Die Magna Charta des internationalen Flüchtlingsrechts. 50

March 19, 2018 | Author: Anonymous | Category: N/A
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J A H R E

DIE MAGNA CHARTA DES INTERNATIONALEN

FLÜCHTLINGSRECHTS

GENFER FLÜCHTLINGSKONVENTION

Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen

EDITORIAL

50 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention.

A © S . S A L G A D O / BIH•1994

ls sich 1951 in Genf Delegierte aus 26 so unterschiedlichen Staaten wie den USA, Israel und dem Irak versammelten, hatten sie eine wichtige Aufgabe zu erfüllen. Der Zweite Weltkrieg war längst beendet. Doch noch immer irrten

Hunderttausende von Flüchtlingen ziellos auf dem europäischen Kontinent umher oder hausten in Behelfslagern. Bereits in den Jahrzehnten zuvor gab es zwischenstaatliche Abkommen zum Schutz von Flüchtlingen. Sie sicherten jedoch keinen individuellen Rechtsanspruch. Nach über drei Wochen zäher Verhandlungen verabschiedeten die Delegierten am 28. Juli 1951 die Genfer Flüchtlingskonvention. Sie gilt bis heute als die Magna Charta des internationalen Flüchtlingsrechts. Das Abkommen war ein Rechtskompromiss, das, wie ein Experte es ausgedrückt hat, „in aufgeklärtem Eigeninteresse“ entstand. Die Regierungen wollten keinen „Blankoscheck“ für die Zukunft ausstellen und begrenzten den Geltungsbereich der Flüchtlingskonvention hauptsächlich auf Flüchtlinge in Europa und auf Ereignisse, die vor dem 1. Januar 1951 eingetreten waren. Man hoffte, die „Flüchtlingskrise“ würde rasch vorübergehen. Das kurz zuvor eingerichtete Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen wurde explizit zum Hüter der Flüchtlingskonvention

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erklärt, ausgestattet mit einem Mandat für die Dauer von drei Jahren. Fünfzig Jahre danach ist die Genfer Flüchtlingskonvention für den Schutz von Flüchtlingen immer noch von zentraler Bedeutung. In der Zwischenzeit ist Großes erreicht worden, aber es hat sich auch viel geändert. Nach dem Modell der Flüchtlingskonvention sind regionale Übereinkommen geschaffen worden. Eine Reihe von Bestimmungen wie die Definition des Begriffs „Flüchtling“ und das Prinzip des NonRefoulement, das Verbot der Abschiebung in ein Gebiet, in dem ein Flüchtling der Gefahr der Verfolgung ausgesetzt ist, sind zu einem Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts geworden. UNHCR hat auf Grundlage der Flüchtlingskonvention schätzungsweise 50 Millionen Menschen geholfen, ein neues Leben zu beginnen. In einem Protokoll zur Flüchtlingskonvention von 1967 wurden deren zeitliche und geographische Beschränkungen aufgehoben. Später rückten auch Fragen wie die der geschlechtsspezifischen Verfolgung in den Vordergrund – Fragen, die von den damals ausschließlich männlichen Delegierten überhaupt nicht wahrgenommen wurden. Vor dem Hintergrund kompletter Flucht- und Migrationsbewegungen ist die Frage nach der Relevanz der Konvention gestellt worden. Dem britischen Premierminister Tony Blair zufolge sind die „Werte“ der Flüchtlingskonvention zwar einerseits „zeitlos“, andererseits sei es an der Zeit, „innezuhalten und ihre Anwendung in der heutigen Welt zu prüfen.“ Ganz im Gegenteil dazu gibt es die verbreitete Auffassung, die Flüchtlingskonvention habe sich angesichts von vorhersehbaren wie unvorhergesehenen Herausforderungen als ausgesprochen dauerhaft und flexibel erwiesen. Wie auch immer: Sicher ist jedenfalls, dass Millionen von entwurzelten Menschen weiter auf den Schutz der Konvention angewiesen sein werden.

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Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR)

Karte: UNHCR - Kartenabteilung Historische Dokumente: UNHCR-Archiv „FLÜCHTLINGE“ wird in deutscher, englischer, französischer, spanischer, italienischer, japanischer, arabischer und russischer Sprache von der Informationsabteilung des Amtes des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen herausgegeben.

ISSN 0252-791 X Bestellungen der deutschen Ausgabe bei: UNHCR, Wallstr. 9-13, 10179 Berlin Tel.: 030/202202-26, Fax: 030/202202-23 Spendenkonto: Deutsche Stiftung für UNO-Flüchtlingshilfe e.V. Commerzbank Bonn, BLZ 380 400 07, Kto.-Nr. 258266601

TITEL

Die Genfer Flüchtlingskonvention steht auf dem Prüfstand, ist sie immer noch relevant? Von Marilyn Achiron

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Die internationale Gemeinschaft verabschiedete die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 vor allem wegen der Verbrechen des Zweiten Weltkriegs und um Millionen von Menschen zu helfen, die durch diesen Konflikt entwurzelt worden waren. In den folgenden Jahrzehnten weiteten Flüchtlingskrisen sich auf die gesamte Welt aus.

Standpunkt Die Genfer Flüchtlingskonvention. Von Jack Straw, Außenminister von Großbritannien

Neue Probleme Geschlechtsspezifische Verfolgung wird nicht mehr ausgeblendet. Von Judith Kumin

Beendigung Wenn die Flüchtlingskonvention ihre Gültigkeit verliert.

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FRAGEN UND ANT WORTEN

Die häufigsten Fragen zur Genfer Flüchtlingskonvention.

Ausschluss Wer NICHT von der Genfer Flüchtlingskonvention geschützt wird.

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Ein Kernstück der Genfer Flüchtlingskonvention ist das Verbot der Abschiebung von Zivilisten in Staaten, in denen ihnen Verfolgung droht. Andere Fragen und Antworten zur Flüchtlingskonvention.

BBC Rundfunk für die Welt.

In vorderster Front Die Flüchtlingskonvention in die Praxis umsetzen. Von Peter Showler

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©D. DRENNER/L.A. TIMES

Abzüge der mit einer UNHCR-Referenznummer versehenen Photographien sind von der UNHCR-Informationsabteilung erhältlich.

Gesamtauflage: 226.000 Druck: (dt. Ausgabe) Greven & Bechtold, Hürth

EDITORIAL

50 Jahre Genfer Flüchtlingskonvention.

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Die von beitragenden Autoren ausgedrückte Meinung entspricht nicht unbedingt der Meinung UNHCRs. Die in dieser Veröffentlichung verwendeten Bezeichnungen und Darstellungen drücken in keiner Weise die Meinung UNHCRs über den rechtlichen Status eines Gebietes oder seiner Behörde aus.

Artikel und Photographien, die nicht mit dem Vermerk Copyright versehen sind, können ohne vorherige Anfrage unter Erwähnung UNHCRs abgedruckt werden.

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U N H C R / L . T A Y L O R / C.S.•GIN•2001

Redaktion: Ray Wilkinson Deutsche Ausgabe: Stefan Telöken Andreas Kirchhof Angelika Emmelmann Redaktionelle Mitarbeit: Walter Brill, Nathalie Karsenty, Patrick Tigere Redaktionsassistenz: Virginia Zekrya Photoredaktion: Suzy Hopper, Anne Kellner Layout: Vincent Winter Associés Produktion: Françoise Peyroux Verwaltung: Anne-Marie Le Galliard Vertrieb John O’Connor, Frédéric Tissot

© B P K / DEU•1945

Postfach 2500 CH-1211 Genf 2 Depot www.unhcr.ch

ASYL

Der Kampf eines Einzelnen um Asyl. Von Lisa Getter

Vertragsstaaten

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Selbst wenn Zivilisten auf der Flucht in Sicherheit scheinen, ist die Prüfung oft noch nicht überstanden. Eine Geschichte über einen langen Kampf um Asyl.

Unterzeichner der Flüchtlingskonvention und des Protokolls.

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MENSCHEN UND LÄNDER ERLESENES

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© R . V E N T U R I / DEU•1992

Schutz: Reisedokumente oder Personalausweise für Flüchtlinge bedeuten Glück und neue Chancen.

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TITEL

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„ZEITLOSES“ ABKOMMEN UNTER DRUCK Die Genfer Flüchtlingskonvention ist 50 Jahre alt. Sie hat Millionen von Schutzsuchenden auf der ganzen Welt geholfen. Dennoch steht sie auf dem Prüfstand der Kritik.

Fortsetzung auf Seite 6 Ã

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„ZEITLOSES“ ABKOMMEN UNTER DRUCK Von Marilyn Achiron

ie Bilder waren düster und erschreckend: Mitten im Herzen von Europa waren Zehntausende auf der Flucht vor Terror und Mord, von ihrer eigenen Regierung wegen ihrer ethnischen Herkunft verfolgt. In Decken gehüllte Männer, Frauen und Kinder schleppten in Tüten und Taschen, was sie tragen konnten. Andere hatten einen alten Karren oder einen rostenden Traktor für ihre Habe gefunden. Ihr Ziel: die Sicherheit eines der angrenzenden Länder zu erreichen. Die Bilder erinnerten in fast unheimlicher Weise an Schwarz-Weiß-Bilder aus den 40-er Jahren. Doch sie waren in Farbe und wurden vor zwei Jahren aus dem Kosovo und dem Balkan live weltweit übertragen. Vor fünf Jahrzehnten hatte die internationale Gemeinschaft im Gefolge des Zweiten Weltkriegs eine ähnliche Katastrophe erlebt, als Millionen von entwurzelten Menschen hungernd und ziellos über das Land und durch die Städte zogen. Im Geist des Mitgefühls und der Menschlichkeit, aber auch der Hoffnung, so viel Leid in Zukunft verhindern zu können, traten die Nationen der Welt in Genf zusammen, wo sie bindende internationale Standards für die Behandlung von Flüchtlingen und die Pflichten der Staaten ihnen gegenüber kodifizierten. Das von ihnen verfasste Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge war bahnbrechend. Es half Millionen von

© B P K / DEU•1945

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Szenen wie diese haben zur Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 geführt.

EIN FLÜCHTLING IST EINE PERSON MIT DER „BEGRÜNDETEN FURCHT VOR VERFOLGUNG WEGEN IHRER RASSE, RELIGION, NATIONALITÄT, ZUGEHÖRIGKEIT ZU EINER BESTIMMTEN SOZIALEN GRUPPE ODER WEGEN IHRER POLITISCHEN ÜBERZEUGUNG ...“Artikel 1A (2) Flüchtlingen dabei, sich ein neues Dasein aufzubauen, und wurde zu dem „Wall, hinter dem Flüchtlinge eine Zuflucht finden konnten“, sagt Erika Feller, die Direktorin der UNHCR-Abteilung für internationalen Rechtsschutz. „Auf internationaler Ebene ist es das beste Instrument, über das wir zur Mäßigung des Verhaltens von Staaten verfügen.“

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Dennoch soll die Genfer Flüchtlingskonvention am fünfzigsten Jahrestag ihrer Verabschiedung keineswegs in bester Verfassung sein. So jedenfalls klingt es aus einigen jener Staaten, die vor einem halben Jahrhundert entscheidend dazu beigetragen haben, das Schutzsystem für Flüchtlinge aufzubauen. Krisen wie die im Kosovo, die Millionen von Menschen auf der Suche FLÜCHTLINGE NR. 2/2001

nach einer sicheren Zuflucht kopfüber in die Flucht treiben, sind häufiger geworden. Interkontinentale Reisen sind heute jedermann zugänglich und die Zahl illegaler Immigranten ist mit dem blühenden Geschäft von Menschenschleusern gestiegen. Einige dieser Staaten sehen ihre Asylsysteme deshalb mit der daraus resultierenden Mischung von Flüchtlingen und

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| „Es ist ein wirkliches Problem, dass die Europäer ihre Verpflichtungen gegenüber Flüchtlingen reduzieren... Doch wird keine Mauer hoch genug sein, um die Menschen davon abzuhalten, zu kommen.“ Diese Debatte wird zurzeit auch im Kontext einer Reihe von Gesprächen geführt, den so genannten „Globalen Konsultationen“, die UNHCR als Hüter der Flüchtlingskonvention mit den 140 Vertragsstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention und ihrem Protokoll und mit anderen interessierten Parteien abhält. Wohin sie führen wird, ist offen.

SCHUTZSYSTEME AUFBAUEN Das Phänomen der Flucht gibt es seit den ersten Tagen der Menschheit. Fast gleichzeitig entwickelte sich eine Tradition des Asyls. Als sich in der Staatenwelt zu Anfang des 20. Jahrhunderts ein internationales Verantwortungsbewusstsein

Wirtschaftsmigranten überfordert. Sie drängen auf Änderungen. Die Flüchtlingskonvention ist ihrer Ansicht nach überholt, nicht praktikabel und überflüssig. Erst vor kurzem betonte der britische Premierminister Tony Blair, die Werte der Flüchtlingskonvention seien „zeitlos“. Gleichzeitig fügte er aber hinzu, dass „angesichts der auf der ganzen Welt und besonders in Europa in ungeheurem Ausmaß wachsenden Wirtschaftsmigration ein offensichtlicher Bedarf besteht, angemessene Regeln und Verfahren festzulegen... Großbritannien stellt sich bei dem Plädoyer für eine Reform an die Spitze der Bewegung, nicht im Sinne einer

Reform der Werte der Flüchtlingskonvention, aber im Sinne ihrer Verwirklichung.“ Ruud Lubbers, der ehemalige niederländische Ministerpräsident, der unlängst sein Amt als Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen angetreten hat, warnte dagegen, dass „viele wohlhabende Länder mit einer starken Wirtschaft zwar über zu hohe Zahlen von Asylsuchenden klagen, aber zu wenig zur Prävention von Flüchtlingskrisen beitragen, z.B. indem sie in Konfliktprävention, Rückkehr und Reintegration investieren. Zu Europa sagte Lubbers: FLÜCHTLINGE NR. 2/2001

herausbildete, wurden auch die Anstrengungen zur Unterstützung von Flüchtlingen internationalisiert. 1921 wurde Fridtjof Nansen vom Völkerbund zum ersten Hohen Flüchtlingskommissar ernannt. Während des Zweiten Weltkriegs und danach unterstützte die United Nations Relief and Rehabilitation Agency (UNRRA) sieben Millionen Menschen. Als dritte Organisation für die Flüchtlingshilfe wurde 1946 die Internationale Flüchtlings- Ã

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TITEL

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© A R N I / U N A R C H I V E S / CHE•2265

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Der Anfang: Die Genfer Flüchtlingskonvention wurde am 28. Juli 1951 angenommen und zur Unterzeichnung aufgelegt.

à organisation (International Refugee Organization - IRO) gegründet, die über einer Million Europäer auf der gesamten Welt zur Weiterwanderung in ein Drittland verhalf und 73.000 Zivilisten bei der Rückkehr in ihr Heimatland.

Krieges“ zu bewahren, waren überzeugt, dass es eines effizienteren Schutzsystems bedurfte. 1950 wurde das Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen gegründet. Im Jahr darauf wurde die Gen-

fer Flüchtlingskonvention verabschiedet. Sie bildet die grundlegende rechtliche Basis für die Arbeit von UNHCR. Die 26 beteiligten Staaten waren dezidiert westlich oder liberal orientiert, obwohl sich ihnen andere Länder – wie der Irak, Ägypten

Zudem setzte die rechtliche Verankerung zum Schutz von Flüchtlingen ein. Ein Völkerbunds-Abkommen von 1933 und ein weiteres Abkommen von 1938 zugunsten deutscher Flüchtlinge boten entwurzelten Menschen in begrenztem Maße Schutz. Mit dem Instrument von 1933 war der Grundsatz eingeführt worden, dass die Signatarstaaten anerkannte Flüchtlinge nicht aus ihrem Gebiet ausweisen durften und dass es zu vermeiden sei, Flüchtlinge „an den Grenzen abzuweisen“. Doch fehlte dem Abkommen die erforderliche Umsetzung, denn es wurde nur von acht Staaten ratifiziert, von denen einige ihre Verpflichtungen vorher zudem noch substanziell reduziert hatten. Keines dieser frühen Abkommen für den Flüchtlingsschutz war deshalb wirklich erfolgreich. Der Rechtsschutz blieb lückenhaft und führende Mitglieder der neu geschaffenen Vereinten Nationen, die sich das Ziel gesetzt hatten, die „nachfolgenden Generationen vor der Geißel des

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Nach der Hilfe für Flüchtlinge aus dem Zweiten Weltkrieg wurde Ungarn zur ersten Herausforderung für UNHCR und die Flüchtlingskonvention. Ein Flüchtling winkt Mitte der fünfziger Jahre in Österreich Schicksalsgenossen zu.

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„DIE VERTRAGSCHLIEßENDEN STAATEN WERDEN DIE BESTIMMUNGEN DIESES ABKOMMENS AUF FLÜCHTLINGE OHNE UNTERSCHIEDLICHE BEHANDLUNG ... ANWENDEN.“ Artikel 3 und Kolumbien – anschlossen. Augenfällig war mit Ausnahme von Jugoslawien die Abwesenheit des von der Sowjetunion dominierten kommunistischen Blocks. Drei Wochen feilten die Delegierten im europäischen UN-Büro am Genfer See an dem Entwurf eines Rechtskodex zum Schutz von Flüchtlingen. Zu diesem Prozess gehörten langwierige und harte Verhandlungen, zähe juristische Debatten und der stetige Blick auf die Wahrung der staatlichen Souveränität. „Das moderne System des Flüchtlingsrechts entstand in aufgeklärtem Eigeninteresse“, so der Kommentar von James C. Hathaway, der als Professor für Jura und Leiter des Programms für Flüchtlings- und Asylrecht an der Universität von Michigan lehrt. Die Weigerung von einigen Delegierten, sich auf unbegrenzte Verpflichtungen einzulassen, löste eine hitzige Debatte aus. In der genauen Ausformulierung einer Schlüsseldefinition der Flüchtlingskonvention – wer als Flüchtling gelten kann – Ã

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STA N D P U N K T

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Die Flüchtlingskonvention der britische Standpunkt Wir brauchen die Debatte jetzt Von Jack Straw

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ie Unmenschlichkeit des Menschen gegenüber dem Menschen. Eine banale, oft wiederholte Phrase. Sie bringt die Gründe für die Existenz der Genfer Flüchtlingskonvention aber dennoch auf den Punkt. Und 50 Jahre später – 50 Jahre der Folter, Verfolgung, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen – ist die Flüchtlingskonvention für den Schutz von Menschen, die sonst niemand schützt, von unverminderter Bedeutung. Immer wieder wird zu Recht gesagt, dass die Welt sich in den 50 Jahren seit der Unterzeichnung der Genfer Flüchtlingskonvention verändert hat. Sie ist heute im wahrsten Sinne des Wortes kleiner als 1951. In Sekunden kann man Informationen von Kontinent zu Kontinent schicken und die Technologien, die das möglich machen, sind immer mehr Menschen zugänglich. Jeder kann von der bunten Mischung der Kulturen profitieren, die eine Folge der Globalisierung ist. Die Einwohner von Entwicklungsländern werden sich der Vorteile eines Lebens in den Industrieländern jedoch in demselben Maß bewusst, in dem wir uns anderer Kulturen bewusst werden. Die komplexe Gesamtheit technologischer, institutioneller, organisatorischer, sozialer und kultureller Veränderungen, die der Begriff „Globalisierung“ umfasst, hat eine neue Welt geschaffen, in der eine Fernreise kein unrealistischer Traum mehr ist, sondern etwas, das man verwirklichen kann. Deshalb kann ich verstehen, dass so viele Menschen ihr Heimatland in der Hoffnung auf ein besseres Leben für sich und ihre Familien verlassen und nach Großbritannien oder in andere westliche Länder gehen wollen. Diese Menschen sind jedoch keine Flüchtlinge. Unsere Asylverfahren sind geschaffen worden, um Flüchtlingen nach der Genfer Flüchtlingskonvention internationalen

Schutz zu gewähren. Alle, die keine wirklichen Flüchtlinge sind, richten mit dem Versuch, die Einwanderungskontrollen zu unterlaufen, nur Schaden an. Es liegt im Interesse der wirklichen Flüchtlinge und des Gesamtwohls, dass Großbritannien und alle anderen Länder strikte Maßnahmen zur Aufrechterhaltung ihrer Asylsysteme ergreifen.

MAßNAHMEN ERGREIFEN Deshalb haben wir Maßnahmen zur administrativen Verbesserung unseres nationalen Asylsystems ergriffen, unter anderem durch die Beschleunigung der Erstentscheidungsprozesse und der Berufungsverfahren sowie die Aufarbeitung anhängiger Fälle, durch die der Bearbeitungsrückstand auf den niedrigsten Stand seit einem Jahrzehnt gesenkt werden konnte. Es gibt in Großbritannien zwar noch viel zu tun, aber wir haben einen guten Anfang gemacht, wieder Ordnung zu schaffen. Abgesehen von den nationalen Systemen müssen wir uns aber ebenso grundlegend mit dem internationalen Schutzsystem auseinander setzen. Wir müssen uns kritisch mit der Art und Weise beschäftigen, in der wir wirklich Schutzbedürftigen helfen wollen. Während Industrieländer wie Großbritannien ihre Energien auf die Bearbeitung von Asylanträgen verwenden, von denen viele unbegründet sind, erhalten die zahlreichen Flüchtlinge nicht genug Aufmerksamkeit, die in ihren Herkunftsgebieten in Not und oft in Gefahr sind. Wenn wir das erkannt haben, müssen wir jedoch auch entsprechend handeln. Die meisten Flüchtlinge wollen nicht mehr als die Möglichkeit, in Sicherheit und in Würde in ihre Heimat zurückzukehren.

Sie wollen sich und ihre Familien keineswegs an Schleuser und Vermittler ausliefern, aber irrtümlich glauben sie oft, ihr Ziel nur so erreichen zu können. Ich habe dazu eine Reihe von grundlegenden Vorschlägen gemacht, in deren Zentrum die Unterstützung von Flüchtlingen in ihren Herkunftsgebieten steht, wobei der Minderheit, die dort nicht in Sicherheit bleiben kann, der Zugang zum internationalen Schutzsystem wieder offen stehen soll. Zudem begrüße ich den Vorschlag der Europäischen Kommission zu einer Studie über die Durchführung eines EU-Programms zur Weiterwanderung. Diese Vorschläge sind in Europa insgesamt auf mehr Zustimmung gestoßen, als ich erwartet habe. Es ist noch ein weiter Weg, bis wir ein wirklich gerechtes und wirksames Schutzsystem geschaffen haben, das nicht von kriminellen Schleusern ausgehöhlt wird. Das ist nur durch eine offene und ehrliche Debatte über diese Fragen möglich. Für diese Debatte brauchen wir den Beitrag von allen involvierten Parteien – der Herkunftsländer der Flüchtlinge, der Aufnahmeländer, der Erstasylländer sowie den Beitrag von UNHCR und anderen interessierten Organisationen. Zum 50. Jahrestag der Genfer Flüchtlingskonvention ist die Zeit reif für eine Debatte. Ich bin sehr froh, dass UNHCR dies erkannt und mit seiner Initiative der Globalen Konsultationen entsprechend gehandelt hat. Großbritannien ist bereit, sich mit aller Kraft an den Gesprächen zu beteiligen, die einen Schritt in Richtung eines modernen internationalen SchutzsysB tems darstellen. Jack Straw Außenminister von Großbritannien.

„Es ist noch ein weiter Weg, bis wir ein wirklich gerechtes und wirksames Schutzsystem geschaffen haben ...“

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TITEL

à befürworteten bestimmte Länder eine allgemeine Definition, die generell auf Flüchtlinge der Zukunft anwendbar sein sollte. Andere favorisierten dagegen eine Eingrenzung der Definition auf die Kategorien von Flüchtlingen, die es zu diesem konkreten Zeitpunkt gab. Am Ende stand unausweichlich ein Kompromiss. Man einigte sich auf eine allgemeine Definition auf der Grundlage einer „begründeten Furcht vor Verfolgung“, die aber auf solche Personen beschränkt wurde, die „infolge von Ereignissen, die vor dem 1. Januar 1951 eingetreten sind“, Flüchtlinge geworden waren. Die zeitliche Beschränkung – und die Möglichkeit zur Einführung einer geographischen Beschränkung durch die offene Interpretation des Wortes „Ereignisse“, das sowohl im Sinne von „Ereignisse in Europa“ als auch von „Ereignisse in Europa oder anderswo“ verstanden werden konnte – wurde aufgenommen, weil die Verfasser der Meinung waren, „dass die Regierungen schwerlich einen Blankoscheck ausstellen und Verpflichtungen für zukünftige Flüchtlinge eingehen können, deren Herkunft und Zahl niemand kennt.“ Die wohl wichtigste Bestimmung – die

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Verpflichtung der Regierungen, Asylsuchende nicht in ein Gebiet auszuweisen oder zurückzuweisen, in dem sie der Gefahr der Verfolgung ausgesetzt sind – war ebenfalls hoch umstritten. Diplomaten warfen die Frage auf, ob das Abschiebungsverbot, das Prinzip des Non-Refoulement, auch für Personen gilt, die noch gar nicht in ein Land eingereist sind, und ob die Regierungen damit irgendeiner Verpflichtung unterlägen, großen Zahlen von Asylsuchenden die Überschreitung ihrer Grenzen zu gestatten. Obwohl das Prinzip des Non-Refoulement inzwischen generell als so grundlegend anerkannt wird, dass es als ein Teil des Völkergewohnheitsrechts betrachtet wird, dauert die Debatte darüber bis zum heutigen Tage an. In einer kontroversen Entscheidung des Obersten US-Gerichtshofs von 1993 kam dieser zu dem Schluss, Einwanderungsbeamte würden nicht gegen die Flüchtlingskonvention verstoßen, wenn sie in Gewässern außerhalb des Hoheitsgebiets der USA ganze Boote voller Asylsuchender aus Haiti aufgreifen und zurückführen. Gleichzeitig erklärte der Oberste Gerichtshof mit einer juristischen Argumentationskette, die wohl je-

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Ein Kernstück ist das Verbot der Abschiebung

den außer einen Juristen verblüffen würde, die Verfasser der Flüchtlingskonvention hätten „möglicherweise nicht bedacht, dass irgendein Land der Welt Flüchtlinge auf der Flucht einsammeln und sie gerade in das Land zurückbringen würde, dem sie verzweifelt zu entkommen suchen; solche Handlungen könnten möglicherweise sogar den Geist von Artikel 33 [der Flüchtlingskonvention] verletzen“, der die erzwungene Rückkehr verbietet. Die Konferenz endete am 25. Juli 1951. Drei Tage später wurde die Flüchtlingskonvention offiziell verabschiedet, doch gab es noch viel zu tun. Es folgten langwierige Feinabstimmungen und harte Verhandlungen. Noch 1959 telegrafierte der

von Menschen in Staaten, in denen ihnen Verfolgung droht.

UNHCR-Vertreter in Griechenland voller Verzweiflung nach Genf: „Ich glaube nicht, dass ich mich jemals in meinem ganzen Leben so oft bei den verschiedensten Personen für ein und dieselbe Sache, nämlich die Ratifizierung der Flüchtlingskonven-

der oben genannten Flüchtlingskonvention beizutreten.“ Noch heute ist Indien, in dem die zweitgrößte Bevölkerung der Welt lebt, kein Vertragsstaat, obwohl es paradoxerweise Mitglied im UNHCR-Exekutivkomitee ist.

waren, trat sie am 22. April 1954 offiziell in Kraft. Zum ersten Mal in der Geschichte gab es damit ein globales Instrument, das im Vergleich zu den Abkommen aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg einen bedeu-

„JEDER FLÜCHTLING HAT ... FREIEN ... ZUGANG ZU DEN GERICHTEN.“ Artikel 16 tion, eingesetzt habe. Die Aussichten sind dennoch nicht gerade viel versprechend.“ Indien erläuterte UNHCR in einem Brief von 1956 seine innenpolitischen Vorbehalte in der Flüchtlingsfrage und schloss: „Deshalb beabsichtigt die Regierung von Indien zum derzeitigen Zeitpunkt nicht,

Trotz aller Hürden und Verzögerungen ratifizierte Dänemark schließlich im Dezember 1952 als erster Staat die Genfer Flüchtlingskonvention. Nachdem fünf weitere Staaten – Norwegen, Belgien, Luxemburg, die Bundesrepublik Deutschland und Australien – ihr ebenfalls beigetreten FLÜCHTLINGE NR. 2/2001

tenden Fortschritt darstellte und mit dem das Völkerrecht in mehreren Beziehungen wesentlich vorangetrieben wurde. Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 umfasst eine allgemein gültige Definition des Begriffs „Flüchtling“ und räumt Flüchtlingen umfassende Mindestrechte Ã

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à ein. Nach dem Vorbild des Ab-

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hielten“, argumentierte ein frankommens von 1933 und der Allzösischer Delegierter bei den Vergemeinen Erklärung der Menhandlungen in Genf. „Häufig geschenrechte von 1948 gewährt die nug kam es vor, dass ein FlüchtKonvention Flüchtlingen die Freiling die Gemeinschaft ausnützte.“ heit der Religionsausübung und Die Genfer Flüchtlingskonvendes Religionsunterrichts, Zugang Die Flüchtlingskonvention soll schützen. UNHCR-Mitar- tion sieht in ihren „Ausschlusszu den Gerichten, das Recht auf beiter helfen einem gerade zurückgekehrten Ehepaar in klauseln“ vor, welche Personen Unterricht in Grundschulen und Guatemala bei den Formalitäten, um Personaldokumente von der Anerkennung als Flüchtauf öffentliche Fürsorge. Im Hin- zu erhalten. ling ausgeschlossen sind (beispielblick auf Unterkunft und Arbeit sweise wenn sie Kriegsverbrechen sollte Flüchtlingen zumindest die gleiche vention aber auch Pflichten von Flüchtlin- begangen haben) und in ihren „BeenBehandlung wie anderen Ausländern gen gegenüber dem Aufnahmeland fest- digungsklauseln“, unter welchen Umgewährt werden. gelegt. „Nur zu oft gab es Flüchtlinge, die ständen sie ihre Gültigkeit verliert. Umgekehrt hat die Flüchtlingskon- sich nicht an die Regeln der Gemeinschaft

GESCHLECHT: Verfolgung

genauer betrachtet „Wo fangen schließlich die allgemeinen Menschenrechte an? Im Alltag, zuhause.“ – Eleanor Roosevelt Von Judith Kumin

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m Mai 1989 sind Mihai und Maria vor dem grausamen Regime des rumänischen Diktators Ceausescu geflohen. Im UNHCR-Büro in Belgrad stellten sie einen Antrag auf Asyl. „Ich kann keinen Grund zur Anerkennung finden“, sagte mir ein besorgter männlicher Kollege, „aber ich glaube, Sie sollten mal mit der Ehefrau sprechen. Ich habe das Gefühl, sie hat etwas zu sagen, was sie mir aber nicht sagen wird. Sie sieht mich nicht einmal an.“ Bei einer Tasse Kaffee und außerhalb der Hörweite ihres Mannes berichtete Maria von schrecklichen Demütigungen und sexuellen Misshandlungen durch die rumänische Geheimpolizei Securitate, die ihren Mann verdächtigte, Mitglied einer geheimen Oppositionsgruppe zu sein und Maria zu einem Geständnis zwingen wollte. Schon bald nach der Befragung von Maria konnte das Ehepaar in die USA weiterwandern. Wir sind in all den Jahren in Kontakt geblieben und ich habe oft daran gedacht, wie nahe wir daran waren, ihren Antrag abzulehnen und sie an die jugoslawische Polizei zu übergeben, die sie ihrerseits an die Securitate ausgeliefert hätte.

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Als die Väter der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 das verfassten, was zur Magna Charta des internationalen Flüchtlingsrechts wurde, entwickelten sie eine Definition des Begriffs Flüchtling, die eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung voraussetzt. Verfolgung aus Gründen des Geschlechts ließen sie nicht bewusst aus – darüber wurde gar nicht gesprochen. Obwohl anerkannt wurde, dass Frauen spezifische Fluchtgründe haben können, haben sie mit ihren Anträgen in der Praxis oft Schwierigkeiten gehabt. Oft wurde Ehefrauen keine Gelegenheit gegeben, von ihren Erlebnissen zu berichten. Manchmal zögerten Frauen wie im Fall von Maria, das in Anwesenheit eines männlichen Mitarbeiters zu tun. Wenig wurde über Formen von Verfolgung nachgedacht, die nur Frauen betreffen könnten. In den achtziger Jahren – in der ersten UN-Dekade für Frauen – begann man sich erstmals mit geschlechtsspezifischer Verfolgung zu beschäftigen. 1984 verabschiedete das Europaparlament eine damals revolutionäre Resolution, mit der die Staaten FLÜCHTLINGE NR. 2/2001

aufgefordert wurden, Frauen, die religiöse oder gesellschaftliche Verhaltensweisen durchbrechen, zum Zweck der Feststellung der Flüchtlingseigenschaft als eine „bestimmte soziale Gruppe“ zu betrachten. Einige Kritiker haben dies als westliche Einflussnahme auf kulturelle Traditionen nichtwestlicher Gesellschaften bewertet. Andere waren der Meinung, dieser Ansatz sei zu umfassend und argumentierten, dass Verfolgung persönlich und spezifisch sein muss. 1985 verabschiedete das UNHCRExekutivkomitee seinen ersten Beschluss zu Flüchtlingsfrauen und Internationalem Schutz und 1988 veranstaltete UNHCR seine erste Konsultation zu Flüchtlingsfrauen. WENDEPUNKT Der eigentliche Wendepunkt kam jedoch erst in den neunziger Jahren. Menschenrechtsverletzungen bei Frauen wurden zunehmend wahrgenommen und das Bestreben, die Universalität der Menschenrechte anzuerkennen, gewann an immer stärkerer Überzeugungskraft. Es bildete sich ein wachsender Konsens darüber, dass bestimmte Anträge, die mit der Geschlechtszugehörigkeit in Zusammenhang

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TITEL

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„DIE VERTRAGSCHLIEßENDEN STAATEN WERDEN DEN FLÜCHTLINGEN DIESELBE BEHANDLUNG WIE IHREN STAATSANGEHÖRIGEN HINSICHTLICH DES UNTERRICHTS IN GRUNDSCHULEN GEWÄHREN.“ Artikel 22

U N H C R / W . S T O N E / ETH•1996

Zudem wurde zum ersten Mal eine formale Verbindung zwischen einer Flüchtlingskonvention und einem internationalen Amt hergestellt. UNHCR erhielt das Mandat, ihre Durchführung zu überwachen. Trotz aller Kompromisse und Einschränkungen war „das, was durch die Flüchtlingskonvention für Flüchtlinge er-

Somalische Flüchtlinge bei einer Kampagne gegen Genitalverstümmelung, ein Fluchtgrund, an den in der Flüchtlingskonvention nicht gedacht wurde.

stehen, unter die Genfer Flüchtlingskonvention fallen können. Im Jahr 1991 gab UNHCR die „Richtlinien zum Schutz von Flüchtlingsfrauen“ heraus. 1993 veröffentlichte die kanadische Einwanderungsund Flüchtlingsbehörde bahnbrechende Richtlinien zu „Asylbewerberinnen mit Furcht vor Verfolgung aus Gründen des Geschlechts”. Die USA, Australien und Großbritannien gaben bald ebenfalls eigene Richtlinien heraus. Heutzutage zögern die Staaten zunehmend, Anträge von Frauen mit dem uralten Argument des „Kulturrelativismus“ abzuweisen, wonach die Verletzung der Rechte von Frauen in die Privatsphäre gehört, die eine bestimmte Religion oder Kultur kennzeichnet.

reicht wurde, eine großartige Leistung im humanitären Bereich“, so Ivor C. Jackson. Er war 30 Jahre lang für UNHCR tätig, unter anderem als stellvertretender Direktor der Abteilung für internationalen Rechtsschutz.

EIN NEUER ABSCHNITT Die ursprünglichen Verfasser der Gen-

Einige wenige Länder, Deutschland an ihrer Spitze, vertreten immer noch den Standpunkt, dass Verfolgungshandlungen einem Staat zurechenbar sein müssen, um als Flüchtling nach der Konvention anerkannt zu werden. UNHCR und die große Mehrheit der Unterzeichnerstaaten vertreten dagegen nachdrücklich, es sei nicht erheblich, wer der Täter ist, sondern ob die Betroffenen national Schutz finden können. Ein weiteres umstrittenes Thema ist die Frage, ob bei der Tat notwendig eine böswillige Absicht gegeben sein muss. Das ist besonders mit Blick auf traditionelle Praktiken wie die Verstümmelung der weiblichen Genitalien von Bedeutung, bei der es gewiss nicht in der Absicht der Täter liegt, den Mädchen Schaden zuzufügen. Dennoch wird allgemein anerkannt, dass diese Praxis zu schwerem Schaden führt. Die politische Überzeugung ist ein komplexes Feld. Frauen werden unter Umständen nicht nur wegen ihrer eigenen Meinungen verfolgt, sondern auch wegen denen ihrer Männer. Frauen werden durch religiöse Vorschriften über Reisen, Kleidung oder Erwerbstätigkeit stärker als Männer diskriminiert. Doch hat vor allem das Konventionsmerkmal „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ eine Debatte entfacht. Auch wenn weithin akzeptiert wird, dass Frauen als Teil einer „bestimmten sozialen Gruppe” verfolgt werden können, herrscht schon weniger Übereinstimmung in der Frage, wie weit man mit diesem Argument gehen kann. Das trifft besonders auf Frauen zu, die Opfer häuslicher Gewalt sind – Hauptursache der Verletzung von Frauen weltweit. Ist es in diesem Fall erforderlich, dass der Staat die Frau nicht schützen will? Oder einfach nicht in der FLÜCHTLINGE NR. 2/2001

fer Flüchtlingskonvention gingen nicht davon aus, dass Flüchtlingsfragen für lange Zeit zu den zentralen internationalen Problemen zählen würden. Das Mandat von UNHCR wurde auf den Zeitraum von drei Jahren begrenzt, um Flüchtlingen aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg zu helfen. Danach sollte das Amt sich erwartungsgemäß auflösen. Stattdessen weiteten Ã

Lage ist, sie zu schützen? Wie wirksam muss staatlicher Schutz sein? Die ehemalige amerikanische Justizministerin Janet Reno hat sich mit diesem Thema noch in ihren letzten Stunden im Amt beschäftigt. Sie ordnete im Januar 2001 die Prüfung einer Entscheidung über die Ablehnung des Asylantrags einer schwer misshandelten Frau aus Guatemala durch das Einwanderungsberufungsgericht (Board of Immigration Appeals) an. Die Frau hatte in den USA Schutz vor ihrem ehemaligen Ehemann gesucht, der sie misshandelte. Ein historischer Einschnitt war die Annahme des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs in Rom im Juli 1998, der über ein breites Spektrum von geschlechtsspezifischen Verbrechen urteilen wird: Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Zwangsprostitution, Zwangsschwangerschaft, Zwangssterilisation. Im Februar 2001 verkündete der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien wegen Vergewaltigungen die ersten Urteile über bosnisch-serbische Offiziere, die als Verbrechen gegen die Menschlichkeit erkannt wurden. 50 Jahre nach der Verabschiedung der Genfer Flüchtlingskonvention umfasst diese nach wie vor nur fünf Gründe für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft. Man hat den Vorschlag gemacht, dem einen sechsten Grund – das Geschlecht – hinzuzufügen. Rechtsentscheidungen auf der ganzen Welt beweisen aber hinlänglich, dass Anträge aus Gründen des Geschlechts auf der Basis des vorliegenden Textes behandelt werden können. Die Verfolgung aus Gründen des Geschlechts und die Verfolgung von Frauen im Besonderen werden B nicht länger ausgeblendet.

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à Flüchtlingskrisen sich vom Europa der fünfziger in das Afrika der sechziger Jahre und schließlich nach Asien aus, bis sie in den neunziger Jahren wieder zur Realität in Europa wurden. Offenkundig musste die Flüchtlingskonvention gestärkt werden, um wirksam zu bleiben. Im Jahr 1967 verabschiedete die UN-Generalversammlung ein Protokoll zur Konvention, das die zeitliche Begrenzung und die geographischen Beschränkungen wirksam aufhob, während deren wesentlichen anderen Bestimmungen beibehalten wurden. Die Zahl der Menschen auf der Suche nach Sicherheit stieg von unter einer Million auf den absoluten Höchststand von

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in den neunziger Jahren angesichts des Massenexodus aus Bosnien und später aus dem Kosovo, nach eigenen Maßstäben „vorläufigen Schutz“ zu gewähren. Diese Verfahrensweise hatte Vor- und Nachteile. Zivilisten konnten durch sie rasch und mit einem Minimum an bürokratischen Hindernissen in einem Land aufgenommen werden. Da für vorläufigen Schutz aber keine allgemein bindenden Standards existierten, wurden den Schutzsuchenden oft auch geringere und weniger großzügige Rechte eingeräumt als im Rahmen der Genfer Flüchtlingskonvention. Zudem wurde Hilfeempfängern im Allgemeinen auch nur ein „vorläufiges“ Aufenthaltsrecht gewährt. Die Regierungen konn-

Ersatz für diese und sollte auch nicht in dieser Weise eingesetzt werden. Es gab auch zahlreiche negative Entwicklungen. Länder, die Flüchtlinge früher in begrenzter Zahl willkommen geheißen oder große Gruppen von ihnen sowohl aus politischen als auch humanitären Gründen aufgenommen hatten (wie die Flüchtlinge, die aus den kommunistischen Staaten Europas in den Westen kamen), begannen ihre Tore zu schließen. Der Begriff „Festung Europa“ wurde geprägt. Unausweichlich geriet damit auch die Flüchtlingskonvention in die Kritik. Gewundene juristische Argumentationen wurden vorgetragen, um den Strom der Asylsuchenden einzudämmen, wann immer dies politisch opportun schien. Da die Flüchtlingskonvention von 1951 den Begriff der „Verfolgung“ nicht definiert, wurde dieser den unterschiedlichsten – und immer restriktiveren – Interpretationen unterworfen. Nach Meinung mancher Staaten hat der Charakter von Verfolgung sich in den letzten 50 Jahren verändert. Menschen, die vor Bürgerkriegen, allgemeiner Gewalt und verschiedensten Formen von Menschenrechtsverletzungen aus ihren Herkunftsländern fliehen – und das meist in großer Zahl -, fliehen danach nicht vor Verfolgung. UNHCR vertritt hingegen den Standpunkt, dass Kriege und Gewalt zunehmend zu Instrumenten der Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention geworden sind. In den Konflikten im ehemaligen Jugoslawien, im ostafrikanischen Seenhochland oder im Kosovo ist Gewalt gezielt zur Verfolgung von bestimmten Bevölkerungsgruppen eingesetzt worden. Ethnische oder religiöse „Säuberungen“ waren das Endziel dieser Konflikte.

DIE TÄTER 1951 ging man allgemein davon aus, dass Staaten die „Urheber von Verfolgung“ sind. Heute fliehen Flüchtlinge oft aus Gebieten, in denen es gar keine funktionsfähige Re-

„DIE VERTRAGSCHLIEßENDEN STAATEN WERDEN JEDEM FLÜCHTLING, DER SICH IN IHREM GEBIET BEFINDET ..., EINEN PERSONALAUSWEIS AUSSTELLEN.“ Artikel 27 über 27 Millionen im Jahr 1997. Neue Kategorien von Schutzsuchenden tauchten auf wie z.B. die so genannten Binnenvertriebenen. In einem innovativen und relativ wohl wollenden Ansatz begannen einige Länder

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ten ihre Schutzmaßnahmen jederzeit nach eigenem Ermessen beenden. Deshalb kann vorläufiger Schutz zwar als praxisorientierte Ergänzung zur Genfer Flüchtlingskonvention betrachtet werden, doch ist er nach Einschätzung von UNHCR kein FLÜCHTLINGE NR. 2/2001

gierung mehr gibt und in denen sie zu Opfern von parastaatlichen Organisationen, Rebellenbewegungen oder örtlichen Milizen werden. Einige Staaten wollen Verfolgungshandlungen von solchen „nichtFortsetzung auf Seite 18 Ã

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BEENDIGUNG: Wann hört ein Flüchtling

auf, ein Flüchtling zu sein?

Die Anwendung der „Beendigungsklauseln“ der Genfer Flüchtlingskonvention

ZWEI BEREICHE Die Beendigungsklauseln decken zwei große Bereiche ab. Vier Klauseln beziehen sich auf einschneidende Veränderungen in

der persönlichen Situation eines Flüchtlings, beispielsweise wenn er oder sie freiwillig in sein Herkunftsland zurückkehrt, einen Pass in einem anderen Land erhält oder sich dort niederlässt. Der zweite Bereich der Beendigungsklauseln wird bei einer grundlegenden Veränderung der Bedingungen angewandt, die einen Zivilisten ursprünglich zur Flucht gezwungen haben, etwa wenn das Herkunftsland nach einem Krieg in eine Demokratie überführt wird. Im Rahmen dieses letzteren Bereichs hat UNHCR in den vergangenen 20 Jahren für

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ls eine radikale Gruppe junger Offiziere 1974 Haile Selassie, den Kaiser von Äthiopien, stürzte, läutete sie zwei Jahrzehnte der brutalen Gewalt ein. Tausende von Menschen wurden in Terrorkampagnen getötet und Hunderttausende flohen in die umliegenden ostafrikanischen Staaten. Das diskreditierte Militär wurde seinerseits im Jahr 1991 gestürzt. Die Mehrheit der Flüchtlinge kehrte freiwillig in die Heimat zurück, als eine neue Zivilregierung eine demokratische Reform durchführte. Im Jahr 2000 wandte UNHCR die so genannten „Beendigungsklauseln“ der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 auf einige Tausend Äthiopier an, die ihr Land vor 1991 verlassen hatten. Den Flüchtlingen wurde mitgeteilt, ihr Anspruch auf internationalen Schutz sei erloschen, weil sie in ihr Herkunftsland zurückkehren konnten, ohne Verfolgung in irgendeiner Form fürchten zu müssen. In Krisensituationen richtet sich die Aufmerksamkeit der Welt im Allgemeinen auf die spektakulären Seiten des Problems, die Flucht von Zivilisten, ihre Versuche, Asyl zu finden, und das Verhalten der Staaten. Die Beendigungsklauseln werden wesentlich weniger beachtet, die kurz- und langfristige Lösungen nach dem Ende von Krisen finden sollen. Bei der Ausarbeitung der Genfer Flüchtlingskonvention machte der erste Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, G.J. van Heuven Goedhart, deutlich, dass beides erforderlich ist. Schutz war offenkundig notwendig, aber er sollte nur so lange gewährt werden wie absolut erforderlich. „Asyl“, sagte er, „sollte nicht einen Tag länger gewährt werden, als dies wirklich zwingend ist.“

Äthiopier bei der Rückkehr aus dem Sudan.

15 nationale Gruppen die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft erklärt, unter anderem für die Äthiopier, die vor 1991 aus ihrem Land geflohen sind, für die Chilenen nach dem Demokratisierungsprozess Chiles und die Namibier im Anschluss an die Ausrufung der staatlichen Unabhängigkeit FLÜCHTLINGE NR. 2/2001

ihres Landes. Unterdessen ist eine Debatte darüber im Gang, wann und in welcher Form die Klauseln angewandt werden sollen, vor allem in Massenfluchtsituationen oder in Fällen, in denen Staaten fliehenden Zivilisten so genannten „vorläufigen Schutz“ statt der vollen Rechte nach der Konvention gewähren. Diese Art von „vorläufigem Schutz“ haben die europäischen und andere Staaten Hunderttausenden von Zivilisten geboten, die in den neunziger Jahren aus der Balkanregion geflohen sind. Damit die Regierungen diese Politik der „offenen Tür“ auch in der Zukunft verfolgen, plädieren Regierungsbeamte für eine schnelle und großzügige Anwendung der Beendigungsklauseln. Gegner tragen hingegen den Einwand vor, die Staaten würden ohnehin zögern, die vollen Konventionsrechte in Situationen „vorläufigen Schutzes“ zu gewähren. Sie könnten eine derartige „Flexibilität“ als Signal für die willkürliche Anwendung der Beendigungsklauseln missdeuten. Das sind nicht die einzigen offenen Fragen. Könnten nicht beispielsweise viele der schätzungsweise 3,5 Millionen afghanischen Flüchtlinge, die derselben ethnischen Gruppe angehören wie die Taliban, in Sicherheit in die friedlichen Gebiete dieses verwüsteten Landes zurückkehren, nachdem sie jahrelang im Exil gelebt haben? UNHCR hat in dieser Frage engagiert den Standpunkt vertreten, „dass von Beendigung nicht die Rede sein kann, wenn auf eine Form von Bürgerkrieg eine andere folgt, wie das in Afghanistan der Fall ist.“ Manchen Beamten schaudert jedoch vor den Konsequenzen eines solchen Ansatzes. „Das System hat bis jetzt gut funktioniert und muss vorsichtig angewandt werden“, sagt ein Experte. „Wir können nicht das Risiko eingehen, die Büchse der Pandora zu öffnen, aus der einige unangenehme Überraschungen hervorspringen könnten.“ B

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Die häufigsten Fragen zur Genfer Flüchtlingskonvention Warum ist die Genfer Flüchtlingskonvention wichtig?

zeitlichen Begrenzungen auf, nach der hauptsächlich Europäer infolge von Ereignissen, die vor dem 1. Januar 1951 eingetreten sind, Asyl beantragen konnten.

Sie ist das einzige universell geltende Abkommen, das sich ausschließlich und umfassend Flüchtlingen widmet. Sie legt eine Reihe von grundlegenden Rechten fest, die zumindest denen von Ausländern, die sich rechtmäßig in einem bestimmten Land aufhalten, und oftmals denen der Staatsangehörigen des Aufnahmelandes entsprechen. Sie trägt der internationalen Dimension von Flüchtlingskrisen und der Notwendigkeit der internationalen Zusammenarbeit Rechnung, einschließlich einer Lastenteilung zwischen den Staaten.

Wer ist ein Flüchtling? Artikel 1 der Genfer Flüchtlingskonvention definiert einen Flüchtling als Person, die sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt oder in dem sie ihren ständigen Wohnsitz hat, und die wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung hat und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht vor Verfolgung nicht dorthin zurückkehren kann. Was ist Schutz? Eine Regierung ist dafür verantwortlich, die Gesetze ihres Landes durchzusetzen. Ist sie dazu nicht in der Lage oder gegenüber bestimmten Gruppen oder Personen nicht willens, was häufig im Fall von Konflikten oder öffentlichen Unruhen geschieht, verlassen Personen, deren grundlegende Menschenrechte bedroht sind, ihren Wohnort. Viele fliehen in ein anderes Land, wo sie als Flüchtlinge anerkannt und ihnen Grundrechte garantiert werden können.

Was ist das Protokoll von 1967? Es hebt die im ursprünglichen Abkommen von 1951 festgeschriebenen geographischen und

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©CORBIS

Was bietet die Genfer Flüchtlingskonvention? Sie definiert, was der Begriff „Flüchtling“ bedeutet. Sie bestimmt die Rechte von Flüchtlingen, zu denen Religions- und Bewegungsfreiheit sowie das Recht zu arbeiten, das Recht auf Bildung und das Recht auf den Erhalt von Reisedokumenten gehören. Doch sie unterstreicht auch die Pflichten von Flüchtlingen gegenüber ihrem Aufnahmeland. Ein Kernstück ist das Prinzip des Non-Refoulement, d.h. des Verbots der Zurückweisung in ein Land, in dem ein Flüchtling Verfolgung fürchtet. Sie nennt zudem Personen oder Gruppen von Personen, auf die die Genfer Flüchtlingskonvention nicht Anwendung findet.

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Wer schützt Flüchtlinge? Für den Schutz von Flüchtlingen sind in erster Linie die Regierungen der Aufnahmeländer verantwortlich. Die 140 Vertragsstaaten des Abkommens und/oder des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sind verpflichtet, ihre Bestimmungen auszuführen. UNHCR übt eine Kontrollfunktion aus und greift gegebenenfalls ein, um sicherzustellen, dass bonafide-Flüchtlinge Asyl erhalten und nicht zur Rückkehr in Länder gezwungen werden, in denen ihr Leben in Gefahr sein könnte. Das Amt sucht nach Wegen, um Flüchtlingen beim Neuanfang zu helfen, entweder durch Integration in den Aufnahmeländern oder freiwillige Rückkehr in ihre Herkunftsländer; wenn dies nicht möglich ist, auch durch die dauerhafte Ansiedlung in Drittländern.

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Ist die Genfer Flüchtlingskonvention im neuen Jahrtausend noch aktuell? Ja. Sie wurde im Gefolge des Zweiten Weltkriegs und angesichts der wachsenden politischen Spannungen zwischen Ost und West verabschiedet. Doch obwohl sich der Charakter von Konflikten und Migration seither teilweise verändert hat, erweist sich die Konvention als außerordentlich geeignet, auf Dauer zum Schutz von schätzungsweise 50 Millionen Menschen in den verschiedensten Situationen beizutragen. Solange es Verfolgung von Einzelpersonen und Gruppen gibt, wird man die Genfer Flüchtlingskonvention brauchen. Soll das Abkommen Migrationsbewegungen steuern? Nein. Millionen von Migranten haben die in den letzten Jahrzehnten verbesserten Kommunikations- und Transportmöglichkeiten dazu genutzt, ein neues Leben in einem anderen, meist westlichen Land zu beginnen. Doch sollten sie nicht mit bona-fide-Flüchtlingen verwechselt werden, was gelegentlich geschieht. Solche Personen fliehen vor lebensbedrohender Verfolgung und nicht nur aus wirtschaftlicher Not. Migrationsbewegungen sind sehr komplex und können auch wirkliche Flüchtlinge umfassen. Für Regierungen ist es eine sehr schwierige Aufgabe, die verschiedenen Gruppen voneinander zu unterscheiden und wirkliche Flüchtlinge durch bewährte und faire Asylverfahren angemessen zu behandeln. Worin unterscheiden sich Flüchtlinge von Migranten? Im Allgemeinen verlassen Migranten ihr Herkunftsland freiwillig auf der Suche nach einem besseren Leben. Wenn sie sich zur Rückkehr dorthin entschließen, werden sie weiterhin unter dem Schutz der Regierung stehen. Flüchtlinge fliehen angesichts drohender Verfolgung und können unter den zu diesem Zeitpunkt herrschenden Bedingungen nicht in Sicherheit in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Findet die Genfer Flüchtlingskonvention Anwendung auf Binnenvertriebene? Nicht ausdrücklich. Flüchtlinge sind Personen, die auf der Suche nach Zuflucht eine internationale Grenze überquert haben. Binnenver-

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triebene können aus den gleichen Gründen geflohen sein, doch sind sie auf dem Territorium ihres Herkunftslandes geblieben und damit dessen Gesetzen nach wie vor verpflichtet. In einigen Konfliktgebieten unterstützt UNHCR einen Teil der weltweit geschätzten 20 bis 25 Millionen Binnenvertriebenen. Derzeit wird eine breite internationale Debatte über die Frage geführt, wie und von wem diese entwurzelten Menschen besser geschützt werden können. Kann die Genfer Flüchtlingskonvention Flüchtlingsprobleme lösen? Menschen werden individuell oder im Rahmen eines Massenexodus zu Flüchtlingen, weil in ihrer Heimat politische, religiöse, militärische und andere Probleme herrschen. Die Genfer Flüchtlingskonvention war nicht darauf angelegt, diese Ursachen zu beseitigen, sondern ihre Folgen zu lindern, indem den Opfern ein bestimmter Grad an völkerrechtlichem Schutz und andere Unterstützung angeboten und ihnen letztlich beim Aufbau eines neuen Lebens geholfen wird. Schutz kann zu einer Gesamtlösung beitragen, doch angesichts des dramatischen Anstiegs der Flüchtlingszahlen in den letzten Jahrzehnten ist deutlich geworden, dass humanitäre Arbeit kein Ersatz für politisches Handeln zur Vermeidung von zukünftigen Krisen oder zu ihrer Lösung sein kann. Welche Pflichten haben Flüchtlinge? Flüchtlinge müssen die Gesetze und Vorschriften ihres Asyllandes achten. Ist ein Signatarstaat der Genfer Flüchtlingskonvention verpflichtet, allen Flüchtlingen auf Dauer Asyl zu gewähren? Die Genfer Flüchtlingskonvention bietet keinen automatischen oder dauerhaften Schutz. Es gibt Fälle, in denen sich Flüchtlinge auf Dauer in ihrem Asylland integrieren. Doch es kann auch der Fall eintreten, dass eine Person kein Flüchtling mehr ist, weil die Grundlage für die Rechtsstellung von Flüchtlingen erlischt. UNHCR „bevorzugt“ die Lösung der freiwilligen Rückkehr von Flüchtlingen in ihr Herkunftsland, aber nur dann, wenn die Bedingungen in diesem Staat ihre sichere Rückkehr erlauben. Auf welche Personen findet die Genfer Flüchtlingskonvention keine Anwendung? Personen, die Verbrechen gegen den Frieden oder ein Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder ein schweres nicht politisches Verbrechen außerhalb des Zufluchtslandes begangen haben.

Kann ein Soldat ein Flüchtling sein? Ein Flüchtling ist ein Zivilist. Ehemalige Soldaten können die Flüchtlingseigenschaft haben, aber Personen, die weiterhin an militärischen Aktionen beteiligt sind, können für die Gewährung von Asyl nicht in Frage kommen. Können Länder, die nicht Vertragsstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention sind, Asylsuchenden die Einreise verweigern? Das Prinzip des Non-Refoulement – des Verbots der erzwungenen Rückkehr in ein Land, in denen einer Person Verfolgung droht – ist ein Teil des allgemeinen Völkerrechts und somit für jeden Staat bindend. Deshalb sollte keine Regierung eine Person unter solchen Umständen ausweisen. Wer oder was ist ein „Urheber von Verfolgung“? Die Formulierung bezieht sich auf Personen oder Institutionen wie Regierungen, Rebellen oder andere Gruppen, die Menschen zur Flucht aus ihrer Heimat zwingen. Für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft sollte der Urheber der Verfolgung jedoch nicht entscheidend sein. Wichtig ist, ob eine Person internationalen Schutz verdient, weil ihr Schutz im Herkunftsland nicht gegeben ist. Was ist „temporärer Schutz”? Staaten räumen gelegentlich „temporären Schutz“ ein, wenn sie mit einem plötzlichen Massenzustrom von Menschen konfrontiert werden, der ihre regulären Asylsysteme überfordert, wie dies beispielsweise bei dem Konflikt im ehemaligen Jugoslawien Anfang der neunziger Jahre der Fall war. Unter solchen Bedingungen können Personen schnelle Aufnahme in sicheren Ländern finden, aber ohne Garantie auf dauerhaftes Asyl. Deshalb kann „temporärer Schutz“ unter bestimmten Bedingungen sowohl für Regierungen als auch für Asylsuchende von Vorteil sein. Er ist jedoch nur eine Ergänzung und kein Ersatz für die umfassenden Schutzmaßnahmen einschließlich des Asyls für Flüchtlinge auf Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention. Werden manche Länder wie die europäischen Staaten von Asylsuchenden „überflutet"? Auf der ganzen Welt und auch in einigen Ländern Europas gibt es die Vorstellung, dass sie von Asylsuchenden „überflutet“ werden. Es trifft zwar zu, dass in den letzten Jahrzehnten die Flüchtlingszahlen in vielen Gebieten massiv gestiegen sind, doch sind alle diese Klagen

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relativ. Letzten Endes nehmen einige Nationen in Afrika und Asien mit wesentlich geringeren wirtschaftlichen Ressourcen als die Industrieländer mitunter größere Zahlen von Flüchtlingen für wesentlich längere Zeiträume auf. Werden allein durch den Beitritt zur Genfer Flüchtlingskonvention immer mehr Asylsuchende angezogen? Nein. Einige Staaten, die besonders viele Flüchtlinge aufgenommen haben, sind den völkerrechtlichen Instrumenten zum Flüchtlingsschutz nicht beigetreten. Geographische Gesichtspunkte oder Familienbande haben einen wesentlich höheren Stellenwert, wenn es um die „Attraktivität“ eines Zielorts geht. Beeinträchtigt der Beitritt die staatliche Souveränität? Souveränität ist nie absolut. Die internationalen Beziehungen umfassen ein vernünftiges und annehmbares Maß an Kompromissen, und die Instrumente für den Flüchtlingsschutz schaffen einen Ausgleich zwischen den staatlichen Interessen und dem Flüchtlingsschutz. Beispielsweise ist die Gewährung von Asyl in der Konvention nicht geregelt und unterliegt weiterhin dem Ermessen der einzelnen Regierungen. Wie kann einer besorgten Regierung oder einheimischen Bevölkerung der Beitritt vermittelt werden? Manche in einem Land gehegten Bedenken beruhen auf einer Fehlinterpretation oder einem Missverständnis. Die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und das Protokoll von 1967 sind nicht mehr als ein allgemeiner rechtlicher Rahmen, auf dem Staaten ihre Flüchtlingspolitik aufbauen können. Die den Regierungen auferlegten Pflichten sind wiederum nicht so einengend, wie oft angenommen wird. Flüchtlinge lediglich zu tolerieren, statt ihnen einen rechtlich abgesicherten Status zu verleihen, könnte dagegen zur Entstehung einer „Grauzone“ führen, die Komplikationen schafft und sich zu einem wirklichen Problem entwickelt. Kann irgendein Land als „sicheres“ Land in dem Sinn gelten, dass es nicht Herkunftsland von Flüchtlingen sein kann? Nein. Selbst Anträge der Bürger von Staaten, in denen im Allgemeinen keine ernsthafte Gefahr der Verfolgung besteht, müssen geprüft werden. Diese können unter der Voraussetzung, dass alle Asylsuchenden eine faire Anhörung bekommen, in einem „beschleunigten B Verfahren“ geprüft werden, .

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à Fortsetzung von Seite 14 staatlichen Urhebern“ nicht als Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention gelten lassen. Andere vertreten hingegen den Standpunkt, den Opfern müsse die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt werden, wenn ein Land die Verfolgung durch nichtstaatliche Urheber toleriert, an ihr beteiligt ist oder sie nicht verhindern kann. Da die Flüchtlingskonvention zu diesem Punkt keine explizite Aussage enthält, geht UNHCR davon aus, dass für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft weniger der Urheber der Verfolgung als vielmehr die Frage entscheidend ist, ob die Rechtsverletzung auf eine der Ursachen zurückgeht, die in der Flüchtlingskonvention aufgeführt werden. Im vergangenen Jahr hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass die Rückführung von Asylsuchenden in Situationen, in denen die Gefahr der Verfolgung besteht, eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention darstellt. Mit dieser Entscheidung hat er zugleich bestätigt, dass Verfolgung auch vonseiten nichtstaatlicher Urheber ausgehen kann.

Innovative Programme wie der „temporäre Schutz“ werden in Massenfluchtsituationen angewandt. Hier treffen Zivilisten auf der Flucht aus dem Kosovo in den USA ein.

AUSSCHLUSS: Ausschließen oder nicht ausschließen? Wann kann jemand vom Schutz ausgeschlossen werden?

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ls Anfang des Jahres 2000 auf dem Londoner Flughafen Stansted ein entführtes afghanisches Flugzeug landete, erregte der Fall internationales Aufsehen. Zunächst wurden die afghanischen Passagiere von den britischen Medien als unschuldige Opfer begrüßt, die es geschafft hatten, der Wut der rachsüchtigen Taliban zu entkommen. In einer Atmosphäre wachsender Fremdenfeindlichkeit schlug das Willkommen jedoch schnell in Verurteilung um. Manche Zeitungen brandmarkten selbst Frauen und Kinder als Betrüger, als „Scheinflüchtlinge“, die sich auf Kosten des Steuerzahlers in Luxushotels einquartiert hatten. Die britische Regierung betonte, kein Afghane würde auch nur einen Moment länger im Land bleiben als unbedingt erforderlich. Die europäischen Regierungen schauten zu, wie sich das Drama zu einer Art Testfall in Sachen Flüchtlingsschutz entwickelte.

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Die Entführer sagten, sie seien den Taliban in Afghanistan nur knapp entkommen und einige von ihnen seien bereits gefoltert worden. Die Regierung fror die Asylanträge der Entführer ein und stellte zwölf von ihnen vor Gericht. Fast 80 Zivilisten, einige davon Familienangehörige der Entführer, stellten einen Asylantrag. Zwei Anträge wurden anerkannt und 37 abgewiesene Fälle befinden sich zurzeit in der Berufung. Die Besatzung und andere Passagiere kehrten in die Heimat zurück. An dieser Stelle wird die Geschichte interessant. Personen, die in Entführungen verwickelt sind, können nach den so genannten „Ausschlussklauseln“ der Genfer Flüchtlingskonvention behandelt werden. Trotz wachsenden Drucks vonseiten der Regierungen, die wegen des zunehmenden Terrorismus besorgt sind, hat UNHCR jedoch den Standpunkt vertreten, selbst scheinbar eindeutige Fälle müssten mit größtmöglicher Vorsicht behan-

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delt werden – ein Ansatz, der sich in dem Entführungsdrama als berechtigt bestätigt hat. Obwohl die Mitglieder der Flugzeugbesatzung in Afghanistan anfänglich als Helden gefeiert wurden, wurden sie später schikaniert und bedroht. Zwei Besatzungsmitglieder sind in das benachbarte Pakistan geflohen. Das Schicksal der zurückgekehrten Passagiere ist unbekannt.

ANTRAGSTELLER AUSSCHLIEßEN Die Ausschlussklauseln der Genfer Flüchtlingskonvention schließen bestimmte Personengruppen aus verschiedenen Gründen von der Anerkennung als Flüchtling aus. Dazu gehören Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, schwere nichtpolitische Verbrechen, die außerhalb des Aufnahmelandes begangen wurden, und Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen. Diese umfassen ein breites

© B L A C K S T A R / L . Q U I N O N E S / USA•1999

| Einige Staaten haben argumentiert, die Flüchtlingskonvention beziehe sich ausschließlich auf einzelne Individuen („ ... findet der Ausdruck 'Flüchtling' auf jede Person Anwendung ...“). Somit würden die Bestimmungen der Flüchtlingskonvention nicht auf Gruppen zutreffen, die in Massenfluchtsituationen in einem anderen Land Asyl suchen – ein Fall, der aber immer häufiger eintritt. In der Flüchtlingskonvention indes ist jedoch kein Hinweis darauf enthalten, dass sie sich nur auf Einzelpersonen bezieht. Sie weisen zudem darauf hin, dass die Flüchtlingskonvention, die im historischen Kontext ihrer Entstehung zu betrachten ist, ja gerade der großen Zahl von Menschen helfen sollte, die infolge des Zweiten Weltkriegs vertrieben worden waren. Die Bestimmungen der Flüchtlingskonvention stellen eine große juristische Herausforderung dar. Während einige Artikel vollkommen eindeutig sind, sind die meisten von ihnen so flexibel, dass sie im Wandel der Zeiten und Rahmenbedingungen durch neue Interpretationen verändert und weiterentwickelt werden können. Die Tat-

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sache, dass die Flüchtlingskonvention zu einer Reihe von Fragen wie Asyl, Geschlecht oder Lastenteilung nichts aussagt, hat in den letzten Jahren in Regierungen, unter Rechtswissenschaftlern und bei UNHCR intensive Debatten ausgelöst. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte kennt nur das Recht, Asyl zu suchen und zu genießen. In der Flüchtlingskonvention ist mit dem Non-Refoulement-Gebot auch der Übergang zum individuellen Schutzanspruch vollzogen worden. Die Flüchtlingskonvention schützt Flüchtlinge, die ihre Personal- oder Reiseausweise zurückgelassen haben oder dieselben nicht erhalten konnten und somit unrechtmäßig in ein potenzielles Asylland eingereist sind. Die Vertragsstaaten sind verpflichtet, keine Strafen gegen solche Personen zu verhängen, vorausgesetzt, „dass sie sich unverzüglich bei den Behörden melden und Gründe darlegen, die ihre unrechtmäßige Einreise oder ihren unrechtmäßigen Aufenthalt rechtfertigen.“ Ein Hinweis auf die Verantwortlichkeit der Staaten zur Aufnahme von Flüchtlin-

gen findet sich auch in der Schlussakte: Diese empfahl „den Regierungen, weiterhin Flüchtlinge auf ihrem Staatsgebiet aufzunehmen und hierbei ... im Geiste internationaler Zusammenarbeit zu handeln, sodass diesen Flüchtlingen Asyl gewährt und die Möglichkeit, sich neu anzusiedeln, gegeben wird.“

während des Völkermords von Ruanda begangen wurden, haben der Sorge über mögliche Lücken im Völkerrecht jedoch neue Nahrung gegeben. Manche Regierungen sind besorgt, dass die Genfer Flüchtlingskonvention von Terroristen als Schutzschild missbraucht werden könnte. Sie setzen zunehmend auf internationale Antiterrorismus-Instrumente, um die von ihnen gefürchtete Bedrohung zu bekämpfen. UNHCR hat hervorgehoben, die Genfer Flüchtlingskonvention und ihre Ausschlussklauseln seien umfassend und flexibel genug, um unerwünschte Personen von der Anerkennung als Flüchtling auszuschließen. Das Amt zeigt sich vielmehr darüber besorgt, „dass die Ausschlussklauseln in einem Klima, in dem die Institution des Asyls auf dem Prüfstand steht, nicht dazu dienen dürfen, auch in anerkennungswürdigen Fällen internationalen Schutz zu verweigern.“ „Bring uns nach Stansted!“

Selbst wenn jemand ein so schweres Verbrechen begangen hat, dass der Ausschluss gerechtfertigt ist, sollte nach Meinung von Völkerrechtlern die Schwere des Verbrechens in Relation zum wahrscheinlichen Schicksal der antragstellenden Person betrachtet werden, das sie im Fall eines Ausschlusses erwartet. Wenn einem Drogenhändler bei seiner Rückkehr beispielsweise Folter oder die Hinrichtung drohen, kann ihm Asyl gewährt werden. Eine Reihe von ungeklärten Fragen ist im Rahmen der globalen Konsultationen angesprochen worden. Dazu gehören unter anderem die Konsequenzen des Ausschlusses – soll eine Person, die ausgeschlossen worden ist, von den Behörden des Aufnahmelandes strafrechtlich verfolgt werden oder soll man sie in ihr Herkunftsland zurückschicken? Mitarbeiter humanitärer Organisationen zeigen sich indes angesichts der Abschiebung von unerwünschten Personen in Länder besorgt, die den internationalen Menschenrechtsinstrumenten nicht beigetreten sind. „Das gesamte Thema ist sehr heikel“, sagt ein Rechtsanwalt, „weil wir im Allgemeinen mit einem potenziellen Flüchtling umgehen, der kriminell sein könnte. Abschließend muss man jedoch sagen, das die Anwendung der Ausschlussklauseln die Ausnahme von der B Regel bleiben muss.“

Spektrum von Verbrechen, von Mord und Vergewaltigung bis hin zur mutwilligen Zerstörung von Städten. Die Klauseln wurden geschaffen, um Tätern, die Verbrechen begangen haben, den Flüchtlingsschutz vorzuenthalten und das Aufnahmeland vor Straftätern zu schützen, die eine Gefahr für die Sicherheit dieses Landes darstellen. Die Ausschlussklauseln sollen dazu beitragen, die Integrität des Asylkonzepts aufrecht zu erhalten. Die Häufigkeit der Gräueltaten, die in den neunziger Jahren in der Balkanregion und

COURTESY OF THE DAILY MAIL

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GESCHLECHTSSPEZIFISCHE VERFOLGUNG Geschlechtsspezifische Verfolgung wird in der Konventionsliste der Merkmale zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nicht erwähnt. Dennoch erkennt man zunehmend an, dass die Flüchtlingsdefinition (siehe Kasten) auch bei geschlechtsspezifischer Gewalt angewendet werden kann. Das britische Oberhaus kam 1999 in einer Debatte zu dem Ergebnis, dass Frauen als „spezifische soziale Gruppe“ gelten können, wenn sie aufgrund von Verhaltensweisen oder Einstellungen verfolgt werden, die nicht der herrschenden sozialen Ethik entsprechen – Einstellungen, mit denen Frauen beispielsweise diskriminiert oder mit denen ihnen geringerer Rechts- Ã

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Rhetorik auch gegen die Flüchtlingskonvention selbst. Es ist unumstritten, dass die Zahl der Asylsuchenden in den Industrieländern in den beiden letzten Jahrzehnten deutlich gestiegen ist. Im Jahr 2000 haben in 15 Ländern der Europäischen Union etwas mehr als 400.000 Personen einen Antrag auf Asyl gestellt – doppelt so viele wie im Jahr 1980, aber schon wesentlich weniger als 1992 mit der Höchstzahl von 700.000. Mit der wachsenden Zahl der Asylsuchenden nehmen die Kosten für Asylverfahren und die soziale Unterstützung zu. Einer Schätzung zufolge sind die Kosten dafür in den Industrieländern im Jahr 2000 auf zehn Milliarden USDollar gestiegen. Wenn dann nur Die Flüchtlingskonvention nennt die Personengruppen, denen die Flüchtlingseigenschaft einem Viertel aller AsylsuchenNICHT zuerkannt wird, z.B. Soldaten. den letztlich die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wird, wie mer noch unter dem Rechtsschutz ihrer dies 1999 in der EU der Fall war, stellen die à schutz zuteil wird als Männern. Die Flüchtlingskonvention beruht zwar Regierung, weil sie keine internationale Regierungen sich quer. auf dem Gedanken der internationalen Grenze überschritten haben und damit Zusammenarbeit und der Erkenntnis, dass nicht unter die Genfer Flüchtlingskon- DIE FLÜCHTLINGSKONVENTION IN die Lasten und Pflichten, die aus dem vention fallen. Angesichts des minimalen FRAGE STELLEN Dem britischen Premierminister Tony Flüchtlingsschutz entstehen, gerecht oder sogar völlig fehlenden Schutzes für geteilt werden müssen. Sie umfasst aber die Mehrzahl der Binnenvertriebenen setzt Blair zufolge ist die Zeit gekommen, keine Vorgaben, wie das zu geschehen hat. sich die internationale Gemeinschaft nun „innezuhalten und die Anwendung [der Unter den Aufnahmeländern ist gerade die mit der Frage auseinander, wie man ihre Flüchtlingskonvention] in der heutigen Welt zu prüfen.“ Die Politik GroßbritanLastenteilung zu einer der umstrittensten Rechte besser schützen kann. Fragen geworden, bei der es nicht nur um Die zunehmende Tendenz mancher niens werde sich in Zukunft an der Maxime Menschen und Geld, sondern auch um Regierungen, die Bestimmungen der orientieren, „denen Asyl zu gewähren, die Nahrung, Gesundheitsversorgung, Ar- Flüchtlingskonvention immer restriktiver nach den Bestimmungen Anspruch darauf beitsplätze, Unterkünfte und Umweltres- auszulegen, ist eine Reaktion auf eine haben und mit denen „kurzen Prozess“ zu

„JEDER FLÜCHTLING HAT GEGENÜBER DEM LAND, IN DEM ER SICH BEFINDET, PFLICHTEN ...“ Artikel 2 sourcen geht. Wenn sie nicht gelöst wird, könnte das gesamte internationale System zum Schutz von Flüchtlingen ins Wanken geraten. Mit Blick auf das Problem der Binnenvertriebenen – Menschen, die durch Kriege und allgemeine Gewalt vertrieben worden, aber innerhalb der Grenzen ihres Herkunftslandes geblieben sind – besteht dringender Handlungsbedarf. Ihre Zahl beläuft sich inzwischen in mindestens 40 Ländern auf 20 bis 25 Millionen, während es schätzungsweise zwölf Millionen Flüchtlinge gibt. Sie sind nicht selten aus denselben Gründen geflohen wie Flüchtlinge. Gleichwohl stehen sie zumindest theoretisch im-

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höhere Belastung der Asylsysteme durch den Anstieg illegaler Migration und beruht sowohl auf tatsächlichem wie vermeintlichem Missbrauch. Billige internationale Reisemöglichkeiten und globale Kommunikation veranlassen immer mehr Menschen dazu, ihren Wohnort zu verlassen und woanders ein besseres Leben zu suchen. Schleuser und Menschenhändler haben daraus ein millionenschweres Geschäft gemacht. Im Wettlauf auf der Suche nach einem „gelobten Land“ vermischen sich Migranten mit Flüchtlingen. Je mehr die Unterschiede zwischen ihnen verwischt werden, desto schärfer wird die AbwehrFLÜCHTLINGE NR. 2/2001

machen, auf die das nicht zutrifft.“ Beipflichtend sagte der ehemalige britische Innenminister Jack Straw, „dass die Flüchtlingskonvention nicht mehr in der Weise wirksam ist, wie ihre Gestalter es beabsichtigt haben.“ Mit dem Verweis auf den zehnfachen Anstieg der Zahl von Asylsuchenden in Großbritannien seit 1988 fügte Straw hinzu, „dass Migrationswillige einen bestimmten Aspekt der Flüchtlingskonvention ausnutzen – nämlich die Verpflichtung, die den Vertragsstaaten zur Prüfung jedes Asylantrags in ihrem Land auferlegt wird, wie unbegründet er auch sein mag.“ Der australische Minister für Immi-

| gration und Multikulturelle Angelegenheiten, Philipp Ruddock, hat sich zu einem entschiedenen Kritiker der Flüchtlingskonvention und der gesamten Arbeit von UNHCR entwickelt. Das Amt, meinte Ruddock vor kurzem, „gibt jeden Tag Pfennige für die Versorgung von Menschen in Afrika aus, während wir in den Industrieländern Zehntausende von Dollar für diejenigen brauchen, die frei genug waren, um zu reisen, und die genug Geld hatten,

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dermann – von Terroristen über Massenmörder bis hin zu Drogenhändlern – als Schutzschirm missbraucht werden. Völkerrechtler halten die existierenden Bestimmungen hingegen für ausreichend und flexibel genug, um diese Probleme zu bewältigen. Sie betonen, dass solche Personen ohnehin bereits von der Konvention ausgeschlossen seien. Zahlreiche Argumente der Kritiker übersehen oder missachten eine grundle-

besser hätte formulieren können. Die Sprache und die Begriffe haben sich in der Gegenwart in gewissem Maß zum Nachteil des Instruments ausgewirkt“, erklärt sie. „Man kann Völkerrecht jedoch nicht wie staatliches Recht auslegen. Die Flüchtlingskonvention ist in bestimmten Beziehungen ein Instrument eines Kompromisses, das von Diplomaten verfasst worden ist. Ihre Grundlage ist zeitlos.“ Während die Regierungen mancher In-

DIE BESTIMMUNGEN DER FLÜCHTLINGSKONVENTION „FINDEN KEINE ANWENDUNG AUF PERSONEN ..., [DIE] EIN VERBRECHEN GEGEN DEN FRIEDEN, EIN KRIEGSVERBRECHEN ODER EIN VERBRECHEN GEGEN DIE MENSCHLICHKEIT ... BEGANGEN HABEN ...“ Artikel 1F (a) um Schleuser zu bezahlen.“ Scheinbar gebe es „einen Standard für UNHCR und einen anderen Standard für die Industrieländer, der ihnen durch UNHCR auferlegt wird. Das kann meiner Meinung nach nicht so weitergehen.“ Eine Konsequenz könne sein, so der Minister, die Zahl der Flüchtlinge zu verringern, die per Kontingent nach Australien kommen. Von Gesetzgebern in Washington wie Berlin ist die Befürchtung laut geworden, die Flüchtlingskonvention könne von je-

gende Tatsache: Die Flüchtlingskonvention war zu keinem Zeitpunkt als Instrument zur Steuerung von Migrationsbewegungen gedacht. „Man kann der Flüchtlingskonvention nicht vorwerfen, dass sie Probleme nicht löst, die sie gar nicht lösen sollte“, sagt Feller. Es steht der Diskussion offen, aber nach Ansicht von Feller ist eine restriktive Lesart der Flüchtlingskonvention keine angemessene Reaktion. „Es gibt Bestimmungen in der Flüchtlingskonvention, die man

dustrieländer die Flüchtlingskonvention immer restriktiver auslegen und damit die Sicherheit von Flüchtlingen gefährden, hat sich in den Entwicklungsländern die Qualität des Asyls verschlechtert. Flüchtlingslager sind angegriffen worden und bewaffnete Milizen konnten sich scheinbar ungestraft unter Flüchtlinge mischen und sie einschüchtern. Zivilisten, darunter Zehntausende von Kindern, sind zwangsrekrutiert worden. Viele Entwicklungsländer nehmen für Ã

Weltweiter Rundfunk ... Die BBC sendet eine außergewöhnliche Serie zur Welt der Flüchtlinge

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er internationale Rundfunksender BBC (British Broadcasting Corporation) produziert zum 50. Jahrestag der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 eine der anspruchsvollsten Rundfunkserien seiner Geschichte. Unter dem Titel „The Right to Refuge“ wird die außergewöhnliche Serie alle Aspekte im komplexen Universum eines Flüchtlingsdaseins behandeln – von der Flucht über das Asyl bis hin zur Rückkehr in das Heimatland. Die Teams der BBC haben viele Wochen auf der ganzen Welt recherchiert, um Material zu sammeln. Die Sendungen werden ab Juni in einem Zeitraum von mehreren Monaten in insgesamt neun Sprachen ausgestrahlt, zum Teil weltweit. Eine eigene Internetseite bietet Audiomaterial zu den Serien, Analysen, Zeugenberichte von Flüchtlingen und interaktive Karten. Außerdem können Hörer von BBC World in

der Sendung „Talking Point“ direkte Fragen an Ruud Lubbers stellen, den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen. Die BBC hat die Flüchtlinge „als besonders missverstandene und verzerrt dargestellte Gruppe“ charakterisiert. Die Rundfunkserie will eine „sachliche und klare Auseinandersetzung mit einer Frage“ bieten, die von Legendenbildungen belastet und durch die wachsende Kontroverse um so genannte „Scheinasylanten“ verdunkelt wird. Die Sendungen sollen das Bewusstsein in Flüchtlingsfragen steigern und „Behauptungen und Gegenbehauptungen durchbrechen“. Sie geben entwurzelten Menschen in der öffentlichen Debatte über ihr Leben eine eigene Stimme und sollen zur Förderung des Dialogs zwischen Flüchtlingen und Vertretern von staatlichen Behörden sowie von Organisationen beitragen. Die sechs Hauptsendungen von je 30 Minu-

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ten Länge werden in englischer Sprache ausgestrahlt. In ihnen wird unter anderem ein historischer Überblick über den Wandel in der Welt der Flüchtlinge, über die weltweit wachsende Gefährdung des Flüchtlingsschutzes, „vergessene“ Flüchtlinge in Entwicklungsländern und Asylsuchende im Westen geboten. Andere Sendungen beschäftigen sich mit der Frage, wann Flüchtlinge in ihr Herkunftsland zurückkehren sollten und welche Zukunft die Genfer Flüchtlingskonvention hat. Zwölf kürzere Sendungen von jeweils 15 Minuten Länge, die besonders für den Bildungsbereich gedacht sind, behandeln Schlüsselthemen und -probleme. Außerdem werden acht Reihen von bis zu zehn Sendungen in Persisch/Paschtun, Französisch, Indonesisch, Albanisch, Serbisch/Kroatisch, Urdu, Russisch und Spanisch für den amerikanischen KontiB nent ausgestrahlt.

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| Ã lange Zeit eine große Zahl von Flüchtlingen auf, mit verheerenden Konsequenzen für ihre ohnehin knappen wirtschaftlichen und natürlichen Ressourcen. Dennoch, sagen sie, bekommen sie von den Industrieländern nur wenig Unterstützung. Zwei Länder Südwestasiens – der Iran und Pakistan – haben allein doppelt so viele Flücht-

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linge aufgenommen wie ganz Westeuropa zusammen. Dennoch haben die wohlhabendsten Länder der Welt im Jahr 2000 weniger als eine Milliarde US-Dollar dem UNHCR für seine Arbeit bereitgestellt – ein Zehntel des Betrags, den sie für die Aufrechterhaltung ihrer eigenen Asylsysteme ausgeben.

SCHUTZ VERWIRKLICHEN Der Ausgleich zwischen den Interessen der Regierungen und den Bedürfnissen von Flüchtlingen ist eine schwierige, aber notwendige Aufgabe. „Wir teilen die Sorge der Staaten über die Kosten und den Missbrauch des Asylsystems, über die unverhältnismäßige und dauerhafte Belastung

Verzweifelt auf der Das tägliche Drama der Asylsuche aus der Perspektive der Behörden Von Peter Showler

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lüchtlinge haben die Macht, Gesetze zu verändern. In den frühen achtziger Jahren stellte ein Mann namens Singh in Kanada einen Asylantrag, weil er in Indien Verfolgung fürchtete. Er wurde von einem Beamten einer Einwanderungsbehörde befragt. Einem Prüfungsgremium, das in einer anderen Stadt sitzt, wurde ein Wortprotokoll zugeschickt. Die Entscheidungsträger bekamen ihn zu keinem Zeitpunkt zu Gesicht. Sie haben nicht ein einziges Mal gehört, wie er seine Erfahrungen schilderte oder über seine Furcht vor Verfolgung sprach, falls er nach Indien zurückgeschickt werden sollte. Sein Asylantrag wurde ausschließlich auf der Grundlage des Gesprächs und anderer Unterlagen abgelehnt. Die Geschichte von Herrn Singh ist damit noch nicht zu Ende. Er legte gegen die Ablehnung Berufung ein. Der Oberste Gerichtshof von Kanada entschied im Jahr 1985, dass einem Asylsuchenden im Sinne der Verfahrensgerechtigkeit die Chance zu einem persönlichen Gespräch mit dem Prüfungsgremium gegeben werden muss. Das treffe besonders dann zu, wenn die Glaubwürdigkeit der antragstellenden Person in Frage steht. Damals war es üblich (und in vielen westlichen Demokratien ist das bis heute so), dass die Antragsteller von Einwanderungs- oder Justizbeamten befragt wurden, die anschließend über den Asylantrag entschieden. Gerichte oder Verwaltungsgerichte waren nur für die Prü-

fung dieser amtlichen Entscheidungen in späteren Berufungsverfahren zuständig. Manche Berufungsinstanzen konnten die persönliche Anhörung des Antragstellers anordnen, andere mussten sich mit den schriftlichen Unterlagen begnügen. Nach diesem Urteil im Fall Singh hat Kanada sich für einen radikal anderen Weg entschieden. Alle in Frage kommenden Antragsteller erhielten nun vor einem zweiköpfigen Gremium der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde (Immigration and Refugee Board – IRB) eine Anhörung. Jede Person sollte ausreichend Gelegenheit haben darzulegen, aus welchen Gründen sie Verfolgung fürchtet. Wenn die beiden Mitglieder des Gremiums sich nicht einigen konnten, wirkte sich dies zu Gunsten des Antragstellers aus. Antragstellern wurde ein breites Spektrum von Verfahrensrechten garantiert. Sie erhielten unter anderem das Recht auf einen Rechtsbeistand und einen Dolmetscher, das Recht auf Anhörung, auf vorherige Offenlegung der schriftlichen Beweisstücke und eine schriftliche Begründung im Fall der Ablehnung. Nicht festgelegt wurde die institutionelle Rolle dessen, der gegen den Antrag Partei ergreift, wie dies ein Staatsanwalt tun würde. Ein neutraler Anhörungsbeamter sollte die Mitarbeiter des Amtes bei der Vorbereitung der schriftlichen Unterlagen und der Befragung des Antragstellers unterstützen. Sowohl dem Antragsteller als auch dem Anhörungsbeamten musste der Zugang zu einem Dokumentations-

„Die erschrekkendste Tatsache: Oft lässt sich nur sehr schwer zwischen einem wirklichen und einem scheinbaren Flüchtling unterscheiden.“

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zentrum mit Menschenrechts- und Länderinformationen offen stehen. Beide, der Asylbewerber und der staatliche Berater, sollten aufgrund der Beweismaterialien vom Erfolg des Asylantrags überzeugt sein.

ERFOLGE Insgesamt gesehen war das kanadische System erfolgreich. Trotz aller Schutzmechanismen, die dem Verfahren eingefügt wurden, ist die Situation von Flüchtlingen aber dennoch durch ganz besondere Eigenschaften gekennzeichnet, die selbst für den aufmerksamsten und gewissenhaftesten Entscheidungsträger immer eine Herausforderung bleiben werden. Abgesehen von der ständigen Belastung durch die wachsende Zahl der Fälle, die eine schnelle und gewissenhafte Anhörung verlangen, muss der Entscheider sich mit der Besonderheit jedes einzelnen Asylantrags auseinander setzen. Täglich hören die Mitarbeiter des Amts Berichte von menschlichem Leid. Manchmal sind sie grauenvoll: Vergewaltigung, Schläge, Haft, Folter, Todesdrohungen gegen die antragstellende Person oder ihre Familie. Für das Erlebte finden sich oft keine Worte, es entzieht sich der Vorstellungskraft. Ich erinnere mich an eine Tutsi, die den Völkermord von Ruanda überlebt hat. Männer mit Macheten waren in ihre Wohnung eingedrungen und ließen sie zurück, weil sie sie tot glaubten. Als sie das Bewusstsein wiedererlangte, lag ihre Familie tot um sie herum. Es ist die Aufgabe der Mitarbeiter, über die Glaubwürdigkeit und Wahrheit jedes Berichts zu entscheiden und auch, ob die Furcht eines Antragstellers vor Verfolgung der Definition eines Konventionsflüchtlings entspricht. Ein großartiges Privileg der Mitarbeiter des Amtes ist es, nachdem die Wahrheit der Aus-

| von manchen Staaten und über das Fehlen von rechtzeitigen und angemessenen Lösungen für die Probleme von Flüchtlingen“, erklärt Feller. „Selbstverständlich kann Lastenteilung nie eine Vorbedingung für die Erfüllung von Verantwortlichkeiten sein. Dennoch müssen diese rationalisiert werden. Wir müssen uns zusammenset-

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zen und darüber nachdenken, wie wir Schutz verwirklichen und die Flüchtlingskonvention weiter in den Mittelpunkt unserer Arbeit stellen können.“ UNHCR hat deshalb globale Konsultationen mit Regierungen, Rechtswissenschaftlern, Nichtregierungsorganisationen und Flüchtlingen eingeleitet. Die

Gespräche sollen dazu dienen, das Engagement der Regierungen für die Flüchtlingskonvention zu bestätigen und zentrale Fragen des Schutzes zu prüfen, die im Text von 1951 nicht explizit angesprochen worden sind. „Die Konsultationen sollen eine gemeinFortsetzung auf Seite 29 Ã

U N H C R / V . B O Y D / CAN•1989

Suche nach Schutz

Ein kanadisches Einwanderungsgericht verhandelt. sage eines Antragstellers festgestellt worden ist, jemandem mit echter Furcht vor Verfolgung sagen zu können, er oder sie sei in Sicherheit und habe Asyl gefunden. Viele Flüchtlinge erwerben sich auch den Respekt der Beamten. Sie berichten von Unterdrückung. Ihre Geschichte ist oft genug die vom Sieg der Menschlichkeit, vom Willen zu überleben, stark zu bleiben, sich die eigene Würde selbst unter den demütigendsten Bedingungen zu bewahren. Eine andere Seite dieses alltäglichen Dramas ist weniger angenehm, nämlich dann, wenn ein Mitarbeiter die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung nicht für begründet hält. In manchen Fällen passt die Geschichte nicht auf die Definition eines Flüchtlings. Manchmal haben sich die Umstände geändert oder die Definition von Verfolgung ist auf das nicht anwendbar, wovor der Antragsteller sich fürchtet. Manchmal ist die Geschichte übertrieben und der Antragsteller flieht schlicht vor

Armut, Elend und allgemeiner Unterdrückung. Manchmal ist die Geschichte erfunden, klingt aber zum Teil wahr, weil der Antragsteller der Verfolger und nicht der Verfolgte ist. Und manchmal stimmt die Geschichte ganz einfach nicht. ERSCHRECKENDE TATSACHE Die erschreckendste Tatsache: Es lässt sich nur sehr schwer zwischen einem wirklichen und einem scheinbaren Flüchtling unterscheiden. Darin liegt die große Herausforderung. Die meisten Anträge bewegen sich in einem Mittelfeld, in dem die Beweislage nicht eindeutig und Gewissheit nicht möglich ist. Den Mitarbeitern des Amts stehen verschiedene Mittel zur Verfügung, um ihre Glaubwürdigkeit zu prüfen: Sie sind gut ausgebildet, verfügen über Länderkenntnisse und -informationen und haben Zugang zu einem Zentrum, in dem bei besonderen Angaben der Antragsteller

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nachgeforscht werden kann. Dennoch bleiben die Herausforderungen gewaltig. Die Antragsteller sind häufig keine guten Zeugen. Manche haben eine schlechte Schulbildung oder sind verwirrt, traumatisiert, unfähig, sich zu artikulieren, und eingeschüchtert. Ihre kulturellen und sozialen Prägungen sind möglicherweise oft vollkommen andere als die der Mitarbeiter des Amts. Sie verstehen Fragen nicht und scheinen auszuweichen. Sie sprechen mit Hilfe eines Dolmetschers, was die Genauigkeit ihrer Aussage immer beeinträchtigt und bisweilen zu echter Verwirrung führt. Die Ereignisse, die sie beschreiben, haben inmitten von Bürgerkriegen in fernen Ländern stattgefunden und lassen sich oft gar nicht dokumentieren. Sowohl wirkliche als auch angebliche Flüchtlinge bedienen sich illegaler Methoden, um nach Kanada einzureisen. Paradoxerweise fehlt es vielen an den erforderlichen Papieren, während einige reiche „illegale“ Antragsteller über alle Unterlagen verfügen können, weil sie korrupte Beamte oder Menschenschleuser in ihrem Herkunftsland bestochen haben. Kurz gesagt: Die Mitarbeiter des Amts sind jeden Tag mit Menschen konfrontiert, die ungenaue Geschichten von schrecklichen persönlichen Erlebnissen erzählen, die manchmal wahr sind und manchmal nicht und die sich nicht ohne weiteres auf den üblichen objektiven Wegen verifizieren lassen. Es ist ihre Aufgabe, zuzuhören, und sofort eine gut begründete Entscheidung zu fällen, die den Gesetzen und dem natürlichen Gerechtigkeitsempfinden entspricht. Das ist eine Aufgabe, die zur Bescheidenheit zwingt und schwer zu lösen ist. Ich bin mir aber sicher, Herr Singh würde mir darin B zustimmen, dass sie der Mühe wert ist.

Peter Showler ist Direktor der kanadischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde (Immigration and Refugee Board – IRB).

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ASYL IM „LAND DER FREIHEIT“

Eine Reise von 642 Tagen durch die amerikanischen Einwanderungsgerichte Asylantrag einreicht, bis zur Verkündung des richterlichen Urteilsspruchs werden 642 Tage vergehen. In diesen 21 Monaten gehen Dokumente verloren, Anwälte kommen und gehen und der Gerichtskalender wird immer wieder neue Verschiebungen verlangen. Und die Entscheidung, wenn sie endlich gefallen ist, wird vielem widersprechen, was man im Gericht gehört hat. Der Fall Zathang ist vielleicht ungewöhnlich, aber sein schwieriger Verlauf legt grundlegende Probleme im System der US-Einwanderungsgerichte offen. Der Kongress beschreibt den Auftrag dieser Gerichte als „zügige, gerechte und angemessene Lösung der Fälle, die vor die Einwanderungsrichter gelangen.“ In der Realität geraten die Gerichte jedoch oft in einen Rückstand. Es ist schwierig, gute Dolmetscher zu finden. Und die Persönlichkeit jedes und jeder Einzelnen der 219 Richter und Richterinnen kann das Ergebnis beeinflussen. Schon die Statistiken sind aufschlussreich: Nur 20 von ihnen haben in über 30 Prozent ihrer Fälle Asyl bewilligt, während 69 Richter sogar weniger als zehn Prozent bewilligt haben. Für die Flüchtlinge, die aus politischen oder religiösen Gründen verfolgt worden sind, ist die Institution des Asyls unlösbar mit ihrem Amerikabild verknüpft – Amerika, das Land der Freiheit und Reich der Tapferen. Dennoch erhalten nur verhältnismäßig wenige jemals Asyl. Eine computergestützte Analyse der Los Angeles Times zu den Statistiken der Einwanderungsgerichte zeigt, dass die Richter in den Jahren 1994 - 2000 rund 14 Prozent der Asylanträge anerkennen. Hier wird die Geschichte eines Schutzsuchenden vor Gericht erzählt, der von nur einem der Einwanderungsrichter entschieden wurde, die jedes Jahr über das Schicksal von Zehntausenden von Asylsuchenden entscheiden.

Von Lisa Getter

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iner nach dem anderen stellen sich zehn Männer in einem Raum des Bundesgerichts in Virginia vor einem Holzgeländer auf. Sie heben die rechte Hand und schwören, die Wahrheit zu sagen, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit. „Ich schwöre“, antwortet jeder – immer der Reihe nach. Diese Männer, acht von ihnen anerkannte Flüchtlinge, sollen einem Einwanderungsrichter erzählen, was sie über Tialhei Zathang wissen, einen Mathematiklehrer aus Myanmar, der einen Antrag auf politisches Asyl gestellt hat. Der Einwanderungsgerichtshof der USA ist im amerikanischen Rechtssystem einzigartig. Es gibt keinen Gerichtsreporter und niemanden, der die Anhörungen aufzeichnet, außer der Richterin, Joan V. Churchill, die einen Kassettenrecorder hat, den sie nach Belieben an- und abschalten kann. Für den Fall Zathang ist nicht einmal ein ganzer Tag vorgesehen. Das heißt, die Zeugen müssen immer wieder kommen, Arbeitstag für Arbeitstag. Manche werden letzten Endes nie die Gelegenheit zur Aussage erhalten. Für Zathang und seine Unterstützer wird die Wartezeit nervenzermürbend. Von dem Augenblick, in dem Zathang seinen

©D. DRENNER/L.A. TIMES

Zathang (links) ) betet in seiner Muttersprache Tschin in einer Kirche in Maryland.

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ERSTER TAG: 4. Dezember 1998 Tialhei Zathang meldet sich bei einer Stelle der Einwanderungs- und EinbürgeFLÜCHTLINGE NR. 2/2001

rungsbehörde (INS) in Arlington im Bundesstaat Virginia und reicht einen Asylantrag ein. Er gibt an, er sei in Myanmar verfolgt worden, dem südostasiatischen Staat, der früher Birma hieß. Er ist ein kleiner, angespannter Mann mit einer Kerbe auf der linken Stirnseite. Zathang sagt, die Verletzung sei ihm von Angehörigen des myanmarischen Militärs zugefügt worden, die ihn 1988 elf Tage lang fest hielten und bis zur Bewusstlosigkeit schlugen, weil er ein praktizierender Christ in einem buddhistischen Land war, der aktiv für die Demokratie kämpfte. Zathang verließ Myanmar am 27. Februar 1998, als er vor einer bevorstehenden Wiederverhaftung gewarnt wurde. Er erzählt, er und seine Familie seien nach einem schrecklichen, 16 Tage langen Marsch durch den Dschungel, bei dem sie sich ihren Weg mit einer Machete bahnen mussten, nach Indien gelangt. Seine fünfjährige Tochter trug er auf dem Rücken, während sein sechsjähriger Sohn allein ging und sein fünfzehnjähriger Sohn half, die Verpflegung zu tragen. Wenn er in sein Herkunftsland zurückgehen muss, wird er getötet, sagt er. Freunde und ein baptistischer Geistlicher haben in Indien Geld gesammelt, um ein Flugticket und einen indischen Pass für ihn zu bezahlen. Der Pass wurde illegal von einem Beamten ausgestellt, obwohl Zathang nicht die indische Staatsangehörigkeit besaß. Er kam am 1. November 1998 in die USA. Um in den Staaten Asyl zu erhalten, müssen die Antragsteller nachweisen, dass sie „wegen Verfolgung oder aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung“ nicht in ihr Land zurückkehren können. Die meisten Antragsteller haben nicht viele Beweisstücke für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Oft ist die Geschichte, die sie zu erzählen haben, ihr einziger Beweis. Die Anhörung Zathangs ist für den 4. Januar 1999 festgesetzt. Wenn der INSBeamte, der Zathang befragt, seinen Bericht für überzeugend hält, könnte ihm sofort

| Asyl gewährt werden. Der Beamte lehnt den Antrag jedoch ab. Er wird an das Einwanderungsgericht überwiesen. Sechs Monate vergehen. Ein INS-Anwalt verlegt Zathangs Geburtsurkunde und findet sie etwas später wieder. Nur wenige Tage vor dem ersten Gerichtstermin im April gibt der INS seine Strategie bekannt, wonach Zathang des Betrugs beschuldigt wird. Das Team Zathangs bittet um Zeitaufschub, um sich darauf vorbereiten zu können. TAG 206: 28. Juni 1999 Der Fall soll um 13.00 Uhr verhandelt werden. Um 13.05 betritt Richterin Churchill den Gerichtssaal und sagt, sie könne „frühestens um 14.30 Uhr“ beginnen. Es ist bereits nach 15.30 Uhr, bis es schließlich so weit ist. Richter und Richterinnen wie Churchill verfügen in der Auslegung des Einwanderungsgesetzes über einen enormen Spielraum. Das Einwanderungsberufungsgericht (Board of Immigration Appeals) hat selbst in

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Pflichtverteidiger, der vom Staat bezahlt wird. Universitäten und juristische Hochschulen versuchen die Lücke zu füllen, indem sie so genannte „Immigration Law Clinics“ unterstützen, die den Studierenden Gelegenheit geben, sich in der Praxis zu üben. Zathangs juristisches Team kommt von der nahe gelegenen Georgetown University. Zwei Studentinnen im zweiten Jahr, Jessica Attie und Grace Lou, haben Hunderte von Stunden damit verbracht, den Fall vorzubereiten. An dem Wochenende vor dem für seine Verhandlung angesetzten Termin haben sie 72 Stunden ohne Pause gearbeitet. Der Dolmetscher, dem der Fall zugewiesen wurde, spricht nicht denselben Dialekt wie Zathang. Obwohl die beiden Männer offensichtlich Verständigungsschwierigkeiten haben, wird die Verhandlung fortgesetzt. Karl Klauck, der INS-Anwalt, ist bereits der dritte Anwalt in diesem Fall, der den Staat vertritt. Diese Fluktuation ist bei Asylfällen durchaus nicht ungewöhnlich. Klauck vertritt den Standpunkt, dass Za-

Myanmar beschäftigt, zu denen auch Zathang gehört. Zathang stammt aus dem Bundesstaat Tschin nahe der Grenze zu Indien. In seiner eidesstattlichen Erklärung plädiert Silverstein dringend dafür, Zathang Asyl zu gewähren. „Auf der Grundlage meiner fachlichen und persönlichen Erfahrungen kann ich bezeugen, dass Herrn Zathang im Fall einer Deportation nach Myanmar mit größter Wahrscheinlichkeit Haft, Folter und sogar Hinrichtung erwarten.“ Im Lautsprecher knistern immer wieder Störgeräusche. Man versteht nur schlecht, was Silverstein sagt. Churchill verliert die Geduld und bricht das Gespräch schnell ab. Es ist fast 18.00 Uhr. Die Richterin legt die Fortsetzung der Verhandlung auf einen Tag im nächsten Monat fest. TAG 238: 30. Juli 1999 Bei der Fortsetzung der Verhandlung ist die Hoffnung bei Zathangs Freunden groß. Richterin Churchill wollte sich heute aus-

DER EINWANDERUNGSGERICHTSHOF DER VEREINIGTEN STAATEN IST IM AMERIKANISCHEN RECHTSSYSTEM EINZIGARTIG. ES GIBT KEINEN GERICHTSREPORTER UND NIEMANDEN, DER DIE ANHÖRUNGEN AUFZEICHNET AUßER DER RICHTERIN, JOAN V. CHURCHILL, DIE EINEN KASSETTENRECORDER HAT, DEN SIE NACH BELIEBEN AN- UND ABSCHALTEN KANN. solchen Fällen gezögert, Urteile aufzuheben, in denen es sie für falsch hielt. Richterin Churchill ist die strengste Einwanderungsrichterin in Washington D.C. Sie entschedet weniger Asylanträge positiv als der Bundesdurchschnitt und hat seit Oktober 1994 nur 233 von 2.302 Fällen bewilligt. Richterin Churchill versinkt in Papierbergen. Während Einwanderer ihre Aussage machen, adressiert sie einen Brief, legt ein Blatt ein und klebt ihn zu. Sie schichtet Unterlagen um. Sie legt Termine für zukünftige Anhörungen fest. Sie fotokopiert Dokumente auf dem Gerät in der Nähe ihres Schreibtisches. Zathangs Akte ist mehr als fünf Zentimeter dick. Seine Zeugen, von denen einige selbst Asyl erhalten haben, warten ungeduldig darauf, für ihn aussagen zu können – darüber, wie Zathang eine Demonstration anführte, die den Zorn des Militärs erregte, und über seine elftägige Haft in seiner Heimat. Die meiste Zeit warten die Zeugen in der Lobby. Als Zeugen dürfen sie die anderen Aussagen nicht mit anhören. Asylsuchende haben nach der amerikanischen Verfassung kein Recht auf einen

thangs Antrag wegen Betrugs abgewiesen werden sollte. Zathang sei nicht aus Myanmar, weil er mit einem indischen Pass in die USA eingereist ist. Er behauptet, dass Zathang nur Anspruch auf die Staatsangehörigkeit von Myanmar erhebt, weil er sich davon für seinen Asylantrag Erfolg erhofft. Seine Geschichte sei ein reines „Kartenhaus“. Obwohl der Nachmittag schon weit fortgeschritten ist, wollen die Jurastudentinnen Josef Silverstein als Zeugen aufrufen, einen emeritierten Professor für Politische Wissenschaft der Rutgers University. Sie haben seine Zeugenaussage per Telefon vorbereitet, ein nicht unübliches Verfahren am Einwanderungsgericht, weil nur wenige Asylsuchende die Reisekosten der Zeugen tragen können. Richterin Churchill zögert. „Warum muss ich den Zeugen unbedingt heute hören?“, fragt sie. Silverstein wartet seit Stunden in seiner Wohnung in New Jersey auf den Anruf. Er hat bereits vor dem Kongress zum Thema Myanmar ausgesagt und auch vor dem Einwanderungsgericht Zeugnis abgelegt. In seiner Forschungsarbeit hat er sich ausführlich mit den ethnischen Minderheiten von FLÜCHTLINGE NR. 2/2001

reichend Zeit nehmen, um den Fall zu Ende zu hören. Trotzdem hat sie für den Nachmittag bereits wieder andere Fälle angesetzt. Der Fall wird wieder von einer anderen Anwältin vertreten, Lora Ries. Die Richterin will wissen, ob der INS den Asylantrag unterstützen würde, wenn Zathang seine myanmarische Staatsangehörigkeit nachweist. Ries sagt, der INS „hat mit dem Fall noch Schwierigkeiten“ und würde sich selbst dann gegen das Asyl aussprechen. Dieses Mal ist Silverstein mit dem Zug aus New Jersey angereist, um persönlich auszusagen. Die Fahrtkosten hat die Hochschule übernommen. Dennoch gelingt es ihm immer noch nicht, seine Argumente klar zu machen. Die Richterin unterbricht Ries und belehrt sie darüber, wie sie ihre Fragen zu formulieren hat. Frederic K. Lehman, der als Professor für Anthropologie und Sprachwissenschaft an der Universität von Illinois lehrt, tritt in den Zeugenstand. Lehman trägt etwas vor, was die Argumentation des INS sofort zu Fall zu bringen scheint: Er kannte Zathang schon in Myanmar. Sie sind sich an der Universität von

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| TITEL | Mandalay begegnet, wo Lehman 1981 als Gastprofessor gelehrt hat. Doch damit nicht genug: Zathang spricht auch einen Dialekt, der nur im Bundesstaat Tschin gesprochen wird, aus dem er nach eigener Aussage stammt. Die Richterin verspricht auf den Fall zurückzukommen, sobald sie einige andere Angelegenheiten geklärt hat, die in ihrem Gerichtskalender eingetragen sind. Die Stunden verstreichen. Schließlich ist Zathang an der Reihe, seine Geschichte zu erzählen. Er sitzt neben seinen Jurastudentinnen vor der Richterin und macht seine Aussage mit Hilfe eines anderen Dolmetschers, der dieses Mal tatsächlich seinen Dialekt beherrscht. Churchill weist Zathang an, sie direkt anzusehen, während er spricht. Dann aber schaut die Richterin nur selten in seine Richtung. „Ich bin geschlagen und gefoltert worden, nur weil ich Demokratie für mein Land wollte“, sagt Zathang. „Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie sehr ich das Militär in meinem Land hasse.“ Richterin Churchill fragt, weshalb er nicht damit einverstanden sei, nach Indien zurückgeschickt zu werden. Zathang nimmt seine Brille ab, hält sie in den Händen und schaut starr nach vorn. Er versteht ein wenig Englisch und weiß, dass das kein gutes Zeichen ist. Er sagt, er habe Angst, nach Indien zurückzukehren, weil die Behörden vor kurzem mit der Abschiebung von Flüchtlingen aus Myanmar in ihr Herkunftsland begonnen hätten. Die Richterin unterbricht die Verhandlung erneut, um sich mit einer anderen Sache zu beschäftigen. Der INS-Anwalt hat inzwischen Kopfschmerzen. Die Mutter von Attie, einer der beiden Jurastudentinnen, die Zathang vertreten, gibt ihm Aspirin. Nach der Unterbrechung beschreibt Zathang weiter sein Leben in Myanmar. Er berichtet, wie er Mitglied der Tschin National Front wurde, einer Gruppe, die sich für die Demokratie einsetzt, wie er dazu gezwungen wurde, mehr als zehn Stunden täglich die Ausrüstung von Soldaten zu tragen und wie er schließlich von der Frau des Dorfführers davor gewarnt wurde, dass er wieder verhaftet werden sollte. Also floh er nach Indien. Dort konnte er gegen Geld einen Pass bekommen, den Pass, der zum Schlüsselargument der Gegenposition des INS geworden ist. Als er mit seinem Bericht am Ende ist, sagt sein Cousin Philip Hrengling für ihn aus. Hrengling, der Pfarrer ist, hat bereits Asyl erhalten. Er ist wie Zathang über In-

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dien aus Myanmar geflohen, wo auch er einen Pass auf dem Schwarzmarkt gekauft hat. Richterin Churchill möchte wissen, weshalb Hrengling nicht denselben Nachnamen hat wie Zathang. Hinten im Gerichtssaal schüttelt Professor Lehman den Kopf. Er weiß, dass nur wenige Myanmare einen Nachnamen benutzen. „Ich kann Ihnen mit Sicherheit sagen, dass er kein indischer Staatsbürger ist. Wir sind in demselben Dorf geboren worden und sein Vater und mein Vater sind Brüder“, sagt Hrengling aus. Die Anhörung ist noch nicht vorbei, aber es war ein langer Tag. Der einzige freie Tag, den die Richterin in ihrem Kalender entdecken kann, ist der Tag, an dem die Jurastudentinnen nicht in der Stadt sind. Sie setzt die Verhandlung trotzdem auf diesen Tag fest. TAG 245: 6. August 1999 Die an der Georgetown University lehrende Juraprofessorin Mary Brittingham bricht ihren Urlaub ab, um den Fall für ihre beiden Studentinnen fortzusetzen. Auch INS-Anwältin Ries ist nicht anwesend. An ihrer Stelle ist Sandra Czaykowsky da, die mit dem Fall nicht vertraut ist. Die INS-Anwältin trägt einen weiteren Einwand vor. Ihren Angaben zufolge hat Zathang den Dolmetscher bei einem Gottesdienst getroffen. Die Begegnung wurde vor dem Gericht nicht offen gelegt. Sie sagt, dass die Jurastudentinnen zur Auswahl des Dolmetschers beigetragen haben, wodurch seine Übersetzung der Aussage Zathangs verdächtig sei. Es ist jedoch zu spät, um daran etwas zu ändern. Zathang tritt erneut in den Zeugenstand. Er spricht angeregt von einer fünfzehnminütigen Rede, die er vor Tausenden bei einer Ganztagsdemonstration hielt: „Ich sagte: Nieder mit der Militärregierung!“ „Zu einem bestimmten Zeitpunkt haben Sie Myanmar aber verlassen, ja oder nein?“, fragt ihn die INS-Anwältin. „Er ist hier“, fällt ihr Richterin Churchill ins Wort. „Welchen Grund gibt es für eine derartige Frage?“ Die Richterin unterbricht zur Mittagspause und fordert alle auf, sich um 13.15 Uhr wieder im Gerichtssaal einzufinden. Dann hat sie ihren Gerichtskalender aber schon wieder doppelt belegt und nimmt bei der Rückkehr andere Fälle auf. Es ist fast 15.00 Uhr, als Zathangs Verhandlung fortgesetzt wird. Der Hauptzeuge des INS, ein Spezialist für die Analyse von Dokumenten, ist bereits gegangen. Die RichFLÜCHTLINGE NR. 2/2001

terin ist erzürnt. Die Verhandlung wird trotzdem fortgesetzt. Zo T. Hmung, der Onkel von Zathangs Ehefrau, berichtet über einen Artikel, der in einer indischen Zeitung über die Flucht Zathangs aus Myanmar erschienen ist. Die Richterin möchte eine Kopie des Artikels sehen. Der Artikel erschien am 7. Juli 1998. Ihm zufolge war Zathang, der in Myanmar geboren wurde und „festgenommen, gefoltert und inhaftiert“ worden war, nach Indien geflohen. „Die Polizei sucht ihn für eine Befragung“, heißt es in dem Artikel. Lian Uk, der in das Parlament von Myanmar gewählt, aber von der Regierung daran gehindert wurde, seinen Sitz in Anspruch zu nehmen, sagt aus, er kenne Zathang seit über zwanzig Jahren. „Natürlich besitzt er die Staatsangehörigkeit von Myanmar“, sagt Uk. „Nein, nein, nein, er kann kein indischer Staatsbürger sein. In Indien ist die doppelte Staatsbürgerschaft verboten.“ Inzwischen scheinen die Beweise eindeutig für Zathang zu sprechen. „Ich frage mich, ob der Staat bereit ist einzuräumen, dass ich diesem Asylantrag stattgeben soll?“, fragt Richterin Churchill. Czaykowsky antwortet darauf mit Nein. „Wir werden in die Berufung gehen. Es gibt in diesem Fall noch eine Reihe offener Fragen.“ TAG 250: 11. August 1999 Nach Aussage von John Ross, dem Spezialisten für die Analyse von Dokumenten, ist der indische Pass echt. Er kann aber nichts darüber sagen, ob dieser von Zathang auf dem Schwarzmarkt gekauft worden ist. Er kann auch nichts über Zathangs Geburtsurkunde auf blauem Papier sagen, weil der INS über keine vergleichbaren Dokumente zur Verifizierung verfügt. Attie hält ihr Schlussplädoyer. Sie sagt, dass Zathang einen indischen Pass kaufen musste, „um sein Leben zu retten“. Sie hebt hervor, sein Weg in die Freiheit sei der gleiche gewesen wie der von anderen, deren Antrag auf Asyl bewilligt worden ist. Jetzt ist die INS-Anwältin an der Reihe. Heute ist es wieder Ries. Sie argumentiert, „dass es durchaus möglich ist, dass der Antragsteller ein indischer Staatsbürger ist.“ Sie spekuliert darüber, dass Zathang eventuell in Myanmar gelebt hat, aber nach Indien gezogen ist. Seine Rolle in der Demokratiebewegung weist sie von der Hand. Wenn Indien kein sicheres Land ist, sagt sie, würde er dann seine Frau und seine Kinder dort lassen?

| TITEL | Die Richterin befragt Zathang ausführlich und gibt bekannt, dass sie ihre Entscheidung nach der Mittagspause verkünden wird. Ein paar Minuten später ändert sie ihre Meinung und sagt, sie werde sich in dem Fall beraten lassen und ihr Urteil später verkünden. „Später“ ist mehr als ein ganzes Jahr.

die Entscheidung der Richterin weder vom Gesetz noch den Beweisstücken getragen wird und dass sie „wesentliche sachliche Irrtümer und Unterlassungen“ enthält. Die Berufung befindet sich zurzeit vor dem Einwanderungsberufungsgericht in der Schwebe. Es könnte noch Jahre dauern, bis eine Entscheidung fällt.

TAG 642: 6. September 2000 Beinahe 13 Monate nach der letzten Anhörung verkündet Churchill ihr Urteil, ohne eine Erklärung für die Verzögerung abzugeben. Sie lehnt Zathangs Antrag auf Asyl ab. Trotz ihrer eigenen Bemerkungen im Gerichtssaal, trotz der Zeugenaussagen zu Gunsten von Zathang, trotz des Zeitungsberichts über seine Flucht aus Myanmar und der mageren Beweislage des INS lässt Churchill wissen, dass Zathang ihrer Meinung nach wegen seines indischen Passes Inder ist. Sie räumt ein, „dass er auch die Staatsangehörigkeit von Myanmar besitzen könnte“, kommt aber zu dem Ergebnis, durch seinen Aufenthalt in Indien sei bewiesen, dass er dort ohne Furcht vor Verfolgung leben und deshalb in Sicherheit dorthin zurückkehren kann. „Der Beweislage nach können wir Wahrheit und Erfindung nicht vollständig voneinander trennen“, schreibt sie. „Es ist unsere Schlussfolgerung nach den hier vorgelegten Beweisstücken, dass er die indische Staatsangehörigkeit besitzt, auch wenn er

EPILOG Zathang, inzwischen 42 Jahre alt, kann während des anhängigen Berufungsverfahrens in den USA bleiben. Er lebt bei Freunden in Maryland und sucht einen Arbeitsplatz. Im letzten Juni hat er vom INS schließlich eine Arbeitserlaubnis erhalten. In der Arbeitserlaubnis wird er als Myanmare geführt. Als er von der Entscheidung der Richterin erfuhr, war er so erschüttert, dass er tagelang nicht schlafen konnte. Er sagt, er wisse wirklich nicht, was er der Richterin sonst noch hätte sagen können. „Ich habe sämtliche Beweise für meine Staatsangehörigkeit vorgelegt“, sagt er. „Wenn sie das nicht akzeptieren konnten, weiß ich nicht, was ich noch hätte tun können.“ Die Los Angeles Times fand heraus, dass Zathang auf einer Internetseite als in den USA lebender myanmarischer Tschin aufgeführt wird. Seinen Anwälten war diese Quelle, die seine Staatsangehörigkeit bestätigt, nicht bekannt. Die Los Angeles Times hat außerdem

ten Staaten nachzuholen. Zathang hat im August 2000 an jenem Tag zehn Minuten mit seiner Frau telefoniert, an dem Amnesty International davor gewarnt hat, dass viele ethnische Tschin im Nordosten von Indien von der Abschiebung bedroht sind. Attie, inzwischen 27 Jahre alt, hat im Mai 2000 ihr Examen gemacht. Sie ist als Assistentin für einen Bundesrichter tätig. Ihren Idealismus im Hinblick auf das amerikanische Asylverfahren hatte sie nach eigener Aussage schon lange verloren, bevor Richterin Churchill im Fall Zathang entschieden hat. INS-Anwältin Ries arbeitet mittlerweile für einen Unterausschuss des Kongresses für Einwanderung. Ihrer Ansicht nach hat Churchill die richtige Entscheidung getroffen. „Die Glaubwürdigkeit stand in Frage“, sagt sie. Mit den 13 Monaten, die Churchill für ihre Entscheidung gebraucht hat, hat sie eine 60-Tage-Frist überschritten, die durch den Obersten Einwanderungsrichter Michael J. Creppy festgelegt worden ist. „Gerechtigkeit verzögern heißt Gerechtigkeit verweigern“, sagt Creppy in einem Interview. Churchill hat es abgelehnt, sich direkt zum Fall Zathang zu äußern. Über einen Sprecher des Gerichtes ließ sie jedoch verlauten, „dass sie diese Zeit gebraucht hat. Der Fall bedurfte gründlicher Überlegung.“ Nach dem Ende des Verfahrens lud die Einwanderungsbehörde einen der Zeugen von Zathang ein, um anlässlich einer Fest-

MIT DEN 13 MONATEN, DIE CHURCHILL FÜR IHRE ENTSCHEIDUNG GEBRAUCHT HAT, HAT SIE EINE 60-TAGE-FRIST ÜBERSCHRITTEN. DIE RICHTERIN LIEß VERLAUTEN, DASS SIE DIESE ZEIT GEBRAUCHT HAT. DER FALL HÄTTE GRÜNDLICHER ÜBERLEGUNG BEDURFT. das Gegenteil behauptet. Es besteht kein Anlass, andere Beweisstücke zu suchen. Wir stellen jedoch fest, dass seine allgemeine Glaubwürdigkeit in Zweifel steht.“ Sie verfügt Zathangs Ausreise nach Indien, doch gewährt sie ihm eine besondere Ausnahmebewilligung für die so genannte freiwillige Ausreise, durch die er die USA auf eigene Kosten mit einer unbelasteten Einwanderungsakte verlassen könnte. TAG 688: Oktober 2000 Zathangs Anwälte reichen die Berufung ein. Dabei weist Virgil Wiebe, Dozent an der Georgetown University, darauf hin, dass die Richterin Zathangs Zeugen als „überzeugend“ bezeichnet hat. Er argumentiert, dass

andere myanmarische Tschin ausfindig gemacht, die Zathangs ethnische Zugehörigkeit bestätigt haben. „Er ist nicht nur der älteste Freund meines Bruders, sondern er war auch mit ihm zusammen auf der Universität von Mandalay“, sagt Siang Dun, der Myanmar 1995 verlassen hat. Nach Aussage von Zapeng Sakhong, der an der Universität von Mandalay gelehrt hat, stammen er und Zathang aus Nachbardörfern in Myanmar. Er kannte ihn an der Universität und hat von seinen politischen Aktivitäten gehört. „Er kommt wirklich aus Myanmar“, bestätigt Sakhong. Zathangs Familie ist in Indien geblieben. Sie wechselt alle paar Tage den Aufenthaltsort. Hätte Zathang Asyl erhalten, hätte er versuchen können, sie legal in die VereinigFLÜCHTLINGE NR. 2/2001

veranstaltung zur Asylreform eine Ansprache zu halten. Der Zeuge bedankte sich in seiner Ansprache beim amerikanischen Staat für das ihm gewährte Asyl. Dann erwähnte er jedoch den Fall eines Lehrers aus seinem Dorf, eines Mannes, der zunächst nach Indien floh, als er von seiner bevorstehenden Verhaftung erfuhr. „Der INS hat das unwahrscheinliche Argument vorgetragen, er sei Inder... obwohl zehn Personen, unter anderem Professoren und Parlamentsmitglieder, bezeugt haben, dass er Myanmare ist“, sagte der Zeuge. Der INS hat diese Ansprache von Hmung – samt des Hinweises auf Zathang – auf seine B Internetseite gestellt. Mit freundlicher Genehmigung der

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Das Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951 und das Protokoll von 1967 In Kraft getreten am: 22. April 1954 [Genfer Flüchtlingskonvention], 4. Oktober 1967 [Protokoll] Am 1. Mai 2001: B Gesamtzahl der Vertragsstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951: 137

B

Gesamtzahl der Vertragsstaaten des Protokolls von 1967: 136

B

Vertragsstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention und des Protokolls: 133

B

Vertragsstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention und/oder des Protokolls: 140

B

Vertragsstaaten, die nur der Flüchtlingskonvention von 1951 beigetreten sind: Madagaskar, Monaco, Namibia sowie St. Vincent und die Grenadinen

B

Vertragsstaaten, die nur dem Protokoll von 1967 beigetreten sind: Kap Verde, Vereinigte Staaten von Amerika und Venezuela

LISTE DER 140 VERTRAGSSTAATEN DES ABKOMMENS VON 1951 UND/ODER DES PROTOKOLLS VON 1967 ÜBER DIE RECHTSSTELLUNG DER FLÜCHTLINGE (Stand: 1. Mai 2001)

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Ägypten

Frankreich

Liberia

São Tomé und Príncipe

Äquatorialguinea

Gabun

Liechtenstein

Schweden

Äthiopien

Gambia

Litauen

Schweiz

Albanien

Georgien

Luxemburg

Senegal

Algerien

Ghana

Madagaskar

Angola

Griechenland

Seychellen

Malawi

Antigua und Barbuda

Großbritannien

Mali

Argentinien

Guatemala

Malta

Armenien

Guinea

Marokko

Aserbaidschan

Guinea-Bissau

Mauretanien

Australien

Haiti

Somalia

Bahamas

Heiliger Stuhl

Mazedonien, (ehemalige jugoslawische Republik)

Belgien

Honduras

Mexiko

St. Vincent und die Grenadinen

Belize

Iran, Islamische Republik

Monaco

Benin

Irland

Mosambik

Bolivien

Island

Namibia

Bosnien und Herzegowina

Israel

Neuseeland

Botswana

Italien

Nicaragua

Brasilien

Jamaika

Niederlande

Tadschikistan

Bulgarien

Japan

Niger

Tansania (Vereinigte Republik)

Burkina Faso

Jemen

Nigeria

Togo

Burundi

Jugoslawien BR

Norwegen

Trinidad und Tobago

Chile

Kambodscha

Österreich

Tschad

China

Kamerun

Panama

Tschechische Republik

Costa Rica

Kanada

Papua-Neuguinea

Tunesien

Côte d’Ivoire

Kap Verde

Paraguay

Türkei

Dänemark

Kasachstan

Peru

Deutschland

Kenia

Philippinen

Dominica

Kirgisistan

Polen

Dominikanische Republik

Kolumbien

Portugal

Dschibuti

Kongo

Ruanda

Ecuador

Kongo, Demokratische Republik

Rumänien

Uruguay

El Salvador

Korea, Republik

Russische Föderation

Venezuela

Estland

Kroatien

Salomonen

Vereinigte Staaten von Amerika

Fidschi

Lesotho

Sambia

Zentralafrikanische Republik

Finnland

Lettland

Samoa

Zypern

FLÜCHTLINGE NR. 2/2001

Sierra Leone Simbabwe Slowakei Slowenien Spanien Südafrika Sudan Surinam Swasiland

Turkmenistan Tuvalu Uganda Ungarn

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TITEL

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U N H C R / S . G I R A R D / C.S.•MEX•1993

Das glückliche Ende einer Flüchtlingstragödie: Rückkehr in das Heimatland.

Fortsetzung von Seite 23

à same Sicht der Probleme fördern, die mit dem Flüchtlingsschutz verbunden sind, und die Zusammenarbeit im Umgang mit ihnen verbessern. Außerdem sollen sie zu neuen Ansätzen führen, die den veränderten Anforderungen und Rahmenbedingungen entsprechen“, erläutert Feller. Die Gespräche werden bis zum Jahr 2002 dauern und auf drei Ebenen geführt, den so genannten „Three Tracks“. Auf der ersten Ebene wird im Dezember in Genf ein Treffen der Vertragsstaaten der Flüchtlings-

der Flüchtlingskonvention mit Sachverständigen der Regierungen, Repräsentanten von Nichtregierungsorganisationen, Wissenschaftlern sowie UNHCR-Vertretern stattfinden. Diese Gespräche sollen sich auf Themen wie die Ausschluss- und Beendigungsklauseln, das Prinzip des Non-Refoulement, Familieneinheit, die Definition des Begriffs Flüchtling in der Flüchtlingskonvention und die Frage der unrechtmäßigen Einreise in ein Asylland konzentrieren.

internationale Standards zu setzen. In den vergangenen 50 Jahren hat sich viel verändert. Die Welt ist viel komplexer als 1951. Die Mobilität der Menschen hat sich um ein Vielfaches erhöht und Grauschattierungen entziehen sich den einfachen Kategorisierungen, mit denen früher Schwarz-WeißSchemata auf hart erkämpfte Definitionen zu passen schienen. Menschlichkeit scheint durch skrupellosen Pragmatismus verdrängt worden zu sein, Mitgefühl durch Misstrauen.

„KEINER DER VERTRAGSCHLIEßENDEN STAATEN WIRD EINEN FLÜCHTLING ... ÜBER DIE GRENZEN VON GEBIETEN AUSWEISEN ODER ZURÜCKWEISEN IN DENEN SEIN LEBEN ... BEDROHT SEIN WÜRDE.“ Artikel 33 konvention stattfinden. Die von UNHCR und der Schweizer Regierung gemeinsam einberufene Ministerkonferenz soll eine Erklärung verabschieden, mit der die Signatarstaaten zur vollständigen und wirksamen Umsetzung der Genfer Flüchtlingskonvention und ihres Protokolls verpflichtet werden. Zudem werden auf zweiter Ebene an „Runden Tischen“ Gespräche über die Auslegung von verschiedenen Bestimmungen

In gesonderten Sitzungen finden im Rahmen des UNHCR-Exekutivkomitees Gespräche auf der dritten Ebene statt. Sie werden sich mit Themen wie dem Schutz von Flüchtlingen in Situationen eines Massenexodus, dem Schutz von Flüchtlingen in einzelnen Asylsystemen, schutzorientierten Lösungen für Probleme von Flüchtlingen sowie dem Schutz von Flüchtlingsfrauen und -kindern auseinander setzen. Diese Gespräche sollen u.a. dazu führen, FLÜCHTLINGE NR. 2/2001

Eines aber hat sich nicht geändert: Menschen müssen immer noch vor Verfolgung, Krieg und Menschenrechtsverletzungen fliehen und in anderen Ländern Zuflucht suchen. Für Flüchtlinge ist die Flüchtlingskonvention heute wie vor einem halben Jahrhundert das einzige universale humanitäre Abkommen, das eine Garantie dafür bietet, dass jemand über ihre Rechte als Menschen wacht. ■

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MENSCHEN UND LÄNDER

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Die Not nimmt kein Ende ie weltweite Not entwurzelter Völker – und die Not derjenigen, die ihnen helfen wollen – nimmt kein Ende. Nsakala Tshiama, ein einheimischer UNHCR-Mitarbeiter in der Stadt Kimpese in der Demokratischen Republik Kongo, wurde Ende März nahe der Grenze zu Angola niedergeschossen. Er war allein unterwegs, als er von vier bewaffneten Männern angehalten wurde, die sein Fahrzeug von ihm verlangten und ihn dann zweimal in den Rücken schossen. Er verstarb später in einem Krankenhaus. Drei UNHCR-Mitarbeiter wurden im September 2000 in Atambua in Westtimor ermordet, ein weiterer wenige Wochen später in Macenta in Guinea niedergeschossen (siehe FLÜCHTLINGE Nr. 4/2000). Sechs Männer wurden für die Morde in Timor zu Haftstrafen von 10 bis 20 Monaten verurteilt. UNHCR zeigte sich „zutiefst erschüttert“ angesichts dieser Urteile. Diese seien eine „Verhöhnung“ des Gerechtigkeitsgefühls der internationalen

UNHCR/KOKOLO

D

UNHCR-Fahrer Nsakala Tshiama.

Gemeinschaft. UNHCR-Mitarbeiter drückten sich weniger zurückhaltend aus und sagten, sie seien „empört“ angesichts dieser „Farce“ eines Gerichtsverfahrens und der milden Strafen. Einige Wochen nach dem Mord an Tshiama wurden sechs Mitarbeiter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) im Nordosten der

Demokratischen Republik Kongo ermordet. Das Team war auf einer als sicher geltenden Straße in deutlich mit dem Roten Kreuz gekennzeichneten Fahrzeugen unterwegs, als es überfallen und die Mitarbeiter von unbekannten Angreifern ermordet wurden. Auch ein holländischer Pilot, der für das Rote Kreuz unterwegs war, wurde getötet. Sein Flugzeug wurde im südlichen Sudan von einem Bodenfeuer erfasst. Angesichts immer neuer Morde und Schikanen, die sich gegen Mitarbeiter humanitärer Organisationen richten, ist die Forderung immer lauter geworden, die globale Sicherheit für die Mitarbeiter der Vereinten Nationen und anderer humanitärer Organisationen deutlich zu verstärken. Den jüngsten Zahlen nach ist UNHCR nach wie vor für eine gewaltige Zahl von Menschen tätig – schätzungsweise 21,1 Millionen weltweit. Dazu gehören 8,4 Millionen Menschen in Asien, 5,6 Millionen in Europa und 5,3 Millionen in Afrika. B

Wie Alles begann r ist der Mann, mit dem Alles begann. Im Jahre 1921 wurde Dr. Fridtjof Nansen, der zu der Zeit schon als bedeutender Wissenschaftler und Forscher aus Norwegen bekannt war, vom Völkerbund zum Hohen Flüchtlingskommissar ernannt. Dies war der Beginn des modernen internationalen Systems des Flüchtlingsschutzes. Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, der in der Nachfolge Nansens steht, hält die Verbindung zu diesen Ursprüngen wach. Jedes Jahr vergibt das Amt den NansenPreis an Einzelpersonen oder

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Organisationen, die nationales Zenthervorragende Arbeit rum für Zoologie für Flüchtlinge geleisund Meeresfortet haben. Die Verschung begrünbindung zwischen Verdet hat. Nansen gangenheit und Gegenhatte dort im Jahr wart wurde unlängst 1876 gearbeitet. noch lebendiger. Die Die Büste blieb im italienische Künstlerin Familienbesitz Fausta Mengarini schuf und wird nun von für den Völkerbund dem 83-jährigen eine Bronzebüste NanPietro Dohrn, eisens. Noch bevor nem Arzt und dieser sie in Empfang Nansen sitzt für die Bildhauerin Fausta Neffen des Grünnehmen konnte, wur- Mengarini Modell. ders des urde der Völkerbund s p r ü n gl i c h e n aufgelöst. Mengarini ver- wirtschaft eingezogen wur- Forschungszentrums, an steckte die Büste während des den. Sie übergab sie schließlich UNHCR übergeben. Sie wird Zweiten Weltkriegs, als wert- der Familie Dohrn, die in in der Zentrale des Amtes in B volle Metalle für die Kriegs- Neapel ein berühmtes inter- Genf aufgestellt. ©AP/WIDE WORLD

E

FLÜCHTLINGE NR. 2/2001

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ERLESENES

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CARTOON BY BORISLAV SAJTINAC. REPRODUCED WITH PERMISSION

UNHCR reduzieren oder sogar von der internationalen Flüchtlingskonvention zurücktreten könnten. Das wäre eine Tragödie.“

Der australische Minister für Immigration über die Auswirkungen des Menschenschmuggels auf die Flüchtlingshilfe.

FFF „Das Exil ist grausam, ein totaler Absturz. Man braucht Zeit, um sich von diesem Schicksalsschlag zu erholen.“

Die afghanische Schriftstellerin Spojmai Zariab, die in Frankreich im Exil lebt.

FFF „Wir wollen wieder bei unseren Eltern sein und auf die Schule gehen. Das Leben ist hier besser als im Dschungel.“

Die jugendlichen Zwillinge Johnny und Luthern Htoo, die im Dschungel von Myanmar die Guerilla der „Gottesarmee“ angeführt haben, bis sie sich in Thailand stellten.

FFF

„Keine Mauer wird hoch genug sein, um die Menschen davon abzuhalten, zu kommen ...“ Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen Ruud Lubbers in seinem Appell an die europäischen Staaten, ihre Tore nicht vor Asylsuchenden zu verschließen. „Ihre Werte sind zeitlos, aber es ist an der Zeit innezuhalten und ihre Anwendung in der heutigen Welt zu prüfen.”

Der britische Premierminister Tony Blair zum 50. Jahrestag der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951.

FFF „Sie ist der Wall, hinter dem Flüchtlinge eine Zuflucht finden können.“

Erika Feller, UNHCR-Direktorin der Abteilung für interna-

tionalen Rechtsschutz, über die Genfer Flüchtlingskonvention.

FFF „Die Regierungen können schwerlich einen Blankoscheck ausstellen und Verpflichtungen für zukünftige Flüchtlinge eingehen, deren Herkunft und Zahl niemand kennt.“

Zitat der Verfasser der Genfer Flüchtlingskonvention, die die Gründe für die verschiedenen Beschränkungen erklären.

FFF „Das moderne System des Flüchtlingsrechts entstand in aufgeklärtem Eigeninteresse“ der Staaten.

James C. Hathaway, amerikanischer Jura-Professor.

FFF „Die Gefahr liegt darin, dass Länder, die sich mit einer wachsenden Zahl von Flüchtlingen konfrontiert sehen, ihre Unterstützung von

FLÜCHTLINGE NR. 2/2001

„Es ist ein wirkliches Problem, dass die Europäer ... ihre Verpflichtungen gegenüber Flüchtlingen reduzieren wollen. Sie müssen die Verpflichtung, Asyl zu gewähren, ernst nehmen.“

Der Hohe Flüchtlingskommissar Ruud Lubbers.

FFF „Es gibt eine Reihe von Anzeichen dafür, dass Europa seine Pflicht aus den Augen verliert, Flüchtlinge im Sinne des Völkerrechts zu schützen, wie es in der Genfer Flüchtlingskonvention festgelegt wurde. Das birgt das Risiko, dass andere Regionen sich am Beispiel Europas orientieren.“

UN-Generalsekretär Kofi Annan.

FFF „Ist das ein Aprilscherz?“

Reaktion eines Ehepaars mittleren Alters auf die Nachricht, dass der jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic verhaftet wurde.

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BESTELLUNG VON INFORMATIONSUND UNTERRICHTSMATERIALIEN:

GENFER FLÜCHTLINGSKONVENTION UNHCR Berlin Tel. 030-202 202-26 UNHCR Wien Tel. 01-260 60-4049 www.unhcr.de

ANSPRECHPARTNER FÜR SPENDEN: Deutsche Stiftung für UNO-Flüchtlingshilfe e.V. Tel. 0228-355 057 www.dsuf.de UNHCR Wien Erika Bettstein Tel. 01-260 60-4545 [email protected]

Der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen

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