker die verschiedenen Aspekte des globalen Handels beleuchten. Diese Filme stellen in der Regel einzelne Protagonisten in den Vordergrund, die zu ihren Erfahrungen z.B. mit dem Zuckerrübenanbau und Absatzpreisen befragt werden. Davon ausgehend werden die Hintergründe dieser Erlebnisbeschreibungen genauer untersucht, die Entstehung von Weltmarktpreisen an den US-amerikanischen Warenbörsen erläutert, die Anbaumethoden in Ländern der sog. Dritten Welt beleuchtet. Ein solcher Zugang ermöglicht und erleichtert auch jüngeren Schülerinnen und Schülern die Identifikation und den Zugang zum Thema Globalisierung. Filme dieser Machart verdeutlichen eindrücklicher die Auswirkungen des Lebens und des Konsums in den Industriestaaten auf die Lebensbedingungen in der sog. Dritten Welt. Die globale Verantwortung unseres Handels lässt sich gut und relativ leicht aufzeigen. Zum anderen gibt es Filme, die sich auf eher abstrakter Ebene dem Thema nähern. Dazu gehört der 57 Minuten lange assoziative Dokumentarfilm „Profit, nichts als Profit!“ von Raoul Peck. Er hatte von arte den Auftrag, „die Wirklichkeit in ihrer ganzen Komplexität wiederzugeben, um es möglichst vielen Menschen zu ermöglichen, die Welt, in der wir leben, besser zu verstehen“. Peck wählte einen sehr persönlichen Zugang, Kapitel wie „Hunger nach Macht“, „Zwänge“, „Märkte“, „Die Pflicht zu wagen“ und „Klassenkampf“ filmisch darzustellen und textlich zu erläutern. Neben die Interviews mit kritischen Wissenschaftlern oder Bauern und Händlern in Haiti stellt er Impressionen modernen Großstadtlebens. Darüber gelegt sind eigene philosophische Gedanken zum Profitstreben und Kapitalismus. Mit diesem Ansatz sticht Peck aus dem Gros der Filme, die sich dem Thema Globalisierung widmen heraus. Ihm ist ein Film gelungen, der zum selbständigen, eigenen Nachdenken und Reflektieren anregt. Bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern stieß der 50-minütige Dokumentarfilm „Mavuno Safi – Saubere Ernte“ von Peter Heller auf großen Zuspruch. 49
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Der Film erzählt vom Schicksal zweier Dörfer in Ostafrika. Die Menschen dort leben seit Generationen von der Baumwolle, dem wichtigsten Rohstoff der Bekleidungsindustrie. Ein Dorf baute auf die Industrialisierung der Landwirtschaft mit viel Technik und teuer importierter Chemie – und stirbt heute in der Schuldenfalle. Das zweite Baumwolldorf versuchte es dagegen mit dem biologischen Anbau von Baumwolle und erntet schon nach wenigen Jahren bescheidenen Wohlstand und blickt mit viel Zuversicht in die Zukunft. Über ein Vierteljahrhundert folgt die Kamera einem der Wege in die Armut der Schuldenkrise, nach Muhenda, einem Dorf, auf dem in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts viele Hoffnungen ruhten. Das Dorf wurde vor 30 Jahren zum Musterdorf des industrialisierten Anbaus im Land: Stolz waren die Bauern von Muhenda auf teuer importierte Traktoren und Chemie aus Europa. Mit den Jahren aber fielen die Preise für die weiße Naturfaser auf dem Weltmarkt und Gerät und Sprühmittel wurden unbezahlbar. Das Dorf geriet in die Globalisierungsfalle. Der Staat Tansania – einer der ärmsten der Welt – war verschuldet und als sein staatssozialistisches Wirtschaftssystem schließlich Bankrott ging, war auch der Baumwollanbau „modernen Stils“ tot. Das industrielle Musterdorf verfiel und die Menschen von Muhenda blieben ohne Einkommen. Seither ist der Hunger häufig zu Gast im Dorf und die Leute überleben nur mittels Subsistenzwirtschaft. Den verarmten Bauern von Muhenda fehlt eine neue Anbaumethode und fairer partnerschaftlicher Handel, der sie vor den brutalen Seiten der Globalisierung schützt. Dass es dazu gelungene Ansätze gibt, zeigt der Film am Beispiel eines Dorfes im Nordwesten Tansanias. Mit Hilfe von engagierten Textilunternehmen aus der Schweiz und aus Deutschland hat man dort in den biologischen Anbau von Baumwolle investiert, spart teure Devisen, schont die Natur und kann derzeit einen höheren Preis als bei der konventionellen Anbaumethode erzielen. Weil in den letzten Jahren die Baumwollkleidung ins Gerede kam, weil kaum eine andere Pflanze schon auf dem Feld mit so viel Chemie besprüht wurde, wuchs die Nachfrage nach biologisch angebauter Baumwolle. Die Suche nach Alternativen zu den hochgiftigen Anbau- und Verarbeitungsprozessen eröffnete so auch den Bauern in Tansania wieder Märkte, Hoffnungen und einen bescheidenen Aufschwung, indem sie Biobaumwolle produzieren und dabei organischen Anbaumethoden folgen. Der Film will zeigen, dass verändertes Verbraucherverhalten in einer Welt voll globaler ökonomischer Verstrickungen Wirkung hat und in einem Dorf im fernen Tansania zur Existenzsicherung beitragen kann. Anlässlich des Bildungskongresses „Globales Lernen in Baden-Württemberg“ hat das EZEF gemeinsam mit der Evangelischen Medienzentrale und dem Landesmedienzentrum BW eine Broschüre herausgegeben, die zu allen Themen neue und bewährte Medien vorstellt, die sowohl in der Schule als auch in der Erwachsenenbildung einsetzbar sind und Verleihstellen nennt. Ein umfangreiches Register erleichtert es Ihnen, sich bestimmte Themen schnell und fundiert medial zu erschließen. Die Broschüre „Medienempfehlungen zum Globalen Lernen“ können Sie beim EZEF kostenlos bestellen.
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Bildungskongress Globales Lernen in Baden-Württemberg, Februar 2003
Neue Medien Bernd Wolpert, EZEF Stuttgart / Rezension der DVD von Martin Geisz Kinderwelt – Weltkinder, DVD (DVD -Videoteil mit 8 Filmen und DVD-ROM-Teil mit Hintergrundinformationen; CD -ROM mit den Informationen des DVD - ROM Teils) HerausgeberInnen: BAOBAB/A-Entwicklungspolitische Bildungs- und Schulstelle, WienEZEF/D. Evangelisches Zentrum für entwicklungsbezogene Filmarbeit, Stuttgart - FILME FÜR EINE WELT/CH. Filmfachstelle der Schweizer Hilfswerke, Bern - Konzept: Peter Elster, Daniel Gassmann, Christine Jantscher,Dorothee Lanz, Peter Meier-Apolloni, Bernd Wolpert, Koordination: Peter Meier-Apolloni. Begleitmaterial: Marianne Gujer (Koordination), Maya Rechsteiner, Heini Trümpy (AutorInnen), Martina Besse (Übersetzung) Gestaltung: Laura Dal Ben, Christoph Settele, Pool Design, Zürich. DVD-Authoring und Mastering: Ulrich Grimm, Urs Sahli Sound Design Studios AG, Bern (Schweiz) Preis 40 Euro (mit dem Recht zur nichtgewerblichen öffentlichen Vorführung), Versandkosten. Bezug: EZEF, Kniebisstraße 29, 70188 Stuttgart;
[email protected] © Wien/Stuttgart/Bern 2002 Die DVD enthält 8 Filme und Unterrichtsmaterialien zum Themenschwerpunkt KinderweltWeltkinder für verschiedene Altersstufen (Spielfilme, Kurzspielfilme, Dokumentarfilme und einen Kurzfilm ohne Worte). Die kleine Verkäuferin der Sonne (Senegal 1998, 45 Min. Spielfilm) Lost and Found - die verlorene Brieftasche (Indien 1995, 25 Min. Kurzspielfilm, ab 8 Jahren) Himmel und Hölle (Indien/Yemen/Haiti 1999, 52 Min. Dokumentarfilm, ab 10 Jahren ) Elena und Pancha (Ecuador 1992, 26 Minuten, ab 8 Jahren) Die Scooterfahrer (Deutschland/Philippinen 1988, 15 Min. Dokumentarfilm ab 8 Jahre) Le Métis - Straßenkinder in Burundi (Burundi 1996, 28 Minuten, Dokumentarfilm ab 14 Jahren) Zezé - der Junge, die Topfdeckel und die Favela (Brasilien 1995, 5 Minuten, Kurzfilm, ab 6 Jahren) Kmy City (Mosambik 1988, 10 Minuten, Dokumentarfilm ab 8 Jahren) Die Filme gibt es in verschiedenen Sprachfassungen (französisch, deutsch: alle Filme, spanisch, englisch: einzelne Filme - zum Teil Filme in anderen Sprachen mit französischer und deutscher Untertitelung). Alle Filme bieten "schüler- und jugendgerechte" Zugänge zu gleichaltrigen Kindern und Jugendlichen in anderen Teilen der Welt. Im Mittelpunkt steht der Kinderalltag mit vielen Problemfacetten und vor allem auch Hoffnungen und überraschenden Perspektiven. Die Produzenten benennen aus den Themenbereichen Globalen Lernens so unterschiedliche Stichworte wie "Kinderarbeit“, „Straßenkinder“, „Slum“, „Kinderrechte“, „Benachteiligung der Mädchen“, „Familie“, „Freundschaft“, „Wohnen“, „Schule". Neu an diesem Produkt sind nicht die einzelnen Filme, sondern das Gesamtprojekt, das die Möglichkeiten der Datenspeicherung auf eine DVD mit multimedialen Möglichkeiten (Eine Vielzahl von multimedialen Daten, reichhaltiges Bild-, Grafik-, Ton- und Textangebotes) aufnehmen und für den Unterricht nutzbar machen kann. 51
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Ein Beispiel ist die im Vergleich zu Video oder Film enorm verbesserte Möglichkeit der Szenenanwahl bei den einzelnen Filmen. Es ist möglich, Szenen ohne großen Aufwand noch einmal zu betrachten, zu analysieren und im Unterricht zu vertiefen. Das Angebot verschiedener Sprachfassungen bietet viele neue Chancen für den Fremdsprachenunterricht. Zum DVD-ROM Angebot gehören Unterrichtsmaterialien mit Anregungen für Unterrichtsreihen, aber auch für Unterrichtssequenzen. Zu jedem Film ist ein Schwerpunktthema festgelegt, so können Unterrichtseinheiten mit für jeden Film gleicher Struktur der Unterrichtsdokumentation vorgestellt werden, die jeweils auch einen praxisnahen Vorschlag für den Einstieg enthalten. Einige Stichworte aus dem Text von Maya Rechsteiner und Heini Trümpy, die die Zugangsweisen charakterisieren (der vollständige Text ist auch im Internet verfügbar: http://www.filmeeinewelt.ch/dvd/kinder "Die insgesamt zehn Bereiche, die wir zu jedem Film anbieten, bilden den Kern der Unterrichtsdokumentation. Dieser Teil ist vom Layout und von der inhaltlichen Struktur her achtmal gleich aufgebaut, damit sich die Lehrpersonen in der Gesamtheit doch recht umfangreichen Dokumentation schnell zurecht finden. Filmdaten – beinhaltet die notwendigen Angaben zu Drehort, Regie, Produktionsort etc. Kurzinhalt – ist eine Zusammenfassung des entsprechenden Abschnittes der den Filmen beigelegten Broschüre. Hintergrundinformationen – gibt in Kürze die notwendigen geografischen und historischen Informationen, um den Film im jeweiligen Kontext verstehen zu können. Diese Angaben richten sich an die Lehrerinnen und Lehrer, können je nach Klassenstufe und Niveau auch in der Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern eingesetzt werden. Schwerpunkt – beschreibt und begründet die Schwerpunktsetzung bei den einzelnen Filmen. Neben inhaltlichen Überlegungen fließen hier auch schulische Aspekte ein. Ziele – beschreibt die Ziele, die im Unterricht erreicht werden sollen/können Didaktischer Zugang – zeigt die Herangehensweise auf und begründet gewählte Lernform. Didaktische Umsetzung – ist die eigentliche Präparation des Unterrichts mit Angaben zu Teilzielen, Methoden und Arbeitsformen und zum ungefähren Zeitbedarf. Arbeitsmaterialien – sind Arbeitsblätter als Kopiervorlagen oder Arbeitsaufträge für einzelne Schüler/innen oder für Gruppen. Weiterführende Ideen – richtet sich an diejenigen Lehrpersonen, die gerne mit ihren Klassen vertiefend zum Thema arbeiten möchten. Diese Vorschläge sind weniger differenziert und ausgearbeitet als die Hauptlektionen. Informationsquellen – ist eine Liste mit Literaturangaben, Kontaktpersonen oder -stellen und Internet-Adressen, passend zum jeweiligen Teilthema und zum Film." Ein umfangreiches "Verlinkungsangebot" (auch auf der mitgelieferten CD - ROM) zu Materialstellen, Filmverleihen und Nichtregierungsorganisationen und auf der zu dieser DVD eingerichteten eigenen Website (http://www.filmeeinewelt.ch/dvd/kinder/) hilft ebenfalls weiter. Hier könnte noch nachgebessert werden. Bisher beschränkt sich das Angebot auf einige ausgewählte Organisationen (u.a. Evangelischer Entwicklungsdienst e.V. (EED), Brot für die Welt, UNICEF, MISEREOR, terre des hommes Deutschland e.V.) Für die Arbeit im Unterricht vermisse ich weitere Adressen, vor allem auch im Blick auf die Rechte von Kindern in der Bundesrepublik (z.B. Buddy - Projekt) oder alternative Ansätze, wie sie z.B. von "Pronats" vertreten werden. Zumindest auf der Website ließe sich dies aber schnell ändern. Für Deutschland könnte die Adresse des nationalen Portals zum Globalen Lernen ergänzt werden www.eine-welt-netz.de). Es wäre auch mit wenig Aufwand möglich, über www.oneworld.org hinaus Direktkontakte zu Partnern in der Dritten Welt anzubieten. Die in diesem Projekt realisierte Zusammenarbeit von Nichtregierungsorganisationen im deutschsprachigen Raum ist nur zu begrüßen und sollte auf andere Arbeitsschwerpunkte 52
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Globalen Lernens ausgedehnt werden. Wenn ich Vorschläge machen darf: Materialien zu ausgewählten Räumen (und Ländern) in der Dritten Welt, Materialien zu Produkten Fairen Handels, Materialien zu ökologischen Schwerpunkten" wie „Wasser", „Energie" .... -in den einzelnen Organisationen (reichlich?) vorhanden - könnten in einer ähnlichen und weiterqualifizierten Bearbeitung Globalem Lernen in vielen Bildungseinrichtungen neue Impulse geben. Insgesamt bedeutet die Produktion dieser DVD einen wichtigen Schritt für die Arbeit mit Neuen Medien in der Schule überhaupt. Filmangebot, Arbeitsmaterialien, Anbindung an das WWW mit den technischen Möglichkeiten der DVD zu einem Preis, für den noch vor einiger Zeit nicht einer der enthaltenen Filme für eine Bildungseinrichtung beschaffbar war, sprechen für sich. Und für im "Globalen Lernen" Engagierte besonders wichtig: jetzt, da DVD-Spieler zu erschwinglichen Preisen auf dem Markt sind und Schulen damit ausgerüstet werden sind Materialien zu einem schulischen Kernthema unseres Konzepts schon von Anfang an verfügbar.
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Islam im Internet – Demonstration und Debatte Murat Aslanoglu, Christlich-Islamische Gesellschaft Stuttgart (CIG) Albrecht Hausser, Evangelischer Oberkirchenrat (OKR) Stuttgart Tubanur Yeschilhark (Studentin) Dr. Karl Heinrich Rudersdorf, Zentrum für Entwicklungsbezogene Bildung Stuttgart (ZEB) www.islam.de
www.islamische-zeitung.de www.amana-online.de www.muslim-markt.de www.arabinfo.de/arab-d/islam.html www.gwdg.de/~arabsem/Katalog2.htm
Vielfältiges Informations- und Serviceangebot unter der Trägerschaft des Zentralrats der Muslime in Deutschland Online-Ausgabe der Islamischen Zeitung sehr aktuell, vielseitig und informativ Analysen, Kommentare und News rund um den Islam Internet-Dienst zu unterschiedlichsten Themenstellungen Umfangreiche Linksammlung zum Islam im Internet Umfangreiche Linksammlung zum Islam im Internet
Muslimische Dachverbände www.islamrat.de www.diyanet.gov.tr www.igmg.de www.vikz.de www.atib-web.de www.zdm-bw.de www.rg-islam.de www.irh-info.de www.schura-hamburg.de www.if-berlin.de www.mannheimer-muslime.de
Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (türkisch) Islamische Gemeinschaft Milli Görüs Verband der Islamischen Kulturzentren Union Türkisch-Islamischer Kulturvereine in Europa Zentralrat der Muslime in Ba-Wü Religionsgemeinschaft des Islam in Ba-Wü Islamische Religionsgemeinschaft Hessen Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg Islamische Föderation in Berlin Dachverband Mannheimer Muslime
Gemischtes www.mj-net.de www.islamarchiv.de www.huda.de www.muslima-aktiv.de www.gmsg.de www.duei.de/doi www.muslim-lawyers.net www.fro.at/sendungen/islam
Muslimische Jugend Deutschland Zentralinstitut Islam-Archiv-Deutschland gegr. 1927 in Berlin Netzwerk für muslimische Frauen, regelmäßige Zeitschrift Von jungen muslimischen Frauen Gesellschaft muslimischer Sozial- und Geisteswissenschaftler Deutsches Orient-Institut in Hamburg Vereinigung von muslimischen Rechtsanwälten (englisch) Wöchentliche Sendungen "Islam im Gespräch" im Freien Radio Oberösterreich 54
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www.islamicart.com www.ex-oriente-lux.de www.halal.de
Islamische Kunst und Architektur (englisch) Informationen rund um den Orient und den Islam Muslimisches Verbraucherinformationsservice zu Ernährung, Gesundheit, Umwelt, Lebensqualität
Islamische Bildungseinrichtungen www.isiz.de www.ipd-koeln.de www.islamische-bildung.de www.weimarinstitut.net
Islamisches Sozialdienst- und Informationszentrum in Stuttgart Institut für Internationale Pädagogik und Didaktik in Köln Institut für Islamische Bildung in Hamburg Weimar Institut, kulturelle Einrichtung von Muslimen
Muslimische Zeitschriften www.fontaene.de www.dunia.de
Islamisch-naturwissenschaftliche Zeitschrift Islamische Hochschulzeischrift
Muslimische Hilfsorganisationen www.muslime-helfen.de www.islamicrelief.de
Deutsch-muslimische Hilfsorganisation mit Sitz in München Internationale muslimische Hilfsorganisation, deutscher Sitz in Köln
Weitere muslimische Einrichtungen www.islamologie.info www.hausdesislam.de www.islamic-centre-hamburg.de www.dmk-berlin.de
Islamologisches Institut, Frankfurt a.M. Haus des Islam in Lützelbach Islamisches Zentrum Hamburg Deutschsprachiger Muslimkreis Berlin
Christlich-islamischer Dialog www.kcid.de
www.chrislages.de www.cig-stuttgart.de www.cibz.de www.cig-mannheim.de www.cibedo.de
Koordinierungsrat der Vereinigungen des christlich-islamischen Dialoges in Deutschland (gegr. 2003) -Islamische Gesellchaft Christlich-Islamische Gesellschaft Region Stuttgart Gesellschaft für christlich-islamische Begegnung und Zusammenarbeit Stuttgart Christlich-Islamische Gesellschaft Mannheim Christlich-Islamische Begegnung – Dokumentationsstelle
Theologische Wissensvermittlung www.al-islaam.de www.lichtstr.de
Über das Lebenswerk des Gelehrten Said Nursi 55
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www.geocities.com/Athens/Thebes/ 8206/hkrausen/halhome.htm www.payer.de/islam/islam.htm www.sub.unigoettigen.de/ebene_1/ orient/koran1.htm
Von Halima Krausen, Hamburg, Initiative für Islamische Studien Materialien zur Religionswissenschaft Linksammlung und Informationen zum Koran im Internet
Internationale Seiten www.islam.org www.islam-online.net www.al-sunnah.com www.al-islam.com www.it-is-truth.com www.discoverislam.com
Englischsprachige Seite, vielseitig und informativ dto. dto. dto. Naturwissenschaftliche Verse im Koran und deren Erläuterungen Informationsserie über die häufigsten Fragestellungen zum Islam
Muslimische Verlage und Buchhandlungen www.abendstern.de www.dar-us-salam.de www.greenpalace.de www.islamica.de www.em-buch.de
Spohr-Verlag, Herausgeber von Büchern sowie einer Wochen- und Jahreszeitschrift Muslimischer Verlag und Buchvertrieb in München Buchhandel der Muslimischen Jugend in der BRD Muslimische Buchhandlung Muslimische Buchhandlung
Ergänzende Internet Anschriften zu Islam im Internet (zusammengestellt von Albrecht Hauser, Evangelischer Oberkirchenrat Stuttgart) http://www.enfal.de
http://www.muslimdirectory.co.uk http://www.islaam.org http://www.islaam.com http://islamicity.com
http://www.teblig.de http://www.beconvinced.com
Deutsche und türkische Informationen. Brücke zu den 100 besten islamischen Webseiten (Englisch), Koran und Koranauslegung und interessante Links, einschließlich Diskussionsforen Portal zu verschiedenen englischen Webseiten Sunnitische und englische Webseiten. Information mit vielen Rechtsgutachten Rechtsgutachten und reichhaltige Information auf Englisch Portal zu umfangreicher Information über den Islam in Englisch, mit vielen Links und aktuellen Stellungnahmen Eine umfangreiche islamische Dawa Informationswebseite mit interessanten Links, einschließlich Audio und Video Material Islamische Dawa Informationen, mit vielen apologetischen und polemischen Seiten gegenüber anderen Glaubensweisen
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http://www.convertstoislam.org
http://www.fatwa-online.com http://www.iananet.org http://www.hizb-ut-tahrir.org http://www.cair-net.org http://www.ummah.net
http://www.ummahnews.com http://www.islam-pure.de http://www.mosque.com http://www.nelsonthornes.com/ secondary/re/islam.htm
Webseiten und Links zu Webseiten von meistens westlichen Personen, die zum Islam übergetreten sind. Auch Intellektuelle aus dem Westen. Rechtsgutachten aus der Welt des Islam Islamic Assembly of America, Islamisch-konservativer Dachverband in den USA Islamistische Gruppe mit englischer und deutscher Information Islamische Lobbygruppe und Information, bzw. Links to islamischen NGOs in Nordamerika Zugang zu vielen, auch islamistischen Zeitschriften in Englisch, Islamic gateway zu vielen links, einschließlich Multmedia Links Ein islamischer News Service, Nachrichten aus islamischer Perspektive, journalistisch gut gestaltet Islamische Webseite der Shiiten für Europa Sehr viel islamische Information und Zugang zum Islamic Interactive College Online Religionsunterricht zu islamischen Themen in Englisch, mit hochinteressanten Links für den Religionsunterricht zum Thema Islam
Christliche Internetseiten zum Thema Islam: http://www.theologi.bham.ac.uk/ postgrad/islam http://www.cibedo.de http://islaminstitut.de http://answering-islam.de http://www.answering-islam.org
http://www.deutsche-muslima.de http://www.angelfire.com/az/rescon http://www.barnabasfund.org
http://www.interfaith.org.uk http://www.interfaith-center.org http://www.weltethos.org/index.htm http://folk.uio.no/leirvik/Chrismusint.html
Centre for the Study of Islam and ChristianMuslim Relations, Selly Oak Colleges, Birmingham Christlich-islamische Dokumentationsstelle in Frankfurt, mit umfangreichem Archivmaterial Institut für Islamfragen der Lausanner Bewegung / Evangelischen Allianz Deutsche Webseite von Answering Islam mit einer apologetischen Ausrichtung einer christlichen Antwort auf den Islam Englische Webseite mit apologetischem Material als christliche Antwort auf die Herausforderung durch den Islam, einschließlich Zeugnissen von Muslimen, die Christen geworden sind. Webseite zum Buch: Ich kämpfte für Allah, Johanna Al-Sain / Ernst Schrupp mit Diskussionsforum zu christlichen und islamischen Fragen David Zeidans Homepage, persönliches christliches Zeugnis und Information aus christlicher Sicht British Based NGO, mit umfangreicher Information zur Lage der Christen in vorwiegend islamischen Ländern, angeschlossen ist das Institute for the Study of Islam and Christianity Interfaith Netzwerk in U.K. International Interfaith-Center in Oxford Weltethos Webseite (Hans Küng) Links zu internationalen Christlich-Muslimischen Dialog Foren und Webseiten
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Filme zum Konflikt Palästina und Israel Gabriele Radeke, Dachverband entwicklungspolitischer Aktionsgruppen Baden-Württemberg
Ablauf Begrüßung
Inhalte Vorstellung des Medienmarktes und der Akteure Katalog (Ausleihmöglichkeiten) Zeitablauf Einführung ins Thema
Kurzbericht über meine Arbeit in Palästina 1992 und 2002/2003-02-21 Eckdaten zu Israel - Palästina - Westbank - Gaza Einführung anhand von Daten Bevölkerung: 6 Mio. 3,5 Mio. 2,2 Mio. 1,3 Mio und Karten 5.8 tkm2 365 km2 Fläche: 20.7 tkm2 6.1 tkm2 Vergleich: Baden-Württemberg 35.700 km2 Karten: Palästina 1948 und 1996, Israel und Jerusalem Beschreibt die historischen Wurzeln des Nahostkonfliktes von Film: Der Kampf ums Heilige Land, 1915-1947, die Rolle der Kolonialmacht, das Interesse von Juden, Palästinensern und arabischer Nachbarstaaten Teil 1, 1992 Der Weg in die Teilung Buch und Regie: Friedrich Schreiber Diskussion Film: Wasser für Palästina Dokumentarfilm von Mundzeck, 1995
Diskussion Film: Das ist kein Leben Alia Arasoughly, 2001 Noch keine Lizenz !!! Diskussion
Handelt vom Unrecht der Wasserverteilung und von der Gefahr des Krieges um Wasser. Das Wasser steht in Israel unter Heike Militärverwaltung. Der Wasserlieferant ist die staatliche israel. Wassergesellschaft MEKOROT. Die Israelis verfügen über viermal mehr Wasser als Palästina in der Westbank und 10 mal mehr als Palästina in Gaza. 20% der Wasserreserven der Westbank stehen den Palästinensern zur Verfügung. 200 Dörfer in der Westbank haben keinen Anschluss an die zentrale Wasserversorgung Frauenschicksale in der Westbank. Unterschiedliche Lebensstandards im Land und in der Stadt Jerusalem
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C. Öffnung,Vernetzung und Kooperation
„Direct Links“ change the world – wir globalisieren fair Tamara Hagmaier, Britta Hitzel, Fabian Parsch (Schüler/innen), Bettina Schroeder (Lehrerin); Melanchthon-Gymnasium Bretten
„Direct Links“ ist eine ganz neue Wirtschaftsform des fairen Handels. Bei diesem Prinzip arbeiten Hersteller und Verbraucher direkt zusammen: Unsere Handelspartner – die Adivasi – sind die Ureinwohner Südindiens, die durch einen Kredit eine eigene Teeplantage finanziert haben. Wir, die Chameleon Schüler-GmbH, gestalten mit ihnen gemeinsam unsere Handels- und Verkaufsbedingungen auf der Basis von sozialer Gerechtigkeit und ökologischer Verträglichkeit. Durch den direkten Kontakt und durch den direkten Bezug des Tees von den Adivasi bleibt im Gegensatz zum üblichen profitorientierten globalen Handel der Handelsweg transparent, da keine Zwischenhändler involviert werden. Durch dieses ressourcenschonende Verfahren halten sich die Nebenkosten sehr niedrig, wodurch wir in der Lage sind, die Hälfte des Erlöses an die Adivasi zurückzuspenden. Unsere Handelspartner zahlen mit diesem Geld den Kredit für die Teeplantage zurück und werden somit wirtschaftlich unabhängig. Außerdem sind sie mit dieser Unterstützung in der Lage, ihre eigene Schule, ihr Krankenhaus, ihr alternatives Hausbauprogramm und ihre politische Interessenvertretung selbst zu finanzieren, ohne weiterhin auf unnachhaltige Almosen angewiesen zu sein. Auch die andere Hälfte unserer Einnahmen ist nicht mit dem Gewinn normaler Firmen zu vergleichen: Mit dem Geld finanzieren wir ökologische Ausstattung, nachhaltige Fortbildungen und themenorientierte Ausflüge. Neben dem gemeinsamen Teehandel betreiben wir mit den Adivasi auch einen regen kulturellen Austausch: Alle zwei Jahre besucht uns eine Adivasi-Gruppe zum Deutschen Kirchentag. Auch dieses Jahr haben wir auf dem 1. Ökumenischen Kirchentag in Berlin einen gemeinsamen Wokshop veranstaltet. 59
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Mit einer sechsköpfigen Gruppe machten wir uns im Dezember 2002 zu einer Bildungs-, Begegnungs- und Geschäftsreise nach Indien auf. Hierbei legten wir besonderen Wert auf die Vertiefung unserer wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen. In unserem Workshop versuchten wir unseren Teilnehmer/innen anhand der Indienreise das Direct-Link-Prinzip näher zu bringen, denn diese Wirtschaftsform ermöglicht es den Gefahren der Globalisierung ein menschliches Zeichen entgegen zu setzen. Auch wenn die meisten Menschen glauben, jemand alleine oder eine kleine Gruppe ist nicht in der Lage die Welt zu verändern, sind wir davon überzeugt: Wenn jeder einen Teil – sei er auch noch so klein –, dazu beiträgt, können wir es gemeinsam schaffen.
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Nachhaltiges Lernen in einer Schule für die Zukunft Margit Knapp-Meimberg, Internationale Gesamtschule Heidelberg „Die IGH will mit ihrer Arbeit einen aktiven Beitrag für den Erhalt der Lebensgrundlagen für Menschen, Tiere und Pflanzen leisten.“ Dies ist ein wichtiger Grundsatz für den Schulalltag an der Internationalen Gesamtschule Heidelberg, ein Grundsatz, der als oberstes Leitziel in der Präambel der „Umweltpolitik“ der Schule festgehalten ist. Dieses Ziel stets vor Augen hat sich die Schule einer wichtigen Herausforderung unserer Zeit gestellt, der Herausforderung, sich aktiv für eine „Nachhaltige Entwicklung“ im Sinne der Agenda 21 einzusetzen. Doch wie versucht die Schule diesen Leitsatz in die Praxis umzusetzen und was ist eine „Umweltpolitik“ ? Klimaschützen durch Umbaumaßnahmen Schon in langer Tradition fühlt sich die IGH der Umwelterziehung verpflichtet. Bereits 1980 begann ein Lehrer/innen-Arbeitskreis sich mit Fragen des Umweltschutzes an der Schule auseinander zu setzen. Seit sechs Jahren beteiligt sich die Schule mit ihren Schüler/innen an Klimaschutzprojekten. 1996/97 fand ein Schulwettbewerb „Klimaschutz just do it“ in Heidelberg statt. Schüler/innen des Chemiegrundkurses 13. Klasse untersuchten hierzu mit ihrer Lehrerin den Energieverbrauch der Lüftungsanlage und die gesundheitlichen Einflüsse der künstlich belüfteten Räume. Sie fanden einen Stromverbrauch von ca. 900 000 kWh/Jahr heraus und berechneten eine Emission von ca. 830 t CO2/Jahr. Um diese zu kompensieren müssten ca. 42 000 Bäume neu gepflanzt werden. Daraufhin wurde der Vorschlag gemacht, die Anlage teilweise still zu legen und Umbaumaßnahmen durchzuführen, die eine natürliche Belüftung der Räume ermöglichen. Die Schüler/innen erhielten einen ersten Preis für ihren Wettbewerbsbeitrag und die Stadt Heidelberg veranlasste mit Hilfe eines Contracting-Vertrags den Umbau. Heute wird in allen Räumen, die genügend Fenstern besitzen, natürlich gelüftet und gleichzeitig viel Energie eingespart. Klimaschützen durch richtiges Verhalten Während das Lüftungsanlagenprojekt Einsparungen durch Umbaumaßnahmen erreichte, bemühen sich die Schüler/innen des E-Teams seit fünf Jahren um Reduktion des Energieverbrauchs durch Verhaltensänderung. Plakate in allen Klassen weisen auf wichtige Verhaltensregeln hin. Dazu wurden die Schalter mit Hinweisschildern beklebt, damit unnötiges Licht ausgemacht wird. In Aktionswochen und bei regelmäßig durchgeführten Wettbewerben wird das richtige Verhalten eingeübt. Klassen mit vorbildlichem Engagement erhalten dann zur Belohnung einen Tag schulfrei und etwas Geld für die Klassenkasse. Was wurde erreicht? Seit der Teilnahme an dem E-Team-Projekt nahm vor allem in den ersten Jahren der Energieverbrauch kontinuierlich ab. So wurden allein im Schuljahr 1999/2000 637767 kWh Energie im Vergleich zum Jahr 1994/95 eingespart.
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Energieverbrauch der IGH 6000000 5000000 4000000
Strom KWh
3000000
Wärme KWh
2000000
gesamt KWh
1000000 0
94/95
96/97
97/98
98/99
99/00
00/01
CO2-Einsparungen der IGH : 400000 350000 300000 250000
S tro m k g W ärm e kg g esa m t kg
200000 150000 100000 50000 0
9 4 /9 5
9 6 /9 7
9 7 /9 8
9 8 /9 9
9 9 /0 0
0 0 /0 1
Damit verbunden konnte auch eine Menge CO2 eingespart werden: Von den eingesparten Geldern erhielt die Schule 40% zur eigenen Verfügung und weitere 40% zum Investieren im Energiesparbereich. So konnten unter anderem eine Solaranlage und ein Windrad angeschafft werden. Aufbau eines Umweltmanagements mit dem ÖKO-Audit-Projekt Mit ihren gewonnenen Erfahrungen fiel es der Schule nicht schwer 1997 mit dem erstmals in Deutschland gestarteten Audit-Projekt zu beginnen. In zweijähriger Pionierarbeit übertrug eine Arbeitsgruppe aus Schüler/innen, Lehrer/innen und Eltern mit Unterstützung der FEST (Forschungsstätte Evangelischer Studiengemeinschaften) die Öko-Auditverordnung ( EG Verordnung Nr. 1836/93 ), die ursprünglich für produzierende Gewerbe vorgesehen war, auf den Schulalltag. Damit wurde der Sinn der Auditverordnung, den „betrieblichen Umweltschutz kontinuierlich zu verbessern“, schulbezogen umgesetzt. Was ist ein ÖKO-AUDIT? Mit Hilfe verschiedener Schritte wird auf freiwilliger Basis versucht, den Umgang mit der Umwelt auf verschiedenen Ebenen kontinuierlich zu verbessern. 1. Schritt: Der Ist-Zustand Zu Beginn findet eine Umweltprüfung statt. In den verschiedenen Bereichen wie Wasser, Energie, Verkehr, Abfall, Putzmittel, Ernährung, Materialien wird der Ist-Zustand untersucht. Mit Hilfe von Fragebögen führen Schüler/innen und Lehrer/innen einen Umwelt-Check durch und werten diesen aus.
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2. Schritt: Die Umweltpolitik Darauf aufbauend werden Leitlinien einer Umweltpolitik formuliert. 3. Schritt: Das Umweltprogramm Es enthält die Beschreibung der konkreten Ziele und Maßnahmen mit deren Hilfe eine Verbesserung der schulischen Umweltsituation angestrebt wird. 4. Schritt: Umweltmanagement System Dieses regelt die Organisation und Zuständigkeit für alle umweltrelevanten Themen an der Schule. Auf demokratischer Basis werden nun Verantwortliche aus den Kreisen der Schüler/innen, Lehrer/innen und der Eltern gewählt werden, die ein Öko-Team bilden, an dem auch Vertreter/innen der Schulleitung und der Stadt beteiligt sind . Dieses Team trifft sich in regelmäßigen Abständen und kümmert sich um den Umweltschutz. 5. Schritt: Die Umwelterklärung Darin sind die Umweltaktivitäten der Schule veröffentlicht. 6. Schritt: Environmental Auditing/ Zertifizierung In diesem Schritt wird dann die Funktionsfähigkeit des Managementsystems überprüft. Es wird beurteilt, ob Anspruch und Wirklichkeit der Schule auch übereinstimmen. Er wird von unabhängigen Gutachtern durchgeführt. So wurde die IGH im Januar 1999 erstmalig in Deutschland als Audit-Schule anerkannt und 2002 revalidiert. In allen Klassen werden jährlich Umweltsprecher/innen gewählt. Es existieren eine Umweltpolitik und ein Umweltprogramm mit den Zielen zur Verbesserung, das stetig mit dem UmweltTeam abgearbeitet und neuen Verhältnissen angepasst wird. Mit allen an der Schule beteiligten Menschen und vor allem den Schüler/innen wird so ein Entwicklungsprozess vollzogen, der den Lernort Schule aktiv einbezieht, verändert, mit ihm arbeitet und lebt.
Bei Projekten zu umweltrelevanten Themen wie Energie, Abfall und Wasser lernen die Schüler/innen einerseits die Umweltbedingungen nach ihren Bedürfnissen auszurichten: z.B. genug Licht zum Lesen, Wärme in den Räumen, Wasser zum Hände waschen. Andererseits lernen sie unnötige Verschwendung abzubauen: Licht in den Pausen auszumachen, Fenster nicht beim Heizen zu klappen, tropfende Wasserhähne zu reparieren oder austauschen zu lassen. So setzen sie sich für den Erhalt von Ressourcen für die Zukunft im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung ein.
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Das Schaubild zeigt einen Überblick über die verschiedenen Projekte der IGH:
Vernetzung Eine Vernetzung zwischen Personen, Strukturen und Themen ist nicht nur im Inneren der Schule sondern auch nach außen wichtig und stellt einen wesentlichen Teil der Arbeit dar. Bei den Projekten wird mit dem Amt für Umweltschutz, Energie und Gesundheitsförderung der Stadt Heidelberg, dem Ministerium für Umwelt und Verkehr Baden-Württemberg, verschiedenen Instituten und umweltfreundlichen Firmen zusammengearbeitet. Das große Interesse an der Arbeit der Schule zeigt sich an Einladungen zu Seminaren und Workshops und vielen nationalen und internationalen Besuchergruppen. Die Diskussionen mit der Öffentlichkeit sind wichtig, da die IGH auf diese Weise ihre Erfahrungen mitteilen kann. Gleichzeitig möchte sie auch Anstöße geben für einen gemeinsamen Weg und hofft, dass immer mehr Menschen sich der globalen Herausforderung stellen, für eine „dauerhafte Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten für künftige Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen“ (Brundtland-Komission 1987). M. Knapp-Meimberg Genaue Ausführungen sind in den Umwelterklärungen der Schule zu finden: Umwelterklärung 1999: Sie dokumentiert die Grundlagen der Arbeit; Umwelterklärung 2001: Sie zeigt die kontinuierliche Fortentwicklung; Umwelterklärung 2002: Sie legt erneut Rechenschaft über den Umgang mit der Umwelt und die verschiedenen Projekte ab. Bestellungen an:
IGH Baden-Badener Strasse 14 69126 Heidelberg Kontaktperson:Umweltbeauftragte IGH, Margrit Knapp-Meimberg /
[email protected] 64
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Schritte gegen Tritte – ein interkulturelles und internationales Schulprojekt Regina Seitz, EPIZ Reutlingen
... für eine Kultur des Friedens und der Gerechtigkeit... Ein Projekt zum Globalen Lernen für Schulen und Gemeinden
Jugendgewalt Das Thema Jugendgewalt wird zur Zeit in einer breiten Öffentlichkeit diskutiert und ihre Überwindung wird zunehmend als wichtige gesellschaftliche Aufgabe angesehen. „Damit Gewalt keine Schule macht“ und Jugendliche gestärkt werden in ihrer Zivilcourage und Friedfertigkeit, sind Präventionsangebote und ein breites Spektrum von Maßnahmen nötig, in denen verschiedene Partner zusammenarbeiten. Deshalb wollen wir Ihnen ein Projekt vorstellen, das nicht bei der Darstellung des Problems stehen bleibt, sondern konkrete Handlungsperspektiven vermitteln will: Das Projekt „SCHRITTE GEGEN TRITTE“ Der Hintergrund Das Projekt thematisiert strukturelle, ethnische und personale Gewalt. Es stammt aus der AntiApartheidarbeit in Südafrika und wurde unter der Leitung des evangelischen Pastors Klaus J. Burckhardt im Jahre 1993 in Deutschland eingeführt und praxiserprobt. Inzwischen ist das Projekt in über 150 unterschiedlichen Schulen (Förder-, Haupt– und Realschulen, Gymnasien sowie Berufsbildende Schulen) mit mehr als 20.000 Schüler/innen in Hessen, Sachsen–Anhalt, Niedersachsen und Baden-Württemberg durchgeführt worden. Zeitbedarf und Rahmen Das Projekt umfasst 5-7 Zeitstunden und wird mit 15-30 Teilnehmer/innen durchgeführt (keine nur für diesen Tag zusammengelegte Klassen oder Gruppen). Es eignet sich als Projektwoche für bis zu fünf Klassen der Jahrgangsstufen 7 bis 13, aber auch für Konfirmandentage, Jugendfreizeiten o. Ä. Das Projekt arbeitet mit vielfältigen Medien & Methoden, u. A. Simulationsspiel, Quiz, Gesprächsgruppen, Rollenspiel, Video. Ideal wäre die Vernetzung mit örtlichen Strukturen (Präventionsräte, Runde Tische, Kooperation 65
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mit örtlichen Projekten und Einrichtungen, Sozialarbeiter/innen, Elternbeiräten und SMV). Die Intention Das Schulprojekt möchte: am Beispiel von Flüchtlingen und Menschen in Entwicklungsländern auf deren spezifische Gewalterfahrungen aufmerksam machen, unterschiedliche Gewaltursachen, Gewaltstrukturen und Reaktionen auf Gewalt aufzeigen Schüler/innen die Möglichkeit geben, eigene Gewalterfahrungen zur Sprache zu bringen, kritisch zu reflektieren und nach strukturellen, ethnischen und personalen Ursachen zu fragen Mut machen, die Vielfalt von Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit Gewalt zu entdecken und in Rollenspielen zu erproben neben den gewohnten Reaktionsmustern (Flucht oder Gegengewalt) andere Alternativen einüben, um auf persönlich erlebte Gewalt differenziert und deeskalierend reagieren zu können sowie neue Zugänge zur christlich-ethischen Basis des aktiven gewaltfreien Widerstandes im Kontext der Weltreligionen schaffen „Schritte gegen Tritte“ an Ihrer Schule oder in Ihrer Gemeinde? In Württemberg wird das Projekt vom Dienst für Mission, Ökumene und Entwicklung (DiMOE) der Evangelischen Landeskirche Württemberg in Zusammenarbeit mit dem Entwicklungspädagogischen Informationszentrum (EPIZ) Reutlingen durchgeführt. Der Kostenbeitrag pro Einheit inkl. Vorbereitung und Reisekosten beträgt € 200,- (Stand: Mai 2003) Ein Begleitheft mit Hintergrundtexten, Anregungen zur Vor- und Nacharbeit, zur Gestaltung von Gottesdiensten sowie Hinweisen zum Ablauf und zur Durchführung kann für € 7,- (plus Porto) bestellt werden beim: Ev.-luth. Missionswerk in Niedersachsen, Georg-Haccius-Str.9, 29320 Hermannsburg Tel: 05052/ 60-0, e-mail:
[email protected] oder über das EPIZ (s.u.) Zentrale homepage: www.schrittegegentritte.de
Kontakt EPIZ – Entwicklungspädagogisches Informationszentrum Reutlingen, Planie 22, 72764 Reutlingen, Tel: 07121/ 491060 e-mail:
[email protected] DIMOE –Dienst für Mission, Ökumene und Entwicklung, Reutlinger Str. 53, 74074 Heilbronn, Tel: 07131/ 177151 e-mail:
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Kulturen begegnen sich – weltoffenes Lernen im weltweiten Netz der unesco-projekt-schulen Team der unesco-projekt-schulen / Ute Nettlau, Geschwister-Scholl-Schule Crailsheim
Die weltweit ca. 6700 unesco-projekt-schulen (ups) sind Schulen, die sich den Bildungszielen des Unesco-Schulprojekts verpflichtet haben. Hierbei sind es insbesondere die Friedenserziehung, die Bewahrung der Umwelt, die Armutsbekämpfung und die Achtung der Menschenrechte, die im Unterricht und in außerunterrichtlichen Projekten zum Thema gemacht werden. Nach einer Einführung im Plenum über die Ziele der Unesco, der Projektschulen sowie deren Arbeitsweisen durch den Regionalkoordinator für Baden-Württemberg stellten Kolleg/innen und Schüler/innen unseres Netzwerks die Umsetzung dieser Bildungsziele der ups in ihren Schulen vor. Um dies umzusetzen, hatten die Schulen „Stationen“, ähnlich eines „Lernzirkels“ aufgebaut. Hierdurch war es möglich, auch in kurzer Zeit viele Einblicke in unsere Arbeit zu bekommen. Durch die überschaubare Zahl von ca. drei Teilnehmer/innen je Station war es gut möglich, auf einzelne Fragen einzugehen. Die Schwerpunkte der Stationen mit den zuständigen Schulen im Einzelnen: Umwelterziehung
Institut Dr. Flad, Stuttgart
Welterbe
Geschwister-Scholl-Schule, Tübingen
Partnerprojekte
Heisenberg-Gymnasium, Karlsruhe
Friedenspfad
Jörg-Zürn-Gewerbeschule, Überlingen
Werteerziehung
Geschwister-Scholl-Schule, Crailsheim
Energie/Umwelt
Stephen-Hawking-Schule, Neckargemünd
Friedenserziehung
Internationale Gesamtschule, Heidelberg
In einem zweiten Teil des Workshops arbeitete Frau Ingrid Klein (Geschwister-Scholl-Schule, Tübingen) zum Thema „Globales Lernen in den Naturwissenschaften“.
Nähere Informationen zu den UnescoProjekt-Schulen finden Sie im Internet unter www.ups-schulen.de
Peter Herrmann, Regionalkoordinator der unesco-projektschulen in Baden-Württemberg 67
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D. Wege des Globalen Lernens
Wasserarmut und Wasser“überfluss“ Elisabeth Wietreck, PH Ludwigsburg Ein grundlegendes Element des Lebens ist bedroht Die Menschen in den wasserarmen Gebieten Afrikas sind sich der existentiellen Bedeutung des Wassers und seiner Begrenztheit schon seit jeher bewusst. In den mit Niederschlägen reich gesegneten Ländern Westeuropas ist dieses Bewusstsein erst in den letzten Jahrzehnten mit der Erkenntnis gewachsen, dass sauberes Wasser nicht unbegrenzt zur Verfügung steht.
Illustration: Globus 3146
Die UN bestimmte das Jahr 2003 zum Internationalen Jahr des Süßwassers und unterstreicht damit die globale Verantwortung zum sparsamen Umgang mit Wasser und zur Sicherung des Zugangs zu diesem kostbaren Gut für alle Menschen, denn noch immer haben 1,2 Mrd. Menschen kein sauberes Trinkwasser. Experten befürchten darüber hinaus, dass Konflikte zunehmend um Wasserressourcen geführt werden z.B. bei der Nutzung grenzüberschreitender Flüsse.
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Lernen durch Erfahrung und interkulturelle Begegnung Die didaktische Grundlage für diese Werkstätte lieferten zwei Pädagogen: zum einen John Dewey23 mit seinem Ansatz des „Lernens durch eigene Erfahrung“, zum anderen Heinrich Dauber24, der dafür plädiert „die eigene Lebensweise im Spiegel der interkulturellen Begegnung kritisch zu betrachten“. Konkrete Anschauung zum Thema „Wassermangel“ bieten die Lebensverhältnisse auf den Kapverdischen Inseln, einem westafrikanischen Land, das zur Sahelzone gehört.25 In der Werkstätte vermittelte ein Video (Gesellschaft für technische Zusammenarbeit) einen ersten Eindruck dieses trockenen Landes, das in seiner Geschichte mehrere Dürreperioden aufweist und wo es heutzutage oft nur drei- bis viermal im Jahr regnet und das nur spärlich. Doch noch wertvoller als das Betrachten des Bilddokumentes war die Begegnung mit Filomena Varela, einer kapverdianischen Studentin, die ihr Studium in Deutschland vor kurzem abgeschlossen hatte und für mich völlig unerwartet in der Werkstätte auftauchte. Für sie war - aufgrund ihrer Erfahrungen - die Teilnahme gerade an dieser Werkstatt natürlich nahe liegend. Ihren spontanen mündlichen Beitrag hat sie nachträglich wie folgt zusammengefasst.
Wasser auf den Kapverdischen Inseln „Das Wasser steht der gesamten Hauptstadt Praia nicht gleichzeitig zur Verfügung, sondern je nach Stadtteil bekommt man täglich oder jeden dritten Tag für ein oder zwei Stunden fließendes Wasser. Da nicht jeder Einwohner über fließendes Wasser verfügt, sind sie gezwungen sich an die öffentliche Wasserverteilung in kleinen Häuschen zu wenden. Bei der öffentlichen Wasserverteilung werden pro Person 1 bis 2 Behälter mit 20 Liter Wasser für ca. 5 Cent pro Behälter verkauft. In ländlichen Gebieten gibt es mehrere öffentliche Wasserverteiler und in den Bergen ein paar wenige Wasserquellen, die während der trockenen Zeit fortbestehen. Diese Quellen befinden sich jedoch einige Kilometer Fußmarsch von den Wohnorten entfernt. Da es mühsam ist, an das Wasser zu gelangen, geht man auf den Kapverden einigermaßen vorsichtig damit um. In den Wohnungen gibt es verschiedene Gefäße, um das Wasser, das nach Verwendungszweck aufgeteilt wird, aufzubewahren. Z.B. wird das Trinkwasser in dem besten Gefäß, das man besitzt in der Küche oder - wenn es in dem Haus keine richtige Küche gibt - im Wohnzimmer aufbewahrt. Es gibt zusätzliche Behälter für Wasser zum Kochen und Abspülen, sowie weitere Behälter mit Wasser zum Waschen, Putzen und als Spülung für die Toilette. Auf dem Land sind des Öfteren Zisternen, die mit Regenwasser aufgefüllt werden, zu finden. Für das Wasser gibt es mehrere Verwendungszwecke, z.B. werden beim Abspülen zwei Behälter mit Wasser gefüllt. In dem ersten Behälter wird mit Spülmittel abgespült und im zweiten Behälter mit klarem Wasser nachgespült. Das Wasser mit dem nachgespült wird, wird beim nächsten Abspülen für das Hauptspülen mit Spülmittel verwendet. Für das Wäschewaschen gibt es eine ähnliche Methode. Hier wird wiederum ein Behälter für das Hauptwaschen und der zweite zum Nachwaschen verwendet. Das zum Nachwaschen verwendete Wasser kann dazu 23
Schreier,H. (1994): John Dewey, Stuttgart Dauber,H. u.a.(1998): Das Projekt war doch ein Erfolg. Schulen im interkulturellen Dialog, Frankfurt 25 Zwischen 1991 und 1994 habe ich dort im Rahmen eines Projektes der Entwicklungszusammenarbeit gelebt. 24
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verwendet werden, die Wohnung zu putzen oder dient als Spülwasser für die Toilette. Wasser, welches nicht weiter verwendet werden kann, wird vor der Wohnung auf die Strasse oder in der umliegenden Landschaft verteilt, um den Staub zu festigen und somit die Wohnung länger vom Staub frei zu halten.“ Wasser in Deutschland Diese direkte Begegnung mit einer anderen „Wasser“erfahrung regte die übrigen Teilnehmer/innen der Werkstatt an, den Wasserverbrauch in den Industriestaaten zu reflektieren: Ca. 130 l pro Tag und Person in Deutschland und ca. 295 l in den USA Unnötiger Verbrauch von Trinkwasser für die Toilettenspülung Immer häufigeres Duschen Immer häufigeres Waschen von Kleidung Manche Teilnehmerin erinnerte sich an frühere Zeiten als Kleidung auch bei uns noch öfters gelüftet anstatt gewaschen wurde und eine samstägliche Badewannenfüllung zur Reinigung der ganzen Familie reichen musste. Die in der Werkstätte beteiligten Schülerinnen beklagten stattdessen das mangelnde Hygienebewusstsein eines Lehrers während einer Studienreise. Ein (sozialisationsbedingter?) Erfahrungsdissens wurde deutlich. Möglichkeiten für den Unterricht Einig waren sich hingegen alle hinsichtlich der Schwierigkeit, Schülerinnen und Schülern zu vermitteln, dass das Thema Wassermangel ein gemeinsames Problem ist. Wie können Erfahrungen von Wasserarmut ermöglicht werden? Folgende Vorschläge für neue Wassererfahrungen wurden gesammelt: Wassertragen wie auf den Kapverdischen Inseln ausprobieren26 Versuchen, einen Tag lang mit ganz wenig Wasser auskommen Die nächstliegende Wasserquelle im Klassenzimmer sperren und dadurch einen weiteren Weg erforderlich machen Einen Vormittag draußen verbringen und Möglichkeiten der Wasserbeschaffung finden Die „Rose von Jericho“ als Beispiel für eine Pflanze kennen lernen, die durch wenig Wasser zum Blühen kommt Analyse der Graphik (s.o.) Wasser“überfluss“ Dominant war in dieser Werkstatt die Frage nach einem verantwortungsvollen Umgang mit Wasser angesichts zurückgehender Grundwasserressourcen. Die Frage des Wasserüberflusses kam weniger zur Sprache. Vielleicht durch die Begegnung mit Filomena; vielleicht weil dies weniger im Erfahrungshorizont der Teilnehmer/innen lag? Zeitungsberichte an der Wand dokumentierten jedenfalls Überschwemmungen im Neckartal und am Bodensee und verdeutlichten, wie sehr auch dies unser Thema ist. Barbara Zahn übernahm es an dieser Stelle einen Blick über den Tellerrand hinaus zu tun und berichtete von ihren schulischen Erfahrungen mit einem Kinderbuch, das eine Überschwemmungssituation am Jantseking beschreibt. Zur weiteren Information Es empfiehlt sich das Heft 2/2002 von Global Lernen (Hrsg. Schulprojektstelle Globales Lernen/Brot für die Welt) mit aktuellen Hintergrundinformationen. Praktisch für den Unterricht sind außerdem die Wasserkisten des EPIZ (Planie 22, 72764 Reutlingen), die gegen eine geringe Gebühr ausgeliehen werden können. 26
Anregungen dazu siehe: Lehren und Lernen, Zeitschrift des Landesinstituts für Erziehung und Unterricht Stuttgart, Heft 10, Oktober 2000, S.31ff
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Literaturwerkstatt Afrika - total normal Martina Kühfuß (Schülerin), Ulrike Grimm (Lehrerin); Realschule Neuffen Afrika als Thema im Deutschunterricht? Wieso denn das? Befragt, was ihnen zu Afrika einfalle, antworten die meisten Leute (nicht nur Kinder und Jugendliche): Hunger, Armut, Krieg - und haben dabei beispielsweise die Fernsehbilder aus Mosambik im Kopf. Von Afrika erwarten wir nicht viel und sehen deshalb kaum hin. Arbeiten naiver Naturvölker erschlossen später weltberühmten Künstlern wie Picasso und Matisse neue Sehweisen. Neue Sehweisen? Aber was gibt es denn neben dem Elend zu sehen? Wie leben Menschen in Afrika, welche Vorbilder haben sie, welche Träume? Wie sieht der Alltag aus? Was ist ganz anders, was ähnlich wie bei uns, was ist das Besondere? Musik, Wohnen, Essen, Frisuren, Mode und Schule stehen im Mittelpunkt der Bücher, die Bestandteil der hier beschriebenen Literaturwerkstatt sind. Literarische Texte im Unterricht dienen auf dem Hintergrund der Fragestellungen im Wesentlichen dazu, Interesse zu wecken, zu motivieren und Lust darauf zu machen, mehr Informationen zu erhalten. Nicht Literaturanalyse oder Betrachtung literarischer Strukturen sind Unterrichtsziel, sondern das Leben der beschriebenen Menschen und ihre Lebensumstände stehen im Mittelpunkt des Unterrichtsgeschehens. Dies erfordert dann aber andere Vorgehensweisen als das klassische lehrerzentrierte Unterrichtsgespräch. Ein neuer Weg, der an der Realschule in Neuffen bereits mehrfach beschritten wurde, soll im Folgenden skizziert werden. Entstehungsgeschichte Bei einem Besuch im Entwicklungspädagogischen Informationszentrum (EPIZ) in Reutlingen erfuhr ich im Schuljahr 1998/99 von einem Projekt Lernwerkstätten und Schulpartnerschaften, für das das EPIZ schulische und außerschulische Partner suchte. Lernwerkstätten werden im Konzept des EPIZ von Regina Seitz so beschrieben: Lernwerkstätten "Lernwerkstätten als reformunterstützende Einrichtungen der 80er und 90er Jahre reagieren auf die Anforderungen der "inneren Schulreform" und setzen insofern andere und neue Arbeitsschwerpunkte als ihre Vorgänger. Dabei werden die Reformprinzipien der 80/90er Jahre, wie z.B. die Forderung nach freien, selbsttätigen Arbeits- und Lernmöglichkeiten oder nach einer adäquaten Gestaltung der Lernumgebung in das eigene Arbeitskonzept und Selbstverständnis integriert (...). Dies verweist auf einen weiteren Ansatzpunkt zur konzeptionellen Klärung der Lernwerkstattidee, der die Arbeits- und Lernsituationen in den Lernwerkstätten einbezieht." (Müller-Naendrup, 1997, S.110 Hervorhebungen im Text). Schule soll sich verändern, sie will Schüler und Schülerinnen zu selbst gesteuertem Lernen anregen und ihnen eine dafür adäquate Lernumgebung bieten. Das Konzept der Werkstattarbeit wird in diesem Kontext sogar als „Gegenentwurf“ zum lehrerzentrierten Unterricht verstanden: "Werkstattorientierte Arbeit versteht sich als Gegenentwurf zum traditionellen Hochschulunterricht, zum referentenorientierten Lernen in der Erwachsenenbildung und zum lehrerzentrierten Unterricht in den Schulen."(Pallasch, Reimers 1990) Das Anliegen, die Methoden und Ideen reformorientierter Pädagogik auch für Lehrerinnen und Lehrer, Studentinnen und Studenten erfahrbar werden zu lassen, liegt der Lernwerkstattidee zu Grunde. 71
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Wer versuchen soll/ will, Unterricht zu verändern, braucht auch selbst Lernerfahrungen, die diesen Prinzipien entsprechen. Lernwerkstätten können so als "Orte des Probehandelns" (Pallasch, Reimers, 1990, S. 87) bezeichnet werden. Organisationsformen von Lernwerkstätten Lernwerkstätten finden sich angegliedert direkt an Schulen (z.B. Französische Grundschule in Tübingen) oder Einrichtungen der Lehrer/innenaus- und fortbildung. Teilnehmer/innen sind in der Regel Lehrer/innen oder Student/innen. (Je nach Konzept dient die Ausstattung auch der direkten Arbeit mit Schüler/innen.) Fast immer sind Lernwerkstätten auch feste Räumlichkeiten, die als solche langfristig zur Verfügung stehen. Die Ausstattung von Lernwerkstätten Die Ausstattung von Lernwerkstätten enthält sehr vielseitige Materialien, die entdeckendes Lernen, fächerübergreifendes Lernen, Projektarbeit oder freies Arbeiten ermöglichen sollen. Um die Vielfalt deutlich zu machen, hier eine Auflistung möglicher Materialien: Druckerei, Computer (früher eher Schreibmaschine), Leseecke, Werkbank für Holz- und Metallarbeiten, Theaterecke, Bibliothek, Teeküche, Pinnwand, Textilecke, Experimentierecke mit naturwissenschaftlichen Geräten, eine Beobachtungsstation mit Lupen und Mikroskopen, eine Materialkiste für Zauberei, Arbeitskarteien, Ausstellungskästen, Regale für verschiedene Materialien u. v. a. m. (Auflistung vgl. Pallasch/Reimers 1990, S. 91) Bei den Überlegungen, wie eine Lernwerkstatt konkret in der Realschule Neuffen gestaltet werden könnte, stießen wir, Mitarbeiterinnen des EPIZ und ich, 1999 auf die Aktion Guck mal übern Tellerrand - Lies mal, wie die andern leben! der Deutschen Welthungerhilfe und der Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien und Lateinamerika e.V. Kurz darauf trafen die Ausschreibung des Wettbewerbs Helden - bitte melden! bei uns in der Schule ein und unser Projektthema Literaturwerkstatt Afrika – total normal war gefunden. Die nächsten Überlegungen waren nun darauf gerichtet, wie die oben dargestellte Theorie der Lernwerkstätten denn konkret in die Praxis einer Literaturwerkstatt umgesetzt werden könnte. Methodische Überlegungen Ein solcher Umgang mit Literatur erforderte - wie oben bereits erwähnt - andere Zugänge und methodische Ansätze als das klassische Lehrer/innen-Schüler/innen-Gespräch. Eine Unterrichtsstruktur zu finden, die lehrerzentriertes Agieren weitgehend vermeidet und das selbstständige Lernen fördert, war das Ziel. Ein wichtiger Punkt war deshalb zunächst, dass die Schüler/innen aus einer Anzahl möglicher Literatur sich ihr Buch selbst auswählen konnten. In kleinen Gruppen erarbeiteten sie sich die Texte und versuchten, sich kreativ mit ihnen auseinander zu setzen. So entstanden sehr individuell ausgestaltete Lesetagebücher und gemeinschaftlich angefertigte Mappen zum jeweiligen Buch. Um zu vermeiden, dass ein gemeinsames Ziel für die Gesamtgruppe nicht mehr erkennbar war, wurde im Unterricht von allen Gruppen immer wieder der jeweilige Stand der Dinge klargelegt und diskutiert. Die einzelnen Ergebnisse wurden am Ende der Werkstatt zu einer gemeinsamen Präsentation zusammengefügt. Ablauf und Organisation der Präsentation wurde von den Schüler/innen selbst festgelegt. Die Projekttage wurden von den Schüler/innen thematisch selbst gestaltet. Während der Projekttage konnten die Schüler/innen die Literaturwerkstatt als „Ort des Probehandelns” erleben: Sie konnten sich auf den Dialog mit einer anderen Kultur einlassen (beim 72
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Besuch von Herrn Buya, Dienst für Mission, Ökumene und Entwicklung DIMOE) und neue Erfahrungen gewinnen (Kochen, fremde Speisen essen, mit Fingern essen, Trommeln, fremde Mode erleben). Letztendlich sollte die Eigenverantwortung nicht bei der Benotung aufhören. Die Endnote setzte sich zusammen aus drei großen Teilnoten: einer Eigenbewertung des Gruppenergebnisses und der Teamarbeit einer Bewertung des Gruppenergebnisses durch Mitschüler/innen einer Bewertung durch die Lehrkraft. Ein weiterer wichtiger Aspekt war für die Klasse die Präsentation ihrer Arbeit in einer größeren Öffentlichkeit, sollte „man” doch sehen können, was sie alles geleistet hatte. Handeln im Sinne von Informations- und Öffentlichkeitsarbeit als wichtiger Bestandteil des Globalen Lernens konnte hier praktiziert werden. Inhaltliche Schwerpunkte Die inhaltlichen Schwerpunkte waren natürlich zunächst einmal durch die Themenstellungen der einzelnen Jugendbücher festgelegt. Alle Autoren lebten bzw. leben in Afrika, was darauf hoffen lässt, dass die dargestellten Inhalte der einzelnen Bücher bezogen auf ein Leben im jeweiligen afrikanischen Land relativ authentisch dargestellt sind. Durch die thematische Auswahl der Bücher wurde eine inhaltliche Verbindung zwischen dem Schauplatz des Buches und der Lebenswelt der Schüler/innen hergestellt. Immer wieder wurde Lokales und Globales verwoben, was während der Projekttage seinen Höhepunkt fand. Mein Hauptanliegen war jedoch im interkulturellen Lernen angesiedelt: Interesse wecken, motivieren, Lust auf mehr Information machen sich mit der Lebenswelt, den Wünschen und Problemen von Jugendlichen aus afrikanischen Ländern auseinandersetzen die eigene Rolle vergleichend mit einbeziehen (Lesetagebuch/Tagesablauf) Unterschiede und Gemeinsamkeiten reflektieren und diskutieren Dieses Kennenlernen von Jugendlichen aus anderen Ländern - sowohl emotional als auch intellektuell - bildet meiner Ansicht nach die Basis für eine weitere Beschäftigung und engagierte Auseinandersetzung mit globalen Themen wie sie in den Büchern angesprochen wurden: Umwelt/Gerechtigkeit, Frieden, Rassismus/Ausländerfeindlichkeit, Kinderechte/Menschenrechte, ... Insgesamt wurde die Entwicklung von sozialen, sprachlichen ( Lese-, Schreib-, Gesprächsfähigkeit, Umsetzung von Schreibanlässen) und kulturellen Kompetenzen angeregt. Strukturelle Vorgaben Elemente der Lernwerkstatt (siehe oben) konnten wir natürlich nur unter den normalerweise an Realschulen gegebenen Bedingungen durchführen: 4 Wochen lang: Unterricht im 45-Minuten-Takt im Klassenzimmer der Klasse da keine Gruppenräume existieren, wurden Gänge bzw. leer stehende Klassenräume anderer Klassen, die sich in Fachräumen befanden, genutzt mobile Materialkisten (zusammengestellt vom EPIZ) mit Inhalt der Werkstatt 3 Tage lang: keine zeitlichen Vorgaben von außen Nutzung mehrerer Räume (Küche, Musiksaal, Klassenzimmer) Referent/innen von außerhalb (teilweise vermittelt durch das EPIZ) 73
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Durchführung Nachdem die Literaturwerkstatt im Schuljahr 98/99 auf große Resonanz bei der beteiligten Klasse gestoßen war, war es sowohl mein Anliegen als Lehrerin als auch der Vorschlag der nachfolgenden 8. Klasse, auch in diesem Schuljahr 99/00 für vier Wochen in einer Literaturwerkstatt zu arbeiten. Hier nun eine Skizzierung unserer Vorgehensweise im zweiten Durchgang der Werkstatt: 1. In einer gemeinsamen Einstiegsphase sammelten wir nach einer Fantasiereise Assoziationen zum Begriff „Afrika” und werteten diese mittels Metaplantechnik aus. Afrika in unseren Köpfen war zunächst fest gehalten. 2. Die afrikanische Welt in Jugendbüchern sollte unser Thema für die nächsten vier Wochen sein. Zunächst stöberten die Schüler/innen in einer Bücherkiste mit Jugendliteratur (Liste siehe Anlage), entschieden sich für ein Buch und fanden sich so über die Buchwahl zu Arbeitsgruppen von maximal vier Personen zusammen. Aufgabenstellung war zunächst das Lesen des jeweiligen Buches und das Erledigen des Pflichtprogramms. Dieses bestand aus dem Führen eines Lesetagebuches für jeden einzelnen, aus der Diskussion dieser Ergebnisse in der Gruppe und dem gemeinsamen Gestalten einer Mappe zum Buch. Mindestanforderung waren hierbei Inhaltsangabe, Buchkritik, Gestaltung eines Länderplakates, der Vergleich eines Tagesablaufes von Jugendlichen hier und Jugendlichen im jeweiligen Buch. 3. Arbeitsgrundlagen in dieser Gruppenphase waren eine Basisbücherkiste zu inhaltlichen Fragen eine Methodenkartei für Mappen und Präsentation eine Schnippelkiste für die Gestaltung von Mappen bzw. Plakaten. 4. Während der Gruppenphase informierten sich die einzelnen Gruppen gegenseitig immer wieder über den jeweiligen Stand der Dinge. Während der gesamten Gruppenphase wurden Themen(vorschläge) in einem Briefkasten gesammelt, auf die die Schüler/innen bei der Lektüre ihres Buches gestoßen waren und die sie gerne weiterverfolgen wollten. So erhielten wir Vorschläge für Projekte. 5. Nach ca. der Hälfte der vorgesehenen Zeit folgte eine dreitägige projektorientierte Phase, in der zunächst von Lehrer/innenseite aus Impulse für die ganze Klasse gesetzt wurden, indem Herr Buya (DIMOE) von seinem Heimatland Tansania erzählte. Abends startete auf Wunsch der Schüler/innen eine Filmnacht mit verschiedenen afrikanischen Filmen. Am letzten Tag konnten die Jugendlichen ihrem persönlichen Schwerpunkt nachgehen. Sie wählten folgende Projekte: Afrikanische Mode und Frisuren Kochen wie in Afrika Der Klang Afrikas - afrikanisches Trommeln Kontakte knüpfen mit Jugendlichen aus einem afrikanischen Land: schreiben, übersetzen, schicken (e-mail, Briefe, ...) 6. Abschluss fand unsere Literaturwerkstatt in einer Präsentation für Eltern, Freund/innen und Lehrer/innen bei der jährlich an unserer Schule stattfindenden „Hocketse”. Jede Gruppe präsentierte in einer afrikanischen Rundhütte, die wir von einer Reutlinger evangelischen Kirchengemeinde entleihen konnten, ihr Buch an einem von ihr gestalteten Büchertisch. In weiterer Literatur konnte geschmökert werden und Projektergebnisse wurden 74
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vorgestellt: Besucher/innen konnten sich in einem Frisiersalon Zöpfe flechten lassen, Rindfleisch mit Erdnusssauce oder exotische afrikanische Obstsorten kosten. 7. Einen klasseninternen Abschluss bildete eine Rückmelderunde mittels anonymem Fragebogen. Resultat: Die Literaturwerkstatt Afrika - total normal fand uneingeschränkt Anklang. Anregungen für weitere Literaturwerkstätten wurden schon genannt.
Fazit Fächerverbindendes, themenorientiertes, projektartiges Arbeiten basiert auf den Inhalten des Bildungsplanes für die Realschule Baden-Württemberg, wird dort sogar ausdrücklich gewünscht bzw. gefordert: „Im Laufe eines Schuljahres ist mindestens ein fächerverbindendes Thema zu behandeln. Über den Fachunterricht und fächerverbindendes Arbeiten hinaus sind fächerübergreifende und außerunterrichtliche Aktivitäten anzustreben. Hierbei können öffentliche Einrichtungen oder Institutionen zum Lernort werden; Schüler und Schülerinnen werden im Rahmen von Projekten außerhalb von Schule und Unterricht tätig und übernehmen Verantwortung. Auf diese Weise werden Inhalte des Bildungsplanes in ihrem Zusammenhang mit der Lebenswirklichkeit gesehen und Schule wird mit verantwortlichem Handeln verknüpft.”(S.13) An der Realschule Neuffen werden solche Unterrichtsvorhaben von Seiten der Schulleitung befürwortet und unterstützt. Eine Lernwerkstatt könnte also an jeder Realschule in Baden-Württemberg entstehen. Allerdings ist sie meiner Ansicht nach nur in Zusammenarbeit mit externen Partner/innen durchführbar, die beispielsweise Material bereitstellen, Hilfe leisten bei der Suche nach Referent/innen oder weiterer Materialien und die selbst zu besonderen Anlässen als Mitarbeiter/innen in der Schule agieren, etc. Literatur zum Thema „Lernwerkstätten“: Brot für die Welt/ Schulprojektstelle Globales Lernen: Global Lernen. Service für Lehrerinnen und Lehrer. Zeitschrift. Bezug: Brot für die Welt, Stafflenbergstr. 76, 70184 Stuttgart. Müller-Naendrup, B.: Lernwerkstätten an Hochschulen: ein Beitrag zur Reform der Primarstufenbildung. Frankfurt am Main 1997. Pallasch, W./ Reimers, H.: Pädagogische Werkstattarbeit. Eine pädagogisch-didaktische Konzeption zur Belebung der traditionellen Lernkultur. Weinheim und München 1990. Jugendbücher der Literaturwerkstatt Afrika (im Entwicklungspädagogischen Informationszentrum EPIZ als Medienpaket auszuleihen: EPIZ, Planie 22, 72764 Reutlingen, Tel: 07121/491060 Fax: 07121/491102, E-Mail:
[email protected]) Von den Schülerinnen und Schülern ausgewählte Literatur: 1. Belinga, Jean-Félix Belinga: Wir drei gegen Onkel Chef. Weinheim 1998. 2. Petit, Xavier-Laurent: Die Oase. Weinheim 1998. 3. Ramge, Sigrid: Wanjiko und die schwarzen Störche. Wien 1998. 4. Siege, Nasrin: Sombo, das Mädchen vom Fluss. Weinheim 1994. 5. Siege, Nasrin: Wie der Fluss in meinem Dorf. Weinheim 1996. 6. Siege, Nasrin: Juma. Ein Straßenkind aus Tansania. Weinheim 1998. 7. Silver, Norman: Keine Tiger in Afrika. Weinheim 1994. 8. Zweig, Stefanie: Eine Mundvoll Erde. München 1996.
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Weitere Auswahl: 1. Bedford, Simi: Yoruba-Mädchen, tanzend: Aarau 1994. 2. Cesco, Federica de: Sterne über heißem Sand. München 1994. 3. Heuck, Sigrid: Saids Geschichte. Weinheim 1999. 4. Mankell, Henning: Das Geheimnis des Feuers. Hamburg 1997. 5. Mwangi, Meja: Kariuki. München 1997. 6. Pestum, Jo: Die Gazelle. Stuttgart 1997. 7. Silver, Norman: Ein Auge für Farben. Weinheim 1996. 8. Smith, Roland: Die Höhle der Elefanten. OMNIBUS Taschenbuch 1999.
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Eine Welt im Kindergarten am Beispiel Afrika Gudrun Riedel, Ernst Lange-Institut für Ökumenische Studien 1. Vorstellung Zur Person: Gudrun Riedel, Agraringenieurin, lebte und arbeitete 7 Jahre als Entwicklungshelferin des DED in Afrika (Rwanda, Kamerun). Nach ihrer Rückkehr 1999, war sie als Referentin im Kindergarten und Grundschulbereich tätig (Begegnungsveranstaltungen, Fortbildungsveranstaltungen, Afrikafeste). Seit 2001 arbeitet sie in einem Projekt zum Globalen Lernen: „Basic Needs“ am Ernst Lange – Institut für ökumenische Studien in Rothenburg o. d. Tauber. Zum Projekt „Basic Needs“: Am Beispiel Afrikas und Europas sollen die Grundbedürfnisse als Thema Globalen Lernens betrachtet werden. Projektziel ist die Entwicklung von didaktischen Kindergarten- und Grundschulmaterialien. Projektträger ist das Ernst Lange – Institut für ökumenische Studien, Rothenburg o. d. Tauber, Projektpartner der Deutsche Entwicklungsdienst (DED), der Evangelische Entwicklungsdienst (EED), die Aktion Brot für die Welt und der Kirchliche Entwicklungsdienst (KED) Bayern. Die voraussichtliche Projektlaufzeit ist September 2001 - August 2003 Zum Thema: „Sind Kindergartenkinder nicht (noch) zu klein für die große Welt?“ – Und: „Sollten sich Grundschüler/innen nicht erst mal mit ihrer näheren, heimatlichen Umgebung beschäftigen?“ – Noch immer trifft Globales Lernen auf vielerlei Einwände und Ablehnung. Die Frage welchen Stellenwert Globales Lernen in Kindergarten und Grundschule einzunehmen hat, ist momentan noch stark von der individuellen Interessenslage der Kindergartenleitung, einzelner Erzieher/innen, respektive Schulleitung bzw. Lehrer/innen abhängig. Meinungen, wie z.B. die, dass sich erzieherische Tätigkeit im Kindergarten (gesellschaftlich) erzwungenermaßen auf den erzieherischen Auftrag konzentrieren muss, sind zwar immer noch häufig zu hören, werden aber nach PISA, immer schwieriger beizubehalten sein. Auch der Rückzug auf einen sehr eng verstandenen Situationsansatz führt zu einer Art freiwilliger Selbstbeschränkung hinsichtlich des Bildungsauftrags der Institution Kindergarten. Vor dem Szenario weltweiter Wechselwirkungen bekommen die vier Grundaspekte Globalen Lernens und Erfahrens: Weltsicht, Zukunftsorientierung, Wertschätzung kultureller Vielfalt und Orientierung an ethischen Prinzipien existenzielle Bedeutung. Die Weichen für den zukünftigen Umgang mit „Fremdem“, - ob aufgeschlossen, mit Neugier und Interesse, oder ängstlich und ablehnend, - werden schon im Kindergartenalter gestellt. Es wäre dumm und kurzsichtig auf diese Chance zu verzichten. Unser Beispiel hier und heute ist Afrika. Ein Kontinent, mit dem nicht nur Kinder viele oft auch sehr widersprüchliche Bilder verbinden. Die grundsätzliche Herangehensweise bei der Behandlung eines Globalen Themas kann aber verallgemeinert werden.
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2. Einstieg oder die Bilder in unserem Kopf – Denkanstöße Brainstorming: Meine Bilder, Ideen, Schlagworte zum Thema Afrika und Europa Antworten zur Frage: Was verbinde ich mit Afrika? phantastische Landschaft, viel Sonne, Wärme, Wüste, Tropen, Elefanten
Hunger, Wassermangel, Bürgerkriege, ethnische Spannungen, Apartheid, Leid, mangelnde Schulbildung
Entwicklungshilfe, Missionare
Glänzende Kinderaugen, Kontrast, große Familien, große kulturelle Vielfalt, Stämme, schwarze Haut, everything...
Antworten zur Frage: Was verbinde ich mit Europa?
Wirtschaft, Luxus, Konsum, Überernährung, wirtschaftlichen Überfluss, Unersättlichkeit, teure Autos, Urlaub, Spaßgesellschaft, Kaffee, Schokolade
Egoismus, Stress, Zeitmangel, Ein-Kind-Familie, Einzelgänger, Zerfall v. Familienstrukturen
Kälte
Wasserverschwendung, Abgase
Große Kultur, kulturelle Vielfalt, Noch-Nicht-Einheit, OstWest-Konflikt, christliches Abendland
Ergebnis: Was fällt auf? Stereotype existieren sowohl für Europa wie für Afrika. Negativ (soziale Kälte für Europa, Elend für Afrika) und positiv besetzte Klischees (Wohlstand für Europa, exotisches Naturerlebnis für Afrika) werden der existierenden Vielfalt beider Kontinente nicht gerecht. Der Anmerkung eines Teilnehmers: „Africa is everything...“ darf hinzugefügt werden: „...and Europe too!“. Eine Weltball Erd-Ballspiel: Wo ist Afrika, wo ist Europa? Was bedeuten die Begriffe oben/unten auf einer Kugel, die durch den Weltraum rast... Ergebnis: Bei uns allen dominiert ein Euro-(bzw. Nordamerika-)zentristisches Weltbild. Weitere Beispiele: Geographische Darstellungen als Mercator und Peters-Projektion. 78
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Fazit Voreingenommenheiten, Klischees, Vorurteile, Stereotypen, einseitige Weltsichten gibt es bei jedem von uns, nicht zuletzt begegnen wir ihnen tagtäglich in den Medien/Nachrichten! Wichtig ist sich dessen bewusst zu werden und sich selbst auf die Verwendung von Klischees/Stereotypen/... hin zu beobachten: um sie zukünftig zu vermeiden, zu relativieren oder aber auch um kreativ mit ihnen umzugehen. Vielfalt muss vermittelt werden. So unterschiedlich wie Europa, hinsichtlich Klima, Sprache, Flora, Fauna und Bevölkerung ist, ist (mindestens) auch das dreimal größere Afrika. So wie auch hier in Deutschland innerhalb einer Familie, eines Ortes, eines Landes verschiedenste Lebensumstände und Lebensentwürfe nebeneinander bestehen, gilt dies gleichfalls für andere Kontinente. Wie ist diese Vielfalt „einzufangen“? Vorschläge: Beispielgeschichten mit „Gegensatzpaaren“ Mädchen/Junge, Stadt/Land, reich/arm, Vorstellung verschiedener Personen aus verschiedenen Ländern und unterschiedlichen Lebensverhältnissen, vielfältiges Foto- und Bildmaterial. 3. Praxisideen und -vorschläge zu verschiedenen Lebensbereichen Thema: Alltag, Afrika südlich der Sahara, ländliches Afrika Haus und Hof Das ländliche Leben ist von Ackerbau, Viehzucht und den gesellschaftlichreligiösen Verpflichtungen geprägt. Geld ist extrem knapp auf dem Dorf, dies gilt für die Frauen in noch stärkerem Maße als für die Männer. Die Erzeugung von Nahrungsmitteln erfolgt zum Eigenverbrauch und zur Erwirtschaftung kleiner Überschüsse für den Verkauf auf den lokalen Märkten. Das ermöglicht die Einnahme von Geld zum Erwerb von Gebrauchsgütern (Kleiderstoffe, Töpfe, Eimer, Tonkrüge etc.), zur Zahlung von Schulgeld und Arznei oder Arztkosten. Viele Dinge des täglichen Gebrauchs werden aus kostenlos verfügbaren Materialien erstellt. Anschauungs- und Anfühlobjekte: Stühle, Hausrat, Kinderspielzeug (Bezugsmöglichkeit: Weltläden...). Einige Dinge können in Kindergarten und Grundschule nachgearbeitet oder (mit hiesigen Rohstoffen) nachempfunden werden (Besen, Schöpfkelle, Trinkgefäß,...). Bezug zur afrikanischen Landwirtschaft kann über Pflanzenanzucht (z.B. Dattelpalme oder Mango) und afrikanische (Kinder-) Spiele zum Thema Viehzucht hergestellt werden. Afrikanische Küche Wodurch zeichnet sich die „Afrikanische Küche“ aus? Dörfliches Alltagsessen ist meistens Soße mit einer Beilage. Beilagen können sein: Brei oder „Knödel“ aus Hirse, Mais, Reis, Taro, Maniok, Bohnen oder stärkehaltige Früchte wie Yams, Süßkartoffel, Maniok, Kartoffel, Kochbanane, Reis oder „Pfannkuchen“ (Indjera - Äthiopien, Eritrea). Die Soße kann bestehen aus: lokalen Blattgemüsen, Erdnüssen, Bohnen, Okra, Auberginen etc.
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Fleisch und Fisch wird zwar gern gegessen, ist aber auf dem Land oft nur Feiertags- oder Festtagsessen. Auf dem Land erfolgt die Verarbeitung der Nahrungsmittel vielfach mit Mörser, Mahloder Quetschstein, Worfelkorb etc. Gekocht wird zumeist auf dem Drei-Steine-Herd. Zum Anschauen, Riechen, Fühlen und Schmecken: Ein Korb mit landwirtschaftlichen Produkten aus Afrika. Mit „typischen“ tropischen Früchten und Genussmitteln wie Mango und Schokolade, aber auch „europäisches“ Obst und Gemüse wie Äpfeln und Zwiebeln, mit „exotischen“ Gewürzen wie Nelken und Pfeffer etc. aber auch Rohrzucker oder Baumwolle. (Bezugsmöglichkeit: Weltläden, Lebensmittelläden...). Einfache Rezepte können in Kindergarten und Grundschule nachgekocht werden (z.B. Sesamkrokant, Maisfoufou), vorzugsweise unter Anwendung „dörflicher“ Verarbeitungstechnik. Musik und Tanz Der Musikbegriff Schwarzafrikas umfasst neben der eigentlichen Musik auch Tanz, Gestik und Schauspiel. In einigen Sprachen gibt es einen einzigen Ausdruck für Trommeln, Spielen, Singen und Tanzen. Musik und Tanz sind untrennbar. Was die Harmonie für die europäische Musik ist, ist der Rhythmus für die afrikanische Musik. Zwischen traditioneller und moderner afrikanischer Musik wird keine so scharfe Trennlinie gezogen, wie es beispielsweise bei uns zwischen E- und U-Musik gemacht wird. Anschauungs- und Anhörobjekte: Musikinstrumente, Musikkassetten (Bezugsmöglichkeiten: Weltläden, Weltmusiklabels). Musikinstrumente, vor allem einfache Rhythmusinstrumente (Trommeln, Rasseln), können auch von kleineren Kindern gebaut und ausprobiert werden. Anschließend darf oder besser muss getanzt werden. Und nicht vergessen Auch Folgendem begegnet man in Afrika, wenn auch seltener auf dem Lande: Haushalten mit Waschmaschinen, Menschen mit Anzug und Krawatte, Internet-Cafés, Schnitzel und PommesFrites, Spaghetti Bolognese, Gas- und Elektroherden, Internationaler Popmusik, Diskotheken, Walkmen. Ganz wichtig für die Beschäftigung mit dem Thema: Persönliche Kontakte und Begegnungen ermöglichen! Besuche von afrikanischen Gästen in Kindergarten und Grundschule sind besonders eindrücklich und bieten authentische Informationen.
EIN FREMDER SIEHT NUR DAS, WAS ER SCHON KENNT
(Afrikanisches Sprichwort)
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E. Engagement für globale Solidarität
Die Entschuldung des Südens – 50 Jahre nach der Entschuldung Deutschlands Linde Janke, erlassjahr.de - Forum Baden-Württemberg 1. Rollenspiel: Wie würden Sie entscheiden? Stellen Sie sich vor, Sie (das Plenum) sind die deutsche Regierung. Deutschland ist ein wichtiger Gläubiger für die armen Länder der Erde. Ich vertrete eines Ihrer Schuldnerländer und möchte Ihnen hier einen Antrag zur Entschuldung vorlegen. Das Land, das ich vertrete, hat einen verheerenden Krieg mit den Nachbarstaaten hinter sich, den allerdings unser eigener Diktator, der damals regierte, angefangen hat. Nach sechs Jahren Krieg sind die Folgen des Krieges erdrückend: Unser Land liegt danieder, alle größeren Städte sind zerstört, die meisten Produktionsanlagen wurden im Krieg vernichtet. Weite Teile der Bevölkerung sind in den Westen des Landes geflohen, weil der Osten durch feindliche Truppen besetzt ist. Viele dieser Menschen leben auch jetzt noch, acht Jahre nach Kriegsende, in Notunterkünften. Die Menschen leben am Existenzminimum, die medizinische Versorgung ist schlecht. Seit vier Jahren hat eine neue Regierung die Macht übernommen, die allerdings zum Teil aus alten Eliten besteht, die damals dem Diktator zur Macht verholfen hatten. Als Vertreter dieser Regierung trete ich jetzt an Sie heran, weil die ausstehenden Schulden unseres Landes höher sind als unser Bruttosozialprodukt und vollkommen unklar ist, wie diese jemals bezahlt werden sollen. Wir brauchen unsere Exporteinnahmen, um unser Land wieder aufzubauen und nicht, um davon ausstehende Auslandsschulden zu begleichen. Der Schuldenstand unseres Landes bei allen Gläubigern beträgt rund 30 Milliarden Mark. Ich möchte Ihnen vorschlagen, uns den Großteil unserer Schulden zu erlassen, mindestens aber 50 Prozent und Zins und Zinseszins. Den Rest wollen wir in kleinen Raten abstottern, soweit sich unsere Wirtschaft erholt. „Wie entscheiden Sie sich?“ – Eine Probeabstimmung wird durchgeführt! (Text: Dieter Heidtmann) Auflösung des Fallbeispiels: Das Londoner Schuldenabkommen von 1953. Der geschilderte Fall ist nicht fiktiv. Es handelt sich um die Situation der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1953. Im Rahmen der Londoner Schuldenabkommen vom 27. Februar 1953 wurden dem kriegszerstörten Deutschland über 50 Prozent seiner Vor- und Nachkriegsschulden erlassen. Der Rest wurde so umgeschuldet, dass die Rückzahlungen unter fünf Prozent der deutschen Exporteinnahmen blieben. Ohne dieses Schuldenabkommen hätte es Deutschlands berühmtes „Wirtschaftswunder“ wohl nicht so schnell gegeben. Die neue Währung konnte stabilisiert werden, ausländische Firmen
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fassten Vertrauen zu Investitionen in den deutschen Wiederaufbau. Deutschland konnte seine Restschuld sogar vor der Zeit zurückzahlen. Nach dem zweiten Weltkrieg war Deutschland am Ende: moralisch, politisch und wirtschaftlich. Der Staatshaushalt hatte ein Volumen von 23 Mrd. DM. Das pro Kopf Einkommen der Bevölkerung lag bei rund 167 DM im Monat. Die West-Alliierten beabsichtigten das eben erst oberflächlich entnazifizierte Land in der Mitte Europas zu stabilisieren und zum „Bollwerk gegen den Kommunismus“ aufzurüsten. Die treibende Kraft waren die USA. Bereits 1951 verständigte sich Deutschland mit Frankreich, Großbritannien und den USA über die Rückzahlungsbedingungen für die Nachkriegswirtschaftshilfe. Bedingung war eine einvernehmliche Regelung der deutschen Vorkriegsschulden. Hierzu wurde eine zentrale Konferenz einberufen vom 28.2. - 8.8.1952. Am Tisch saßen: 20 Gläubigerstaaten, die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, Vertreter privater Gläubiger und Deutschland. Die Schuldensumme wurde auf 29,7 Mrd. DM festgelegt. Davon waren 13,5 Mrd. DM umgeschuldete Reparationsforderungen nach dem 1. Weltkrieg 16,2 Mrd. DM Wiederaufbaukredite vor allem der USA, z.B. aus dem Marshall-Plan. Die Festlegung auf 29,7 Mrd DM bedeutete bereits einen Erlass der nicht geleisteten Zins- und Zinseszinszahlungen während der Hitler Diktatur. Am 27. Februar 1953 wurde ein Paket von Schuldenabkommen unterzeichnet. Etwa die Hälfte aller Forderungen wurde erlassen, der Rest wurde in festen Raten langfristig gestreckt. Deutschland hätte den Schuldendienst aussetzen können, wenn es keinen Handelsbilanzüberschuss erzielt hätte. Wo ein Wille ist - ist auch ein Weg Die Situation Deutschlands von 1953 ist nicht mit den Rahmenbedingungen der heutigen Schuldnerländer vergleichbar. Der Blick auf die historischen Ereignisse lehrt jedoch, eine nachhaltige Entschuldung ist möglich, wenn der politische Wille dazu vorhanden ist. Es ist deshalb eine Frage der Gerechtigkeit, mit den betroffenen Ländern vergleichbare Verträge zur Lösung ihrer Schuldenkrise auszuhandeln.
2. Die Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer vervielfältigte sich seit den 70er Jahren auf rund 2,5 Billionen Dollar. Neben den meisten Ländern des Südens sind viele Länder Osteuropas betroffen. Frisches Geld geben Weltbank und Internationaler Währungsfonds nur gegen Auflagen, so genannte Strukturanpassungsprogramme. Sie steuern die Rückzahlungsfähigkeit der Schuldnerstaaten durch Maßnahmen zur Stabilisierung der Währung, Drosselung der Staatsausgaben (Sozialhaushalte, Gesundheit, Bildung, Infrastruktur), Privatisierung von Staatsbetrieben (Wasser, Energie, Schulen, Krankenhäuser), Liberalisierung von Außenhandel und Kapitalverkehr, sowie zur Erhöhung der Steuereinnahmen. Nachhaltige Politik wird geopfert: Rohstoff- und Agrarexporte um jeden Preis, heißt die Devise. Neben dem Ausverkauf von Ressourcen nehmen Arbeitslosigkeit und Ausbeutung in den überschuldeten Staaten zu. In der Produktion und Verarbeitung wird auf Umwelt- oder Sozialstandards verzichtet. Lokale Wirtschaftskreisläufe werden zerstört. Die Selbstversorgung der Bevölkerung, die Sicherung ihrer Grundbedürfnisse, der schonende Umgang mit den Ressourcen eines Landes müssen zurückstehen im Interesse geregelter Schuldner - Gläubiger Beziehungen. Es gibt keine Pfändungsgrenze. Die Tendenzen zur Ausbeutung von Natur und Mensch werden verschärft. Folgen sind soziale und ökologische Krisen wie z.B. in Argentinien. 82
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3. FTAP = Faires und Transparentes Schiedsverfahren Die bisherigen Entschuldungsverfahren haben den Schuldnerländern keine nachhaltigen Lösungen gebracht. Die UN Konferenz für Handel und Entwicklung, UNCTAD und internationale Experten wie Kunibert Raffer haben bereits 1986 ein Internationales Insolvenzverfahren vorgeschlagen. Neben einem Schuldenerlass für die ärmsten Staaten war die Internationalisierung von insolvenzrechtlichen Verfahren eine zentrale Forderung der Milleniums-Kampagne Erlassjahr 2000. Kampagnen im Süden wehrten sich gegen den stigmatisierenden Begriff „Insolvenz“. Während des internationalen NRO-Seminars in Wuppertal (26.-27.2.2000) einigte man sich deshalb auf den Begriff eines "Fairen und Transparenten Schiedsverfahrens", englisch "Fair and Transparent Arbitration Process", abgekürzt: FTAP, ins Deutsche übersetzt: Faires und Transparentes Schiedsverfahren. FTAP Konzept, nach dem Modell des US amerikanischen Insolvenzrechts für Gebietskörperschaften (Kapitel 9): Unparteiische Entscheidungsfindung durch eine selbst nicht vom Verfahren betroffene Institution, die keine eigenen wirtschaftlichen Ziele verfolgt. Grundsicherung der Bevölkerung. Sicherstellung der notwendigen Ressourcen. Schutz der Souveränität des Schuldnerstaates. Neutraler Gutachter beurteilt die wirtschaftliche Lage des Schuldnerstaates. Vorläufige Einstellung sämtlicher Zahlungen gegenüber allen Gläubigern als Voraussetzung für die Eröffnung des Verfahrens. Legitimität der Ansprüche werden festgestellt. Selbstverpflichtung des Schuldnerlandes zur Armutsbekämpfung, frei werdende Mittel der Schuldnerseite (Entwicklungsländer) müssen den Armen im Land zu Gute kommen. Alle Forderungen an den souveränen Schuldner, sowie Fluchtgelder müssen in das Verfahren einbezogen werden. Entscheidend ist, dass in der Summe ein tragfähiges Niveau der Gesamtverschuldung erreicht wird (erlassjahr.de - Strategieseminar, Juli 2002 mit Prof. Raffer).
4. Die Arbeit der nationalen und der internationalen Kampagne zeigt Früchte Lobbyarbeit in Deutschland Bundestagsbeschluss am 15.3.02: Die Bundesregierung wird aufgefordert, „...über neue Verfahren zur Bereinigung der Überschuldung von Staaten zu diskutieren und sich besonders für die Einführung eines fairen und transparenten Verfahrens (internationales Insolvenzverfahren) einzusetzen.“ Bundestagsbeschluss zum Abschlussbericht der BT-Enquete-Kommission „Globalisierung“ vom 11.6.02 (BT-DS 14/9359): „Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, sich bei der Überwindung einer nicht tragbaren Verschuldung für ein faires und transparentes Verfahren (Internationales Insolvenzverfahren) einzusetzen und so die Möglichkeit zu schaffen, im Falle schwerer Finanz- und Schuldenkrisen zu einer ‚ordentlichen’ Lösung (orderly debt work-out) zu kommen, die den Ländern einen wirtschaftlichen Neuanfang ermöglicht“. Koalitionsvertrag, Okt.02, „Globale Gerechtigkeit und Entwicklungszusammenarbeit“, Kapitel 9: im Abschnitt „Weltwirtschaftsordnung“: Die Bundesregierung setzt sich für ein faires und transparentes Verfahren (Staateninsolvenzrecht) unter Einbeziehung aller Akteure, vor allem auch des Privatsektors, zur Lösung des Problems ein.
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Kapitel 9: im Abschnitt „Entwicklungspolitik“: Die Bundesregierung wird sich mit Nachdruck für ein internationales Insolvenzverfahren einsetzen, das den Schuldendienst der betreffenden Länder auf ein tragbares Niveau zurückführt. Internationale FTAP-AG Internationale Debatte von Politikern im Hinblick auf ein erstes FTAP Austausch mit und Unterstützung von Schuldenkampagnen in Ländern, die für ein FTAP vorne anstehen wie z.B. Nigeria und Ecuador oder andere betroffene Länder wie Peru. Internationale NGO-Seminare zu FTAP Internationale Debatte zu unrechtmäßigen (illegitimen) Schulden UN Konferenz, Entwicklungsfinanzierung, März 02, „Financing für Development“ Prozess Workshops in Porto Alegre, z.B. zu FTAP Monitoring von HIPC II, z.B. in Bolivien (Kontrolle der Zivilgesellschaft) Nationale und internationale Kampagne zum Londoner Schuldenerlass vom 27.2.03.
5. Mitmachen! Die Fairness-Ring-Aktion Die Solidaritätsaktion von erlassjahr.de läuft von 2002 bis zum G8 Gipfel 2004. Sie zeigt die wachsende Zustimmung der Öffentlichkeit zur dringend notwendigen Reform von Entschuldungsverfahren. Damit die Aktion beachtet wird braucht es eine fantasievolle Vorbereitung in Initiativgruppen vor Ort. Aktionspakete sind im Bündnisbüro erhältlich. Im Zentrum stehen „Fairness-Ringe“ in den Farben der 5 Kontinente. Sie werden mit einem persönlich unterschriebenen Aufkleber versehen, gesammelt und aufgetürmt. Der Appell lautet: „Ich verlange Fairness bei der Entschuldung der Länder der Dritten Welt. Dazu gehören ein unparteiisches Verfahren, ein Anhörungsrecht für alle Betroffenen und die Sicherstellung des Existenzminimums.“ Ein Ring entspricht einer Unterschrift und symbolisiert eine Stimme. Über 70 000 Ringe wurden bisher unterzeichnet. Wozu - Weshalb – Warum? 10 Fragen zur Fairness-Ring-Aktion 1. Wer hilft mit? Laden Sie eine kleine Gruppe für ein zeitlich begrenztes Projekt ein. Verabredungen mit Kooperationspartnern vor Ort erhöhen die Zahl der MitstreiterInnen und die Resonanz der Aktion. 2. Wann findet die Aktion statt? Die Auswahl eines geeigneten Aktionstages hat sich bewährt. Dazu gehören die ’Klassiker’, wie die UN Tage, Weltwirtschaftsgipfel und Konferenzen des internationalen Währungsfonds und der Weltbank. Auch die besonderen Tage des lokalen Festkalenders bieten Anlässe für weitere Aktionsauftritte. 3. Wozu brauchen wir ein Aktionspaket? Das Aktionspaket enthält alle Materialien, die für die Aktion benötigt werden. Zur inhaltlichen Vorbereitung liefert es ausreichend Informationen. Das Aktionspaket kann gegen eine Spende bezogen werden. 4. Wo sollte eine Aktion stattfinden? Geeignete Orte sind: Weltladen oder Gemeindehaus. Initiativgruppen haben weitere Aktionsräume erprobt, z.B. auf dem Markt, in der Fußgängerzone, vor der Bank oder im Foyer einer öffentlichen Einrichtung nach dem Motto: Hingehen, wo viele Leute sind. Für einen unbetreuten Aktionsstand, z.B im Foyer eines Tagungshauses hat sich ein handlungsorientiertes Aktionsplakat bewährt. Es kann im Bündnisbüro bestellt werden. 5. Wer macht was in der Aktionsgruppe vor Ort? Vorher: Kontakt zum Ordnungsamt, zur Presse, prominente UnterzeichnerInnen einladen. Stand planen, Tisch und evtl. Überdachung organisieren. Am Aktionstag: Standaufbau und 84
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Abbau, Standdienst organisieren. Auf jeden Fall sollte jemand Fotos machen, die der Lokalpresse angeboten werden. An vielen Orten ist es gelungen, einen Kurzbericht mit Foto in der Lokalpresse unterzubringen. 6. Wie oft kann man unterschreiben? Wenngleich die Ring-Aktion keine übliche Petition darstellt, und auch keine Überprüfung der Unterschriften stattfindet, soll nur ein Fairness-Ring pro Person unterzeichnet werden. Faire Entschuldung braucht keine erschummelte Unterstützung! 7. Weshalb sind soviel Plastik Ringe nötig? Die Ringe visualisieren den Appell an die politisch Verantwortlichen, endlich ein faires Entschuldungsverfahren zu schaffen. Sie machen den Fortgang der Aktion sichtbar. Initiativgruppen berichten in der Tat, dass die Türme mit den Ringen richtige Hingucker sind. Der erstaunten Frage: „Was ist denn das?“, folgen viele interessante Gespräche mit Passanten oder Gästen. Wer das Problem verstanden hat unterzeichnet einen Ring oft mit einem positiven Kommentar über diese originelle Aktionsidee. Nach Abschluss der Aktion können die Ringe an Kinder- und Jugendgruppen verschenkt werden. Alternativ steht eine Aktionspostkarte zur Verfügung. 8. Warum wurden diese Farben ausgewählt? Die Olympischen Ringe standen Pate bei der Farbauswahl der Ringe. In den Farben Rot für Amerika, Blau für Australien, Grün für Europa, Schwarz für Afrika und Gelb für Asien bieten sie einen Einstieg für Informationen über die Folgen der Verschuldung in den betroffenen Ländern. 9. Wann wird die Zahl der Ringe ermittelt? Anlässlich der Herbstkonferenz von IWF und Weltbank im September 03 fragt das Bündnisbüro die Anzahl der gesammelten Fairness-Ringe ab und bittet um Rückmeldung per Fax. Die Endsumme wird kurz vor Aktionsende abgerufen. 10. Was passiert zum Abschluss der Aktion? Im Frühsommer 2004 sammelt www.erlassjahr.de alle unterzeichneten Fairness-Ringe ein. Täglicher Höhepunkt einer 10 bis14-tägigen Tour ist jeweils ein „Event“ in den verschiedenen Regionen Deutschlands. Zu inhaltlichen und kulturellen Veranstaltungen werden Mitträger der Region, lokale Prominenz und die Presse vor Ort eingeladen. Zuvor geben lokale Mitträger alle von ihnen gesammelten Ringe am „Tour-Mobil“ ab. RegionalkoordinatorInnen www.erlassjahr.de stehen als Ressource-Personen zur Verfügung. Rechtzeitig zum Abflug des Bundeskanzlers zum G8 Gipfel 2004 in die USA kommen die Fairness-Ringe in Berlin an. Sie werden an den Kanzler übergeben als Votum von Bürgerinnen und Bürgern, die ein faires und transparentes Schiedsverfahren fordern. Aktuelle Informationen über die Arbeit der nationalen und internationalen Schuldenkampagnen erhalten Mitträger, MultiplikatorInnen und Interessierte, wenn Sie sich auf der Homepage www.erlassjahr.de in die Mailingliste eintragen. Infos: Kampagnenkurier www.erlassjahr.de Quellen: www.erlassjahr.de Infos
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Denken ist kein kalter Kaffee - Globales Lernen am Beispiel des Fairen Handels Moderation: Markus Boese, DEAB Textvorlage: Dr. Barbara Asbrand, Universität Erlangen-Nürnberg Globales Lernen und Fairer Handel Fairer Handel als Handlungsmöglichkeit in der Schule, in der außerschulischen Jugendarbeit und in der Erwachsenenbildung Fairer Handel als Gegenstand des Globalen Lernens Lernen im Fairen Handel (informelles Lernen beispielsweise im Weltladen) Warum ist der Faire Handel ein erfolgreiches Lernmodell? Globales Lernen am Beispiel des Fairen Handels Sechs Handlungsdimensionen des Fairen Handels Globales Lernen: Lernaufgaben und Lernformen für die Zukunft – der didaktische Würfel Fairer Handel – ein erfolgreiches Lernmodell? (1) Umgang mit Komplexität (2) Handlungsdimensionen und Lerngelegenheiten Handlungsdimensionen im Fairen Handel Kaufen und Verkaufen Gestalten, Präsentieren, Dekorieren, Planen und Organisieren Direkte Projektunterstützung: Helfen durch Spenden Unterstützung der Kleinproduzent(inn)en: Helfen durch Handeln („Eure Almosen könnt ihr behalten, wenn ihr gerechte Preise zahlt“) Veränderung durch gerechtere Handelsstrukturen politische Veränderungen: handelspolitische Kampagnen, Advocacy- und Lobbyarbeit Fairer Handel: Symbol – Modell – Instrument? 1. Kaufen und Verkaufen „etwas sinnvolles tun“ 2. Präsentieren und Planen „etwas gestalten“ 3. Helfen durch Spenden karitative Haltung 4. Helfen durch Handeln Fairer Handel als Instrument 5. Veränderung durch Handelsstrukturen Fairer Handel als Modell 6. Politische Kampagnen Fairer Handel als Symbol Dritte Welt Pädagogik/ Entwicklungspolitische Bildung soll Bewusstseinswandel bewirken, Einstellung und Verhalten verändern zielt auf Veränderung der politischen Verhältnisse durch Bildung verfolgt normative Ziele: Emanzipation, Solidarität, nachhaltige Entwicklung Die Krise der Entwicklungspolitischen Bildung Anfang der 90er Jahre Ausdifferenzierung der „Dritten Welt“: Die Entwicklungspolitische Bildung hat ihren Gegenstand verloren. Als moralinsaure Postulativpädagogik erreicht sie ihre Adressaten und Adressatinnen nicht, erzeugt Abwehr statt Neugier und Interesse. (vgl. Scheunpflug / Seitz 1993)
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Theoretische Grundlagen Globalen Lernens Der Mensch als Nahbereichswesen: sinnliche Wahrnehmung ist auf den Mesokosmos beschränkt. Problemlösefähigkeit und ethische Orientierung ist am sozialen Nahbereich orientiert. Es gibt keine einfachen, linearen Tat-Folge-Zusammenhänge. Statt dessen ist mit Nebenfolgen und Nebenfolgen der Nebenfolgen zu rechnen. Einfache Antworten taugen nicht auf komplexe Probleme. Es gibt in Bildung und Erziehung keinen methodischen Zugriff auf das Bewusstsein der Lernenden. Lernen funktioniert nicht als Vermittlung von Wissen und Werten sondern als selbstorganisiertes Lernen (vgl. Treml 1993; Scheunpflug / Schröck 2002).
Umgang mit Komplexität
Lernaufgaben für die Zukunft
Reduzierung der Außenkomplexität (Sekten, Fundamentalismen oder ritualisierte Gruppenzugehörigkeit) didaktische Reduktion (in der Schule) Erhöhung der Eigenkomplexität ermöglicht abstrakte Anschlussfähigkeit für viele Lebenssituationen
Lernen über die Globalisierung Umgang mit Komplexität lernen: Widersprüchlichkeiten aushalten können Umgang mit Nichtwissen und Fremdheit Vergrößerung des Verhaltensrepertoires Empathie Fragen stellen auf das Leben in ungewisser Zukunft vorbereiten. Der Didaktische Würfel
regional lokal
Kompetenzen
national
Räumliche Dimension
global
kommunikative MethodenFachkompetenzen
Thema globale Gerechtigkeit
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Entwicklung
Umwelt
Interkulturalität
Frieden
(vgl. Scheunpflug/ Schröck: Globales Lernen. Hg.: Brot für die Welt 2002)
personale
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Kompetenzen Fachkompetenz: Verstehen, Urteilen, Regeln und Begriffe kennen, Phänomene und Argumente durchschauen Methodenkompetenz: Exzerpieren, Nachschlagen, Strukturieren, Planen Kommunikative und soziale Kompetenzen: Kooperieren, Zuhören, Argumentieren, Fragen stellen Personale Kompetenzen: Widersprüche aushalten, Selbstvertrauen, Empathie, Werthaltung Lernformen für die Zukunft Vielfältige Lernangebote, die selbstorganisiertes Lernen der Lernenden ermöglichen Aktivierende und partizipative Methoden Einüben in abstraktes Denken: Erhöhung der Eigenkomplexität Denken ist kein kalter Kaffee Erarbeitung abstrakter Zusammenhänge Fragen stellen Widersprüchlichkeit und Ungewissheit aushalten Gestaltungskompetenz, kommunikative und soziale Kompetenzen, Fach- und Methodenkompetenz, Partizipation Vielfältige Handlungsmöglichkeiten 1. Kaufen und Verkaufen 2. Präsentieren und Planen 3. Helfen durch Spenden 4. Helfen durch Handeln 5. Veränderung durch Handelsstrukturen 6. Politische Kampagnen Vielfältige Handlungsmöglichkeiten (Variation) bieten vielfältige Anschlussmöglichkeiten (Lernen)
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HIV/Aids – eine globale Herausforderung Dr. Ramona Gresch-Bruder, Deutsches Institut für ärztliche Mission •HIV/Aids: Rückblick auf 20 Jahre
•Übertragungswege des HIV
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Prävention Aufklärung Test und Beratung T re u e Abstinenz Benutzung von Kondomen Späterer erster Sexualkontakt bei Jugendlichen Ursachen der Ausbreitung von HIV/Aids Wandel der Konsumbedürfnisse Globalisierung Armut Zerrüttung von Familien Ungleiche Geschlechterrollen Unzureichende Einkommen/Erträge: Landflucht, Saison- und Wanderarbeiter Mangelnde Ausbildung: Informationsdefizit Prostitution Verlust traditioneller Werte Politische Instabilität: Krieg, Flucht, Vertreibung Frauen sind besonders betroffen In Deutschland, den USA und Europa finden sich zunehmend Frauen und Menschen aus den stark betroffenen Ländern, welche mittels heterosexueller Übertragungsformen infiziert wurden. → Früher eher: Homosexuelle, Drogen Die Stigmatisierung nimmt zu. In Afrika sind - bei insgesamt hoher Durchseuchung - zunehmend Frauen betroffen. → Physiologisch höheres Infektionsrisiko → Migration, Prostitution, Menschenhandel
Region
HIV positive Erwachsene & Kinder
Anteil Frauen an HIV positiven
1997
1997
2002
Hauptübertragungswege
2002
FrAfrika auen usüdnd Kinde20,8 r 50% 58% 29,4 Heterosexuell, V e r w a n d t e n e h m e n t r a d i t i o n e l l W a i s e n k i n d e r a u f : K i n d e r w e r den früh mit K ra n k h e i t u n d Mio. Mio. verseuchte Blutprodukte lich der SaS t e r b e n d e r E l t e r n k o n f r o n t i e r t hara Großeltern versorgen zunehmend die Enkel: Familien werden immer größer, verarmen zu6 Mio. 6 Mio. 25% 36% Südasien & heterosexuell, nehmend Südostasien Zahl der „Kinderhaushalte“ wächst: Landwirtschaft und VersoDrogen rgung von Vieh leidet Kinder leben zunehmend auf der Straße: wachsen mit sozialen Problemen auf
Westeuro-
1,4
1,4
20%
20-
Gesamt inkl. Sonstige
30,6 Mio.
42 Mio.
41%
50%
homosexuell,
Vpa, ersoUSA rgung und B ehandlunMio. g Erkrankter Mio. 25% heterosexuell, Drogen Bekämpfung opportunistischer Krankheiten. Welche Perspektive bietet das? Ärztliche Versorgung. Wer hat Zugang? Osteuropa 1 Mio. 25% 27% 150.00 Drogen, Home care/Pflege zu Hause. Wer kann das leisten? 0 zunehmend heterosexuell Lebensverlängernde Medikamente. Wer kommt in den Genuss?
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Empfehlungen der WHO, Dezember 2001Die Bedeutung der Investitionen in Gesundheitsversorgung ist bisher unterschätzt worden Erhöhung der Mittel im Gesundheitsbereich führen zu erhöhten Einkommen und können in den Entwicklungsländern acht Millionen Menschenleben pro Jahr retten. Minimum von 40 € pro Person und Jahr sind nötig (inkl. HIV/AIDS). Zur Zeit rund 13 € in den am wenigsten entwickelten Ländern, in reichen Ländern sind es 2000 € pro Person und Jahr Beitrag der reichen Länder: 19 € pro Person und Jahr oder 27 Milliarden € – das entspricht 0,1% des Bruttosozialprodukts der reichen Länder.
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Sich engagieren wollen, aber wie? Helena Bruder (Schülerin), Eugen-Bolz-Gymnasium Rottenburg Benjamin Bubenheimer (Schüler), Friedrich-List-Gymnasium Reutlingen In unserem Workshop ging es darum, gemeinsam mit Menschen, die sich für die „Eine Welt“ einsetzen wollen, Formen des Engagements zu finden. Hierzu sammelten wir zunächst gemeinsam verschiedene Gründe für das Engagement gegen soziale Ungerechtigkeiten, wie beispielsweise Ungleichheit, Solidarität, Gerechtigkeit, Weltfriede und ähnliches. Im Folgenden sollten die Teilnehmer/innen in kleinen Gruppen von drei bis vier Personen ihre Ideen austauschen und diskutieren. Anschließend sollten sie Projektvorschläge entwerfen, aufschreiben und schließlich der ganzen Gruppe erklären. Die Teilnehmergruppen haben sich folgendes ausgedacht: 1. Schulprojekt Der Arbeitskreis „Eine Welt“ überlegt Aktionen, z.B. Aufklärung über die Herkunft von Markenkleidung in Form von: Gottesdiensten Sportveranstaltungen Schwarzes Brett mit Informationen über die „Eine Welt“ Konkretes Projekt in Übersee - persönliche Kontakte sind gefragt Zivilcourage-Aktion in der Schule und der Fußgängerzone 2. Persönliches Engagement Bei sich selbst anfangen und z.B. bei Auslandsaufenthalten, Freiwilligendienste oder Workcamps mitmachen Auf eigene Nachbarn zugehen Andere auf kulturelle, internationale Veranstaltungen mitnehmen, animieren, selbst aktiv zu werden In der eigenen Umwelt alle Sinne öffnen, hinterfragen, kritisches Denken entwickeln 3. Austauschprojekt zwischen Deutschland und Marokko Zielsetzung: Voneinander lernen, soziale Stabilisierung, Multiplikatorenschulung zum Thema „Zusammenhang zwischen Bildung und Wohlstand“ Methodik: Austausch, Integration in die Dorfgemeinschaft, Miteinander wohnen und leben, Land, Traditionen und Bräuche kennen lernen Probleme: Finanzierung, Nachhaltigkeit sichern, Zielgruppenansprache, etc. Schließlich fand noch eine Diskussion statt, in der die Teilnehmer/innen sich über bereits durchgeführte oder geplante Projekte austauschen konnten. Viele hatten bereits das eine oder andere Projekt mitorganisiert oder ins Leben gerufen. Die neuen Ideen, die sie aus dem Workshop mitnehmen konnten, sollen sie animieren, sich weiterhin zu engagieren und ihre Ziele weiter zu verfolgen.
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Waldpädagogik – Ein Beitrag zur Erziehung zur Nachhaltigkeit Dr. Eberhard Bolay / Berthold Bleichle, Haus des Waldes Stuttgart In den 90 Minuten, die dem Workshop zur Verfügung standen, wurden zuerst Vorkenntnisse und Erwartungen mit Kärtchen abgefragt. Vorkenntnisse Die Frage „Was verstehe ich unter Nachhaltigkeit?“ wurde mit Antworten zwischen „Zukunftsfähigkeit“ und „andauernd“ beantwortet. Die forstliche Perspektive und damit der geschichtliche Hintergrund fehlte völlig. Nachhaltigkeit als das grundlegende Prinzip der forstwirtschaftlichen Arbeitsweise war nicht bekannt. Somit war klar, dass dieses Prinzip mit den Waldfunktionen der Schutz-, Nutz- und Erholungsfunktionen auch zu vermitteln war. Es konnte vermittelt werden, dass Nachhaltigkeit, im Verständnis von Rio , also als „sustainable developement“ auch in der forstlichen Denk- und Arbeitsweise verankert ist. Das Haus des Waldes (HdW) versteht sich als Einrichtung für eine Bildung für Nachhaltigkeit. Wir wissen, dass Nachhaltigkeit eine „Erfindung“ der Forstwirtschaft in Deutschland ist. Das Prinzip „nicht mehr ernten, als nachwächst“ klingt einfach, ist aber sehr komplex. Wird Nachhaltigkeit als Fachbegriff verwendet, so meint er unterschiedliches: Forstlich z.B. Massennachhaltigkeit – es wird nicht mehr Holzmasse geerntet, als auch nachwächst. Flächennachhaltigkeit wird bezogen auf die reine Waldfläche ohne die Masse zu berücksichtigen. Funktionennachhaltigkeit: Die Waldfunktionen, Nutz-, Schutz- und Erholungsfunktion, müssen in Einklang gebracht und nachhaltig gesichert werden. Wir vom HdW verstehen uns als Akteure in der Arbeit für „Zukunftsfähigkeit“. Konkret heißt das, dass wir auch forstwirtschaftliche Inhalte vermitteln, um daran Nachhaltigkeit zu zeigen. Wir wissen, dass trotz der Waldsterbendiskussion die Wälder vermehrte Zuwächse zeigen. Auch bei nachhaltiger Nutzung könnten bis zu etwa 20-30% mehr Holz eingeschlagen werden. Auch der niedrige Holzpreis ist ein Grund, weshalb nicht maximale Einschläge erfolgen. Wir gehen davon aus, dass pointiert formuliert, das „Ölzeitalter“ bald zu Ende geht und dass nun das „Holzzeitalter“, „das Sonnenzeitalter“ bzw.„das Zeitalter der nachwachsenden Rohstoffe“ beginnen sollte. Wir wünschen uns vermehrt Holzheizungen, Solaranlagen, Biodieseleinsatz usw. Vermehrte Holzverwendung würde nicht nur dem Holzpreis, sondern auch der Umwelt und dem Klima gut tun. Zum Globalen Lernen: Holz als Energieträger ist kohlenstoffdioxidneutral: Bei der Verbrennung von Holz wird nicht mehr Kohlenstoffdioxid freigesetzt, wie das auch durch Zersetzungsprozesse im Wald der Fall wäre. Die Verbrennung fossiler Brennstoffe, wie Öl und Gas bringen dagegen Kohlenstoffdioxid in die Atmosphäre, das vorher im Erdinneren gebunden war. Holzheizungen sind also aktiver Klimaschutz. Wälder sind nicht nur wichtige Kohlenstoffdioxidsenker, sondern sind auch auf vielfältige Art klimawirksam: Wasserhaushalt, Wolkenbildung, Luftreinigung, Abkühlung, usw. Nachhaltige Nutzung der Wälder schadet diesen nicht. Zuwachs kann problemlos entnommen werden. Dies ist in Tropenwäldern nicht gewährleistet: Straßenbau, großflächige Rodungen und damit Auswaschung des Bodens, ... In der Eine-Welt-Arbeit geht es uns im Rahmen von Fairness und Gerechtigkeit immer um „das Hier und das Dort“. Wir müssen bei uns schauen, dass gerechtere Strukturen, auch für andere Länder, hergestellt werden. Es ist auch eine Frage der Partnerschaft, Lasten und Nutzen auszugleichen. Holzimporte sind nicht nötig – zumindest nicht in diesem Ausmaß - und fördern
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Raubbau. Wir können nicht nur den Erhalt der Tropenwälder fordern, wir müssen aktiv dazu beitragen. Lula, heute Präsident von Brasilien, formulierte in diesem Zusammenhang einst: „Wenn die Wälder Amazoniens die Lunge der Erde sind, dann ist die Verschuldung die Lungenentzündung“. Dieser Satz bündelt ökologische, ökonomische und soziale Aspekte der Nachhaltigkeit. Erwartungen Jede/r Teilnehmer/in notierte ihre/seine Erwartungen an den Workshop. Diese Erwartungen wurden gruppiert. Drei große Interessenrichtungen waren vertreten. Viele wollten Informationen zum Haus des Waldes in Stuttgart, viele wollten Informationen zum Konzept der Waldpädagogik und ein großer Bedarf an Tipps, Tricks und Erfahrungen wurde geäußert. Vereinbart wurde, dass zu jedem Zeitpunkt Rückfragen, Gespräche und Diskussionen erwünscht sind. Neben den vom Haus des Waldes eingebrachten Informationen war der Workshop geprägt von Gesprächen und Erfahrungsaustausch.
Das Haus des Waldes EBERHARD BOLAY27, GERHARD STROBEL28 und BERTHOLD REICHLE29
Anfänge und Entwicklung 1989 wurde das Haus des Waldes (HdW) als Anlaufstelle für die am Wald, an Waldführungen, an Information über den Wald Interessierten in einem bestehenden Gebäudekomplex im Degerlocher Wald gegründet. Das Gemeinschaftsprojekt der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald – Landesverband Baden-Württemberg e.V. und der Landesforstverwaltung Baden-Württemberg mit Unterstützung des Kultusministeriums waldpädagogische Schwerpunktarbeit leisten. Als Informations- und Bildungszentrum soll es einen Beitrag zum besseren Verständnis der komplexen Zusammenhänge im Ökosystem Wald leisten. Um dem steigenden Interesse gerecht zu werden wurde im Jahr 1997 eine Ausstellungshalle eröffnet, die nach drei Seiten unmittelbaren freien Blick in den Wald gewährt (Abbildung 1). Eine hier installierte Dauerausstellung bringt dem Besucher facettenreich und interaktiv die Themenbereiche Baumbiologie, Ökosystem Wald, Forstwirtschaft und Holzverwendung näher.
Abbildung 1: Haus des Waldes in Stuttgart-Degerloch Ausstellungshalle in Außen- und Innenansicht 27
Oberstudienrat Dr. Eberhard Bolay ist Pädagogischer Leiter des Haus des Waldes Oberforstrat Dr. Gerhard Strobel ist als Geschäftsführer der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald und stellv. Forstamtsleiter des Forstamts Stuttgart am Haus des Waldes Vertreter der beiden Trägerorganisationen 29 Forstoberinspektor Berthold Reichle ist Forstlicher Leiter des Haus des Waldes 28
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Philosophie und Umsetzung Vom Baumklettern bis zur Jungbestandspflege: ganzheitlich, selbstverantwortlich und aktiv, an den Bildungsplänen der Schulen orientiert, ist die Leitidee der vielseitigen Programme und Veranstaltungen des Haus des Waldes. Der Ansatz „mit Kopf, Herz und Hand“ nach Pestalozzi bleibt, unabhängig von der Zielgruppe, bei allen Veranstaltungen gültig. Die Menschen sollen ganzheitlich angesprochen werden, über alle Sinne. So sind kognitive (Verstand), affektive (Gefühlswelt) und sensitive (Sinne) Elemente Bestandteile der Programme. Die Gewichtung ist an den Ansprüchen und der Ausgangslage der jeweiligen Zielgruppe orientiert. Der Anteil an kognitiven Elementen nimmt mit Alter und Schulart zu. Bei Arbeitseinsätzen werden „Kopf, Herz und Hand“ effizient miteinander kombiniert. Hier ist eine direkte Naturerfahrung möglich, denn zur sensorischen Wahrnehmung kommt die Anstrengung hinzu. Handelt es sich um eine forstlich qualifizierte Tätigkeit, wie beispielsweise eine Pflanzung oder Bestandspflege, so wird dabei die individuelle Verantwortung gegenüber der Natur auf eindrückliche Art und Weise bewusst. Das Objekt, hier der Baum oder die Pflanze, hat mit der einzelnen Person zu tun, nicht nur mit dem Abstraktum der Allgemeinheit, auf die sich sonst Handlungsverantwortung abwälzen lässt - ein wichtiger Effekt in einer Zeit, in der das Wissen um ökologische Inhalte einerseits und um konkretes Handeln andererseits auseinander klaffen. Umso wesentlicher ist es deshalb, dass die Erfahrungen und Erlebnisse nachhaltig wirken, zu zukunftgestaltendem Handeln anregen und Schlüsselqualifikationen entwickeln helfen. Das „Förster-Lehrer-Tandem“ war von Anfang an Bestandteil des Konzepts. Die Angebote und Fortbildungsprogramme werden in Kombination des forstlichen und des pädagogischen Sachverstands entwickelt und umgesetzt. Dazu stellt das Ministerium Ernährung und Ländlicher Raum die Stelle eines Försters (Forstlicher Leiter) und das Kultusministerium die Stelle eines Gymnasiallehrers (Pädagogischer Leiter) bereit. Zielgruppen Wichtigste Zielgruppen sind Schüler und Jugendliche aller Schularten und Altersstufen. Wegen des Nachfrageüberhangs müssen Prioritäten gesetzt werden: Die noch größte Lücke in der umweltpädagogischen Versorgung besteht in den Alterstufen ab der 7. Klasse. Speziell für diese wurden Programme zur praktischen Forstwirtschaft, zur Evolution und zu ökosystemaren Zusammenhängen entwickelt. Eine zweite Zielgruppe - Pädagogen, Förster und Lehrer – sind als Multiplikatoren wichtig, um über Aus- und Fortbildung einen Vervielfältigungseffekt zu erreichen. Zu den Zielgruppen gehören auch Familien, behinderte Menschen, Politiker und Entscheidungsträger, Firmen und Verwaltungen oder ganz einfach Waldinteressierte aus dem Großraum Stuttgart. Leistungen und Aufgabenfelder Die Arbeit am Haus des Waldes steht auf drei Säulen, den Basisprogrammen, der Entwicklung und Vermittlung von waldpädagogischen Konzeptionen sowie der landesweiten Koordination waldpädagogischer Angebote der Landesforstverwaltung Baden-Württemberg (Abbildung 2).
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• M ultiplikatoren • D iplom arbeiten • Lehraufträge
• Konzeption W aldpädagogik • W aldpädagogik-Zertifikat • W aldpädagogik-“M odule“
Ausbildung Fortbildung
• Beratung • M aterialien • Bibliothek
Konzeptionen
Service Koordination landesweit
• Tagungen • Pressearbeit • Führungen
Ö ffentlichkeitsarbeit
H aus des W aldes
Projekte
Ausstellungen • D auerausstellung • W echselausstellung
• N etzwerk • M eetings
Veranstaltungen Program m e
• W ald-Erlebnisrucksack • W alderlebnispfad • Innenhof
W ald -i• Jahresprogram m • Kindergeburtstage • Tagungen
• Schulklassen • Kindergärten
m obil
Abbildung 2: Aufgabenund Tätigkeitsfelder des Haus des Waldes / Stuttgart-Degerloch: Waldpädagogische Basisversorgung (grün), konzeptionelle Arbeit und Fortbildungen (blau) und die Koordination (gelb) waldpädagogischer Aktivitäten in Baden-Württemberg. Das Wald-Informationsmobil (WALD-i-mobil) erweitert den Kundenkreis geografisch auf ganz Baden-Württemberg.
Basisprogramme Zu den originären Aufgaben des Haus des Waldes gehören waldpädagogische Programme für Schulklassen und Kindergärten, die halb- oder ganztägig am Haus des Waldes und vor allem im Wald der Umgebung durchgeführt werden.
Abbildung 3: Walderlebnisunterricht mit Schulklassen
Die interaktive Dauerausstellung sowie jahreszeitlich wechselnde, temporäre, künstlerische Ausstellungen aus den Bereichen Fotographie, Holzskulpturen, Holzarchitektur stehen jeder Besucherin / jedem Besucher von Dienstag bis Freitag 9.00 bis 17.00 Uhr und an jedem ersten und dritten Sonntag im Monat von 10.00 bis 17.00 Uhr offen. Im Jahresprogramm - jährlich zu einem speziellen Thema (2003: Der Wald im Gleichgewicht?) – ist der Bogen öffentlicher Angebote vom Werken mit Holz (z.B. Werken mit Holz, SteinzeitMesser, Bau von Langbogen, Kunst aus Holz) über das Baumklettern am Sicherungsseil, Nachtspaziergänge, Vogelstimmen-Wanderungen, Waldarbeiten, Lebensraum Boden bis hin zu den Bienen und ihre Wunderwelt gespannt. Abgerundet wird das Jahresprogramm durch kulturelle Veranstaltungen von der klassischen Soiree über Theatervorführungen bis zum Jazzfrühschoppen.
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In Projekten werden Sonderthemen wie z.B. der Walderlebnisrucksack30, der „Sinneswandel“31 oder die Gestaltung des HdW-Innenhofes aufbereitet.
Abbildung 4: Walderlebnis in der dritten Dimension: Baumklettern
Öffentlichkeitsarbeit ist praktisches Tagesgeschäft, sei es im Gespräch mit Besuchern, bei Tagungsveranstaltungen wie z.B. dem jährlichen Waldpädagogik-Forum oder durch Pressearbeit zu verschiedensten Themen rund um die Waldpädagogik. Waldpädagogische Konzeption Im Jahr 2001 wurde der Aufgabenbereich des Haus des Waldes um die beiden Bereiche Konzeption und Koordination erweitert. Ziel einer „Gesamtkonzeption Waldpädagogik“, die alle Waldpädagogikeinrichtungen der Landesforstverwaltung mit einbezieht, ist es, eine permanente Qualitätssicherung des waldpädagogischen Angebots zu betreiben. Dazu müssen zunächst Strukturen der Kommunikation und Zusammenarbeit entwickelt und umgesetzt werden. Funktionierende Kommunikationsstrukturen sind die Voraussetzung für gegenseitige Information und Kooperation. Dies bedeutet nicht nur die Förderung der Teamarbeit, sondern auch, redundante Anstrengungen bei Konzeptentwicklungen zu vermeiden. Durch eine Arbeitsteilung und Spezialisierung ist eine Konzentration auf die individuellen Voraussetzungen und Fähigkeiten der einzelnen mitarbeitenden Institutionen (z.B. Waldschulheime, „Waldpädagogik Karlsruhe“, „Waldhaus Mannheim“, „Schneckenhaus Riedlingen“, Forstdirektionen und Oberschulämter) erst möglich. Weiterer Bestandteil einer Qualitätssicherung ist die Erarbeitung und Umsetzung eines „WALDPÄDAGOGIK-ZERTIFIKATS“, das künftig waldpädagogisch Interessierten die Möglichkeit bieten soll, sich in einem definierten Kursprogramm fortbilden zu lassen. Bei Bestehen der Prüfung werden die Fähigkeiten in Form eines Zertifikats bestätigt. Für den Kunden waldpädagogischer Leistungen soll durch dieses Zertifikat ein Qualitätsniveau gewährleistet werden, das sowohl von den Fachbehörden Forstverwaltung als auch von der Kultusverwaltung anerkannt ist.
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In dem am Haus des Waldes gegen eine Gebühr ausleihbaren Walderlebnisrucksack befindet sich waldpädagogisches Unterrichtsmaterial für eine Schulklasse sowie eine zugehörige Broschüre mit einem Leitfaden zu verschiedenen Unterrichtsbausteinen und Spielen im Wald. 31
Das Projekt „Sinneswandel“ hat sich zur Aufgabe gestellt, Blinden, Sehbehinderten und Sehenden einen eindrucksreichen, interessanten und informativen Waldaufenthalt zu ermöglichen, bei dem sich alle ohne fremde Hilfe zurechtfinden können. Der Walderlebnispfad wird auf einer ca. zwei km langen Schleife mit Beginn und Ende im Innenhof des Haus des Waldes realisiert. An mehreren Stationen werden unterschiedlichste Waldaspekte thematisiert, sowohl inhaltlich als auch emotional und spielerisch.
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Inhaltlich ist ein waldpädagogisches Konzept in Bearbeitung, das sowohl für den Zertifikatslehrgang als auch für praktische waldpädagogische Aus- und Fortbildung eine auf Lehrplan, Klassenstufen und den Bedarf in der Erwachsenenbildung flexibel anwendbare, modulare Grundlage bieten soll. Ausblick Waldpädagogik im Umbruch? Waldpädagogik im Aufwind? In jedem Fall wird der Waldpädagogik in Zukunft eine Schlüsselrolle im Rahmen der Umwelterziehung spielen, ja spielen müssen. Um diese Aufgabe meistern zu können, sind überzeugende Konzepte und Angebote zu entwickeln. Diesem Auftrag widmen sich die Kolleginnen und Kollegen am Haus des Waldes mit „Kopf, Herz und Hand“.
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IV. Feedback
Kurzinterviews Teilnehmer/innen des Bildungskongresses
Ich fand es sehr schön. Das liegt daran, dass so viele Leute da waren und sich so viele für dieses Thema interessieren. Ich war in vielfältiger Funktion da. Ich habe zum einen in der Vorbereitungsgruppe ein bisschen mitgemacht, hatte heute Nachmittag eine Werkstatt, war auf interessanten Vorträgen und in einer Werkstatt heute morgen. Ich habe über 20 Schüler/innen zum Helfen mitgebracht, mit denen ich nachher wieder nach Hause fahre, und die haben auch ein wenig von diesem Thema mitbekommen. Ich bin eigentlich nur rein zufällig hier, aber ich fühle mich hier richtig aufgenommen. Sehr wichtige, sehr gute Veranstaltung. Die Rede von Dr. Ernst Weizsäcker hat mir sehr gut gefallen. Er hat kurz gesprochen und das Wichtigste gesagt. Zu wenig Öffentlichkeit, da hätte ich mehr erwartet. Es ist ganz, ganz wichtig, dass viel Werbung in einer Stadt gemacht wird. Sonst aber auf jeden Fall sehr positiv. Wir waren wirklich sehr froh, dass wir hier waren. Es war der reine Zufall. Es war anstrengend, aber es war doch kurz (Helferin) Ausgezeichnet, ja ich bin begeistert. Es hat sehr viele Anregungen gegeben und jetzt auch gerade zum Schluss noch. Der Vortrag von Ernst Ulrich von Weizsäcker, das war einfach programmatisch. Sehr gut, ja auch die Organisation. Ich hätte bei Weizsäcker noch eine Weile zuhören können. Also, ich fand es ganz toll. Was ich ein bisschen vermisst habe, war vielleicht so ein Marktplatz, wo verschiedene Projekte schon vorgestellt werden. Ich habe das mal in einer Tagung mitgemacht und da wurden verschiedene Projekte parallel dazu vorgestellt. Das würde ich noch vorschlagen, aber sonst war es fantastisch. Ich fand es echt interessant und ich fand es einfach schön einmal mitzuerleben, wie das Ganze organisiert wird. Und es hat auch ganz viel Spaß gemacht, denn wir waren auch ziemlich lustig drauf (Helferin). Frage: Habt ihr auch inhaltlich etwas mitbekommen? Helferin: Sehr wenig, aber es hat auf jeden Fall viel Spaß gemacht.
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Es hat mir sehr gut gefallen. Ich bedaure nur, dass ich nicht in der Gruppe sein konnte, in die ich wollte. Diese ist leider ausgefallen. Aber die andere Gruppe hat sich auch sehr positiv für mich erwiesen. Ich könnte mir vorstellen, dass so etwas öfters für uns interessant wäre. Und dass es auch nachher umgesetzt wird. Es sind viele gute Worte gefallen und Anregungen gegeben worden, aber das Umsetzen ist jetzt das Entscheidende. Ich bin einfach verzaubert von euch, wisst Ihr auch warum? Erstens spielt es eine Rolle, dass es hier stattfinden durfte, durch die Frau Schavan als Schirmherrin. Dann bin ich beeindruckt, da ihr das super organisiert habt, und weil Ich mich sehr wohl gefühlt habe. Und die ganzen Kinder und Jugendliche hier, die machen es gerne. Manche sagen zwar schon, oh, geht das lange und es könnte jetzt mal zu Ende gehen, aber ich gehe jetzt sehr angetan raus. Ich habe mich auch in jeder Gruppe sehr wohl gefühlt und habe Hilfestellung bekommen, da ich ehrenamtlich etwas machen möchte. Frau Schell-Straub hat sich sehr engagiert und hat auf der Bühne viel Herzlichkeit rüberkommen lassen. Und es hat mir persönlich sehr gut getan. Sie hat auch den Rahmen ganz lieb geführt. Ich war erst heute Nachmittag da und habe jetzt vor allem den Abschluss von Herrn Dr. Weizsäcker gehört und das hat mich doch sehr beeindruckt. Ich war schon in Köln und Bonn auf den Bundeskongressen. Ich arbeite teilweise in Arbeitskreisen immer wieder mit. Ich finde es auch wichtig, solche Dinge regional zu machen und nicht nur zentral. Da kam ich mir etwas verloren vor, während hier kenne ich auch ein paar Leute mit denen ich sonst zusammenarbeite. Das finde ich vor Ort sehr wichtig. Ich komme aus Thüringen und ich mache Globales Lernen seit der Wende, eigentlich interkulturelles Globales Lernen. Und möchte gerne so etwas Ähnliches auch in Thüringen installieren. Und zwar zusammen mit dem Landesjugendamt und der Thüringer Institution für Lehrerfortbildung. Ich selber arbeite in der Koordinierungsstelle Gewaltprävention beim Thüringer Innenministerium. Wir sind auch der Meinung, dass Globales Lernen ein ganz ureigenes Mittel ist zur Gewaltprävention. Das war vor allem heute für mich wichtig. Der Tag war für mich auf verschiedenen Ebenen interessant. Einmal bin ich hergekommen als jemand der freiberuflich in der Bildungsarbeit tätig ist, um alte Kontakte aufzunehmen, aufzufrischen und auch neue Leute kennen zu lernen. Das erste ist auf jeden Fall gelungen, das zweite im Ansatz. Es war sehr gut organisiert. Es macht mir Spaß, wenn etwas gut organisiert ist. Also eine Blume, eine virtuelle, an euch. Toll fand ich die ganzen Helferinnen und Helfer. In unserer Arbeit hat die Schule wahrscheinlich bessere Chancen 101
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als die freie Bildungsarbeit. Und dass man auch junge Leute mit integriert, auch wenn sie jetzt nur als „Helfer/innen“ dabei waren und nicht als Diskussionspartner. In einem Workshop heute morgen hätte ich mir gewünscht, dass die Schüler/innen zu Wort kommen, das hätte man einfach didaktisch methodisch mehr anzetteln können. Es haben nur die Erwachsenen geredet und das fand ich schade. Ich fand es ganz toll, bin überrascht und würde gerne bei Folgeveranstaltungen wieder dabei sein. Bei den Workshops dachte ich, dass diese etwas umfangreicher wären, dass hätte ich mir gewünscht. Es war eigentlich zu kurz. Das hat mich überrascht, ich dachte zwei Stunden mindestens. Sonst war es ganz toll. Ich habe nicht sehr viel mitbekommen, ich kann nur sagen dass mein Workshop sehr gut besucht war mit 35 Personen. Ich denke die Leute sind motiviert zurückgegangen ins Plenum. Und was ich so von Weizsäcker gehört habe war auch sehr gut. Ich denke, dass es ein guter Start ist und sich hoffentlich auch das Land verpflichtet fühlt auf diesem Weg weiter zu machen. Ich habe sehr viele Anregungen bekommen, vor allem noch von dem letzten Vortrag von Herrn Weizsäcker. Es war sehr deutlich und mutig und ich würde mir wünschen, dass man dies auch in einer größeren Öffentlichkeit hört. Ich habe mir noch nicht so viele Gedanken darüber gemacht. Ich habe mich geärgert über die Gleichsetzung von Nachhaltigkeit heute morgen und, dass das Abtragen von Schulden aus der Vergangenheit die Aufgabe der nächsten Generation sein muss. Diese überzogene Schuldaufnahme der Vergangenheit darf überhaupt nicht auf die nächste Generation abgeladen werden. Diese Schulden sind nicht mehr einzutreiben, die müssen den Schuldnerentwicklungsländern aufgegeben werden. Die Kapitalrenditeninteressen der Geldgeber sind nicht legitim und insofern ein total falscher Bezug zur Nachhaltigkeit. Das war ja nur eine Position, es gab sehr perspektivenreiche und in die Zukunft weisende Ansätze heute und die sind das Wesentliche heute. Die kulinarische Versorgung ist echt Klasse. Vom Empfangskaffee bis hin zu den Keksen und frischen Säften, einfach Klasse. Die Gemüsetaschen sind auch total lecker. Rundherum super. Es hat schon gut angefangen, aber der Höhepunkt für mich war das Referat von Herrn Weizsäcker. Es war so interessant und ich habe soviel Neues erfahren, was ich so noch gar nicht gewusst habe. Obwohl es nur ein kleiner Einblick in dieses Thema ist, und hoch komplex, aber zumindest habe ich jetzt den Einblick und ich werde an diesem Thema dranbleiben und mich weiterhin informieren. Ich fand es super und bin total begeistert. Es hat mir inhaltlich viel gebracht und habe nette Leute getroffen und interessante Gespräche geführt. Rundum eine gelungene Veranstaltung und Glückwunsch an Sigi. Großes Lob an die Organisatoren, dass die es so hinbekommen haben bei diesen vielen Leuten und den vielen Ungereimtheiten. Inhaltlich konnte man nicht alles abdecken, was man sich vorgenommen hatte, aber das war auch klar. Ganz spannende Momente. Für mich war es ganz toll heute. Ich fand es sehr gut, eine runde Sache. Ich habe jetzt nicht viele Vorträge gehört und die Musik jetzt hätte gerne noch eine Stunde Raum haben dürfen. Das war ehrlich schade, dass man das jetzt abbrechen musste. Besonders beeindruckend von den Reden war die von Ulrich Weizsäcker, das war toll. Es war interessant, habe aber nicht soviel mitbekommen bzw. spät gekommen. Das Thema ist interessant, also Globalisierung und Entwicklung. Daran bin ich immer interessiert. Aber der Weg ist lange zu einer besseren Welt. Ich lebe in Deutschland, aber ursprünglich komme ich aus Hongkong. Der Tag hat mir gut gefallen, v.a. der Vortrag am Schluss von Dr. Weizsäcker, weil es an die Wurzel geht. Ich bin hier weil ich vom Herzen engagiert bin und es mir wirklich am Herzen liegt und ich einen Beitrag, den ich leisten kann, auch leisten mag. Ich bin auf 102
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der Suche was ich tun kann und habe mir schon Gedanken darüber gemacht und möchte das gerne umsetzen bei Schüleraustauschen mit der Einen-Welt und eben auch in Kooperation mit der Wirtschaft. Ich habe auch schon mit verschiedenen Leuten gesprochen sowohl mit Leuten aus der Wirtschaft und mit Frau Schavan und ich würde gerne etwas bewegen. Die Vorträge waren sehr gut. Bei den Workshops habe ich schade gefunden, dass diese nicht zusammen hier stattgefunden haben. Ich komme nicht aus Stuttgart und musste mich dann mit den U-Bahnen hier zurecht finden. Zu diesem Media-Markt habe ich eine Menge Zeit verloren. Ansonsten war es positiv. Es war sehr interessant. Am besten fand ich die Workshops. Ich war in dem Workshop „Wasser“ und mit dem Kindergarten in Afrika. Ich war auch in den Workshops „Wasser“ und „Kindergarten in Afrika“. Am Besten fand ich den Auftritt am Anfang von den Kindern, die Musik gemacht haben und die Musik aus dem Kongo. Es war richtig super. Ich bin mit einem reichen Strauss an Anregungen beschenkt worden und werde dies hoffentlich in Gelassenheit reflektieren können. Und hoffe auf die eine oder andere ergänzende Information im Internet, um mich weiterhin schlau machen zu können.
Mir hat es sehr gut gefallen, ich bin sehr zufrieden. Die Vorbereiter KATE und EPIZ haben gute Arbeit geleistet und ich glaube, der Zuspruch heute hat gezeigt, dass sich der Aufwand gelohnt hat. Sehr interessant. Vor allem der Vortrag von Herrn Weizsäcker hat mir sehr gut gefallen, weil er es geschafft hat, in sehr kurzer Zeit diese Zusammenhänge sehr prägnant darzustellen und sehr interessant gesprochen hat. Das war für mich das Highlight. Es hat mich auch gefreut, dass so viele Leute gekommen sind. Ich würde gerne diesen Vortrag in schriftlicher Form erhalten, da die Zusammenhänge so prägnant auf den Punkt gebracht wurden. Ich würde es sehr gut finden, wenn dies auf der Homepage zu finden wäre. Ich fand es heute super. Sehr informativ und einiges Neues zum Aufnehmen und Verdauen. Es war auch sehr kreativ. Ich habe sehr viel Bekannte getroffen, die ich nicht so oft sehe, das fand ich sehr gut. Da konnte ich mal wieder alles abchecken, was sie alles machen. Für mich war der Dialog der Religionen ein ganz wichtiges Thema, da es bei uns lokal zur Zeit brisant ist. Daher habe ich mir hier etwas Stärkung in der Richtung geholt. Das war für mich eigentlich das Beste. Ansonsten fand ich toll, dass meine drei Kinder dabei waren, da wir es selten schaffen, sie für so etwas zu begeistern und sie es auch genossen haben. Es war sozusagen ein Familienprojekt. Ich habe einen Workshop gemacht und der war Klasse. Es war eine Gruppe von hoch interessierten Leuten in dem Workshop „Haus des Waldes“. Es hat mich auch gefreut, dass 103
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die Leute in der Gruppe einen guten Zusammenhang mit globalem Lernen, Haus des Waldes und Ökologie sehr gut hergestellt haben. Es hat mir sehr viel gebracht und wir hatten einen guten Austausch. Ich bin zufrieden und ich denke insgesamt war der Kongress ein großer Erfolg. Toll war das Referat vom Weizsäcker, hat mir gut gefallen, hat ein paar Punkte gesetzt, wo ich denke, da können wir damit weiter machen, da können wir etwas davon lernen. Super. Ich bin wirklich überrascht, wie viele Leute wirklich einmal gar nichts gewusst haben über fairen Handel, aber ganz viele haben viel gewusst. Das fand ich sehr positiv, dass so viele so viel wissen. Und die wenigen, die nichts wissen, die müssen wir noch erreichen Ich bin sehr begeistert von der Organisation, es hat alles so reibungslos funktioniert und war so perfekt organisiert, und von unseren Arbeitskreisen auch, denke ich. Es gab sehr gute Anregungen auch für die Umsetzungen in der Schule. Wir wollen uns jetzt auch mal zusammensetzen in der Schule und uns überlegen, was können wir umsetzen. ....ganz toll und dass es auch hier in diesem Haus sein konnte, weil ich denke wir leben in einer reichen Welt, dann darf es auch einen schönen Rahmen haben. Und die Band war auch super zum Schluss. Ich fand die Vielfalt, die sich mit diesen problematischen Themen wie Globale Welt und Armut, Ungerechtigkeit auseinandersetzt. Also nicht abgedrängt an den Rand, sondern in der Mitte. Ich gehe mit vielen Anregungen nach Hause. Wir sind vom gleichen Kollegium und ich hoffe, dass wir dann auch gemeinsam Einiges umsetzen werden. Dann fand ich auch schön, welche Leute man hier getroffen hat. Es war eine Atmosphäre in der Kommunikation möglich war. Und das Kulinarische war auch sehr toll. Ich fand den Kongress sehr gewinnbringend. Insgesamt hat mir der Kongress viel gegeben in der Bestärkung an Projekten, die wir haben, weiter zu arbeiten. Ich komme von der Grund-, Haupt- und Realschule Mundelsheim und wir sind global in diesem Sinne schon längere Zeit tätig, seit 18 Jahren. Wir haben ein Großprojekt „Wandern in Afrika“ und sind dadurch verbunden mit Burundi, Äthiopien und Tansania. Eine wunderschöne Sache, da wir unseren Schülern das Gefühl geben können, durch körperliche Betätigung, durch ideelle Betätigung, indem wir sie animieren ihre Eltern, Bekannten, Verwandten und Geschwister zu fragen, zu spenden für ihre gewanderten Kilometer, effektiv etwas tun zu können. Wenn man betrachtet, dass man im Moment bei 285 000 DM Spendenaufkommen angekommen ist mit anderen Schulen, dann glaube ich, dass es mehr ist als ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich bin selbst Referentin und habe von dem Kongress selbst nicht so viel mitbekommen. Die Workshops waren sehr gut. Es waren sogar jetzt mehr Leute wie vorgesehen waren, ja es war sehr schön. Ein großes Kompliment an die Veranstalter, es hat wirklich hervorragend geklappt alles miteinander. Auch wenn einige Zeitverzögerungen waren, aber auch das Ambiente war sehr gut. Wir sind gut versorgt worden mit Speis und Trank. Der Kern war die tolle Information und besonders Herr Weizsäcker hat, so wie man es fast erwartet hat, hat in einer Art und Weise Dinge offengelegt oder klarmachen können, die glaube ich zukunftsweisend sind. Da ich die ganze Zeit im Königin-Katharina-Stift war, habe ich von hier natürlich wenig mitbekommen. Im Königin-Katharina-Stift war es von den Räumlichkeiten soweit alles okay. Man musste manchen [Personen] nachspringen und es gab natürlich welche, die meinten, alles muss sofort funktionieren, wenn sie kommen. Aber es hielt sich in Grenzen. Die Schülergruppen, die sehr selbstständig gearbeitet haben, die waren Spitze. Wenn da das Video nicht lief, dann haben die es auch mal kurz selbst in die Hand genommen. Dagegen bei den Kollegen, da lief das etwas blöd. Ich saß dort immer an der Information, deswegen habe ich hier wenig mitbekommen. 104
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Mir hat es gut gefallen, nur habe ich inhaltlich nicht so viel an den Foren teilgenommen, weil ich den Stand betreut habe. Ich fand es sehr gut organisiert und vom Ablauf her gut. Ich bin Helfer und ich fand es gut, sogar die Rede vom Ulrich [Dr. Weizsäcker] fand ich sehr gut. Er hat es richtig klar gemacht, wie es dann auch zusammenhängt mit dem Globalen Lernen. Die Musik war gut, aber kurz, da kann man halt nichts machen. Das Publikum war sehr gut. Inhaltlich habe ich nichts mitbekommen (Musiker, Band).
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V. Anhang Orientierungsrahmen Bildung für eine zukunftsfähige Entwicklung - Orientierungsrahmen für Globales Lernen 21. November 2002, Landesarbeitskreis Schule für Eine Welt Baden-Württemberg Dem Auftrag von Rio verpflichtet Mit der „Agenda 21“ hat die Staatengemeinschaft 1992 ein umfassendes Aktionsprogramm beschlossen, das der Welt den Weg in eine ökologisch nachhaltige und sozial gerechte Zukunft weisen soll. Bei der Weltkonferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro wurden zugleich konkrete Schritte vereinbart, wie den zentralen globalen Herausforderungen unserer Zeit - der Gefährdung unserer natürlichen Lebensgrundlagen und der wachsenden sozialen Kluft zwischen Arm und Reich - Einhalt geboten werden kann. Alle Staaten haben sich darauf verpflichtet, ihre Gesamtpolitik, vor allem aber ihre Wirtschaftsweise und die vorherrschenden Konsummuster mit den Anforderungen an eine zukunftsfähige Entwicklung und eine partnerschaftliche Zusammenarbeit von Nord und Süd in Einklang zu bringen. Dies gilt in besonderer Weise auch für den Bildungsbereich, denn: „Bildung ist eine unerlässliche Voraussetzung für die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung“ (Kapitel 36). Die Agenda 21 enthält daher auch einen ausdrücklichen Bildungsauftrag: Die Bildung soll auf allen Ebenen des Bildungswesens am Leitbild einer zukunftsfähigen Entwicklung neu ausgerichtet werden. Vieles hat sich seit Rio getan. Auch in Baden-Württemberg sind seit Rio vielfältige Programme im Sinne der Agenda 21 auf den Weg gebracht worden. Besonders ermutigend ist das breite Engagement von Initiativen und Kommunen im Rahmen einer „Lokalen Agenda“. Von einer deutlichen Weichenstellung in Richtung auf eine zukunftsfähige Entwicklung sind wir jedoch - in Baden-Württemberg wie auch weltweit - noch immer weit entfernt. Dies hat der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung im September 2002 vor Augen geführt, der in Johannesburg zehn Jahre nach Rio die Errungenschaften und Versäumnisse dieser Dekade auf den Prüfstand stellte. Die Zwischenbilanz für „Rio+10“ fiel ernüchternd aus. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der bisher größten Konferenz in der Menschheitsgeschichte waren mit dem Befund konfrontiert, dass die wichtigsten der in Rio gesetzten Ziele verfehlt worden sind: Der Zustand der globalen Umwelt hat sich weiter verschlechtert und die weltweite Kluft zwischen Arm und Reich hat sich am Beginn des neuen Jahrtausends weiter vertieft. Die Welt ist auch nach dem Ende des Kalten Krieges von kriegerischen Auseinandersetzungen und Terror erschüttert und die Gefahr, dass sich militärisch ausgetragene regionale und internationale Konflikte zu Flächenbränden mit unübersehbaren Folgen für den Weltfrieden ausweiten, ist erneut gewachsen. Gleichzeitig wird in der Erklärung von Johannesburg aber auch der Wille zum Ausdruck gebracht, die notwendigen Maßnahmen zur Überwindung von Armut, Umweltzerstörung und Friedlosigkeit im Wissen um die gemeinsame Verantwortung für die Eine Welt nunmehr energischer anzugehen. Der globale Konsens über die Bedingungen einer menschlichen Zukunft für Alle ist seit Rio gewachsen. Wir bekräftigen den Auftrag von Rio, eine neue globale Partnerschaft, die auf eine nachhaltige Entwicklung ausgerichtet ist, auf den Weg zu bringen. Wir fordern Politikerinnen und Politiker auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene, aber auch die Verantwortlichen in Wirtschaft und Gesellschaft dazu auf, die Ziele der Agenda 21 nachdrücklicher als bisher zum Maßstab ihres 106
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Handelns zu machen. Die Menschheit steht an einem Scheideweg – die Wende zu einer nachhaltigen Entwicklung duldet keinen Aufschub mehr. Weltoffene Bildung als Schlüssel für eine zukunftsfähige Entwicklung Ohne Bildung und ohne einen intensiven öffentlichen Diskurs kann es keine zukunftsfähige Entwicklung geben. Die nachhaltige Gestaltung der Globalisierung ist daher auch und vor allem eine gesamtgesellschaftliche Bildungsaufgabe. Die Agenda 21 hat vielfältige Bemühungen angestoßen, um weltweit eine Neuorientierung der Bildung im Sinne einer „Bildung für Nachhaltigkeit“ voranzubringen. Dabei sollen sich Umweltbildung und entwicklungspolitische Bildung gemäß dem Beschluss des Deutschen Bundestages vom 29. Juni 2000 als gleichwertige Säulen einer Bildung für nachhaltige Entwicklung ergänzen und darüber hinaus die Friedenserziehung einbeziehen. Erfreulicherweise hat sich auch Baden-Württemberg dem BLK-Modellprojekt „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ angeschlossen; und zahlreiche Nichtregierungsorganisationen, pädagogische Initiativen und Bildungsstätten offerieren hierzulande seit vielen Jahren Fortbildungsangebote, didaktische Materialien und Beratungsdienste zum Globalen Lernen, die in wachsendem Maße Anerkennung finden und Breitenwirkung entfalten. Doch auch auf BadenWürttemberg trifft zu, was die UNESCO in ihrem Bericht zum Stand der Umsetzung des Bildungsauftrags der Agenda 21 zehn Jahre nach Rio feststellen musste: Es gibt deutliche Fortschritte auf dem Weg zu einer Bildung für eine zukunftsfähige Entwicklung – aber sie reichen bei weitem noch nicht aus. In mindestens dreifacher Hinsicht wurde der Bildungsauftrag von Rio verfehlt: Kein Staat der Welt hat bisher die Vorgabe, die Bildung für eine zukunftsfähige Entwicklung auf allen Ebenen des Bildungswesen als Querschnittaufgabe zu verankern und die Lerninhalte, -methoden und -ziele an den veränderten globalen Herausforderungen zu orientieren, vollständig vollzogen. Zwar konnten in vielen Staaten inzwischen nationale Nachhaltigkeitsstrategien erarbeitet werden, viel zu selten allerdings wird darin auch der Bildungsbereich als integraler Bestandteil anerkannt und wahrgenommen. Die Verwirklichung des Ziels, allen Menschen zumindest den Zugang zu einer Grundbildung zu ermöglichen, ist in weite Ferne gerückt. Noch immer sind über 110 Millionen Kinder zwischen 6 und 11 Jahren, rund ein Fünftel dieser Altersgruppe, vom Schulbesuch ausgeschlossen. Das bei der Weltbildungskonferenz in Dakar (2000) bekräftigte und zu einem der UN-Millenniumsziele erhobene Leitziel, Grundbildung für Alle bis zum Jahr 2015 zu verwirklichen, wird voraussichtlich von den fünfzig ärmsten Staaten aus eigener Kraft nicht zu erreichen sein. Wir bekräftigen den Bildungsauftrag der Agenda 21, der vorsieht, dass die Bildung in allen Bildungsbereichen am Leitbild einer zukunftsfähigen Entwicklung neu zu orientieren ist. Die Entwicklungswende setzt eine Bildungswende voraus. Die Bildungspolitik ist aufgefordert, die Erneuerung der Bildung im Sinne der Agenda 21 voranzubringen. Bildung gestaltet die Welt von morgen Die durch Bildung erworbenen Kenntnisse, Haltungen und Fähigkeiten zählen zu den wichtigsten Ressourcen, die ein Mensch und die eine Gesellschaft besitzen können. Durch den verschärften internationalen Wettbewerb und den Umbau der Industriegesellschaft zur „Wissensgesellschaft“ wächst der Stellenwert der Bildung für die Wettbewerbsfähigkeit einer 107
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Volkswirtschaft wie auch für Lebensperspektiven, die sich für jede/n Einzelne/n bieten. In dem Maße, in dem das Bildungsniveau mehr und mehr ausschlaggebend für die gesellschaftlichen wie individuellen Entwicklungschancen wird, wächst allerdings auch das Risiko, dass unzureichende Bildungsmöglichkeiten zum biographischen Scheitern und zu gesellschaftlicher Ausgrenzung führen. Umso größer wird die bildungspolitische Herausforderung, für alle Menschen Zugang zu und Teilhabe an Bildung zu gewährleisten und Benachteiligungen auszugleichen. Internationale Vergleichsstudien zeigen, dass unser Bildungswesen den Herausforderungen der Globalisierung nicht gewachsen ist. Die Zukunft der Bildung ist u.a. durch die Ergebnisse der TIMSS- und PISA-Studien wieder in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Allerdings ist zu befürchten, dass die anstehenden Reformen im Bildungsbereich unter dem Eindruck von Standortkonkurrenz und dem „Wettbewerb um die besten Köpfe“ vor allem ökonomischen Kriterien folgen und vor allem jene Anforderungen betonen, die ein internationalisierter Arbeitsmarkt an die nachwachsende Generation stellt. Soziale, musisch-ästhetische, ethische und interkulturelle Kompetenzen, wie auch die Fähigkeit und Bereitschaft, sich in das politische Leben sachkundig und verantwortungsvoll einzubringen, geraten gegenüber Beschäftigungs- und Fremdsprachen-Qualifikationen allzu leicht in den Hintergrund. Dazu hin verschärfen weltweite Tendenzen zur Privatisierung von Bildungsdienstleistungen und der Bildungsfinanzierung das Risiko insbesondere für sozial schwache Bevölkerungsgruppen, sowie für Migrantenkinder und Behinderte, die Gefahr, von qualitativ höherwertigen Bildungsangeboten ausgeschlossen zu werden. Wir treten demgegenüber dafür ein, dass ein Bildungswesen so integrativ wie möglich gestaltet sein muss. Das Lernen in heterogenen Lerngruppen birgt ein herausragendes Potenzial für das soziale und interkulturelle Lernen. Eine Pädagogik der Vielfalt, das bereits frühzeitige Erlernen eines toleranten Umgangs mit Heterogenität im eigenen Lebensumfeld, kann ein Schlüssel dafür zu sein, Kompetenzen für den angemessenen Umgang mit den Verwicklungen und der Fremdheit in der Weltgesellschaft zu erwerben. Unter dem Titel eines „Globalen Lernens“ ist seit rund 10 Jahren ein Bildungskonzept in der Diskussion, das in diesem Sinne integrativ angelegt ist, einen multiperspektivischen Ansatz verfolgt und ganzheitliche Lernformen zur Geltung bringt. Globales Lernen ist dem Leitbild einer zukunftsfähigen globalen Entwicklung und den Menschenrechten verpflichtet und knüpft in erster Linie an die Erfahrungen der entwicklungspolitischen Bildung, der Friedenspädagogik und des interkulturellen Lernens an. Wir begreifen Globales Lernen als einen wesentlichen Beitrag zu einer umfassenden Bildungsreform, die auch der Ergänzung durch innovative Impulse aus anderen pädagogischen Arbeitsfeldern bedarf. Wir verstehen Globales Lernen als eine pädagogische Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung. Globales Lernen macht die weltweiten Verflechtungen erkennbar und erhellt die mit der Globalisierung verbundenen wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen, politischen und kulturellen Chancen und Risiken. Im Mittelpunkt Globalen Lernens steht die Verwirklichung einer globalen Anschauungsweise in der Erziehung. Globales Lernen möchte Menschen dazu motivieren und dazu befähigen, an der Gestaltung der Weltgesellschaft engagiert und sachkundig teilzuhaben. Globales Lernen braucht neue Allianzen, es setzt auf die Vernetzung schulischer und außerschulischer Lernorte und Lernpartner. Globales Lernen ist nach unserem Verständnis vor allem ein Konzept sozialen Lernens, das sich nicht darauf beschränken kann, bloßes Wissen über Globalisierung oder Beschäftigungsqualifikationen zu vermitteln. Wir begrüßen das wachsende gesellschaftliche Interesse an einer Erneuerung der Bildung. 108
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Wir erkennen an, dass Bildung auch den veränderten Anforderungen in der Arbeitswelt einer globalisierten Wissensgesellschaft Rechnung tragen muss, warnen aber zugleich vor einer Engführung von Bildung auf ökonomisch verwertbare Qualifikationen. Im Mittelpunkt einer erneuerten, zukunftsfähigen Bildung müssen die Ziele der Weltoffenheit und Toleranz, der interkulturellen Kommunikationsfähigkeit, der Friedensfähigkeit und der Gestaltungskompetenz für eine ökologisch nachhaltige und partnerschaftliche Entwicklung stehen. Globales Lernen in Baden-Württemberg: Forderungen In Baden-Württemberg sind seit vielen Jahren zahlreiche Initiativen und Bildungseinrichtungen für die Förderung des Globalen Lernens und der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung aktiv. Bereits der landesweite Bildungskongress „Lernen in der Einen Welt“ in Freiburg im „Rio-Jahr“ 1992 dokumentierte die Vielfalt des Engagements und die Kreativität der Konzepte. Der Stuttgarter Bildungskongress 2003 knüpft ausdrücklich an diese Traditionslinie an. In den vergangenen zehn Jahren konnten in manchen Bereichen bemerkenswerte Fortschritte erzielt werden. So hat sich ein Bündnis von Nichtregierungsorganisationen für Globales Lernen in Baden-Württemberg erweitert und gefestigt, haben globale Fragen zunehmend in Bildungspläne und in die Schulpraxis Eingang gefunden. Mit der „Bildungsplanreform 2004“, sowie der geplanten Einführung von Kontingentstundentafeln und schulinternen Curricula zeichnen sich Perspektiven für eine Stärkung eines weltoffenen Lernens, neue Freiräume für die Kollegien und die Ermutigung von lokalen Lernnetzwerken ab. Die Fortentwicklung von Prozessen der inneren Schulreform, die bereits an vielen Schulen eingesetzt und die eine stärkere Partizipation von Kollegien und zu Unterrichtenden initiiert hat, darf jetzt nicht stehen bleiben. Eine Engführung des Unterrichtens nur auf abfragbare und national vergleichbare Wissensbestände wäre eine fatale Fehlentwicklung, die durch die Einführung von sog. „Bildungsstandards“ tatsächlich zu befürchten ist. Innovative und mutige Schritte sind erforderlich, um eine zukunftsfähige Bildung an den Schulen zu etablieren. Es bedarf radikaler Änderungen: so muss z. B. auch das dreigliedrige Schulwesen mit früher Selektion, die Leistungsdifferenzen anwachsen lässt und hinderlich für Förderung und Integration ist, nach den Ergebnissen der PISA-Studie in Frage gestellt werden. Damit das Globale Lernen weiter gefördert und verbreitet werden kann, sind weitere konkrete Schritte zu gehen. Wir appellieren an alle im Bildungsbereich Verantwortlichen und Tätigen, zur Umsetzung folgender Kernpunkte beizutragen: 1. Lernen für eine globale Weltsicht ermutigen und ermöglichen Dies bedeutet vor allem im Lernprozess eine weltoffene und multiperspektivische Weltsicht verwirklichen; eurozentrische Weltbilder in den Bildungsplänen und in den Inhalten der Bildungseinrichtungen sollten abgebaut bzw. vermieden werden; soziales und interkulturelles Lernen, das die "soft skills" gegenüber den "hard skills" betont, stärken; Lernarrangements müssen so angelegt sein, dass die Persönlichkeitsbildung, also die lernende Auseinandersetzung mit Einstellungen, Haltungen, Werten und Orientierungen mindestens gleichrangig neben der Vermittlung beruflicher Qualifikationen steht; lebendiges, selbstorganisiertes und aktivierendes Lernen wesentlich stärker als bisher praktizieren; das verantwortungsvolle Zusammenleben in einem demokratischen Gemeinwesen und der gewaltfreie Umgang mit Konflikten müssen praktisch eingeübt werden.
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2. Die Schule für Globales Lernen öffnen Dies bedeutet vor allem partizipative Schulstrukturen gewährleisten und das Schulleben in all seinen Facetten nachhaltig und demokratisch gestalten; Prozesse der inneren Schulreform können dies in Gang bringen; eine enge Vernetzung mit lokalen Agenda-Prozessen fördern und eine weitere Öffnung der Schule für außerschulische Partner. 3. Das Menschenrecht auf Bildung für Alle verwirklichen Dies bedeutet vor allem jeder Ausgrenzung sozial Schwacher, ethnischer Minderheiten und Behinderter entgegenwirken und bildungsbenachteiligte Gruppen stärker in Regeleinrichtungen integrieren; die Grundbildung weltweit durchsetzen helfen, das Recht auf Bildung auch für alle in unserem Land lebenden Flüchtlingskindern ohne Einschränkung einlösen. 4. Globales Lernen als Querschnittsaufgabe auf allen Ebenen der Bildung verankern Dies bedeutet vor allem in der Lehreraus- und -fortbildung Globales Lernen und Bildung für nachhaltige Entwicklung etablieren; im Bildungsrat Baden-Württemberg verstärkt Kompetenz und Expertise für interkulturelles Lernen und internationale Bildungszusammenarbeit einbinden; eine landesweite Service- und Schulberatungsstelle "Globales Lernen" in Baden- Württemberg einrichten und finanziell absichern unter Beteiligung aller im Bereich des Globalen Lernens in Baden- Württemberg tätigen Initiativen; die Weiterarbeit der in Baden- Württemberg bereits bestehenden entwicklungs- friedensund umweltpädagogischen Initiativen und Programmen sichern, z. B. über die Gründung einer Bund-Länder-NRO-Stiftung für entwicklungsbezogene Inlandsarbeit; grenzüberschreitende Bildungs- und Forschungskooperationen zum Globalen Lernen ausbauen und die internationale Zusammenarbeit in Bildungsfragen intensivieren; bei Projekten in der Entwicklungszusammenarbeit längerfristige und nachhaltige Schwerpunkte setzen; den Stellenwert der Entwicklungspolitik im Landeshaushalt und in der Landespolitik des Landes Baden-Württemberg stärken; dem Aktionsplan des Weltgipfels von Johannesburg gemäß, die Erziehung für einen zukunftsfähigen Lebensstil, für nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster als Querschnittaufgabe in allen unseren Bildungseinrichtungen verankern.
Landesarbeitskreis Schule für Eine Welt Baden-Württemberg
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Pressemitteilungen
Bildung ist Teil eines geistigen Generationsvertrages Pressemeldung vom 24.02.2003, Kultusministerium Baden-Württemberg Bildungskongress "Globales Lernen in Baden-Württemberg" eröffnet Stuttgart. "Globales Lernen in Baden-Württemberg" war der Titel eines Bildungskongresses, der unter Beteiligung zahlreicher Institutionen und Stiftungen am Samstag, 22. Februar, im Stuttgarter Neuen Schloss, im Königin-Katharina-Stift und im Treffpunkt Rotebühlplatz stattgefunden hat. Unter der Schirmherrschaft von Kultusministerin Dr. Annette Schavan haben Experten aus den Bereichen Bildung, Internationale Zusammenarbeit und Kirchen in Vorträgen und Diskussionen bildungspolitische Herausforderungen vor dem Hintergrund der Globalisierung beleuchtet und in Werkstätten und Foren Praxismodelle präsentiert. "Globale Herausforderungen - Konsequenzen für die Bildung", "Wege in die Praxis Globalen Lernens", "Engagement für globale Solidarität", "Öffnung, Vernetzung und Kooperation" sowie "Medienmarkt - Filmsichtung und Workshops" – so lauteten die einzelnen Themenbereiche des Kongresses. In jedem Themenbereich fanden verschiedene Workshops und Foren statt, deren Bandbreite vom Kontakt der Kulturen oder der Frage der Nachhaltigkeit über Bildungssystemvergleiche und interreligiöses Lernen bis zur Entschuldungsfrage reichte. Vor dem Hintergrund der Globalisierung kommt nach den Worten der Kultusministerin einem Globalen Lernen zunehmende Bedeutung zu. "Globales Lernen will die mit der Globalisierung verbundenen wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen sowie ökologische Chancen und Risiken aufzeigen. Globales Lernen will Menschen motivieren und dazu befähigen, an der Gestaltung einer Weltgesellschaft engagiert und sachkundig teilzuhaben." Die Ministerin verwies in diesem Zusammenhang auf die zahlreichen in den Werkstätten und Foren des Kongresses vertretenen Schulen, die mit ihren Projekten zeigten, dass Schule bereits als Teil einer globalen Kultur verstanden wird. Ein weiteres Thema des Kongresses waren Fragen der Nachhaltigkeit. "Bildung ist Teil eines geistigen Generationenvertrages. Deshalb muss sich auch bildungspolitisches Handeln am Paradigma der Nachhaltigkeit orientieren. Die Erwachsenengeneration steht in der Verantwortung, der jungen Generation Auskunft zu geben über Werte und Grundhaltungen, über soziale und kulturelle Bestände, die für das Gelingen individuellen Lebens wichtig sind, zum sozialen Zusammenhalt in einem Gemeinwesen beitragen und eine gerechte Ordnung im Verhältnis der Generationen begründen", so die Kultusministerin. 1987 hatte die "Weltkommission für Umwelt und Entwicklung" ein Konzept globaler Entwicklung in Verantwortung für spätere Generationen gefordert. Das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung formulierte wenige Jahre später die Agenda 21. Das Abschlussdokument der "Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung" 1992 in Rio de Janeiro verknüpft wirtschaftliche Entwicklung mit Fragen der internationalen Gerechtigkeit und dem Natur- und Umweltschutz sowie mit kulturellen Grundwerten und individueller Lebensgestaltung. Veranstalter des Stuttgarter Kongresses sind unter anderem Brot für die Welt, der Deutsche Gewerkschaftsbund - Bildungswerk Baden-Württemberg, die Diözese Rottenburg-Stuttgart, das 111
Bildungskongress Globales Lernen in Baden-Württemberg, Februar 2003
Entwicklungspädagogische Informationszentrum Reutlingen, die Evangelische Medienzentrale Württemberg, das Institut für Friedenspädagogik Tübingen e.V., das Landesinstitut für Erziehung und Unterricht, die Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, die Stiftung Entwicklungs-Zusammenarbeit Baden-Württemberg, Terre des hommes und der Volkshochschulverband Baden-Württemberg. Der Stuttgarter Kongress wurde in Folge des Bonner Bildungskongresses "Bildung 21 - Lernen für eine zukunftsfähige Entwicklung" (2000) und des Freiburger Kongresses "Lernen in der Einen Welt" (1992) durchgeführt. Das Programm des Kongresses, eine Liste der Themen und Dozenten sowie der Veranstalter findet sich im Internet unter http://www.globales-lernen-kongress-bw03.de.
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Schaufenster des Globalen Lernens im Südweststaat Pressemeldung des epd 5/2003 März (tz) Das Globale Lernen gehöre nicht länger in die Hinterzimmer, sondern in die „gute Stube“ der Landeshauptstadt, entgegnete Karl-Heinrich Rudersdorf vom Zentrum für entwicklungsbezogene Bildung zum Abschluss des Kongresses „Globales Lernen in Baden-Württemberg“ jenen Teilnehmenden, die Skepsis gegenüber dem fürstlichen Ambiente des Tagungsortes bekundet hatten. Und tatsächlich geriet der Bildungskongress, der am 22. Februar auf Einladung einer breiten Allianz von Nichtregierungsorganisationen und pädagogischen Initiativen unter Federführung des Entwicklungspädagogischen Informationszentrums (EPIZ) und der Kontaktstelle für Umwelt und Entwicklung (KATE) im Stuttgarter Neuen Schloss stattfand, zu einer machtvollen Demonstration für das Globale Lernen, wie sie das Bundesland im deutschen Südwesten noch nicht gesehen hatte. Dank der Mitwirkung von vierhundertfünfzig Teilnehmenden – Lehrer/innen, Schüler/innen, Erziehungswissenschaftler/innen und Mitarbeiter/innen der außerschulischen Jugend- und Erwachsenbildung – rückte der Kongress die Forderungen nach einer Bildungswende für eine gerechte und zukunftsfähige Entwicklung, wie sie das Grundsatzpapier der Veranstalter umreißt (vgl. www.globales-lernen-kongress-bw03.de), zumindest vorübergehend ins Rampenlicht der bildungspolitischen Aufmerksamkeit. In rund dreißig Workshops präsentierten Bildungseinrichtungen und Initiativen ihre Praxismodelle und Serviceangebote für eine zukunftsfähige und weltoffene Bildung oder diskutierten die bildungspolitischen Herausforderungen angesichts von Globalisierung und Kriegsgefahr. Die Schirmherrin des Kongresses, Baden-Württembergs Kultusministerin Annette Schavan, nahm das Anliegen der Veranstalter auf und bekräftigte, dass Globales Lernen nicht in der Nische schulischer Praxis verharren dürfe. Sie versicherte, dass Globales Lernen bei der anstehenden Revision der Bildungspläne durchgehend berücksichtigt werde. Zugleich aber erteilte sie allem Drängen nach stärkerer finanzieller Unterstützung für die Servicestellen und Netzwerke für eine weltoffene und entwicklungsbezogene Bildung in Baden-Württemberg eine deutliche Absage. Denn Nachhaltigkeit bedeute auch, so die Ministerin, den nachkommenden Generationen keine weiteren öffentlichen Schulden aufzubürden. Zuvor hatte die Kongresskoordinatorin Sigrid Schell-Straub die Forderung bekräftigt, dass die Stärkung des Globalen Lernens der Einrichtung und finanziellen Absicherung einer landesweiten Service- und Schulberatungsstelle bedürfe. Die aus den Philippinen stammende Trainerin für interkulturelles Lernen Melinda Madew charakterisierte in ihrem Plenarbeitrag die Anerkennung der Vielfalt als Kern des Globalen Lernens. Doch anstatt Multikulturalität als Bereicherung zu begreifen, fahre man in Deutschland lieber fort, sich mit Fragen der Integration und Assimilation von Fremden herumzuschlagen. Die mehr als 150 Millionen Migrantinnen und Migranten auf der Erde kennzeichnete Madew als die „eigentlichen Weltbürger“, deren Kompetenz als Promotoren einer zukunftsfähigen Bildung gerade in Baden-Württemberg verstärkt genutzt werden sollte. Auch von Seiten der Wirtschaft besteht ein wachsendes Interesse am Globalen Lernen, wie der Geschäftsführer der Stuttgarter Industrie- und Handelskammer Martin Frädrich verdeutlichte. Denn überall in der Wirtschaftswelt habe sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Chancen der Globalisierung nur nutzen könne, wer in Bildung investiere. Die Wirtschaft brauche mehr denn je „kluge“ und weltgewandte „Macher“. Zugleich bedauerte er, dass die zivilgesellschaftlichen Akteure des Globalen Lernens bislang zu wenig Interesse daran gezeigt hätten, mit der Wirtschaft als ihrem potenziell stärksten Verbündeten ins Gespräch zu kommen. 113
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Die Direktorin von Brot für die Welt, Cornelia Füllkrug-Weitzel, bezweifelte indes, ob das Anliegen der Wirtschaft, die nachwachsende Generation fit für den globalen Markt zu machen, mit der zuvor von Melinda Madew und dem Pädagogikprofessor Hans Bühler skizzierten Kernaufgabe Globalen Lernens, der Sicherung der Vielfalt zu dienen, in Einklang zu bringen sei. Es helfe nicht weiter, wenn alle den Eindruck erweckten, als würden sie mit „Globalen Lernen“ stets das Gleiche meinen. Auch der frühere Vorsitzende der Bundestags-Enquete „Globalisierung der Weltwirtschaft“ Ernst-Ulrich von Weizsäcker, riet in seinem Abschlussvortrag dazu, die unterschiedlichen Standpunkte von Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft auseinander zu halten. Es gehe beim Globalen Lernen um kaum weniger als um die Wiedererfindung der Demokratie, darum, die Grundfesten einer sozialen Marktwirtschaft wieder zu errichten, nachdem die Wirtschaft den Konsens mit dem demokratischen Staat aufgekündigt habe. Trotz seines nicht wiederholbaren Event-Charakters sei dieser Bildungskongress keine Eintagsfliege, betonte Sigrid Schell-Straub. Die Konferenz knüpfe vielmehr an die Reihe der zahlreichen Bildungskongresse an, die in den vergangenen beiden Jahren im Anschluss an den bundesweiten VENRO-Kongress „Bildung 21“ vom Herbst 2000 in Bonn stattgefunden haben (vgl. epd-Entwicklungspolitik 3/2003). Und bereits im Mai soll in einer offenen Auswertungstagung des Landesarbeitskreises Schule für eine Welt erörtert werden, wie der Impuls dieses Großereignisses für die Verstetigung des Globalen Lernens in Baden-Württemberg genutzt und wie der bislang versäumte Dialog mit der Wirtschaft verstärkt werden kann.
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Online-Forum des Landesmedienzentrums: Globales Lernen - „www.kreidestriche.de“ Global egal? Horst Rehfuss, 13. Februar 2003 Wenn Michael mit Muhammad und Nina mit Natascha über den Schulhof gehen, dann sind sie oder wir - schon mitten drin im Globalen Lernen. Sie können sich ein Leben ohne Jeans, CocaCola, Nokia oder Mc Donalds kaum mehr vorstellen - Globalisierung konkret. Ist aber auch unsere Bildung so konkret global? Können wir in unseren Schulen mit der Entwicklung um uns herum mithalten? Wie können wir unsere Schülerinnen und Schüler auf ihre Zukunft in diesen globalen Strukturen sinnvoll vorbereiten? Dazu muss Schule und Unterricht z.B. dazu befähigen, die Welt offener und multiperspektivischer zu sehen. Das heißt: Unterricht muss Weltsichten vermitteln und nicht die Dinge verengt durch die eurozentristische Brille sehen lassen. Dazu muss Schule soziales und interkulturelles Lernen gleichberechtigt und gleichrangig zu Stoffvermittlung und beruflicher Qualifikation sehen. Das heißt: Schule muss ihren Erziehungsauftrag wieder ernst nehmen und Persönlichkeitsbildung, Werteerziehung usw. in den Unterricht hinein nehmen. Dazu muss Schule Friedenserziehung als einen wichtigen Grundpfeiler ihrer Arbeit sehen. Das heißt: Schule muss Programme zu gewaltfreiem Umgang, wie z.B. Schritte statt Tritte, Streitschlichter-Training oder Planspiele zu demokratischem Verhalten in ihren Unterrichtsalltag aufnehmen. Dazu muss Schule sich stärker in lokale Agenda-Prozesse einbinden (lassen). Das heißt: Schule muss in konkreten Prozessen einen Beitrag zu Umwelt- und Ressourcenschutz leisten, wie z.B. mit Energiespar-Programmen oder Nutzung erneuerbarer Energien. Dazu muss Schule Ausgrenzungen (von ethnischen Minderheiten, Behinderten u. a.) entgegenwirken. Das heißt: Schule muss gewährleisten, dass alle in unserer Gesellschaft Lebenden ihr Menschenrecht auf Bildung einlösen können. Dazu muss Schule ihre Unterrichts- und Lernmethoden und -formen den oben genannten Forderungen anpassen. Das heißt: schulische Bildung muss die Bildungsinhalte in angemessener Form vermitteln. Dazu gehören verstärktes Arbeiten in Projekten, mehr eigenverantwortliches Lernen, mehr ganzheitliche Sichtweisen (weg vom Fachunterricht), hin partizipatorischem, demokratischem Unterricht.
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Notwendig ist ein globales Ethos! Dr. Günther Gebhardt, 13. Februar 2003 1. Eine der Schlüsselkompetenzen Globalen Lernens ist interkulturelle und interreligiöse Dialogfähigkeit. Für deren Entwicklung spielt die Schule eine zentrale Rolle. In der interkulturellen Erziehung ist die kognitive und soziale Dimension zu verbinden mit einer ethischen Dimension. Hier bildet das Weltethos ein wichtiges Element, da es gerade interkulturelle und interreligiöse Gemeinsamkeiten auf der Ebene der ethischen Werte, Standards und Handlungsmassstäbe ins Bewusstsein hebt. 2. Der Weltethos-Gedanke ist wesentlich formuliert in der Erklärung zum Weltethos (Chicago 1993): (a) Grundforderung des Weltethos: Jeder Mensch muss menschlich behandelt werden. (b) Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem anderen zu. (c) Verpflichtung auf eine Kultur der Gewaltlosigkeit und der Ehrfurcht vor allem Leben, der Solidarität und einer gerechten Wirtschaftsordnung, der Toleranz und Wahrhaftigkeit, der Gleichberechtigung und Partnerschaft von Mann und Frau. 3. Im Projekt Weltethos liegt ein Erziehungs- und Bildungsauftrag. Weltethos steht am Schnittpunkt von interkultureller/interreligiöser Erziehung, Friedenserziehung und Werteerziehung. Einen Beitrag zu interkultureller und interreligiöser Erziehung leistet der Weltethos-Gedanke dadurch, dass er Einblicke in die verschiedenen Religionen und damit auch Kulturen ermöglicht, und zwar vor allem durch das Wahrnehmen ihrer ethischen Reichtümer. Das Weltethos weist darauf hin, dass die Menschen der verschiedenen Religionen und Kulturen ihre gemeinsame Verantwortung für unseren Planeten Erde gemeinsam wahrnehmen müssen und dies auch können, wenn sie sich auf einige grundsätzliche Handlungsmaßstäbe besinnen. Der Weltethos-Ansatz weckt Neugier auf die Kultur und Religion der anderen, er fördert Empathie und weitet den mentalen Horizont. Insofern verbindet hier tatsächlich der Ansatz beim Ethos die kognitive wie die soziale Dimension des interkulturellen Lernens. 4. Globalem Lernen, das sich am Weltethos orientiert, geht es um Folgendes: das Lernen für eine bewohnbare Erde, das Lernen für eine mündige Wahrnehmung, der dem Einzelnen gemäß den Menschenrechten zukommenden Freiheiten und Verpflichtungen, das Lernen für eine sinnvolle Lebensgestaltung, das Lernen für ein solidarisches Zusammenleben in Familien, Gemeinden, regionalen und internationalen Horizonten. 5. Im heutigen multikulturellen Kontext unserer Schulen besteht zur Entwicklung eines Schulethos die Notwendigkeit eines ethischen Grundkonsenses, der sich aus verschiedenen Religionen und Kulturen speist. Weltethos kann deshalb geradezu zum Ethos einer multikulturellen Schule werden.
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Fit für die Globalisierung? PD Dr. Klaus Seitz, 13. Februar 2003 Die Menschheit steht am Beginn des 21. Jahrhunderts vor gewaltigen Herausforderungen. Das Zusammenwachsen der Welt, das mit der Globalisierung einhergeht, kann den Menschen in Ost und West, Nord und Süd neue Perspektiven für internationale Zusammenarbeit, grenzüberschreitenden Austausch, wechselseitiges Lernen und wirtschaftlichen Wohlstand eröffnen. Doch gleichzeitig birgt die Globalisierung auch große Risiken. Neben der anhaltenden Gefährdung des Weltfriedens sind es vor allem zwei bedrohliche Entwicklungstendenzen, die als die drängendsten Probleme unserer Zeit betrachtet werden müssen: die zunehmende Ungleichheit zwischen Völkern und innerhalb von Völkern und die fortschreitende Schädigung der Ökosysteme, von denen unser Wohlergehen abhängt. Von dieser Einschätzung geht jedenfalls das Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert aus, die Agenda 21, die die Weltkonferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 verabschiedet hat. Um diesen globalen Gefahren Einhalt zu gebieten, haben die Staaten der Welt beschlossen, ihre Gesamtpolitik am neuen Leitbild einer nachhaltigen und partnerschaftlichen Entwicklung auszurichten. Dieses Leitbild und dieses Aktionsprogramm haben nach wie vor Gültigkeit und harren der Umsetzung. Auch im Unterricht an Schulen und Hochschulen, in der Lehrerbildung, der Erwachsenenbildung und in der Jugendarbeit soll das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung als Querschnittsthema verankert werden. Denn Bildung ist der Schlüssel für eine gerechte und zukunftsfähige Gesellschaft, für eine Globalisierung mit menschlichem Antlitz. Doch leider haben die Bildungspolitiker ebenso wie die Schulen in unserem Land noch viel zu wenig dafür getan, den Auftrag einer Bildung für eine nachhaltige Entwicklung tatsächlich mit Leben zu füllen. Ermutigende Modellprojekte wurden zwar auf den Weg gebracht von einer grundlegenden Neuorientierung unseres Bildungswesens angesichts der globalen Herausforderungen kann jedoch noch keine Rede sein. Leider hat sich auch noch nicht überall herumgesprochen, dass Bildung für nachhaltige Entwicklung nicht allein mit ökologischen Themen wie Klimawandel oder Artensterben zu tun hat, sondern auch die Auseinandersetzung mit den Ursachen der weltweiten Ungleichheit und den Perspektiven für eine Überwindung der Kluft zwischen Reich und Arm umfassen muss. Was Not tut ist eine Bildungswende hin zu einer weltoffenen und zukunftsorientierten Schule, in der sich die Vision einer Globalisierung mit menschlichem Antlitz nicht nur in den Unterrichtsthemen, sondern auch in der Lernkultur und im Schulleben widerspiegelt. Denn Weltoffenheit meint mehr als das Erlernen von Fremdsprachen; und Zukunftsorientierung erschöpft sich nicht in Umweltbildung oder Gemeinschaftskunde. Die Schule muss die nachwachsende Generation auf eine ungewisse Zukunft vorbereiten und sie dazu ermutigen und befähigen, an der Gestaltung einer weltweit verflochtenen und multikulturellen Gesellschaft aktiv und verantwortungsbewusst mitzuwirken. Die in den letzten ShellJugendberichten belegte Tendenz, dass die politische und soziale Engagementbereitschaft Jugendlicher weiter zurückgeht, ist vor diesem Hintergrund höchst beunruhigend. Und eine aktuelle internationale Vergleichsstudie (die civic education Studie) lässt befürchten, dass die international gesehen schwach entwickelte politische Handlungs- und Urteilskompetenz deutscher Schüler/innen mit einigen elementaren Webfehlern unseres deutschen Schulsystems zusammenhängt. Unsere Schulen sind längst noch nicht fit für die Globalisierung oder?
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Krieg, Terrorismus und Schule Uli Jäger, 13. Februar 2003 Warum Krieg? Die anhaltende Bereitschaft, Konflikte mit Gewalt, Terror und Krieg lösen zu wollen, muss im Rahmen des Globalen Lernens kritisch beleuchtet werden. Dazu gehört die thematische Beschäftigung mit den vielschichtigen und häufig tief in der Geschichte verwurzelten Ursachen von Krieg und Terrorismus genauso wie die Suche nach den Motiven und Interessen der verantwortlichen Regierungen, Gruppen oder Einzelpersonen, die sich für gewaltsame Wege entschieden haben. Nachdrücklich wird durch die neuen Kriege dieses Jahrhunderts die Frage nach der globalen Mitverantwortung und der Verflochtenheit aller Staaten und der Gesellschaften in das Konfliktgeschehen gestellt. Die Kriege der Vergangenheit, der Gegenwart und die der Zukunft werfen für das Zusammenleben der Menschen in der Einen Welt existenzielle Fragen auf: Wer bestimmt über Krieg und Frieden? Wie werden Terrorismus und Krieg, Gewalt und Gegen-Gewalt legitimiert? Lässt sich Gewalt überhaupt rechtfertigen und gibt es gerechte Kriege? Wie lassen sich Wahrheiten und Manipulationen zum Beispiel bei der Kriegsberichterstattung erkennen? Welche Entscheidungskriterien gelten für Situationen, bei denen die Folgen für die betroffenen Menschen nicht eindeutig vorhersehbar sind? Wie viel ist dabei ein Menschenleben wert? Was bedeuten Sicherheit und Wohlstand, wenn sie auf Kosten anderer gehen? Schließlich: Welche Alternativen zu Gewalt und Krieg gibt es? Diese und andere Fragen beschäftigen nicht nur Erwachsene, sondern gerade auch Kinder und Jugendliche, wenn sie zu Zeugen von Terror, Gewalt und Kriegsvorbereitung werden. Wenn sich Angst und Unsicherheit breit macht, geht es um Orientierungshilfen, um die kritische Vermittlung von Vertrauen, von Geborgenheit und von Perspektiven und Visionen. Schule muss sich heute dieser Herausforderung mehr als jemals zuvor stellen. Wegschauen, Verdrängen und Übergehen sind keine angemessenen Umgangsformen und werden den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen in Krisenzeiten nicht gerecht. In der gezielten, gemeinsamen Suche nach unterschiedlichen Erklärungen und Antworten auf diese Überlebensfragen und nach Formen und Möglichkeiten gemeinschaftlichen Verarbeitens und Handelns steckt auch eine große Chance für die Schule als Lernort. Politische Bildung sollte zu einem "Möglichkeitsdenken beitragen, das zivile Wege aus der Verstrickung in terroristische Gewalt und Krieg eröffnet", sagt Sozialwissenschaftler Roland Roth. Schule und Globales Lernen müssen mit dazu beitragen, den Blick für konstruktive Formen der Konfliktbearbeitung zu öffnen - zwischen allen Beteiligten, im Nahbereich und "weit hinten in der Türkei" (Goethe).
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IMPRESSUM
Herausgeber:
EPIZ Entwicklungspädagogisches Informationszentrum Planie 22A 72764 Reutlingen www.epiz.de
[email protected] KATE Stuttgart Kontaktstelle für Umwelt & Entwicklung Blumenstrasse 19 70182 Stuttgart www.kate-stuttgart.org
[email protected]
Redaktion:
Sigrid Schell-Straub Sibylle Hahn Ute Bürger-Junger
Gestaltung:
Sibylle Hahn Renate Lahnstein
Fotos:
Stefanie Seehars Walter Schwenninger Markus Boese Anna Bileckyj Günther Gugel Gunther Straub Gabriele Winkler
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Verteilung der ökofairen Vespertaschen
Die Delegation aus Schrammberg
Ralph Griese, KATE und Markus Boese, DEAB
Wolfgang Pörschke, gepa; Axel Heldmann, Restaurant Zauberlehrling Reinhard Wollnik, gepa und Ernst-Ulrich Schassberger, EUROTOQUES
Präsentation der Ergebnisse aus den Workshops
Sigrid Schell-Straub, EPIZ
Prof. Dr. Hans Bühler, PH Weingarten; Dr. Kambiz Ghawami, WUS; Karl Albrecht Immel, SWR; Cornelia Füllkrug-Weitzel, Brot für die Welt; Dr. Martin Frädrich, IHK; Klaus Wenz, Kultusministerium
Kultusministerin Dr. Annette Schavan und Sigrid Schell-Straub,EPIZ Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker
Dr. Heiner Rudersdorf, ZEB und Dr. Kambiz Ghawami, WUS
Installation des Agenda-Künstlers Eugen Schütz
Chris Nasah, One World Week Ghana
Claudia Duppel, DEAB; Gabriele Winkler, KATE und Ute Rothengass, LfU
Herausgeber
Entwicklungspädagogisches Informationszentrum Reutlingen
Kontaktstelle für Umwelt & Entwicklung
Planie 22 A 72764 Reutlingen Tel: 07121/491-060 Fax: -102
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Die Erstellung der Dokumentation erfolgte mit freundlicher Unterstützung des BLK-Programm „21“ und des BMBF