36. Kulinarische Ethnologie - DGV

March 28, 2018 | Author: Anonymous | Category: N/A
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36. Kulinarische Ethnologie

Workshop der Arbeitsgruppe Kulinarische Ethnologie Bettina Mann, Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung, Halle/Saale, [email protected] Anita von Poser, Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung, Halle/Saale, [email protected] Der Workshop bietet eine Plattform für Forschungen, die die Esskultur in ihren heterogenen und historischen Dimensionen untersuchen. Als ein lange Zeit vernachlässigtes Thema zeigt sich seit den 1980er/1990er Jahren innerhalb der Ethnologie und ihrer Nachbardisziplinen ein zunehmendes Interesse, das Essen ins Zentrum empirischer Forschungen zu stellen. Doch bleiben die Auswirkungen eines zunehmenden transnationalen Flusses von kulinarischen Ideen und Waren auf die materielle und symbolische Gestaltung der Ernährung noch unzureichend erschlossen. Die Vorträge zeigen, auf welche Weise Akteure sich das Essen zunutze machen, um Identität und Sozialität zu verhandeln. Durch welche Strategien wird kulturelle Aneignung von Speisen und Lebensmitteln auf individueller wie kollektiver Ebene vollzogen und in welchem Maße ändern sich in diesem Prozess Materialität und symbolische Bedeutung? Welchen Beitrag kann die Ethnologie zu einem empirisch fundierten „Kulturthema Essen“ leisten? 15. September, 15.00 – 16.30 / Raum 403 Einführung Bettina Mann, Max-Planck-Institut für ethnologische Halle/Saale Anita von Poser, Max-Planck-Institut für ethnologische Halle/Saale

Forschung, Forschung,

Ernährungskommunikation im Internet Daniel Kofahl, Universität Kassel Ferdaouss Adda, Phillips-Universität Marburg Global-lokale Kulinarik in Quito/Ecuador. Ernährungsanthropologische Überlegungen zu „globalisierten Traditionen“ in urbanen Räumen Maria Dabringer, Universität Wien Arganöl – Normative und technische Erfindung eines „traditionellen“ Ökoprodukts Bertram Turner, Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung, Halle/Saale „Fundraising“ – Essenszubereitung als soziale, geschlechtsspezifische Praxis in Vanuatu (Südpazifik) Sabine Hess, Universität Bielefeld

ökonomische

und

15. September, 17.00 – 18.30 / Raum 403 Das rohe und das gekochte Laab Marin Trenk, Goethe-Universität Frankfurt/Main Regionale Esskultur und die Instrumentalisierung von Identität in Japan Franziska Tappe, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Das Gulasch von San Giovanni. Ethnologie eines Identitätsspiels zwischen Heiligem und Profanem Romina Pistor, effigy-consulting, Wiesbaden “Without kuon It Is No Food!“ Zur Stabilität der Luo-Küche am Beispiel ihrer Veränderungen Mario Schmidt, Goethe-Universität Frankfurt/Main Sebastian Schellhaas, Goethe-Universität Frankfurt/Main Das „kulinarische Gedächtnis“ der österreichisch-deutschen Siedlung Pozuzo in Peru Ruth Haselmair, Universität Wien

Abstracts:

15. September, 15.00 – 16.30 / Raum 403:

Einführung Bettina Mann, Max-Planck-Institut für ethnologische Halle/Saale Anita von Poser, Max-Planck-Institut für ethnologische Halle/Saale

Forschung, Forschung,

Ernährungskommunikation im Internet Daniel Kofahl, Universität Kassel Ferdaouss Adda, Phillips-Universität Marburg Mit dem rasanten Aufstieg von Computer und Internet ist die moderne Gesellschaft auf dem Weg zu einer „nächsten Gesellschaft“ (Baecker 2007) und ihre Kultur reagiert auf die neuen Möglichkeiten der veränderten Kommunikation. Um zu erfahren, welche Rolle die virtuelle Kommunikation in unserer Ernährungskultur spielt,

haben wir eine Pilotstudie mit dem Ziel durchgeführt, einen explorativen Blick auf die Ernährungskommunikationen im Internet zu werfen und dabei auch die diskursive Erzeugung des Sinngehalts, der im Alltagsverständnis oftmals als gegensätzlich verwendeten Begriffe Natürlichkeit und Innovation, zu analysieren. Unsere Analyse konzentrierte sich sowohl auf Blogs, denen aus bestimmten Gründen in ihrer Selbstbeschreibung eine an natürlicher Ernährung orientierte Perspektive auf Ernährung unterstellt werden kann, als auch auf solche, bei denen man eine Affinität zu Innovationen vermuten darf. Ergänzt wurde die Auswahl durch Food-Blogs, die sich ad hoc keiner dieser beiden Kategorien zuordnen ließen. Auf Basis der zentralsten Ergebnisse soll die Relevanz von Food-Blogs für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Forschungsfeld „Ernährung“ besprochen werden.

Global-lokale Kulinarik in Quito/Ecuador. Ernährungs-anthropologische Überlegungen zu „globalisierten Traditionen“ in urbanen Räumen Maria Dabringer, Universität Wien An Hand eines konkreten Fallbeispiels (Empowerment-Projekt für & von Frauen) wird gezeigt, wie eine Frauengruppe in Quito — aktiv und strategisch — Wissen um andine „Traditionen“ und die identitätsstiftende Bedeutung des Essens, lokale Vorlieben und Konsumtrends sowie globale Einflüsse mittels eines CateringUnternehmens nutzen, um die sogenannte „Marktintegration“ und damit eine individuelle Verbesserung ihrer prekären Lebensbedingungen zu erreichen. Der aktive Umgang der Frauen mit den identitätsstiftenden Alltagspraktiken der Großstadt wird ebenso thematisiert wie die marktstrategische (und oft unkritische, unhinterfragte) Verwertung andiner „Kulturgüter“. Der Einfluss von globalisierungsbedingten Prozessen wird dabei im Kontext konkreter kultureller Konsumräume deutlich sichtbar. Dabei erweist sich eine sozialwissenschaftliche, ernährungsanthropologische Untersuchung des Phänomens „Konsum“ im Kontext der andinen Metropole als sehr hilfreich: Die Theorie, eine homogenisierende Globalkultur könne die kulturelle „Authentizität“ einer Gesellschaft zunichte machen, wird durch das Sichtbarmachen der Vielfalt im Umgang mit Essenskonsum relativiert. Der Beitrag basiert auf empirischem Datenmaterial (Forschungsaufenthalte 1999,2000, 2001, 2003, 2006) und möchte auf bereichernde, ernährungsanthropologische Debatten innerhalb der Ethnologie hinweisen.

Arganöl – Normative und technische Erfindung eines „traditionellen“ Ökoprodukts Bertram Turner, Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung, Halle/Saale

Arganöl aus Marokko ist das derzeit teuerste Speiseöl auf dem Weltmarkt. Es wird aufgrund seines würzigen und nussigen Geschmacks von Spitzenköchen auf der ganzen Welt als neues trendfood gepriesen. Gleichzeitig macht Arganöl eine atemberaubende Karriere als Wirkstofflieferant in der kosmetischen und pharmazeutischen Industrie. Die Vermarktung des Öls wird von dem Image getragen, es erfülle alle notwendigen Kriterien, um sich als politisch korrektes und nachhaltig erwirtschaftetes Produkt auf dem Weltmarkt zu behaupten, dessen Konsum dazu beitrage, lokale Armut zu bekämpfen, Frauenrechte zu stärken, lokales Wissen und indigene Kultur zu bewahren und obendrein ein weltweit einzigartiges Ökosystem zu erhalten. Der Vortrag thematisiert die industrielle und rechtliche Aneignung eines Produkts ausgehend von dessen Rolle im lokalen Kulturinventar und als lokales Grundnahrungsmittel bis zu dessen Integration in den Weltmarkt. Es wird argumentiert, dass hinter dem positiven Image von Arganöl ein vielschichtiger Ressourcenkonflikt zwischen verschiedenen Akteuren steht, die von der lokalen bis zur transnationalen Ebene vernetzt sind.

„Fundraising“ – Essenszubereitung als soziale, geschlechtsspezifische Praxis in Vanuatu (Südpazifik) Sabine Hess, Universität Bielefeld

ökonomische

und

Der Verkauf von gekochtem Essen zum erwirtschaften eines Geldbetrages für einen bestimmten Zweck ist eine gängige Praxis in Vanuatu. Die so genannten Fundraisings von Gruppen unterschiedlicher Größe und sozialer Zusammensetzung haben vielfältige Erscheinungsformen, bei denen Frauen oftmals die Hauptakteure sind. Die Aktivitäten einer kirchlichen Gruppe sind anders strukturiert als die einer Familie, die Schulgebühren für ihre Kinder erwirtschaften möchte. Das Skript nach dem diese Fundraisings ablaufen gibt Aufschluss darüber wie Beziehungen zwischen Personen(gruppen) innerhalb eines Dorfes über soziale Obligationen, Nahrung und Geld miteinander verflochten sind. Des Weiteren lassen sich die zubereiteten Gerichte als eine Geschmackslandschaft „lesen“ in der bestimmte Gerichte zusammen gehören, mit Status behaftet sind, oder zum Beispiel als „Essen der Weißen“ kategorisiert werden. Somit ergibt sich eine kulinarische Ordnung, die nicht nur soziale und geografische Zugehörigkeit, sondern auch das Spannungsverhältnis von kastom und Modernität widerspiegelt.

15. September, 17.00 – 18.30 / Raum 403: Das rohe und das gekochte Laab Marin Trenk, Goethe Universität Frankfurt/Main

Thailands Nordosten gilt als marginalisierter Landesteil. Aber die Esskultur der Region hat in der letzten Zeit Bangkok und das ganze Land erobert. Der Vortrag möchte die Komplexitäten der nationalen Aneignung einer expansiven Regionalküche erkunden. Einige lokale Gerichte werden angeeignet, dem thailändischen Geschmack angepasst und finden Eingang in die im Entstehen begriffene Nationalküche. Damit aber werden sie „ent-ethnisiert“ und „ent-regionalisiert“. Andere Gerichte dagegen werden ausgegrenzt, allen voran rohe Speisen wie laap, das ikonische Gericht des Isaan. Während bestimmte rohe Gerichte früher aus kulturellen Gründen abgelehnt wurden, geschieht dies heute unter Berufung auf medizinische Argumente. Bewohner des Isaan reagieren darauf, indem sie einige rohe Speisen in Marker ihrer ethnischregionalen Identität verwandeln. Unterstützt werden diese lokalen Strategien durch globale Trends (Sushi!), die den Geschmack des Isaan zunehmend auch für die Haute Cuisine Bangkoks unwiderstehlich machen.

Regionale Esskultur und die Instrumentalisierung von Identität in Japan Franziska Tappe, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Im Rahmen ländlicher Revitalisierungsstrategien wird japanische Esskultur von Unternehmen, Bürgern und Politikern instrumentalisiert. Eine landesweit vereinheitlichte Esskultur wird differenziert und bestimmte Produkte dienen als Repräsentant einer Region oder Lokalität. Dafür werden sie mit dem Begriff furusato verknüpft. Furusato bedeutet wörtlich „Heimatort“. Es steht hier für eine generalisierte japanische Heimat, welche sich in kulinarischen Produkten manifestiert. Dies dient einerseits der Stärkung des regionalen oder lokalen Zugehörigkeitsgefühls. Andererseits ermöglicht die Verknüpfung, ein Bild regionaler oder lokaler Identität herzustellen, diese medial darzustellen und in japanischen Großstädten zu vermarkten. Bestehende Forschung beschäftigt sich meist mit den ländlichen Akteuren der Revitalisierungsstrategien. In meiner Doktorarbeit stehen dagegen die städtischen Konsumenten im Zentrum, die sich über ihren Konsum eine regionale, ländliche und damit authentisch japanische Identität aneignen können. Als Plattformen der Vermarktung dienen unter anderem lokale Souvenirläden, so genannte Antenna Shops, in denen einzelne Präfekturen die Spezialitäten ihrer Region verkaufen oder das furusato-Päckchen der japanischen Post. Neben den Produkten wird hier die regionale Identität als eine authentisch Japanische vermarktet.

Das Gulasch von San Giovanni. Ethnologie eines Identitätsspiels zwischen Heiligem und Profanem Romina Pistor, effigy-consulting, Wiesbaden Anders als in den meisten italienischen Regionen, in denen die Speisekarte eng mit den lokalen Bodenressourcen in Verbindung steht, war die Landwirtschaft im Valdarno, einem Gebiet der Toskana, nie von großer Bedeutung und eine einheimische Küche hat sich hier nicht entwickeln können. Um den Tourismus anzukurbeln will man ein eigentlich „importiertes“ Gericht als eine mittelalterliche, religiöse Tradition darstellen und überregional vermarkten. Die Kirche, die verschiedenen Akteure der Stadtpolitik und die beteiligten Unternehmer profitieren von der Idee. Doch diese „Operation von oben“ ist nicht unproblematisch, sowohl wegen der Schwierigkeit, die Authentizität dieses Gerichtes zu definieren, als auch wegen des Widerstandes der Bevölkerung, die in der Region von einer ganz eigenen ideologischen Realität geprägt ist. Der Vortrag stellt eine facettenreiche Untersuchung dar, die aus dem Bereich der „Binnenexotik“ herausführt und globale Perspektiven aufzeigt.

“Without kuon It Is No Food!“ Zur Stabilität der Luo-Küche am Beispiel ihrer Veränderungen Mario Schmidt, Goethe Universität Frankfurt/Main Sebastian Schellhaas, Goethe Universität Frankfurt/Main Während unserer viermonatigen Feldforschung in zwei westkenianischen Dörfern wurde rasch deutlich, dass unser ursprüngliches Vorhaben, überregionale Einflüsse kulinarischer Güter und Ideen (Kochbücher/-magazine/-shows) auf die regionale LuoKüche zu studieren, den Lebensalltag der Akteure verfehlte. Zwar zeichnete sich im Dorf eine Heterogenität von Lebensstilen ab, die sich nicht selten in der Nutzung moderner Technologien und Objekte manifestierte, doch erschien die Ausgestaltung der alltäglichen Mahlzeiten auffallend homogen und traditionell: kuon, ein fester Getreidebrei, serviert mit einer Beilage. Nach dem Erfassen der wesentlichen Anbauund Zubereitungstechniken sowie einer durch das CFLM (Core-Fringe-LeguminosenModell) inspirierten Inventarisierung der verfügbaren Lebensmittelrohstoffe zeigte sich allerdings, dass überregionale kulinarische Einflüsse keinesfalls ausbleiben etwa aufgrund infrastruktureller Defizite, wie fehlender Marktanbindung oder mangelndem Informationszugang. Stattdessen finden sie sich in der Aneignung fremder Güter zur kreativen Aufrechterhaltung der traditionellen Küche wieder. Der maßgebliche Faktor der Strukturierung dieser Aneignungsprozesse scheint in der Bedeutung des kuon für den Lebensalltag der Luo gegeben zu sein. Aus diesem Grund möchten wir uns im ersten Teil unseres Vortrags einer synchronen Skizze der Luo-Küche widmen, wobei der Fokus auf der identitätskonstitutiven Rolle des kuon

und deren Implikationen hinsichtlich der Ausprägung anderer nicht-kulinarischer Bereiche der Lebenswelt liegen wird. Im zweiten Teil werden wir diese Skizze um eine diachrone Perspektive erweitern und bestimmte historische Transformationsprozesse darstellen, die die Stabilität der Luo-Küche demonstrieren. Entscheidend ist, dass diese Veränderungen gerade jene Bereiche der Luo-Küche betreffen, denen wir das Moment der notwendigen Stabilität zuschreiben: „Without kuon it is no food!“ Abschließend werden wir einen Ausblick auf einige rezente Veränderungen im Essverhalten großstädtischer Luo geben, die in einem reziproken Verhältnis zur regionalen Luo-Küche stehen.

Das „kulinarische Gedächtnis“ der österreichisch-deutschen Siedlung Pozuzo in Peru Ruth Haselmair, Universität Wien Das kollektive Gedächtnis einer Gruppe wird von den historischen Entwicklungen, die diese gemeinsam durchlebt, geprägt. Die Stabilität der Gemeinschaft hängt von der erfolgreichen geteilten Vergangenheitsauslegung ab, wobei kulturelle Identität ständig neu ausverhandelt wird. Die Interpretation der gemeinsamen Geschichte wird stark von den gegenwärtigen Bedingungen beeinflusst. Sie manifestiert sich unter anderem in der Esskultur. Das „kulinarische Gedächtnis“ der 150 Jahre alten österreichisch-deutschen Siedlung Pozuzo im Urwald Perus soll skizziert werden. Infrastrukturelle Modernisierung, politische Wirren, Zuwanderung und Tourismus führten in der Geschichte Pozuzos zu weit reichenden soziokulturellen Veränderungen, welche die Esskultur und das „kulinarische Gedächtnis“ der Pozuziner und Pozuzinerinnen stark beeinflussten. Zweifelsohne verstehen sie sich als Peruaner und Peruanerinnen, da der Peruanische Staat ihren Bezugsrahmen bildet. Das Jubiläum der Gründung der Siedlung vor 150 Jahren mit Jubiläums-Feiern in Tirol 2007 und in Pozuzo 2009 hat allerdings zu einer starken Rückbesinnung auf die „frühere Heimat“ und das „kulinarische Erbe“ ihrer österreichisch-deutschen Vorfahren geführt.

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