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March 29, 2018 | Author: Anonymous | Category: N/A
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Peter Reifenberg (Hg.)

Mut zur offenen Philosophie Ein Neubedenken der Philosophie der Tat Maurice Blondel (1861–1949) zum 150. Geburtstag

echter

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Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Inspiration aus Lebensnähe KARL KARDINAL LEHMANN Mut zur »offenen Philosophie« Maurice Blondel (1861–1949) zum 150. Geburtstag . . . . . . . . . .

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PETER HENRICI SJ Ein philosophischer Kirchenlehrer? Zum 150. Geburtstag von Maurice Blondel . . . . . . . . . . . . . . . . .

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STEPHAN GRÄTZEL Blondel in der Lehre der Praktischen Philosophie heute . . . . .

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PETER REIFENBERG Praktische Lebensnähe als intellektuelle Grundhaltung Maurice Blondel und die »science de la pratique« – Eine Einführung in die Grundgedanken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Vergewisserung aus dem Ursprung HUBERTUS BUSCHE Vinculum substantiale Leibniz’ Reformulierung seiner frühen Hypothese im späten Briefwechsel mit des Bosses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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SIMONE D’AGOSTINO Auf der Suche nach der ersten Substanz Das vinculum substantiale in den philosophischen Frühschriften Maurice Blondels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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MARGIT KOPPER Rationalismus und Gottesgewissheit Die Auseinandersetzung Maurice Blondels und Victor Delbos’ mit Spinozas »Ethik« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 5

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III. Anknüpfung und Abgrenzung PETER HENRICI SJ Denken mit der ganzen Existenz: Blondel und Nietzsche . . . . 125 Zur geistesgeschichtlichen Einordnung der »action« PETER REIFENBERG Ollé-Laprune und Blondel – die Erben Newmans (I) . . . . . . . 140 PETER REIFENBERG »Développement« und »tradition« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 Lebendige Dynamik von Bewegtheit und ständiger Bewegung Newman und Blondel (II)

IV. Das offene Denken heute wagen JEAN LECLERCQ Les rapports de la religion et de la rationalité . . . . . . . . . . . . . . 199 Problèmes et défis de la pensée de Maurice Blondel ANTON VAN HOOFF Das Konkrete und das Ganze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Was Blondels »philosophie de l’action« erblicken lässt PATRICIA REHM-GRÄTZEL Aus der Arbeit am Blondel-Institut in Mainz . . . . . . . . . . . . . . 230 Erstübersetzung von »L’Itinéraire philosophique« (1928) Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

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Einleitung

Die Philosophie kann sich derzeit eines zunehmenden Interesses erfreuen. Nicht nur philosophische Kreise treffen sich zur Lektüre großer Denker, in Gymnasien wird Philosophie unterrichtet, Akademieveranstaltungen zu philosophischen Themen locken auch junge Menschen an und die Zahl von Philosophie-Studierenden wächst in ungeahnte Höhen. Offenbar liegt es auch daran, dass der Mensch sich immer wieder als Fragender nach dem Sinn seines Lebens und seines Tuns erfährt und den Weg seiner eigenen Vollendung sucht. Getrieben von einem intellektuellen Verlangen taucht auf diesem Weg die Frage nach dem Unerreichbaren, Übernatürlichen und Absoluten auf. Zudem wächst der Zuspruch zur praktischen Philosophie, aber auch zur Philosophiegeschichte, wobei analytische und sprachphilosophische Richtungen, gerade auch rein rationalistisches Systemdenken zumindest in unseren Breiten zurücktreten, da sie allzu oft in eine »philosophie séparée« abzudriften drohen und in der Diskussion spezieller Einzelprobleme stecken bleiben (vgl. Grätzel). Der Anlauf, komplexe Ansätze verstehen zu lernen, muss nicht groß sein, wenn im Verstehensprozess Wegmarken gesetzt und Sinnabschnitte vorgegeben werden, die dann zu Wegweisern im Verstehensprozess werden. Der Mut zum Wagnis einer »philosophie ouverte« bringt es mit sich, dass reine Abstraktionen eines bloßen Rationalismus vermieden werden zugunsten eines wirklichkeitsbezogenen »Handeln-Denkens«, das dynamisch und geschichtlich argumentiert. Kann eine »science de la pratique« zu einer intellektuellen Tugend werden, welche aus einem tiefen Verständnis von praktischer Lebensnähe entspringt (vgl. Reifenberg)? Auch im Denken Martin Heideggers stellt die Nähe ein unverzichtbares Philosophem dar. Die (Seins-)Nähe inspiriert sowohl das reflektierende wie das prospektive Denken (vgl. I.). So ist auch der Zugang zu den Grundgedanken des wirkmächtigen französischen Denkers Maurice Blondel (1861–1949) nicht unüberwindbar schwer. Ihre Vergewisserung geschieht aus dem Ursprung des Einfachen (vgl. II.). 7

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Ist er ein philosophischer Kirchenlehrer, wie Peter Henrici zum 150. Geburtstag Blondels fragt? Längst ist sein Einfluss auf das Zweite Vatikanische Konzil noch nicht ausgemessen. Faszinierend und packend bleiben die Grundkoordinaten seines Denkens, die im 20. Jahrhundert bis in unsere Tage hinein Theologie und Philosophie in besonderem Maße beeinflussen und bestimmen (vgl. Lehmann). Wie kann selbst zum 150. Geburtstag etwas von der Frische, dem Weitblick und der Kraft seines Denkens für unsere Tage spürbar werden? Wie kann das Wagnis eines offenen Denkens heute stattfinden? (vgl. IV.: Leclercq; van Hooff). Seit seiner Schulzeit am Lyzeum von Dijon und den öffentlichen Vorlesungen seines ersten Lehrers Henry Joly im Winter 1878/79 machte sich Blondel mit der Philosophie des großen Leibniz vertraut (vgl. Busche). Schließlich fand er durch die Leibniz-Vorlesung schon im Jahre 1880 die Keimzelle seines gesamten Philosophierens: das Vinculum Substantiale. Ihm widmete er seine lateinisch verfasste erste Promotionsarbeit aus dem Jahre 1893 mit dem Titel: »De vinculo substantiali et de substantia composita apud Leibnitium«. Im Jahre 1930 legte Blondel, diesmal in französischer Sprache, eine Überarbeitung seiner lateinischen Dissertation vor: »Une énigme historique, le Vinculum Substantiale d’après Leibniz et l’ébauche d’un réalisme supérieur«. Blondel selbst bezeichnet in seiner philosophischen Autobiographie, »L’Itinéraire philosophique« (1928) (vgl. Rehm-Grätzel), seine These vom Vinculum als eine der »cellules-mères« von L’Action (1893). Ohne den Hintergrund der lateinischen These kann man L’Action (1893) nicht verstehen. So stellt die von Leibniz entwickelte Hypothese, die anlässlich einer Anfrage des Jesuiten Des Bosses über die Vereinbarkeit der Monadologie mit der römisch-katholischen Transsubstantiationslehre in dessen Werk lediglich marginalen Charakter trägt, nicht nur eine Grundeinsicht des epistemologischen Problembewusstseins Blondels und damit Bedingung der Möglichkeit jedweder philosophischer Rückfrage überhaupt dar, sondern ist zugleich auch ein Schlüssel für sein gesamtes philosophisches Wirklichkeitsverständnis. Durch das Vinculum Substantiale werden die Probleme von Intellektualität, Einheit und »Vorstellung« philosophisch hinterfragt. Im engen Dialog mit seinem Studienfreund Victor Delbos und der 8

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Auseinandersetzung mit dessen Spinoza-Studie lässt sich Blondel durch die spinozistische Ethik inspirieren (vgl. Kopper). Erster Gesprächspartner bleibt jedoch Aristoteles (vgl. D’Agostino). Von Schopenhauer und Nietzsche grenzt sich Blondel ab (vgl. Henrici), Anknüpfung findet er – wenn auch wider Willen – über Ollé-Laprune und Gratry vermittelt beim genialen Autodidakten des 19. Jahrhunderts, bei John Henry Newman (vgl. Reifenberg). Wie lässt sich die Einheit des Wirklichen denken? Wie kann man überhaupt von der Subjektivität des Menschen sprechen? Dieses Buch geht aus einer Tagung der Akademie des Bistums Mainz, Erbacher Hof, hervor. Mit den Freunden aus Louvain-la-Neuve, Bad Schönbrunn (Schweiz), Rom und der Johannes Gutenberg-Universität Mainz begingen wir den 150. Geburtstag von Maurice Blondel. Dank gilt unserem Bischof, Karl Kardinal Lehmann, für seine stete Unterstützung der Arbeit unserer kleinen Blondel-Forschungsstelle sowie den Mitarbeitenden der Akademie des Bistums Mainz, Erbacher Hof, für alle technische Hilfe zur Erstellung der Texte und für das Redigieren der Manuskripte. Erbacher Hof Mainz, Ostern 2012 Peter Reifenberg

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I. Inspiration aus Lebensnähe

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KARL KARDINAL LEHMANN

Mut zur »offenen Philosophie« Maurice Blondel (1861–1949) zum 150. Geburtstag

I. Es ist mir eine besonders große Freude, dass zum 150. Geburtstag wieder eine Forschungstagung zu Blondel in Mainz stattfinden konnte und sich hier die Blondel-Forschungsstelle des Philosophischen Seminars der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, die Archives Maurice Blondel am Institut Supérieur de Philosophie von Louvainla-Neuve, die auch das bedeutende Blondel-Archiv beherbergen, sowie die Pontificia Università Gregoriana in Rom, an der ich selbst acht Jahre studierte, mit unserer Bistumsakademie Erbacher Hof zusammengeschlossen haben, um diesem bedeutenden Denker zum 150. Geburtstag die Ehre zu erweisen. Besonders gefreut hat mich die Mitwirkung meines verehrten Doktorvaters und Bischofskollegen, Prof. P. Dr. Peter Henrici SJ, Bad Schönbrunn (Schweiz). Wir haben ja schon eine Tradition der Blondel-Forschung hier in Mainz mit unserem kleinen Zentrum zur Förderung der BlondelForschung begründen können. Gerne habe ich sowohl bei dem 100-Jahres-Gedächtnis von »Le point de départ de la recherche philosophique«, Ausgangspunkt und Ziel des Philosophierens (1906)«1 als auch beim 100-Jahres-Gedächtnis von »Histoire et Dogme«2 das Geleitwort gesprochen und später veröffentlicht. Es ist mir nun eine besondere Freude und ein persönliches Anliegen, den Referenten und Organisatoren von Herzen zu danken, da sie in bescheidenem, aber zielgerichtetem Rahmen und kontinuierlich die Blondel-Forschung weiter betreiben, ganz besonders aus Louvain, Rom und Mainz, vor allem Herrn Prof. Dr. Peter Reifenberg, dem Direktor des Erbacher Hofs. 1 2

Turnshare Ltd., 2007, VII–XI. Vgl. Reifenberg, Peter/van Hooff, Anton (Hg.): Tradition – Dynamik von Bewegtheit und ständiger Bewegung 100 Jahre Maurice Blondels »Histoire et Dogme« (1904–2004), Würzburg (Echter) 2005, 7.

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Wie Sie wissen, nahm ich gerade das letztgenannte Buch von Maurice Blondel, »Histoire et Dogme«, aber auch L’Action (1893) zum Anlass, zwei meiner besten Schüler, nämlich Albert Raffelt und Anton van Hooff, mit Blondel-Arbeiten zu betrauen3. Ich freue mich, dass beide die Blondel-Forschung auch heute noch mit ihren Beiträgen bereichern4.

II. 1. Die Organisatoren der Tagung überschrieben das Forschungsgespräch mit dem Titel »Mut zur offenen Philosophie«. Ein erster Gedanke im Blick auf Maurice Blondel geht in zwei Richtungen: Einerseits wird in »Lettre sur les exigences de la pensée contemporaine en matière d’apologétique et sur la méthode de la philosophie dans l’étude du problème religieux (1896)« von Blondel ein Gegenentwurf zu jedweder »philosophie séparée« vorgelegt, aber auch andererseits in der Beziehung zu der gesamten Geschichte der Philosophie. Blondel verneint die Einsichten der ihm vorangegangenen Philosophen nicht, übt allerdings Kritik an geschlossenen Systemen, die weder dem Phänomen noch der Geschichte Raum geben, sondern vielmehr das Sein substantialistisch einzumauern versuchten. Durch seine Philosophie der ›action‹ schafft er einen Rahmen, der die oft gegensätzlichen Auffassungen philosophischer Tradition in einer neuen Synthese vereinigt, ganz gemäß dem Leitgedanken aus L’Action (1893): hétérogènes et solidaires. Dieser Mut bringt es mit sich, dass er sich sehr leicht zwischen alle Stühle setzt. Er ist für die Philoso3

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Vgl. van Hooff, Anton E.: Die Vollendung des Menschen. Die Idee des Glaubensaktes und ihre philosophische Begründung im Frühwerk Maurice Blondels. Freiburger theologische Studien. Freiburg (Herder) 1983; Raffelt, Albert: Spiritualität und Philosophie. Zur Vermittlung geistig-religiöser Erfahrung in Maurice Blondels L’Action (1893). Freiburg (Herder) 1978. Vgl. z. B. Blondel, Maurice. Geschichte und Dogma. Herausgegeben und eingeleitet von Albert Raffelt, übersetzt und kommentiert von Hansjürgen Verweyen. Regensburg (Pustet) 2011; van Hooff, Anton: Die Wende vom Sein zum Handeln. Philosophieren im Labor des Lebens, in: Knapp, Markus/Kobusch, Theo (Hg.): Querdenker, Visionäre und Außenseiter in Philosophie und Theologie. Darmstadt WB 157–264; ders.: Art. Maurice Blondel, in: Bedorf, Thomas/Röttgers, Kurt (Hg.): Die französische Philosophie im 20. Jahrhundert. Ein Autorenhandbuch. Darmstadt (WB) 2009, 66–69.

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phen zu theologisch und für die Theologen zu philosophisch. Für die Theologiegeschichte bedeutet dies, dass er sich nicht ideologisch vereinnahmen lässt. 2. Beeindruckt hat es mich immer wieder, dass Blondel in drei wesentlichen Punkten mit seit Jahrhunderten eingeschliffenen Denkwegen innerhalb der katholischen Theologie bricht und dadurch Vorurteile abzubauen in der Lage war. Es gehört zur Tragik seiner zögernden Rezeption, dass die nachfolgenden Argumente in der »communis opinio« noch lange nicht zu Ende gedacht worden sind: a) Der erste Punkt betrifft die Destruktion der als unumgehbar gedachten bloßen Idee einer natura pura5, die Henri de Lubac dazu führte, eine Neubegründung und neue Durchführung der Gnadentheologie zu unternehmen. Doch die moraltheologischen Entwürfe haben davon bis jetzt nur vereinzelt Kenntnis genommen und berufen sich zunehmend wieder auf ein zu monolithisch gedachtes Naturrecht. Dabei sieht Blondel seine Forschungen in einer authentischen christlichen Tradition, welche die paulinische Geschehenslogik gegenüber einer formalen Seinslogik in den Mittelpunkt des Erlösungsgeschehens in Jesus Christus setzt und damit den tatkräftigen Erweis der Barmherzigkeit Gottes (vgl. Röm 6) unterstreicht. b) Zweitens beeindruckt mich nachhaltig der Gedanke des geschichtlichen Charakters des Dogmas und somit das Wesen der Dogmengeschichte. Hierzu habe ich zusammen mit meinem Lehrer Karl Rahner im leider heute freilich wenig beachteten »Mysterium Salutis«6 einen Beitrag zur Geschichtlichkeit der Vermittlung verfasst, in dem es den Gedanken des dynamischen Geschichtlichen im Offenbarungsgeschehen und im Glaubensvollzug anhand herausragender Gestalten der Theologiegeschichte nachzuweisen galt, und hier insbesondere auch auf John Henry Newmans Entwicklungslehre7 und auf Maurice Blondels »Histoire et Dogme« deutlich verwiesen wurde. 5

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Vgl. Reifenberg, Peter: Verantwortung aus der Letztbestimmung. Maurice Blondels Ansatz zu einer Logik des sittlichen Lebens. Freiburger theologische Studien. Freiburg (Herder) 2002. Feiner, Johannes/Löhrer, Magnus (Hg.): Grundriss heilsgeschichtlicher Dogmatik. Bd. 1. Einsiedeln/Zürich (Benziger) 1965, 727–787. Vgl. ebd. 749f. Vgl. die nachfolgenden Beiträge zu Blondel und Newman von P. Reifenberg.

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Ich darf kurz aus diesem Text zitieren: »Ein wichtiger Schritt in der Auseinandersetzung mit dem Modernismus – leider bisher bis heute systematisch viel zu wenig beachtet – geschieht in Maurice Blondels Beitrag zur Diskussion. Blondel sieht vor allem in der Tradition als Vermittlung von Dogma und Geschichte nicht so sehr ein äußeres Weitergeben von Sätzen, sondern die Überlieferung lebendiger Wirklichkeit. In dieser Sicht erhält die Tradition einen einzigartigen Charakter, weil sie nicht nur eine nach rückwärts gewandte Bewahrung der Vergangenheit, sondern zugleich in ihrem Wesen erobernde Tendenz ist ...«8 Diese leitenden Ideen bleiben für die Zukunft maßgebend, selbst wenn die tieferen Anregungen Blondels im Bereich der zeitgenössischen Theologie noch nicht die notwendige Resonanz gefunden haben. Wir hoffen, dass mit der schon genannten Neuübersetzung von Hansjürgen Verweyen und Albert Raffelt der Diskussion ein neuer Schub gegeben werden kann. Auch hier hat de Lubac Wesentliches für uns Heutige zu sagen, wenn er eine neue Sicht auf das Verhältnis zwischen Beständigkeit und Unveränderlichkeit des Dogmas hinweist. Dass solche Einsichten dem »Mainstream« fremd geblieben sind, zeigen einerseits die Bigotterie des Buchstabens und der undialektische Umgang mit dem, was »Magisterium« repräsentiert – Dogmengeschichte auf neuzeitliche Entwicklungen angewandt ist oft mit Angst besetzt – und andererseits die sich geschichtlich verselbständigenden Bedeutungen des Glaubensgeheimnisses in einem antirömischen Affekt. c) Drittens hat mich immer wieder die Neubegründung der Fundamentaltheologie angesprochen, indem Blondel nämlich den vom Deismus vorgegebenen Dreischritt »demonstratio religiosa, christiana, catholica« umkehrt. Ein Ansatz liegt in der tatsächlichen Feier und Verkündigung des Glaubens im Handeln der Glaubensgemeinschaft. Auch diese Sicht Blondels ist vielfach unbeachtet geblieben. Das »Ganze« ist nicht abstrakt als Addition zu denken, sondern als eine konkrete Einheit in der »action« des ekklesialen Glaubens, die letztendlich Gott selbst allein schafft.

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Ebd., 752.

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III. Lassen Sie mich einen dritten Punkt nennen, der unter dem Namen Blondel die Theologie in die Zukunft weisen kann. Wenn man einen Blick in die reiche Korrespondenzen des Philosophen wirft, so sieht man, dass Blondel eine richtige Beobachtung formuliert. Solange die angehenden und fertigen Theologen mit einer »schlechten Philosophie« versorgt werden, d. h. erst eine reine Neuscholastik, dann philosophische Modephilosophien und diese nur oberflächlich zur Kenntnis nehmen, muss auch eine darauf aufgebaute Theologie rückständig bleiben. Dies sieht man allzu oft an der philosophisch unbedachten Übernahme von modernen hermeneutischen Modellen durch die Exegese. Nicht nur gegenüber den Entwicklungen der heutigen Gesellschaft, sondern vor allem angesichts der Fülle des Glaubensmysteriums selbst bleibt eine philosophisch unbedachte Theologie defizient und kann einer wahrhaft vermittelnden Aufgabe nicht gerecht werden. Diese drei hier nur aufgeworfenen, gewiss nicht ausformulierten und unvollständig bleibenden Punkte können dem offenen Forschungsgespräch vielleicht eine kleine Anregung geben.

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