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March 9, 2018 | Author: Anonymous | Category: N/A
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Schon Eva kannte ihre Zielgruppe So sexy war der Design Dialog in der raumbrand wohl noch nie. Das kann am Thema gelegen haben – denn das hieß diesmal „Verführung“ – oder vielleicht doch an dem Spannungsbogen, der von Adam und Eva bis zu Enrique Iglesias und Victoria Beckham reichte? Wie dem auch sei, jedenfalls führten Udo Wittmann, Ralph Missy, Michael Lohr und Armin Ripsam, allesamt Experten im Bereich Markenkommunikation, eine emotional geladene Diskussion über menschliche Wünsche und Sehnsüchte. Und über neue Strategien, diese in einer Welt der Informationsflut neu zum Leben zu erwecken.

Ralph Missy, Udo Wittmann, Michael Lohr und Armin Ripsam (von links nach rechts), allesamt Protagonisten im Bereich Markenkommunikation, trafen sich in der Lounge im Süddeutschen Verlag. Thema: Wie Marken Zielgruppen erreichen und Begehren auslösen.

„In der Medienkommunikation geht es darum, nicht nur ein Bild, sondern ganze Bilderwelten für eine Marke zu kreieren.“ Udo Wittmann

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raumbrand: Beim Wort Verführung, welche Bilder oder Wörter kommen Ihnen da in den Sinn? Ralph Missy: Verführung … hm … Ich assoziiere dabei etwas Subtiles, Weiches. Es kämpft nicht mit harten Bandagen um mich, sondern es wartet irgendwo ganz still und leise darauf, dass ich reagiere, dass ich es anfange zu wollen. Es ist etwas, das in mir Begehrlichkeiten weckt. Das ist in der Kommunikationsbranche nicht anders. Udo Wittmann: Man bedenke nur mal, mit wie vielen Informationen wir täglich berieselt werden, wenn wir durch die Stadt gehen oder den Fernseher einschalten. Wie viele Markenbotschaften es gibt. Und wie wenige davon uns tatsächlich im Gedächtnis bleiben. Da stellt man sich die Frage, wie hoch doch die Kunst einzelner Marken wie beispielsweise Apple sein muss, die es schaffen, den Verbraucher auf sich aufmerksam zu machen und in ihm Begehrlichkeiten zu wecken. Wer heute verführen will, hat es viel schwerer als früher. Michael Lohr: Früher war Verführung eine ganz platte Sache. Die Maxime war einfach: Sex sells. Man suchte sich ein hübsches weibliches Model, brachte es mit dem Produkt zusammen – und das funktionierte. Jedenfalls, wenn das Pro-

dukt Männer ansprechen sollte. Dennoch war die Qualität eines Produkts noch immer Kaufkriterium Nummer eins. Man erinnere sich nur an Claims wie „Made in Germany“ oder „Vorsprung durch Technik“ wie bei AUDI. Der eine Wagen hatte eine vollverzinkte Karosserie, der andere nicht. Da war die Sache klar. Heute hat Verführung eine ganz andere Wertigkeit. Die Produkte haben sich soweit angenähert, es gibt kaum noch Unterschiede. Und hier spielt nun das Image einer Marke oder eines Produkts eine entscheidende Rolle. Wittmann: Von einer starken Marke lässt sich der Kunde auch gern verführen. In der Medienkommunikation geht es darum, nicht nur ein Bild, sondern ganze Bilderwelten für eine Marke zu kreieren. Missy: Interessant ist, wie unterschiedlich Kommunikation und Architektur in der Vergangenheit mit dem Thema Verführung umgegangen sind. Früher wurde uns in der Werbung eingebläut: „Ariel wäscht weißer.“ Das war definitiv ein aktiver, lauter Vorstoß. Da wurde der Verbraucher regelrecht mit der Großkanone beschossen. Heute sind die Menschen werberesistent. Und das zwingt mich als Unternehmen, meine Botschaften viel kleiner zu halten und

Fotos: © Oliver Schmitt

Franziska Brettschneider

individueller vorzugehen. Die Architektur dagegen war schon immer eine passive Verführerin. Sie machte Eindruck durch Raum, durch Möbel, sprach für sich. Und dies erzielte oftmals eine bessere Wirkung. Wittmann: Architektur trägt maßgeblich zum Verkaufserfolg bei. Ein attraktives Brandland fördert die Kommunikation am Stand. raumbrand: Das heißt also, dass der Produktwettbewerb durch den Kommunikationswettbewerb abgelöst wurde … Sie sprechen von individuellen Pfeilbotschaften. Wie treffe ich mein Ziel? Missy: Erst einmal muss man das Ziel überhaupt kennen. Und die Wünsche und Sehnsüchte der Zielgruppe. Armin Ripsam: Verführung setzt im Grunde ja das Abschalten jeglicher Form von Rationalität voraus. Wittmann: Sich verführen lassen heißt, Hirn ausschalten, rein ins Bauchgefühl. Man hat mal untersucht, wonach Kunden gehen, wenn sie etwas kaufen: Zu 25 Prozent ist es das Image, zu 24 Prozent der Mehrwert, aber zu 51 Prozent Sympathie und Spaß am Produkt. Hat es in allen rationalen Überlegungen gepunktet – das Auto ist sparsam, familiengeeignet, es passt in die Garage – entscheidet nun das Gefühl.

Ripsam: Verführen und verführt werden ist ja ein Thema, das es schon seit Anbeginn der Menschheit gibt. Man möchte für einen möglichen Partner attraktiv wirken, um mit ihm eine Verbindung einzugehen, neues Leben in jeglicher Hinsicht zu schaffen, sich selbst zu verwirklichen. Evolutionär gesehen – wenn’s klappt – eine Win-win-Situation für beide Partner, denn letztlich geht’s immer ums Überleben. Wittmann: Wo wir bei Adam und Eva wären … Ripsam: Manche sagen, Verführung sei unmoralisch, sei Manipulation, dass man verleitet wird zu Dingen, die man eigentlich gar nicht will. Aber wir haben es doch nicht mit unmündigen Bürgern zu tun. Jeder hat die freie Wahl, ob er sich Reizen hingibt oder ihnen widersteht. raumbrand: Dann war Adam also nicht unmündig, als er den Apfel nahm? Lohr: Eva kannte einfach ihre Zielgruppe gut (lacht). Ripsam: Nach der ersten Wirkung der Attraktivität, nach der Aufmerksamkeitsschaffung, setzt die Ratio wieder ein. Die Versuchung durch die Schlange war ganz klar da, aber Adam hatte die Wahl, er hätte nicht in den Apfel beißen müssen. Das ist bei jedem Autokauf genauso:

Die Besucher der IAA würden ja auch nicht auf die Messe gehen, wenn es nur um den Produktnutzen ginge. Sie wollen sich von den inszenierten emotionalen Welten verführen lassen. Missy: Ja, gut gemachte Verführung hat nichts mit Druck zu tun, es ist ein Sog … raumbrand: Aber wenn wir schon bei Adam und Eva sind: Stichwort Vertreibung aus dem Paradies. Kann Verführung nicht auch der Anfang vom Ende sein? Lohr: Das ist ein Punkt, an dem wir mit einer neuen Art der Kommunikation anknüpfen müssen. Um unsere Kunden auch in Zukunft erfolgreich am Markt positionieren zu können, brauchen wir neue Wege und Strategien. Wir müssen integrierte Kommunikation leben, das heißt einen Mix erreichen aus „above the line“ und „beyond the line“. Soll heißen: Ein wenig Gießkannenprizip, dann aber auch ganz klar in direkten Dialog treten. Feedback ist essenziell. Wenn du eine Frau an der Bar kennenlernst, hast du ja auch keinen Plan in der Tasche, den du dann gnadenlos durchziehst. Du musst sie zunächst kennenlernen und abwarten, wie sie auf dich reagiert. Möglicherweise musst du deinen Plan dann dementsprechend immer wieder korrigieren, um ans Ziel zu kommen.

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„Wir machen alles mit Leidenschaft. Wir kämpfen für den Erfolg unserer Kunden – aus Überzeugung und immer bis zur Ziellinie.“ Ralph Missy

„Mein Credo: Keep it simple, think simple, act simple. Wir sind breit genug aufgestellt, um Projekte aller Dimensionen zu stemmen, aber klein genug, um flexibel zu sein.“ Udo Wittmann

raumbrand: Was heißt denn konkret, integrierte Kommunikation „leben“? Lohr: Das heißt, verschiedene Marketingkanäle bespielen – klassische mit vertriebsgesteuerter Werbung verknüpfen, dazu Live Kommunikation und Kommunikation im Raum. Keine OneShots, sondern ein permanentes, gezieltes Beschießen der Zielgruppe. Missy: Wir haben nur ein Problem: das Wording. Der Begriff „integrierte Kommunikation“ hat kein gutes Standing. Denn da sie bislang nicht gelebt wurde, gilt sie als tot. Wir müssen dem Kind also erst einmal einen anderen Namen geben. Bislang hieß „integrierte Kommunikation“, verschiedene Strategien zu addieren. Ein Unterfangen, das zum Scheitern verurteilt ist. Es gilt vielmehr, diese Strategien miteinander zu verknüpfen, ein flächendeckendes Kommunikationsnetz zu weben. Wir müssen versuchen, den Konsumenten überall in seinem Alltag zu erreichen: im Internet, im Fernsehen, in der Zeitung, an der Litfaßsäule, übers Autoradio, bei Veranstaltungen. Ripsam: Ja, wir brauchen Synapsenbildung … Lohr: Eine organische Struktur muss geschaffen werden. Intelligente Kommunikation funktioniert über synaptische Markenführung, wobei sich die verschiedenen Disziplinen der Kommunikation miteinander vernetzen. raumbrand: Vorher sprachen wir davon, dass Verführung nur funktioniert, wenn wir die Wünsche der Zielgruppe kennen. Welche sind Ihrer Meinung nach im Kern die Sehnsüchte der Menschen im Moment der Kaufentscheidung?

Missy: Das läuft im Grunde auf zwei sich gegenseitig ausschließende Dinge hinaus: auf der einen Seite Cocooning, auf der anderen Individualität. Einerseits der Wunsch nach Geborgenheit in der Masse, andererseits das Streben danach, sich von ihr abzuheben. Ripsam: Das sind zwei Pole – ein Spannungsfeld. Lohr: Nicht unbedingt. Die Pole lassen sich auch verbinden. Zum Beispiel indem man einen Multiplikator der Verführung einsetzt, ein Testimonial wie Victoria Beckham oder Enrique Iglesias. Mit dem Kauf des beworbenen Produkts zeigt der Konsument, dass er sich mit dem Star oder dessen Lebensstil identifiziert. Damit differenziert er sich und setzt ein Zeichen für seine eigene Lebenseinstellung. Er entfernt sich also ein Stück weit von der Masse, aber nicht zu weit. Im Umkehrschluss ist dies eine wirksame Werbestrategie: Man schaffe einen style creator, mit dem man zunächst eine Anker-Community gewinnt. Die style follower kommen dann von ganz alleine.

raumbrand: Stichwort Integrität und Seriosität – wie können diese beiden langfristig vermittelt werden? Ripsam: Es gilt, authentisch zu bleiben und den Wert und das Image einer Marke nicht durch Hau-Ruck-Kampagnen aufs Spiel zu setzen. Es ist kontraproduktiv, wenn eine Marke durch Agentur A eine bestimmte Botschaft nach außen tragen lässt, um ein Jahr später durch Agentur B eine ganz andere Message zu lancieren. Das wirkt unglaubwürdig. Es ist wichtig, den einmal eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen, seiner Philosophie treu zu bleiben. Dann tut dies auch der Konsument. Zu einer guten Markenkommunikation gehört auch, mit Schwächen richtig umzugehen. Ehrlich wirkt ein Produkt nur dann, wenn es diese nicht vertuscht, sondern zu ihnen steht. Im Idealfall kommuniziert ein Unternehmen einen Schwachpunkt in einer Werbekampagne humorvoll als Stärke. Authentizität ist der Grundstein für nachhaltiges Wirtschaften. Missy: Verführt zu werden, ist doch seit jeher eine heimliche Grundsehnsucht des Menschen. Dahinter steckt einerseits ein Wunsch, andererseits aber auch eine Angst: Der Wunsch, verführt zu werden – aber bitte nicht zu etwas Falschem! Das ist der Zwiespalt: Der Konsument will sicher verführt werden. Deshalb ist das Thema Authentizität ja so wichtig.

raumbrand: Gibt es bestimmte Zauberwörter oder Tonalitäten, die bei der Verführung greifen? Wittmann: Man möchte es kaum glauben, aber „Sex“ zieht immer noch. Missy: Ja, archaische Themen wie Sex, Glück, Überleben … Lohr: … in unserer unsteten Zeit aber auch Wörter wie Vertrauen, Langlebigkeit und Ehrlichkeit. raumbrand: Wir sprachen vorhin über neue Wege der Kommunikation, die es in Zukunft zu beschreiten gilt. Gibt es hierfür ein Erfolgsrezept? Über welche Kompetenzen und Kapazitäten muss eine Agentur verfügen? Lohr: Das Rezept ist einfach: Man nehme einen Strategiekern, der von einem kleinen, interdisziplinären Kompetenzteam entworfen wird. Von Spezialisten aus den Bereichen Strategie, Kreativ, Event und Sales, die aber über den Tellerrand ihres Bereichs hinausschauen können. Die schmelzen dann ihr Wissen in einen Tropfen Essenz zusammen – und der kann dann enorme Wellen schlagen. Hier überraschen im Übrigen immer wieder die kleineren Agenturen. Und wenn ich mal ein wenig ketzerisch argumentieren darf: Die Teilung in 3D, 2D und Live wird es in Zukunft nicht mehr in dieser Form geben. raumbrand: Gibt es ein Traumprojekt, das Sie gern einmal realisieren würden? Ripsam: Ich denke nicht in Projekten, sondern in Prozessen. Ein Projekt ist irgendwann zu Ende.

Ich würde gern eine Marke aufbauen und über zehn, zwanzig Jahre begleiten, gemeinsam Ziele entwickeln. Awards für einzelne Projektrealisierungen, die sich toll im nächsten Quartalsbericht machen, reizen mich gar nicht. Missy: Ganz meine Meinung. OneShots sind auf Dauer frustrierend. Verführung ist komplex geworden, man benötigt viel Zeit, um Wissen und Gefühl für Marken und Menschen aufzubauen. raumbrand: Woher nehmen Sie die Kraft, sich gegenüber der Konkurrenz immer wieder durchzusetzen? Lohr: Ich denke, wir alle hier haben eine Vision, eine Philosophie. Ripsam: Und ein gesundes Selbstbewusstsein. Außerdem sind wir Kämpfer. Und Perfektionisten, die sich ihrer Lücken wohl bewusst sind und kontinuierlich daran arbeiten, dass diese geschlossen werden. raumbrand: Was wieder einmal bestätigt, dass der Weg das Ziel ist. Andererseits können kleine Fehler doch ganz attraktiv sein. Ideale Voraussetzungen also für große Verführer. In diesem Sinne: Danke für das Gespräch!

„Es sind oftmals die ganz einfachen Dinge, die zum Erfolg führen.“ Armin Ripsam

„Was den Spaß an Kommunikation ausmacht? – Die Schmetterlinge im Bauch! Wir gehen jedes Projekt mit dem Enthusiasmus eines frisch Verliebten an.“ Michael Lohr

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